

Alles Geschichte - Der History-Podcast
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Hinter allem steckt Geschichte und wir erzählen sie euch - euer History-Podcast.
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Oct 17, 2025 • 24min
MEDIZINGESCHICHTEN - Die Macht der Syphilis
Die Geschlechtskrankheit Syphilis wurde sogar als biologische Waffe eingesetzt. Denn wenn sich zu viele Soldaten ansteckten, konnte die Infektion kriegsentscheidend sein. Hunderttausende Menschen starben an Syphilis. Erst vor rund 100 Jahren hat man eine wirksame Waffe gegen den Erreger gefunden: Das Antibiotikum Penicillin. Von Lukas Grasberger (BR 2022)CreditsAutor dieser Folge: Lukas GrasbergerRegie: Sabine KienhöferEs sprachen: Christian Baumann, Andreas NeumannTechnik: Roland BöhmRedaktion: Nicole RuchlakIm Interview: Prof. Norbert Brockmeyer (Mediziner, Präsident der Deutschen STI-Gesellschaft), Prof. Verena Schünemann (Medizinerin für Evolutionäre Medizin), Dr. Lutz Sauerteig (Medizinhistoriker), Prof. Martin Tobin (US-Autor)Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks 2025Besonderer Linktipp der Redaktion:SWR (2025): Der Schrei – Der rätselhafte Fall Rafael Blumenstock
Seit 35 Jahren lässt eine Geschichte die Menschen in Ulm nicht los: Der Fall Rafael Blumenstock. Im November 1990 findet man den 28-Jährigen tot auf dem Münsterplatz - nur wenige Schritte vom Polizeipräsidium entfernt. Nur eine einzige Zeugin will seine Schreie gehört haben. Rafael fällt auf: Er spaziert mit Lippenstift und Handtasche durch die Stadt und tritt in langen Kleidern auf der Bühne auf. Wurde Rafael Blumenstock Opfer, weil ihn Ulm als anders wahrgenommen hat? ZUM PODCAST https://1.ard.de/der-schreiLinktipps
tagesschau (2024): Mehr Sex, mehr Syphilis, mehr Scham
Syphilis ist seit Jahren auf dem Vormarsch. Obwohl die gefährliche Krankheit leicht behandelbar ist, scheuen Betroffene teils den Arztbesuch: Sie schämen sich zu sehr. In dieser Folge von 11KM: der tagesschau-podcast geht Datenjournalistin Claudia Kohler auf die Suche nach den Ursachen. Warum nehmen Geschlechtskrankheiten zu und was macht den Kampf dagegen so schwierig? ZUR FOLGE
Bayern 2 (2023): Aus Versehen genial - Wie der Zufall zu neuen Entdeckungen führte
Penicillin, Röntgenstrahlen oder auch die Pockenimpfung - viele Meilensteine der Medizin verdanken wir dem Zufall. Aber auch alltägliche Dinge wie Tesafilm, die Mikrowelle oder das Eis am Stiel waren eigentlich so nie geplant. Wie kam es zu diesen Entdeckungen? Und was begünstigt Zufallsfunde? ZUR FOLGEUnd hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN. Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.Alles Geschichte gibt es auch in der ARD Audiothek:ARD Audiothek | Alles GeschichteJETZT ENTDECKENLesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
SPRECHER
Es ist ein Brandbrief, den ein Sekretär im Jahr 1503 an Kaiser Maximilian I schickt: Soldaten sind Opfer einer bösartigen, unbekannten Seuche geworden.
ZITATOR
„Die einen waren vom Scheitel bis zu den Knien mit einer zusammenhängenden, fürchterlichen schwarzen Art von Krätze überzogen, und dadurch so abschreckend, dass sie, von allem Kameraden verlassen, sich in der Einsamkeit den Tod wünschten; die anderen hatten diese Krätze an einzelnen Stellen, aber härter als Baumrinde, am Vorder- und Hinterkopfe, an der Stirne, dem Halse, der Brust, dem Gesäße und zerrissen sich dieselben vor heftigem Schmerze mit Nägeln. Die übrigen starrten an allen Körperteilen von einer solchen Menge von Warzen und Pusteln, dass ihre Zahl nicht zu bestimmen war.“
SPRECHER
Die Syphilis war in Europa angekommen – eine tückische Krankheit, die in den nächsten Jahrzehnten und Jahrhunderten von Italien bis Estland, von Russland bis nach Portugal ziehen sollte.
Doch wo kam sie her – diese rätselhafte, extrem ansteckende Seuche? War sie ein Souvenir, das Christoph Kolumbus von seiner ersten Expedition nach Südamerika nach Europa einschleppte? Lange galt das als unstrittig und auch heute sind viele Wissenschaftler davon überzeugt.
