

EGL080 Chaosmagie und Psychotherapie: wissenschaftlicher Anspruch trifft magische Wirkmacht

Diesen zweiten Teil der Episode über Wissenschaft, Evidenz, C. G. Jung und "Das Rote Buch" beginnen wir mit einem Ausflug in die Magie. Zuerst hören wir noch einmal einen Auszug aus dem zauberhaften Roman "Jonathan Strange & Mr. Norrell". Damit hatten wir auch den ersten Teil abgeschlossen. Und dann stolpern wir hinein in die sogenannte Chaosmagie, eine magische Praxisform, die in den späten 1970er-Jahren entstand. Der Übergang ist so holprig, dass Flo anfangs vermutet, Peter Carroll sei ein weiterer Charakter des Romans. Vielmehr hat Peter J. Carroll mit den Werken "Liber Null" und "Psychonaut" eine theoretische und praktische Grundlage für eine neue Praxis der Magie formuliert, die heute als Chaosmagie bezeichnet wird. Carrolls Ansatz betont den pragmatischen Umgang mit magischen Techniken und versucht, diese von überlieferten rituellen und symbolischen Systemen zu lösen. Und – deshalb kommt die Chaosmagie in dieser Folge vor – er beansprucht ein empirisch orientiertes Vorgehen, das die Wirksamkeit von Praktiken anhand subjektiver Erfahrung überprüft. Wir befinden uns also mitten in der Frage: Was ist Wissenschaft? Und drehen jetzt das Rad noch einmal weiter: Ist Magie Wissenschaft? Wir drehen das Rad dann noch ein Stück weiter und erreichen so wieder die Praxen der Psychotherapeut:innen, beziehungsweise die psychotherapeutische Praxis – insbesondere Körperarbeit und Atemtechniken.
Shownotes
- Link zur Laufstrecke
- Eigentlich Podcast
- Links zur Episode
- Chaosmagie auf Wikipedia
- The Men Who Stare at Goats auf Rotten Tomaties
- Peter J. Carroll auf Wikipedia
- Austin Osman Spare auf Wikipedia
- Liber Null von Peter J. Carroll auf archive.org
- Liber Null & Psychonaut von Peter J. Carroll auf archive.org
- Ort der Kraft oder magischer Ort
- Liste von Psychotherapie- und Selbsterfahrungsmethoden
- Inception (2010) - Opening The Safe Scene - YouTube
- Arthur C. Clarke's three laws
- The Feynman Lectures on Physics (1963) > Vol I: The Relation of Physics to Other Sciences > 3-6 Psychology
- The History of Chaos Magic, Psychogeography & Psychedelics in Magic | Julian Vayne - YouTube
- Talking Chaos Magic and Breathwork with Dave Lee – Rune Soup
Mitwirkende
- Micz Flor
- Florian Clauß
Verwandte Episoden
Wer die Folge 78 noch nicht gehört hat, sollte das vielleicht tun. Da bilden wir den Boden für diese Episode. Wir sprechen über C.G. Jung, sein Jahrzehnte nach dem Tod veröffentlichtes Buch „Das Rote Buch“, über Spiritualität, Wissenschaft und Psychotherapie. In dieser zweiten Folge machen wir einen bewussten Schritt raus aus der Comfort Zone der Wissenschaft, über das Ziel hinaus und hinein in die Magie. Ganz speziell eben die Chaosmagie, deren Begründer ist Peter J. Carroll mit den Publikationen „Liber Null“ und „Psychonaut“. (Meine Zitate beziehe ich aus der Fassung „Liber Null and Psychonaut“ (Weiser Books, Newburyport, 2022), die mir als E-Book vorliegt, weshalb ich keine Seitenzahlen angebe, sondern die jeweiligen Kapitel.)
