Eigentlich Podcast

Micz & Flo
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Dec 4, 2025 • 1h 25min

EGL092 Resonanz, Beziehung, Dynamik: Sozialenergie als Motor der Gruppentherapie

"Resonanz (als Zurück-Tönen) bezeichnet das In-Beziehung-Treten zweier Seiten oder Entitäten, die mit je eigener Frequenz schwingen, oder die, bildlich gesprochen, mit je eigener Stimme sprechen." - Hartmut Rosa (2019: 21) Bei einem vorweihnachtlichen Spaziergang durch Charlottenburg spreche ich mit der Psychotherapeutin Anja Ulrich über „Sozialenergie“ (Günter Ammon), über „Soziale Energie“ (Hartmut Rosa) und darüber, wie sich diese Form psychischer Energie in der Gruppentherapie zeigt. Es geht also um Energie, weshalb es uns passend erscheint, dass wir die Tour vor dem ehemaligen Bewag-Abspannwerk in der Leibnizstraße, Ecke Niebuhrstraße, beginnen. Heute unter dem Namen „MetaHaus“ bekannt, versorgte das Gebäude mit Stahlskelett und roter Klinkerfassade seit den späten 1920er-Jahren Charlottenburg mit Strom. Der Begriff „Soziale Energie“ zieht, vor allem wegen der Forschung des Soziologen Hartmut Rosa, immer größere Kreise. Anja Ulrich und ich finden viele vertraute Ideen in seinen Gedanken, da unser Ausbildungsinstitut seit den 1970er-Jahren mit dem Konzept der „Sozialenergie“ der Psychoanalyse eine Weiterentwicklung bescherte. Der Psychiater, Psychoanalytiker und Mitbegründer unseres Ausbildungsinstituts, Günter Ammon, hat in seinem Theoriegebäude die Triebenergie Freuds (Libido) durch die Sozialenergie ersetzt. In den Shownotes verlinkt: ein längerer Artikel von 1982. Trotz vieler Gemeinsamkeiten gibt es auch deutliche Unterschiede. Hartmut Rosa, aufbauend auf seinem Konzept der Resonanz, beschreibt Soziale Energie als relationales Phänomen, das in Resonanzbeziehungen entsteht. Energie ist hier keine individuelle Ressource, sondern eine dynamische, zirkuläre, nicht speicherbare Qualität gelingender Interaktion, die Menschen im Kontakt belebt und transformiert. Günter Ammon versteht Sozialenergie als gruppendynamisch erzeugte psychische Kraft, die die Ich-Struktur aufbaut und Identitätsentwicklung ermöglicht. Während Rosa einen phänomenologisch-soziologischen Fokus auf Resonanz legt, betont Ammon die strukturbildende Funktion sozialer Felder im Rahmen der Dynamischen Psychiatrie. Die heutige Tour führt uns vorbei an den Läden der Wilmersdorfer Straße, zur Deutschen Oper, über den Richard-Wagner-Platz, die UdK, die Paris Bar und schließlich zum Berliner Institut der Deutschen Akademie für Psychoanalyse in der Kantstraße. Dann ist der Ofen aus. Shownotes EGL092 Die Tour auf Komoot Ich-Du-Begegnung (Buber) und Resonanz (Rosa): Beziehungen verändern als Prozess vom 'Kontakt haben' zum 'in Kontakt sein' Sigmund Freud: Energie und Libido Entwurf einer Psychologie, Sigmund Freud, 1985, OCR Fischer Verlag 1975 Freud, Sigmund (1895-103; 1950c): Entwurf einer Psychologie. Handschriftliche Dokumente auf freudedition.net Freud, S. (1933). Angst und Triebleben. In Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (S. 112–153) Sozialenergie (Konzept von Günter Ammon) Maria Ammon: Körpertherapie im Verständnis der Dynamischen Psychiatrie. In: Dynamische Psychiatrie. Internationale Zeitschrift für Psychotherapie, Psychoanalyse und Psychiatrie, Vol. 49. Jahrgang 2016 3-6, S.91-104 Günter Ammon: Das sozialenergetische Prinzip in der Dynamischen Psychiatrie. In: Handbuch der Dynamischen Psychiatrie, Band 2, 1982, S. 4-25. Günter Ammon, Gisela Finke, Gerhard Wolfrum: Sozialenergie, Entwicklungsverständnis und Menschenbild. In: Manual des Ich-Struktur-Tests ISTA, 1998 Günter Ammon: Das Prinzip der Sozialenergie im holistischen Denken der Dynamischen Psychiatrie. In: Dynamische Psychiatrie. Internationale Zeitschrift für Psychotherapie, Psychoanalyse und Psychiatrie, Vol. 16. Jahrgang 1983, S.169-182 Soziale Energie bei Hartmut Rosa Soziale Energie: "Diese Kraft zu verstehen, ist überlebenswichtig für uns alle" Hartmut Rosa unveils 'Social Energy': the new key to drive collective change. UNESCO Video Soziale Energie: Was treibt uns als Gesellschaft an? Deutschlandfunk Nova. 25. Januar 2024 Text Orte der Tour Stuttgarter Platz Renaissance-Theater MetaHaus Maison de France und Cinema Paris Mitwirkende Micz Flor Instagram Twitter YouTube (Channel) Website Anja Ulrich Hier noch die Quelle zum obigen Zitat: „Resonanz (als Zurück-Tönen) bezeichnet das In-Beziehung-Treten zweier Seiten oder Entitäten, die mit je eigener Frequenz schwingen, oder die, bildlich gesprochen, mit je eigener Stimme sprechen.“ Rosa, Hartmut (2019). Resonanz als Schlüsselbegriff der Sozialtheorie. In J.-P. Wils (Hrsg.), Resonanz: Im interdisziplinären Gespräch mit Hartmut Rosa (S. 21). Nomos.
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Nov 20, 2025 • 1h 21min

EGL091 Sind wir in der solaren Zukunft angekommen? Ein Spaziergang durch die Solarstadt Freiburg mit Rolf Behringer

"Das war ein wunderbares Gefühl, als ich dann gemerkt habe, wie sich der Wind ein Stück weit dreht. [...] Und jetzt sind Photovoltaik und Wind inzwischen wesentlich günstiger als die fossilen." Rolf Behringer – (Min 33:39) Flo trifft in dieser Episode zum zweiten Mal auf Rolf Behringer vom Verein Solare Zukunft – diesmal in Freiburg. Gemeinsam spazieren wir durch den Stadtteil Vauban, wo Rolf frühe nachhaltige Bauprojekte mit Photovoltaik und Niedrigenergiehäusern vorstellt. Dabei sprechen wir über aktuelle Entwicklungen wie Balkonkraftwerke und neue Speichermöglichkeiten. Die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien hat sich bereits gut entwickelt, und mit Freiburger Leuchtturmprojekten wie dem Heliotrop oder dem Sonnenschiff hat die Energiewende Anlauf genommen. Doch die großen Sektoren wie Wärme und Verkehr müssen noch deutlich nachhaltiger werden. Auf unserer Wanderung setzen wir uns mit den unterschiedlichen Herausforderungen auseinander, vor denen unsere Gesellschaft steht und versuchen den Blick in die Zukunft nicht zu dystopisch werden zu lassen. Wir finden etwas Erleichterung in den Utopien des Solarpunks. Am Ende unserer Tour stehen wir vor dem Solarhaus – aber über den Zaun klettern wollen wir dann doch lieber nicht. Shownotes Links zur Laufstrecke EGL091 | Wanderung | Komoot Passivhaus "Wohnen & Arbeiten", Stadtteil Vauban, Freiburg, Deutschland Kleehäuser – stadtteil-vauban.de Heliotrop (Gebäude) – Wikipedia Solarsiedlung – Wikipedia Rolf Disch – Das Sonnenschiff Links zur Episode Energiebildung ganz praktisch! - Solare Zukunft Webseite Agentur für Erneuerbare Energien Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme – Wikipedia Geothermie – Wikipedia BMWE | Balkonkraftwerke: Photovoltaik auf dem Balkon Intelligentes Messsystem – Wikipedia https://www.bundeswirtschaftsministerium.de/Redaktion/DE/Downloads/S-T/speicher-fuer-die-energiewende.pdf?__blob=publicationFile&v=8 Solarpunk - Wikipedia Schwungrad – Wikipedia Bidirektionales Laden – Wikipedia https://www.bundeswirtschaftsministerium.de/Redaktion/DE/Downloads/B/broschuere-bidirektionales-laden-stand-und-ausblick.pdf?__blob=publicationFile&v=8 Rolf Disch – Wikipedia Erneuerbare Energien in Zahlen | Umweltbundesamt Saisonalspeicher – Wikipedia Thermische Energiespeicher | Forschungsverbund Erneuerbare Energien Rolf Disch – Die Solarsiedlung Photovoltaik in Deutschland – Wikipedia Reparationsforderungen: Die Klimafolgen des Krieges in der Ukraine | tagesschau.de Solarbundesliga Deutscher Bundestag - Nutzung von Kleinspeichern in Mieterhaushalten Solarthermie – Wikipedia Wasserstoffantrieb – Wikipedia Elektrolyse – Wikipedia Elektrotrucker - YouTube Hotzenblitz – Wikipedia Das energieautarke Solarhaus Freiburg Aktuelles - suninside.de Energy-Charts Mitwirkende Florian Clauß Bluesky Mastodon Soundcloud Website Rolf Behringer (Erzähler) Solare Zukunft Verwandte Episoden EGL075 Verbreitung der Gemeinwohl-Methode Die solare Zukunft ist da – oder? Ein Realitätscheck der deutschen Energiewende An der Schwelle zu einer neuen Energie-Ära Das lang gehegte Ziel einer vollständig auf erneuerbaren Energien basierenden Energieversorgung erscheint heute greifbarer denn je. Die Vision einer solaren Zukunft, einst belächelt und als utopische Spinnerei abgetan, manifestiert sich zunehmend in unserem Alltag – auf Dächern, an Balkonen und in der wachsenden Flotte von Elektrofahrzeugen. Die technologischen Durchbrüche der letzten Jahre haben eine Dynamik entfesselt, die selbst optimistische Prognosen übertrifft. Doch sind wir damit bereits in der solaren Zukunft angekommen? Oder handelt es sich bei den sichtbaren Erfolgen nur um die ersten, einfacheren Etappen eines weitaus komplexeren Marathons? Der neue Status Quo: Die Dominanz der Erneuerbaren im Stromnetz Der Stromsektor gilt als Vorreiter und Blaupause für die gesamte Energiewende. Hier wurden die entscheidenden technologischen und politischen Schlachten geschlagen, die den Weg für die heutige Entwicklung ebneten. Der erreichte Meilenstein von rund 60 % erneuerbarer Energien im deutschen Stromnetz ist mehr als nur eine beeindruckende Zahl – er ist die Widerlegung der einst weit verbreiteten Skepsis. Noch vor wenigen Jahrzehnten erklärte eine damalige Umweltministerin und spätere Bundeskanzlerin, das Stromnetz würde nicht mehr als 5 % Erneuerbare verkraften. Heute stabilisieren eben diese volatilen Energiequellen unser Netz und beweisen die technische Machbarkeit einer grundlegend neuen Versorgungsarchitektur. Die Photovoltaik hat sich dabei von einer teuren Nischentechnologie zu einer der kostengünstigsten Energiequellen überhaupt entwickelt. In der reinen Erzeugung sind Solar- und Windstrom heute wesentlich günstiger als fossile Energieträger. Dieser Wandel wurde maßgeblich von Innovations- und Forschungszentren vorangetrieben. Ein Epizentrum dieser Entwicklung ist Freiburg mit dem Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE), an dem über 1.000 Forscherinnen und Forscher die technologischen Grundlagen für diesen Erfolg schufen und weiterhin schaffen. Freiburgs Rolle als Leuchtturmprojekt manifestierte sich auch in Wettbewerben wie der „Solarbundesliga“, in der deutsche Städte um die höchste Pro-Kopf-Solarleistung wetteiferten. War Freiburg anfangs unangefochtener Spitzenreiter, wurde es bald von anderen Städten überholt – ein eindrucksvoller Beleg dafür, wie ein lokaler Katalysator eine nationale Bewegung auslösen und beweisen kann, dass das Modell skalierbar ist. Doch während diese großen, zentralen Entwicklungen den Rahmen vorgaben, findet die wahre Revolution inzwischen dezentral und bürgernah statt. Die Revolution auf dem Balkon: Wie Bürgerenergie die Wende beschleunigt Stecker-Solargeräte, oft als „Balkonkraftwerke“ bezeichnet, sind weit mehr als eine technische Spielerei. Sie sind das Symbol für die Demokratisierung und Dezentralisierung der Energieerzeugung. Was als kleine Grassroots-Bewegung begann, hat sich zu einer gesellschaftlichen Massenbewegung entwickelt. Schätzungen gehen von bis zu drei Millionen installierten Systemen in Deutschland aus – eine schier unglaubliche Zahl, die die enorme gesellschaftliche Dynamik dieses Trends belegt. Dabei hat sich ein entscheidender Paradigmenwechsel in der Motivation der Nutzer vollzogen. Stand anfangs oft noch ein ideologischer Antrieb im Vordergrund, so rechnet sich die Anschaffung heute zunehmend auch wirtschaftlich. Faktoren wie die Einführung von Smart Metern und dynamischen Stromtarifen machen es für den „normalen“ Bürger attraktiv, eigenen Strom zu produzieren und zu verbrauchen. Es geht nicht mehr nur um die moralische Überzeugung, sondern um handfeste ökonomische Vorteile. Diese Entwicklung hat einen wichtigen Nebeneffekt: Die direkte, sichtbare „Energieernte“ auf dem eigenen Balkon stärkt das Bewusstsein für Erzeugung und Verbrauch im Haushalt. Man erlebt den Zusammenhang zwischen Sonnenschein und verfügbarem Strom unmittelbar, ähnlich wie bei der Ernte im eigenen Garten. Dieser kulturelle Wandel fördert ein tieferes Verständnis für die Funktionsweise unseres Energiesystems. Doch trotz dieser beeindruckenden Erfolge im Stromsektor stehen zwei weitere große Energieverbraucher – Wärme und Mobilität – noch vor einer gewaltigen Transformation. Die ungelösten Rätsel der Energiewende: Wärme und Mobilität Der Gesamterfolg der Energiewende hängt entscheidend davon ab, ob es gelingt, die Sektoren Wärme und Mobilität zu dekarbonisieren. Diese beiden Bereiche machen einen Großteil des Primärenergiebedarfs aus, doch der Anteil erneuerbarer Energien liegt hier noch immer deutlich unter 20%. Die Herausforderung der Wärmewende Für die Erzeugung klimaneutraler Wärme existieren verschiedene technologische Pfade. Die Solarthermie besticht durch einen sehr hohen Wirkungsgrad von rund 80% bei der Umwandlung von Sonnenlicht in Wärme. Ihre Schwäche liegt jedoch in der saisonalen Diskrepanz: Im Sommer, wenn der Ertrag am höchsten ist, wird kaum Heizwärme benötigt. Viele Anlagenbetreiber kennen das Problem, dass sie sich im Sommerurlaub Sorgen um ihre Anlage machen, die massive, ungenutzte Wärmeüberschüsse produziert. Flexibler ist hier die Kombination aus Photovoltaik und Wärmepumpe. Der erzeugte Strom kann bedarfsgerecht zur Wärmeerzeugung genutzt oder für andere Zwecke im Haushalt verwendet werden. Als weitere wichtige, wenn auch standortabhängige Säule für die zukünftige Wärmeversorgung gilt die Geothermie, die konstante Wärme aus dem Erdinneren nutzt. Wegweisend sind intelligente und hocheffiziente Gebäudekonzepte wie die Plusenergiehäuser in Freiburgs Solarsiedlung. Diese vom Architekten Rolf Disch konzipierten Gebäude erzeugen über das Jahr gerechnet mehr Energie, als ihre Bewohner für Heizung, Warmwasser und Strom verbrauchen. Die Elektrifizierung des Verkehrs Die Elektromobilität hat die „Kinderschuhe“ verlassen und befindet sich gewissermaßen in der „Pubertät“: Sie ist bereits weit verbreitet, kämpft aber noch mit Akzeptanzhürden und hat weiteres Entwicklungspotenzial. Eine überraschende Entwicklung ist, dass nicht nur Pkws, sondern zunehmend auch Busse und Lkws elektrifiziert werden. Dies stellt frühere Prognosen in Frage, die für den Schwerlastverkehr lange Zeit auf andere Technologien setzten. Dass dieser Trend nicht nur in Strategiepapieren, sondern bereits auf der Straße angekommen ist, zeigen Phänomene wie YouTuber, die als Elektro-Lkw-Fahrer ihren Alltag dokumentieren und damit eine wachsende Community begeistern. Im direkten Vergleich hat sich für Pkws der batterieelektrische Antrieb aufgrund seiner überlegenen Effizienz klar gegen den Wasserstoffantrieb durchgesetzt. Wasserstoff wird aufgrund der hohen Umwandlungsverluste bei seiner Herstellung (Elektrolyse) erst dann wirtschaftlich und ökologisch sinnvoll, wenn ein massiver Überschuss an erneuerbarem Strom zur Verfügung steht, der andernfalls ungenutzt bliebe. Die zentrale Herausforderung liegt nun darin, die Sektoren Strom, Wärme und Mobilität intelligent zu koppeln und die schwankende Erzeugung von Sonne und Wind auszugleichen. Die Lösung für diese Aufgabe liegt in einem zentralen Baustein: der Speicherung. Der Schlüssel zur Vollendung: Die Revolution der Energiespeicherung Ohne den massiven Ausbau von Energiespeicherkapazitäten wird die Energiewende scheitern. Speicher sind das unverzichtbare Bindeglied, um die volatile Erzeugung von Sonne und Wind mit dem kontinuierlichen Verbrauch in Einklang zu bringen, das Netz zu stabilisieren und die Versorgungssicherheit zu jeder Zeit zu gewährleisten. Die technologischen Lösungen existieren bereits und lassen sich nach Anwendungsbereichen gliedern: Dezentrale Kleinspeicher: Intelligente Heimspeicher und mobile „Powerstations“, die oft in Kombination mit Balkonkraftwerken genutzt werden, ermöglichen es, den tagsüber erzeugten Solarstrom auch nachts zu verbrauchen. Dies erhöht die Eigenverbrauchsquote, senkt die Stromrechnung und entlastet das lokale Netz. Zentrale Großspeicher: Große Batteriespeicher im Netz sind notwendig, um Lastspitzen abzufedern und die Abschaltung von Windkraftanlagen bei Stromüberschuss zu verhindern – ein heute noch gängiges, aber volkswirtschaftlich fatales Vorgehen. Ein Vorbild für saisonale Speicherung ist Dänemark, wo riesige, gut isolierte thermische Wasserspeicher mit überschüssigem Windstrom aufgeheizt werden, um die Wärme im Winter für Fernwärmenetze zu nutzen. Der schlafende Riese – Mobile Speicher: Das größte und bisher kaum genutzte Potenzial liegt im bidirektionalen Laden von Elektrofahrzeugen. Die Akkus von Millionen von E-Autos könnten zu einem riesigen, virtuellen Kraftwerk zusammengeschaltet werden. Sie könnten bei Stromüberschuss günstig geladen und bei hoher Nachfrage gezielt Energie zurück ins Netz speisen, um es zu stabilisieren. Für die breite Nutzung dieses „schlafenden Riesen“ müssen jedoch noch erhebliche regulatorische und technische Hürden überwunden werden. Dazu gehören steuerliche Fragen bei der Be- und Entladung ebenso wie Garantiezusagen der Fahrzeughersteller bezüglich der Batterielebensdauer. Die technologischen Lösungen sind vorhanden, doch ihre Implementierung hängt entscheidend vom politischen Willen und den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ab. Vision und Wirklichkeit: Zwischen Solarpunk, Politik und Eigenverantwortung Die Energiewende bewegt sich in einem permanenten Spannungsfeld zwischen technologischer Möglichkeit und politischer Realität. Politische Regulierung kann als entscheidender Beschleuniger wirken, wie die Förderung der Balkonkraftwerke zeigte, aber auch als Bremse, wenn veraltete Strukturen geschützt werden. Eine große Herausforderung bleibt der Einfluss von Lobbygruppen. Untersuchungen zur Lobbyarbeit in Berlin zeigen eine massive Asymmetrie: Die finanzielle und personelle Macht der fossilen Industrie, gemessen an der Anzahl der Lobbyisten pro Politiker, übersteigt die der Erneuerbare-Energien-Branche um ein Vielfaches und beeinflusst politische Entscheidungsprozesse. Gleichzeitig entwickelt sich eine positive gesellschaftliche Vision, die als „Solarpunk“ bezeichnet wird – ein Gegenentwurf zum dystopischen „Cyberpunk“. Diese Vision beschreibt eine Zukunft, die auf Dezentralisierung, lokaler Gemeinschaft, Resilienz und dem intelligenten, menschenfreundlichen Einsatz von Technologie basiert. Doch was bedeutet Resilienz wirklich? Eine persönliche Erfahrung von Rolf macht dies greifbar: Während eines mehrtägigen Stromausfalls in Spanien fühlte er sich mit seinem Elektroauto zunächst autark. Sein Solarmodul und eine Powerstation versorgten Laptop und Kocher. Doch die Freude schwand schnell, als er erkannte, dass ohne Strom auch die Wasserpumpe stillstand. Dies zeigt eindrücklich die Grenzen individueller Autarkie. Wahre Resilienz entsteht nicht durch isolierte Insellösungen, sondern durch robuste, vernetzte lokale Gemeinschaften, die lebenswichtige Systeme wie die Wasserversorgung gemeinsam sichern und sich gegenseitig unterstützen. Dieser Gedanke löst auch die Debatte zwischen individuellem Verzicht und systemischer Veränderung auf. Die Bürgerenergie-Bewegung hat bewiesen, dass Graswurzelinitiativen von unten die Politik zum Handeln zwingen können. Gleichzeitig sind es die politischen Rahmenbedingungen von oben, die diesen Initiativen erst den nötigen Raum zur Entfaltung geben. Beides ist untrennbar miteinander verbunden. Die Zukunft ist ein Prozess, kein Ziel Die solare Zukunft ist kein statischer Endzustand, den wir eines Tages erreichen, sondern ein dynamischer und fortlaufender Transformationsprozess. Um die Eingangsfrage nuanciert zu beantworten: Im Stromsektor sind wir dieser Zukunft bereits sehr nah. Die technologische Reife und die gesellschaftliche Akzeptanz haben ein Niveau erreicht, das den Wandel unumkehrbar macht. In den Bereichen Wärme, Mobilität und vor allem bei der intelligenten Speicherung und Sektorenkopplung stehen die entscheidenden Schritte jedoch noch bevor. Ein Lichtschein am Horizont: Das „Solarhaus Freiburg“, 1992 als erstes energieautarkes Haus Deutschlands ein visionäres und technisch aufwendiges Experiment, wird voraussichtlich von dem Verein „Solare Zukunft“ übernommen. Ziel ist es, das historische Gebäude mit der ausgereiften und kostengünstigen Technologie von heute zu revitalisieren und als Bildungsort neu zu beleben. Dieses Vorhaben ist ein Mikrokosmos der gesamten Energiewende: Es würdigt die visionäre Pionierarbeit der Vergangenheit und nutzt gleichzeitig die Werkzeuge der Gegenwart, um die Zukunft aktiv zu gestalten. Die technologischen Lösungen und gesellschaftlichen Visionen sind vorhanden; nun bedarf es eines gemeinsamen, konsequenten Handelns von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, um diese Zukunft zu realisieren.
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Nov 6, 2025 • 2h 3min

