Eigentlich Podcast

Micz & Flo
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Apr 24, 2025 • 54min

EGL076 Abide with Me: Entstehung, Bedeutung und Vermächtnis von H. F. Lytes bekanntester Hymne

In Erinnerung an C.W. In dieser Episode befassen wir uns mit dem schottisch-irischen anglikanischen Geistlichen, Dichter und Hymnenschreiber Henry Francis Lyte (1793–1847). Micz hat dieses Thema gewählt, weil er für die Beerdigung einer Kollegin und guten Freundin mit anderen „Abide with Me“ singt und einstudiert. (Ab ca. Minute 39 singt Micz die erste Strophe von „Abide with Me“ und interpretiert Text und Melodie.) Wir arbeiten uns anfangs durch viele Daten, Fakten und Zitate zum Leben, Glauben und Schaffen von Lyte. Dass Micz mit dieser Fülle an Fakten seine Emotionen der Trauer und Melancholie verdrängt, entdeckt Flo – der alte Psychotherapeut – bevor Micz draufkommt (ca. Minute 34, den Abwehrmechanismus könnten wir als Intellektualisierung oder Sublimierung benennen). Henry Francis Lyte wurde besonders bekannt durch seine Hymne „Abide with Me“, die er kurz vor seinem Tod 1847 verfasste. Lytes Kindheit war von familiären Umbrüchen und frühen Trennungen überschattet. Nach der Trennung seiner Eltern verließen diese ihn, und er lebte ab dem neunten Lebensjahr als Waise. Bereits in jungen Jahren begann Lyte, Gedichte zu schreiben, und zeigte außergewöhnliche sprachliche und geistige Begabung. Nach seinem Theologiestudium in Dublin und Cambridge trat Lyte in den kirchlichen Dienst ein und wirkte in mehreren Gemeinden, zuletzt über zwei Jahrzehnte lang in Brixham, Devon. Ein prägendes spirituelles Erlebnis am Sterbebett eines Mitbruders führte zu einer Vertiefung seines Glaubens und prägte seine spätere Theologie. Gesundheitlich war Lyte seit jungen Jahren angeschlagen. Seine Tuberkulose zwang ihn immer wieder zu Aufenthalten in wärmerem Klima – unter anderem in Südfrankreich und Italien. Er starb 1847 in Nizza, zuvor hatte er die letzte Version und Anmerkungen zu „Abide with Me“ nach England geschickt. Die Hymne vereint Lytes persönliche Glaubensgewissheit mit dem Wunsch göttlicher Nähe im Angesicht des Todes. Die Hymne wurde überkonfessionell bekannt, bei königlichen und staatlichen Trauerfeiern sowie Sportveranstaltungen gesungen und gehört bis heute zu den meistgeschätzten Kirchenliedern im englischsprachigen Raum. Schließlich finden wir noch zwei popkulturelle Referenzen, die von Lyte inspiriert scheinen: „Help“ von den Beatles und „Hey Hey, My My (Into the Black)“ von Neil Young. Shownotes Links zur Laufstrecke EGL076 | Wanderung | Komoot Lausitzer Platz Emmaus-Ölberg-Gemeinde Kirche Lausitzer Platz Emmaus-Ölberg-Gemeinde Kirche: Herr bleibe bei uns denn es will abend werden Drohnenflug Video um die und in der Kirche (Warnung: > 300MB) Video 5 Min. über die Gemeinde auf WELT von 2019 Henry Francis Lyte, 1793-1847 The poetical works of the Rev. H. F. Lyte von John Appleyard 1907 "Henry Francis Lyte (1793-1847) - his life and times" by Evelyne Miller Henry Francis Lyte im Dictionary of Ulster Biography Oxford Dictionary of National Biography, 2004 "Abide with Me" Informationen "Abide with me" auf Poets' Corner Illustriertes Buch mit Text "Abide with me" 1878 Remains of the late Rev. Henry Francis Lyte, M.A., incumbent of Lower Brixham, Devon ; with a prefatory memoir von 1850 "Hymn Story: Abide With Me" By Clayton Kraby Bibeltexte / Lukas 24 Lukas 24 in der Lutherbibel 1912 Übersetzungen Lukas 24,29 (Bleibe bei uns) "Better to burn out than to fade away" Zitat Kurt Cobain’s Suicide Note "Hey Hey, My My (Into the Black)" Neil Young mit Zitat Highlander Kurgan Church Scene - I Have Something To Say Andere Melodien der Hymne Dame Clara Butt - Abide with me (S. Liddle) 1922 or 1924 "Morecambe", Frederick C. Atkinson, 1870 "Penitentia", Edward Dearle, 1874 Noten: "Penitentia", Edward Dearle, 1874 "Woodlands", Walter Greatorex, 1916 Misc Drowning by Numbers Zauberberg Hörspiel Noten für Abide with Me (Sopran und Alt) in Eb-Dur als PDF Noten für Abide with Me (Tenor und Bass) in Eb-Dur als PDF Rev Henry Francis Lyte (1793-1847) - Find a Grave Memorial Mitwirkende Micz Flor Instagram Twitter YouTube (Channel) Website Florian Clauß Bluesky Mastodon Soundcloud Website Verwandte Episoden EGL081 28 Years Later – Heart of Kindness: Eine Befreiung aus der deterministischen Apokalypse Wir beginnen unsere Tour am Lausitzer Platz, direkt vor der Kirche der Emmaus-Ölberg-Gemeinde. Über dem Eingang entdecken wir die Inschrift: „Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend werden.“ Sie lehnt sich an eine Stelle aus dem Lukasevangelium an – Kapitel 24, Vers 29 –, in der zwei Jünger den auferstandenen Jesus bitten, bei ihnen zu bleiben, weil der Tag sich dem Ende neigt. In der englischen King James Version lautet der Satz: „Abide with us: for it is toward evening, and the day is far spent.“ Diese Worte sind nicht nur Teil einer biblischen Erzählung, sondern auch die direkte Inspiration für das bekannte Kirchenlied „Abide with Me“, das wir in dieser Episode besprechen. Der original Notensatz der Melodie von Henry Francis Lyte aus dem Jahr 1847 zu seiner Hymne „Abide with Me“. Quelle: Henry Francis Lyte (1793-1847) – his life and times“ by Evelyne Miller Die frühe Familiengeschichte von Henry Francis Lyte ist von Verlusten und dem Gefühl des Verlassenseins geprägt. Schon in jungen Jahren musste Lyte erleben, wie sich seine Eltern trennten und aus seinem Leben verschwanden. Auch seine Geschwister verlor er aus den Augen: Der eine ging vermutlich mit dem Vater fort, der andere starb gemeinsam mit der Mutter in England, ohne dass Henry je erfuhr, was mit ihnen geschehen war. Zurück blieb ein neunjähriger Junge – allein, ohne finanzielle Mittel, ohne Familie. „(…) he abandoned his family and went to live in Jersey. Henry’s brother, Thomas, may have gone with him, or, he may have stayed at school in Enniskillen. Either way, there is no record of him from this point on. Anna Maria and her son George went back to England where, after a short time, both died and Henry never knew what had happened to them. He found himself, at the age of nine, alone and without any means of support.“ „Henry Francis Lyte (1793-1847) – his life and times“ von Eveline Miller Eine zweite, prägende Stelle in Lytes Biographie, betrifft eine spirituelle Erfahrung etwa um 1816 oder 1817 – also zu Beginn seiner geistlichen Laufbahn. Lyte pflegte eine enge Freundschaft mit einem schwer kranken Mitgeistlichen oder Bekannten, der im Sterben lag. Der Name dieses Mannes wird in vielen Quellen nicht überliefert; mal wird er als „dying clergyman“, mal als „friend in ministry“ bezeichnet. Das Oxford Dictionary of National Biography benennt diese Person als „Abraham Swanne“., Doch entscheidend ist nicht der Name, sondern die Wirkung, die diese Begegnung auf Lyte hatte: Am Sterbebett dieses Freundes durchlebte er eine spirituelle Erschütterung, die sein ganzes Denken veränderte. Er selbst schrieb später, dass sich ihm in diesem Moment die Bedeutung von Jesu Leiden und Auferstehung zum ersten Mal wirklich erschlossen habe. Er habe, so unterschiedliche Quellen, danach begonnen auch intensiver zu predigen und sich mehr mit Erlösungstheologie auseinanderzusetzen. „It was while at Marazion that Lyte underwent a spiritual experience at the deathbed of a neighbouring clergyman, Abraham Swanne. Lyte claimed that this encounter altered his whole view of life: he emerged with a deeper faith, and preached with a new vitality.“Oxford Dictionary of National Biography, 2004 Download Noten als PDF Download der Noten mit der mehrstimmigen Melodie von William Henry Monk (1861): Noten für Abide with Me (Sopran und Alt) in Eb-Dur als PDF Noten für Abide with Me (Tenor und Bass) in Eb-Dur als PDF Beginnend in der Zeit nach der Sterbebegleitung 1816/17 und bis zu seinem Tod 1847 litt Henry Francis Lyte an einer chronischen Lungenerkrankung, vermutlich Tuberkulose – jener Krankheit, an der 1921 auch John Keats gestorben ist, Autor des unvollendeten Gedichts Hyperion (siehe auch unsere gleichnamige Folge über Dan Simmons‘ Roman „Hyperion“). Trotz seiner schweren gesundheitlichen Beeinträchtigung blieb Lyte seiner Berufung treu: Er predigte weiterhin regelmäßig und war seelsorgerlich tätig. Auf ärztlichen Rat, zur Erholung ein milderes Klima aufzusuchen, unternahm er regelmäßig Reisen nach Europa, insbesondere in die Schweiz und an die südfranzösische Küste, in der Hoffnung. Den Sommer 1847 verbrachte Lyte in Berry Head, wo er – geschwächt und inspiriert – sein bekanntestes Kirchenlied Abide with Me schrieb. Am 1. Oktober 1847 verließ er England erneut Richtung Süden. Bevor er abreiste, ließ er eine Kopie von Text und Musik bei seiner Tochter zurück, nahm jedoch das Original zur weiteren Überarbeitung mit sich. Aus Avignon schickte er schließlich das fertige Manuskript heimwärts – wohl wissend, dass er höchstwahrscheinlich nie mehr heimkehren würde. Als er Nizza erreichte, verschlechterte sich sein Zustand drastisch. Am 20. November 1847 starb Henry Francis Lyte im Alter von 54 Jahren im Hôtel de Angleterre. In seinen letzten Stunden war Reverend Manning, der spätere Erzbischof von Westminster, an seiner Seite, der zufälligerweise im gleichen Hotel wohnte. Zwei Tage später wurde Lyte auf dem englischen Friedhof der Holy Trinity Church in Nizza beigesetzt. „A volume of Remains, consisting of poems, sermons, and letters, was published in 1850. It included Abide with me, which was first sung (to his own tune) at his memorial service in Brixham in 1847.“The Dictionary of Ulster Biography Pop-Kultur In der Episode versucht Micz rauszuarbeiten, dass „Abide with Me“ mit dem prägnant dissonanten „Help“ vielleicht Inspiration für „Help!“ von den Beatles gewesen ist. Zweifelsohne eine steile These, aber verbindet beide Lieder doch die tiefe, existenzielle Sehnsucht nach Beistand in Zeiten innerer Not. Während Lytes Kirchenlied Gott als verlässliche Zuflucht im Angesicht von Krankheit und Tod anruft, artikuliert John Lennon in „Help!“ ein persönliches, fast verzweifeltes Rufen nach Halt und Orientierung in einer sich verändernden Welt. Beide Werke spiegeln den Wunsch nach Trost und eine Rückbesinnung auf etwas Größeres wider, wenn das eigene Ich ins Wanken gerät. Als zweite gewagte Inspiration für die Pop-Kultur zaubert Micz das Zitat von Lyte aus dem Hut: „Better to wear out than to rust out“. Übersetzt in das 20te Jahrhundert liest es sich wie Neil Youngs Zeile „It’s better to burn out than to fade away“ aus ‘Hey Hey, My My (Into The Black)’, die später Kurt Cobain in seinem Abschiedsbrief zitierte. So hat es Lyte über Umwege wieder in die Kirche geschafft, denn in der ikonischen Kirchenszene aus „Highlander“ ruft „the“ Kurgan der Gemeinde zu: „I’ve got something to say: It’s better to burn out than to fade away“. Was Flo von diesen steilen Thesen hält? Listen and learn.
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Apr 10, 2025 • 1h 1min