Eine Zusammenfassung seines Denkens liefert uns Peter J. Carroll gleich in den ersten Zeilen der Einleitung. Magische Fähigkeiten ergeben sich demnach aus veränderten Bewusstseinszuständen, die sich in der „Realität“ entwickeln lassen und keiner symbolischen Abstraktionen bedürfen:
Magic is an intensely practical, personal, experimental art. Two major themes run through this book: that altered states of consciousness are the key to unlocking one’s magical abilities; and that these abilities can be developed without any symbolic system except reality itself.
— Peter J. Carroll In: „Liber Null and Psychonaut“, Kapitel: „Introduction“ (Weiser Books, Newburyport, 2022)
Wir verlassen in diesem zweiten Teil über C.G. Jung und „Das Rote Buch“ also die Wissenschaft durch Jungs metaphysische Hintertürchen in eben diesem roten Buch. Anstatt die Regler am Mischpult alle von null auf den richtigen Wert zu schieben, stellen wir jetzt erst mal alles auf zehn und regeln dann runter. Steigen wir also in die Magie ein. Peter J. Carrolls „Liber Null“ verfolgt einen anderen Zugang als Jung, doch es entsteht eine strukturelle Nähe. Auch „Liber Null“ ist eine Sammlung von Texten, die keine dogmatische Lehre etablieren wollen. Stattdessen formuliert Carroll eine methodische Praxis, in der Magie als Technik der Aufmerksamkeitslenkung begriffen wird.
„Mind and Matter“ bei Jung und Carroll
Wie ähnlich sich die Weltbilder von C.G. Jung und Peter J. Carroll (Chaosmagie) sind, möchte ich mit zwei Zitaten illustrieren. Gehen wir gleich mal ans Eingemachte, „straight to the heart of the matter“, wie Carroll schreibt. Sein Wortwitz versteht sich erst beim zweiten Lesen, „the matter“, die Materie. Die Frage nach dem Universum und dem Bewusstsein darin und Allem:
If we proceed straight to the heart of the matter and ask of magic what is the nature of consciousness and the universe and everything, we get this answer: they are spontaneous, magical, and chaotic phenomena. The force which initiates and moves the universe, and the force which lies at the center of consciousness, is whimsical and arbitrary, creating and destroying for no purpose beyond amusing itself.
— Peter J. Carroll In: „Psychonaut“, Kapitel „Chaos: The Secret of the Universe“
Das Wesen des Bewusstseins, des Universums und von allem, so Carroll, bestehe aus den gleichen spontanen, magischen und chaotischen Phänomenen. Wir stellen erst mal C.G. Jungs Gedanken in dieser Frage daneben:
And so psychical events are realities. (…) Because the psyche, if you understand it as a phenomenon that takes place in so-called living bodies, is a quality of matter, as our bodies consist of matter. We discover that this matter has another aspect, namely, a psychic aspect.
— C.G. Jung In: „Jung on elementary psychology. A discussion Between C.G. Jung and Richard I. Evans (1976, P. 93)
Jung versteht psychische Ereignisse als als eine Eigenschaft der Materie. Zwar ist die Psyche ein Phänomen, das sich in sogenannten lebenden Körpern vollzieht, da diese Körper aber aus Materie bestehen, schlussfolgert Jung, dass diese Materie noch einen weiteren Aspekt hat, nämlich einen psychischen Aspekt.
Diese beiden Konzeptionen liegen nicht weit auseinander und ich möchte das auch gerne so stehen lassen, denn es geht mir nicht darum das Universum zu erklären. Vielmehr geht es mir darum die Verwandschaft spezieller Schulen magischen und psychotherapeutischen Denkens (ausgehend von C.G. Jung) zu illustrieren.
Jung und Carroll leiten aus den eben zitierten Gedanken über die Beschaffenheit der Welt als Ganzes verwandte, wenn auch unterschiedliche Annahmen ab. Jung baut so eine Brücke aus dem Individuum, dem individuellen Unbewussten hin zum kollektiven Unbewussten und den Archetypen. Er geht gewissermaßen den Weg vom Individuum in das Universum.