EGL090 Body Horror 2: The Substance und Together

"People always ask for something new. It's inevitable." -- Harvey (aka Dennis Quaid) in The Substance Weiter geht's mit dem Halloween-Special zu Body Horror. Reinhard ist wieder dabei, Chris jedoch nicht. Der hat sich mit Zelt und Isomatte in die Wildnis verabschiedet. In dieser Episode widmen wir uns zwei weiteren Filmen des Genres: "The Substance" und "Together". Laufen beim Reden und laufend reden. Unterwegs im Treptower Park, wo uns zum Schluss ein ganz anderer Horror einholt: das dritte Aufnahmegerät hat nicht aufgenommen (Micz vergaß den Hold-Schieber auf eben jenes "Hold" zu schieben). Wir mussten Reinhards Tonspur akribisch aus den anderen beiden Spuren herausschneiden. In "The Substance" von Coralie Fargeat steht der weibliche Körper im Zentrum einer von Außen auf den Körper projizierten Selbstoptimierungsspirale. Elizabeth Sparkle, einst gefeierte Schauspielerin, wird älter – und damit für die Kamera untauglich. Ein mysteriöses Serum namens „The Substance“ verspricht Verjüngung. Ein zweites Ich, jung, schön, makellos, bricht durch den Rücken in die Welt. Die Gebrauchsanweisung sagt deutlich: alle sieben Tage müssen sich jung und alt abwechseln. Doch dieses zweite Selbst beginnt, das erste zu verdrängen – bis Identität, Fleisch und Selbstbild in einem grausamen Machtkampf verschmelzen. Fargeat inszeniert diese Verwandlung als blutiges Schauspiel über Körperbesitz, Leistungsdruck und das Begehren, gesehen zu werden. Im Anschluss reibt Flo Lacans Konzept des "Realen" am Schleim und Formlosen des Films. Wo "The Substance" Körpergrenzen auflöst, wird das Reale zum Ort des Unbegreiflichen – jener Überschuss, der sich der Symbolisierung entzieht. Der Film lässt uns körperlich spüren, was Lacan nur andeuten konnte: dass das Reale keine äußere Bedrohung ist, sondern etwas, das unaufhörlich in uns arbeitet. Der zweite Film, "Together" von Michael Shanks, erweitert das Thema Körperhorror um eine groteske Komödiennote. Alison Brie und Dave Franco spielen ein Paar, dessen Beziehung nach dem Umzug auf's Land zerbröselt, als ein bizarrer Selbstfindungstrip zur physischen Eskalation führt. Durch ein unerklärliches Phänomen werden die beiden aneinandergebunden, besser noch ineinanderverwickelt und -verstrickt. Die Geschichte ist in eine Farce über Abhängigkeit, Selbstauflösung und die möglicherweise Unmöglichkeit, wirklich „eins“ zu werden. Shanks inszeniert diesen Körper- und Beziehungsknoten als Mischung aus Beziehungsdrama und Splatter. Hier spricht Micz über Julia Kristevas Konzept des "Abjekts" – jenes Moments, in dem das Ich sich selbst nicht mehr von dem unterscheiden kann, was es abstößt. "Together" zeigt das Abjekt als Auflösung der Trennung zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Ich und Du. Das eklig Verschmelzende wird zum Beweis dafür, dass unser Selbstbild auf einer dünnen Haut beruht. Mitwirkende Micz Flor Instagram Twitter YouTube (Channel) Website Florian Clauß Bluesky Mastodon Soundcloud Website Reinhard IMDb Verwandte Episoden EGL089 Body Horror 1: Titane und Weapons Im Blog auf der Eigentlich-Podcast-Website steigen wir gerne noch ein Stück tiefer in die Themen ein, sezieren, und korrigieren gerne auch mal klammheimlich. Diesmal hatte ich (Micz) leider schlicht nicht die Zeit. In der Episode habe ich den zweiten Film, Together, besprochen. Wer es ganz genau wissen will, darf gerne in die Episode reinhören. Das, was ich eigentlich noch weiter ausführen wollte, hat Flo ohnehin schon in seinem Text zu „The Substance“ eingewoben: Kristeva und der Begriff der Abjektion, dieses Auflösen von Grenzen, das Unreine, das sich zwischen Ich und Nicht-Ich schiebt. Damit schließe ich den Teil zu Together mit einer kleinen Anmerkung: Hätte ich mehr Zeit gehabt, hätte das dem Film vermutlich nicht gutgetan. Over to Flo: „Take it home“. The Substance – Körper als Vertrag, Bild als Gesetz Coralie Fargeats zweiter Langfilm ist eine elegante Zumutung. The Substance verbindet grelle Pop-Ikonografie mit nüchterner Diagnose und treibt den Body-Horror in eine Zone, in der die Oberfläche nicht Täuschung, sondern Beweis wird: für eine Kultur, die den weiblichen Körper nach Regeln verwaltet, die sie selbst – großgeschrieben – an die Wand hängt. YOU ACTIVATE ONLY ONCE. YOU STABILIZE EVERY DAY. YOU SWITCH EVERY SEVEN DAYS WITHOUT EXCEPTION. REMEMBER YOU ARE ONE. Was wie eine Gebrauchsanweisung der Hoffnung aussieht, entpuppt sich als liturgische Form des Zwangs. Fargeat liefert damit nicht nur eine Genrearbeit, sondern ein präzises Bildregime über Ageismus, Selbstoptimierung und Selbsthass – nüchtern, kontrolliert, mit Absicht provozierend. Regiehandschrift und Rahmen Fargeat, französische Autorin-Regisseurin mit internationaler Praxis, hat bereits in Revenge (2017) Exploitation-Codes feministisch umcodiert. In The Substance führt sie diese Methode fort: knallige Paletten, pop-ikonische Tableaus, ein haptisches Sounddesign; praktische Effekte, die wie Argumente wirken. Das Produktionsprofil bleibt transnational (englischsprachiger Cast, Cannes-Premiere, Preis für das beste Drehbuch), in der Haltung jedoch dezidiert französisch: ein Kino, das Idee und Form zu gleichen Teilen ernst nimmt. Leitmotivisch verhandelt der Film weibliche Selbstbestimmung gegen die Ökonomie des Blicks; der Körper ist nicht Kulisse, sondern Schlachtfeld. Handlung, Dramaturgie, Programm Im Zentrum steht Elisabeth Sparkle (Demi Moore), eine Entertainerin und Fitness-Ikone, deren Marktwert an der Haut gemessen wird. Ein TV-Boss (Dennis Quaid) verjüngt das Format – und damit de facto den Körper, der es trägt. The Substance, ein illegales Verfahren, verspricht Abhilfe: Aus der Protagonistin tritt eine jüngere Version (Margaret Qualley) hervor. Fortan existieren zwei Körper parallel, verbunden durch ein strenges Zeitregime: sieben Tage alt, sieben Tage jung – ohne Ausnahme. Das Regelwerk erscheint im Film als klare Beschriftung in Großbuchstaben; es strukturiert Montage, Bild und Rhythmus. Dramaturgisch arbeitet The Substance bewusst nach „Malen nach Zahlen“: Sobald ein Punkt gesetzt ist (Aufstieg des Doubles, Regelbruch, Degeneration), erscheint stringent der nächste. Man kann das als Formelhaftigkeit lesen. Man kann darin aber auch das Kalkül erkennen, mit dem Fargeat die kapitalistische Logik der Optimierung in erzählerische Mechanik übersetzt. Das Ergebnis ist eine starke, einfache Bildsprache, die kaum Ambiguität lässt, dafür Schlagkraft gewinnt. Bild, Ton, Körper Die Filmsprache ist konsequent dual organisiert. Klinische Kälte in Laboren und Korridoren trifft auf den poppigen Glanz der Bühne, von Kosmetik-Pastells bis Neon. Spiegel, Glas und Bildschirme rahmen das Ich; Bildflächen vervielfältigen die Figur, die sich in ihnen wiedererkennt und zersplittert. Die Kamera sucht die Nähe – Poren, Schweiß, Kanten der Prothetik –, als wolle sie den Tastsinn ins Auge verschieben. Die Choreografien der Auftritte sind geschmeidig, nahezu tänzerisch; die Rückzugsräume werden atemnah, dokumentarisch, gelegentlich unruhig. Das Sounddesign legt Ekel in den Hörsinn: reibende Texturen, feuchte Kontaktgeräusche, kleinteilige Atemarbeit. Mediengeräusche – Applaus, Regierufe, Countdowns – fungieren als akustische Gewalt, die Körper formatiert. Praktische Effekte bleiben der Kern: Der Verfall hat Etappen; CGI akzentuiert, ersetzt aber nicht die Materialität. Performances und Starimages Demi Moore trägt den Film mit einer doppelten Schärfe: einer streng trainierten Körperhaltung und einer mimischen Mikroökonomie, die von professioneller Glätte in brüchige Verletzlichkeit übergeht. Ihre Starpersona – Sexsymbol, Ageismus-Erfahrungen – liefert eine Metaebene, die Fargeat kalkuliert nutzt: Casting als Argument. Margaret Qualley verkörpert performative Jugendlichkeit: federnde Bewegungen, hyperpräzise Posen, ein Timing, das zwischen Charme und Kälte oszilliert. Sie spielt die Verführbarkeit der Oberfläche ebenso wie deren instrumentelle Grausamkeit. Dennis Quaid zeichnet den Produzenten als joviales Monster: lächerlich und gefährlich zugleich, ein Gesicht der Maschine. Selbstoptimierung, Selbsthass, Markt Die klaren Anweisungen des Films – YOU ACTIVATE ONLY ONCE etc. – wirken wie Affirmationen aus einer Fitness-App. Als Regelsystem übersetzen sie Selbstoptimierung in Disziplin: Stabilisiere dich täglich, wechsle rechtzeitig, bleib eine Einheit. Was als Schutz versprochen wird, produziert Spaltung und den Hass auf das Unperfekte. Der Körper wird zur Ressource, Zeit zum verwalteten Gut. Verstöße sind „Unwirtschaftlichkeit“ und schreiben sich ins Fleisch. In dieser Logik ist der ältere Körper Restmüll, der jüngere Währung. The Substance behauptet das nicht nur; es zeigt die Mechanik, die dazu führt. Lacan: Bild, Gesetz, Rest Eine Lesart nach Lacan schärft die Ordnung, die Fargeat baut. Das Imaginäre liefert das Ideal-Ich: Sue ist die glatte Ganzheit, an der sich Identifikation entzündet. Das Symbolische setzt Grenzen: Der 7/7-Vertrag fungiert als Gesetz, das Begehren binden soll. Der große Andere – hier die Medien-/Schönheitsindustrie – stellt die Signifikantenkette bereit, nach der Wert verteilt wird: jung, frisch, fit, sexy, on brand, Quote, Verjüngung. Elisabeth richtet ihr Begehren an dieser Kette aus; die Kamera übernimmt oft die Position des Anderen. Das Reale dringt ein, sobald das Gesetz bricht: Degeneration, Flüssigkeiten, Wucherungen – das, was sich der Symbolisierung entzieht, schreibt mit. Die Substanz selbst lässt sich als objet petit a fassen: der dinglich gewordene Köder des Jugend-Glows, der Begehren verursacht und nie satt macht. Als kapitalistisches Gadget-Objekt verspricht sie, den Mangel (Alter, Endlichkeit) zu löschen, und erzeugt damit Plus-de-jouir: eine Exzess-Lust, die Leiden steigert. In dieser Sicht ist The Substance die Geschichte eines Subjekts, das die symbolische Grenze verleugnet und vom Realen überrollt wird. Die finale Jouissance-Explosion – der Blob – ist die Konsequenz: Das Symbolische kollabiert, das Imaginäre reißt, das Reale wuchert. Kristeva: Abjektion als Wahrheitstest Julia Kristevas Begriff des Abjekten ergänzt die Diagnose. Abjektion bezeichnet das Ausgestoßene, das Identität und Ordnung stört: das Dazwischen, das Ambige, das, was Grenzen missachtet. The Substance inszeniert Abjektion als Rückkehr des Verbannten. Der Blob ist weder Subjekt noch Objekt, sondern ein Zwischenrest, in dem innen/außen, rein/unrein, lebendig/tot kollabieren. Ritualisierte Reinheitspraktiken – Make-up, OP, Timer – sollen das Abjekte bannen; sie scheitern, und die Bühne des Symbolischen wird überflutet. In der amorphen Masse liegt auch die kulturell gefürchtete Figur der „archaischen Mutter“: umhüllend, verschlingend, entdifferenzierend – nicht als Naturphänomen, sondern als Projektionsfigur der Ordnung. Indem Fargeat das Abjekte ins Zentrum des Live-Raums verlegt, entlarvt sie die Blick-Ökonomie: Das Spektakel stabilisiert normalerweise die Norm durch Ausstoßung; hier sabotiert die ausgesonderte Materie das Spektakel selbst. Das ist die impure catharsis, von der Kristeva spricht: keine Reinigung, sondern das unübersehbare Erscheinen des Unreinen als Wahrheit. Blickpolitik und Ambivalenz Der Film spielt ein bewusst riskantes Doppelspiel: Er macht Glamour attraktiv und Ekel konkret. Daraus ergibt sich die zentrale Frage, die die Rezeption spaltet: Kritik oder Reproduktion des Blicks? Fargeats Kamera ist präzise, oft klinisch; sie vermeidet pornografische Wollust, ohne den Reiz der Oberfläche zu negieren. Die Ambivalenz ist kalkuliert: Verführung, um die Verführungsmaschine sichtbar zu machen. Dass die Instruktionen in Großbuchstaben erscheinen, verrät eine zweite Ebene: Das System ist nicht heimlich, es ist deklarativ. Was könnte schon schiefgehen? fragt die Bildfläche. Der Film beantwortet es, indem er die liturgische Ordnung (Aktivieren, Stabilisieren, Wechseln, Erinnern) in ein Katastrophenprotokoll überführt. Form und Formel Der Vorwurf des „Malen nach Zahlen“ ist in diesem Kontext nicht falsch, aber möglicherweise fehladressiert. Fargeat zeigt eine Welt, in der der Körper wie ein Projektplan behandelt wird. Dass die Erzählung nach dem Setzen eines Punktes den nächsten setzt, ist nicht Trägheit, sondern Spiegelung. Der Formelkern verweist auf die Formelhaftigkeit des Optimierungsregimes: Wenn A, dann B; wenn Regelbruch, dann Sanktion. Sichtbar wird das Verhältnis von Regel und Rest: Je strenger die Routine, desto größer der Überschuss, der sie unterläuft. Ethik und Mechanik der Selbstoptimierung The Substance steht in der Nachbarschaft zu Cronenberg (Die Fliege: Metamorphose als Tragödie; Dead Ringers: Chirurgie und Doppel; Crimes of the Future: Performance-Chirurgie und „Surgery is the new sex“), zu Ducournau (Raw, Titane: Zärtlichkeit im Extrem), zu Almodóvar (Die Haut, in der ich wohne: Haut als Identitätsmaterial). Gegenüber diesen Werken arbeitet Fargeat lauter und politischer: weniger Ambivalenz in der Diagnose, mehr Nachdruck in der Form. Das birgt Risiken (Reproduktion von Blickhierarchien, Spektakel des Ekels), gewinnt aber Klarheit. Selbstoptimierung und Selbsthass sind hier kein psychologisches Randphänomen, sondern Institutionslogik. The Substance zeigt, wie ein System seine Subjekte über klare, wiederholte Imperative formatiert: activate, stabilize, switch, remember. Diese vier Befehle sind zugleich Diätplan, Schönheitsprogramm und Glaubenssatz. Der Film legt offen, wie sich solche Schemata in Körper einschreiben: als Routinen, als Timer, als Angst vor dem Versagen. Dass die Dramaturgie „streng nach Plan“ verläuft, ist deshalb weniger Schwäche als Methode. Die Form imitiert das Protokoll, gegen das sie gleichzeitig anschreibt. Was als individuelle Sucht erscheint, ist die normale Betriebsweise eines Markts, der Abweichungen als Ausschuss definiert und in Bilder von Verfall übersetzt. Diagnose statt Läuterung: Der Körper spricht Am Ende bleibt The Substance ein Film über Verträge zwischen Körper und Bild: Fargeat orchestriert klare Zeichen und kalkulierte Ambivalenzen, um die Logik der Selbstoptimierung als liturgiehaftes Regime sichtbar zu machen. In lacanianischen Begriffen kollidieren Imaginäres, Symbolisches und Reales; in Kristevas Sinn kehrt das Abjekte als unübersehbarer Rest zurück und sabotiert das Spektakel, das es ausschließen wollte. Die Inszenierung riskiert dabei Spektakel und Reinszenierung von Blickregimen, gewinnt aber Erkenntnis, weil sie das Gesetz lesbar macht, an dem die Figuren zerbrechen. The Substance fordert das Publikum nicht zu Zustimmung, sondern zur Vermessung des eigenen Begehrens auf. Wer den Imperativen der Oberfläche misstraut und den Mangel – Zeit, Alter, Endlichkeit – als Bedingung akzeptiert, erkennt im Exzess weniger eine Pointe als eine Diagnose. Darin liegt die eigentliche Souveränität des Films: Er verspricht keine Läuterung, aber er gibt dem Körper seine Stimme zurück.
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Oct 23, 2025 • 1h 39min