EGL075 Verbreitung der Gemeinwohl-Methode

Gemeinsam gestalten wir Wandel Wieder eine Gast-Folge von Eigentlich-Podcast: Flo hat Rolf Behringer getroffen, Geschäftsführer des Vereins Solare Zukunft. Wir haben die Episode Anfang des Jahres aufgenommen und waren noch zum einen in euphorischer Stimmung direkt nach dem 38c3 zum anderen im Ungewissen, was da uns das Jahr bescheren wird. Wir sind uns aber einig, dass wir eine gesellschaftliche Resilienz aufbauen müssen, um demokratische Strukturen zu stärken. Hierfür setzt Rolf in seiner Projekt-Tätigkeit die Gemeinwohl-Methode ein. Rolf erläutert, wie diese Methode darauf abzielt, den Austausch und die Zusammenarbeit in der Zivilgesellschaft zu fördern. Dabei wird unter anderem die Auswahl zufälliger Bürgerinnen und Bürger strategisch eingesetzt, um repräsentative Ergebnisse zu erzielen und eine breitere Akzeptanz der Entscheidungen zu erreichen. Wir sprechen über die Herausforderungen, die es in der Gesellschaft gibt, wenn es um Klimawandel und Energiewende geht, und wie wichtig es ist, unterschiedliche Perspektiven einzubeziehen, um die Akzeptanz zu steigern. Wir sind diesmal wieder in Kreuzberg unterwegs und trauen uns im Dunkeln in den Görlitzer Park, obwohl selbst Rolf als Freiburger weiß, dass dies ein NoGo-Area ist. Shownotes Links zur Laufstrecke EGL075 | Wanderung | Komoot Görlitzer Park – Wikipedia Links zur Episode Energiebildung ganz praktisch! - Solare Zukunft Webseite Kochen mit der Sonne - ökobuch Verlag GmbH Solarkocher – Wikipedia Balkon-Photovoltaik-Anlagen - ökobuch Verlag GmbH Balkonkraftwerk – Wikipedia Solarmodul – Wikipedia FahrradKino / FahrradDsico - Solare Zukunft Webseite Energie – Wikipedia Wattstunde – Wikipedia Energiewende – Wikipedia Gemeinwohl – Wikipedia Die Gemeinwohl-Methode als PDF (Download) Bürger*innen-Gutachten mit Planungszelle - Vortrag von Wolfgang Scheffler BGP Klimaratschule Meeting Democracy Auf einen Blick – Meeting Democracy Mitwirkende Rolf Behringer (Erzähler) Solare Zukunft Florian Clauß Bluesky Mastodon Soundcloud Website Demokratische Resilienz für den Klimaschutz: Die Gemeinwohl-Methode als Werkzeug für nachhaltige Veränderung Rolf Behringer und das Fahrradkino: Erneuerbare Energie erlebbar machen In einer Zeit, in der der Klimawandel immer spürbarer wird und lokale Lösungsansätze zunehmend an Bedeutung gewinnen, setzt sich Rolf Behringer mit innovativen Konzepten für einen nachhaltigen Gesellschaftswandel ein. Als treibende Kraft hinter dem Verein „Solare Zukunft e.V.“ hat er es sich zur Aufgabe gemacht, regenerative Energien und nachhaltige Lebensweisen in der Region zu fördern und gleichzeitig demokratische Prozesse zu stärken. Rolf, der ursprünglich aus dem Bereich der erneuerbaren Energien kommt, erkannte früh, dass technologische Lösungen allein nicht ausreichen, um den Herausforderungen des Klimawandels zu begegnen. Vielmehr braucht es ein Umdenken in der Gesellschaft und neue Formen der Beteiligung, um wirklich nachhaltige Veränderungen zu bewirken. Mit seinem Verein „Solare Zukunft“ hat er in den vergangenen Jahren zahlreiche Projekte ins Leben gerufen, die sowohl das Bewusstsein für Klimaschutz schärfen als auch konkrete Handlungsoptionen aufzeigen. Die Bandbreite reicht von Solarprojekten über Energieberatungen bis hin zu Umweltbildungsmaßnahmen, die besonders Kinder und Jugendliche ansprechen. Eines der kreativsten und gleichzeitig symbolträchtigsten Projekte ist das sogenannte „Fahrradkino“, das Behringer mit seinem Team entwickelt hat. Das Konzept ist ebenso einfach wie wirkungsvoll: Mehrere Fahrräder werden mit Generatoren ausgestattet und so miteinander verbunden, dass die durch das Treten erzeugte Energie gesammelt und für den Betrieb eines Filmprojektors genutzt werden kann. Die Zuschauer:innen produzieren also selbst den Strom, den sie für ihre Unterhaltung benötigen. Während der Filmvorführungen wechseln sich die Teilnehmenden auf den Fahrrädern ab, wodurch ein Gemeinschaftserlebnis entsteht, das weit über das passive Konsumieren von Filmen hinausgeht. „Es geht darum, Energie erfahrbar zu machen“, erklärt Behringer in seinen Vorträgen. „Die Menschen spüren am eigenen Körper, wie viel Kraft es braucht, um Strom zu erzeugen, und entwickeln dadurch ein ganz anderes Verhältnis zu ihrem Energieverbrauch.“ Das Fahrradkino kommt bei Schulveranstaltungen, Stadtfesten und Umweltaktionstagen zum Einsatz und verbindet auf spielerische Weise die Themen Energieerzeugung, körperliche Aktivität und Gemeinschaftssinn. Die Gemeinwohl-Methode: Ein Werkzeug für demokratische Resilienz Doch wie können wir als Gesellschaft insgesamt mehr Demokratie leben und eine demokratische Resilienz aufbauen, die uns hilft, den vielfältigen Krisen unserer Zeit zu begegnen? Mit dieser Frage beschäftigt sich Rolf schon lange und ist vor einiger Zeit auf die sogenannte Gemeinwohl-Methode gekommen, um demokratische Strukturen in der Gesellschaft zu stärken. In einer Zeit, in der Demokratien weltweit unter Druck stehen und polarisierende Kräfte zunehmen, braucht es neue Ansätze, um gemeinsame Lösungen für komplexe Probleme zu finden. Die demokratische Resilienz einer Gesellschaft zeigt sich nicht nur in stabilen Institutionen, sondern vor allem in der Fähigkeit, konstruktiv mit Konflikten umzugehen und trotz unterschiedlicher Interessen zu gemeinwohlorientierten Entscheidungen zu gelangen. Genau hier setzt die Gemeinwohl-Methode an, die Rolf in den letzten Jahren intensiv weiterentwickelt und in verschiedenen Kontexten erprobt hat. Die Gemeinwohl-Methode basiert auf dem Prinzip der deliberativen Demokratie und stellt einen strukturierten Prozess dar, bei dem eine zufällig ausgewählte, repräsentative Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern zu einem bestimmten Thema berät und Empfehlungen erarbeitet. Anders als bei herkömmlichen Beteiligungsverfahren steht dabei nicht die lauteste Stimme im Vordergrund, sondern die kollektive Weisheit einer vielfältigen Gruppe. Der Prozess beginnt mit der Auswahl der Teilnehmenden, wobei auf eine möglichst gute Abbildung der Bevölkerung nach Kriterien wie Alter, Geschlecht, Bildungsstand und kulturellem Hintergrund geachtet wird. In einem nächsten Schritt werden die Teilnehmenden umfassend über das zu behandelnde Thema informiert, wobei verschiedene Expertenmeinungen zu Wort kommen und unterschiedliche Perspektiven beleuchtet werden. Anschließend folgt eine intensive und kurze Beratungsphase, in der die Gruppe in moderierten Kleingruppen und im Plenum diskutiert, Argumente abwägt, priortisiert und clustert und schließlich zu gemeinsamen Empfehlungen gelangt. Diese Empfehlungen werden dokumentiert und an die zuständigen Entscheidungsträger weitergeleitet, wobei eine transparente Rückmeldung über den Umgang mit den Vorschlägen ein wichtiger Bestandteil des Prozesses ist. Die Stärke der Gemeinwohl-Methode liegt in ihrer Fähigkeit, die Kluft zwischen Bürgerschaft und politischen Entscheidungsträgern zu überbrücken und komplexe Themen aus der Perspektive des Gemeinwohls zu betrachten. Durch den intensiven Austausch und die gemeinsame Erarbeitung von Lösungen entstehen oftmals innovative Ansätze, die in herkömmlichen politischen Prozessen übersehen werden. Zudem fördert die Methode das gegenseitige Verständnis und die Wertschätzung unterschiedlicher Perspektiven, was in Zeiten zunehmender gesellschaftlicher Polarisierung von unschätzbarem Wert ist. „Es geht nicht darum, dass alle einer Meinung sind“, betont Behringer, „sondern darum, dass alle gehört werden und gemeinsam nach Lösungen suchen, die das Wohl aller im Blick haben.“ Die Gemeinwohl-Methode stärkt somit nicht nur die demokratische Kultur, sondern trägt auch dazu bei, qualitativ hochwertige und breit akzeptierte Entscheidungen zu treffen – gerade bei kontroversen Themen wie dem Klimaschutz, wo unterschiedliche Interessen und Wertvorstellungen aufeinandertreffen. Klimarat Schule: Demokratie und Klimaschutz im Bildungssystem verankern Ein besonders gelungenes Beispiel für die Anwendung der Gemeinwohl-Methode ist der „Klimarat Schule“, den Rolf zusammen mit engagierten Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern an mehreren Schulen in der Region und darüber hinaus initiiert hat. Das Projekt greift die Grundprinzipien der Gemeinwohl-Methode auf und passt sie an den schulischen Kontext an. Für den Klimarat werden per Losverfahren Schülerinnen und Schüler verschiedener Jahrgangsstufen ausgewählt, ergänzt durch Vertreterinnen und Vertreter des Lehrerkollegiums. Ziel ist es, den CO2-Fußabdruck der Schule zu ermitteln und Maßnahmen zu erarbeiten, um diesen so gering wie möglich zu halten. Da sich die Schülerinnen und Schüler bereits intensiv mit den Themen auseinandergesetzt haben, können die Expert:innen aus der Schülerschaft kommen und Beiträge zu verschiedenen Handlungsoptionen liefern, z.B. von energetischen Sanierungsmaßnahmen über die Umstellung der Schulverpflegung bis hin zur klimafreundlichen Gestaltung des Schulwegs. In moderierten Workshops erarbeitet der Klimarat dann konkrete Vorschläge, wie die Schule klimafreundlicher gestaltet werden kann und welche Maßnahmen vorrangig umgesetzt werden sollten. Die Schülerinnen und Schüler erleben, dass sie selbst etwas bewirken können und dass demokratische Prozesse in kurzer Zeit zu greifbaren Ergebnissen führen. Diese Erfahrung stärkt nicht nur ihr Umweltbewusstsein, sondern auch ihr Vertrauen in demokratische Entscheidungsprozesse und ihre Fähigkeit zur aktiven Mitgestaltung. Die Erfolge an den Schulen sind teilweise beeindruckend. An einer Schule konnte beispeilsweise der Energieverbrauch innerhalb eines Jahres um 15 Prozent gesenkt werden, was nicht nur der Umwelt zugutekommt, sondern auch erhebliche Kosteneinsparungen mit sich bringt. Der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die mit dem Fahrrad zur Schule kommen, hat sich deutlich erhöht, nachdem der Klimarat die Installation zusätzlicher Fahrradständer und die Einrichtung sicherer Radwege initiiert hat. Besonders bemerkenswert ist die Veränderung in der Schulkultur: Klimaschutz ist nicht länger ein abstraktes Thema, das lediglich im Unterricht behandelt wird, sondern Teil des alltäglichen Schullebens. Die Schülerinnen und Schüler entwickeln ein Bewusstsein für ihren ökologischen Fußabdruck und setzen sich aktiv für eine nachhaltige Lebensweise ein – eine Haltung, die sie auch in ihr familiäres und soziales Umfeld tragen und so als Multiplikatoren wirken. Die Gemeinwohl-Methode, wie sie im Klimarat Schule praktiziert wird, hat das Potenzial, weit über den schulischen Kontext hinaus Wirkung zu entfalten. Sie bietet ein Modell für eine partizipative Demokratie, die auf Dialog, gegenseitigem Respekt und der gemeinsamen Suche nach Lösungen basiert. In einer Zeit, in der der Klimawandel eine der größten Herausforderungen für die Menschheit darstellt und gleichzeitig demokratische Strukturen unter Druck geraten, brauchen wir genau solche Ansätze, die das Gemeinwohl in den Mittelpunkt stellen und die kollektive Intelligenz einer vielfältigen Gesellschaft nutzen. Rolf Behringer und sein Verein „Solare Zukunft“ zeigen mit ihren Projekten, dass lokales Handeln einen Unterschied machen kann und dass die Transformation zu einer klimafreundlichen Gesellschaft Hand in Hand gehen muss mit der Stärkung demokratischer Prozesse. Das Fahrradkino als anschauliches Beispiel für nachhaltigen Energiekonsum, die Gemeinwohl-Methode als Werkzeug für demokratische Entscheidungsfindung und der Klimarat Schule als praktische Anwendung dieser Prinzipien – sie alle tragen dazu bei, eine Kultur der Nachhaltigkeit und der demokratischen Teilhabe zu fördern, die für die Bewältigung der Klimakrise unerlässlich ist.
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Mar 27, 2025 • 1h 1min

EGL074 Leon Theremin: Wie der russische Physiker elektronische Musik und Spionage-Technik revolutionierte

Thinker, Cellist, Soldier, Spy: Lev Termen Wir beginnen diese Episode im Synthesizer-Museum Berlin und verquatschen uns eine halbe Stunde mit den Veranstalter:innen. Unbedingt hingehen und ansehen! Dann geht’s auf die Straße. Eigentlich kennt jede:r das Theremin – ein Instrument, das man spielt, ohne es zu berühren. Dahinter steckt der Erfinder Lev Termen und seine Geschichte als musikalischer Physiker, Spion, verliebt in die USA und Gefangener in Russland. 1919 baute er das Theremin, 1925 entwickelte er Russlands erstes Fernsehgerät. In den späten 1920ern reiste er durch Europa und die USA, zeigte seine Erfindungen. In den USA lebte er 11 Jahre, ließ sich scheiden, heiratete erneut und erfand das erste elektronische Rhythmusinstrument, das Rhythmicon. Die Weltwirtschaftskrise traf ihn schwer, ebenso Patentklagen, Steuerhinterziehung und seine Unfähigkeit als Geschäftsmann. Das Theremin wurde von anderen Instrumenten verdrängt. 1938 ließ sich Termen durch den KGB aus den USA schmuggeln. Zurück in der Sowjetunion landete er im Gulag. In dieser Zeit arbeitete er als Verurteilter und Gefangener für den Geheimdienst. 1945 baute er ein passives Abhörgerät, versteckt in einer hölzernen Nachbildung des Siegels der Vereinigten Staaten. 1945 wurde es als Geschenk an den US-Botschafter überreicht und blieb bis 1952 unentdeckt. Später kam Termen frei, arbeitete am Konservatorium in Moskau. In den USA dachte man, er sei seit Jahrzehnten tot, bis er nach dem Mauerfall wieder auftauchte – auch, um seine große Liebe von 1938 zu finden. Shownotes Links zur Laufstrecke EGL074 | Wanderung | Komoot Links zur Episode Lev Termen aka Leon Theremin auf Wikipedia Die Wanze von Termen: Das Ding auf Wikipedia Leon Theremin: a Genius Inventor, a Spy, a Prisoner Erfindungen von Lev Termen Leon Theremin - is he the inventor of the television? Termenvox – das klassische Theremin (1919–1920) Alarmanlagen, die auf dem Theremineffekt beruhen (1920er Jahre) Terpsiton – Plattform, um Tanz in Töne umzuwandeln (1932) Theremincello – ein elektronisches Cello ohne Saiten (ca. 1930) Rhythmicon – eine Art früher Drumcomputer (1932) Leon Theremin’s Rhythmicon played by Andrei Smirnov | Loop Das Theremin (Videos) Leon Theremin plays "Deep Night" (1930) MUSIC: Professor Theremin of Leningrad demonstrates music making invention. The theremin - A short introduction to a unique instrument auf YouTube Ennio Morricone - The Ecstasy of Gold - Theremin & Voice Leon Theremin playing his own instrument SFUK 2023 - From Leon Theremin to Bob Moog Clara Rockmore: Virtuosin auf dem Theremin Carolina Eyck: Theremin professional, German-Sorbian musician and composer Hitchcock Film mit Theremin: Spellbound (1945) Synthesizermuseum am Kottbusser Tor Berlin Synthesizermuseum Home Page Endai Hüdl bei Cremant Ding Dong - Taut mich auf wenn's wieder geil ist Der Endai, der führt uns durch's Synthesizer Museum Berliner Synthesizer Museum: Klangmaschinen im zweiten Stock | taz Das Synthesizer Museum Berlin öffnet - KEYBOARDS Micz als 'getting up every morning' im West-Berlin am Kotti 2008 Mitwirkende Micz Flor Instagram Twitter YouTube (Channel) Website Florian Clauß Bluesky Mastodon Soundcloud Website Noch einmal möchten wir uns für die kongeniale Einleitung zum Theremin im Synthesizer Museum am Kotti bedanken. Und wie persönlich versprochen, lieber Endai, hier die Nachreichung über den Hitchcock Film, in dem das Instrument vorkommt. Es handelt sich um Alfred Hitchcocks Spellbound (1945), für den der Komponist Miklós Rózsa das Instrument einsetzte, um die psychologische Spannung und die inneren Konflikte der Protagonisten musikalisch zu untermalen. Das sirenenhafte Theremin-Motiv und der surreale Sound des Instruments verstärkt die Traumsequenzen des Films, der sich, so Wikipedia, als einer der ersten filmisch mit der Psychoanalyse auseinandersetzte. Thinker, Cellist, Soldier, Spy: Lev Termen Episodentitel müssen immer deskriptiv sein. Sonst findet sie keine Suchmaschine, sonst klickt niemand darauf. Deshalb habe ich meinen schöneren Titel ins Episodenbild gebrannt und hier als Zwischenüberschrift genommen. Lev Thermens Leben ist fast deckungsgleich mit dem 20ten Jahrhundert. Geboren 1896 in Sankt Petersburg, gestorben 1993 in Moskau und dazwischen auf der ganzen Welt als Pionier der Elektrotechnik und elektronischen Musik gefeiert, dann verschollen und schließlich in einer Männer WG in Moskau verstorben, war Leon Theremin ein Mann zwischen den Welten der Musik, der Wissenschaft und der Spionage-Technik. Geboren in eine Familie mit französischen und deutschen Wurzeln, zeigte er früh eine Begabung für beides: Er studierte Cello am Sankt Petersburger Konservatorium und Physik an der Universität seiner Heimatstadt. Als junger Forscher leitete er ab 1919 das physikalisch-technische Institut in Petrograd und arbeitete mit dem Moskauer Institut für Musikwissenschaften zusammen. In dieser Zeit, genauer gesagt 1919/20, erfand er das Theremin, zunächst noch „Ätherophon“ genannt. Zwei Jahre später präsentierte er es in Moskau – eine Premiere, die so viel Aufsehen erregte, dass er 1921 persönlich zu Lenin in den Kreml gebeten wurde. Theremins Erfindung war eine Sensation für die Musik, geboren jedoch aus seiner elektrotechnischen Wissenschaft. Das Prinzip seines Instruments beruhte auf der Erforschung von Messgeräten für Dichte und Distanzen. Diese sensiblen Geäte, basierend auf Kondensator und Schwingrkreistechnik, reagierten äußerst sensibel auf Veränderungen im Feld, also der näheren Umgebung. Thermen musste dort also die Technik so verfeinern, dass seine Anwesenheit nicht die Messung verfälschte. Im Theremin machte er das Gegenteil: die Veränderung des Feldes durch Nähe und Bewegung bewirkten Tonhöhe, Vibrato und Lautstärke des Instruments. Mit seiner „Geistermusik“ traf er den okkulten Nerv der 1920er Jahre und „verzauberte“ bald die ganze Welt. 1927 begann er eine internationale Tournee, die ihn ein Jahr später nach New York führte – eine Stadt, die er zu seinem neuen Zuhause machte. Dort arbeitete er eng mit der Musikerin Clara Rockmore zusammen, die das Theremin mit ihren virtuosen Darbietungen und technischen Anregungen weiterentwickelte. Das Instrument wurde in den USA patentiert, RCA übernahm die Produktion, und Leon (oder Leo, wie er sich nun nannte) Theremin baute sich eine neue Existenz auf. In seinem futuristischen Studio beeindruckte er die New Yorker High Society mit technischen Spielereien, während das Theremin parallel zum experimentellen Konzertinstrument avancierte. Dort sorgte es in einem Fall für körperliche Übelkeit des Publikums, durch die wuchtigen, tiefen Frequenzen, die kein akustisches Instrument in der Intensität herstellen konnte. Durch die Weltwirtschaftskrise gebeutelt, seine eigene betriebswirtschafliche Unfähigkeit benachteiligt und eine Patentklage gehindert, sah sich Theremin gezwungen das Land zu verlassen. Inzwischen hatte er sich scheiden lassen und war mit Lavinia Williams verheiratet, die er nach 1938 nicht mehr wiedersehen würde. In diesem Jahr verschwand Leon Theremin aus New York unter mysteriösen Umständen, angeblich mit Hilfe des KGB. Zurück in der Sowjetunion wurde er verhaftet, offiziell wegen „antisowjetischer Propaganda“, und zu zehn Jahren Arbeitslager verurteilt. Zunächst verschlug es ihn in den Gulag nach Sibirien, doch schon bald fand er sich an einem anderen, ebenso geheimen Ort wieder: einer Moskauer Akademie für gefangene Wissenschaftler. Statt Musik zu machen, entwickelte er nun Flugzeugtechnik – später, nach der Auflösung der Akademie, wandte er sich der Spionage zu. Seine Erfindung „Das Ding“, eine raffinierte Wanze, die in der Dienstwohnung des US-Botschafters George F. Kennan installiert wurde, bescherte ihm 1952 den Stalinpreis Erster Klasse. Das Gefängnis durfte er nun verlassen, entschied sich jedoch, vorerst in vertrauter Umgebung weiterzuarbeiten – für den sowjetischen Geheimdienst, der seine außergewöhnlichen technischen Fähigkeiten weiterhin zu schätzen wusste. 1964 tauchte Leon Theremin plötzlich wieder auf – ein Mann, den niemand mehr kannte. Innerhalb wie außerhalb der Sowjetunion war sein Name in Vergessenheit geraten, seine Geschichte ausgelöscht. Der KGB hatte ihm all seine Titel und Auszeichnungen aberkannt, alle Dokumente vernichtet. Selbst das physikalische Institut in Sankt Petersburg, an dem er einst seine bahnbrechende Erfindung gemacht hatte, behauptete noch in den 1990ern, nie von ihm gehört zu haben. Doch Theremin begann, sich sein Terrain zurückzuerobern. Er wurde Direktor der Abteilung für akustische Forschung am Moskauer Konservatorium, später wechselte er an die Physikalische Fakultät der Universität. Mitte der 60er-Jahre arbeitete er wieder mit Ingenieuren und Musikern im Studio für elektronische Musik des Skrjabin-Museums – ein Neubeginn nach Jahrzehnten im Schatten. Parallel dazu widmete sich Theremin erneut seinen Erfindungen. Am Moskauer Konservatorium entwickelte er weiterführende Varianten seines berühmten Instruments, experimentierte mit neuen Klängen und Technologien. Nebenbei entstanden mehrere Terpsitone – eine tanzgesteuerte Variante des Theremins – sowie ein elektronisches Cello. Er, der einst mit bloßen Händen Musik formte, versuchte sich wieder Gehör zu verschaffen. Doch die Welt hatte sich weitergedreht. Aus westlicher Sicht seiner Kolleg:innen und Vertrauten, galt er lange Zeit als längst verstorben – ein Phantom, das 1938 spurlos verschwand. Erst in den 1990er Jahren rückte er wieder ins Licht der Öffentlichkeit. 1990, kurz vor dem Zerfall der Sowjetunion, trat er in die KPdSU ein – ein Antrag, der ihm zuvor aus wechselnden Gründen verwehrt worden war. Nun aber wurde er international gewürdigt, reiste zu Ehrungen und Vorführungen seines legendären Instruments. Am 3. November 1993 starb er in Moskau im Alter von 97 Jahren – der „sowjetische Faust“, wie ihn Biograf Bulat Galejew nannte, ein Mann zwischen Wissenschaft und Magie, dessen Erbe noch immer in der Luft liegt.
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Mar 13, 2025 • 1h 21min