Carroll geht den umgekehrten Weg. Der Grund unter allem sei das Chaos. Und dieses bleibe unergründbar, auch wenn wir alle aus diesem Chaos entstanden, quasi „gemacht“, sind, weil die Prozesse unseres Verstandes so gebaut sind, dass wir immer nach Kausalitäten suchen, also Ursache und Wirkung:
Now it is very difficult to imagine events arising spontaneously without prior cause, even though this happens every time one exerts one’s will. For this reason, it has seemed preferable to call the root of these phenomena chaos. It is impossible for us to understand chaos, because the understanding part of ourselves is built out of matter, which mainly obeys the statistical form of causality. Indeed, all our rational thinking is structured on the hypothesis that one thing causes another. It follows then that our thinking will never be able to appreciate the nature of consciousness or the universe as a whole because these are spontaneous, magical, and chaotic by nature.
— Peter J. Carroll In: „Psychonaut“, Kapitel: „Chaos: The Secret of the Universe“
Chaos und Magie und Chaosmagie
Doch wenn alles aus dem unergründbaren Chaos entstanden sei, den wir nicht verstehen können, ließe sich dann ableiten, dass Chaos, Magie und Bewusstsein das gleiche sein könnten? Carroll schlängelt sich entlang der Materie in unserem Hirn, in dem es chaotisch zugeht und in dem aber auch Zustände verändert werden können:
Might it not be that consciousness, magic, and chaos are the same thing? Consciousness is able to make things happen spontaneously without prior cause. This usually happens within the brain, where that part of consciousness we designate “will” tickles the nerves to make certain thoughts and actions occur. (ebd.)
Und wenn die Materie im Gehirn vom Bewusstsein (Consciousness) verändert werden kann, wo ziehen wir dann die Grenze? Wenn es das außerhalb des Körpers tut, wird es als Magie bezeichnet. Im Umkehrschluss benennt hier Carroll die Essenz der Definition von Magie:
Occasionally, consciousness is able to make things happen spontaneously outside the body when it performs magic. Any act of will is magic. (ebd.)
Diese Definition ist nicht leicht zu übersetzen. „Jeder Akt des Willens ist Magie“, es ist eine Willenshandlung, die folglich eine Willenskraft beinhaltet. Wir können also mit dem Bewusstsein in die Welt wirken. Und das Gegenteil ist auch der Fall:
Conversely, any act of conscious perception is also magic; an occurrence in nervous matter is spontaneously perceived in consciousness. Sometimes that perception can occur directly without the use of the senses, as in clairvoyance. (ebd.)
„Clairvoyance“ lässt sich als „Hellsehen“ übersetzen, also die Fähigkeit, Dinge wahrzunehmen, die außerhalb der normalen Sinneswahrnehmung liegen. Jetzt haben wir also eine Definition von Magie und ein Feld, in dem sie wirkt (dem unergründlichen Chaos).
Die Magie ist für Carroll gewissermaßen die Grenze und Verbindung zwischen Chaos und uns Menschen. Das Chaos ist unergründbar, ungerichtet und folgt keinen Gesetzen, keiner Kausalität und keinem Sinn. Die Menschen und ihr Denken sind dem immanenten Wunsch unterworfen Ursachen für Wirkungen zu finden, diese Ordnung herzustellen. Der Mensch will immer etwas (vergleiche Nietzsche, Schopenhauer, Freud) und die Magie ist aus dieser Blickrichtung ein Willensakt, der etwas gezielt bewirken will.
Auf der anderen Seite steht das Chaos. Und die Chaosforschung (höre dazu den ersten Teil, Folge 78) lehrt uns in Kausalität gefangenen Wesen, dass es wenig Ursache bedarf (Schmetterling), um viel zu bewirken (Hurricane). Von Seiten des Chaos ist die Magie ein Impuls, eine Energie, eine Bewegung (alles natürlich Begriffe, die wir als in Kausalität gefangene Wesen benutzen, aber die es im Chaos nicht gibt).
Oder hier noch mal in den Worten von Carroll:
Magic is the science and art of causing change to occur in conformity with will.