EGL089 Body Horror 1: Titane und Weapons

"The body is the only reality we have. Everything else is abstraction." Cronenberg on Cronenberg Diese Episode wieder in neuer Konstellation – wir sprechen zu viert im Sitzen über Horrorfilme, speziell über Body-Horror. Reinhard Günzler und Chris sind zu Gast und jeder hat einen Body-Horrorfilm zum Besprechen mitgebracht: Reinhard stellt „Titane" vor und Chris hat sich ganz frisch im Kino „Weapons" angeschaut. Eigentlich wollten Micz und Flo noch weitere Body-Horrorfilme vorstellen, aber „The Substance" und „Together" verschieben wir auf die nächste Episode EGL090. Bevor wir in die einzelnen Filme einsteigen, schärfen wir die Definition von Body-Horror und kommen dabei immer wieder auf einen maßgeblichen Vertreter des Genres zu sprechen: David Cronenberg. Cronenberg schuf mit „Die Fliege", „Videodrome", „Crash" und vielen weiteren Filmen die Archetypen des Body-Horrors, bei denen es um Körperverlust, Grenzerfahrungen und Metamorphosen geht. Der Horror entsteht aus einer vertrauten Körperwahrnehmung, die invasiv gespiegelt wird. In den neueren Filmen des Genres stellen wir fest, dass besonders Regisseurinnen ihrer Kunst Ausdruck verleihen, da gerade hier die Zwänge, denen der weibliche Körper innerhalb eines patriarchalen Systems ausgesetzt ist, bildgewaltig dargestellt werden können. Der französische Film „Titane" von 2021 von Julia Ducournau verdichtet diese Themen in ein Kompilat, das immer wieder die Geschichte sprengt. Reinhard fasst das folgendermaßen zusammen: „Man könnte den Film auch als eine tödlich endende Passionsgeschichte beschreiben, als einen brutalen Kreuzweg oder eine dreifache Metamorphose. Also die erste Metamorphose ist vom Mensch zur (Tötungs-)Maschine, dann von einer Maschine zu einem Mann und/oder Sohn und schließlich von einem jungen Mann/Sohn wieder zurück zur Frau und sogar zur Mutter." Der Film löst in diesen Verwandlungsetappen die gesellschaftlichen und psychologischen Geschlechterrollen auf. Hinter dem Horror wird eine Geschichte von Einsamkeit und wiederentstehenden Vertrauen erzählt. Diese und andere gesellschaftlich relevante Themen sprechen wir auch dem jüngst im Kino gezeigten Film „Weapons" von Zach Cregger zu, der das schlagartige Verschwinden einer gesamten Schulklasse zum Thema macht. Bis auf die Erzählfigur Alex, 11 Jahre, rennen alle Kinder mit halb ausgestreckten Armen zu genau der gleichen Uhrzeit in die Nacht hinein und werden nicht mehr gesehen. Der Film ist episodisch erzählt und baut handwerklich geschickt die Spannung und den Horror auf. Chris berichtet, dass er während des Films schnell aufs Klo gehen musste und, um nichts zu verpassen, im eiligen Laufschritt durchs Kino gegangen ist und dabei geistesgegenwärtig die Arme so gestreckt hält, wie die Kinder beim Verschwinden. Das ganze Kino schreckt zusammen angesichts der gebrochenen Fiktion im Kinoraum. Wir lachen sehr bei dieser Anekdote. „Weapons" reißt gesellschaftlich relevante Themen auf wie Altersdiskriminierung, Alkoholismus, Pflegesystem, aber, wie Chris es auf den Punkt bringt: „Vielleicht hat ‚Weapons' keinen tieferen Sinn, aber das ist okay." Shownotes Body-Horror Titane Weapons (2025 film) David Cronenberg Die Fliege (1986) Videodrome Tetsuo: The Iron Man Akira (Anime) Crash (1996) Transhumanismus Tech bro Alien Earth Suspiria (2018) Tilda Swinton Tanz der Teufel Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde Das Ding aus einer anderen Welt (1982) The Last of Us District 9 Lucio Fulci Shining (Film) Freaks (1932) Der Exorzist Das Unheimliche Die Elixiere des Teufels Freddy Krueger Julia Ducournau Raw (2016) Ein andalusischer Hund Jacob’s Ladder – In der Gewalt des Jenseits The Wrestler – Ruhm, Liebe, Schmerz Mickey Rourke Rashomon – Das Lustwäldchen Joker (2019) Es (2017) Kinder des Zorns Medusa Cronenberg on Cronenberg : Cronenberg, David : Free Download, Borrow, and Streaming : Internet Archive Mitwirkende Reinhard (Erzähler) IMDb Chris Flor (Erzähler) Florian Clauß Bluesky Mastodon Soundcloud Website Micz Flor Instagram Twitter YouTube (Channel) Website Verwandte Episoden EGL090 Body Horror 2: The Substance und Together Körper im Widerstand: Eine Vermessung des Body-Horror Was wir meinen, wenn wir Body-Horror sagen Body-Horror bezeichnet ein Feld des Horrorkinos, in dem nicht primär ein äußerer Feind oder ein übernatürlicher Akteur den Schrecken erzeugt, sondern der Körper selbst – seine Durchlässigkeit, Veränderlichkeit, sein Verfall. Der Horror entsteht dort, wo Integrität, Identität und Autonomie an der materiellen Grenze des Fleisches verhandelt werden. Das Subgenre arbeitet mit Ekelreizen und Schmerzbildern, aber seine Stärke liegt weniger in der reinen Zurschaustellung als im Nachweis, dass kulturelle, politische und psychische Konflikte in den Körper eingeschrieben sind. Anders als im Splatterfilm, der Verletzung oft als spektakulären Effekt organisiert, macht Body-Horror die Transformation des Körpers selbst zur Aussage: Er zeigt, wie Normen und Technologien auf Organen, Haut und Haltungen wirksam werden – und wie diese Materialität zurückschlägt. Genealogie des Unbehagens: Cronenberg und die Geburt einer Moderne Die moderne Grammatik des Body-Horror ist ohne David Cronenberg nicht denkbar. In frühen Arbeiten wie Shivers (1975) und Rabid (1977) verknüpfte er Sexualität, Krankheit und Urbanität zu dem, was er selbst einmal „venereal horror“ nannte: ein Kino der Ansteckungen, das die vermeintlich sichere Grenze zwischen Innen und Außen auflöst. Videodrome (1983) formuliert mit seinem Leitmotiv der „neuen Fleischlichkeit“ eine medienphilosophische These: Bilder sind nicht nur Repräsentationen, sondern Eingriffe – Bildtechnologien kolonisieren Körper, Körper absorbieren Technologie. The Fly (1986) universalisierte diese Einsicht zu einer Liebestragödie des Alterns und Zerfalls: Das Experiment, die Optimierung, kippt in eine Metamorphose, die als Tod und Geburt zugleich lesbar ist. Dead Ringers (1988) verlegt das Monströse in sterile chirurgische Räume und fragt, wie Zwillinge als zwei Körper ein Begehren teilen können, das sie zerreißt. Crash (1996) schließlich radikalisiert die Verbindung von Technik und Haut: Auto, Narbe, Lust – das Trauma als Einschreibung einer Moderne, die nicht mehr zwischen Unfall und Erregung trennt. In allen Fällen ist es derselbe Grundsatz: Der Körper ist keine stabile Hülle; er ist die primäre Realität, in der gesellschaftliche Abstraktionen gravieren. Diese Linie markiert keine isolierte Autorhandschrift, sondern eine Traditionsbildung. John Carpenters The Thing (1982) und seine formale Perfektion des organischen „Werdens“ gehören ebenso dazu wie die japanischen Industrial-Exzesse eines Tetsuo: The Iron Man (1989), in dem Metall und Fleisch zu einem einzigen, aggressiven Organismus verschmelzen. Der Kanon wird dabei nicht nur durch Effekte bestimmt, sondern durch Ideen: Wie wird Kontrolle gedacht? Woher kommt das Begehren? Wer besitzt wessen Körper? Ästhetik der Oberfläche: Formen, Motive, Blickregime Body-Horror ist eine Ästhetik des Nahbereichs. Close-ups von Haut, Poren, Narben, Nähten, Schleimhäuten und Prothesen sind keine bloßen Ekelsignale, sondern methodische Instrumente: Sie entziehen dem Blick Distanz und zwingen zur „Berührung“ mit dem Auge. Praktische Effekte – Masken, Modelle, animatronische Details – erzeugen dabei eine spezifische Glaubwürdigkeit. Wenn der Körper reißt, wenn ein Fremdkörper die Haut nach außen drückt, ist das Bild nicht nur gesehen, sondern imaginiert gefühlt. CGI hat längst seinen Platz gefunden, doch seine stärksten Momente hat das Subgenre dort, wo digitale Mittel konkrete Oberflächen nur verlängern, nicht ersetzen. Die Motive sind vielfältig, doch sie lassen sich grob bündeln. Infektions- und Parasitenhorror (The Thing; Slither, 2006) inszeniert das Kapern des Körpers als Verlust der Willensfreiheit. Metamorphose und Mutation (The Fly; Bite, 2015) zeigen progressive Verwandlung als Spiegel von Reifung, Krankheit oder Sucht. Chirurgie und Body-Modification (Dead Ringers; The Skin I Live In, 2011; Crimes of the Future, 2022) richten den Blick auf die Schnittstelle zwischen Selbstermächtigung, Kunst und Gewalt. Techno-Organik und Transhumanismus (Videodrome; eXistenZ, 1999; Possessor, 2020) verhandeln die Frage, wo das „Ich“ endet, wenn Interfaces in Nervenbahnen greifen. Reproduktion und Schwangerschaft (The Brood, 1979; Huesera: The Bone Woman, 2022) reartikulieren den Körper als Gefäß und Austragungsort sozialer Projektionen. Öko- und Myko-Horror (Annihilation, 2018; The Last of Us, 2023) materialisieren Klima- und Pandemieängste als Symbiosen und Überwucherungen. Zentral ist die Blickpolitik: Wer sieht, und aus welcher Position? Body-Horror kann den male gaze reproduzieren – oder ihn durch Gegenblicke und ästhetische Strategien neutralisieren. Cronenberg verschiebt den Voyeurismus oft ins Kognitive: Seine Kamera ist klinisch, nicht lüstern. Arthouse-nahes Gegenwartskino treibt diese Entsexualisierung weiter, indem es Ekelbilder mit Empathie für Verwundbarkeit koppelt. Das Ergebnis ist weniger Schock als Erkenntnis: Die Oberfläche ist nie „nur“ Oberfläche; sie trägt die Spur. Gegenwart: Diversifizierung, Arthouse-Crossover, neue Perspektiven Seit den 2010er Jahren hat Body-Horror eine deutliche Breitenwirkung gewonnen, ohne seine radikale Spitze einzubüßen. Julia Ducournau brachte mit Raw (2016) und Titane (2021) eine feministische, melancholisch-zärtliche Perspektive in ein Terrain, das zuvor häufig männlich und technisch konnotiert war. In Raw ist Kannibalismus Coming-of-Age und Begehren – nicht als Provokation, sondern als Metapher für die Überforderung, die in die Welt der Erwachsenen führt. Titane sprengt Kategorien, indem es Geschlecht, Familie und Maschinenbegehren in einen Metamorphose-Rausch überführt, der Härte mit Fürsorge verschränkt. David Cronenberg selbst kehrte mit Crimes of the Future (2022) in ein altersmildes, zugleich wagemutiges Terrain zurück: Performance-Chirurgie, bürokratisierte Organe, die Erotik des Eingriffs – ein Alterswerk, das seine eigenen Frühwerke kommentiert und die Frage stellt, ob der Körper nicht längst eine Bühne ohne „Original“ ist. Parallel schärft Brandon Cronenberg mit Antiviral (2012), Possessor (2020) und Infinity Pool (2023) den techno-organischen Strang: Celebrity-Krankheiten als Ware; Körper-„Besitz“ per Neuraltech; Klon-Strafrituale, in denen Identität austauschbar wird. Diese Filme denken Körper als Schnittstellen, in denen Ökonomien und Protokolle zirkulieren. Almodóvars The Skin I Live In (2011) führt die chirurgische Kontrolle als melodramatische Grausamkeit vor und verknüpft Identität mit Haut als Material. American Mary (2012) der Soska-Schwestern verhandelt Body-Modifikation zwischen Selbstermächtigung und Ausbeutung. Swallow (2019) macht eine Zwangsstörung zur Körperpolitik innerhalb häuslicher Machtverhältnisse. Und das Öko-/Myko-Feld – Annihilation, The Last of Us – entwirft eine Welt, in der Körper ohne klare Grenze zwischen Individuum und Umwelt existieren. Das Bemerkenswerte ist nicht nur das thematische Spektrum, sondern die ästhetische Sorgfalt: Body-Horror ist festivalfähig geworden, ohne handwerkliche Radikalität einzubüßen. Politiken des Fleisches: Markt, Geschlecht, Medien Jenseits der offensichtlichen Schocks liegt die intellektuelle Attraktivität des Body-Horror in seiner Fähigkeit, abstrakte Ordnungen als körperliche Effekte zu zeigen. Der Körper als Ware – Organe, Haut, Krankheiten, Falten – ist ein wiederkehrendes Motiv, das von Antiviral bis Crimes of the Future reicht. Biokapitalismus wird nicht nur behauptet, sondern buchstäblich geschnitten, geformt, implantiert. Die Wellness- und Influencerkultur des 21. Jahrhunderts liefert dabei weniger Inhalte als Formate: Routinen, Timer, App-gesteuerte Selbstoptimierung erzeugen Zeitregime, in die Subjekte ihren Körper einschreiben. Body-Horror antwortet darauf, indem er zeigt, was aus dem Raster fällt: Schweiß, Blut, Hautunreinheiten, Wucherungen – das Abjekte im Sinne Julia Kristevas, das Ausgeschlossene, kehrt an die Oberfläche zurück. Gleichzeitig erlaubt das Subgenre eine präzise Bearbeitung geschlechtlicher Politiken. Wenn Schwangerschaft zur Folie des Unheimlichen wird, reflektiert das nicht „Natur“, sondern gesellschaftliche Regimes von Kontrolle, Fürsorge und Angst. Wenn eine Figur ihren Körper modifiziert, steht dahinter nicht nur individueller Wille, sondern die Frage, wer definieren darf, was ein „gelungener“ Körper ist. Ducournaus Kino antwortet darauf mit Zärtlichkeit im Extrem – der Verletzliche ist der Maßstab, nicht der Normkörper. Cronenbergs späte Arbeiten sind gelassener: Er suggeriert, dass der Körper längst „öffentlich“ ist; die Frage ist, wie wir ihn lesen. In diesem Sinn ist die Mediensphäre von Videodrome bis zu zeitgenössischen Social-Media-Ästhetiken kein Außen: Bilder sind Operationen, und Operationen sind Bilder. Form und Material: Warum praktische Effekte wichtig bleiben Die formale Ökonomie des Body-Horror begünstigt Praktiken, die Materialität erfahrbar machen. Praktische Effekte erzeugen Widerstand: Licht bricht anders auf Latex als auf Pixeln, Klebstofffugen haben eine eigene Semantik, Blut ist in der Viskosität sprechender, wenn es sich nicht vollständig kontrollieren lässt. Diese Widerständigkeit korrespondiert mit einem Ton, der nüchtern bleiben kann, ohne den Ekel zu denunzieren. Cronenberg hat die klinische Kamera etabliert, die Diagnose statt Voyeurismus sucht. Viele Gegenwartsfilme übernehmen diesen Zug: Je präziser Licht, Farbe und Geräusche gesetzt werden, desto weniger geht es um Überrumpelung, desto mehr um eine Lesbarkeit von Körpern, die verletzt und verletzend sind. Das bedeutet nicht, dass das Subgenre sich dem Spektakel verweigert; vielmehr kalibriert es den Effekt auf Bedeutung: Ekel als Erkenntnis. Das letzte Reale Der Reiz des Body-Horror liegt darin, dass er eine alte Einsicht des Kinos erneuert: Der Körper ist die Bühne, auf der sich das Politische, Soziale und Intime kreuzen. Indem das Subgenre die Oberfläche in den Mittelpunkt rückt, entwertet es das Innere nicht; es macht nur sichtbar, dass das Innere ohne Oberfläche nicht zu haben ist. In Zeiten, in denen Optimierungs- und Verfügbarkeitsphantasien den Alltag strukturieren, erweist sich die Form als kritisch: Sie unterläuft das Versprechen der glatten Hülle, indem sie die Naht zeigt. David Cronenbergs Werk hat hierfür die Grammatik geliefert, viele Gegenwartsfilme haben den Wortschatz erweitert. Was bleibt, ist eine doppelte Bewegung: Body-Horror zwingt uns, hinzusehen, und erinnert uns daran, dass Sehen eine körperliche Tätigkeit ist. Das Kino, das hier entsteht, ist nicht nur ein Kino des Schreckens, sondern eines der Erkenntnis – nüchtern, präzise, mitunter grausam. Es nimmt seinen Gegenstand ernst: den Körper, der begehrt und leidet, der modelliert wird und sich entzieht. Und es behauptet – souverän, ohne Pathos –, dass gerade dieser Körper die letzte Instanz ist, in der die großen Abstraktionen unserer Gegenwart Wahrheit werden.
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Oct 9, 2025 • 38min

EGL088 So funktioniert der StringBender: Pedal-Steel-Sounds auf der E-Gitarre (Stromgitarre 8)