EGL073 Chinesische Filme auf der Berlinale 2025: Living the Land, The Botanist und Girls on Wire

Familie, Wandel und Verletzlichkeit: Die leisen Stimmen im chinesischen Arthouse-Kino. Februar ist Berlinale Zeit und Micz hat schon letzte Episode mit dem "Rocker"-Review vorgelegt. Jetzt zieht Flo nach und setzt seine vor zwei Jahren begonnene Reihe zu chinesischen Filmen auf der Berlinale fort. Dieses Jahr hat er sich "Living the land" und "Girls on wire" im Wettbewerb und "The Botanist" in der Sektion Generation angeschaut. Wir steigen gleich mit der fundamentalen Frage ein, inwieweit chinesische Filmemacher:innen unter den Bedingungen eines autokratischen Systems kritische Inhalte transportieren können. Wir wollen anhand dieser Filme untersuchen, ob, wie Micz am Anfang in den Raum stellt, westliche Rezensierende versuchen, Kritik zu finden, wenn Filme in autokratischen Systemen entstehen, die auch Zensur betreiben. Flo sieht in den übergreifenden Themen der Filme durchaus Themen, die auch in China kritisiert werden. Und damit auch eine erlaubte Kritik formulieren, die die chinesische Gesellschaft beschäftigt. In den Filmen "Living the Land" und "The Botanist" stehen Kinder im Mittelpunkt der Erzählung, die bei der Großmutter aufwachsen, weil ihre Eltern als Wanderarbeiter:innen die meiste Zeit abwesend sind. Wanderarbeiter:innen stellen in China die größte Binnenmigration der Welt dar. Viele Kinder wachsen bei Verwandten auf oder werden allein gelassen, weil ihre Eltern sie nicht mitnehmen können. Das von Mao Zedong eingeführte Meldesystem "Hukou" untersagt es chinesischen Bürger:innen, in einem anderen Teil des Landes Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen, als dort, wo man gemeldet ist. Da die Wanderarbeiter:innen nicht an einem festen Ort bleiben, können sie ihre Kinder nicht mitnehmen, da diese sonst keine Schulausbildung erhalten würden. Allen drei Filmen ist gemeinsam, dass die Familie als Ort der Identität und der Verletzlichkeit erfahren wird. Trotz des immensen Fortschritts in China ist die Familie nach wie vor ein starkes Band, das gerade auf dem Land die Perspektiven der nachwachsenden Generation maßgeblich bestimmt. Besonders deutlich wird dies in dem Film "Girls on Wire", den Micz und Flo gemeinsam gesehen haben. Der Film erzählt die düstere Geschichte zweier Cousinen, die zwischen Drogen, Familie und Filmindustrie gefangen sind. Die Figuren sind stark und verletzlich zugleich. Die Stellung der Frau in der chinesischen Gesellschaft, die Armut der Landbevölkerung, die Folgen der Ein-Kind-Politik, die zerrütteten Familienverhältnisse der Wanderarbeiter - diese Themen werden in der kleinen Auswahl chinesischer Filme auf der Berlinale angesprochen. Flo betont, dass diese Filme auch in China zum Arthouse-Genre gehören und nicht von einem chinesischen Massenpublikum gesehen werden. Obwohl diese Filme nur ein kleines Publikum erreichen, bieten sie uns einen wertvollen Einblick in die chinesische Gesellschaft. Shownotes Lauftrack EGL073 | Wanderung | Komoot Links zur Episode Großer Bunkerberg – Wikipedia | Berlinale | - Sheng xi zhi di | Living the Land Living the Land – Wikipedia Internationale Filmfestspiele Berlin 2025 – Wikipedia Living the Land im Berlinale-Wettbewerb: fokussiertes Mehrgenerationenporträt aus China | rbb24 „Living the Land“ von Huo Meng: Vor der großen Landflucht | taz.de Jeff Wall – Wikipedia Die durch die Hölle gehen – Wikipedia Ein-Kind-Politik – Wikipedia Mao Zedong – Wikipedia Großer Sprung nach vorn – Wikipedia Große Chinesische Hungersnot – Wikipedia Art College 1994 – Wikipedia Mingong – Wikipedia Hukou – Wikipedia Shenzhen – Wikipedia Chongqing – Wikipedia Binnenmigration in China: Kann die städtische Integration gelingen? | China | bpb.de Tian’anmen-Massaker – Wikipedia Deepseek | Berlinale | - Zhi Wu Xue Jia | The Botanist | Der Botaniker Westchina – Wikipedia Han (Ethnie) – Wikipedia Ne Zha 2 – Wikipedia Schillerpromenade – Wikipedia Vivian Qu – Wikipedia Feuerwerk am helllichten Tage – Wikipedia Diao Yinan – Wikipedia Oriental Movie Metropolis - Wikipedia Mitwirkende Florian Clauß (Erzähler) Bluesky Mastodon Soundcloud Website Micz Flor Instagram Twitter YouTube (Channel) Website Verwandte Episoden EGL022 Chinesische Filme auf der Berlinale 2023: The Shadowless Tower, Tomorrow Is a Long Time und Art Collage 1994 Subtile Kritik im Schatten der Zensur: Neue Stimmen des chinesischen Kinos Die Berlinale 2024 bot einen aufschlussreichen Einblick, wie chinesische Filmemacher:innen unter den Bedingungen staatlicher Kontrolle arbeiten. In einem System, das selbst die Äußerungen seiner Bürger:innen im Ausland überwacht, haben sich raffinierte Wege der indirekten Kritik entwickelt. Statt frontaler Systemkritik nutzen Künstler:innen gesellschaftlich akzeptierte Diskurse: Die Umweltbewegung findet Gehör, der Stadt-Land-Konflikt wird offen diskutiert, und auch die Folgen der mittlerweile gelockerten Ein-Kind-Politik – eine alternde Gesellschaft und der demographische Männerüberschuss auf dem Land – können thematisiert werden. Besonders das Schicksal der Wanderarbeiter:innen und ihrer zurückgelassenen Kinder zieht sich wie ein roter Faden durch das aktuelle chinesische Kino. Die dadurch entstehenden familiären Zerrüttungen, bei denen Kinder ihre Eltern kaum kennen oder ganz allein aufwachsen müssen, spiegeln sich in zwei der drei vorgestellten Filme wider. „Living the Land“ – Ein Meisterwerk des neuen chinesischen Kinos Huo Mengs mit dem Silbernen Bären ausgezeichnetes Gesellschaftsporträt spielt 1991 in einem chinesischen Dorf, zu einer Zeit, als China am Beginn seines wirtschaftlichen Aufstiegs stand. Der Film folgt dem 10-jährigen Chuang durch ein Jahr voller Umbrüche. Seine Eltern arbeiten in der Boom-Stadt Shenzhen, während er bei Verwandten lebt – eine Konstellation, die heute Millionen chinesischer Kinder betrifft. Zwischen Tradition und Moderne Die Geschichte beginnt symbolträchtig mit der Umbettung eines hingerichteten Vorfahren und entwickelt sich entlang der vier Jahreszeiten. In präzise komponierten Bildern, die an impressionistische Gemälde erinnern, entfaltet sich ein komplexes Familiengeflecht: Die junge Tante Xiuying, deren ungewollte Schwangerschaft in eine Zwangsheirat mündet, der geistig behinderte Cousin Jihua und die Urgroßmutter als traditionelles Familienoberhaupt. Der Film besticht durch seine authentische Darstellung des Landlebens. In langen, ungeschnittenen Einstellungen dokumentiert er die Weizenernte, Familienfeste und den verzweifelten Versuch der Modernisierung durch den Kauf eines Traktors. Die erdige Farbpalette und die distanzierte Kameraführung unterstreichen den dokumentarischen Charakter. Gesellschaftlicher Wendepunkt Wie der Regisseur auf der Berlinale-Pressekonferenz betonte, geht es ihm um die Verknüpfung des massiven Wandels mit intimen Momenten. Der Film zeigt den Zusammenprall zwischen technischem Fortschritt und tausendjähriger Agrartradition. Besonders beeindruckt die Darstellung der Frauenrollen, deren Resilienz und harte Arbeit das Überleben der Familie sichern. Symbolische Tiefe und visuelle Kraft Die Farbkodierung des Films arbeitet gezielt mit Weiß für Tod und Begräbnisse sowie Rot für Blut und Hochzeiten. Besonders eindrücklich sind die Szenen, in denen diese Symbolik zusammenfließt – etwa wenn Blut im Wasser zu sehen ist. Der Film entwickelt dabei eine fast physische Präsenz: Man meint, die kühle Herbstluft zu spüren, wenn Feuerwerk gezündet wird oder Holz verbrennt. Das abrupte Ende mit dem im Matsch festgefahrenen Traktor wird zum vieldeutigen Symbol für eine Gesellschaft im Umbruch. Der Film schließt damit einen Bogen, der mit der Ausgrabung des hingerichteten Urgroßvaters begann und über surreale Momente – wie nach dem Tod des geistig behinderten Sohnes – bis zur Andeutung der kommenden Landflucht führt. „The Botanist“ – Poetische Annäherung an eine verschwindende Welt Das Regiedebüt von Jing Yi verlegt seine Geschichte in das Xinjiang-Tal und erzählt von der ungewöhnlichen Freundschaft zwischen dem kasachischen Jungen Arsin und dem han-chinesischen Mädchen Meiyu. Wie in „Living the Land“ steht auch hier ein Kind von Wanderarbeitern im Zentrum, das bei seiner Großmutter aufwächst. Zwischen Realität und Poesie Die Geschichte wird als Erinnerung von Arsins Onkel Bek erzählt, der nach Unruhen aus Beijing aufs Land flüchten musste. Der Film entwickelt eine traumähnliche Erzählweise, in der surreale Elemente wie ein Pferde-Poet die realistische Handlung durchbrechen. Die Sprachbarriere zwischen den Hauptfiguren wird durch gemeinsames Spielen und Erkunden überwunden. Kritische Stimmen Während die Bildgestaltung und die Dokumentation der unterrepräsentierten kasachischen Kultur gelobt werden, kritisieren viele Stimmen die fehlende narrative Struktur. Anders als seinem großen Vorbild Bi Gan gelingt es dem Regisseur nicht, eine hypnotische Wirkung zu erzeugen. Die angestrebte Naturverbundenheit des Protagonisten wirkt oft konstruiert, die Verbindung zur Botanik bleibt oberflächlich. „Girls on Wire“ – Familiendrama im modernen China Vivian Qus Film verwebt geschickt verschiedene Genres zu einer Aussage über die Position junger Frauen in der chinesischen Gesellschaft. Die Geschichte der Cousinen Tian Tian und Fang Di, die wie Schwestern aufwuchsen und durch dramatische Umstände wieder zusammengeführt werden, entwickelt sich von einem Familiendrama zu einem spannungsgeladenen Thriller. Komplexe Charakterstudie Fang Di arbeitet als Stuntfrau in einem Filmstudio und unterstützt ihre Familie finanziell, während Tian Tian sich in den Fängen der Drogenmafia wiederfindet. Ihre erste Begegnung wird symbolträchtig auf den Tag der Hongkong-Übergabe datiert. Der Film nutzt die „Drähte“ des Titels als durchgängige Metapher für die Fremdbestimmung seiner Protagonistinnen. Zwischen den Genres Die Regisseurin balanciert geschickt zwischen verschiedenen Tonlagen: Comic-Relief-Szenen im Filmstudio lockern die dramatische Grundstimmung auf. Dennoch kritisieren viele Rezensenten die unausgewogene Mischung aus Melodrama, Comedy und drastischer Gewalt. Die schauspielerischen Leistungen von Wen Qi und Liu Haocun werden durchweg gelobt, können aber nicht über strukturelle Schwächen hinwegtäuschen. Neue Wege der Gesellschaftskritik Die drei Filme zeigen exemplarisch, wie das chinesische Kino kritische Themen verhandelt, ohne mit der Zensur in Konflikt zu geraten. Ob durch historische Distanz wie in „Living the Land“, poetische Verfremdung wie in „The Botanist“ oder Genre-Hybridisierung wie in „Girls on Wire“ – alle finden ihre eigene Sprache für die Darstellung gesellschaftlicher Missstände. Dabei gelingt es besonders Huo Meng, aus den Beschränkungen künstlerische Kraft zu gewinnen und ein wahrhaft großes Gesellschaftsporträt zu schaffen. Die Filme dokumentieren zudem den rasanten Wandel der chinesischen Gesellschaft und seine sozialen Kosten. Sie erinnern daran, dass hinter den beeindruckenden Wirtschaftszahlen menschliche Schicksale stehen – besonders die der zurückgelassenen Kinder, deren Geschichten hier stellvertretend für Millionen erzählt werden.
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Feb 27, 2025 • 1h 53min

EGL072 Berlinale zeigt "Rocker" (1972): Klaus Lemke dreht wo die wilden Kerle wohnen