Kolumbus landete im Mai 1493 in Barcelona. Dort wurden bald infizierte Seeleute bei einem Arzt vorstellig, der notierte: Die neue Krankheit stamme von der Karibik-Insel Hispaniola, wo die Mannschaft des Entdeckers mit Eingeborenen in Berührung gekommen sei. Deutlicher wurde seinerzeit ein spanischer Geschichtsschreiber: „Die Krankheit“, so hielt es Gonzalo Fernández de Oviedo fest, „wird am leichtesten durch Geschlechtsverkehr übertragen, wie man es oft beobachtet hat ... Von den Spaniern, die mit den indianischen Weibern verkehrten, entgingen nur wenige der Ansteckung.“ Von den Häfen Spaniens sei die Krankheit dann nach Italien und in andere Länder gelangt.
Doch: War es wirklich so einfach? Stimmte das so plausible wie willkommene Erklärungsmuster, nach dem die Syphilis gleichsam eine gerechte Antwort darstellte auf die mörderischen Krankheitserreger, die die Europäer nach Amerika einschleppten und durch die Völker sogar ausgelöscht worden waren? Zweifel an der These, dass Kolumbus die Syphilis aus Amerika nach Europa brachte, säten unlängst nicht nur Funde aus Niederösterreich: Archäologen gruben 2019 in Sankt Pölten das Skelett eines Kindes aus, das für Syphilis typische Zahnmissbildungen aufwies. Die Forscher datierten den Todeszeitpunkt auf mindestens 50 Jahre vor Kolumbus`Reisen. Auch Paläogenetiker der Universität Zürich fanden Hinweise darauf, dass die Syphilis bereits vor Christoph Kolumbus in Europa grassiert haben könnte.
Prof. Verena Schünemann
„Wir haben im Moment Genome, die aus dieser Zeit kommen.“
SPRECHER
…sagt die Züricher Forscherin Verena Schünemann, die DNA-Proben alter Knochen aus Finnland, Estland und den Niederlanden auf Syphilis-Erreger hin untersucht hat.
O-TON Schünemann
„Das heißt, man kann sagen: Ja, sie kommen aus dem 15. Jahrhundert! Aber ob sie davor oder danach sind – das ist bei diesen Proben ein bisschen schwierig.
SPRECHER
Sie habe – das räumt die Professorin für evolutionäre Medizin ein - nicht mehr in der Hand als eine Indizienkette, die sich indes nach und nach verdichte. Da sind zum einen die Berechnungen der Forscher, nach denen sich der Vorgänger aller modernen Syphilis-Formen vor mindestens 2500 Jahren entwickelt haben muss - und womöglich seinen Ursprung in Europa hatte. Und da ist der Fakt, dass es schon zum Ende des 15. Jahrhunderts eine große Vielfalt von Unterarten des Erregers Treponema pallidum in Europa gab – was gegen die bisherige Annahme steht, erst Kolumbus und seine Mannschaft hätten die Syphilis neu eingeschleppt.

Oct 17, 2025 • 24min
MEDIZINGESCHICHTEN - Weiße Kittel im Ost-West-Konflikt
Menschenversuche im "Kalten Krieg" - im Namen der Feindesabwehr wurden zigtausende Menschen zu medizinischen Versuchskaninchen. Im Osten wie im Westen. Zum Beispiel gab es radioaktive Verseuchung von Menschen in der Sowjetunion genauso wie Experimente mit Drogen und giftigen Chemikalien an Strafgefangenen in den USA. Von Lukas Grasberger (BR 2018)CreditsAutor dieser Folge: Lukas GrasbergerRegie: Sabine KienhöferEs sprachen: Katja Amberger, Johannes Hitzelberger, Martin FogtTechnik: Adele KurdzielRedaktion: Nicole RuchlakIm Interview: Allen Hornblum (US-Autor), Prof. Wolfgang U. Eckart (Medizinhistoriker, ehem. Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der Uni Heidelberg), verstorben 2021Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks 2025Besonderer Linktipp der Redaktion:MDR (2025): DNA des Ostens
35 Jahre sind wir wiedervereint, aber die Unterschiede zwischen Ost und West sind nach wie vor ein Thema. Man könnte sagen, die Wiedervereinigung ist unvollendet. Menschen im Osten fühlen sich als Bürger zweiter Klasse - der Westen schaut dagegen oft mit Unverständnis gen Osten. In „DNA des Ostens“ stellt Host Anna Thalbach die Fragen: Warum ist das Zusammenwachsen so schwierig? Und wie könnte es besser gehen? ZUM PODCAST
Linktipps
Deutschlandfunk Kultur (2025): Späte Einsicht – Deutsche Ärzte arbeiten NS-Vergangenheit auf
Keine andere akademische Gruppe hat sich so konsequent und bedingungslos dem Nationalsozialismus unterworfen wie die deutsche Ärzteschaft. Ihre Vergehen und Verbrechen blieben lange unaufgearbeitet. Jetzt findet ein Umdenken statt. JETZT ANHÖREN
Bayern 2 (2022): Ohne Zustimmung geht gar nichts - 75 Jahre nach dem Nürnberger Ärzteprozess
Im Dritten Reich beteiligten sich viele Mediziner ohne Skrupel an Menschenversuchen, bis hin zum Tod. Aber nur wenige davon mussten sich beim Nürnberger Ärzteprozess verantworten. Es ist ein Prozess, der bis heute große Bedeutung hat, wenn es um die Selbstbestimmung der Patienten geht. JETZT ANHÖREN
Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN. Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.Alles Geschichte gibt es auch in der ARD Audiothek:ARD Audiothek | Alles GeschichteJETZT ENTDECKENLesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
SPRECHERIN
Nürnberg im Dezember 1946: Ein junger Arzt ringt bei seiner Aussage als Zeuge vor dem Kriegsverbrechertribunal mit sich - und um die Wahrheit.