"Gee, I wish I could do that, but I’d need a third hand!" -- Clarence White (Gitarrist, ca. 1967, 1968) In dieser späten Sommerloch-Episode zum Thema Stromgitarren reden wir über "StringBender". Bei diesem auch "Pull-String" genannten Gadget kann man die Tonhöhe einzelner Saiten verändern. "Bending" (englisch für "biegen") bedeutet üblicherweise beim Gitarrenspiel, eine Saite auf dem Griffbrett nach oben oder unten zu ziehen, wodurch der Ton höher wird. Der "StringBender" tut das und erlaubt gleichzeitig die Tonhöhe genau festzulegen. Wir sprechen über die Geschichte des Gadgets und seine Wurzeln im Pedal-Steel Country und neuere Modelle. Am weitesten verbreitet ist der sogenannte B-Bender, der die H-Saite um einen Ganzton anhebt, gefolgt vom G-Bender, der die G-Saite in der Regel um einen Halbton nach oben zieht. Die technische Umsetzung erfolgt meist über den Gurtpin am Hals, der durch Ziehen am Gitarrengurt aktiviert wird. Alternativ gibt es Systeme mit einem oder mehreren Hebeln hinter der Brücke, sogenannte "Palm Bender". Ein weiterer Player auf dem Markt ist der "HipShot Bender", der über einen Hebel an der Hüfte ausgelöst wird. Darüber hinaus existieren Systeme, bei denen Hebel parallel zu den Saiten nach oben gezogen oder über den Unterarm der Schlaghand bedient werden. Um den Bending-Effekt hörbar zu machen, stimmen Micz und Flo eine große Terz und beenden diese dann auf eine kleine Terz herunter. Ein Wow-Moment für Flo. Angereichert ist die Folge mit Sound-Beispielen, und im Blogpost findet ihr eine Liste von Modellen inklusive vieler DIY-Videos im Netz. Shownotes Links zum Track auf Komoot EGL088 Track auf Komoot Links zur Episode Pink Panther - I would like to buy a hamburger Jaws (1975) Dolly Zoom (Vertigo Effect) Jolana Vikomt | wurst.guitars Zur Geschichte der StringBender-Systeme B Benders - Everything You Need To Know, Scott Poley B-Benders - Missing History of the Evans Pullstring - ASK ZAC 15 G-Bender History and the Major Players (Jimmy Olander, Jeff King & Brad Paisley)- Ask Zac 172 Marty Stuart: The Story of Clarence White & The Parsons/White StringBender | Guitar Stories Gene Parson und Chris White: StringBender Parsons/White StringBender by Edward B. Driscoll Jr. | vintageguitar.com The Byrds; Gene Parson's String Bender | YouTube The Byrds – Clarence White & Gene Parsons - StringBender Guitar Interview -1971 | YouTube The Joe Glaser Bender The Glaser Bender - smooth, in-tune, and lightweight. Joe Glaser installs a B-Bender in my Paisley Tele - Ask Zac 81 Bob Warford Bender Bob Warford - The Second Bender Plans and Photos "Dark End Of The Street" Solo ab 2:20 von Bob Warford am B-Bender w/ Linda Ronstadt, 1974 McVay Bender McVay Benders Hipshot String Bending System Hipshot B-Bender: B-Bender, Stealth, and Mania | Vintage Guitar Parsons/Green String Bending System Bigsby Palm Bender System von Boomer Castleman Palm pedal auf Wikipedia Boomer Castleman auf Wikipedia Bowden B-Benders Bowden B-Benders The ORIGINAL NON-DEFACING GUITAR STRING BENDERS | Richard Bowden B-Bender guitar/Bowden String-Bender - Demo by Kevin Lamb Timara Custom Shop Benders Timara B&G Benders Tele 3 Saddle Ash Tray Model Timara Custom Shop Benders Certano T‑Bender (Palm Bender) David Certano, born 1968 in the south of France Göldo DoubleBender TL (Palm Bender) Der DoubleBender ist in zwei Versionen erhältlich: TL und LP String Butler B-Bender (LP) B-Bender string-butler Göldo HandBender (Swedish Palm Bender, discontinued?) HandBender System aus Schweden | Premiere Guitar Duesenberg Multibender The Duesenberg Multibender - Pedal Steel tones for your electric guitar Peters Pitch Witch G/B Benders Peters Pitch Witch benders for Lap Steel, Telecaster, and other guitars Rolling Bender Rolling Bender is a family-owned and operated business, based out of Luverne, Minnesota Rolling Bender Installation Apollo Music Parts B-G Bender B-G Bender for LP (Tele video on YouTube) B-G Bender for Tele installation from Apollo Music Parts Gitarrist Jimmy Olander im Interview Jimmy Olander: From Banjo to B-bender | Vintage Guitar Mitwirkende Micz Flor Instagram Twitter YouTube (Channel) Website Florian Clauß Bluesky Mastodon Soundcloud Website Verwandte Episoden EGL012 Stromgitarre: Faszination und Melancholie der E-GitarrenEGL057 Ist der Sommer so schön wie die Fender Telecaster Thinline, klangvoll wie ein P-90 Pickup und werden wir ihn vermissen wie ich meine grüne SG Copy? Stromgitarre Teil 4 Die Idee zum „Parsons/White StringBender“ entstand während Aufnahmen im Studio. An der Gitarre: Clarence White, Gitarrist bei „Nashville West“ und später „The Byrds“. Die Recording Session: 1967 oder 1968, die genaue Session ist nicht immer eindeutig benannt. White versuchte mit seiner Telecaster eine Pedal-Steel-ähnlichen Lick zu spielen, bei dem die H-Saite um einen ganzen Ton nach oben gezogen wird. Mit der linken Hand ließ sich das nicht sauber lösen. Dann versuchte er die H-Saite oberhalb des Sattels beim Spielen nach unten zu drücken. Dazu fehlte ihm aber eine dritte Hand. Die dritte Hand: der Multiinstrumentalist und gelernte Mechaniker Gene Parsons (Schlagzeuger in der Band). Er drückte die Saite bei der Aufnahme nach unten. Im Anschluss meinte White: „Du bist doch Mechaniker, wie könnte so was bei einer Gitarre funktionieren?“. Parsons machte ein paar Skizzen, in denen er überlegte, wie sich Pedal-Steel Pedale mit einer Gitarre verkoppeln ließen. White war wohl nicht überzeugt (siehe auch das Video mit Parsons in den Shownotes) und begegnete: „Ich will kein extra Teil rumtragen, das soll alles in der Gitarre passieren.“ „I Need a Third Hand!“ Parsons entwickelte daraufhin eine Hebelmechanik, die heute immer noch in unterschiedlichen Umsetzungen im Korpus von E-Gitarren eingebaut wird. Die Originalversion war in einer Telecaster verbaut, bzw. angebaut: der Prototyp war doppelt so dick wie eine übliche Telecaster, um die klobige Mechanik, die von hinten an die Gitarre angebracht war, zu verstecken. Über eine Verbindung vom oberen Gurtpin zum Mechanismus im Inneren der Gitarre wurde der Zug am Gurt in einen gezielten Saitenzug der H-Saite (im Englischen „the b-string“, deshalb B-Bender) übersetzt. Zieht man die Gitarre leicht nach unten (oder hebt die Schulter), wird die Saite über eine Umlenkung in der Brücke um exakt einen Ganzton angehoben. Das System wurde später als „Parsons/White B-Bender“ bekannt und erstmals öffentlich auf dem Byrds-Album „Dr. Byrds & Mr. Hyde“ (1969) eingesetzt. White spielte es auf Songs wie dem Fingerpicking „Nashville West“ oder auch dem Country-Rock Opener „This Wheel’s on Fire“. Unterschiedliche StringBender-Systeme Das klassische StringBender-System, wie eben beschrieben, ist fest in die Gitarre eingebaut und nutzt den Gurt als Steuerung. Alternativ gibt es die Gruppe der „Palm Bender“. Das sind Hebelsysteme, die direkt auf oder hinter der Brücke montiert sind und mit der Schlaghand bedient werden. In der Mitte beider Ansätze sehe ich das Konzept des „Hipshot String Bender“. Einerseits am (und nicht im) Korpus angebracht, andererseits aber nicht mit der Hand sondern der Hüfte aktiviert. Doch die unterschiedlichen Systeme werden auch manchmal kombiniert. So sagt der Gitarrist Jimmy Olander im Interview auf Vintage Guitar: „The G string lever works off my shoulder strap. You push the guitar down for it to operate. The B string works off a keychain on my belt loop. I push the guitar away from me to engage it.“ Jimmy Olander im Interview auf Vintage Guitar Ich möchte die Lösungen für Gitarre hier kurz vorstellen. Lap-Steel spreche ich hier nicht weiter an. In den Shownotes habe ich Links zu Herstellern und Videos zusammengetragen. Die Liste ist ganz bestimmt nicht vollständig. Gleichzeitig beinhaltet sie auch Lösungen, die nicht mehr hergestellt werden, die ich aber gerne als „hostorisch“ mit reinnehmen wollte (wie z.B. den schwedischen HandBender). Im Korpus versteckt: classic StingBender-Mechaniken mit Gurtsteuerung Die bekannteste Variante ist der „Parsons/White StringBender“, die ich oben schon vorgestellt habe. Neben dem Original gibt es Weiterentwicklungen wie den „Glaser Bender“ von Joe Glaser, der sich leichter anpassen lässt und etwas kompakter gebaut ist. Dieser ist auch „umschaltbar“ von G- auf B-Bender und zurück. Siehe dazu das sehr sympathische Video in den Shownotes. Eine weitere Version dieser Idee gibt es u.A. vom Gitarristen Bob Warford, der auf „Dark End Of The Street“ das Solo ab 2:20 mit B-Bender spielt. Link zu diesem Video, in dem auch Fotos seines StringBender Mechaninismus‘ zu sehen sind, in den Shownotes. Die meisten eingebauten Systeme arbeiten „nur“ mit einer Saite. Das ist bei den folgenden Systemen anders. Hebel an der Hüfte: der Hipshot Bender Ein separates Konzept verfolgt der „Hipshot String Bender„, der statt im Inneren der Gitarre außen am Gurtpin montiert wird. Der Bending-Effekt wird dabei nicht über den Gurt, sondern über einen kleinen, seitlich angebrachten Hebel ausgelöst, der sich mit der Hüfte betätigen lässt. Der Vorteil liegt im einfachen Nachrüsten: Der Hipshot lässt sich mit wenig Aufwand an vielen Gitarren montieren, ohne deren Korpus zu verändern. Außerdem erlaubt er durch zusätzliche Module das gleichzeitige oder separate Benden mehrerer Saiten. Wenig invasiv: Palm Bender und verwandte Systeme Angefangen hat diese Entwicklung für Gitarren 1968 beim US-amerikanischen Gitarristen und Songwriter Boomer Castleman. Er wollte Pedal-Steel-typische Bending-Effekte auf einer normalen E-Gitarre spielbar machen. Das System kam in den frühen 1970er-Jahren als „Bigsby Palm Pedal“ auf den Markt und gilt als das Original. Schon zur damaligen Zeit und auch nach Ablauf des Patents wurden ähnliche Produkte auch von anderen Herstellern angeboten. „Bowden B-Benders“ etwa sind bekannt für ihren nicht-invasiven Einbau: Die Mechanik sitzt vollständig auf der Brücke und erfordert keine baulichen Veränderungen am Instrument. Richard Bowden wurde nach Clarence Whites Tod von Byrds‘ Roger McGuinn als Gitarrist in seine neue Band geholt. Bowden war kein Telecaster-Spieler wie White, sondern spielte eine Gibson SG. Für Gibsons gab es damals keine praktikablen B-Bender-Systeme, außer dem Bigsby Palm Pedal. Das aber erforderte Modifikationen, die Bowden vermeiden wollte. Er entwickelte in seiner Werkstatt ein eigenes System, eine Art Hand- oder Handgelenk-Pedal, das auf seiner Gibson montiert werden konnte. Ähnlich aber für die Telecaster funktioniert der Bender von „Timara Custom Shop“, der sich auch für komplexere Mehrfach-Bendings konfigurieren lässt. Der „Certano T‑Bender“ stammt aus Frankreich und bietet präzise kontrollierbare Hebel, die parallel zur Brücke laufen. Hier wird einfach nur die Brücke ausgetauscht. Keine Löcher und komplett reversibel. Im deutschsprachigen Raum bekannt ist der „Göldo DoubleBender“, erhältlich in Versionen für Tele- oder Les-Paul-artige Gitarren. Das System arbeitet ebenfalls mit zwei Hebeln, die sich unabhängig voneinander bedienen lassen. Der etwas ältere „Göldo HandBender“ – ursprünglich ein schwedisches Design – ist mittlerweile glaube ich nur noch gebraucht erhältlich. Als Speziallösung, die auch ermöglicht Saiten nach unten zu pitchen, bietet „Duesenberg“ mit dem „Multibender“ eine modifizierte Bridge-Einheit, die es erlaubt, auch zwei oder mehr Saiten zu benden. Dieses System findet man serienmäßig auf einigen Lap-Steel-Modellen, lässt sich aber auch auf Standardgitarren montieren. Ergänzt wird das Spektrum durch innovative, neue und oft günstigere Produkte wie „Peters Pitch Witch“ und den „Rolling Bender“, der minimal invasiv einfach nur statt eines Sattels eingesetzt werden muss.