"Erleben heißt, dass man mehr auf's Maul kriegt als Küsse im Dunkeln." -- Klaus Lemke Die Berlinale packt 2025 Klaus Lemkes *Rocker* (1972) in die Retrospektive. Ein Film, der so deutsch ist, wie sein Titel: Der Begriff „Rocker“ wurde hierzulande erfunden. In den USA spricht man von *Bikers*, von *Outlaw Motorcycle Gangs*. Aber in Hamburg, wo Lemkes Film spielt, sind es eben Rocker. Eine Szene, die sich in den 60ern unter dem Einfluss amerikanischer Bikerfilme und Motorradclubs formierte – und schnell ihre eigene Dynamik entwickelte. Hamburg und insbesondere St. Pauli waren das Zentrum, der Kiez das Revier. Keine Regeln, außer denen, die man sich selbst gab. Dass Lemke keinen klassischen Film drehte, sondern echte Kiezgrößen vor die Kamera stellte, macht *Rocker* zu etwas Besonderem. Keine Schauspieler, kein Drehbuch, keine inszenierte Härte. Wir besprechen den Film, direkt nachdem wir ihn auf der Berlinale gesehen haben. Wir entdecken Liebe und Schüchternheit und versuchen einen Zugang zum Film über Lemkes Zitate über Film zu finden. Ein Film aus einer Zeit, die längst vorbei ist. Und der Film? Dieser im Speziellen oder Film im Allgemeinen? Lemke sagt: UNSERE FILME SIND WIE GRABSTEINE. Shownotes Über den Regisseur Klaus Lemke Das Klaus Lemke Prinzip | Filmfest München // FESTIVAL_STORIES Im Interview: Klaus Lemke: Exakt seit letzten Sonntag finde ich Deutschland nicht mehr uncool" - SZ Aus traurigem Anlass: am 7. Juli 2022 verstarb Klaus Lemke - REVOLVER Der ewige Rebell: Zum Tod von Klaus Lemke - out takes Abschied von Klaus Lemke – Ein Nachruf von Dominik Graf | deutsche-filmakademie.de Klaus Lemke - Filmemacher im Gespräch mit München.tv-Chefredakteur Jörg van Hooven - Menschen in München | Upload: 30 Juni 2015 | http://www.muenchen.tv Coole Coups - Hommage an den Filmemacher Klaus Lemke | BR2 Podcast | von Friedemann Beyer, Ausstrahlung am 9.7.2022 Kontext zu Lemke und Rocker Listen von: "Die erfolgreichsten Filme in Deutschland" Deutsche Film- und Fernsehgeschichte 1972 auf deutsches-filmhaus.de https://de.wikipedia.org/wiki/Oberhausener_Manifest https://de.wikipedia.org/wiki/Neuer_Deutscher_Film https://www.dhm.de/zeughauskino/vorfuehrung/die-neue-muenchner-gruppe-12523/ https://cuts.podigee.io/313-neue-muenchner-gruppe Lemkes Manifest von 2010 auf Malte Weldings Blog Über den Film Rocker (1972) Rocker (Klaus Lemke 1972) Film auf YouTube Fotos vom Dreh für Rocker 1971 von Heinrich Klaffs Website rocker-film.de Rocker auf Wikipedia 'Can' in Klaus Lemke's Mein schoenes kurzes leben (1970) Rocker im Spiegel Magazin, Ankündigung vom Mittwoch 2.2.1972 im Fernsehprogramm Clip mit Manifest und Klaus Lemke auf dem Hamburger Filmfest am 30.9.2010, YouTube Die Hamburg-Filme: Klaus Lemke im Gespräch mit Christoph Gröner auf dem FILMFEST MÜNCHEN 2014. Klaus Lemkes Arbeit auf YouTube YouTube Kanal mit Material von Lemke @Saltissima Amore (Klaus Lemke 1978) Film auf YouTube Brandstifter (Klaus Lemke BRD 1969) Stadtwölfe (Klaus Lemke BRD 1982) Paul (Klaus Lemke 1974) Liebe, so schön wie Liebe (Klaus Lemke 1971) Sylvie (Klaus Lemke) Mitwirkende Micz Flor Instagram Twitter YouTube (Channel) Website Florian Clauß Bluesky Mastodon Soundcloud Website Klaus Lemke beginnt ein Interview ganz relaxed mit den Worten: „Also, meine Markenzeichen sind meine Mütze, meine Kurzsichtigkeit – ich sehe eigentlich nichts (…) – und das Dritte ist, dass ich zweimal am Tag onaniere.“ Wir hingegen haben’s nicht so leicht. Im Gegenteil, machen wir uns doch die Mühe unsere Quellen zu sammeln und in diesen Post zu packen. Zweimal täglich. Ein Fact Checking vorneweg: Das Zitat von Donald Winnicott stammt nicht, wie gegen Ende der Episode behauptet, aus dem Jahr 1974. Der Psychoaanalytiker verstarb schon 1971. Die Jahreszahl entstammt der zitierten deutschen Veröffentlichung: Winnicott, D. W. (1974). Vom Spiel zur Kreativität. Klett-Cotta. Im Folgenden unsere Notizen, Recherchen und Quellen. Zu mehr Elan langt es gerade nicht, die Zeit drängt, nur noch 48 Stunden bis Acapulco! Zuerst allgemeines über die „filmhistorische“ Einordnung (vom Allgemeinen zum Speziellen): Der Neue Deutsche Film > Oberhausener Manifest 1962 > Neue Münchner Gruppe > München > Schwabing > Klaus Lemke Danach die Zusammenfassung des Films Rocker, Der Soundtrack, Lemkes Manifest von 2010, Top 100 Kinofilme von Lemke und Zitate mit Quellen (nicht alle mit Quellenangaben, sorry.) Lässigkeit und Revolte: Die Neue Münchner Gruppe und ihre dialektische Beziehung zum Oberhausener Manifest Eine filmhistorische Neubewertung In der Geschichtsschreibung des deutschen Nachkriegskinos markiert das Oberhausener Manifest vom 28. Februar 1962 einen kanonischen Wendepunkt. Doch während der „Neue Deutsche Film“ der Oberhausener zum etablierten Narrativ deutscher Filmgeschichte wurde, blieb eine ebenso bedeutsame, wenn auch weniger programmatische Strömung lange Zeit im filmhistorischen Halbdunkel: die Neue Münchner Gruppe. Diese lose Vereinigung junger Filmemacher, die sich in den Schwabinger Kneipen und Hinterhöfen formierte, entwickelte eine eigenständige Filmsprache, die heute als alternative Traditionslinie des deutschen Autorenfilms wiederentdeckt wird. Das Oberhausener Manifest: Programmatischer Bruch und intellektueller Anspruch „Der alte Film ist tot. Wir glauben an den neuen.“ Mit diesem apodiktischen Schlusssatz besiegelten 26 junge Filmemacher um Alexander Kluge, Edgar Reitz und Peter Schamoni im Februar 1962 die symbolische Grablegung des konventionellen deutschen Nachkriegskinos. Die Unterzeichner postulierten: „Der Zusammenbruch des konventionellen deutschen Films entzieht einer von uns abgelehnten Geisteshaltung endlich den wirtschaftlichen Boden. Dadurch hat der neue Film die Chance lebendig zu werden.“ Das Manifest formulierte einen dezidiert intellektuellen Anspruch auf „neue Freiheiten“ – Freiheit von branchenüblichen Konventionen, von kommerziellen Zwängen und der „Bevormundung durch Interessengruppen“. Die Oberhausener verstanden sich als künstlerische Avantgarde mit gesellschaftspolitischem Auftrag. Ihre programmatische Radikalität manifestierte sich in Filmen wie Kluges „Abschied von Gestern“ (1966) oder Schlöndorffs „Der junge Törleß“ (1966) – Werke, die formale Innovation mit gesellschaftskritischer Reflexion verbanden. Die Neue Münchner Gruppe: Gegenentwurf mit Nonchalance Während die Oberhausener ein explizit politisches Programm verfolgten, formierte sich Mitte der 1960er Jahre in München-Schwabing eine alternative Strömung junger Filmemacher, die sich durch eine andere Haltung definierte. Rudolf Thome, Klaus Lemke, Max Zihlmann, Roger Fritz, May Spils, Werner Enke und Martin Müller – überwiegend Mitte bis Ende 20 – entwickelten einen Gegenentwurf zum dogmatischen Ernst der Oberhausener. Ihr inoffizielles Motto lautete, wie Marco Abel in seinem Buch „Mit Nonchalance am Abgrund“ herausarbeitet: „Papas Kino ist tot, es lebe Papas Kino“. Diese scheinbar paradoxe Formel verrät eine komplexere Haltung zum filmischen Erbe, als der radikale Bruch der Oberhausener suggerierte. Die Münchner Gruppe schöpfte bewusst aus den ästhetischen Ressourcen des Genrekinos – inspiriert vom amerikanischen Genrefilm und dem frühen Godard, besonders seinem Debüt „Außer Atem“ (1960). Die Arbeitsmethode dieser informellen Kollaboration war bezeichnend: Bei ihren ersten Kurzfilmen arbeiteten sie kollektiv und rotierten die Positionen als Autoren und Regisseure. Sie gründeten eine eigene Produktionsfirma und entwickelten einen Stil, der spontane Improvisation über akribische Planung stellte. Diese Herangehensweise stand im deutlichen Kontrast zum intellektuell-akademischen Ansatz der Oberhausener. „Ästhetische Linke“ versus „politische Linke“ In der Filmkritik der späten 1960er Jahre positionierte sich die Münchner Gruppe als „ästhetische Linke“ gegen eine „politische Linke“, die ihrer Ansicht nach Filme auf soziologische Inhalte reduzierte. Diese Unterscheidung markiert den fundamentalen Unterschied in der Filmkonzeption: Während die Oberhausener das Kino als Medium gesellschaftspolitischer Aufklärung verstanden, betrachtete die Münchner Gruppe das Kino primär als Kino – als eigenständige künstlerische Form und nicht als didaktisches Mittel zum Zweck. Die deutsche Filmkritik ordnete die Münchner Gruppe oft vorschnell als unpolitisch oder gar rechtskonservativ ein. Diese Kategorisierung verkennt jedoch die subversive Dimension ihrer filmischen Praxis. Ihr Ansatz war weniger explizit intellektuell, aber keineswegs apolitisch – er war anders politisch. Die Befreiung des Körpers von gesellschaftlichen Zwängen, die in Filmen wie „Duell“ thematisiert wird, artikuliert eine tiefgreifende Kritik an der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft: Die „eingezwängten Körper“ der Westdeutschen, der „Kleidungszwang“ und die „unausgesprochene Schuld“ werden nicht diskursiv abgehandelt, sondern durch filmische Mittel erfahrbar gemacht. Filmische Meilensteine und ästhetische Innovation Mit dem Übergang zu Langfilmen ab 1968, beginnend mit Klaus Lemkes „48 Stunden bis Acapulco“, änderten sich die Produktionsbedingungen, was faktisch das Ende der intensiven kollektiven Zusammenarbeit bedeutete. Dennoch entstanden bemerkenswerte Werke, die heute als innovative Beiträge zur deutschen Filmgeschichte wiederentdeckt werden. May Spils‘ „Zur Sache, Schätzchen“ (1968) wurde zum Kultfilm, der nicht nur Uschi Glas bekannt machte, sondern auch mit Wortschöpfungen wie „türlich“, „Dumpfbacke“ und „fummeln“ den deutschen Sprachgebrauch bereicherte. Rolf Thieles „Rote Sonne“ (1969) mit Uschi Obermaier präsentierte eine radikale Frauenkommune, in der männliche Liebhaber nach fünf Tagen umgebracht werden – ein proto-feministischer Ansatz, der der zweiten Feminismuswelle (ab 1968) vorausging. Die rund 32 Filme der Münchner Gruppe – etwa zur Hälfte Kurzfilme – zeichnen sich durch eine „Nouvelle Vague-artige Inszenierung“ aus, die das amerikanische Genrekino mit Godards Stilmitteln verschmolz. Bemerkenswert ist die Darstellung weiblicher Figuren, die Klaus Lemke mit dem Bonmot „Frauen sind die besseren Männer“ charakterisierte – eine Position, die in der damaligen deutschen Filmlandschaft keineswegs selbstverständlich war. Schwabinger Lebensgefühl als ästhetisches Prinzip Die Münchner Gruppe transportierte in ihren Filmen das Schwabinger Lebensgefühl der 1960er Jahre – eine Mischung aus Hedonismus, südlichem Flair und der Ablehnung bürgerlicher Konventionen. Schwabing als kultureller Schmelztiegel beherbergte nicht nur die Mitglieder der Münchner Gruppe, sondern auch Persönlichkeiten wie Rainer Werner Fassbinder und Andreas Baader. Diese Atmosphäre spiegelt sich in den Filmen durch eine charakteristische Nonchalance – jene Leichtigkeit und Lässigkeit, die Marco Abel als titelgebendes Merkmal hervorhebt. Im Gegensatz zum pädagogischen Impetus der Oberhausener setzten die Münchner auf eine unmittelbare, sinnliche Filmsprache, die den Alltag und das Filmische auf eine Stufe stellte. Unterschiede und Gemeinsamkeiten zum Oberhausener Manifest Die Unterschiede zwischen beiden Filmströmungen sind beträchtlich: Die Münchner Gruppe vertrat keine explizit revolutionäre, gesellschaftspolitische Ideologie, kannte keine feste Gruppendefinition und verzichtete auf einen akademisch-intellektuellen, strengen Ansatz. Der bewusste Verzicht auf Perfektion und strikte Drehbücher verlieh ihren Filmen eine experimentellere, emotionalere und wildere Qualität als den Werken des Neuen Deutschen Films. Dennoch existieren wesentliche Gemeinsamkeiten: Beide Gruppen strebten eine Verjüngung des westdeutschen Kinos an, wollten das etablierte Studio-System überwinden und folgten dem Vorbild der französischen Nouvelle Vague. Wie ihre französischen Vorbilder um Godard, Truffaut und Rohmer etablierten sie ein neues Autorenkino, in dem der Regisseur als maßgeblicher Künstler fungierte. Nachleben und filmhistorische Neubewertung Nach 1972 gingen die Mitglieder der Münchner Gruppe unterschiedliche Wege: Rudolf Thome zog nach Berlin, Klaus Lemke nach Hamburg, wo er mit „Rocker“ (1972) einen Meilenstein des deutschen Realismus schuf, Martin Müller wurde Tonmeister, während May Spils und Werner Enke nach drei weiteren Filmen ihre Karrieren beendeten. Die filmhistorische Bedeutung der Münchner Gruppe wurde lange durch die Dominanz des Neuen Deutschen Films in den 1970er Jahren überstrahlt und von der akademischen Filmforschung vernachlässigt. Erst mit der Neuen Berliner Schule um Christian Petzold, Dominik Graf und Thomas Arslan erfuhr ihre Ästhetik eine Renaissance. Diese zeitgenössischen Filmemacher knüpfen bewusst an die vergessene Traditionslinie der Münchner Gruppe an, die „Kino als Kino begriff und nicht als Mittel zum Zweck“. Fazit: Eine progressive Alternative Die Neue Münchner Gruppe repräsentiert einen alternativen, progressiven Weg in der deutschen Filmgeschichte, der jenseits kanonischer Fixierungen wiederentdeckt werden muss. Ihre Filme demonstrieren, dass politische Relevanz nicht notwendigerweise an explizite Sozialkritik gebunden ist, sondern auch in der ästhetischen Form und der Haltung zum Medium selbst liegen kann. Die Neubewertung dieser filmhistorischen Strömung erweitert unser Verständnis des deutschen Nachkriegskinos und seiner vielfältigen Erneuerungsbewegungen. Sie erinnert uns daran, dass die Geschichte des deutschen Films nicht als linearer Fortschritt oder als exklusiver Kanon verstanden werden sollte, sondern als komplexes Feld verschiedener ästhetischer und politischer Positionen, die miteinander in Dialog treten. Die lässige Nonchalance der Münchner Filmemacher, ihr Vertrauen in die Kraft filmischer Bilder jenseits didaktischer Intentionen und ihre Verschmelzung von Genrekino und künstlerischem Anspruch – diese Charakteristika machen sie zu einer faszinierenden Alternative im deutschen Kino der 1960er Jahre, deren Wiederentdeckung längst überfällig war. Zusammenfassung des Films „Rocker“ (Klaus Lemke 1972) Gerd, ein Rocker, wird aus dem Gefängnis Fuhlsbüttel entlassen und von seinen Freunden enthusiastisch empfangen. Seine frühere Freundin Sonja, die inzwischen als Warenhaus-Verkäuferin arbeitet, will sich von ihm und der Rocker-Szene lösen, zumal sie während seiner Haft eine Beziehung mit dem Kleinkriminellen Uli Modschiedler begonnen