

Alles Geschichte - Der History-Podcast
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Hinter allem steckt Geschichte und wir erzählen sie euch - euer History-Podcast.
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Oct 3, 2025 • 24min
IM SPÄTEN MITTELALTER UND DER FRÜHEN NEUZEIT - Was das Leben kostet, etwa in Augsburg
Was bekam im Mittelalter der Henker für eine Hinrichtung? Wie viel Steuern zahlten die Huren an die Stadt? Die Augsburger Baumeisterbücher verraten es. Insgesamt 31 Regalmeter umfasst das Verzeichnis der städtischen Ausgaben und Einnahmen zwischen 1320 und 1784. Von Carola Zinner (BR 2024)CreditsAutor dieser Folge: Carola ZinnerRegie: Martin TraunerEs sprachen: Julia Fischer, Peter WeißTechnik: Simon LobenhoferRedaktion: Thomas MorawetzIm Interview: Dr. Dieter Voigt
Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks 2025
Besonderer Linktipp der Redaktion:
BR: Bernhard Heckler: Die beste Idee der Welt
Heinz, nach einer gescheiterten Geschäftsidee und von seiner Liebe Jenny verlassen, erhält ein Angebot von Freund Franky: Er will eine Wrestling Show aufs Oktoberfest bringen und Heinz soll das Drehbuch schreiben. Nach einem misslungenen Erpressungsversuch des Wiesnchefs Claudius Schowalter findet sich Heinz am Tegernsee als Geisel wieder – neben ihm überraschenderweise Jenny. ZUM HÖRSPIEL
Linktipps:
Unterstützt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft arbeitet ein Team der Universität Mainz an einer Online-Präsentation der Augsburger Baumeisterbücher, in diesem Fall von 1320 bis 1466. ZUR WEBSEITE
ARD (2021): STAAT UND GELD: Noch nie ging es ohne Kredit
Auch eine Erfindung des Mittelalters: Staatsanleihen. Der Stadtstaat Florenz gibt Ende des 14. Jahrhunderts die ersten Schuldscheine aus, um seine Kriege zu finanzieren. Bürger leihen der Regierung Geld und bekommen es später mit Aufschlag zurück. Um 1800 verschulden sich England und Frankeich massiv - aber die Folgen könnten unterschiedlicher kaum sein. ZUM PODCAST
SWR Kultur (2025): Was wir vom Mittelalter lernen können - Das ökosoziale Zeitalter?
Das Mittelalter war in manchen Punkten moderner als die "Moderne": Nachhaltigkeit, Recycling und Generationengerechtigkeit waren schon Thema - natürlich mit anderen Begriffen. Manches können wir uns vom Mittelalter abschauen. ZUM PODCAST
Alltag im Mittelalter: Eine Digital Story des Germanischen Nationalmuseums
Das Mittelalter folgt uns auf Schritt und Tritt. Wenn wir durch die Stadt gehen, auf die Uhr sehen, ein Buch aufschlagen oder eine Universität besuchen. Wie sehr uns die Zeit vor 500 Jahren bis heute prägt, zeigt die digitale Ausstellung des Germanischen Nationalmuseums. Sie erforscht: Wie lebten, wohnten und arbeiteten die Menschen im Mittelalter? Welche Hoffnungen und Ängste hatten sie, was wussten sie über die Welt? ZUR AUSSTELLUNG
Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:
DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.
Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
ZITATOR
Item 2 Guldin Vnd 13 Schilling dem Augustin ainem potten der Uns Brieff pracht der Berihtun von Costantz.
ZITATOR
An Unser Frauen Tag Natiuitas haben Wir den Zoll empfangen Von dem Torhueter daselbst 29 Pfund.
ERZÄHLERIN
Zolleinnahmen, Botenlohn für Nachrichten vom Konzil in Konstanz, milde Gaben an Bedürftige: alles, was Augsburgs Stadtkasse füllt oder belastet, wird in den „Baumeisterbüchern“ sorgfältig vermerkt.
O-TON Voigt
Wir würden heute sagen, das sind städtische Rechnungsbücher, ab 1320 und das geht bis 1784.
ERZÄHLERIN
Auch andere Städte führten „Baumeisterbücher“, wie die Verzeichnisse heißen, weil die Gelder zunächst fast ausschließlich für den Bau und Erhalt der schützenden Mauern und Gräben rund um die Stadt verwendet wurden. Nirgendwo sonst jedoch wurden die Listen über einen derart langen Zeitraum so sorgfältig geführt und aufbewahrt wie in Augsburg.

Oct 3, 2025 • 19min
IM SPÄTEN MITTELALTER UND DER FRÜHEN NEUZEIT - Die Marketenderin
Die Marketenderin - bis heute ist sie mehr Mythos als reale Figur. Sie nahmen als Frauen am Krieg teil, etwa bei der Verwertung der Beute. Sie leisteten Care Arbeit, versorgten die Soldaten etwa mit Nahrungsmitteln und mit Kleidung - und gehörten daher immer mit zum Tross. Von David Boos (BR 2025)CreditsAutor dieser Folge: David BoosRegie: Christiane KlenzEs sprachen: Xenia Tilling, Shenja LacherTechnik: Moritz HerrmannRedaktion: Nicole RuchlakIm Interview: Prof. Dr. Hiram Kümper, Lehrstuhl für Spätmittelalter und frühe Neuzeit
Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks 2025
Besonderer Linktipp der Redaktion:
rbb: Der Bruch – Frauen zwischen Ost und jetzt
Von heute auf morgen ändert sich alles! Die Gesetze, die Regeln, das Leben. Was früher richtig war, ist heute falsch und umgekehrt. Ruth-Maria Thomas erzählt von ostdeutschen Frauen, die nach der Wiedervereinigung ihr Leben neugestalten mussten. Ihre oft unerzählten und ungewürdigten Erfahrungen sind heute relevanter denn je. ZUM PODCAST
Linktipps:
ARD (2025): WIE MENSCHEN FRÜHER REISTEN - Unterwegs sein im Mittelalter
Ob Pilger, Kreuzritter oder Handelsreisende: Die Menschen im Mittelalter waren - anders als landläufig bekannt - sehr mobil. Sich seinerzeit auf den Weg zu machen war indes meist kaum bequem - und nicht selten ein lebensgefährliches Unterfangen. ZUM PODCAST
WDR Zeitzeichen (2025): Ein Manifest gegen Frauenhass im Mittelalter: Christine de Pizan
Im Jahr 1405 wagt eine Frau in Paris das Unvorstellbare: Sie widerspricht. Christine de Pizans "Stadt der Frauen" ist ein Meilenstein feministischer Literaturgeschichte – die Ich-Erzählerin bekommt Besuch von drei vornehmen Damen. Sie heißen Vernunft, Rechtschaffenheit und Gerechtigkeit. ZUM PODCAST
Alltag im Mittelalter: Eine Digital Story des Germanischen Nationalmuseums
Das Mittelalter folgt uns auf Schritt und Tritt. Wenn wir durch die Stadt gehen, auf die Uhr sehen, ein Buch aufschlagen oder eine Universität besuchen. Wie sehr uns die Zeit vor 500 Jahren bis heute prägt, zeigt die digitale Ausstellung des Germanischen Nationalmuseums. Sie erforscht: Wie lebten, wohnten und arbeiteten die Menschen im Mittelalter? Welche Hoffnungen und Ängste hatten sie, was wussten sie über die Welt? ZUR AUSSTELLUNG
Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:
DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.
Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
ERZÄHLERIN
17 Jahrhundert, eine Stadt irgendwo in Deutschland. Die Bewohner der Stadt sind in heller Aufregung, denn sie werden angegriffen. Sie kennen die Geschichte, die man sich über Belagerungen erzählt: Plünderungen, Brände, Mord und schlimmeres. Die Stimmung ist angespannt. Und dann kommen sie: Die Ritter, Söldner, Landsknechte. Männer, bereit jeden zu töten, der sich ihnen in den Weg stellt. Ohne zu zögern erklimmen sie die Mauern und nehmen die Stadt ein.
ERZÄHLERSo zumindest stellen wir uns typische Szenen im 30-jährigen Krieg vor. Aber das ist mindestens ungenau. Denn erstens endeten Belagerungen nicht zwangsläufig mit dem heldenhaften Erstürmen einer Burg. Manchmal gaben die Belagerten schon davor auf und ließen die Belagerer freiwillig in die Stadt ziehen, in der Hoffnung, nicht geplündert zu werden. Und: Die Soldaten kamen bestimmt nicht alleine. Auch wenn das in vielen Darstellungen des Krieges oft ausgelassen oder vergessen wird: Die Heere im Dreißigjährigen Krieg bestanden nicht nur aus Soldaten und nicht nur aus Männern. Teil eines Regiments waren zum Beispiel auch Wagenmeister, Feldscherer, Diener, Trommler, Feldprediger und Marketenderinnen.
ERZÄHLERINNicht nur Soldaten also, die in den Krieg zogen, sondern auch viele andere. Denn eine Armee muss nicht nur kämpfen, sondern vor allem versorgt werden. Und so sorgt der Regimentstrommelschläger für die Motivation, der Feldpriester fürs Seelenheil und die Marketenderin – sie sorgt, ja wofür? Der Historiker Professor Hiram Kümper ist Experte für das späte Mittelalter und die frühe Neuzeit. Er lehrt an der Universität Mannheim.
O-TON Prof. Hiram KümperDie Marketenderin war die Logistikerin, die Versorgerin - also vor allem für Nahrungsmittel, Kleidung, das Ausbessern der Kleidung. Man muss sich ja vorstellen, die vormodernen Heere, da sind die Staaten in der Regel mit diesen Aufgaben, gerade wenn die Heerzüge größer und auch die Heere größer werden, vollkommen überfordert. Und die Marketenderinnen, das ist eben eine der Gruppen, die das tun. Es tun durchaus nicht nur Frauen, es tun auch Männer, aber an die Marketenderinnen erinnern wir uns irgendwie stärker.

Oct 3, 2025 • 23min
IM SPÄTEN MITTELALTER UND DER FRÜHEN NEUZEIT – Die Landsknechte
Sie waren bewundert und gefürchtet: die Landsknechte. Ursprünglich als Fußsoldaten nach dem Vorbild der Schweizer Söldner geschaffen, verdrängten sie am Ende des Mittelalters die Ritterheere und revolutionierten mit ihren langen Spießen, bunten Gewändern und ihrem ganz eigenen Ehrenkodex die Kriegsführung in Mitteleuropa. Von Michael Zametzer (BR 2025)CreditsAutor dieser Folge: Michael ZametzerRegie: Christiane KlenzEs sprachen: Irina WankaTechnik: Viktor Fölsner-VeressRedaktion: Nicole RuchlakIm Interview: Dr. Christopher Retsch
Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks 2025
Besonderer Linktipp der Redaktion:
ARD: Hateland
Reichsbürger, Neonazis, Verschwörungsideologen: Im neuen Podcast "Hateland" der ARD begeben sich Reporter an den extremen Rand der Republik. Warum radikalisieren sich Menschen und was bedeutet das für unsere Gesellschaft? In der ersten Staffel “Deep State – Vom Elite Soldaten zum Reichsbürger” geht es um die sog. "Gruppe Reuß". Sie soll einen bewaffneten Umsturz geplant haben - im Zentrum dabei: Rüdiger von Pescatore: der mutmaßliche Oberbefehlshaber einer "neuen deutschen Armee". ZUM PODCAST
Linktipps:
Alltag im Mittelalter: Eine Digital Story des Germanischen Nationalmuseums
Das Mittelalter folgt uns auf Schritt und Tritt. Wenn wir durch die Stadt gehen, auf die Uhr sehen, ein Buch aufschlagen oder eine Universität besuchen. Wie sehr uns die Zeit vor 500 Jahren bis heute prägt, zeigt die digitale Ausstellung des Germanischen Nationalmuseums. Sie erforscht: Wie lebten, wohnten und arbeiteten die Menschen im Mittelalter? Welche Hoffnungen und Ängste hatten sie, was wussten sie über die Welt? ZUR AUSSTELLUNGUnd hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:
DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.
Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
ERZÄHLERIN:
Vom Bodensee bis Kempten, von Heilbronn bis Würzburg, von Schwaben bis Thüringen: Im Jahr 1525 greifen einfache Männer zu den Waffen.
Leibeigene Bauern, Knechte, Handwerker ziehen zu Tausenden in einen ungleichen Krieg gegen ihre adeligen Grundherren. Gegen erdrückende Abgaben, gegen Unrecht, für Freiheit und Selbstbestimmung.
Sie scheitern. Eine Schlacht nach der anderen geht verloren. Die Bauern werden erbarmungslos bekämpft, verfolgt und niedergemetzelt. Etwa 75.000 Tote, schätzt man heute. Als meist ungeübte Kämpfer haben sie gegen die bestens ausgerüsteten, kriegserprobten Heere der Fürsten keine echte Chance... Diese erbarmungslosen und schlagkräftigen Krieger sind: Landsknechte. Eine einzigartige Infanterieeinheit der frühen Neuzeit. Ihre Waffe, der lange Spieß, lässt sie selbst für berittene Gegner gefährlich werden. Ihre Kleidung ist für die Zeit extravagant und auffallend. Landsknechte verstehen sich als eingeschworene Gemeinschaft, als Söldner, die sogar eine Art frühdemokratischer Selbstverwaltung pflegen. Und – sie sind so bewundert wie gefürchtet. Denn bei der Bevölkerung haben die Landsknechte einen Ruf wie Donnerhall, seit sie in der Zeit des Habsburger Kaisers Maximilians I. Ende des 15. Jahrhunderts auf den Schlachtfeldern erschienen sind... Es ist ein Volk,
ZITATOR:
„....das ungefordert, ungesucht, umläuft, Krieg und Unglück sucht und nachläuft..“
ERZÄHLERIN:...schreibt der Dichter Sebastian Franck 1531 wenig positiv über das neue Phänomen auf dem Schlachtfeld...
ZITATOR:
„.das unchristlich verloren Volk, deren Handwerk ist Hauen, Stechen, rauben, brennen, morden, spielen saufen huren Gott lästern, freiwillig Witwen und Waisen machen, ja das sich nicht dann anderer Leute Unglück freut...und außerhalb und innerhalb des Kriegs auf dem Bauern liegt, garten, schinden und brandschatzen und nicht allein jedermann sondern auch ihnen selbst nicht Nutz ist, kann ich mit keinem Schein entschuldigen, dass sie nicht aller Welt Plage und Pestilenz seien.“
ERZÄHLERIN:Wer sind diese schillernden Fußkrieger, begehrten Kämpfer und gefürchteten Marodeure, die ab dem späten 15. Jahrhundert das Militärwesen in Mitteleuropa für etwa 100 Jahre bestimmen sollen? Was verbinden wir heute noch mit dem Wort „Landsknecht“?
O-TON Christopher Retsch:
Wir verbinden, wenn man uns jetzt einfach optisch vorstellen, den meist bunt angezogenen, der mit einer langen Waffe einem langen Spieß, später auch Pike genannt, seinen Kriegsdienst ausführt.
ERZÄHLERIN:Der Historiker Christopher Retsch ist Kenner der Landknechtsphänomens und ihrer Ausrüstung, wie den charakteristischen Spieß.
O-TON Christopher Retsch:
Diese langen Spieße kennen wir schon seit dem ausgehenden Hochmittelalter, das ganze Spätmittelalter hindurch gibt es erste Erwähnungen schon im dreizehnten Jahrhundert.

Sep 19, 2025 • 23min
WIE WIR MENSCHEN WURDEN – Das Kochen und das Gehirn
Der aufrechte Gang kam zuerst, danach entwickelte sich das menschliche Gehirn in Millionen Jahren zu der Größe und Leistungsfähigkeit, wie es den modernen Menschen auszeichnet. Ist der Grund dafür ein Wechsel in der Ernährung, oder haben veränderte Lebensbedingungen den Ausschlag dafür gegeben? Von Daniela Remus (BR 2023)CreditsAutorin dieser Folge: Daniela RemusRegie: Irene SchuckEs sprach: Katja AmbergerTechnik: Regina StaerkeRedaktion: Yvonne MaierIm Interview: Philipp Gunz, Ottmar Kullmer, Gerhard WeberEine Produktion des Bayerischen Rundfunks 2025
Besonderer Linktipp der Redaktion:
ARD: Wie wir ticken – Euer Psychologie-Podcast
Wie gewinne ich die Kraft der Zuversicht? Warum ist es gesund, dankbar zu sein? Der Psychologie Podcast von SWR Wissen und Bayern 2 radioWissen gibt Euch Antworten. Wissenschaftlich fundiert und lebensnah nimmt Euch „Wie wir ticken“ mit in die Welt der Psychologie. Konstruktiv und auf den Punkt. Immer mittwochs, exklusiv in der ARD Audiothek. ZUM PODCASTLinktipps:WDR Zeitzeichen (2023): Die Eiszeitkünstler: Als der Homo Sapiens kreativ wurde
Wissenschaftler finden bei Ausgrabungen auf der Schwäbischen Alb drei kleine Skulpturen aus Mammutelfenbein. Sie sind ein neuer Beleg dafür, dass das Gebiet an der oberen Donau ein wichtiges Zentrum der kulturellen Entwicklung des anatomisch modernen Menschen ist. ZUM PODCAST
Senckenberg Naturmuseum Frankfurt: Dauerausstellung “Evolution des Menschen”Wie gingen unsere Vorfahren auf zwei Beinen? Wann fing der Mensch an, Werkzeuge zu benutzen – und wie veränderte das Feuer unser Miteinander? In der Dauerausstellung “Evolution des Menschen” im Senckenberg Naturmuseum Frankfurt bekommst du einen Blick in unsere Ursprünge – wie sich Gesichter wandelten und wie wir heute durch Forschung Stück für Stück unsere Geschichte zusammensetzen. ZUR AUSSTELLUNG
Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:
DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN. Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
SPRECHERIN
Wann und warum wurden wir zu denen, die wir heute sind? Die Frage nach dem Ursprung des Mensch-Seins ist bis heute nicht sicher zu beantworten. Ob mythologische Erzählungen, religiöse Zuschreibungen oder philosophische Theorien, Antwortversuche gibt es viele. Aber erst mit der Aufklärung und der Entwicklung der modernen Naturwissenschaften haben sich solche Erklärungsversuche grundlegend verändert. Vor allem durch die Arbeiten des britischen Naturforschers Charles Darwin. Seine naturwissenschaftlich fundierte Evolutionstheorie gilt als Erklärung für Artenvielfalt, Weltwerdung und die Entwicklung der Gattung Mensch.
Seit dem 19. Jahrhundert tragen die Forschenden mithilfe fossiler Fundstücke immer mehr Puzzleteile zusammen, um das Rätsel der menschlichen Entwicklung vielleicht irgendwann wissenschaftlich zu lösen.
Philipp Gunz schließt eine schwere Tür aus Metall auf. Dahinter in einem schmucklosen Raum bewahren die Forschenden des Max Planck Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig verschiedene Fossilien auf. Oberschenkel-Knochen, Stücke von Wirbelsäulen, Teile eines Beckens, Zähne, Schädel und weitere Knochen-Fragmente:
O-TON Gunz
Das sind Abgüsse von den Originalfossilien, die Originale liegen in dem Fall in einem Safe in Südafrika, wir haben hier quasi die Plastikversionen dieser Fossilien, an denen man ein bisschen nachvollziehen kann, wie sich die Vorfahren der menschlichen Linie über die Jahrmillionen entwickelt haben.
SPRECHERIN
Philipp Gunz ist Paläoanthropologe. Das Wort kommt aus dem Griechischen. Genaugenommen ist es aus drei Begriffen zusammengesetzt: Paläo heißt alt, Anthropos der Mensch und Logie bedeutet Lehre oder Wissenschaft. Paläoanthropologen erforschen also die Entwicklung der frühesten menschenähnlichen Spezies bis hin zum modernen Menschen, dem Homo Sapiens. Die Paläoanthropologie geht davon aus, dass vor rund 6 Millionen Jahren der letzte gemeinsame Vorfahre der heute lebenden Menschenaffen und der heutigen Menschen gelebt hat.
O-TON Gunz
Also, was wir hier haben, ist ein Ausdruck des allerersten Australopithecus Kindes, das jemals gefunden wurde. Australopithecus ist eine wichtige Vormenschen-Art und dieses spezielle Fossil wurde 1924 zufällig gefunden bei Minenarbeiten in Südafrika, in der sogenannten Taung Höhle.
SPRECHERIN
Philipp Gunz zeigt einen Schädel. Er sieht aus wie von einem Menschen, mit angerundeter Schädeldecke, Kieferknochen, Augen- und Nasenhöhle. Aber er ist so klein, dass er locker in eine Hand passt.
O-TON Gunz
Hier handelt es sich um eine versteinerte Form einer fossilen Art, die damals beschrieben wurde als ‚missing link‘ zwischen den Menschenaffen und dem Menschen. Mittlerweile wissen wir, dass das stimmt, dass es sich nämlich tatsächlich um eine afrikanische Form handelt, die auf unserer Linie liegt, im weitesten Sinn.

Sep 19, 2025 • 23min
WIE WIR MENSCHEN WURDEN – Der Neandertaler
Neandertaler waren keine primitiven Halbaffen, sondern eine Menschenart mit Sprache, Kultur, Ritualen, und entwickeltem Sozialverhalten. Sie haben die gleichen Vorfahren wie der moderne Mensch, begegneten dem Homo Sapiens über mehrere Jahrtausende und zeugten mit ihm Nachkommen. Noch heute trägt der moderne Mensch Gene dieses Vorfahren in sich. Von Geseko von Lüpke (BR 2023)CreditsAutor dieser Folge: Geseko von LüpkeRegie: Martin TraunerEs sprachen: Thomas Birnstiel, Julia Fischer, Rahel ComtesseTechnik: Andreas LuckeRedaktion: Andrea BräuIm Interview: Rebecca Sykes, Svante Pääbo, Francois Savatier, Harald Floss, Joachim BauerEine Produktion des Bayerischen Rundfunks 2025Linktipps:radioeins (2024): Spermienkonkurrenz und das Verschwinden der Neandertaler
Der Neandertaler verschwand erstaunlich schnell, nachdem der moderne Mensch seinen Lebensraum in Europa und Westasien besiedelte. Als eine Theorie für das schnelle Aussterben gilt die Spermienkonkurrenz. ZUM PODCAST
Senckenberg Naturmuseum Frankfurt: Dauerausstellung “Evolution des Menschen”Wie gingen unsere Vorfahren auf zwei Beinen? Wann fing der Mensch an, Werkzeuge zu benutzen – und wie veränderte das Feuer unser Miteinander? In der Dauerausstellung “Evolution des Menschen” im Senckenberg Naturmuseum Frankfurt bekommst du einen Blick in unsere Ursprünge – wie sich Gesichter wandelten und wie wir heute durch Forschung Stück für Stück unsere Geschichte zusammensetzen. ZUR AUSSTELLUNG
Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:
DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN. Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
SPRECHERIN
Sie war in Felle gehüllt – die kleine Gruppe von Erwachsenen mit vielen Kindern. Ihre großen Augen lasen die Landschaft mit großer Aufmerksamkeit. Vielleicht war das Land eine Tundra mit Pferden, Büffeln, Mammuts. Vielleicht auch tropisch mit Flusspferden und Löwen. Oder eiskalt mit Bären, Rentieren, Wölfen. Als sie die Höhle in der engen wilden Klamm fanden, von der man heute noch redet, waren sie bepackt mit Speeren, Steinmessern, geflochtenen Körben voller einfacher Utensilien. Die kleinen Kinder der Horde wurden getragen, einige pflückten Essbares, heilende Pflanzen, Kräuter. Irgendjemand von ihnen trug schützend die Glut des letzten Feuers, das bald schon die Höhle im Neandertal wärmen sollte.