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Sep 25, 2025 • 2h 7min

EGL087 Eigentlich Keyboards 2 – Von den Teilen zum Ganzen

Bauen beim Reden und bauend Reden... Hier kommt Teil 2 unserer Keyboard-Reihe – und Tobs ist wieder zu Gast. Tobs ist Design Lead bei Google Fonts und hat sein neues Hobby „mechanische Keyboards“ in kurzer Zeit mit mindestens acht Boards kultiviert. Wie in der letzten Folge angekündigt, bauen wir heute Flos Keyboard zusammen. Zwischen den Aufnahmen lag genug Zeit, damit Flo seine Teile auswählen und bestellen konnte: Er entschied sich für das Neo80-Case in Rot und die MK PBS Black‑on‑Black Keycaps im QWERTZ‑Layout. Beim Auspacken sprechen wir über Flos Motivation, das Board in Schwarz und Rot zu gestalten – als Hommage an seine erste geliebte Schreibmaschine, die Olivetti Valentine. Der Zusammenbau läuft in mehreren Phasen: Zuerst werden die Stabilisatoren geschmiert und auf das Board geschraubt. Dann stecken wir – je nach Tastenbreite und Layout – die Switches ins PCB. Anschließend montieren wir die Keycaps und versenken das Board mit Foam und POM im Case. Das Funktionieren und Mappen der Tasten prüfen wir mit einem Open‑Source‑Tool (VIA/usevia.app). In jeder dieser Phasen ging bei uns irgendetwas schief, so ist das eben beim ersten Mal. Während der Montage streifen wir viele Themen rund um Schreibmaschinen und Keyboards: die Geschichte der Mechanisierung, die erfolgreichste elektrische Schreibmaschine IBM Selectric mit dem wechselbaren Kugelkopf sowie den Kampf um das Tastaturlayout – und warum sich QWERTY gegenüber Alternativen wie Dvorak am Ende doch durchgesetzt hat. Der größte Teil unserer Bauzeit floss in die Stabilisatoren. Wir mussten das Keyboard einmal komplett wieder auseinandernehmen, weil die Shift‑Taste nicht sauber lief – tja, „Shift happens“, wie auch der Titel des großartigen Buchs von Marcin Wichary, auf das wir mehrmals Bezug nehmen. Am Ende wurden wir nicht ganz fertig; Flo musste noch Hausaufgaben erledigen, bevor das Board alltagstauglich war. In den Tagen danach hat er das Keyboard zweimal komplett zerlegt und wieder aufgebaut. Der zweite Komplettumbau kam, als er beim HTML‑Schreiben merkte: Die Taste für die spitzen Klammern fehlt – die linke Shift lag im ANSI‑Layout über zwei Kappen und blockierte die ISO‑„<>“-Position. „Das stärkt die Beziehung zum Keyboard“, kommentiert Tobs trocken. Das und wie es weiterging, erzählen wir im Recap eine Woche später, das am Ende der Folge hängt. Shownotes Tobias Kunisch - Google | LinkedIn Browse Fonts - Google Fonts MK PBS Black on Black PBT Keycap Set – MonacoKeys Olivetti Valentine - Wikipedia – Wikipedia Shift Happens The Elements of Typographic Style - Wikipedia – Wikipedia Notion Serie EE 2001: Philips/Schuco Experimentiersystem IBM Selectric - Wikipedia – Wikipedia Blickensderfer – Wikipedia Dvorak keyboard layout - Wikipedia – Wikipedia Comic Sans typeball for the IBM Selectric Typewriter by settinger | Download free STL model | Printables.com Neo (Tastaturbelegung) – Wikipedia Christopher Latham Sholes – Wikipedia Schreibmaschinen-Kugelkopf – Wikipedia Tastaturbelegung – Wikipedia Daisy wheel printing - Wikipedia – Wikipedia Shift Happens: Cover Stories The primitive tortureboard – Aresluna Just a moment… Colemak VIA Releases · the-via/releases · GitHub UTF-8 is a Brilliant Design — Vishnu's Pages How to Build a Custom Keyboard - A Simple Guide - alexotos Zen65 Keyboard Labubu - Wikipedia – Wikipedia Monkeytype | A minimalistic, customizable typing test Mitwirkende Florian Clauß Bluesky Mastodon Soundcloud Website Tobias Kunisch mastodon website linkedin twitter Verwandte Episoden EGL036 Webfonts – wie die Schriften eigentlich ins Internet gekommen sind...EGL085 Eigentlich Keyboards – der mechanische Podcast Von der Mechanik zur Matrix: Warum QWERTY blieb Die Geschichte der Tastatur ist weniger eine Abfolge genialer Einfälle als eine Kette nüchterner Anpassungen an technische Notwendigkeiten. QWERTY wurde seit seiner Einführung als zufällig, unergonomisch und mit unnötig langen Fingerwegen gescholten. Gleichzeitig steht es für eine der beharrlichsten technischen Konventionen der Moderne. George C. Blickensderfer versuchte, diesen Status quo zu unterlaufen: Sein „Scientific“-Layout DHIATENSOR legte die häufigsten Buchstaben auf die Grundreihe, verkürzte Wege und versprach messbare Zeitgewinne. Auf der Weltausstellung 1893 in Chicago zeigte er neben aufwendigeren Modellen den günstigen, tragbaren „Blick 5“ – technisch experimentell, mit Typenrad statt Typenhebeln, automatischen Wortabständen und Kurzwort-Tasten. Weitere Einfälle – eine Rechts-nach-links-taugliche „Blick Oriental“, eine frühe elektrische Maschine (1902), sogar ein Chiffriergerät – blieben am Rand. Der Markt bevorzugte Vertrautheit und Preiswürdigkeit. Scientific konnte sich nicht durchsetzen; QWERTY-Optionen und spätere Umrüstsätze wurden nötig, die „Shift-Kriege“ entschieden zugunsten der Vier-Reihen-Anordnung, der Erste Weltkrieg stoppte Produktionen, und 1921 übernahm Remington Werk und Patente. Die hartnäckigsten Erzählungen über QWERTY – reiner Zufall, ein Verkaufswitz mit TYPEWRITER in der oberen Reihe, eine absichtliche Verlangsamung – verlieren vor den Quellen an Schärfe. Zwischen 1872 und 1876 führten vor allem die Zwänge der frühen Up‑Strike‑Mechanik zu schrittweisen Korrekturen: benachbarte Typenhebel kollidierten, Doppelanschläge entstanden im Verborgenen. Patente, Maschinen und zeitgenössische Illustrationen zeigen kleine, gezielte Justagen vom alphabetischen „Klavier“ zur funktionalen Matrix. Hinzu kommt die Praxis: Sholes und Densmore vermarkteten an Telegrafisten, die 50–60 Wörter pro Minute aufnehmen mussten; frühe Wettbewerbe mit Touch‑Typist Frank McGurrin deuten, trotz aller Imperfektion, auf Tempo statt Drosselung. QWERTY entstand vor der Shift‑Taste und vor dem Zehnfingersystem; dass sich Touch‑Typing überhaupt etablierte, spricht weniger gegen, eher für die Basistauglichkeit der Anordnung. Alternativen und die Kontroverse um den „richtigen“ Standard Noch vor Dvorak wurde intensiv variiert: Caligraph, Hammond, Crandall, Fitch und andere jonglierten mit Häufigkeiten, Fingerlasten und Kraftverläufen. Patente aus den 1880er bis 1930er Jahren verteilten seltene Buchstaben auf stärkere Finger, clusterten häufige um die Zeigefinger oder kombinierten Prinzipien. Dvorak und Dealey trieben den Anspruch in den 1930ern am weitesten: Das „Simplified Keyboard“ ist eine systematische Absage an QWERTY – vier Reihen bleiben, die Grundreihe erhält zehn Buchstaben, Interpunktion und zunächst die Ziffern werden methodisch verlegt, A und M bleiben als einzige am Platz. Das Ziel: Alternation der Hände, Reduktion von „Hürden“, geringere Reichweiten, leisere Ermüdung; die rechte Hand trägt bewusst etwas mehr Last. Ihr monumentales „Typewriting Behavior“ vereint Ergonomie, Psychologie und Didaktik zu einer geschlossenen Argumentation. Die Rezeption bleibt gespalten. Eine Navy‑Studie von 1944 berichtet von bemerkenswerten Zugewinnen nach kurzer Umschulung; eine GSA‑Untersuchung 1956 kommt zum gegenteiligen Schluss und rät vom Umstieg ab, Rohdaten inklusive. Seither stehen „44er“ und „56er“ einander mit Vorwürfen von Bias, Statistikfehlern und irreplizierbaren Effekten gegenüber – verschärft durch banale Hürden: Umrüst‑ und Schulungskosten, zögerliche Hersteller und Schulen, unglückliche Produktpolitik, etwa die Frage der Ziffernreihe. Ökonomische Deutung und Gegenrede Volkswirtschaftlich wurde QWERTY zum Lehrbuchfall der Pfadabhängigkeit und des Lock‑in: Ein Standard verfestigt sich auf einem womöglich suboptimalen Plateau (Paul A. David). Dem hielten Stan Liebowitz und Stephen Margolis entgegen: Die behauptete Überlegenheit von Alternativen sei empirisch nicht robust, der Sieg QWERTYs daher weniger Zufall als Folge von Kompatibilität, Trainingspfaden und einer schwachen Konkurrenz. Zwischen beiden Positionen liegt die Praxis: Standards entstehen selten im Vakuum, sondern an der Schnittstelle von Technik, Märkten und Institutionen – und bleiben, wenn Umstellungskosten real und Vorteile begrenzt sind. Technische Rehabilitation: Kollisionen statt Zufall Ein wichtiger Perspektivwechsel kam mit der Analyse von Neil M. Kay (2011). Nicht das mutmaßliche Trennen häufiger Buchstabenpaare, sondern das Minimieren von Kollisionen in der frühen Up‑Strike‑Mechanik erklärt die Evolution des Layouts. Simulationen mit realen Texten zeigen: Alphabetische Tastaturen produzieren im Schnitt eine Kollision alle 26 Wörter, QWERTY etwa eine pro tausend. Designschritte – das Heben von E und I aus der Mittelreihe, der spätere Z‑X‑C‑Tausch, das Versetzen des M – werden so nachvollziehbar; nationale Varianten (AZERTY, QWERTZ, QZERTY) erscheinen als minimal‑invasive Sprachoptimierungen. Entscheidend ist das Ergebnis: QWERTY war weder Zufallsprodukt noch „schlechtestes“ Layout, sondern eine historisch stringente Antwort auf Maschinentechnik – und für das spätere Zehnfingerschreiben „gut genug“, um bis zu 90 Prozent der theoretischen Spitzenleistung zu ermöglichen. Persistenz und Praxis: Warum „gut genug“ reicht Mit dem Übergang vom Typenhebel zur Elektronik verschwanden die ursprünglichen Zwänge, nicht aber die geschulten Hände und die Infrastruktur. Die PC‑Ära erlaubte per Software jede Umschaltung; Dvorak, Colemak, Workman oder sprachspezifische Varianten wie Neo und BÉPO sind verfügbar, ihre Verbreitung bleibt dennoch begrenzt. Studien berichten kleine, oft spürbare Komfortgewinne und gelegentliche Geschwindigkeitsvorteile – zu wenig, um Lernkurven, Interoperabilitätsprobleme und Alltagsfriktionen im großen Maßstab zu rechtfertigen. QWERTY persistiert, weil es weltweit les‑, lehr‑ und lieferbar ist. Und doch bleibt Raum für Kultur: Die Olivetti Valentine (1969) kleidete die Mechanik der Lettera 32 in ein rotes, dekonstruierendes Statement – als „tragbarer Gegenentwurf“ zum grauen Bürostandard. Technisch mittelmäßig, marktwirtschaftlich ein Underdog, museal ein Triumph: ein Hinweis darauf, dass Tastaturen nicht nur Werkzeuge sind, sondern auch Formen sozialer Selbstbeschreibung. So entsteht ein nüchternes Gesamtbild: QWERTY löste reale Maschinenprobleme effizient, wuchs in Netze, Schulbücher und Software hinein und blieb, weil es ausreichend gut funktionierte. Dvorak und andere Alternativen optimierten die Bewegung des Menschen – eine ernsthafte, für manche lohnende Option, aber kein Katalysator für eine globale Umstellung. Zwischen Mechanik und Mythos behauptet sich der Standard als das, was erfolgreiche Standards meist sind: die Summe aus technischer Plausibilität, institutioneller Trägheit und der stillen Macht des Gewohnten.
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Sep 11, 2025 • 47min