hat. Gerd versucht, sie zurückzugewinnen, indem er mit einer alten Mercedes-Benz-Limousine zu ihrem Arbeitsplatz fährt, doch seine aggressive Art eskaliert die Situation. Ein geplantes Treffen mit Sonja wird durch einen brutalen Überfall vereitelt, bei dem Gerd von einer maskierten Bande niedergeschlagen, an einen Baum gefesselt und seine Gartenlaube in Brand gesetzt wird. Währenddessen stiehlt Uli in der Tiefgarage am Hamburger Millerntor einen weißen Mercedes-Benz Cabrio, den er für 4000 Mark an einen Zuhälter verkaufen will, doch bei der Probefahrt wird er hinterrücks bewusstlos geschlagen, und die Betrüger entwenden das Fahrzeug. Uli gerät zunehmend in finanzielle Not und überfällt seine eigene Schwester zu Hause, um Geld aus einem Nachttisch zu stehlen. Sein 15-jähriger Bruder Mark beobachtet ihn dabei und folgt ihm, woraufhin Uli ihn zunächst abweisen will, sich dann aber mit ihm anfreundet. Die Brüder betrinken sich in einer Kneipe auf St. Pauli, während Uli Mark in „Männerrituale“ wie das Trinken von Kornschnaps und das Rauchen einführt. Zufällig entdeckt Uli später den gestohlenen Mercedes wieder, und die beiden schlafen betrunken in dem Wagen ein. Doch der Zuhälter und sein Komplize erkennen sie, zerren sie aus dem Auto und schlagen Uli mit einem Knüppel brutal zu Tode, während Mark hilflos zusehen muss. Verstört flieht er vom Tatort und wird am nächsten Morgen betrunken vor dem Supermarkt gefunden, in dem er seine Ausbildung macht. Nachdem ihn eine Verkäuferin weckt, rastet er aus, randaliert und wirft Waren aus den Regalen, bis die Polizei ihn schließlich nach Hause bringt. Marks Schwester plant, ihn zu den Eltern nach Cuxhaven zu schicken, doch an einer Straßenbahnhaltestelle schläft er ein. Nach dem Aufwachen gerät er in einer Kneipe an Gerd und zwei Rocker-Kameraden, die sich dort zuvor mit Sonja getroffen hatten. Als Sonja erfährt, dass ihr Freund Uli tot ist, verlässt sie fassungslos die Szene. Unterdessen betrügt Gerd einen Drogenkunden, indem er ihm Marks Kleidung als vermeintliche Drogen für 4000 Mark verkauft, mit denen er sich ein umgebautes Chopper-Motorrad kauft. Er beschließt, Mark damit nach Cuxhaven zu bringen, doch in einer Fernfahrerkneipe an der B 73 provoziert er grundlos einen LKW-Fahrer, der daraufhin sein Motorrad überrollt. Wütend und verzweifelt bricht Gerd zusammen, und schließlich kehren er und Mark per Anhalter nach Hamburg zurück. Zurück in Hamburg erkennt Mark die blonde Freundin eines der Männer, die seinen Bruder Uli getötet haben, und folgt ihr in ein Nachtlokal an der Großen Freiheit. Als er Gerd einweiht, organisiert dieser eine brutale Vergeltungsaktion, bei der seine Rocker-Gang Ulis Mörder zusammenschlägt. Doch Mark will seine eigene Rache und zerschlägt mit einer Eisenstange die Windschutzscheibe des Mercedes, bevor er flieht, als die Polizei eintrifft. Der Film endet mit einer Nahaufnahme von Marks lächelndem Gesicht, während der Filmtitel eingeblendet wird. Soundtrack Rolling Stones: Sister Morphine Rolling Stones: Moonlight Mile Santana: Jingo Them: It’s All Over Now Baby Blue Elvis Presley: King Creole Led Zeppelin: Rock’n’Roll Santana: Black Magic Woman Rolling Stones: I Got The Blues Papas Staatskino ist tot: Hamburger Manifest von Klaus Lemke – Protest gegen das Filmfest 2010 (Der folgende Text des Manifests stammt aus Malte Weldings Blog) ICH FORDERE INNOVATION STATT SUBVENTION. ICH FORDERE DAS ENDE JEDWEDER FILMFÖRDERUNG AUS STEUERMITTELN. DER STAAT SOLL SEINE GRIFFELN AUS DEM FILM ENDLICH WIEDER RAUSNEHMEN. 13 JAHRE STAATSKINO UNTER ADOLF UND DIE LETZTEN 40 JAHRE STAATLICHER FILMFÖRDERUNG HABEN DAZU GEFÜHRT, DASS DER DEUTSCHE FILM SCHON IN DEN SIEBZIGERJAHREN AUF KLASSENFAHRT IN DER TOSKANA HÄNGENBLIEB; DASS AUS REGISSEUREN SOFT SKILLS-KASTRATEN UND AUS PRODUZENTEN VEREDELUNGSJUNKIES WURDEN. WIR BAUEN DIE SCHÖNSTEN AUTOS. WIR HABEN DIE SCHÖNSTEN FRAUEN. ABER UNSERE FILME SIND WIE GRABSTEINE. BRAV. BANAL. BEGÜTIGEND. GOETHEINSTITUT. ABER FILM IST KEINE AUSSTERBENDE TIERART. FILM IST AUCH KEIN INTELLIGENZBESCHLEUNIGER. FILM MUSS NOCH NICHT MAL GUT SEIN.FILM MUSS NUR WIRKEN. DAS TUT DER DEUTSCHE FILM SCHON LANGE NICHT MEHR. RETTUNG KANN ALLEIN VON OMAS HÄUSCHEN KOMMEN, DAS MAN HEIMLICH BEI DER BANK BELEIHT. DENN NUR FÜR DAS EIGENE GELD LOHNT ES SICH NACHZUDENKEN – WENN ES IN GEFAHR IST. UND GELDBEIM FILM IST IMMER IN GEFAHR. OHNE DAS WIRDS NICHTS. GELD VOM STAAT IST IMMER EIN TRITT GEGEN DIE EIGENE KREATIVITÄT. VOR EIN PAAR WOCHEN WURDE KLAMMHEIMLICH DIE ENGLISCHE FILMFÖRDERUNG EINGESTELLT – DIE EINZIG ERFOLGREICHE IN EUROPA. ABER EBEN AUCH VOLLKOMMEN UNNÖTIG. DER FÖRDERWAHN FÜHRTE DEN ENGLISCHEN FILM INS NIRVANA. ACH DIESE ENGLÄNDER! ES GIBT NOCH HELDEN. BEI UNS NUR EINEN: DOMINIK GRAF. WÜRDE MAN JEDE FILMFÖRDERUNG AUS STEUERMITTELN ÜBER NACHT EINSTELLEN – WIR WÄREN IN ZWEI JAHREN DAS KREATIVSTE FILMLAND IN EUROPA UND EINE ECHTE KONKURRENZ ZU HOLLYWOOD. WEITER SO WIE JETZT BLEIBEN WIR DIE TOPLANGWEILER WELTWEIT. DER DEUTSCHE FILM GEHÖRT ENDLICH BEFREIT AUS DEN GEFÄNGNISSEN DER FFA. NO PAIN. NO SPAIN. LEMKE. Klaus Lemkes Filme in den Top 100 der deutschen Kino-Charts 1979 Platz 34: Arabische Nächte 1979 Platz 50: Ein komischer Heiliger 1980 Platz 59: Flitterwochen Zitate von Klaus Lemke Lemke über Film allgemein Das allerwesentlichste und erste über Film ist wenn man etwas spürt lange bevor man’s weiß.Wenn man also ein Gefühl bekommt, dieser Kerl wird sie verraten. Man hat keinen Grund dafür, aber man nimmt an, man glaubt das. Und sie wird den verteidigen, das spürt man.Und wie man dann enttäuscht wird oder bestätigt wird in seinem Gespür, das ist Kino.Das andere ist Theater. Leute stehen hin und sagen ich bin jetzt der und der und ich mache das und das.YouTube Upload: 30 Juni 2015, Position: 13:06 | muenchen.tv https://youtu.be/7YhadcX–ew Lemke über Schauspieler:innen (die kann ich leider nicht mehr zuordnen, kommen aber aus einer der Quellen, die ich hier gelistet habe. Alas, I lack the time) Lemke über Iris Berben: Damals war ich mit einer kleinen Schlampe aus Hamburg zusammen, die hieß Iris Berben (…) und ich dachte mir, die ist wirklich so arrogant und auch so blöd und so bescheuert eigentlich. Und die habe ich eigentlich auch so gehasst und war auch wirklich verliebt in die, dass ich dachte, ich muss unbedingt einen Film über sie machen. Und das war einer der ersten Filme, die ich gemacht habe. Lemke über Cleo Kretschmer: Und dann lief noch so ein Mädchen rum – ganz süß, ganz klein, mit dem hübschesten Po der damaligen Zeit. Ein sehr aggressives Mädchen, mit sehr viel Alkohol und auch allen anderen Dingen. Das passte mir sehr gut, mit ihr war ich dann auch sofort zusammen. Das war Cleo Kretschmer, und dann habe ich mit ihr Filme gedreht. Cleo Kretschmer über die Anfangszeit mit Klaus Lemke Ich durfte nie mit ans Set. Und ich war in der ganzen Zeit eigentlich ziemlich einsam, habe zu Hause gehockt und war eifersüchtig. (…) Dann habe ich so lange genervt, bis er gesagt hat: „Okay, wenn du ein Drehbuch schreibst, mache ich einen Film mit dir.“ Und er hat wie beim Pferdehandel eingeschlagen.BR2 Podcast 9.7.2022, Position 18:39 Lemke über den Film „Rocker“ Rocker geht darum, was wirkliche Liebe ist. Wirkliche Liebe ist nicht, dass man jemanden liebt. Wirkliche Liebe ist, dass man jemanden liebt, der es vielleicht gar nicht verdient. Wo man allen Grund hat den nicht zu lieben.YouTube Upload: 30 Juni 2015, Position: 26:00 | muenchen.tv https://youtu.be/7YhadcX–ew Wir kamen nie mit der deutschen Sprache zurecht, weil Deutsch einfach beschissen klang – gegen all das, was wir immer hörten, und gegen die Musik der Rolling Stones. (…) Für mich kam das richtige Ding, als ich plötzlich richtige Jungs kennengelernt habe – ich meine, richtige Jungs aus St. Pauli, eben Rocker, die sich einen Dreck um uns geschert haben, die ihr Ding gemacht haben. Das war eine Offenbarung. Und allein, wie die redeten, war zum ersten Mal so, dass man das sozusagen der Sprache Mick Jaggers entgegenhalten konnte. Das war Arbeitssprache vom Feinsten. Jede Sache bedeutete drei verschiedene Dinge – das war ganz, ganz bombig, wie die redeten. (…) Und zum ersten Mal war ich stolz auf Deutsch.BR2 Podcast 9.7.2022, Position ca.14:00 Lemke über Baader, mit dem er in einer Münchner Kommune lebte Baader war auch hier oben immer im „Bungalow“ drin. Wollte unbedingt zum Film.YouTube Upload: 30 Juni 2015, Position: 26:29 | muenchen.tv https://youtu.be/7YhadcX–ew Baader mochten wir gerne (…) In diesem kleinen Türkendeutsch, in dem wir unsere ganze Filmgeschichte gelernt haben, saß Baader hinten. Und Baader hat sogar gelernt, Filme einzulegen und vorzuführen. Er hat sich manchmal nachts bestimmte Filme alleine angeschaut. Er war ein wirklicher Filmfanatiker.BR2 Podcast 9.7.2022 Aber Baader hatte so einen merkwürdigen Münchner Badischen Akzent. Und den haben wir nicht genommen eigentlich. Damals, als wir diese ersten Filme gedreht haben. (…)Und so ist Baader eigentlich notgedrungen, da er nicht zum Film kam, Terrorist geworden, um wirklich irgendwas zu machen im Leben.Und ich habe mit dem zusammengewohnt im selben Haus.Und die haben die ganze Zeit über Mädchen geredet, die sie nicht hatten.Und haben Karl Marx gelesen, den sie nicht verstanden.Und wir haben immer lustig Filmchen gemacht.Und einen habe ich auch über die gemacht, der heißt Brandstifter.YouTube Upload: 30 Juni 2015, Position: 26:29 | muenchen.tv https://youtu.be/7YhadcX–ew Ich habe mich damals schon eigentlich mehr für die Opfer interessiert. Oder: ich hatte damals eigentlich mehr Gefühle für die Opfer als für die Täter. Denn die Täter hatten wirklich kein Gefühl für ihre Opfer. Das hat mich wirklich schockiert.YouTube Upload: 30 Juni 2015, Position: 29:00 | muenchen.tv https://youtu.be/7YhadcX–ew Lemke über Berlin, München und Film Filmfest München 2014, Die Hamburg-Filme: Klaus Lemke im Gespräch mit Christoph Gröner Berlin ist etwas, was München eben nicht ist.Berlin ist eine wirkliche Großstadt.Eine Großstadt zeichnet sich dadurch aus, dass das persönliche Leben und das Leben der ganzen Stadt, nichts anderes ist als von einer Katastrophe sich in die nächst größere bedenkenlos zu retten. (…)Das geht immer so weiter.Das ist aber auch der einzige Weg (…)Es gibt nur einen Weg: nur nicht denken, dass der liebe Gott es richtet. Und nur nicht ein schlechtes Gewissen haben, sondern sofort noch eins drüber.\Und das ist auch die Dramaturgie aller großen Filme.Denn Film ist nichts anderes als in eine Situation reinkommen und irgendwie versuchen aus der wieder rauszukommen.Es gibt nur einen Weg aus einer Situation rauszukommen, in die nächst üblere.Und das durchstehen.\Die Sache mit dem Verzeihen des lieben Gottes ist toll in Bayern. Aber das hilft nicht mehr für ein modernes Leben.Ein modernes Leben ist kein Kreuzworträtsel, das sich am Schluss einfach zusammenfügt.(…)Wir sind auch mit nichts anderem konfrontiert, als dieser geballten Irrationalität eines Lebens, der wir nicht mehr beikommen. Nicht mehr beikommen. Jeder von uns.Amerikaner haben das längst kapiert. Und Berlin auch. Deswegen ist Berlin eine Großstadt. Aber München hat natürlich was anderes, hat München…Ich würde sagen, äh, die schönen Mädchen.(…)München ist eine Ganztagslüge, aber eine, die sich lohnt. YouTube Upload 4. Juli 2014, , Position: 26:37 | FILMFEST MÜNCHEN 2014 https://youtu.be/JQOnOr1VReA Unsortiert… Hier noch ein paar transkribierte Zitate, denen ich nur die Quelle, aber nicht die Position zuordnen kann. Ich habe das nicht noch einmal nachgelegt: Es geht darum im Film nicht wie man eine Kamera bewegt, sondern wie man den Zuschauer bewegt.\YouTube Upload: 30 Juni 2015 | muenchen.tv https://youtu.be/7YhadcX–ew Man kann auf einer Hochschule nicht lernen, wie man etwas macht, dass der Zuschauer einsteigt, dass man ihn verführt und dass man ihn am Schluss entlässt.Und im Kopf ist immer noch ein bisschen der Film drin. Und dann geht sein wahres Leben wieder los und wie sich das vermischt. Und plötzlich hat man was erlebt, was vollkommen einmalig ist.\YouTube Upload: 30 Juni 2015 | muenchen.tv https://youtu.be/7YhadcX–ew Das ist worum die ganze Welt geht,dass wir für kurze Momente plötzlicher Ekstase aus dem rauskommen, was wir nun leider sein müssen den ganzen Tag.YouTube Upload: 30 Juni 2015 | muenchen.tv https://youtu.be/7YhadcX–ew Mit Film kann man länger verrückt sein als mit Drogen oder Alkohol.YouTube Upload: 30 Juni 2015 | muenchen.tv https://youtu.be/7YhadcX–ew Egal, mit wem man einen Film macht – selbst jeder professionelle Schauspieler ist im Prinzip enttäuscht von dem, was er auf der Leinwand sieht. Weil es nicht er ist, sondern ich bin es. Ich mache nichts anderes, als mich in die Leute hineinzubeamen. Und letztendlich bin ich es, der da vor der Kamera spielt – durch diese Person hindurch.YouTube Upload: 30 Juni 2015 | muenchen.tv https://youtu.be/7YhadcX–ew Was ich drehe, das sind Erfindungen, die ich mir morgens ausdenke und nachmittags realisiere. Aber ich realisiere sie nicht mit irgendwelchen Marionetten oder Schauspielern, die genau das machen, was ich sage. Sondern das, was meine Leute zu dem sagen, was ich drehen will, ist unvorhersehbar. Und wenn sie es nicht drehen wollen, dann drehe ich es auch nicht.YouTube Upload: 30 Juni 2015 | muenchen.tv https://youtu.be/7YhadcX–ew Wenn man so authentisch Filme dreht, wie ich, gibt es einen Moment, wenn man lange genug durchhält, dreht sich der Film von selbst. Die Leute merken selbst, in welche Rolle sie da reinflutschen. Und je mehr sie das selbst merken, desto mehr kann ich wieder raus.YouTube Upload: 30 Juni 2015 | muenchen.tv https://youtu.be/7YhadcX–ew Ich habe zuerst ihren wirklich großen und fabelhaften Busen gesehen, und in so einem Fall bin ich sowieso von vornherein begeistert. Wie bei Dolly Dollar – die hatte einen noch größeren Busen. Aber das war ein bayerisches Kind, und dieses Mal war es ein norddeutsches, diese Sara Lisa …, die Verkäuferin bei H&M war. Ich habe ziemlich lange auf ihren Busen geschaut, und wenn die Mädchen dann nicht nervös werden, taugen sie meistens auch was für’s Kino.\Gefragt über die Entdeckung von Saralisa Volm für den Film Finale (2006)YouTube Upload: 30 Juni 2015 | muenchen.tv https://youtu.be/7YhadcX–ew
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Feb 13, 2025 • 1h 54min