SPRECHER
Früher war es eine 1000 Meter lange und etwa 50 Meter tiefe enge Schlucht mit überhängenden Wänden, Wasserfällen, vielen kleineren Höhlen und großem Artenreichtum. Wir wissen nichts Genaues vom Leben der Menschen vor oder in der Höhle, von der Sprache ihrer Bewohner, von ihren Liedern und Ritualen, von ihren Gefühlen und ihrem Denken. Wir wissen nicht, wie und warum einer von ihnen vor 42.000 Jahren starb und hinten in der Höhle liegen blieb oder begraben wurde, bis man Jahrzehntausende später, im Jahr 1856, seinen Schädel und einige seiner Knochen fand. Im Neandertal selbst blieb seit dieser historischen Entdeckung kein Stein auf dem anderen.
SPRECHERIN
Zwar wurden die Schädelplatte und ein paar Knochen erkannt und aufgehoben. Doch alles andere landete auf einem Schuttberg, wurde weggesprengt, abgetragen, verwertet: Hundert Jahre Kalk-Bergbau haben das malerische Tal inzwischen fast vollständig zerstört. Statt Wildbächen rauscht heute unweit die A3 vorbei. Über die einst urzeitliche Landschaft fliegen die Passagierjets zum Flughafen Düsseldorf. Um an die Stelle zu gelangen, wo die Knochen lagen, die dem Neandertaler seinen Namen gaben, hat man jüngst einen 20 Meter hohen Turm errichtet – denn wo sich eins die historische Höhle befand, ist heute nichts, nur Luft.
Oben auf der Plattform kann man auf Knopfdruck Filme einer möglichen Vergangenheit abspielen und in Fernrohren fingierte Neandertaler beobachten. Und selbst die sind nicht mehr, für wen man sie lange hielt, sagt die Direktorin des Neandertal-Museums Bärbel Auffermann. Nicht primitive Halbaffen, sondern stolze indigene Menschen.
O-TON Bärbel Auffermann
Wissenschaft ist ja immer auch ein Spiegel der aktuellen Zeit.
Die allerersten Darstellungen des Neandertalers, die man sieht, zeigen immer so einen sehr haarigen, nackten Menschen. Meistens in der Nähe einer Höhle, kauernd oder lauernd und eigentlich immer mit einer Keule in der Hand. Das sind alles Attribute, die ihm aus diesem abendländischen Mythos des wilden Mannes zugeschrieben werden. Das konnte, sollte nicht unser direkter Vorfahre sein, war etwas Primitives, über das wir uns mit unserer Zivilisation erhoben haben. Das ist so ein eurozentristischer Blick auf das Fremde. Jetzt sind wir diverser aufgestellt in unseren Gesellschaften und lassen vielleicht den Neandertaler auch hinein. Er ist nicht unser direkter Vorfahre. Er ist unser - 'Cousin' trifft es ganz gut - ein entfernter Verwandter, mit dem sich unsere direkten Vorfahren immer wieder in verschiedenen geografischen Regionen sicherlich auch getroffen und vermischt haben.

Sep 19, 2025 • 24min
WIE WIR MENSCHEN WURDEN – Der Denisova-Mensch
Die genetische Analyse eines Fingerknöchelchens aus einer Höhle im sibirischen Altai-Gebirge war eine Sensation. Im Jahr 2010 hat man dadurch eine bisher unbekannte, archaische Menschenform entdeckt - den Denisova-Menschen. Dank neuer genetischer Daten wird der immer greifbarer. Von Prisca Straub (BR 2022)CreditsAutorin dieser Folge: Prisca StraubRegie: Martin TraunerEs sprachen: Irina Wanka, Frank ManholdTechnik: Helge SchwarzRedaktion: Iska SchreglmannIm Interview: Svante Pääbo, Jean-Jacques Hublin, Bence Viola
Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks 2025
Besonderer Linktipp der Redaktion:
WDR: ZeitzeichenWie wurde eine Piratin zur mächtigsten Frau Irlands? Warum trägt ein Kleidungsstück Weltgeschichte in sich? Und was verbindet Rosa Luxemburg mit unserem Heute? Im WDR Zeitzeichen erfährst du jeden Tag in 15 Minuten Spannendes, Kurioses und Prägendes aus der Geschichte – von der Antike bis heute, von großen Ideen bis zu kleinen Alltagsmomenten. ZUM PODCAST
Linktipps:Bremens Eins (2020): 25.3.2010: Denisova-Urmensch entdeckt Die Folge von Der Stichtag – Die Chronik der ARD blickt zurück auf 2010: jenes Jahr, in dem Forschende erstmals den Denisova-Urmenschen wissenschaftlich nachweisen konnten. ZUM PODCASTSenckenberg Naturmuseum Frankfurt: Dauerausstellung “Evolution des Menschen”Wie gingen unsere Vorfahren auf zwei Beinen? Wann fing der Mensch an, Werkzeuge zu benutzen – und wie veränderte das Feuer unser Miteinander? In der Dauerausstellung “Evolution des Menschen” im Senckenberg Naturmuseum Frankfurt bekommst du einen Blick in unsere Ursprünge – wie sich Gesichter wandelten und wie wir heute durch Forschung Stück für Stück unsere Geschichte zusammensetzen. ZUR AUSSTELLUNG
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DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN. Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
SPRECHERIN
Im Jahr 2010 gibt das Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie gleich mehrere atemberaubende Entdeckungen bekannt. Dem Team um den schwedischen Paläogenetiker Prof. Svante Pääbo ist es gelungen, das vollständige Erbgut des Neandertalers zu entziffern. Im Frühjahr veröffentlicht die Arbeitsgruppe die bahnbrechenden Ergebnisse. Und nicht nur das. Durch genetische Analysen rücken die Forschenden nicht nur dem Neandertaler auf den Leib, sondern stoßen auch noch auf eine weitere ausgestorbene Menschenform: einen bisher völlig unbekannten Vertreter der Gattung Homo. Die Aufregung unter den Fachleuten ist riesig. Offenkundig haben wir es mit einem ganz neuen Verwandten zu tun - dem sogenannten Denisova-Menschen.
O-TON Svante Pääbo
Man hat da sehr viel Glück gehabt, zum Beispiel mit dem ersten kleinen Fingerknochen von diesem Denisova-Menschen, von einem Mädchen. Wo wir zum ersten Mal erkannt haben, dass es diese Menschenform gibt.
SPRECHERIN
Noch nie zuvor war es gelungen, aus einem einzigen fossilen Knochenstück, so erstaunlich umfassende Erbinformation zu gewinnen. Und noch dazu eine so bemerkenswerte. Die Entdeckungsgeschichte des Denisova-Menschen beginnt also mit der genetischen Analyse eines winzigen Fragments vom letzten Glied eines kleinen Fingers. Er gehörte einem etwa 15-jährigen Mädchen und ist zwischen 50- und 80.000 Jahre alt.
Die Denisova-Höhle im sibirischen Altai-Gebirge: Sie liegt etwa acht Autostunden südlich von Nowosibirsk auf rund 700 Metern Höhe. Die Fahrt ist beschwerlich und führt über unbefestigte Straßen, mehrmals muss ein Flussbett durchquert werden. Heute sind die Höhleneingänge fast zugewachsen, doch die Bodenablagerungen enthüllen: Offenbar wurde die Denisova-Höhle vor rund 250.000 Jahren zum ersten Mal besiedelt. Verstreut in den unterschiedlichen Fundschichten finden sich Tierknochen, Steingeräte und - menschliche Überreste. Archäologen von der Russischen Akademie der Wissenschaften hatten seit den frühen 1980er Jahren eine Fülle von Gegenständen aus der Höhle geborgen - unter ihnen auch das unscheinbare, nur wenige Millimeter große Stück eines Fingerknochens. Jahre später nimmt das Team um den Paläogenetiker Svante Pääbo es genauer unter die Lupe:
O-TON Svante Pääbo
Das war ein kleines Stück. Man findet Tausend und Zehntausende Knochenfragmente bei archäologischen Ausgrabungen, die so klein sind, dass man nicht mal weiß, ob sie von einem Tier kommen oder vom Menschen.
SPRECHERIN
Äußerlich betrachtet, ist das Knöchelchen wenig bemerkenswert. Es unterscheidet sich auch nicht vom entsprechenden Knochen eines Neandertalers oder dem des modernen Menschen. Doch die Analyse genetischer Proben ergibt: Das Knochenbruchstück passt zu keiner bisher bekannten Menschenform. Zum ersten Mal in der Wissenschaftsgeschichte hatte man einen Frühmenschen nicht mit Hilfe von Fossilien entdeckt, sondern durch die Analyse seines Erbguts.
O-TON Svante Pääbo
Natürlich wusste man, dass es etwas gegeben haben muss in Asien. Wenn der Neandertaler in Europa und im westlichen Asien gelebt hat, muss es etwas gegeben haben in Ostasien.
SPRECHERIN
Und diese Lücke füllt nun der Denisovaner: Eine frühe Menschenform, die vor rund 500.000 Jahren am menschlichen Stammbaum eine eigene Linie gebildet hat.
O-TON Svante Pääbo
Was wir wissen: Der nächste Verwandte vom Denisova-Mensch war der Neandertaler. Der gemeinsame Vorfahre lebte vor einer halben Million Jahre oder ein bisschen mehr. Und dieser Vorfahr hat Afrika verlassen und hat sich dann in Eurasien entwickelt - im Westen zum Neandertaler, im Osten zum Denisova-Mensch.
SPRECHERIN
Eine Erkenntnis, die inzwischen durch die Untersuchung weiterer menschlicher Überreste aus der Denisova-Höhle bestätigt werden konnte: Knochensplitter und eine Reihe außergewöhnlich großer Zahnfragmente. Auch sie gehören zu unseren frühmenschlichen Denisova-Cousinen und -Cousins. Und nicht nur das: Während der rund 200.000 Jahre, die die Denisovaner ihre steinzeitliche Höhlenwohnung aufgesucht haben, trafen sie immer wieder auch auf ihre nächsten Verwandten - die Neandertaler - die von Westen aus in das Gebiet vordrangen. Wir wissen nicht, wie fremd sich die beiden Menschengruppen waren, wenn sie sich auf ihren Wanderungen begegneten. Aber wir wissen mit Sicherheit, dass sie gemeinsame Nachkommen hatten. Denn auch deren fossile Überreste konnten inzwischen genetisch identifiziert werden.