— Peter J. Carroll In: „Liber Null“, Kapitel: „Liber MMM“
Veränderung durch Willenskraft, dass ist die Essenz. Carroll hat eine „whatever works“ Einstellung zu magischen Praktiken. Rituale, Symbole, Orden und andere höheren Strukturen sind nicht notwendig, bzw. müssen immer wieder neu beweisen, dass sie notwendig sind, um Magie zu betreiben. Carroll hat einen wissenschaftlichen Anspruch an magische Praktiken. Magische Novizen sollen sich deshalb einen Block zulegen und darin aufschreiben, was sie tun und mit welchem Ergebnis. Und Ergebnisse sollen auch mit anderen geteilt werden, um festzustellen, ob die Praktiken die beschriebenen Effekte wirklich erwirken. Mit diesen Anforderungen an die magische Praxis sind wir nicht weit weg vom Doppelblindverfahren medizinischer Evidenzforschung.
A magical diary is the magician’s most essential and powerful tool. It should be large enough to allow a full page for each day. Students should record the time, duration, and degree of success of any practice undertaken. They should make notes about environmental factors conducive (or otherwise) to the work.
— Peter J. Carroll In: „Liber Null“, Kapitel „Liber MMM“
Die Magie zu ergründen, bzw. die eigenen magischen Fähigkeiten zu entdecken und entwickeln, ist also ein fortwährendes Experiment. Es gibt jedoch notwendige Fähigkeiten, die sich trainieren lassen, um diesen experimentellen Pfad effektiv zu verfolgen:
This course is an exercise in the disciplines of magical trance, a form of mind control having similarities to yoga, personal metamorphosis, and the basic techniques of magic. Success with these techniques is a prerequisite for any real progress with the initiate syllabus. (ebd.)
Wer sich mit Achtsamkeit, Atemübungen und Körperarbeit in der Psychotherapie beschäftigt hat, dem könnten die folgenden Konzepte bekannt vorkommen (beim Lesen des folgenden Textauszugs bitte das Wort Magie wie von magischer Hand streichen):
To work magic effectively, the ability to concentrate the attention must be built up until the mind can enter a trancelike condition. This is accomplished in a number of stages: absolute motionlessness of the body, regulation of the breathing, stopping of thoughts, and magical trances (concentration on objects, concentration on sound, and concentration on mental images).
Motionlessness
Arrange the body in any comfortable position and try to remain in that position for as long as possible. Try not to blink or move the tongue or fingers or any part of the body at all. Do not let the mind run away on long trains of thought but rather observe oneself passively. What appeared to be a comfortable position may become agonizing with time, but persist! Set aside some time each day for this practice and take advantage of any opportunity of inactivity which may arise.Record the results in the magical diary. One should not be satisfied with less than five minutes. When fifteen have been achieved, proceed to regulation of the breathing.
Breathing
Stay as motionless as possible and begin to deliberately make the breathing slower and deeper. The aim is to use the entire capacity of the lungs but without any undue muscular effort or strain. The lungs may be held full after inhalation for a few moments, or empty after exhalation for a few moments to lengthen the cycle. The important thing is that the mind should direct its complete attention to the breath cycle. When this can be done for thirty minutes, proceed to “not-thinking.”Not-Thinking
The exercises of motionlessness and breathing may improve health, but they have no other intrinsic value aside from being a preparation for not-thinking, the beginnings of the magical trance condition. While motionless and breathing deeply, begin to withdraw the mind from any thoughts which arise. The attempt to do this inevitably reveals the mind to be a raging tempest of activity. Only the greatest determination can win even a few seconds of mental silence, but even this is quite a triumph. Aim for complete vigilance over the arising of thoughts and try to lengthen the periods of total quiescence.Like the physical motionlessness, this mental motionlessness should be practiced at set times and also whenever a period of inactivity presents itself. The results should be recorded in your diary. (ebd.)