EGL071 Nosferatu 2024 - Robert Eggers reaktionäres Remake

Ellen Hutter: „Professor, my dreams grow darker. Does evil come from within us, or from beyond?” Eigentlich-Podcast diesmal im Sitzen ohne zu laufen. Chris und Flo konnten es kaum abwarten, über Robert Eggers' Nosferatu zu sprechen, also haben wir eine Remote-Sendung aufgenommen: Chris in Berkeley und Flo in Berlin, ein klassischer Podcast ganz ohne Schnaufen und Nebengeräusche. Robert Eggers hat ein Remake des über 100 Jahre alten Proto-Horrorfilms "Nosferatu" von Friedrich Murnau gedreht. Die Geschichte orientiert sich stark an Murnaus Original: Storylines, Figuren und Handlungsorte werden in Eggers Verfilmung auf Hochglanz poliert. Es wirkt fast so, als hätte Eggers Murnaus Film Bild für Bild durch die generative KI gejagt und dabei das Pacing heruntergeschraubt. Alles ist ein bisschen runder, brutaler, dunkler, langsamer. Mehr aber auch nicht, meint Flo. Die Erscheinung von Nosferatu hat im Original wesentlich mehr kinematographische Kraft als im Remake. In Eggers Nosferatu trägt Orlok einen lächerlichen Schnurrbart und hat eine Beule auf dem Kopf, von der man nicht weiß, ob sie die wegfliegende Schädeldecke oder eine Schmalzlocke darstellen soll. Chris hält dagegen, dass Eggers mit der Figur des Orloks und seiner Verbindung zu Ellen etwas Neues geschaffen hat: In jungen Jahren, in Einsamkeit und sexueller Verzückung, beschwört Ellen das Monster herauf. Dadurch entsteht eine starke Bindung, die dann auch ganz deterministisch den Tod für beide bedeutet. Diesen Aspekt hat noch keine Dracula- oder Nosferatu-Geschichte in der Schärfe erzählt. Wir gehen sogar so weit, die Figurenkonstellation nach den Theorien von Jacques Lacan zu interpretieren: Ellen richtet sich als begehrendes Subjekt auf das Unmögliche, verkörpert durch Graf Orlok, der als das Reale jenseits der symbolischen Ordnung steht. In dieser Konstellation spiegelt sich die fundamentale Spaltung des Subjekts zwischen gesellschaftlicher Ordnung (symbolisiert durch Ellens Ehe mit Thomas Hutter) und dem transgressiven Begehren nach dem Unmöglichen. Orlok fungiert als Objekt klein a, als unerreichbare Ursache des Begehrens, während Ellen in ihm zugleich eine gespenstische Spiegelung ihrer eigenen verbotenen Sehnsüchte erkennt. Die drei Register - das Symbolische (bürgerliche Ordnung), das Imaginäre (Ellens Fantasien) und das Reale (Orlok/Tod) - verschränken sich in einer Bewegung, die unweigerlich zum Tod führt. Ellens finale Selbstopferung kann als ultimative Erfüllung des Begehrens gesehen werden, in der sich das Subjekt im Moment der Vereinigung mit dem Unmöglichen selbst auslöscht - ganz im Sinne von Lacans These, dass die vollständige Erfüllung des Begehrens nur im Tod möglich ist. Das klingt soweit ganz gut, aber was uns an dem Film stört, ist der Determinismus, der der Handlung, den Figuren und allem zugrunde liegt. Er manifestiert sich in der absoluten Vorherbestimmung der Ereignisse, im Drehbuch, das wie eine Anleitung gesehen werden kann. Wie eine Turingmaschine durchläuft der Film diese deterministische Kette, in der die einzelnen Szenen Stück für Stück nach den vorher festgelegten Algorithmus durchexekutiert werden. Alles, was geschieht, ist bereits vorherbestimmt, und die Figuren können diesem Schicksal nicht entkommen. Besonders deutlich wird dies in der fatalistischen Opferrolle Ellens, die sich in ihr vorherbestimmtes Schicksal fügen muss, um die Gesellschaft zu retten. Hier kann man Eggers eine reaktionäre Haltung vorwerfen, da sie jegliche menschliche Handlungsfreiheit und Selbstbestimmung negiert und stattdessen eine höhere, unveränderliche Ordnung postuliert. In Zeiten des Klimawandels und des Demokratieverlusts wünschen wir uns eher eine Haltung, die sozialen Wandel und Handlungsfreiheit propagiert. Das finden wir in Eggers "Nosferatu" nicht. Shownotes Links zur Laufstrecke EGL071 | Wanderung | Komoot Links zur Episode https://de.wikipedia.org/wiki/Nosferatu_%E2%80%93_Der_Untote Robert Eggers – Wikipedia Midsommar (2019) – Wikipedia Ari Aster – Wikipedia A24 (Unternehmen) – Wikipedia The Witch (Film) – Wikipedia Der Leuchtturm (2019) – Wikipedia Willem Dafoe – Wikipedia Lily-Rose Depp – Wikipedia Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens – Wikipedia Friedrich Wilhelm Murnau – Wikipedia Nosferatu – Phantom der Nacht – Wikipedia Werner Herzog – Wikipedia Isabelle Adjani – Wikipedia Klaus Kinski – Wikipedia Bram Stoker – Wikipedia Dracula (Roman) – Wikipedia convex tv. The Northman – Wikipedia Hamlet – Wikipedia Slavoj Žižek – Wikipedia Bram Stoker’s Dracula – Wikipedia Der Elefantenmensch – Wikipedia David Lynch – Wikipedia Vampir – Wikipedia Zombie – Wikipedia Vampirfledermäuse spenden untereinander Blut - Wissen - SZ.de Johann Wilhelm Ritter – Wikipedia Robert Eggers on Nosferatu Hereditary – Das Vermächtnis – Wikipedia Beau Is Afraid – Wikipedia Oppenheimer (2023) – Wikipedia Buffy – Der Vampir-Killer – Wikipedia Europa (1991) – Wikipedia dread – Wiktionary Chronik eines angekündigten Todes – Wikipedia Edge of Tomorrow – Wikipedia Jacques Lacan – Wikipedia Strukturalismus – Wikipedia Poststrukturalismus – Wikipedia Das Reale – Wikipedia Spiegelstadium – Wikipedia Das Imaginäre – Wikipedia Das Symbolische – Wikipedia Objekt klein a – Wikipedia Mitwirkende Chris Flor Florian Clauß Bluesky Mastodon Soundcloud Website Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens (1922) Der Film „Nosferatu“ von Murnau beginnt in der fiktiven deutschen Stadt Wisborg. Der Immobilienmakler Hutter wird von seinem Arbeitgeber Knock beauftragt, zum Graf Orlok nach Transsylvanien zu reisen, um einen Hausverkauf abzuwickeln. Hutter lässt seine junge Frau Ellen bei Freunden zurück und macht sich auf die Reise. In den Karpaten wird er von abergläubischen Einheimischen gewarnt und findet in einem Gasthaus ein Buch über Vampire.Im Schloss des Grafen wird Hutter zunächst gastfreundlich empfangen, bemerkt aber bald unheimliche Vorkommnisse.Als Orlok Hutters Medaillon mit einem Bild von Ellen sieht, ist er von ihr fasziniert. In der darauffolgenden Nacht wird Hutter von Orlok angegriffen, der sich als Vampir zu erkennen gibt.Parallel dazu spürt Ellen in Wisborg eine telepathische Verbindung zu den Ereignissen.Orlok macht sich mit Särgen voller Erde auf den Weg nach Wisborg, während Hutter verzweifelt versucht, vor ihm dort einzutreffen.Auf dem Schiff, das Orlok transportiert, sterben nach und nach alle Besatzungsmitglieder an der „Pest“. Das als Geisterschiff bezeichnete Schiff läuft in Wisborg ein, Ratten strömen von Bord und verbreiten die Seuche in der Stadt. Orlok bezieht das gegenüber von Hutters Haus gekaufte Gebäude und hat von dort die Stadt und Ellen in seiner Gewalt. Die Stadt verfällt in Chaos und Tod durch die Seuche.Ellen, die das Buch über Vampire gelesen hat, erkennt, dass nur eine reine Frau den Vampir besiegen kann, indem sie ihn bis zum ersten Hahnenschrei bei sich hält. Die Protagonistin opfert sich, um Orlok zu sich zu locken und ihn so in einen Zustand der Immobilität zu versetzen, bis die Morgensonne ihn auflöst. Auf diese Weise wird die Stadt gerettet, jedoch findet Ellen in den Armen ihres zurückgekehrten Mannes den Tod. Der Film verbindet auf geschickte Weise Elemente des deutschen Expressionismus mit der Vampir-Mythologie und schafft durch seine visuelle Gestaltung eine einzigartig unheimliche Atmosphäre, die den Film zu einem Meilenstein des Horror-Genres macht. Nosferatu – Phantom der Nacht (1979) In der Adaption von Herzog wird die Grundhandlung des Originals weitgehend beibehalten, jedoch mit einigen bemerkenswerten Änderungen und Erweiterungen versehen. Die Figur Jonathan Harker (nicht Hutter) reist in Herzog nicht von Wismar (nicht Wisborg), sondern von einer anderen Lokalität nach Transsylvanien. Herzog verwendet deutlich mehr Zeit auf die Reise selbst und die Darstellung der mystischen Natur. Die Darstellung des Dracula durch Klaus Kinski ist melancholischer und existentieller geprägt, was einen großen Unterschied zur raubtierhaften Darstellung in Murnaus Film darstellt. Die Rolle der Lucy, gespielt von Isabella Adjani, ist komplexer ausgearbeitet und repräsentiert nicht nur ein passives Opfer, sondern eine bewusst handelnde und selbstbestimmte Person. Eine signifikante Abweichung vom Original ist das Ende: Nachdem Dracula durch Lucys Opfer vernichtet ist, wird Harker selbst zum Vampir und reitet als neuer Nosferatu davon, was einen zyklischen Charakter der Geschichte suggeriert. Herzog fügt außerdem surreale Elemente hinzu, wie die Szenen mit den Ratten (20.000 echte Ratten wurden verwendet) und die alptraumhaften Sequenzen der pestverseuchten Stadt. Die Atmosphäre ist weniger expressionistisch als bei Murnau, sondern naturalistischer und romantischer, mit einem stärkeren Fokus auf existenzielle Themen und die tragische Dimension des Daseins als Vampir. Bram Stokers „Dracula“ (1897) Stoker konstruiert den Roman als komplexer Briefroman, der sich aus verschiedenen Txtsorten wie Tagebucheinträgen, Briefen und Zeitungsartikeln zusammensetzt.Diese narrative Struktur erlaubt es dem Autor, die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven zu erzählen und dabei sowohl die äußeren Ereignisse als auch die inneren Konflikte der Charaktere zu beleuchten. Die Handlung des Romans setzt ein mit den Tagebucheinträgen des jungen Anwalts Jonathan Harker, der nach Transsylvanien reist, um einen Immobilienkauf in London abzuwickeln. Die geschäftliche Reise entwickelt sich zunehmend zu einem Albtraum, da sich Harker im Schloss zunächst höflich, dann jedoch zunehmend unheimlich behandelt sieht. Er erkennt, dass sein Gastgeber ein Vampir ist, der nachts in den Wänden kriecht und ihn faktisch gefangen hält.Dracula plant seine Übersiedlung nach London und lässt einen geschwächten Harker zurück, der nur knapp mit dem Leben davonkommt.In England verlagert sich die Handlung zunächst auf Lucy Westenra, die beste Freundin von Harkers Verlobter Mina Murray. Sie wird zum ersten Opfer des nach London übersiedelten Dracula und beginnt zu kränkeln. Trotz der Bemühungen ihrer drei Verehrer – Dr. John Seward, Arthur Holmwood und Quincey Morris – sowie des hinzugezogenen Experten Professor Abraham Van Helsing kann sie nicht gerettet werden. Selbst mehrere Bluttransfusionen können ihren Tod nicht verhindern. Lucy selbst wird zum Vampir und muss von der Gruppe nach traditioneller Art durch Pfählung und Enthauptung endgültig zur Ruhe gebettet werden.Nach Harkers Rückkehr wendet sich Dracula Mina zu, was den Roman in eine entscheidende Phase führt.Die Gruppe der Vampirjäger formiert sich unter der Führung Van Helsings, der sein umfangreiches Wissen über Vampire teilt. In dieser Phase des Romans manifestiert sich eine komplexe Dynamik zwischen modernem, wissenschaftlichem Denken und altem, folkloristischem Wissen. Mina wird von Dracula gebissen und entwickelt eine telepathische Verbindung zu ihm, die für die Verfolgung der Gruppe genutzt werden kann.Diese Verbindung symbolisiert die unterschwellige erotische Spannung des Romans, die im Kontext der viktorianischen Moralvorstellungen als besonders brisant angesehen wird.Die finale Jagd führt die Gruppe zurück nach Transsylvanien, wo sie systematisch Draculas Verstecke und seine Kisten mit geweihter Erde zerstören. Im finalen Duell wird Dracula von Harker und Morris mit einem Messer durch das Herz und eine durchschnittene Kehle getötet, wobei Morris sein Leben lässt.Mina wird von ihrem vampirischen Zustand erlöst, was den Sieg der „zivilisierten“ westlichen Welt über die „barbarischen“ östlichen Mächte symbolisiert. Der Roman ist von den Spannungen seiner Zeit durchdrungen, die sich in der Konfrontation zwischen Wissenschaft und Aberglauben, zwischen westlicher „Zivilisation“ und östlicher „Barbarei“, zwischen unterdrückter und entfesselter Sexualität äußern. Er verarbeitet koloniale Ängste ebenso wie die Furcht vor weiblicher Sexualität und dem Zusammenbruch der gesellschaftlichen Ordnung. Stoker bedient sich dabei verschiedener moderner Technologien, wie etwa der Schreibmaschine und dem Phonographen, welche von den Protagonisten im Kampf gegen die alten, übernatürlichen Bedrohungen eingesetzt werden.Zudem ist anzumerken, dass die christliche Symbolik eine zentrale Rolle im Roman einnimmt und mit Elementen der Volksmythologie verwoben wird.Der Roman gilt als Grundlage des modernen Vampir-Mythos und hat unzählige Adaptionen inspiriert, die jeweils eigene Schwerpunkte setzen und neue Interpretationen wagen. Unterschiede zwischen Roman und Film Die wesentlichen Unterschiede zwischen Stokers „Dracula“ und Murnaus „Nosferatu“ sind in erster Linie auf rechtliche Implikationen zurückzuführen. Da Murnau keine Rechte am Original besaß und Stokers Witwe Florence sich vehement gegen nicht autorisierte Adaptionen aussprach, musste die Geschichte substanziell modifiziert werden. Dies resultierte in einer kreativen Transformation des Materials, die paradoxerweise einen der einflussreichsten Horrorfilme hervorbrachte. Die auffälligsten Änderungen betreffen zunächst die Namen und Orte: Die Rollen der Hauptfiguren wurden entsprechend ihrer Herkunft bzw. ihrer Funktion angepasst (z. B. wurde Graf Dracula zu Graf Orlok, Jonathan Harker zu Thomas Hutter und Mina zu Ellen). Darüber hinaus wurde der Handlungsort von London nach Wisborg verlegt und die komplexe Romanhandlung von Stoker erheblich gestrafft. Die tragende Rolle von Van Helsing und der Gruppe der Vampirjäger wurde gestrichen, ebenso wie die Figur der Lucy und ihre Transformation zum Vampir. Die Natur des Vampirs selbst wurde ebenfalls verändert. Während Stokers Dracula als aristokratischer, verführerischer Charakter dargestellt wird, der sich in verschiedene Gestalten verwandeln kann, manifestiert sich Murnaus Nosferatu als eine deutlich monströsere, rattenähnliche Kreatur. Diese Interpretation hat einen neuen Zweig der Vampir-Ästhetik geprägt und die Art der Vernichtung des Vampirs verändert. Im Roman wird Dracula durch Messer und Enthauptung getötet, in „Nosferatu“ wird er durch das Sonnenlicht aufgelöst, ein Element, das später zum Standard des Vampir-Genres wurde. Die narrative Struktur erfährt grundlegende Veränderungen. Während der Roman durch verschiedene Dokumente, Briefe und Tagebucheinträge erzählt wird, nutzt Murnau die Möglichkeiten des Films für eine geradlinigere, jedoch visuell komplexere Erzählung. Zudem wird das wichtige Element des prophetischen Buches eingeführt, das den deterministischen Charakter der Geschichte unterstreicht – ein Element, das im Roman nicht existiert. Darüber hinaus wird die Rolle der weiblichen Hauptfigur neu interpretiert. Während sie im Roman eine aktive, aber dennoch den viktorianischen Moralvorstellungen entsprechende Figur ist, wird sie bei Murnau zur tragischen Erlöserfigur, die sich bewusst opfert. Diese christliche Symbolik ist im Film deutlich stärker ausgeprägt als im Roman. Die Verbindung von Vampirismus und Seuche wird bei Murnau viel expliziter dargestellt. Während die „Unreinheit“ des Vampirs im Roman eher metaphorisch zu verstehen ist, bringt Nosferatu buchstäblich die Pest in die Stadt, was dem Film eine zusätzliche gesellschaftskritische Dimension verleiht.Diese erzwungenen Änderungen führten letztlich zu einer eigenständigen Interpretation des Vampir-Mythos, die in ihrer expressionistischen Bildsprache und symbolischen Tiefe neue Maßstäbe setzte. Trotz des Rechtsstreits und der versuchten Vernichtung aller Kopien überlebte der Film und wurde selbst zu einer einflussreichen Quelle für spätere Adaptionen.Die Unterschiede zum Roman veranschaulichen, wie kreative Einschränkungen zu künstlerischer Innovation führen können.
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Jan 30, 2025 • 1h 18min

EGL070 Was ist eigentlich Systemische Therapie?

"Ein erster Schritt zur Systembildung besteht - für psychische Systeme ebenso wie für soziale Systeme - in der Reduktion auf Handlung." Niklas Luhmann in: Systemtheorie der Gesellschaft Die systemische Therapie wird erst seit einigen Jahren als Psychotherapiemethode von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. In dieser Episode befassen wir uns mit den systemischen Ansätzen dieser Therapie und beleuchten, wie sie sich von anderen Therapieformen unterscheidet. Wir reden während des Gehens und stellen dabei exemplarisch einige typische Interventionen vor, erklären das Setting des Reflecting Teams und diskutieren, warum es für die Community der systemisch arbeitenden Therapeut:innen, Coaches und Supervisor:innen eine Herausforderung war, plötzlich Diagnosen stellen zu müssen und von Störungen zu sprechen. Die Geschichte der systemischen Therapie ist eng mit einem Paradigmenwechsel in der Psychotherapie verbunden. Sie führte weg von der rein individuellen Betrachtung psychischer Probleme hin zu einem Fokus auf soziale Kontexte und Beziehungen. Was einst als revolutionäre Idee begann, gilt heute für viele als unverzichtbarer Bestandteil der psychotherapeutischen Arbeit. Besonders die Erkenntnis, dass psychische Probleme oft in einem systemischen Zusammenhang stehen, hat dazu beigetragen, die Relevanz und Wirksamkeit dieses Ansatzes wissenschaftlich zu untermauern. Die systemische Therapie wurde 2018 für Erwachsene und 2024 für Kinder und Jugendliche in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen. Die inzwischen 70 Jahre alte Therapieform hat diesen Weg in den letzten 20 Jahren in einem Umfeld beschreiten müssen, das von den etablierten "Platzhirschen" – Verhaltenstherapie, tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie und Psychoanalyse – dominiert wurde. Shownotes Walter-Benjamin-Platz in Charlottenburg Systemische Therapie: neues Psychotherapie-Verfahren für Erwachsene, In: E-Ma­ga­zin des GKV-Spit­zen­ver­ban­des Die Luhmannsche Systemtheorie Münchhausen-Stellvertretersyndrom / MSBP Munchausen syndrome by proxy Psychodynamische Behandlung von Zwangsstörungen (Leichsenring, Steinert, Weiß) MiniMax-Interventionen von Manfred Prior Zirkuläres Fragen, PDF Download Reflecting Team, PDF Download Diagnostik in der Systemischen Therapie, Hunger-Schoppe, C., Braus, N. (2024), Springer, https://doi.org/10.1007/978-3-662-64728-8_8 Mitwirkende Anja Ulrich Micz Flor Instagram Twitter YouTube (Channel) Website Micz holt Anja Ulrich in ihrer Praxis in Berlin Charlottenburg ab, deren Hausnummer sich zauberhafterweise mit der Nummer dieser Episode deckt. Zufall? Anja Ulrich ist niedergelassene psychologische Psychotherapeutin für tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie für Einzel- und Gruppenpsychotherapie. Aktuell befindet sie sich in der zusatzweiterbildung für die Analytische Psychotherapie. Schon 2008 machte sie die Weiterbildung in „Systemische Therapie und Beratung“ bei der Systemischen Gesellschaft in Berlin. Seit 2012 ist sie außerdem zertifizierte Fachberaterin für Psychotraumatologie und seit 2013 Mediatorin mit dem Schwerpunkt Familienmediation. Sie ist also seit über 15 Jahren mit systemischem Denken vertraut und als systemische Therapeutin zertifiziert. Die Tour führt uns durch Charlottenburg, beginnend mit dem Walter-Benjamin-Platz und dem Point of (no) Return in der Damaschkestraße vor den Räumen der oben genannten Systemischen Gesellschaft. Im Gespräch suchen und versuchen wir die Systemische Therapie zu beschreiben, auch in Abgrenzung zu anderen Verfahren. Wir beleuchten dabei konkrete Interventionen, wie das Zirkuläre Fragen, Parts Party, Reflecting Team oder Familienaufstellungen. Anfang und Ende bildet eine abstraktere Frage, die sich einige Therapierichtungen immer wieder einmal stellen: lässt sich so etwas individuelles wie Psychotherapie in Manuale pressen, die dann Gegenstand von Evidenzforschung sein können? Oder anders formuliert: welche Wirksamkeit der Psychotherapie fällt vom Tisch der Forschung, wenn man auf statistische Verfahren setzt, die auf Mittelwerte und Standardabweichung begründet sind? Umsomehr, wenn sich in besagter Evidenzforschung zeigt, dass schulenübegreifend die „therapeutische Allianz“, also die erlebte Qualität der Arbeitsbeziehung in der Psychotherapie, fast 40% der Erfolgswahrscheinlichkeit einer Psychotherapie begründet. Auf dem Rückweg streifen wir auch die Deutsche Akademie für Psychoanalyse in der Kantstraße, vor deren Toren wir uns versprechen auch darüber noch mal zu sprechen. Laufend. Selbstredend.
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Jan 16, 2025 • 1h 16min