EGL086 Pickup-Physik deiner E-Gitarre: Humbucking und Phasendrehung richtig planen (Stromgitarre 7)

"On the solo to Bohemian Rhapsody, I've got the neck pickup working out of phase with the center pickup. (...) This setting produces a very sweet harshness." -- Brian May, QueenConcerts 23.05.2005 Wieder eine Sommerloch-Episode zum Thema Stromgitarren – diesmal, um ein für alle Mal zu erklären, was Humbucking und Out-of-Phase eigentlich miteinander zu tun haben und was nicht. Der Humbucking-Effekt entsteht rein technisch durch zwei Spulen mit entgegengesetzter Wicklungsrichtung, die nahe beieinanderliegen und dadurch Brummgeräusche auslöschen – völlig unabhängig von der Magnetpolung. Erst wenn es darum geht, wie das eigentliche Gitarrensignal (also die Saitenschwingung) durch beide Spulen geleitet wird, kommt die Magnetpolarität ins Spiel. Dann entscheidet sich, ob der Klang voll und durchsetzungsstark („in Phase“) oder dünn und nasal („out of phase“) klingt – und dabei kann der Brumm immer noch unterdrückt sein oder nicht, je nach Kombination von Wicklung und Magneten. Klingt kompliziert? Deshalb erklärt Micz es Flo. Denn wenn Flo es kapiert hat, dann können es wirklich alle verstehen. Shownotes Link zur Strecke auf Komoot EGL086 | Wanderung | Komoot Links zur Episode Brian May über seine Git. Sounds in QueenZone discussion #543051 Kirk Hammets about his 1959 Les Paul "Greeny" Pink Panther - " I Would like to buy a Hamburger" - YouTube Tonabnehmer / Pickups auf Wikipedia P.A.F. (pickup) auf Wikipedia Humbucker Pickup auf Wikipedia Alter Post: Tschechiens Kulturinstitut in Berlin: aktiver Vermittler der tschechischen Kultur in der Welt Tschechisches Zentrum Berlin in Wikipedia Pressemeldung der Botschaft der Tschechischen Republik zum Umzug Mitwirkende Micz Flor Instagram Twitter YouTube (Channel) Website Florian Clauß Bluesky Mastodon Soundcloud Website Verwandte Episoden EGL023 Eigentliches Tonabnehmer-Wissen in Stromgitarre Teil 2: Single-Coil, Humbucker, Coil-Tapping -Splitting, Magnete, Spulen, Alumitone Pickups.EGL067 Dummy Coil zähmt Jaguar Kralle: Out-of-Phase Wiring Diagram für Single Coil Pickups in Stromgitarre 6 Wir sprechen heute über zwei „Fehler“ der Gitarrenelektronik. Es geht um Humbucking (Brummen mittels zweier Spulen auslöschen) und Phasendrehung („Out-of-Phase“ Sound, in dem sich die Signale zweier Spulen größtenteils auslöschen). Zumindest letzerer ist für viele ein Feature und kein Fehler. In vielen Wiring Diagrams ist „Out-of-Phase“ in der Verschaltung fest eingeplant. Wer das hier durchhört kann endlich die Frage beantworten: Wie kann ich zwei Pickups so miteinander verdrahten, dass ich kein Brummen aber den „Out-of-Phase“ Sound bekomme? In Foren und Gesprächen werden diese Begriffe oft vermischt oder verwechselt, obwohl sie technisch gesehen zwei ganz unterschiedliche Dinge beschreiben. Wer seine E-Gitarre wirklich verstehen will – sei es zum Modden, Reparieren oder einfach aus Interesse – tut gut daran sich das folgende noch mal klar zu machen. Hum Bucking geht über die Spule und hat mit den Magneten nichts zu tun Der sogenannte Humbucking-Effekt entsteht durch das gezielte Zusammenspiel zweier Spulen (Coils) mit entgegengesetzter Wicklungsrichtung. Diese beiden Spulen können nebeneinander oder auch übereinander angeordnet sein. Bei entgegengesetzter Wicklung gleichen sich die Störsignale in den beiden Spulen gegenseitig aus, weil die Wellenberge des einen Signals auf die Wellentäler des anderen treffen. Micz erklärt dies anhand des Bildes von zwei Uhren, die eine läuft rechtsrum, die andere links. Die Amplituden der Zeiger gemessen zur vertikalen Achse gleichen sich aus. Je dichter die beiden Spulen beieinander liegen, desto exakter wirken die Auslöschungseffekte und desto effektiver ist die Brummunterdrückung. Dies ist vor allem wichtig im Hinterkopf zu behalten, wenn wir später über den „Out-of-Phase“ Sound sprechen. Dieser sogenannte Humbucking-Effekt beruht rein auf der elektrischen Verschaltung und Wickelrichtung der Spulen und hat zunächst nichts mit der Ausrichtung der Magneten zu tun. Ein klassisches Beispiel dafür ist der Gibson PAF. „PAF“ (Patent Applied For) war die Prägung auf dem Pickup und wurde zum Synonym für diesen Humbucker. Hier sind zwei Spulen nebeneinander angeordnet: eine mit einstellbaren Schraubpolen und eine mit festen Slugs. Die Schraubenspule ist in der Regel südmagnetisch, die Slug-Spule nordmagnetisch. Beide Spulen sind gegenläufig gewickelt und elektrisch so verschaltet, dass sich das Brummen auslöscht, während das Gitarrensignal erhalten bleibt. Diese sorgfältig abgestimmte Kombination aus Wicklungsrichtung und Magnetpolarität ist das Herzstück des charakteristischen Humbucker-Sounds. So gesehen ist eine Fender Telecaster mit zwei unterschiedlich gewickelten und entgegengesetzt gepolten Single-Coil-Pickups technisch betrachtet ebenfalls ein Humbucker – auch wenn die Spulen nicht in einem gemeinsamen Gehäuse untergebracht sind. Auch eine Gibson Les Paul Junior mit nur einem einzelnen Humbucker an der Bridge-Position entspricht prinzipiell diesem Aufbau. Der Unterschied ist, dass im Humbucker die Spulen in Reihe, in der Telecaster parallel geschlatet sind. Für Hum Bucking ist dies jedoch irrelevant. Der entscheidende Unterschied liegt im Abstand der Spulen zueinander. Bei der Telecaster befinden sich Hals- und Steg-Pickup physisch weit voneinander entfernt. Dadurch wirkt der Humbucking-Effekt zwar prinzipiell, ist aber deutlich schwächer ausgeprägt, weil sich die Störsignale in den beiden Spulen aufgrund des größeren Abstands nicht exakt auslöschen. Im Gegensatz dazu liegen die beiden Spulen in einem klassischen Humbucker wie beim PAF direkt nebeneinander, was zu einer wesentlich präziseren Unterdrückung von Brummgeräuschen führt. So gesehen hat der einzelne Humbucker in der Les Paul Junior einen effektiveren Humbucking-Effekt als das Pickup-Paar einer Telecaster. Die Magnetfelder haben keinen Einfluss auf das Hum Bucking Die Magnetfelder im Pickup erzeugen das notwendige statische Feld für die Induktion durch die Saiten, sie bestimmen aber nicht, ob Störsignale ausgelöscht werden. Humbucking und das Thema „in Phase“ bzw. „Out-of-Phase“ hängen also nur dann zusammen, wenn zusätzlich zur Wicklungsrichtung auch die magnetische Ausrichtung berücksichtigt wird. „On the solo to Bohemian Rhapsody, I’ve got the neck pickup working out of phase with the center pickup. In this particular setting, I have the two switches for the neck and middle pickup turned on but the bridge pickup turned off. On top of that, one of the phase switches is clicked up instead of down (it really doesn’t matter which one.) This setting produces a very sweet harshness.“ Brian May, QueenConcerts 23.05.2005 „Out-of-Phase“ in Abhängigkeit von Wicklungsrichtung, Magnetfeld und Abstand der Spulen An dieser Stelle lässt sich gut zum Thema „in-Phase“ und „Out-of-Phase“ überleiten. Entscheidend ist hier die Ausrichtung der Magneten, also ihre Polarisierung. Wenn zwei Pickups zwar elektrisch entgegengesetzt gewickelt, aber gleich magnetisiert sind, dann löschen sich zwar Brummgeräusche gegenseitig aus – das gewünschte Signal der Saitenschwingung jedoch nicht. Es entsteht ein sogenannter „in-Phase“-Sound. Das ist der „normale“ Sound. Wenn hingegen entweder die elektrische Phase (also Wicklungsrichtung oder Anschlussbelegung) oder die magnetische Polarisierung eines Pickups verdreht ist, kommt es zur Auslöschung von Teilen des Nutzsignals. Das Ergebnis ist ein „Out-of-Phase“-Sound: dünn, höhenreich, leicht nasaler Klang mit deutlich verringertem Tieftonanteil. Der Abstand der Spulen voneinander kommt hier zum Tragen, wie eingangs schon angedeutet. Je weiter die Coils voneinander entfernt sind, desto weniger wird nicht nur das Brummen ausgelöscht, sondern eben auch das Signal. Innerhalb eines Humbucker Pickup (verglichen z.B. mit den beiden Pickups einer Fender Telecaster) werden mehr Anteile des Brummens UND des Signals ausgelöscht. Jetzt schauen wir noch mal auf Miczs Bild mit den Uhren, die sich auslöschen: eine läuft rechts-, die andere linksherum. Die Amplituden der Zeiger gemessen zur vertikalen Achse löschen sich gegenseitig aus. Die Summer ist Null. Aber… Wenn wir die Uhren nicht ganz genau gleichzeitig starten, dann hat das wenig Einfluss auf die Auslöschung der Stundenzeiger. Diese brauchen sechs Stunden für eine halbe Umdrehung. Drei, vier Sekunden machen da keinen Unterschied. Aber die Sekundenzeiger sind viel empfindlicher. Wenn ein Zeiger schon bei Sekunde 5 ist, wenn die Andere Uhr beginnt, dann ist da eine deutliche Differenz zu messen – verglichen mit den Stundenzeigern. Deshalb klingen die „Out-of-Phase“ Signale höher, hohler, nasaler, oder wie auch immer sie beschrieben werden: die tieferen Frequenzen sind die Stundenzeiger, die besser ausgelöscht werden. Die hohen Frequenzen sind die Sekundenzeiger, die mehr Amplitude herstellen. Deshalb ist mehr von diesen zu hören (die wiederum auch in der Kurve stark verändert werden). Wichtig noch und „Merke“: der „Out-of-Phase“ Effekt ist nur hörbar, wenn beide Pickups gleichzeitig aktiv sind – etwa in der Mittelstellung einer Dreiwegschaltung an sind. „Out-of-Phase“ mit Switch oder Verdrahtung „Out-of-Phase“ Sound wird oft mittels eines Kipp-, Schiebe- oder Push-Pull-Schalters hergestellt. Dabei werden einfach die Anschlüsse einer Spule getauscht. Dies geht nicht bei allen Pickups. Gerade bei älteren kommen meist nur zwei Drähte aus dem Pickup: Erdung (Masse) und Signal (Hot). Neuer Pickups haben meist fünf Kabel: Masse und 2 x für jede Spule. Vorteil dieser Herangehensweise: man kann einfach zwischen beiden Modi hin- und herschalten. Nachteil: bei Out-of-Phase wird entfällt die Brummunterdrückung. „Out-of-Phase“ UND Hum Bucking durch Umkehr der Magnete Was viele überrascht: Auch bei einem „Out-of-Phase“-Sound kann der Humbucking-Effekt vollständig erhalten bleiben. Das ist dann der Fall, wenn zwei Spulen unterschiedlich gewickelt sind, aber dieselbe magnetische Ausrichtung haben. Brummgeräusche löschen sich aus – das Signal der Saitenschwingung dagegen teilweise. Umgekehrt kann es auch vorkommen, dass zwei gleich gewickelte Spulen mit entgegengesetzter Magnetpolarität einen sehr ähnlichen Klang erzeugen, der ebenfalls „Out-of-Phase“ klingt – in diesem Fall aber nicht brummfrei ist, weil der Humbucking-Effekt entfällt. Entscheidend für die Brummunterdrückung ist also immer die Kombination aus Wicklung und Magnetrichtung – nicht der Klang allein. Das gleiche Prinzip gilt auch bei der Verwendung von zwei Humbuckern, wie man sie etwa bei einer Gibson Les Paul findet. In der Mittelstellung (Bridge + Neck) kommt es auch hier auf die Phase und Polarisierung der Pickups an. Wer gezielt einen „Out-of-Phase“-Sound anstrebt – sei es in Reihenschaltung (seriell) oder in Parallelschaltung –, muss entweder die elektrische Phase eines der Pickups umdrehen (z. B. durch Vertauschen von Hot und Masse) oder die magnetische Polarität einer der Spulen verändern. Letzteres lässt sich durch das vorsichtige Umdrehen des Magneten innerhalb des Pickups erreichen. Für Telecaster-Spieler (oder andere Single-Coil Gitarren) bedeutet das: Wer in der Mittelstellung einen charakteristisch nasalen „Out-of-Phase“-Sound erzeugen möchte, sollte gezielt nach einem Steg- oder Hals-Pickup suchen, der zur bereits verbauten Gegenseite eine gleiche magnetische Orientierung, aber eine entgegengesetzte Wicklungsrichtung aufweist. Nur so bleibt der Humbucking-Effekt erhalten. Korrektur zur Tour: „Tschechische Botschaft“ und das „Tschechische Zentrum Berlin“ Die „Tschechische Botschaft“ und das „Tschechische Zentrum Berlin“ sind gerade nicht in dem Gebäude, das wir fotografiert haben. Diese befanden sich bis Januar 2023 in der Wilhelmstraße 44. Aufgrund einer umfassenden, mehrjährigen Sanierung dieses Botschaftsgebäudes – initiiert durch das tschechische Außenministerium – war ein Standortwechsel erforderlich. Seit Januar 2023 befindet sich das Tschechische Zentrum Berlin daher vorübergehend in den Räumlichkeiten des Goethe-Instituts Berlin in der Neue Schönhauser Straße 20, 10178 Berlin. Die Verlegung dient der Aufrechterhaltung des Programmbetriebs während der Bauarbeiten und wurde als Übergangslösung kommuniziert. Mehr dazu in den Links der Shownotes.
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Aug 28, 2025 • 1h 1min