Sep 5, 2025 • 24min
PIRATEN - Wilde Zeiten an der Adria
Was heute für Urlauber an den Adriastränden kaum vorstellbar ist, war mehr als tausend Jahre lang Normalzustand: Freibeuter haben Segelschiffe mit wertvoller Fracht überfallen und ausgeraubt. Piratenboote gehörten quasi zur maritimen Landschaft wie heute touristische Ausflugsdampfer. Von Bernd-Uwe Gutknecht (BR 2025)Credits Autor: Bernd-Uwe Gutknecht Regie: Martin Trauner Es sprachen: Berenike Beschle, Florian Schwarz, Katja Amberger, Katja Schild Technik: Andreas Lucke Redaktion: Thomas Morawetz Im Interview: Srecko Cecuk, Neven Cagal, Dr. Vanja Kovacic, Nikolas Jaspert, Senka Vlahovic, Karlo Kovacic Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks 2025 Besonderer Linktipp der Redaktion: SWR: Archivradio Das Radio: seit einem Jahrhundert Wegbegleiter der deutschen Geschichte. Historische Tondokumente vermitteln ein Gefühl für wichtige Ereignisse und Stimmungen vergangener Jahrzehnte. ZUM PODCAST Linktipps funk (2023): Die Wahrheit über Afrikas Piraten Vor einigen Jahren kamen in den Nachrichten ständig schockierende Meldungen über #Piraten-Angriffe in Somalia. Europa und die USA starteten Anti-Piraterie-Missionen und patrouillierten an der Ostküste Afrikas. Und heute? Heute gibt es vor Somalia quasi keine Piraterie mehr. Das Problem hat sich auf die andere Seite des Kontinents verlagert. Der Golf von Guinea in Westafrika ist zum neuen Hotspot der Piraten geworden. Auf einer der wichtigsten Seestraßen der Welt überfallen sie Handelsflotten und halten Geiseln fest, um Lösegeld zu erpressen. Aber: Wieso gibt es in Somalia eigentlich keine Piraten mehr? Und warum musste ausgerechnet Westafrika das neue Piratenparadies werden? JETZT ANSEHEN Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte: DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend. Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN. Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de. Alles Geschichte gibt es auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Alles Geschichte JETZT ENTDECKEN Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript: Erzählerin:Männer mit Tüchern auf dem Kopf und Säbeln in der Hand klettern bedrohlich brüllend von ihren kleinen Holzbooten auf ein großes Segelschiff. Im idyllisch gelegenen Hafenbecken von Omis im südlichen Kroatien herrscht normalerweise eine entspannte Stimmung: neben Fischkuttern liegen hier Segelboote für Urlauber. Einmal im Jahr, immer am 18. August, verwandelt sich der ruhige Küstenort aber in ein lautes, grelles und schrilles Piraten-Nest! Ein örtlicher Verein veranstaltet eine Piratenschlacht nach historischem Vorbild. Srecko Cecuk ist der Vorsitzende:
SPRECHER 1 „Wir spielen die Schlacht nach, als Papst Honorius der Dritte seine Marine hierherschickte, um gegen die Seeleute aus Omis zu kämpfen. Die Piraten besiegten den Papst! Wir haben Details über den Verlauf der Schlacht in italienischen Archiven gefunden. Also wir wissen ungefähr, was passiert ist: die Seeleute aus Omis attackierten mit kleinen wendigen Booten die wenig beweglichen großen Schiffe des Papstes und enterten sie. Um das Ganze für unsere Besucher spektakulärer zu machen, verwenden wir auch Kanonen, die es damals ja noch gar nicht gab.“
Erzählerin:Im Jahr 1221 mussten die päpstlichen Schiffe diese empfindliche Niederlage gegen die Omiser Seeräuber einstecken. Sieben Jahre später kamen die Schiffe des Papstes wieder, diesmal behielten sie die Oberhand. Die Angriffe der Piraten aus Omis blieben eine Zeitlang aus, aber schon wenige Jahre später trieben die dalmatinischen Freibeuter wieder ihr Unwesen.
Ein paar Hundert Meter neben dem Hafenbecken mündet der Fluss Cetina ins adriatische Meer. Der Fluss kommt aus den Bergen und trägt Sedimente mit sich, deren bräunliche Farbe vermischt sich mit dem Azurblau des Meeres. Der einheimische Fischer Neven Cagal (sprich: Newen Tschagall) kennt die Küste hier wie seine Westentasche. Kurz hinter der Mündung drosselt er den Motor seines Holzbootes:
SPRECHER 2 „Jetzt sind wir genau über der Mostina! Da unten am Meeresboden, diese Stein-Mauer, die reichte früher bis anderthalb Meter unter die Meeresoberfläche, große Militär-Schiffe mit Tiefgang sind da aufgelaufen. Sie hatten also keine Chance, vom Meer aus in die Schlucht hineinzufahren. Die sogenannten Omis-Pfeile dagegen waren so flach gebaut, dass sie ohne Probleme drüberfahren konnten. So ruderten die Piraten ein paar Kilometer ins Hinterland und waren dort absolut sicher.“
Erzählerin:Unter anderem wegen dieses natürlichen Schutzraumes in der Cetina-Schlucht konnten die Seeräuber aus Omis über 300 Jahre lang den Küstenraum im mittleren Dalmatien beherrschen. EIN Piratenclan dominierte den Seeraub: die berüchtigten Kacic!
SPRECHERIN 1 „Die Kacic waren eine Fürstenfamilie, diese Seeräuber waren also Adlige! Einige Vornamen der Kacic-Seeräuber sind bekannt: Malduk, Osor, Jodimir oder Miroslav. Man muss verstehen: Seeraub war damals eine ganz normale Form der Geldbeschaffung. Man trieb Handel, wenn die Geschäfte aber nicht gut liefen, hat man eben Zwangszölle, Wegegeld, Lösegeld etc. eingetrieben. Das war gang und gebe im Mittelalter. Im Stadtarchiv von Dubrovnik gibt es dazu einige Dokumente. Etwa einen Vertrag zwischen Omis und Kotor, in dem die Piraten den Handelsreisenden freie Durchfahrt garantierten. Natürlich gegen ein Entgelt.“
Erzählerin:Dr. Vanja Kovacic ist Archäologin, hat lange am Staatlichen Institut für Konservierung in Split gearbeitet und hat ein Buch über die Piratenfamilie Kacic geschrieben.
SPRECHERIN 1„Die ersten schriftlichen Quellenangaben zu Piraten in Omis sind aus dem 12. Jahrhundert. Sie kontrollierten den gesamten Küstenstreifen von Trogir in Nord-Dalmatien bis zur Insel Korcula in Süd-Dalmatien. Sie attackierten vor allem venezianische Schiffe, aber auch der Überfall auf ein Schiff des deutschen Kaisers Friedrich des Zweiten ist überliefert. Und nicht zuletzt päpstliche Schiffe waren Ziele der Seeräuber. Sie mussten Tribut zahlen, sonst wurden sie geplündert.“
Erzählerin:Kaiser Friedrich residierte in Süditalien, seine Handelsschiffe fuhren von dort Richtung Konstantinopel. Die Freibeuter aus Omis hatten ihre Beutezüge also bis ins südliche Italien ausgedehnt. Ihre Lieblings-Opfer waren aber die reich beladenen Schiffe aus Venedig, die quasi direkt vor der Haustüre vorbeifuhren:
SPRECHERIN 1„Die Venezianer segelten nach Osten: ins Heilige Land, an die Levante, nach Konstantinopel, um Handel zu treiben. Viele dieser Handelsschiffe kamen aber nicht weit weg von Venedig, nur bis hierher! An Bord wurden sogar Pferde transportiert, ansonsten Wein, Getreide, das berühmte Glas aus Venedig, und auf dem Weg zurück unter anderem Metalle oder Gewürze. Davon haben wir detaillierte Warenlisten im Archiv gefunden.“
Erzählerin:Außer den schriftlichen Erwähnungen ist vom Kacic-Clan nicht viel erhalten. Im Stadtmuseum von Omis liegt aber ein etwa drei Meter langer Steinblock, vermutlich ein Grabstein der Freibeuter. Die Archäologin liest die kurze Inschrift vor:
SPRECHERIN 1„Hier ruht Miroslav Kacic zusammen mit seinem Vater und seinem Bruder. - Diese Steintafel wurde am Friedhof außerhalb der Stadtmauer entdeckt. Was wir auch in Omis gefunden haben, ist ein Dokument eines gewissen Burgherren Jura, in dem er den Bewohnern ausdrücklich die Piraterie erlaubt.“
Erzählerin:Auch Nikolas Jaspert, Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Heidelberg, forscht über Piraten in der Adria. Er ist Autor des Buches „Seeraub im Mittelmeerraum“. Mit dem Hollywood-Image der Piraten aus der Karibik, also mit Papagei auf der Schulter, Rumflasche in der Hand und Totenkopf auf der Fahne, hat die historische Realität der dalmatinischen Akteure nicht viel zu tun:
O-TON NIKOLAS JASPERT „Keine Totenköpfe, nein, nicht trinkfest! Man kann aber diese Karrieren verfolgen, das sind verarmte Adlige. Und wie auf dem Land manche verarmte Adlige zu Räubern werden, andere überfallen, so entschließen manche verarmte Kleinadlige auch, zur See zu gehen. Denn das, was sie können, ist kämpfen.“
Erzählerin:Neben den Kacic aus Omis gab es im Mittelalter weitere Seeräuber-Gruppierungen entlang der dalmatinischen Küste. Sie hatten sich die Reviere wohl aufgeteilt, ähnlich wie das heute die Mafia tut. Und auch an der westlichen, italienischen Küste der Adria, im westlichen Mittelmeer oder der Ägäis terrorisierten Piraten Handelsreisende. Teilweise agierten diese Freibeuter im Auftrag von Herrschenden:
O-TON NIKOLAS JASPERT „Es handelt sich – wenn man so will – um eine Form halbstaatlicher Gewalt. Das sind Personen, die etwa von der Republik Venedig oder der Krone Aragon oder Genua oder wem auch immer Kaperbriefe und die Erlaubnis erhalten, die Feinde dieser Herrschaften anzugreifen. Und es gibt auch – und das ist überraschend – Kaufleute, die auch mal zu Gewalt greifen. Das heißt also der Berufspirat, wie wir es uns vorstellen, so Blackbeard und Captain Sparrow und so, den gibt es im Mittelalter so gut wie gar nicht, sondern die anderen beiden Typen sind vorherrschend.“
Erzählerin:Nikolas Jaspert ist Mitglied einer internationalen Forschungsgruppe, die eine Datenbank über Piraterie im Mittelmeerraum aufbaut. Die Wissenschaftler durchforsten dafür Stadt - und Kirchenarchive, analysieren Handelsverträge und Register, kartographieren regionale Brennpunkte und berechnen die Gewinne der Raubzüge. Laut dem Heidelberger Historiker ein bislang vernachlässigtes Forschungsfeld:
O-TON NIKOLAS JASPERT „Da ist noch viel zu finden über Gewalt zu See. Also wenn so ein Seeraub, so eine Prise gemacht wurde, also ein Schiff gekapert wurde, dann hat das häufig diplomatische Konsequenzen gehabt, dann wurden Gesandte hin und hergeschickt und es ging um Schadensausgleich und die Androhung von Repressalien und sowas konnte sich über Monate, Jahre, ja Jahrzehnte hinziehen. Und hat auch Texte hinterlassen, die weitgehend unbekannt sind. Und die gilt es erst einmal zu lesen und auszuwerten und zwar so, dass man die Karrieren und die Handlungen von einzelnen Seeräubern, Individuen verfolgen kann und auch ihre Verbindungen zu unterschiedlichen politischen Einheiten, Herrschaften, Staaten, wenn man so möchte, auch verfolgen kann. Und das ist bislang nicht möglich gewesen, weil die Forschung in der Regel national orientiert ist, also die Italiener forschen zur italienischen Geschichte und die Spanier zur spanischen. Aber diese Seeräuber waren – das liegt in der Natur der Sache – grenzüberschreitend tätig.“