EGL069 Roadmovies II: Zabriskie Point

ZABRISKIE POINT: THIS IS AN AREA OF ANCIENT LAKE BEDS DEPOSITED FIVE TO TEN MILLION YEARS AGO. THESE BEDS HAVE BEEN TILTED AND PUSHED UPWAR BY EARTH FORCES, AND ERODED BY WIND AND WATER. Wir setzen unsere Reihe über Roadmovies fort und Flo präsentiert "Zabriskie Point" von Michelangelo Antonioni aus dem Jahr 1970. Doch zunächst erinnern wir uns an die grundlegenden Merkmale von Roadmovies, die wir auch in der letzten Episode behandelt haben: die episodische Erzählweise, die zahlreichen Stationen, die oft motorisierte Fortbewegung und vor allem die innere und äußere Reise der Figuren. Der Film "Zabriskie Point" erfüllt diese Merkmale und kann gleichzeitig als Teil der New-Hollywood-Bewegung gesehen werden. Flo betont, dass Antonionis Werk nicht nur ästhetisch beeindruckend ist, sondern auch eine komplexe politische Botschaft transportiert, die im Kontext der amerikanischen Gesellschaft der 1970er Jahre verankert ist. Als Vertreter der italienischen Nouvelle Vague entwickelt Antonioni in diesem Werk seine kontemplative Filmsprache weiter. Bereits Anfang der 1960er Jahre verwendet Antonioni in einer Trilogie über die Missstände der Moderne das Konzept der "Temps mort": Momente im Film, in denen scheinbar "nichts passiert", die Kamera nach dem Abgang der Figuren verweilt und leere Bildräume ohne narrative Funktion eingefangen werden. Mit diesen Mitteln ästhetisiert er die zwischenmenschlichen Entfremdungen der Bourgeoisie. "Zabriskie Point" beginnt mit einer aufgeregten Studentenversammlung, in der die Themen Rassismus, Identität und Widerstand unter den Aktivisten diskutiert werden. Mark, der Protagonist, wird aus dieser politischen Konfrontation in eine persönliche Reise gedrängt, die ihn schließlich mit dem Flugzeug in die Weiten der Wüste führt. Daria, eine weitere Hauptfigur, symbolisiert die Suche nach Freiheit in einem kapitalistischen System. Die beiden Figuren treffen sich am Zabriskie Point und gehen in der Wüste eine tiefe geistige und körperliche Verbindung ein. In spielerischer Leichtigkeit, getragen vor allem von seinen Hauptfiguren, zeigt Antonioni mit ästhetischer Wucht den Aufbruch einer neuen Generation gegen das Establishment. Am "totesten" Punkt der Erde, in der Wüste des Death Valley, entwickelt sich aus der Liebesgeschichte zwischen Daria und Mark eine explosive Kraft, die den territorialen Schlund des Kapitalismus sprengt. Der politische Widerstand wird als ästhetische Revolte gelebt. Ganz getragen von dieser explosiven Kraft des Films sind wir an der Ostkrone angekommen und sprechen am Rande der Autobahn A113 über Fossilismus und Petromaskulinität. Micz fragt sich, ob das Ende des Verbrennungsmotors auch das Ende des Genres Roadmovie bedeutet. Flo kann dem nicht ganz zustimmen, denn für ihn steht das Roadmovie vor allem für die Reise der Charaktere. Unter der Autobahnbrücke gegenüber von Holz-Possling endet auch unsere Episode mit dem Kommentar von Micz, dass er sich wohl den Film „vermaledeiterweise“ erst nach unserer Episode anschauen wird. Shownotes Links zur Laufstrecke EGL069 | Wanderung | Komoot Links zur Episode Michelangelo Antonioni – Wikipedia Zabriskie Point (Film) – Wikipedia Road movie - Wikipedia Easy Rider - Wikipedia Nouvelle Vague – Wikipedia Pier Paolo Pasolini – Wikipedia Teorema – Geometrie der Liebe – Wikipedia Jean-Luc Godard – Wikipedia Die mit der Liebe spielen – Wikipedia Die Nacht (1961) – Wikipedia Liebe 1962 – Wikipedia Amerikanische Kunst des 20. Jahrhunderts (Ausstellung) – Wikipedia Monica Vitti – Wikipedia Jeanne Moreau – Wikipedia Marcello Mastroianni – Wikipedia Alain Delon – Wikipedia Jack Nicholson – Wikipedia Rote Wüste – Wikipedia Blow Up – Wikipedia Beruf: Reporter – Wikipedia Kontemplation – Wikipedia Andrei Arsenjewitsch Tarkowski – Wikipedia Slow cinema - Wikipedia Cadrage (Film) – Wikipedia Metro-Goldwyn-Mayer – Wikipedia Kathleen Cleaver - Wikipedia Black Panther Party – Wikipedia Death-Valley-Nationalpark – Wikipedia Bruce Goff – Wikipedia Goff in der Wüste Regie: Heinz Emigholz | Filmgalerie 451 Apocalypse Now – Wikipedia PDF-Download: The Art Cinema as a Mode of Film Practice Antonioni: „Zabriskie Point“ und die Kritik der Zeit - FIRSTonline Filmzentrale Rezension 1 (archive.org) Zabriskie Point Filmzentrale Rezension 2 (archive.org) Zabriskie Point Filmzentrale Rezension 3 (archive.org) Zabriskie Point Medien Kunst Netz | Kunst und Kinematografie | Wüsten des Politischen A Thousand Plateaus - Wikipedia Furiosa: A Mad Max Saga – Wikipedia Petromaskulinität – Wikipedia Jacques Tati – Wikipedia Mitwirkende Florian Clauß (Erzähler) Bluesky Mastodon Soundcloud Website Micz Flor Instagram Twitter YouTube (Channel) Website In Antonionis Œuvre manifestiert sich eine cineastische Exploration der Implikationen von Isolation und der persistenten Diskrepanz zwischen Mensch, Gesellschaft und Raum. Seine Werke thematisieren existenzielle Leere, Kommunikationslosigkeit und das psychologische Vakuum des modernen Menschen, ohne dabei auf laute Konflikte oder dramatische Höhepunkte zurückzugreifen. Stattdessen setzt er auf stille, langsame Szenen, die durch seine charakteristische Technik des Temps mort eingefangen werden. Obwohl in diesen narrativen Pausen scheinbar „nichts“ geschieht, beladen sie den Film mit Atmosphäre und symbolischer Kraft. Durch diese Bildgestaltung erhebt Antonioni Architektur, Landschaften oder leere Räume zu eigentlichen Protagonisten seiner Filme. Moderne Gebäude und karge, unberührte Orte werden zu Spiegeln der emotionalen Isolation seiner Figuren. Nicht selten verweilt die Kamera nach einer Handlungsszene noch einige Zeit auf einem leeren Raum, als würden die zurückgelassenen Orte die Bedeutung der Figuren weitertragen. In Il Deserto Rosso (1964) ist es die farblich verfremdete Industrielandschaft, die die psychische Zerrüttung der Protagonistin reflektiert, während in Blow-Up die brüchige Grenze zwischen Wahrnehmung und Realität erkundet wird, wobei das urbane London zur Bühne für innere Konflikte wird. Diese Motive finden auch Eingang in Zabriskie Point. Anstatt sich jedoch der europäisch-modernen Gesellschaft zuzuwenden, fokussiert sich Antonioni in diesem Fall auf Amerika – ein Land voller Kontraste zwischen Konsumrausch und Protestbewegungen, Freiheit und Repression, urbaner Hochtechnologie und scheinbar endlosen Wüstenlandschaften. Das 1970 erschienene Werk „Zabriskie Point“ erfüllt die wesentliche Merkmale des Roadmovies: Die Reise bildet den zentralen Fokus, die Handlung entfaltet sich episodenhaft vorwiegend in der Weite der Landschaft und elementare Themen wie Flucht und die Suche nach Freiheit finden Ausdruck. Die Protagonisten Mark (gespielt vom Laien-Schauspieler Mark Frechette) und Daria (Daria Halprin) führen den Zuschauer auf parallelen Geschichten durch das Kalifornien der späten 1960er-Jahre. Der Film beginnt inmitten der Studentenbewegung: In einer lebhaften Diskussion an einer kalifornischen Universität, in der sogar Black-Panther-Mitglied Kathleen Cleaver eine Rolle innehat, werden Proteststrategien gegen das Establishment erörtert. Mark, der bereits desillusioniert ist, verlässt frustriert die Versammlung. Er ist gewillt zu kämpfen, jedoch nicht gewillt, die ideologische Leere zu tolerieren. In der Folge flieht er vor der Polizei, nachdem bei einer Demonstration ein Polizist erschossen wurde, und nimmt sich spontan ein Flugzeug, um in die Wüste zu entkommen. Daria verfolgt derweil einen gänzlich anderen Weg. Sie ist für einen Immobilienentwickler tätig, der skrupellos agiert und dessen nächstes Projekt die Ausbeutung der Wohlhabenden in der Wüste sein wird. Auf ihrer Fahrt durch die Mojave-Wüste gerät sie in surreale Begegnungen: Sie trifft auf verwahrloste Kinder, die von einem gescheiterten Meditations-Guru zurückgelassen wurden, und hält schließlich am mythologischen Zabriskie Point, wo sich die Schicksale von Mark und Daria kreuzen. In Antonionis Werk nimmt die Wüste eine besondere Stellung ein. Der gewaltige Raum des Death Valleys steht in einem Gegensatz zur hektischen, kapitalistisch durchdrungenen Welt der Städte. In dieser Abgeschiedenheit können Mark und Daria dem Lärm der Zivilisation entkommen und für einen Moment die Freiheit des absoluten Ortes erfahren. In der legendären Liebesszene in der Wüste vereinen sich die beiden Protagonisten im Sand, und plötzlich erscheinen zahllose weitere Paare, die sich zu einer halluzinatorischen Massenorgie inmitten der weiten, zeitlosen Landschaft verbinden. Die Verschmelzung von Sand, Körpern und Himmel in dieser Sequenz symbolisiert die Sehnsucht nach kollektiver, utopischer Freiheit. Die finale Explosionssequenz stellt Antonionis radikalste Kritik am Kapitalismus dar. Als Daria in der palastartigen Wüstenvilla ihres Arbeitgebers ankommt – komplett mit einem grotesk in der Wüste platzierten Swimmingpool – erreicht ihre Desillusionierung ihren Höhepunkt. In ihrer Imagination zerstört sie das Gebäude in einer atemberaubenden Explosion, die in exquisiter Zeitlupe gezeigt wird. Diese Sequenz stellt einen unvergesslichen Angriff auf die Symbole des Konsumismus dar, indem sie Fernseher, Bücher, Kleider- und Kühlschränke mit sämtlichen Inhalten durch die Luft katapultiert und in operatischer Schönheit zerbersten lässt. Antonioni lässt den Zuschauer an der Vernichtung des modernen Überflusses zu ergötzen. Als „Zabriskie Point“ erschien, wurde er in den USA vernichtend kritisiert, als anti-amerikanisch und zu abstrakt abgetan. Mit dem Abstand der Jahrzehnte ist seine subversive Kraft jedoch deutlicher geworden und resoniert mit zeitgenössischer Kritik an Kapitalismus, ökologischer Zerstörung und sozialer Ungleichheit.In einer Ära des Klimawandels und globaler Proteste gegen systemische Ungerechtigkeit wirken die Themen des 50 Jahare alten Films geradezu prophetisch. Antonionis Vision der Wüste – als Ort des Widerstands und der Wiedergeburt – bietet eine kraftvolle Metapher für gesellschaftliche Erneuerung. Darias imaginierte Explosion wird nicht nur zur Ablehnung, sondern auch zu einem Akt der Hoffnung: dass aus den Trümmern etwas Besseres entstehen könnte. Michelangelo Antonionis „Zabriskie Point“ kann als ein Zeugnis für die andauernde Kraft des Kinos gesehen werden, als ein Werkzeug für Kritik und Selbstreflexion.
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Jan 2, 2025 • 1h 20min

EGL068 Auch interessant auf dem 38c3

Congress-Walk mit Ali Hackalife In dieser Folge trifft Flo den Programmierer, Künstler und Podcaster Ali Hackalife auf dem 38c3 in Hamburg. Der Chaos Communication Congress findet vom 27.12. bis 30.12. im Congress Center Hamburg (CCH) statt. Ali ist auch 2024 wieder dabei und Flo nutzt die Gelegenheit, um mit ihm eine Episode aufzunehmen. Ali produziert seit gut einem Jahr den Podcast "Auch interessant" und präsentiert darin eine große Themenvielfalt. Mit verschiedenen Gästen nimmt er Sendungen über Pilze, Segelfliegen, Hitlers Drogenkonsum, wie man einen Wingsuit fliegt, verschiedene Literaturrezensionen, Neuigkeiten aus der Tech-Welt und vieles mehr auf. Bevor wir "Reden beim Laufen", sitzen wir im 3. Stock des Kongresszentrums und sprechen über die Entwicklung der Kongresse in den letzten 10 Jahren. Ali erzählt, wie er zum Chaos kam und was er auf den Kongressen alles getrieben hat. Wir sprechen auch über einzelne Sendungen von "Auch interessant", die Flo besonders bemerkenswert fand. Darunter das Interview mit Norman Ohler, der in seinem Buch "Der totale Rausch" über die Rolle der Drogen im Dritten Reich und in der Biografie Hitlers berichtet. Dann verlassen wir den 38c3, um getreu dem Prinzip des Eigentlich Podcasts laufend zu reden und bewegen uns zum Alsterufer. Das eigentliche Thema soll Kochen sein und wir tauchen ein wenig in die Frühgeschichte des Menschen ein, um die evolutionäre und kulturgeschichtliche Rolle des Kochens zu beleuchten. Der Homo sapiens mit seinem hohen Kalorienverbrauch war auf gekochte Mahlzeiten angewiesen und soll auch zum Aussterben des Neandertalers beigetragen haben. Zurück in der Jetztzeit erzählt uns Ali von seiner Sehbehinderung und wie er "Kochen ohne Gucken" kann. Als wir wieder vor dem CCH stehen, stellt Ali fest, dass er keine der Notizen, die er sich vorher gemacht hat, angesprochen hat. Wir beenden die Folge mit der Aussicht, bei der nächsten Chaos-Veranstaltung eine neue Folge aufzunehmen. Viel Spaß beim Hören. Shownotes Links zur Laufroute EGL068 | Wanderung | Komoot Links zur Episode auch-interessant.de Benutzer:Ali Hackalife – Wikipedia @hackalife.net on Bluesky Hackalife · GitHub Jugend hackt – Wikipedia Querschläger (ricochet) - HackDash Berlin 2015 – Jugend hackt https://media.ccc.de/b/congress/2015 Politikunterricht – WRINT: Wer redet ist nicht tot Willkommen - CERT - Chaos Emergency Response Team Social Engineering (Sicherheit) – Wikipedia 1 Jahr – Statistiken, Geld und Transparenz | auch-interessant.de Norman Ohler – Wikipedia Joe Rogan Experience #2183 - Norman Ohler Diogenes Verlag - Der Zauberberg, die ganze Geschichte Der totale Rausch - Norman Ohler | Kiepenheuer & Witsch Oxytocin – Wikipedia Theo Morell – Wikipedia Werner Heisenberg – Wikipedia Traudl Junge – Wikipedia Hotboxing – Wikipedia Kapitel 1 - Die Bibel - song by Martin Luther, Rufus Beck | Spotify Habakuk – Wikipedia diplom designer malik aziz Freak Show | Menschen! Technik! Sensationen! Pilze mit Norman Glatzer | auch-interessant.de Wingsuit fliegen mit Kalle | auch-interessant.de Mission Kartoffel, Denkgeschwindigkeit, Tunnel | auch-interessant.de Das Technikjahr 2024 [Live vom 38c3] mit Dr. Michael Seemann | auch-interessant.de Gärtnern mit Felix Wilming (Felix Hobby Garten) | auch-interessant.de Felix Hobby Garten Igel-Stachelbart – Wikipedia Der stärkste Stoff - Norman Ohler | Kiepenheuer & Witsch Kochen – Wikipedia Homo – Wikipedia Archaischer Homo sapiens – Wikipedia Neandertaler – Wikipedia Feuer – Wikipedia Joachim Ringelnatz – Wikipedia David Graeber – Wikipedia Anfänge | Klett-Cotta Achromatopsie – Wikipedia Vegetarismus – Wikipedia Veganismus – Wikipedia GitHub - Hackalife/Air-fryer: Documenting my Air-fryer experiments Fritteuse – Wikipedia Die Ernährungspyramide- BZfE Der Ernährungskompass › Bas Kast Apokryphen – Wikipedia Mitwirkende Ali Hackalife (Gast) YouTube (Channel) Bluesky Website Florian Clauß Bluesky Mastodon Soundcloud Website Alis Bücherliste Ohler, N. (2015) Der totale Rausch: Drogen im Dritten Reich. Berlin: Kiepenheuer & Witsch. (Hinweis: Dieses Buch ist auch unter dem Titel Blitzed: Drugs in the Third Reich in englischer Übersetzung erschienen.) Ohler, N. (2023) Tripped: Wie LSD die Welt verändert hat. Berlin: Kiepenheuer & Witsch. Kast, B. (2018) Der Ernährungskompass: Das Fazit aller wissenschaftlichen Studien zum Thema Ernährung. München: C. Bertelsmann Verlag. Graeber, D. und Wengrow, D. (2021) The Dawn of Everything: A New History of Humanity. London: Allen Lane. Sheldrake, M. (2020) Entangled Life: How Fungi Make Our Worlds, Change Our Minds and Shape Our Futures. London: Bodley Head. Tsing, A.L. (2015) The Mushroom at the End of the World: On the Possibility of Life in Capitalist Ruins. Princeton, NJ: Princeton University Press. Die Evolution des Kochens: Von heißen Quellen zur molekularen Küche Das Kochen ist eine der ältesten und wichtigsten Kulturtechniken der Menschheit. Neue archäologische Funde verändern jedoch unser Verständnis der Anfänge dieser fundamentalen kulturellen Praxis. Während bislang die Kontrolle des Feuers als Ausgangspunkt des Kochens galt, deuten Funde in der Olduvai-Schlucht in Tansania darauf hin, dass bereits vor 1,7 Millionen Jahren die Nutzung heißer Quellen zur Nahrungszubereitung erfolgte. Diese Phase wird in der Wissenschaft als „prefire stage of human evolution“ bezeichnet. Der bisher früheste direkte Beweis für das Kochen stammt aus der Fundstätte Gesher Benot Ya’aqov in Israel, wo Überreste von gekochtem Fisch entdeckt wurden, die etwa 780.000 Jahre alt sind. Diese wurden durch kontrolliertes Erhitzen zubereitet, und nicht, wie man bis dahin annahm, über offenem Feuer. Dies zeigt, dass bereits in dieser frühen Phase der menschlichen Evolution komplexe Methoden der Nahrungszubereitung entwickelt wurden. Die Entwicklung des Kochens hatte signifikante Auswirkungen auf die menschliche Evolution, da durch das Erhitzen die Nahrung nicht nur verdaulicher, sondern auch haltbarer wurde. Dies wiederum führte zu bedeutenden anatomischen Anpassungen, wie der Verkleinerung des Verdauungstrakts, der Verfeinerung des Gebisses und – von besonderer Relevanz – der Vergrößerung des energieintensiven Gehirns. Diese Veränderungen begünstigten auch die Entwicklung der Sprache.Bereits vor der Erfindung der Töpferei entwickelten die Menschen eine Vielzahl unterschiedlicher Kochtechniken, darunter das Grillen über offenem Feuer, das Garen von Nahrung in heißer Asche, das Rösten auf erhitzten Steinen sowie die Nutzung natürlicher Gefäße wie Muschelschalen und Straußeneiern. Eine besonders interessante historische Methode war das Garen von Fleisch in Tierhäuten oder Tiermägen, eine Technik, die der griechische Geschichtsschreiber Herodot bei den Skythen beobachtete und die als Vorläufer heutiger Gerichte wie Haggis oder Saumagen gilt. Die neolithische Revolution, die vor etwa 12.000 Jahren stattfand, markierte eine fundamentale Transformation in der Praxis des Kochens. Die Entwicklung der Töpferei ermöglichte erstmals das „Eintopf-Kochen“, eine Innovation, die nicht nur neue Geschmackserlebnisse schuf, sondern auch die soziale Struktur früher Gesellschaften prägte. Die systematische Kultivierung von Getreide sowie die Entwicklung von Mahltechniken führten zur Entstehung des Brotbackens, einer Kulturtechnik, die bis heute eine zentrale Rolle in vielen Gesellschaften spielt. Die Entstehung der frühen Hochkulturen war von einer Reihe bedeutender Innovationen geprägt. In Mesopotamien entstanden um 4.000 v. Chr. die ersten schriftlichen Kochrezepte auf Tontafeln, was einen bedeutenden Schritt in der Systematisierung und Weitergabe kulinarischen Wissens darstellte. Die Ägypter entwickelten komplexe Techniken der Bierbrauerei und Brotbackkunst, während in China das Dämpfen und Wok-Kochen perfektioniert wurde. Diese frühen regionalen Spezialisierungen bilden bis heute die Grundlage vieler kulinarischer Traditionen. Das europäische Mittelalter, das oft als rückständig betrachtet wird, brachte trotz dieses Rufes wichtige kulinarische Entwicklungen hervor. So wurden in den Klosterküchen Konservierungstechniken verfeinert und die Bierbraukunst weiterentwickelt. Ein weiterer bedeutender Aspekt, der die europäische Küche nachhaltig prägte, waren die Kreuzzüge, die zu einem verstärkten Gewürzhandel führten. Die Entstehung der Zunftküchen kann als Grundstein für die professionelle Gastronomie betrachtet werden. Eine der folgenreichsten Veränderungen in der Geschichte des Kochens war der „Columbian Exchange“ im 16. Jahrhundert. Der Austausch von Lebensmitteln zwischen der Alten und der Neuen Welt führte zu einer Revolution der globalen Küche. Kartoffeln, Tomaten und Mais veränderten die europäische Ernährung fundamental, während amerikanische Kulturen neue Nutztiere und Getreidesorten kennenlernten. Diese Entwicklung, die als „kulinarische Globalisierung“ bezeichnet werden kann, hat bis heute anhaltende Auswirkungen auf unsere Ernährungsgewohnheiten. Die Industrielle Revolution markierte einen Wendepunkt in der Entwicklung der Kochtechniken. Als signifikante Meilensteine sind in diesem Zusammenhang die Erfindung des Gasherds im Jahr 1802 sowie des Elektroherds im Jahr 1892 zu nennen, welche eine beispiellose Transformation der Küchentechnik bewirkten. Die Entwicklung von Kühlschränken und Gefriertruhen ermöglichte eine völlig neue Form der Vorratshaltung. Mit der Erfindung der Konservendose und der Pasteurisierung wurden neue Wege der Haltbarmachung erschlossen. Das 20. Jahrhundert war geprägt von gegenläufigen Entwicklungen: Einerseits führte die Industrialisierung der Nahrungsmittelproduktion zur Entstehung von Convenience-Produkten und Fast Food, andererseits entwickelte sich als Gegenbewegung die Slow-Food-Bewegung. Die Mikrowelle (1946) und der Schnellkochtopf führten zu Veränderungen in der alltäglichen Küche, während gleichzeitig das Interesse an traditionellen Zubereitungsmethoden wuchs.Die gegenwärtige Situation ist durch neue Herausforderungen und Möglichkeiten für die Kochkunst geprägt. Einerseits wurde durch die Molekularküche wissenschaftliches Methodenwissen in die Gastronomie integriert, andererseits wird die Digitalisierung durch Smart Kitchen Technologies vorangetrieben. Zudem ist ein zunehmendes Bewusstsein für Nachhaltigkeit und regionale Produkte zu verzeichnen. Zudem könnten neue Konservierungstechniken und alternative Proteinquellen, wie beispielsweise Insekten oder in vitro gezüchtetes Fleisch, die Zukunft des Kochens prägen. Die Geschichte des Kochens ist nicht nur eine Geschichte der Nahrungszubereitung, sondern auch ein Spiegel der menschlichen Zivilisation. Von den ersten Versuchen der Nahrungsverarbeitung an heißen Quellen bis zur molekularen Gastronomie zeigt sich die enge Verflechtung von technologischem Fortschritt, kultureller Entwicklung und gesellschaftlichem Wandel. Das Kochen stellt demnach eine zentrale Kulturtechnik dar, die einer stetigen Weiterentwicklung und Neuinterpretation unterliegt, während sie zugleich tiefe kulturelle Traditionen bewahrt.In Anbetracht gegenwärtiger globaler Herausforderungen, wie Klimawandel, Ressourcenknappheit und wachsende Weltbevölkerung, könnte das Bewusstsein für die evolutionäre und kulturelle Signifikanz des Kochens entscheidende Impulse für zukunftsfähige Ernährungskonzepte liefern. Die historische Analyse des Kochens zeigt, dass kulinarische Innovationen häufig eine Reaktion auf gesellschaftliche Herausforderungen darstellen. Diese Erkenntnis ist auch für die Gegenwart von Relevanz.
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Dec 19, 2024 • 36min