In Kombination der Annahme der Chaosmagie, dass das Geistige – verstanden als Gedankenprozesse in neuronalen Strukturen – nicht nur innerhalb des Körpers, sondern ebenso außerhalb desselben materielle Wirkungen hervorrufen kann, und der Annahme, dass eine bestimmte körperliche Verfasstheit für die magische Wirksamkeit von Magier\:innen notwendig, wenn auch nicht hinreichend ist, ergibt sich eine nachvollziehbare Argumentationslinie: Die Sorge um geistige und körperliche Gesundheit ist integraler Bestandteil magischer Praxis oder zumindest ein zentrales Anliegen derselben.
In dieser Perspektive positioniert sich Magie deutlich gegen ein medizinisch-psychiatrisches Paradigma, das den Menschen vorrangig als zu reparierende Funktionsinstanz innerhalb eines sozialen Systems behandelt. Stattdessen wird eine Form der Selbstsorge und Selbstermächtigung betont, die mentale Selbstverteidigung ebenso einschließt wie körperliche Fürsorge durch milde, natürliche Mittel. So heißt es bei Peter J. Carroll:
Magic is opposed to a psychiatry and medicine designed to patch up the damaged automaton and plug it back into the system. Instead, it would rather that individuals learn to handle their own mental self-defense and treat their bodies with gentler remedies such as herbs.
— Peter J. Carroll, in: Psychonaut, Kapitel: „New Aeon Magic“
Wir sind also auf dem Weg von der Magie in die Psychosomatik und Psychotherapie.
Magie und Psychotherapie
Der Begriff „Magie“ ist der Psychotherapie keineswegs fremd. So etwa beim Konzept des „sicheren Ortes“: ein imaginierter innerer Rückzugsraum, der im Rahmen der Psychotherapie entwickelt wird und in belastenden Situationen Stabilität und Schutz bieten kann. Dieser Ansatz findet in verschiedenen therapeutischen Verfahren Anwendung, unter anderem bei der Traumatherapie. Verwandt sind der „Ort der Kraft“, der Schutz und innere Stärke gibt. Es sind gewissermaßen magische Orte, imaginiert, geistig und im Geiste besucht – und wirksam. Wer sich tiefer mit solchen Konzepten beschäftigen möchte, findet eine Vielzahl weiterführender Ansätze auf der Wikipedia-Seite „Liste von Psychotherapie- und Selbsterfahrungsmethoden“ (Link in den Shownotes).
Geneigte Leser:innen mögen sich fragen: worauf wollen die den jetzt hinaus? Unsere Exit-Stragie für die Parabel von Wissenschaft, Magie und Psychotherapie beginnen wir mit einem Zitat des britischen Mathematikers, Physikers und Science-Fiction-Schriftstellers Arthur C. Clarke. In einem kurzen Satz verbindet Clarke die scheinbar beziehungslosen Begriffe Magie und Technik sehr elegant und einleuchtend: Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.
Any sufficiently advanced technology is indistinguishable from magic.
— Arthur C. Clarke In: „Hazards of Prophecy: The Failure of Imagination“ 1962
Der Begriff “advanced technology” ist eng mit einem wissenschaftlich geprägten Weltbild verknüpft und lässt sich in diesem Kontext am treffendsten mit “fortschrittliche” übersetzen. Es impliziert eine Bewegung in Richtung Zukunft. Semantisch verwandte Ausdrücke wie “accelerate the progress”, “move forward” oder “raise to a higher rank” verdeutlichen den inhärenten Fortschrittsgedanken. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die Wortherkunft zunächst eine gegenteilige Richtung andeutet: Das lateinische “ab ante” bedeutet wörtlich von vorn oder “aus dem Vorher”, was eher eine Rück- als eine Vorwärtsbewegung nahelegt. Dennoch ist anzunehmen, dass Arthur C. Clarke mit der Verwendung des Begriffs “advanced technology” tatsächlich auf den Aspekt des Fortschritts abzielt, der der technologischen Entwicklung eingeschrieben ist.