Erzählerin:Von der Altstadt von Omis aus führen einige steile Stufen zur Mirabela-Festung hinauf. Sie wurde im 13. Jahrhundert erbaut und überragt die Stadt. Von der Original-Anlage ist noch der Turm erhalten. Senka Vlahovic veranstaltet für Interessierte Piraten-Touren durch Omis, vermittelt Wissen aus der Zeit an Schulkinder und spielt auf Festivals eine Kacic-Fürstin. Vom Turm der Festung aus schaut sie auf´s Meer und zur vorgelagerten Insel Brac:
SPRECHERIN 2 „Die Festung wurde zur Verteidigung benutzt, hatte verschiedene Zwecke: der Turm war natürlich Aussichtspunkt, von hier aus hat man einen Blick über die Adria, auf den Kanal zwischen Festland und der Insel Brac, über die ganze Insel hinweg, und auf der anderen Seite zum Cetina-Fluss und den Anfang der Schlucht. Außerdem war es ein Leuchtturm. Mit dem Feuer konnten sie ihren eigenen Booten nachts signalisieren, wo ihr Hafen ist. Und die Burg war der letzte Rückzugsort. Wenn Gegner in die Stadt eindringen konnten, hätte sich die Kacic-Familie für die letzte Schlacht hier verschanzt.“
SPRECHERIN 2„Von diesem Ort aus regierten sie. Vor der Kacic-Ära hatte sich hier ein anderes Fürstentum zwischen den Flüssen Neretva und Cetina etabliert. Die Kacic-Familie hat ihnen die Herrschaft über diesen Landstrich entrissen. Die geografische Lage ist prädestiniert für Herrschende: die Stadt wurde nicht nur durch die Burg beschützt, sondern auch durch eine Stadtmauer und wo heute die Hauptstraße ist, war ein schützender Wasserkanal.“
Erzählerin:Bereits in der Antike sorgten illyrische Piraten für Angst und Schrecken an der Adria. Die Illyrer waren eine Ansammlung verschiedener Stämme wie den Japoden, Liburnern oder Histriern, die der Region Istrien ihren Namen gaben. Sie jagten schon in den Jahrhunderten vor der Zeitenwende römische oder griechische Handelsschiffe. Laut Nikolas Jaspert nutzten sie vor allem versteckte Buchten auf den vielen Inseln vor der kroatischen Küste:O-TON NIKOLAS JASPERT „Insofern sind solche zerklüfteten Küsten für Seeräuber perfekt, weil die Opfer gewissermaßen an den Küsten entlangfahren und dann kann man von einer Küstenbucht aus oder von hinter einer Küste relativ schnell vorstoßen. Und deshalb ist die Küste Dalmatiens schon seit vielen Jahrhunderten und auch im frühen Mittelalter ein Gebiet, von dem erzählt wird, wo sich sehr häufig Seeraub ereignete. Da sind die illyrischen Seeräuber nur ein Beispiel für eine lange Tradition.“
Erzählerin:Was für heutige Urlauber an den Adriastränden kaum vorstellbar ist, war mehr als Tausend Jahre lang Normalzustand: Segelschiffe mit wertvoller Fracht wurden von Freibeutern überfallen und ausgeraubt. Piratenboote gehörten quasi zur maritimen Landschaft wie heute touristische Ausflugsdampfer. Laut Archäologin Kovacic liegt das an der unterschiedlichen Beschaffenheit der italienischen und kroatischen Küstenlandschaften:
SPRECHERIN 1„Entlang der kroatischen Adriaküste sind Tausende Inseln. Hier gibt es unzählige Buchten, wo Schiffe anlegen konnten. Auf der italienischen Seite ist die Küste ewig lang, ohne schützende Buchten. Deshalb fuhren venezianische oder päpstliche Schiffe lieber auf unserer Seite. Gleichzeitig waren diese Buchten perfekte Verstecke für die Piraten. Die Seeräuber überfielen aber auch konkurrierende Städte an der Küste. So ist bekannt, dass die Bewohner von Omis einmal fast alles verloren, weil die Stadt von anderen Piraten eingenommen wurde.“
Erzählerin:Von den Neretva - Piraten ist die Taktik überliefert, in Inselbuchten Feuer zu entzünden und damit Handelsreisende anzulocken. Die mussten immer wieder anlanden und ihre Vorräte auffüllen. Näherten sie sich den Feuerstellen vermeintlicher Siedlungen, so tappten sie in die Piratenfalle. Am 18. September 887 ereignete sich vor Makarska eine legendäre See-Schlacht: die Neretva-Seeleute verteidigten ihre Stadt gegen eine übermächtige Flotte mit 12 Kriegsschiffen aus Venedig. Der venezianische Doge Urso I. verlor in der Schlacht sein Leben. Am 18. September wird jährlich der „Tag der kroatischen Marine“ gefeiert.
In der frühen Neuzeit, also im 16. und 17. Jahrhundert, war eine andere Piratengruppe aus dem heutigen Kroatien sehr erfolgreich: die Uskoken! Dieser militärisch organisierte Verband rekrutierte seine Mitkämpfer unter anderem aus Flüchtlingen osmanisch besetzter Gebiete in Süd-Dalmatien, aber auch aus anderen Bevölkerungsgruppen des westlichen Balkans. Zentrum der Uskoken war der Küstenort Senj in der Nähe des heutigen Zadar. Laut Quellen konnten die Uskoken dauerhaft auf 1000 Kämpfer zurückgreifen und legten sich erfolgreich sowohl mit den Venezianern als auch mit den Osmanen an. In Italien nannte man sie „Venturini“, also Glücksritter. Spezialität der Uskoken waren Angriffe nicht auf offener See, sondern im Hafen:
O-TON NIKOLAS JASPERT „Das sind Überfälle auf Schiffe, die gerade im Hafen sind, und das passiert sehr häufig. Also unser Bild des Seekrieges, das wir aus dem 17., 18. und 19. Jahrhundert kennen, mit den großen Schlachtschiffen und vielen Kanonen, das gilt für die frühe Zeit und auch für die Zeit der Uskoken weniger. Sie haben schnelle Schiffe, mit denen sie auch Handelsschiffe überfallen. Also ihr Vorteil ist, dass sie das Gelände natürlich gut kennen und in dieser Inselwelt zuhause sind und notfalls auch in Flüsse hochfahren können. Und zum zweiten, dass sie eben kleinere, schnellere, wendigere Schiffe haben.“
Erzählerin:Zur rein materiellen Motivation kam auch eine religiöse hinzu. Die Seeräuber aus Senj raubten vorzugsweise Schiffe der Osmanen aus.
O-TON NIKOLAS JASPERT „Die religiösen Gegensätze zwischen Muslimen und Christen erleichtern den Seeraub, weil man als Christ problemlos einen Muslim überfallen darf, weil er eben ein Glaubensfeind ist. Und umgekehrt gilt es genauso, während man sonst schon darauf achten muss, wenn man als Genuese einen Christen überfällt, weil das diplomatische Schwierigkeiten bedingt. Also der Seeraub zwischen Andersgläubigen ist schlichtweg risikoärmer für die Gewaltakteure, für die Piraten.“
Erzählerin:Was oftmals bei Piraten-Erzählungen unberücksichtigt bleibt, ist die Versklavung der Opfer. Seeräuber nahmen nicht nur sämtliche Waren der eroberten Schiffe mit, sondern oftmals auch die Besatzung oder Reisende. Und Archäologin Kovacic hat Aufzeichnungen ausgewertet, die sogar Entführungen in Küstenorten erwähnen:
SPRECHERIN 1„Aus dem 16. und 17. Jahrhundert haben wir Belege, dass osmanische Piraten hierherkamen und vor allem auf den Inseln Männer und Frauen entführt haben, die nach kräftigen Arbeitskräften aussahen. Teilweise wurden alle Bewohner von kleineren Inseln mitgenommen, so dass diese Eilande über Nacht unbewohnt waren. 1571 drangen ottomanische Piraten nach Zentraldalmatien ein, sie griffen die Siedlungen auf der Insel Hvar an und brannten praktisch alles nieder. Aber aus welchem Grund auch immer sind sie nicht ins nahegelegene Omis gekommen.“
Erzählerin:Der Heidelberger Historiker Niklas Jaspert macht in seinen Veröffentlichungen immer wieder deutlich, dass Piraterie von der Antike bis zur Neuzeit eine breite gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Bedeutung hatte. Das Bild der freiheitsliebenden Revolutionäre unter dem Totenkopf, die den Reichen das Geld stahlen und es den Armen gaben, ist ihm zufolge stark romantisierend. Ein Freibeuter im Mittelmeer war eher Wirtschaftskrimineller als Robin Hood. Und letztlich war ein großer Teil der Bevölkerung beteiligt: als Täter, Opfer oder Nutznießer:
O-TON NIKOLAS JASPERT „Man tut gut daran, wenn man eine Geschichte des Seeraubs in Dalmatien und an der Küste schreibt, dann immer die Küstenbewohner mitzuschreiben, die ganz unterschiedlich involviert sein können. Als Opfer natürlich von Überfällen, als Täter, die selbst zur See gehen und rauben, aber nicht zuletzt auch als Käufer und als Teil dieses Handels-Netzwerks, auf dem ja auch der Seeraub beruht, dass man die Beute verkaufen können muss.“
Erzählerin:Die kroatische Archäologin Vanja Kovacic ergänzt, dass man Piraterie in früheren Epochen nicht mit heutiger Moral beurteilen dürfe:
SPRECHERIN 1„Das war keine Frage von gut und böse, das war normal. Sie forderten Geld oder Ware dafür, dass fremde Schiffe durch die hiesigen Seegebiete fahren durften. Wenn man so will, tun wir das heute auch, in dem wir Zölle, auf der Autobahn Gebühren von den Durchreisenden oder in den Häfen Liegegebühren verlangen, freilich ohne Gewalt!“
O-TON NIKOLAS JASPERT „Ich halte Seeraub schon für ein zeitloses Phänomen, wir haben es ja immer noch! Also am Golf von Aden und anderswo, man muss sich nur die Zahlen anschauen, werden Jahr für Jahr Schiffe überfallen. Und das kriegen wir in Deutschland nur bedingt mit. Am Horn von Afrika eine Zeitlang schon, da war es auch in den Nachrichten. Und Reedereien reagieren zum Beispiel damit darauf, dass sie Söldner, Privattruppen anstellen, um Schiffe zu verteidigen. Also das ist ein Phänomen, das die Zeiten überdauert.“
Erzählerin:Wenn alljährlich im August im Hafenbecken von Omis die Piratenschlacht tobt, hat man von der Festung Fortica Starigrad aus den besten Ausblick. 300 Meter über der Stadt ist diese Anlage aus dem 15. Jahrhundert. Auch sie diente den Piratenfamilien als Hochburg, Aussichtspunkt und Rückzugsort. Erobert wurde sie nie. Wann genau und warum die Herrschaft der Kacic-Freibeuter endete, ist nicht überliefert. Ihre Nachfolger in Dalmatien, die Uskoken, gerieten im sogenannten „Krieg um Gradiska“, den Venedig und Habsburg ausfochten, zwischen die Fronten. Nach dem Friedensschluss der beiden Großmächte von 1617 wurden alle Schiffe der Uskoken verbrannt, sie mussten ins Hinterland umsiedeln. Viele von ihnen schlossen sich als Söldner den Habsburgern an, die übrigen zerstreuten sich zwischen Balkan und Österreich, die Piraterie an der kroatischen Küste löste sich fast über Nacht in Luft auf!
Erzählerin:Karlo Kovacic ist Mitglied der örtlichen Sektion des kroatischen Wanderverbandes und kümmert sich mit seinem Team um die Instandhaltung der Wanderwege zu den Burgen und Höhlen der Gegend. Er beobachtet die Piratenschlacht immer von oben, ganzjährig führt er Wandergruppen auf den Spuren der Piraten durchs Gelände.
Und auf EINE Entdeckung warten die Bewohner von Omis seit langem: irgendwo muss doch ein Piratenschatz vergraben liegen!?