EGL067 Dummy Coil zähmt Jaguar Kralle: Out-of-Phase Wiring Diagram für Single Coil Pickups in Stromgitarre 6

"Du redest schon weiter -- ohne mich?" -- Florian Clauß (Min 27:35) Wir zähmen die Krallen des Jaguars -- der reißerische Titel hat sich angeboten Denn in dieser Stromgitarren-Episode beschäftigen wir uns mit Brummen verzerrter Single Coil Pickups (PUs), Dummy Coils und Baseplates (in diesem Fall den Claws der Jaguar Pickups). Wenn wir diese drei Zutaten gut verrühren und eine Prise Out-of-Phase Switching dazugeben, bekommen wir den Jaguar gut in den Griff. Das Ergebnis ist eine Wildkatze, der wir bei Verzerrung eine Dummy Coil anlegen können, die sich beim cleanen Sound einfach entfernen lässt. Und diese können wir in der Phase umpolen, sodass sie für beide PUs angelegt werden kann, selbst wenn diese RWRP (Reverse Wound, Reverse Polarity) gewickelt sind. Generell sind Single Coil Tonabnehmer anfällig für Brummen. Das haben wir in anderen Stromgitarre-Episoden schon mehrfach erklärt. Die brummgeschützten Humbucker haben sich aber nicht komplett durchsetzen können, denn für viele ist die Anschlagdynamik und der Sound der Single-Coil Pickups der Sound, den sie haben wollen. Shownotes Link zur Laufstrecke EGL067 | Wanderung | Komoot Links zur Episode Duncan Designed Jaguar Pickups, Analysis & Review - OffsetGuitars.com What difference does a Jaguar’s pickup claw make? Pickups orientation and claw placement Interaktive Out-of-Phase-Schaltung zum Lernen OMG Pickup Polarity and Phase (Jaguar) Dummy Coils for Dummies - OffsetGuitars.com Tipps & Tricks. Spulen. Schwingkreise. Sperrkreise. Primärempfänger, Sekundärempfänger, Zweikreiser Der Exorzist (The Exorcist, 1973, Regie: William Friedkin) Fender Jaguar auf Wikipedia Fender Mustang auf Wikipedia Mitwirkende Micz Flor Instagram Twitter YouTube (Channel) Website Florian Clauß Bluesky Mastodon Soundcloud Website Verwandte Episoden EGL086 Pickup-Physik deiner E-Gitarre: Humbucking und Phasendrehung richtig planen (Stromgitarre 7) Es beginnt mit dem Ende der Episode: das Foto, von dem Micz meinte, dass es ihn an das Poster von „The Exorcist“ erinnert findet ihr neben dem DVD Cover eingebunden. Uncanny!? Und jetzt zum Ende des Anfangs: Beim laufend Reden versprach ich ein Wiring Diagram für zwei Jaguar Pickups mit Claw (Baseplate). Darin hilft eine Dummy Coil mit einem Out-of-Phase Switch das Brummen der Single Coil Tonabnehmer zu zähmen. Was eine Dummy Coil ist und was Out-of-Phase bedeutet, erkläre ich auch in diesem Blogpost. Und ich beginne mit der Bestandsaufnahme, was wir haben und was wir erreichen wollen: Eine Stromgitarre mit zwei Jaguar Pickups und einen 3-Position Switch (middle position: beide PUs parallel) Der cleane Sound ist der reine Jaguar Pickup Sound (keine Dummy Coil) Verzerrt soll die Gitarre weniger brummen, als üblich es für Single Coils üblich ist Dieses hum cancelling soll für alle drei Positionen funktionieren, also bridge, neck und beide parallel Die beiden PUs sind RWRP (Reverse Wound, Reverse Polarity) gewickelt, also in der middle Position ist hum cancelling gegeben Die Strat Copy Das neue Pickguard Der Jaguar Pickup eingesetzt Fräsen der Löcher für die Pickups Der Schiebeschalter für Dummy Coil und Pu 3-Pos Switching Warum hat der Fender Jaguar Pickup eine Kralle (Claw)? Anfang der 1960er kam die Fender Jaguar in die Welt und brachte zwei metallische „Krallen“ mit, die die beiden Toabnehmer seitlich und unten umklammern. Die Wicklung der Single-Coil-Pickups ist nichts besonderes und in ihrer Art denen der Stratocaster oder Telecaster ähnlich. Doch es gibt eben diesen einen, signifikanten Unterschieden. Die zusätzliche metallische, verchromte Abschirmung – die sogenannte Kralle – umgibt die Spulen seitlich und ist unten mit der als Baseplate verschraubt. Das macht den besonderen Ton aus: Magnetische Fokussierung:Die Claw bündelt das Magnetfeld des Pickups. Das Magnetfeld wird durch das Metall „gebogen“ und anstatt an den Seiten weite Bögen bis zur Mitte zu schlagen, bilden sich an der Oberseite zwischen den Polen und der Kralle kleinere, konzentrierte Magnetfelder. Sie wirken in gewisser weise wie eine Linse, die den Klang durch die Fokussierung beeinflusst. Das Ergebnis ist ein straffer und klarer Ton, der besonders in den Höhen definiert bleibt. Abschirmung des Brummens:Die Kralle ist geerdet und wird damit Teil der Abschirmung, schützt also vor elektromagnetische Interferenzen und Störgeräuschen. Wichtig: wer seine Pickups Out-of-Phase schalten will, muss die Erdung der Kralle von den Kabeln abtrennen. Dazu gleich mehr. Klangformung:Die Kralle beeinflusst die Resonanzfrequenzen des Pickups und sorgt für den charakteristischen, leicht metallischen Klang der Jaguar. Der Twang, der in Surf-Rock und Indie-Musik so geschätzt wird. Das macht die Pickups besonders. Aber was sie mit allen Single Coil Pickups gemein haben: sie brummen gerne, vor allem, wenn man mit Verzerrung spielt. Wie wir das zähmen können, das beschreibe ich hier. Unsere Zutaten: Dummy Coil und Out-of-Phase Switching. Was ist eine Dummy Coil? Im Deutschen manchmal auch als „Störspule“ beschrieben ist sie eine zusätzliche Spule, die verwendet wird, um Brummgeräusche (typisch für Single-Coil-Pickups) zu reduzieren, ohne den Klang der Gitarre wesentlich zu beeinflussen. Eine Dummy Coil hat kein Magnetfeld. Eine Dummy Coil braucht keine Poles (manche sagen jedoch: dann ist sie effektiver). Die Spule ohne Magnetfeld drumherum sollte ähnlich gewickelt sein wie der Pickup, dem sie zugeschaltet wird. Was dabei passiert: Die Dummy Coil nimmt die gleichen elektromagnetischen Störungen auf wie die aktiven Pickups. Da sie elektrisch entgegengesetzt verdrahtet ist, heben sich diese Störungen gegenseitig auf Das eigentliche Signal der schwingenden Seite bleibt (fast!) unverändert erhalten. In meinem Fall werde ich die Dummy Coil von unten an das Pickguard kleben. Da ich eine Strat Copy verwende, habe ich in der Mitte Platz, wo bei der Strat der RWRP Pickup ist. Wozu eine Dummy Coil, wenn die Jaguar Pickups Reverse Wound, Reverse Polarity (RWRP) sind? RWRP steht für „Reverse Wound, Reverse Polarity“ und beschreibt Pickups, die so gewickelt und magnetisiert sind, dass sie Brumm auslöschen, wenn sie zusammen verwendet werden. Reverse Wound (umgekehrte Wicklung): Das Signal wird elektrisch umgekehrt. Reverse Polarity (umgekehrte Polarität): Die magnetische Richtung ist entgegengesetzt. In einer Jaguar sind die beiden Pickups häufig RWRP, wodurch sie im Parallelbetrieb (Standard) als humbucking-artig agieren und Brumm unterdrücken. Die Dummy Coil kommt in der Middle Position, wenn beide Pickups aktiv sind, nicht zum Einsatz, sondern genau dann, wenn nur Bridge oder Neck aktiv sind. Dann kann die Dummy Coil zugeschaltet werden, um dem jeweiligen PU das Brummen abzuwürgen. Deshalb die Dummy Coil: wenn man verzerrt mit nur Neck oder Bridge Pickup spielt. Was ist eine Out-of-Phase-Schaltung? Eine Out-of-Phase-Schaltung (oder „außer Phase“) verändert die Polarität eines Pickups, sodass er im Gegensatz zu einem anderen Pickup schwingt. Statt dass sich die Schallsignale beider Pickups summieren, werden bestimmte Frequenzen ausgelöscht. Das Ergebnis ist ein Klang, in dem Teile der Mitten fehlen, etwas dünner, nasaler. Wer mehr Sounds aus der gleichen Gitarre kriegen möchte, der:die hat mit dieser Schaltung eine gute Erweiterung. Mehr als z.B. Pickups in Reihe statt parallel zu schalten. Der 3-Position Switch für unsere Schaltung Jetzt kommen wir zum eigentlichen Hack für dieses Wiring Diagram: die Dummy Coil mit Out-of-Phase-Switch. Der 3-Position Switch kommt zweimal zum Einsatz: für die Out-of-Phase Schaltung der Dummy Coil und die Schaltung der beiden Pickups Integration der Out-of-Phase-Schaltung mit drei Positionen für die Dummy Coil Wiring Diagram mit Out-of-Phase 3-Pos Switch für Dummy Coil parallel zu 3-Pos Tele-Style Switch von 2 Pickups Die Out-of-Phase-Schaltung wird hier mit einem DPDT-Schalter (in meinem Fall ein Schieberegler) realisiert, der die Polarität eines Pickups invertieren kann. In meinem Fall nehme ich einen Schalter mit drei Positionen, sodass ich die Mittelstellung als OFF Zustand nutzen kann. Dann ist die Dummy Coil nicht „aktiv“. Die OFF-Position ist in zweierlei Hinsicht wichtig: Wenn beide Pickups aktiv sind, ist hum bucking gegeben und die Dummy Coil sollte nicht zugeschaltet sein Wenn die Gitarre ganz clean, ohne Verzerrung, gespielt wird, kann man die Dummy Coil abschalten, um den unveränderten PU Sound zu haben. Denn eine Dummy Coil beeinflusst den Klang minimal. Nicht so stark, da sie kein magnetisches Feld erzeugt und nur Störungen aufnimmt, aber es macht einen kleinen Unterschied. Deshalb ist es gut sie abschalten zu können. Zuschaltung der Dummy Coil beim Single Coil Betrieb mit Phase-Switching Spielt man mit Verzerrung und möchte ein etwas saubereres, brummfreieres Signal, kann man die Dummy Coil zuschalten. Durch die Out-of-Phase Option lässt sich die Polarität umkehren, sodass die Dummy Coil beide Single Coils bedienen kann. Wie man die Jaguar Pickups mit sich selbst auch Out-of-Phase schalten kann. Ich mache hier nur einen kurzen Absatz zum Thema, sollte jemand noch diesen Schritt weiter gehen wollen, z.B. mit einem Push/Pull Switch am Tone Pot. Es ist notwendig die Kralle von der Erdung zu trennen. Ähnlich wie bei dem klassischen Neck Pickup der Telecaster ist das Shielding (die Kralle) mit dem Kabel des Pickups, das an Masse angeschlossen wird, verlötet. Das muss getrennt werden. Die Kralle bekommt ein eigenes Kabel, das gegen Masse geht. Und die beiden Kabel, die aus dem Pickup kommen kann man dann durch einen Switch „umpolen“, um die Out-of-Phase-Schaltung umzusetzen.

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