Demnach erscheint eine Technologie, sobald sie einen bestimmten Entwicklungsstand überschritten hat, aus der Außenperspektive als Magie. Ihre bloße Existenz setzt jedoch einen kulturellen Kontext voraus, in dem sie nicht als magisch, sondern als technisch und rational erklärbar gilt. In der Kultur, in der die jeweilige Technologie entstanden ist, wird sie als solche erkannt und eingeordnet. (Wie aktuelle Entwicklungen im Bereich der großen Sprachmodelle diese klare Unterscheidung zwischen Technologie und Magie zunehmend herausfordern, soll an dieser Stelle lediglich angedeutet werden.)
Was Clarkes Satz so geschmackvoll macht ist die Verwandlung statischer Begriffe in einen dynamischen Prozess. Greifen wir mal hoch ins Regal und sagen, dass wir semantisch eine Form der Heisenbergschen Unschärferelation beobachten: Begriffe lassen sich nicht gleichzeitig eindeutig definieren und in ihrer Bedeutungsverschiebung begreifen.
In dieser Episode geht es nicht um Technik und Magie, sondern um Wissenschaft, Psychotherapie und Magie. Doch können wir Clarkes Satz problemlos weiter fassen, verallgemeinern, wenn wir sagen:
Jede unerklärliche Technik oder Praxis, die wiederholbare Veränderung bewirkt, erscheint wie Magie.
Mit dem wissenschaftlichen Blick und dieser Erkenntnis im Rücken, schauen wir noch einmal frisch auf die vorangegangenen Gedanken. Wenn wir evidenzbasierte psychotherapeutische Methoden mit Magie „alignen“ wollen, schauen wir zuerst auf die vordergründigen Definitionen der jeweiligen Begriffe. Arthur C. Clarke illustriert mit einfacher Eleganz, dass sich das Dinge sich verwandeln können und zwar nur weil sich die Definition der Begriffe sich wandeln. In seinem Statement wird aus Magie Technik, wenn die Fähigkeit gegeben ist, diese zu erkennen und zu erfassen. Landläufig würde man vielleicht sagen: wenn die Zeit reif ist.
It used to be said that magic was what we had before science was properly organized. It now seems that magic is where science is actually heading.
— Peter J. Carroll In: „Psychonaut“, Kapitel: „Introduction“
Das lasse ich mal so stehen. Und ich schließe diesen Post mit einem Zitat, dass mir (völlig anonymisiert) letzte Woche ein:e Patient:in mit in die Sitzung gebracht hat. Zufall??!. Es passt einfach so gut hier her:
Next, we consider the science of psychology. Incidentally, psychoanalysis is not a science: it is at best a medical process, and perhaps even more like witch-doctoring. It has a theory as to what causes disease—lots of different “spirits,” etc. The witch doctor has a theory that a disease like malaria is caused by a spirit which comes into the air; it is not cured by shaking a snake over it, but quinine does help malaria. So, if you are sick, I would advise that you go to the witch doctor because he is the man in the tribe who knows the most about the disease; on the other hand, his knowledge is not science.
— The Feynman Lectures on Physics (1963) > Vol I: The Relation of Physics to Other Sciences > 3-6 Psychology
Abschließend ein paar Gedanken zum Titelbild für diese Episode. Im Titel sollte „Chaosmagie“ vorkommen, so viel war klar, aber — wie in der Episode deutlich wird — sind wir keine Magier. Wir schauen von außen auf die magische Praxis, die in dieser Episode einen zentralen Platz hat und gleichzeitig aber nur ein Teil der Geschichte ist. Um das Coverbild zu erstellen, haben wir die KI bemüht und uns in den Vorgaben an dem Look & Feel anderer Bilder im Podcast-Universum orientiert, die sich mit Chaosmagie beschäftigen, bzw. in denen Menschen sprechen, die Chaosmagie praktizieren oder praktiziert haben. Die Chaosmagie ist nicht nur für Magier, sondern wird auch von Hexen und anderen praktiziert, weshalb wir den Menschen, der auf dem Titelbild abgebildet ist in Diversität auch androgyn gestalten wollten.