SPRECHER 1„Leute aus Omis suchen seit Jahrhunderten nach möglichen Piratenschätzen, zum Beispiel in den vielen kleinen Höhlen hier. Bisher hatte aber noch kein Schatzjäger Glück, es wurde nichts Wertvolles gefunden. Wir wissen nicht, wohin die Kacic ihre Schätze geschafft haben oder ob sie hier irgendwo ruhen. Zur Bank haben sie die Schätze sicher nicht gebracht!“

Sep 5, 2025 • 22min
PIRATEN - Francis Drake, Freibeuter und Abenteurer
Pirat im Dienst der Königin - Francis Drake, geboren 1543, begann als Sklavenhändler. Dann plünderte er spanische Schiffe und Küstenstädte, umsegelte dabei die Welt und schlug sogar noch die mächtigste spanische Flotte aller Zeiten, die legendäre Armada, in die Flucht. Francis Drake wurde Englands Nationalheld, eine Art Robin Hood der Ozeane. Von Brigitte Kohn (BR 2009)Credits Autorin: Brigitte Kohn Regie: Martin Trauner Es sprachen: Franziska Ball, Martin Umbach, Johannes Hitzelberger, Ulrich Frank, Katja Amberger Redaktion: Hildegard Hartmann Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks 2009 Besonderer Linktipp der Redaktion: ARD (2025): Ready for Liftoff! Der Raumfahrt-Podcast Immer mehr Raketen, immer abgefahrenere Missionen! In der Raumfahrt geht's gerade richtig ab. Das Wettrennen zum Mond und Mars hat längst begonnen. Bereit für den Start? Anne-Dorette Ziems, Fritz Espenplaub und David Beck nehmen euch alle zwei Wochen mit auf diese Reise. Wir sprechen über die neuesten Missionen, spannende Zukunftsvisionen und geben überraschende Einblicke in die Welt der Raumfahrt – ohne zu viel komplizierte Physik! ZUM PODCAST Linktipps WDR (2022): Anne Bonny - Die Piratin Schon als Kind will Anne keine "kleine Lady" sein. Als ihre Eltern mit ihr von Irland nach Amerika auswandern, rebelliert sie sowohl gegen die Sklavenhaltung als auch gegen alle Konventionen. Aber wie kann sie ihrem Schicksal als "feine Dame" entkommen? JETZT ANHÖREN Das Kalenderblatt (2008): Francis Drake überfällt Frigata 27.10.1572: Der englische Freibeuter Francis Drake war der erste Weltumsegler und Sieger in der Seeschlacht gegen die spanische Armada - was ihm den Status als "Volksheld" einbrachte. Doch mit knapp 55 Jahren ereilte ihn nicht der Heldentod, sondern er starb ganz unheroisch an der Ruhr … JETZT ANHÖREN Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte: DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend. Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN. Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de. Alles Geschichte gibt es auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Alles Geschichte JETZT ENTDECKEN Hier ein Auszug der Folge zum Nachlesen:
ZITATOR FRANCIS DRAKE:„Seht, so enden Verräter!“
ERZÄHLERIN:Drake hat das Szepter nun fest in der Hand, die Reise wird ein voller Erfolg. Im September 1580 läuft Drakes Flotte unter der Führung seines Flagschiffs, der legendären Golden Hind, nach drei Jahren in den heimischen Hafen von Plymouth ein. England jubelt, Drakes Ruhm verbreitet sich in ganz Europa. Er hat eine ungeheure Leistung als Seemann vollbracht, die verhassten Spanier an den pazifischen Küsten ausgeplündert, wichtige Handelsbeziehungen hergestellt und herausgefunden, dass es südlich der Magellanstraße keinen Südkontinent gibt, dass vielmehr der Atlantische und der Pazifische Ozean dort ineinander übergehen. Und er hat unermessliche Reichtümer an Bord, die sofort in den Schatzkammern der Königin eingelagert werden. Der spanische Gesandte schäumt vor Wut und beantragt eine Audienz.
ZITATOR GESANDTER:„Im Namen seiner Majestät des Königs von Spanien erhebe ich schärfsten Protest und fordere die sofortige Rückgabe des spanischen Eigentums!“
ZITATORIN KÖNIGIN ELISABETH:„Senor de Mendoza, was fällt Euch ein, Euch in meine Staatsgeschäfte zu mischen? Ich erwarte eine schriftliche Entschuldigung Eures Gebieters wegen dieser Verletzung der Etikette!“
ERZÄHLERIN:Am 4. April 1581 gibt Drake ein großartiges Festessen für Elisabeth an Bord der Golden Hind. Eine riesige, kaum zu bändigende Menschenmenge säumt das Ufer. Als die Königin das Schiff betritt, rutscht ihr ein rotes Strumpfband herunter. Ohne große Umstände streckt sie ihr schlankes Bein aus und befestigt es wieder an der richtigen Stelle. Absicht oder nicht, wer weiß das schon? Elisabeth ist eine Meisterin der Selbstinszenierung. Die Seemänner johlen vor Begeisterung. Drake wird zum Ritter geschlagen. Danach kauft er sich ein großes Landgut und betätigt sich als Unternehmer und Politiker.
O-TON PROFESSOR KLEIN:„Er war ja mehrere Male Parlamentsmitglied und war auch in vielen Ausschüssen. Aber interessant ist, dass die Redebeiträge von Drake nie in den Protokollen auftauchen. Er war nicht der Starparlamentarier. Ich glaube, dass er ein ganz guter Regionalpolitiker gewesen ist. In Devon hat er eine ganze Menge gemacht für die Sicherung der Küsten.“
ERZÄHLERIN.Das ist auch nötig, denn die Spanier rüsten zum Krieg. Elisabeth hat 1587 die schottische Königin Maria Stuart hinrichten lassen, das verschärft die Spannungen. Seit Philipp II. von Spanien Portugal annektiert hat, ist seine Macht noch gewachsen, nun soll auch England dran glauben. 1588 schickt Philipp die legendäre Armada, die größte Flotte der damaligen Zeit, gegen das Inselreich aus. Die gewaltigen Schiffe wirken wie schwimmende Kasernen. Jeder hält sie für unbesiegbar, aber das ist ein Irrtum. Die Spanier werden vernichtend geschlagen. Drake, inzwischen zum Vizeadmiral ernannt, hat die englische Flotte erfolgreich modernisiert. Er nimmt auch selbst an der Schlacht teil, und allein sein Name lässt die Spanier erzittern.
O-TON PROFESSOR KLEIN:„Die Führungsstruktur bei den Spaniern war ganz hierarchisch. Der Oberbefehlshaber hat sozusagen den Unterbefehlshabern genaue Direktiven gegeben und die Spanier sind ja auch immer in so einer Halbmondformation gesegelt, und die Engländer waren flexibler.“
ERZÄHLERIN:Wie ein Rudel Hyänen, das einen Elefanten jagt, schießen die modernen englischen Schiffe auf die Armada zu. Auf den Enterkampf, für den die Armada konstruiert ist, lassen sich die Engländer gar nicht erst ein. Fünf Stunden lang tobt eine brutale Seeschlacht. Wenn sich die angeschossenen spanischen Schiffe kenternd zur Seite neigen, ergießt sich kübelweise Blut ins Meer und färbt das Wasser rot. Sturm kommt auf und treibt die fliehenden Schiffe gegen die umtosten Felsklippen. Das Ende der Armada ist ein Desaster.
MUSIK
ERZÄHLERIN:Dass der Zugriff Spaniens auf England dauerhaft abgewehrt werden konnte, daran haben die Leistungen Francis Drakes großen Anteil. Doch mit der spanischen Seemacht ist es noch lange nicht vorbei. Als Drake versucht, ihr in weiteren Expeditionen den Todesstoß zu versetzen scheitert er. Die Spanier haben dazugelernt. Sie fürchten Drake, den sie El Dragon, den Drachen nennen, wie der Teufel das Weihwasser, und sie rechnen jetzt überall mit ihm. Für den Matrosen Heinrich Hasebeck sind Drakes Attacken während seiner letzten Fahrt 1595 nach Südamerika nur ein sinnloses Gemetzel.
ZITATOR MATROSE HASEBECK:„Da krachte es schon. Die Spanier hatten uns sehr wohl bemerkt, hatten uns nahe genug herankommen lassen und dann präzise das Feuer eröffnet. Augenblicklich herrschte Krieg. Fast von allen Seiten wurde auf uns gefeuert. Schon ein Schuss der ersten Salve traf in unseren Bug, riss dort ein Loch hinein und einen Mann entzwei. Ich sah, wie jemand die Leiche des zerfetzten Mannes über Bord wuchtete, und ich sah, wie ein Seemann versuchte, einen Schwall Blut von sich abzuwischen. Vorwärts, ihr Hunde, brüllte Drake.“
ERZÄHLERIN:Nichts wünschen die Spanier mehr als Drakes Tod. Doch Drake stirbt nicht im Kampf, er stirbt an der Ruhr, die unter den erschöpften Männern schnell um sich greift. Im Fieberwahn kurz vor seinem Tod im Januar 1596 stößt er wilde Flüche aus und verlangt nach seiner Rüstung. Am nächsten Tag wird seine Leiche in einen Bleisarg gebettet und unter dem Donner der Kanonen der See übergeben.Und Hasebeck? Der steht nicht dabei. Er ist von Bord geflohen, zusammen mit seiner Geliebten, einer schwarzen Frau namens Maria, die er in Rio de la Hacha kennen gelernt hat. Sein Tagebuch lässt er an Bord zurück, er braucht es jetzt nicht mehr. Irgendwo im heutigen Kolumbien verliert sich seine Spur.