EGL085 Eigentlich Keyboards – der mechanische Podcast

Tippen beim Reden und redend tippen... Tobs ist wieder zu Gast bei „Eigentlich Podcast”. Vor zwei Jahren haben wir über Webfonts gesprochen. In dieser Folge knüpfen wir an das Thema Schriften an, allerdings aus einer eher praktischen Perspektive: Wir sprechen über mechanische Keyboards. Und wir brechen mit einem Grundprinzip des Podcasts: Diesmal nehmen wir nicht im Laufen, sondern beim Tippen auf. Flo besucht Tobs in dessen Arbeitszimmer und wird in die hohe Kunst des Keyboardbauens eingewiesen. Tobs hat sich in letzter Zeit intensiv mit Cases, Switches und Keycaps beschäftigt und viele verschiedene Varianten und Kombinationen ausprobiert, um das perfekte Keyboard zu finden. Die Keyboard-Verkostung ist dramaturgisch klassisch aufgebaut. Tobs präsentiert acht verschiedene Modelle, und wir arbeiten uns in der Reihenfolge zum beliebtesten vor. Flo lernt die Unterschiede in Haptik, Klang und Design kennen. So kann er sich in Vorbereitung zur nächsten Episode die einzelnen Komponenten besorgen, um dann mit Tobs gemeinsam sein eigenes Keyboard zusammenbauen zu können. Shownotes Links zur Episode Computer keyboard - Wikipedia – Wikipedia Printed circuit board - Wikipedia – Wikipedia https://www.gmk.net/shop/gmk-keycap-switch-puller-tool Keyboard technology - Wikipedia – Wikipedia List of keyboard switches - Wikipedia – Wikipedia Cherry AG - Wikipedia – Wikipedia UTF-8 - Wikipedia – Wikipedia Ergonomic keyboard - Wikipedia – Wikipedia QWERTY - Wikipedia – Wikipedia Keyboard layout - Wikipedia – Wikipedia Umschalttaste – Wikipedia Feststelltaste – Wikipedia em (Schriftsatz) – Wikipedia Monkeytype | A minimalistic, customizable typing test Commodore 64 – Wikipedia 8BitDo Retro Mechanical Keyboard - C64 Edition | 8BitDo SA Profile – KPrepublic Clicky Switches|AKKO Germany Nuphy Air75 : Wireless & Low Profile Keyboard Mechanical – NuPhy VIA | VIA Flow84, the Smoothest Mechanical Keyboard EPOMAKER x AULA F75 LUMINKEY65 Severance (TV series) - Wikipedia – Wikipedia Atomic Keyboard | Making Severance Themed Keyboard | MDR Dasher Keyboard | Data General Dasher Inspired Keyboard | Lumon Terminal Pro Akko Rosewood Keyboard Switch (45pcs) - AKKO Germany DR-70F – D-R Design KTT Cabbage Tofu Linear Switch vs KTT Kang White Linear Switch · Milktooth Neo65 – Qwertykeys MMD Princess Linear V4 Switches (10pcs) – MonacoKeys MK Basic Blue PBT Keycap Set – MonacoKeys Keycaps by GMK | Premium Tastenkappensets Agar – KBDfans® Mechanical Keyboards Store Gateron Oil King Switch Review — ThereminGoat's Switches Typeplus x YiKB PCB-Mounted Screw-In Stabilizers – MonacoKeys PBTfans no signal R2 – KBDfans® Mechanical Keyboards Store Mitwirkende Tobias Kunisch (Keyboarder) mastodon website linkedin twitter Florian Clauß (Tippender) Bluesky Mastodon Soundcloud Website Verwandte Episoden EGL036 Webfonts – wie die Schriften eigentlich ins Internet gekommen sind...EGL087 Eigentlich Keyboards 2 – Von den Teilen zum Ganzen Hier die einzelnen Keyboards mit Switches und Caps, die wir in der Episode durchgegangen sind: 1. Lofree Flow84 Flaches 84‑Tasten‑Low‑Profile‑Board mit Fokus auf ein sanftes Tippgefühl und mobiles, designorientiertes Setup. 75%/84‑Tasten‑Boards integrieren F‑Tasten und Navigation kompakt in den Hauptblock und sparen Platz gegenüber Full‑Size – guter Kompromiss aus Funktion und Größe Switches: Lofree Phantom Switches Tactile Tactile Low‑Profile‑Charakter, für ein knackiges Feedback bei geringer Bauhöhe gedacht 2. NuPhy Air75 v2 Schlankes 75%‑Low‑Profile‑Keyboard für Schreibtisch und unterwegs; legt Wert auf flaches Tippgefühl und Portabilität. 75%: Funktionsreihe vorhanden, Navigation dicht angedockt gegenüber 65% mehr Direktzugriff auf F‑Tasten, bleibt kompakt Switches: Gateron Brown Low Profile V2 Taktile, leise Low‑Profile‑Variante als seriennaher Standard 3. 8BitDo Retro Mechanical Keyboard (Bluetooth) Retro‑inspiriertes Board im C64‑Look mit moderner Mechanik und Drahtlos‑Option – richtet sich an Nostalgie‑Fans mit aktuellem Workflow. Je nach Layoutgröße gilt: TKL/80% verzichtet auf Numpad, spart Platz bei nahezu voller Funktionalität Full‑Size bietet Nummernblock, ist aber deutlich breiter Switches: Kailh Box White V2 Sound: laut, clicky Operating: 45±15 gf; Tactile: 55±15 gf; Pre‑travel: 1.8±0.4 mm; Total Travel: 3.6±0.3 mm; Return Force: ≥15 gf 4. Epomaker Aula F75 Kompaktes 75%‑Board mit Funktionsreihe, als preisbewusste Custom‑Basis geeignet. 75% ist sinnvoll, wenn Funktions-Tasten regelmäßig genutzt werden, ohne die Breite eines TKL/Full‑Size in Kauf zu nehmen Switches: MMD Vivian V2 (Linear) Lineare, „thocky“ Switches mit hart‑cremigem Bottom‑out und weichem, gedämpftem Top‑out PUM‑Bottom + modifizierter UPE‑Stem liefern einen tiefen, satten Ton mit leicht plastikartiger Note. Top Housing: Modified Nylon 12; Bottom: Modified PUM; Stem: Modified UPE; Spring: 18 mm; Pre‑Travel: 1.9 mm; Total: 3.9 mm; Operating: 53 gf; Bottom‑out: 60 gf; 5‑Pin; LED‑Diffusor; factory lubed. Caps: „Just my Type“ PBT Double‑Shot, YMK‑Profil, Weiß‑Grau (Dye‑Sub‑Legenden) 5. Luminkey 65 65%‑Custom‑Formfaktor; verzichtet auf F‑Reihe, behält Pfeiltasten – beliebt als alltagstauglicher Kompromiss 65% ist wie 75%, aber ohne F‑Reihe – spart nochmals Platz viele Funktionen per Layers erreichbar Switches: Akko Rosewood (Linear) Tiefer, „thocky“ Bottom‑out und weicher, ebenfalls tiefer Top‑out klanglich nahe an klassischen Full‑Travel‑Switches und ohne die scharfe Long‑Pole‑Charakteristik. Top: PA12; Bottom: PA6; Stem: Nylon; Operating: 40 ± 5 gf; Bottom‑out: 50 g; Pre‑Travel: 2.0 ± 0.5 mm; Total: 4.0 mm; 5‑Pin; factory lubed Caps: Room 101 Apricot Yellow) Cherry‑Profil, PBT 6. Neo 65 Hochwertiges 65%‑Alu‑Kit von Qwertykeys; solide Verarbeitung und klarer Sound‑Focus. 65% als kompakter Daily‑Driver: Pfeiltasten bleiben dediziert F‑Funktionen wandern in Layers – ergonomisch und platzsparend Switches: MMD Princess Linear V4 Cremiger Grundklang im Mittelton mit hart‑cremigem Bottom‑out und weichem, „crispy“ Top‑out der snappy Eindruck entsteht u. a. durch den kürzeren Hub und die Materialpaarung Top/Bottom: PC; Stem: LY Spring: 20.4 mm (extended);Pre‑Travel: 2.0 mm; Total: 3.6 mm;Operating: 53 gf; Bottom‑out: 60 gf; 5‑Pin; factory lubed Caps: Monacokeys Basic Blue Cherry‑Profil 7. Agar60 (KBDfans) Klassisches 60%‑Kit – extrem kompakt 60% verzichtet auf F‑Reihe und den dedizierten Navigationsblock maximaler Platzgewinn, aber mehr Layer‑Nutzung erforderlich Switches: Gateron Oil King Sehr tief und „thocky“ im Sound, dadurch insgesamt eher leise ideal für ein dunkleres, gedämpftes Klangprofil Linear; Travel ca. 4.0 mm; PCB/5‑Pin; Stem: POM; Top: Nylon; Bottom: „Ink Mixture“; Factory lubed Caps: PBTFans No Signal Das Set ist von elektronisch erzeugten TV‑Testbildern wie Indian‑Head, SMPTE‑Farbbalken und dem PTV‑Kreis inspiriert macht die Tastatur gewissermaßen zum Kalibrierungswerkzeug; die früher in Sendepausen oder bei Störungen gezeigten Testkarten sind heute Popkultur und erscheinen etwa in Fallout 4 oder Life on Mars. 8. DaringRun 70F 70% liegt zwischen 65% und 75%: mehr Tasten als 65, bleibt deutlich schmaler als TKL sinnvoll, wenn Pfeiltasten und ein paar zusätzliche Keys gebraucht werden, aber F‑Reihe optional ist Switches: KTT Cabbage Tofu V2 Sanfte, leise Linears mit klarem/hellen Töne beim Loslassen (PC‑Top) und vollem, tiefem Bottom‑out (Nylon‑Bottom) ab Werk lubed, 22‑mm‑Feder, ausgewogenes Tippgefühl. Typ: Linear; Housing: PC (Top) / Nylon (Bottom); Stem: POM; Spring: 22 mm; Actuation: 45 g; Bottom‑out: 53 g; Pre‑Travel: 1.90 mm; Total: 4.00 mm Caps: Jamón Keycaps 173 Tasten, Cherry‑Profil, Doubleshot
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Aug 14, 2025 • 1h 25min

EGL084 Sigmund Freud: seine "Outsider" Biographie im Filmessay

"Ein Ersatz für die Hypnose ist bisher nicht gefunden worden" -- Sigmund Freud, Die endliche und die unendliche Analyse, in: Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, Band 23 (1937), Heft 2, Seite 221. Wir sprechen über Sigmund Freud und den Film „Outsider. Freud“ direkt, nachdem wir das dokumentarische Filmessay im Moviemento gesehen haben. Der Film interessiert sich weniger für die bekannten Theorien und Meinungen rund um Psychoanalyse, sondern für die inneren Widersprüche, das biografische Einbetten und die visuelle Übersetzbarkeit der Theorien. Mit Briefauszügen, Interviews und historischem Material sowie mit einer traumartigen Bildsprache nähert sich der Film dem Menschen Freud. Als ungeplante dritte Folge zu den Eigentlich-Podcast Episoden 78 und 80, stellen wir gegen Ende Jungs "Das Rote Buch" und Freuds "Die Traumdeutung" nebeneinander. Regisseur Yair Qedar hat in Animationen ungedeutete Träume Freuds vorgestellt. Archivaufnahmen stellen Bezüge zwischen Innenwelt und Zeitgeschichte her. Ganz besonders ist die Rekonstruktion von Freuds Behandlungsraum in Wien anhand von über hundert Detailfotos. Shownotes Link zur Laufstrecke Laufstrecke dieser Episode auf komoot Links zur Episode Ersatzstadt Video: Autoschilderstadt hinter dem Friedhof Sigmund Freud: Die endliche und die unendliche Analyse| Projekt Gutenberg Diplomatische Vertretung des Heiligen Stuhls: Apostolische Nuntiatur Der Marathon-Mann Drei Kränkungen der Menschheit nach Freud Yair Qedar | Wikipedia Film Review and Interview by Hannah Brown, 2025 "Outsider. Freud" Trailer | YouTube Mitwirkende Micz Flor Instagram Twitter YouTube (Channel) Website Florian Clauß Bluesky Mastodon Soundcloud Website Verwandte Episoden EGL078 Das Rote Buch: C.G. Jung als Religionsstifter oder Wissenschaftler?EGL080 Chaosmagie und Psychotherapie: wissenschaftlicher Anspruch trifft magische Wirkmacht Wir kommen gerade aus dem Kino. Movimento, Berlin. Der Film: Outsider. Freud von Yair Qedar. 66 dichte Minuten, die weniger über die Psychoanalyse lehren, als die Menschen Sigmund Freud vorzustellen. Wir reden beim Gehen, wie eigentlich immer im Eigentlich Podcast, durch die Stadt, dieses Mal durch Kreuzberg. Auf der Karte sieht die Tour wie ein Zeichen der Unendlichkeit aus, deren Weg uns in gleichen Teilen durch die Lebenden wir die Toten, entlang des Friedhofs, führt. Qedars Film nähert sich Sigmund Freud nicht als Monument, sondern als Mensch – verletzlich, körperlich, alternd, zwischen Rauchen und Schmerzen, zwischen Nazis und Katholizismus. Kein Biopic, kein Theoriepanorama. Vielmehr ein Fragmentbild, ein Mosaik aus Fotografien, Dokumenten, Stimmen, die nicht erklären, sondern begleiten und Fragen stellen. Freud wird hier als Außenseiter beschrieben – im Titel, aber auch jenseits davon. Als Jude im Wien des frühen 20. Jahrhunderts, als Intellektueller im Exil, als Denker, der sich zwischen Wissenschaft, Kunst und Mythos bewegte. Qedar lässt ihn wandern: durch Räume, durch Zeiten, durch Bedeutungsfelder. Seine Couch ist kein neutraler Ort, sondern eine Bühne der inneren Landschaften. Der Film zeigt den Raum in der Berggasse 19 nicht nur als Praxis, sondern als verdichteten Symbolraum – überfüllt mit archäologischen Objekten, mit Göttern, Ahnen, Toten. Eine Forscherin des Freud Museums Wien spricht wie von einem Tunnel, durch der in die Analyse führt – dunkelrot, eng, gefasst von stummen Figuren, die aus anderen Zeiten zu kommen scheinen. Masken, Fragmente, Totems. Alles blickt zurück. Nichts ist zufällig. Die Inszenierung dieses Raums ist mehr als Ästhetik – sie ist selbst Theorie, selbst Deutung. In diesem Setting wird das Gespräch zur Ritualhandlung, zum Übergang. Zeit verschränkt sich: Antike und Moderne, Mythos und Gegenwart, Erinnerung und Verdrängung. Wir sprechen über das Setting der Psychoanalyse – nicht als klinisch-sauberen Raum, sondern als dichten Text, als Gewebe aus Kulturgeschichte und Subjektivität. Freud, wie Qedar ihn zeigt, war weniger Architekt klarer Begriffe als Suchender, Leser, Sammler. Seine Theorie ist in dieser Lesart keine geschlossene Lehre, sondern ein Schichtenmodell, ein palimpsestisches Denken: Das Unbewusste nicht als Ding, sondern als Bewegung, als Echo, als Spur.
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Jul 31, 2025 • 1h 39min