Sep 5, 2025 • 23min
PIRATEN - Segeln unter schwarzer Flagge
Blutrünstige Barbaren oder freiheitssuchende Abenteurer? Wie waren Piraten wirklich? Ein Blick in die Geschichte offenbart Leben voller Abenteuer, Mordlust - und sogar Demokratie unter Piraten. Von Niklas Nau (BR 2018)Credits Autor: Niklas Nau Regie: Frank Halbach Es sprachen: Stefan Wilkening, Caroline Ebner, Christian Baumann Technik: Helge Schwarz Redaktion: Thomas Morawetz Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks 2018 Besonderer Linktipp der Redaktion: BR (2025): Nicht mehr mein Land Im Flüchtlingssommer 2015 ist Ali Gutsfeld stolz auf sein Land. Damals zeigt sich Deutschland offen, hilfsbereit, empathisch. Und Angela Merkel verspricht: "Wir schaffen das". Aber schon im selben Jahr gibt es heftige Proteste gegen Flüchtlinge. Merkel sagt daraufhin, wenn wir uns für Hilfe in Notsituationen entschuldigen müssen, "dann ist das nicht mein Land". In seinem neuen Podcast will Ali Gutsfeld herausfinden: Was ist in den letzten zehn Jahren falsch gelaufen? Was können wir dagegen tun? Und er fragt sich: Ist das noch mein Land? In sechs Folgen trifft er Menschen, für die 2015 alles verändert hat. Ein Podcast für alle, die ihr Land nicht wiedererkennen. Damit wir wieder lernen, miteinander zu reden. ZUM PODCAST Linktipps Radiowissen (2025): „Pirate Queens“ – Frauen unter der Totenkopf-Flagge Sie sind Mythos: "Pirate Queens", Seeräuberinnen, der Schrecken der Karibik. Es gab sie wirklich, sie waren reale Personen in der Geschichte der Piraterie. Als Abenteurerinnen, Kämpferinnen für Frauenrechte und leidenschaftliche Liebhaberinnen sind sie zu Ikonen der Popkultur geworden. Autor: Frank Halbach JETZT ANHÖREN funk (2022): Mythos Piraten – Wie lebten sie wirklich? Piraten – wir kennen sie von Figuren wie Captain Jack Sparrow, dem wohl berühmtesten Piraten Hollywoods . Doch ein Leben als Pirat bedeutet in der Realität mehr als versteckte Schätze zu heben. Und selten geht die Geschichte der Piraten in der Vergangenheit so gut aus, wie Hollywood es uns vermittelt. Es ist vor allem ein Leben geprägt von Brutalität, Not und Armut. Die Piraterie ist so alt wie die Schifffahrt selbst. Diebe auf dem Meer gibt es, seit Handel über den Seeweg betrieben wird. Die Kilikischen Seeräuber versetzen schon in der Antike die Seeleute auf dem Mittelmeer in Angst und Schrecken. Piraten rauben, morden, plündern, nehmen Geiseln und bereichern sich. Auch das wird oft verklärt. Wieso es zu nahezu jedem Zeitpunkt in der Geschichte Piraten gab, was sie antreibt und wie ihr Leben tatsächlich aussah, erklärt euch Mirko in diesem Video. JETZT ANSEHEN Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte: DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend. Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN. Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de. Alles Geschichte gibt es auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Alles Geschichte JETZT ENTDECKEN
Und hier ein Auszug des Audios zum Nachlesen:
ErzählerDaniel Collins ist 23, und hat schon viele Seefahrten als Marinesoldat hinter sich, als er 1824 an Bord der Betsey geht. Von Wiscasset an der Ostküste der USA sticht die Crew des Handelsschiffs in See. Die Fahrt sollte zum Albtraum werden:
Erzählerin Nur zwei Tage später läuft die Betsey in stürmischen Gewässern zwischen Florida und Kuba auf Grund. Die Mannschaft kann sich in einem beschädigten Rettungsboot auf eine kleine Insel retten. Doch sie sind nicht die einzigen dort:
Zitator“Meine Ängste, dass es Piraten waren, bestätigten sich nun; und als ich sie so sah – ohne jeden Anreiz oder Provokation folterten sie einen Seemann, der keinen Penny besaß und durch einen Schiffbruch in ihre Fänge geraten war, krank und fast völlig hilflos, der Sie anflehte, ihn nicht in der Blüte seines Lebens (…) zu töten und sie daran erinnerte, dass er Frau und seine Eltern zurücklassen würde – da brach ich in Tränen aus und stand unwillkürlich auf, wie, um mein Leben teuerst zu verkaufen.“
Erzähler Collins schafft es tatsächlich, den Piraten zu entkommen. Nach einer abenteuerlichen Irrfahrt gelangt er zurück nach Wiscasset, wo er seine Geschichte aufschreibt. Eine Geschichte, in der uns Piraten so begegnen, wie wir sie auch aus manch anderen Legenden und Erzählungen kennen: Gierig, verschlagen, grausam, böse. Immer bereit, zu morden und zu brandschatzen, und hilflose Opfer über die Planke zu schicken, hinab zu den Haien.
ErzählerinUnd doch kennen wir noch ein zweites Piratenklischee: Das vom romantischen Freiheitssucher und Gentleman-Abenteurer mit Herz aus Gold. Captain Jack Sparrow ist so einer, oder Errol Flynns „Captain Blood“.
ErzählerWelches Bild stimmt, wer waren Piraten wirklich? Grausame Schurken, romantische Abenteurer, oder ein bisschen was von beidem?
Erzählerin Piraten gab es schon in der antiken Welt; zeitweise wimmelte etwa das Mittelmeer nur so von Ihnen.
ErzählerVor allem dort, wo Krieg herrscht, gedeiht die Piraterie während der Antike. Griechische Stadtstaaten wie Sparta oder Athen waren sich nicht zu schade, in Konflikten auch auf angeheuerte Piratenflotten zurückzugreifen. Der Makedonische König Philipp beschwert sich in einem Brief an die Athener so über einen von deren Verbündeten:
ZitatorEr hat alle Kaufleute, die nach Mazedonien segeln, als Feinde behandelt, gefangen genommen und als Sklaven verkauft. Und Ihr habt ihm dafür noch gedankt! Es würde keinen Unterschied machen, würdet offen zugeben, Krieg gegen mich zu führen. Denn als wir offen im Streit lagen habt Ihr ebenso Seeräuber gegen mich ausgesendet, Händler versklavt, meinen Feinden geholfen und meine Länder bedroht.
Erzählerin Doch mit dem Weltreich von Philipps Sohn, Alexanders dem Großen, und später im Römischen Reich wird es für Piraten ungemütlicher: In diesen befriedeten Imperien sind sie bloß noch eine Bedrohung für Sicherheit und Handel. Immer wieder führen die Herrscher deswegen Feldzüge gegen die Seeräuber, der Politiker und Redner Cicero bezeichnet Piraten als „Feinde aller“ – als Feinde der Menschheit.
ErzählerDoch wirklich sicher vor Piraten sind Seeleute und Küstenbewohner nie lange: Ob vor den Wikingern in ihren gefürchteten Drachenbooten, den Vitalienbrüdern um Gödeke Michels oder den Piratenflotten der sogenannten Barbareskenstaaten Nordafrikas, die vom 16. bis ins 19. Jahrhundert die Küsten Italiens, Spaniens und Portugals unsicher machten.
ErzählerinDie Zeit jedoch, die unser Bild von Piraten entscheidend geprägt hat, beginnt Mitte des 17. Jahrhunderts und dauert weniger als hundert Jahre: Das „Goldene Zeitalter der Piraterie“.
ErzählerDie Weltmeere waren damals zu geschäftigen Orten geworden. Aus der „neuen Welt“ – den Amerikas – brachten Schiffe Tabak, Holz, Zucker, Silber, Gold, und andere Reichtümer zu den Kolonialherren im alten Europa, aus Asien flossen Gewürze, Indigo, Seide, Salpeter und Tee. Aus Afrika wiederum brachten die Kolonialherren „menschliche Ware“ übers Meer: Verschleppt, um auf den Plantagen und in den Minen der neuen Welt zu schuften. Luxus und Gebrauchsartikel aus Europa und noch vieles mehr – Jedes Schiff war ein Vermögen wert, ein einziger Überfall konnte eine Crew zu reichen Männern machen.
ErzählerinEine Verlockung, der auch die europäischen Kolonialmächte selbst nicht widerstehen konnten. Um den eigenen Profit zu vergrößern und konkurrierende Nationen zu schwächen, gaben die Kolonialstaaten damals Kaperbriefe aus. Wer solch einen Brief besaß, durfte als „Freibeuter“ – als eine Art legaler Pirat – Schiffe feindlicher Nationen überfallen. Sir Francis Drake hatte es mit Angriffen auf die Spanische Silberflotte im 16. Jahrhundert zum Nationalhelden mit Ritterschlag gebracht. Ein Beispiel, dem viele Kaperfahren in der Folge nachzueifern suchten.
ErzählerDoch was, wenn ein vielversprechendes Handelsschiff nun mal die „falsche“ Flagge hatte? Oder wenn ein neu geschlossener Friedensvertrag Schiffe einer Nation auf einmal Tabu machte? Vom ehrenhaften Freibeuter zum geächteten Piraten war es nur ein kleiner Schritt – den im goldenen Zeitalter eine ganze Reihe von Seeleuten wagten.
Erzählerin Etwa Captain William Kidd. Eigentlich war der erfahrene Seefahrer von den Engländern als Piratenjäger engagiert worden: Er sollte die Piraterie im indischen Ozean eindämmen. Doch Kidd wurde selbst zum geächteten Piraten.
ErzählerKidds legendärer Schatz inspirierte Louis Stevensons berühmten Piratenroman „Die Schatzinsel“ und beflügelt auch heute noch die Fantasie von Glücksrittern.
ErzählerinNoch viele weitere, bis heute legendäre Piraten, stammen aus dieser Zeit: Etwa Captain Henry Morgan, Bartholomew Roberts und Jack „Calico“ Rackham. Und natürlich auch er, der wohl berühmteste Pirat:
ErzählerBlackbeard!
Zitator Dieser Bart war schwarz, und ließ er denselben bis zu einer entsetzlichen Größe wachsen, dass seine ganze Brust davon bedeckt war, und derselbe ihm bis zu den Augen hinauf ging.
ErzählerIn den Kampf gezogen sein soll Blackbeard mit drei Paar Pistolen über der Brust und brennenden Lunten unter dem Hut.
ZitatorDieser Aufzug, wenn man dazu die Gestalt seiner Augen hinzusetzet, deren Blicke von Natur wild und grausam waren, machten ihn so erschrecklich, das man keine Furie in der Höllen sich entsetzlicher einbilden kann als diese Gestalt. Seine Humeur und Neigungen kamen mit seiner barbarischen Gestalt wohl überein.
ErzählerinSo ist Blackbeard in dem Buch „A General History of Pirates“, das 1724 veröffentlicht wurde, beschrieben. Viel von dem, was wir heute über die Piraten des Goldenen Zeitalters zu wissen glauben, stammt daraus. Der Autor: ein Captain Charles Johnson – ein Pseudonym. Lange Zeit war die vorherrschende Meinung, dass Robinson Crusoe-Schöpfer Daniel Defoe dahinter stecke, aber auch der Journalist und ehemalige Seemann Nathaniel Mist gilt als möglicher Kandidat. Doch so ungewiss wie die Autorenschaft ist auch der Wahrheitsgehalt mancher Passagen in der „General History“ und vieler anderer Piratenlegenden aus dieser Zeit.
ErzählerHeute gibt es ernsthafte Zweifel an vielen Schauergeschichten um den schrecklichen Schwarzbart:
ErzählerinEtwa, dass er ganze vierzehn Mal geheiratet haben soll, und seine vierzehnte Frau, die 16-jährige Mary Ormond, in der Hochzeitsnacht zwang, auch seine Crew sexuell zu befriedigen. Belege dafür, dass Blackbeard überhaupt je verheiratet war, gibt es nicht. Und als Blackbeard das Schiff Concorde kaperte um es zu seinem neuen Flagschiff zu machen, was tat der grausame Seeräuber dem besiegtem Kapitän der Concorde da an? Kielholen? Über die Planke schicken?
ErzählerNein. Er gab ihm eines seiner eigenen zwei Schiffe und ließ ihn ziehen.
Von anderen Piratenkapitänen gibt es dabei durchaus so viele Berichte von Grausamkeiten, dass sich nicht alle als Seemannsgarn abtun lassen. Etwa die vielen Gewaltexzesse des Captain Low, einem Londoner Kleinkriminellen, der es mit seiner Skrupellosigkeit in der rauen Welt der Piraten schnell bis zum Kapitän gebracht hatte. Einem Kapitän, der die Bordkasse seines Schiffs versenkt hatte, soll Low etwa die Lippen abgeschnitten haben, bevor er die gesamte Schiffsbesatzung ermordete.
ErzählerinDen grausamen Ruf Captains Low‘s hatte auch der junge Fischer Philip Ahston im Kopf, als er 1722 in die Hände von Piraten fiel.
ZitatorSie brachten mich auf die Brigantine, die keinem geringeren als dem berüchtigten Piraten New Low gehörte, mit einer 42 Mann starken Mannschaft, 2 Kanonen und 4 Drehbassen. Ihr mögt euch leicht denken können, wie ich schaute und mich fühlte, als ich mich, zu spät um es noch ändern zu können, in den Händen solch einer wahnsinnigen, tollen, boshaften Crew wiederfand.