EGL083 London in Serien: zwischen Geldwäsche und Genrekunst

"London calling to the faraway towns / Now war is declared and battle come down / London calling to the underworld / Come out of the cupboard, you boys and girls" The Clash, 1979 Flo hat in letzter Zeit viele Serien geschaut, die in London spielen: MobLand, I May Destroy You, Fleabag, Disclaimer, The Agency, Industry, Slow Horses, Ted Lasso, The Capture und Gangs of London. London steht als Spielort für Serien auf Platz drei hinter L. A. und New York City. In dieser Folge ist Flo der Frage nachgegangen, warum sich London in der Serienproduktion so hervorgetan hat, zumal der Brexit England doch wirtschaftlich zurückgeworfen hat. Doch England war in der Filmindustrie schon immer präsenter als seine europäischen Nachbarländer. Allein durch die Sprache können sich englische Produktionen größere Märkte erschließen, wohingegen deutsche und französische Produktionen auf Sprachbarrieren im internationalen Raum stoßen. Auch die großen Streamingdienste haben sich in den letzten Jahren in Londoner Studios eingemietet. Serien wie „Game of Thrones” und die „Harry Potter”-Filme trugen maßgeblich dazu bei, dass sich in den ersten Dekaden der 2000er eine starke Infrastruktur in der Filmindustrie in London ausbauen konnte. Gerade im Bereich der visuellen Effekte (VFX) sind viele kleine Studios entstanden, die auf dem Weltmarkt eine führende Position eingenommen haben. Dies erklärt zum Teil, warum so viele Serien in London spielen. Ein weiterer Grund ist, dass viel Geld aus dubiosen Quellen nach London geflossen ist, welches neben der Finanzierung von Großbauprojekten wie The Shard oder One Hyde Park auch viele Schattenproduktionen in der Filmbranche finanziert hat. London ist als Geldwäscheanlage bekannt. In dieser Episode tauschen wir uns über solche Geschichten und Gerüchte aus und können viele eigene London-Erlebnisse einbringen. Flo ist fasziniert davon, wie sich die Skyline von London in den letzten Jahrzehnten verändert hat. Micz kann von seiner Zeit in den 90ern berichten, als er in London lebte und die Gentrifizierung des Stadtteils Shoreditch miterlebte. London ist vielseitig und unberechenbar, wie sich die Stadt auch in den Serien spiegelt. Hinter der glatten Fassade lauern Abgründe, aber auch Chancen... Shownotes Links zur Laufstrecke EGL083 | Wanderung | Komoot Squadrats Links zur Episode James Bond – Wikipedia Friends – Wikipedia Chernobyl (Fernsehserie) – Wikipedia Shining (1980) – Wikipedia Emily in Paris – Wikipedia City of London - Wikipedia – Wikipedia Sex and the City – Wikipedia London - Wikipedia – Wikipedia Black Doves - Wikipedia – Wikipedia MobLand - Wikipedia – Wikipedia Guy Ritchie - Wikipedia – Wikipedia Tom Hardy - Wikipedia – Wikipedia Pierce Brosnan - Wikipedia – Wikipedia Paramount+ - Wikipedia – Wikipedia Shaun the Sheep - Wikipedia – Wikipedia Game of Thrones - Wikipedia – Wikipedia Peaky Blinders (TV series) - Wikipedia – Wikipedia Harry Potter (film series) - Wikipedia – Wikipedia Dogs of Berlin – Wikipedia Kleo – Wikipedia Im Angesicht des Verbrechens – Wikipedia Achtsam Morden – Wikipedia Shoreditch – Wikipedia Tate Gallery of Modern Art – Wikipedia Clive Barker’s Book of Blood – Wikipedia Thatcherismus – Wikipedia Canary Wharf - Wikipedia – Wikipedia Big Bang (financial markets) - Wikipedia – Wikipedia Kowloon Walled City - Wikipedia – Wikipedia List of tallest buildings and structures in London - Wikipedia – Wikipedia The Shard - Wikipedia – Wikipedia William the Conqueror - Wikipedia – Wikipedia Battle of Hastings - Wikipedia – Wikipedia The Gherkin - Wikipedia – Wikipedia Umgestaltung von Paris während des Zweiten Kaiserreichs – Wikipedia Centre Georges-Pompidou – Wikipedia Provisional Irish Republican Army - Wikipedia – Wikipedia Baltic Exchange bombing - Wikipedia – Wikipedia 1993 Bishopsgate bombing - Wikipedia – Wikipedia 1996 Manchester bombing - Wikipedia – Wikipedia Terraced house - Wikipedia – Wikipedia The Blitz - Wikipedia – Wikipedia Thomas Pynchon - Wikipedia – Wikipedia Barbican Centre - Wikipedia – Wikipedia Brutalismus – Wikipedia Le Corbusier – Wikipedia The Agency (2024 TV series) - Wikipedia – Wikipedia Michael Fassbender - Wikipedia – Wikipedia Attack the Block - Wikipedia – Wikipedia Hebbel am Ufer – Wikipedia Tino Sehgal – Wikipedia Industry (TV series) - Wikipedia – Wikipedia Terroranschläge am 7. Juli 2005 in London – Wikipedia Closed-circuit television - Wikipedia – Wikipedia Traffic and Environmental Zone - Wikipedia – Wikipedia Brand im Bahnhof King’s Cross St. Pancras – Wikipedia The Capture (TV series) - Wikipedia – Wikipedia Adolescence (TV series) - Wikipedia – Wikipedia My Beautiful Laundrette - Wikipedia – Wikipedia Slow Horses - Wikipedia – Wikipedia Apple TV+ - Wikipedia – Wikipedia Gary Oldman - Wikipedia – Wikipedia Willem Dafoe - Wikipedia – Wikipedia Ted Lasso - Wikipedia – Wikipedia I May Destroy You - Wikipedia – Wikipedia Michaela Coel – Wikipedia Fleabag - Wikipedia – Wikipedia Phoebe Waller-Bridge – Wikipedia Peep Show (British TV series) - Wikipedia – Wikipedia Vierte Wand – Wikipedia Disclaimer (TV series) - Wikipedia – Wikipedia Severance (TV series) - Wikipedia – Wikipedia Alfonso Cuarón - Wikipedia – Wikipedia Harry Potter und der Gefangene von Askaban (Film) – Wikipedia Children of Men - Wikipedia – Wikipedia Gravity (2013 film) - Wikipedia – Wikipedia Cate Blanchett - Wikipedia – Wikipedia Gangs of London (TV series) - Wikipedia – Wikipedia Sherlock (TV series) - Wikipedia – Wikipedia The Crown (TV series) - Wikipedia – Wikipedia Homepage | Film London https://film-london.files.svdcdn.com/production/Film-London-Code-of-Practice_2025-updated-July.pdf Mitwirkende Florian Clauß (Erzähler) Bluesky Mastodon Soundcloud Website Micz Flor Instagram Twitter YouTube (Channel) Website London, dieses geschichtsträchtige Kapital des Vereinigten Königreichs, hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten zu einem der bedeutendsten Produktionsstandorte für internationale Serienproduktionen entwickelt. Die Stadt fungiert dabei nicht nur als pittoreske Kulisse, sondern wird zum narrativen Protagonisten, der die Geschichten formt und durchdringt. Was sich auf den Bildschirmen abspielt, ist jedoch mehr als bloße Unterhaltung – es ist eine vielschichtige Diagnose urbaner Pathologien, die gleichzeitig Symptom und Spiegel jener Strukturen ist, die sie zu kritisieren vorgibt. Die Transformation Londons zum globalen Produktionszentrum lässt sich nicht ohne die wegweisende Rolle der Harry-Potter-Filmreihe verstehen. Zwischen 1997 und 2011 schuf diese Mega-Produktion nicht nur die infrastrukturellen Voraussetzungen mit dem Ausbau der Leavesden Studios, sondern etablierte auch eine kontinuierliche Beschäftigungsstruktur für tausende Crew-Mitglieder. Eine ganze Generation von VFX-Künstlern, Set-Designern und Kostümbildnern wurde hier ausgebildet, während die Produktionsausgaben von über einer Milliarde Pfund Hollywood demonstrierten, dass sich Investitionen in Großbritannien lohnen. Diese Entwicklung mündete 2007 in verbesserten Steueranreizen, die den Standort zusätzlich attraktiv machten. Den entscheidenden Wendepunkt für die Serienproduktion markierte jedoch Game of Thrones. Die zwischen 2011 und 2019 produzierte Fantasy-Saga bewies, dass Premium-Fernsehen Kinoqualität erreichen kann, und etablierte London als Post-Production-Zentrum und VFX-Hub von Weltrang. Die britischen Crews demonstrierten Hollywood-Standards und setzten neue technologische Maßstäbe mit virtuellen Sets und Crowd-Simulationen. Diese Entwicklung ebnete den Weg für die Streaming-Revolution, die London endgültig als internationalen Produktionsstandort zementierte. Das zeitgenössische Serienportrait der britischen Hauptstadt offenbart eine Stadt der Widersprüche. In kaum einer Produktion wird dies so brutal und ungeschönt dargestellt wie in „Gangs of London“ (2020-), der aufwendigsten britischen Crime-Serie überhaupt. Unter der Regie von Gareth Evans, bekannt für „The Raid“, entfaltet sich ein multi-ethnisches Crime-Babylon, in dem internationale Verbrecherfamilien – Iren, Albaner, Pakistaner, Kurden und Nigerianer – um die Kontrolle der Londoner Unterwelt kämpfen. Der Mord an Finn Wallace, dem mächtigsten Gangster der Stadt, löst einen Machtkampf aus, bei dem sein Sohn Sean (Joe Cole) auf Rache sinnt, während der Undercover-Cop Elliot Finch (Ṣọpẹ́ Dìrísù) die Organisation infiltriert. Die Serie wurde als „The Wire meets John Wick“ gefeiert – ein Gewaltexzess mit Stil, der revolutionäre Action-Sequenzen mit komplexen Machtstrukturen verbindet. Diese rohe Darstellung urbaner Gewalt steht in starkem Kontrast zu Serien wie „Industry“, die das toxische Milieu der Londoner Finanzwelt seziert, oder „The Crown“, die die Verstrickungen zwischen Establishment und zweifelhaften Geschäftspartnern wie der Al-Fayed-Familie beleuchtet. Während „Sherlock“ die viktorianische Detektivtradition in die Gegenwart überführt und dabei die Stadt als labyrinthischen Tatort inszeniert, nutzt „Killing Eve“ London als Spielfeld für ein tödliches Katz-und-Maus-Spiel, bei dem die mysteriöse Organisation „The Twelve“ ihre Operationen durch die undurchsichtigen Finanzstrukturen der City finanziert. Besonders aufschlussreich sind jene Produktionen, die sich explizit mit Londons Rolle als globale Drehscheibe für Geldwäsche auseinandersetzen. „McMafia“ (2018) thematisiert direkt die Mechanismen, durch die schmutziges Geld in der Londoner City gewaschen wird, während „The Night Manager“ den Waffenhandel über die britische Hauptstadt abwickelt. „Devils“ (2020-2022) porträtiert die City of London als moralfreie Zone, in der alles käuflich ist. Guy Ritchies „The Gentlemen“ treibt diese Thematik auf die Spitze, indem Cannabis-Gewinne durch eine Filmproduktionsfirma gewaschen werden – eine beißende Satire auf die Verschränkung von Unterhaltungsindustrie und organisiertem Verbrechen. Die jüngere Serienlandschaft zeigt dabei eine bemerkenswerte Vielfalt in der Auseinandersetzung mit urbanen Traumata. „I May Destroy You“ von Michaela Coel durchbricht Tabus in der Darstellung sexueller Gewalt und ihrer Aufarbeitung, während „Fleabag“ die emotionale Verlorenheit einer Generation zwischen ironischer Distanz und verzweifelter Sehnsucht nach Authentizität einfängt. „Disclaimer“ von Alfonso Cuarón dekonstruiert die Mechanismen medialer Skandalisierung, und „The Capture“ führt vor, wie allgegenwärtige Überwachungstechnologie zur Manipulation von Wahrheit eingesetzt werden kann. Die Architektur der Stadt selbst wird dabei zum stummen Zeugen dieser Narrative. The Shard, mit seinen 310 Metern das höchste Bauwerk Großbritanniens, hat zur Prägung des Begriffs „Oligarchitektur“ beigetragen – eine Architektur, die Macht und Reichtum manifestiert, während sie gleichzeitig soziale Ungleichheit zementiert. Norman Fosters Gherkin und der Tower 42, zwischen 1971 und 1979 nach Plänen des aus der Schweiz stammenden britischen Architekten Richard Seifert erbaut, ragen als Symbole der Finanzmetropole in den Himmel. Diese Wolkenkratzer bilden die vertikale Kulisse für Serien wie „Succession“, in der die Waystar Royco-Dynastie ihre Londoner Operationen von gläsernen Türmen aus orchestriert. Selbst vermeintlich leichtere Produktionen wie „Ted Lasso“ können sich der Gravitation Londons nicht entziehen. Die Serie mag vordergründig vom amerikanischen Optimismus handeln, der auf britischen Zynismus trifft, doch unter der Oberfläche verhandelt sie Fragen von Zugehörigkeit und Identität in einer globalisierten Metropole. „Slow Horses“, basierend auf Mick Herrons Romanen, zeigt die Kehrseite des Geheimdienstapparats – gescheiterte Spione, die in einem heruntergekommenen Büro am Rande der Stadt ihr Dasein fristen, während die glänzende Fassade des MI5 die wahren Machenschaften verbirgt. Diese Vielfalt der Perspektiven offenbart London als narrative Projektionsfläche par excellence. Die Stadt mit ihrer über zweitausendjährigen Geschichte – von der römischen Gründung Londiniums im Jahr 43 n. Chr. über die strategische Bedeutung als Handelshafen bis zur modernen Finanzmetropole – verleiht den Geschichten eine Tiefe, die über das rein Visuelle hinausgeht. Die noch heute sichtbaren Fragmente der römischen Stadtmauer oder die Erinnerung an Boudiccas Zerstörung der Stadt im Jahr 60 n. Chr. schaffen ein historisches Palimpsest, auf dem sich zeitgenössische Narrative entfalten. Was sich in dieser Serienlandschaft manifestiert, ist ein komplexes Geflecht aus künstlerischer Ambition, ökonomischen Zwängen und narrativer Selbstreflexion. Die paradoxe Situation wird besonders deutlich, wenn man bedenkt, dass viele dieser kritischen Produktionen durch genau jene Strukturen finanziert werden, die sie anprangern. Die großzügige Filmförderung, die laxe Registrierung von Produktionsfirmen und die als „kreative Buchhaltung“ euphemisierte Steuervermeidung schaffen ein Umfeld, in dem Kunst zur perfekten Cover-Story wird – schließlich ist sie „subjektiv“. Die besten Serien über London sind jene, die die Stadt nicht romantisieren, sondern ihre Abgründe ausleuchten. Von der brutalen Gangster-Oper „Gangs of London“ über die Finanzwelt-Satire „Industry“ bis zur Geheimdienstkritik in „Slow Horses“ – sie alle zeichnen das Bild einer Stadt, die ihre Seele verkauft hat, aber großartige Geschichten darüber zu erzählen weiß. Doch gerade diese kritische Perspektive wird durch die Strukturen ermöglicht, die sie hinterfragt. So entsteht ein faszinierendes Spannungsfeld zwischen künstlerischer Integrität und ökonomischer Abhängigkeit, das die Serienproduktion in London zu einem Seismographen zeitgenössischer urbaner Realitäten macht. Die Stadt erzählt ihre Geschichte durch die Serien, die in ihr produziert werden – und diese Geschichten erzählen mehr über London, als es auf den ersten Blick scheinen mag.

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