ErzählerMan kann davon ausgehen, dass manche Piraten die Macht, die sie über ihre Opfer hatten, genüsslich ausnutzten. Doch der Ökonom Peter Leeson glaubt, dass dies eher die Ausnahme war. Für ihn hat die berüchtigte Grausamkeit vieler Piraten vor allem ökonomische Gründe hatte, und kam oft dann zum Einsatz, wenn eine Besatzung sich nicht kampflos ergeben hatte: Ein Brief eines britischen Gouverneurs aus dem Jahr 1721 berichtet von so einem Fall in Bermuda:
Zitator„Hartnäckig hielt das Schiff seine Verteidigung für vier Stunden aufrecht und tötete viele der Piraten, wurde dann aber doch überwältigt und musste sich ergeben. Männer, die die Piraten an Bord noch lebend antrafen, wurden mit verschiedenen grausamen Methoden hingerichtet.“
ErzählerLeeson argumentiert, dass die Piraten in solchen Fällen eine eindeutige Botschaft senden wollten: Leistete man gegen die Männer, die unter der schwarzen Flagge, der sogenannte „Jolly Roger“ segelten, Widerstand, so hatte man keine Gnade zu erwarten. Ergab man sich aber kampflos, konnte man unversehrt davonkommen – sogar, wenn man in die Fänge des berüchtigten Blackbeard geraten war, wie die Geschichte des Kapitains der Concorde zeigt. Und so, vermutet Leeson, befeuerten Piraten auch selbst gerne die Geschichten ihrer Grausamkeit und Unberechenbarkeit – es machte ihnen das Leben leichter. Und die Strategie ging wohl auf. Ein Zeitungsartikel aus jener Zeit berichtet, dass Seeleute sich weigerten, ihre Schiffe gegen Piraten zu verteidigen.
ErzählerinBlackbeard, so glauben auch einige Historiker, könnte dieses piratische Image-Building bis zur Perfektion getrieben haben. So schrecklich war sein martialischer Auftritt und die Legenden, die sich um ihn rankten, dass er bis zu seinem letzten Kampf als Pirat wohl niemanden töten musste.
ErzählerLeesons These ist nicht unumstritten. Doch, eines ist klar: Trotz Momenten der Großzügigkeit und Gnade waren Piraten zumeist einfach skrupellose Verbrecher. Auch, wenn manche von Ihnen es selbst nicht ganz so sahen. Laut Piratenchronist Charles Johnson soll Captain Sam Bellamy dem Kapitän eines gekaperten Bootes folgendes vorgehalten haben:
ZitatorDoch seid Ihr ein verschlagener Hund, genau wie alle, die sich den Gesetzen beugen, die reiche Männer für ihre eigene Sicherheit geschaffen haben. […] Sie verteufeln uns, die Schufte, wo doch der einzige Unterschied der ist, dass sie die Armen unter dem Deckmantel des Rechts ausrauben, während wir die Reichen plündern, nur unter dem Schutz unseres eigenen Mutes.” ErzählerinHier kommt langsam das andere Piratenklischee ins Spiel, das vom Gentleman-Abenteurer und Rebellen, der in der Piraterie Freiheit und Gerechtigkeit sucht. Tatsächlich war einer der Spitznamen Sam Bellamy’s “Robin Hood der Meere”, seine Crew bezeichneten sich selbst als “Robin Hoods Männer”.
ErzählerDoch dieser Vergleich hinkt. Die einzigen Bedürftigen, die von den Raubzügen des selbsternannten Robin Hood profitierten, waren er selbst und seine Männer. Denn Bellamy stammte aus ärmlichen Verhältnissen, häufte aber innerhalb nur eines Jahres ein immenses Vermögen an. Nach Schätzungen von Forbes erbeutete er Schätze im Wert von heute 120 Millionen Dollar und war damit der reichste Piraten aller Zeiten.
ErzählerinAuch eine utopische Piratenrepublik eines Captain Mission, von der Piratenchronist Charles Johnson berichtet und in der Männer aller Nationen – schwarze ebenso wie weiße – frei und gleich zusammenlebten, gilt heute als widerlegt und frei erfunden.
ErzählerTrotzdem sehen manche Historiker wie etwa der Amerikaner Marcus Rediker in Piraten Sozialrebellen oder sogar Proto-Sozialisten: Männer, die den Konventionen ihrer Zeit ein eigenes Ethos entgegensetzen, in dem gesellschaftlicher Stand, Nationalität oder Rasse keine Rolle mehr spielten. Denn während Matrosen eines Handelsschiffs damals oft unmenschliche Behandlung und die strenge Hierarchie an Bord ertragen mussten, herrschten an Bord eines Piratenschiffs demokratische Zustände:
ErzählerinPiraten wählten ihren Kapitän und konnten diesen, wenn sie unzufrieden mit ihm waren, wieder abwählen: Auch über wichtige Entscheidungen wurde abgestimmt. Einige Rechte und Pflichten schrieben Schiffsbesatzungen in einem Kodex nieder, den jedes neue Mitglied unterschreiben musste. Einige dieser Piratenverfassungen sind überliefert. Die Artikel des Captain Low etwa wurden 1723 in einer Zeitung abgedruckt und regeln etwa, wie Beute aufgeteilt wird.
ZitatorArtikel I: Dem Kapitän stehen zwei volle Anteile zu; Dem Quartiermeister einer und ein halber; Dem Arzt, Maat, Kanonier und Bootsmann jeweils einer und ein Viertel.
Erzählerin An Bord von Captain Low – dem grausamen Mann, der einem gefangenen Kapitän die Lippen abhackte – genoss man sogar eine Krankenversicherung:
ZitatorArtikel VI: Wer das Unglück haben sollte, im Kampf eine Gliedmaße zu verlieren, erhält die Summe von sechshundert Silbermünzen und darf an Bord bleiben, solange er es angemessen findet.
ErzählerinViele Artikel eines Piratenkodex dienten allerdings weniger der Sozialpolitik, sondern sollten vielmehr für ein Mindestmaß an Disziplin an Bord und beim Angriff auf Beute sorgen. Wer etwa beim Kampf betrunken oder feige war, durfte bestraft werden.
ErzählerDas Bild, dass sich so zusammensetzt, ist ein vielschichtiges: Piraten waren Männer, die der strengen gesellschaftlichen Hierarchie der damaligen Zeit entflohen und ein alternatives Modell dazu lebten – doch gleichzeitig war ihr Ziel nicht soziale Revolution, sondern Bereicherung. Rebellen – ja. Doch auch skrupellose Verbrecher. Nirgendwo lässt sich diese Ambivalenz besser beobachten als bei Sklavenschiffen, die von Piraten gekapert wurden. Für einen Sklaven auf solch einem Schiff war beides möglich: Hatte er Glück, so konnte er sich der Piratencrew als gleichberechtigtes Mitglied anschließen. Hatte er Pech, sahen die Piraten ihn als Teil der Beute an und verkauften ihn im nächsten Hafen.
Und auch beim Thema Frauen war es mit der Gleichberechtigung bei Piraten nicht weit her. Denn Frauen an Bord sind grundsätzlich absolut Tabu. Es gibt wenige Ausnahmen: Über die berühmten Piratinnen Mary Read und Anne Bonny berichtet auch schon Charles Johnson in seiner “General History”. Weniger bekannt, aber wohl die einflussreichste Seeräuberin aller Zeiten war die Piratenkönigin Ching Shih, die um 1800 das Südchinesische Meer unsicher machte.
ErzählerinChing Shih, eine ehemalige Prostituierte, heiratete damals einen einflussreichen Piraten und übernahm nach dessen Tod das Kommando. Ihre Flotte soll 1500 Schiffe und 80.000 Mann umfasst haben. Als die chinesische Regierung ihr schließlich eine Amnestie anbot, nahm sie an, und setzte sich mit ihrem neuen Ehemann zur Ruhe.
ErzählerSolch ein versöhnliches Ende finden viele Piraten des goldenen Zeitalters, nicht: Sam Bellamy, der „Robin Hood der Meere“, sinkt mit seinem Schiff Whydah in einem Unwetter vor Cape Cod.
ErzählerinWilliam Kidd, der vom Piratenjäger selbst zum Piraten geworden war, wird in London angeklagt und gehängt. Beim ersten Mal reißt der Strick, erst der zweite Versuch tötet ihn. Kidds Leiche wird anschließend zur Abschreckung in einem Eisenkäfig über der Themse aufgehängt.
ErzählerUnd auch der berüchtigte Blackbeard findet ein gewalttätiges Ende. Der ehrgeizige Gouverneur von Virginia, Alexander Spotswood, rüstet eine Kommando-Operation ins benachbarte North Carolina aus, wo Blackbeard – mit bürgerlichem Namen Thatch – sich aufhalten soll. Die London Gazette veröffentlich 1719, was sich dann zugetragen haben soll:
Zitator Am 22. November erspähten sie das Piratenschiff an der Küste North Carolinas und ruderten zu ihm hin. Thach selbst rief sie an und fragte, wer sie seien. Sie antworteten, dass er das an ihrer Flagge erkennen könnte. Daraufhin sagte er, dass er Schonung weder akzeptieren noch gewähren würde. Sie antworteten darauf, dass sie nichts dergleichen erwarteten noch geben würden.
ErzählerWie genau sich der folgende Kampf abgespielt hat, ist nicht eindeutig. Doch am Ende liegt Blackbeard tot da, von vielen Kugel und Schwertstreichen getroffen.
Zitator Nachdem der Kampf vorbei war, befahl Lieutenant Maynard, Thatch den Kopf abzuschneiden und hing ihn unter den Bugspriet seines Schiffs. Auf diese Weise transportierte er ihn nach Virginia, wo die Piraten, die gefangen genommen worden waren, gehängt wurden.
ErzählerinDas Goldene Zeitalter der Piraterie endet bald nach Blackbeards Tod. Anfang des 18. Jahrhunderts schlossen die Kolonialmächte untereinander Frieden und gaben bald keine Kaperbriefe mehr aus. Die Piraten, die die Karibik und die Handelsrouten der Weltmeere unsicher machten, konnten sich der wachsenden Verfolgung durch die Kolonialmächte und ihre stärker werdenden Seestreitkräfte nicht endlos entziehen.
ErzählerDoch natürlich ist auch das Ende des goldenen Zeitalters nicht das Ende der Piraterie. Noch heute gibt es über hundert Piratenangriffe auf Schiffe weltweit. Die verwinkelten Inselnetzwerken Ostasiens oder „gescheiterten Staaten“ wie Somalia dienen den Piraten unserer Tage dabei als sichere Rückzugsorte, von denen aus sie ihre Kaperfahrten starten können.
ErzählerinWas ist vom goldenen Zeitalter geblieben? Geschichten und Legenden natürlich – und mehr: Blackbeards ehemaliges Flaggschiff, die Queen Anne‘s Revenge, wurde 1996 vor der Küste North Carolinas gefunden. Zwei Jahre später entdeckte man den Rumpf von Sam Bellamy‘s im Sturm gesunkener Whydah vor Cape Cod. Auch die Quedagh Merchant, das Handelsschiff, dass von William Kidd überfallen wurde – ein Überfall, der ihn schließlich an den Galgen brachte – wurde mittlerweile entdeckt. Der legendäre Schatz Captain Kidds aber bleibt weiter verschollen. Wer weiß, ob die Geschichten von den sagenhaften Reichtümern, die irgendwo versunken oder vergraben liegen, nicht frei erfunden sind, oder zumindest maßlos übertrieben, wie vieles aus dieser Zeit? Die Phantasie jedenfalls beflügeln sie weiter.

Aug 22, 2025 • 22min
WIE MENSCHEN FRÜHER REISTEN - Die "Grand Tour" der Eliten
Die Grand Tour der europäischen Eliten war eine prägende Bildungsreise im 16. Jahrhundert. Junge Adelige erlebten Kultur und Kunst außerhalb des Schulkontexts. Tutoren spielten eine entscheidende Rolle für ihre Entwicklung. Die Herausforderungen, wie fehlerhafte Karten und Krankheiten, prägten die Reisen. Essenzielle Gegenstände, vom Nécessaire bis zu medizinischen Utensilien, waren wichtig für die Vorbereitung. Diese Reisen markieren den Übergang zum modernen Tourismus, der nach der Französischen Revolution breitere Bevölkerungsschichten erreichte.