O-Ton Wolfgang Lutz, NS-Luftfahrtmediziner
„Wir gingen dabei von der Voraussetzung aus, dass kriegswichtige Versuche vorgenommen werden. Deren Ergebnis geeignet ist, das Leben von Soldaten zu retten. Und dass diese Versuche ausgeführt werden an kriminellen Verbrechern, die durch ein ordentliches Gericht zum Tode verurteilt worden sind. Und denen durch Teilnahme an den Versuchen die Möglichkeit gegeben wird, begnadigt zu werden. Und wir haben das reichlich hin- und her diskutiert – aber wir sind nicht zu einem ganz eindeutigen Ergebnis gekommen.“
SPRECHERIN
Worüber der Mediziner Wolfgang Lutz mit Kollegen diskutiert haben will - das waren Menschenversuche: vorgenommen an Häftlingen im KZ Dachau. Die Versuchsperson wurde dabei etwa in eine Unterdruckkammer gesteckt, um den Absturz eines Kampfpiloten aus großer Höhe zu simulieren. Dutzende Häftlinge kamen bei den so genannten Höhenversuchen in Dachau ums Leben. Allein bei medizinischen Menschenexperimenten in Konzentrationslagern sollen mindestens 20.000 Menschen ermordet worden sein; insgesamt gab es Schätzungen von Forschern zufolge fast 200.000 Todesopfer allein im Namen der NS-Medizin. Lediglich 20 Ärzte und drei Nichtmediziner mussten sich ab 1946 dafür bei den „Nürnberger Ärzteprozessen“ verantworten. Es war ein amerikanisches Militärgericht, das ihnen den Prozess machte, betont Allen Hornblum, Verfasser mehrerer Bücher zur Ethik in der Medizin. Die Vertreter der Vereinigten Staaten agierten dabei aus einer Position der ethisch-moralischen Überlegenheit, so der amerikanische Autor.
SPRECHER:
O-Ton Allen Hornblum, US-Autor
„Wir haben den Nazi-Ärzten, Deutschland und dem Rest der Welt gezeigt, wie medizinische Versuche ausgeübt werden sollten. Und die Juristen haben in der Urteilsbegründung den „Nürnberger Kodex“ entwickelt: Den bis heute wohl besten Kodex, um Menschen zu schützen, die an wissenschaftlichen Versuchen teilnehmen.“
SPRECHERIN
Nie wieder sollten Probanden mit Gewalt oder Zwang, durch Täuschung oder Überredung dazu gebracht werden, an medizinischen Versuchen teilzunehmen. Nie wieder sollten Ärzte Experimente an Menschen vornehmen, bei denen diese von vorneherein der Tod oder ein dauernder Schaden erwartet. Versuche sind demnach auch immer nur dann zulässig, wenn der Proband weiß, was mit ihm passiert: Wenn er aus freiem Willen eine verständige und informierte Entscheidung trifft. All dies wurde im „Nürnberger Kodex“ dauerhaft festgeschrieben - und fand angesichts der nationalsozialistischen Medizinverbrechen Konsens der Ärzteschaft weltweit. Doch die Tinte unter dem „Nürnberger Kodex“ war kaum trocken, schon wurde er gebrochen, sagt Medizinhistoriker Wolfgang U. Eckart, Autor eines Buchs zur Medizin in der NS-Diktatur.
O-Ton Prof. Wolfgang U. Eckart
„Es ist ganz erstaunlich, dass trotz der Nürnberger Erklärung (…) dass dann trotzdem sehr intensiv auf amerikanischer, aber auch auf französischer Seite, vermutlich auch auf sowjetischer Seite Humanexperimente angestellt wurden. Dass ganz deutlich gegen diese Nürnberger Deklaration verstoßen wurde - und zwar in einem großen Umfang.“
SPRECHER:
O-Ton Hornblum OV
Die amerikanische Medizin fand nach dem Krieg keinen Bezug zu den Ärzteverbrechen der Nazis – und wollte ihn vielleicht auch nicht finden. Das waren doch keine echten Ärzte! Das waren doch abscheuliche Betrüger und Folterer – das dachte man. Die echte Medizin wird doch von Menschen gemacht, die verschiedene Eide geschworen haben, das Leben von Menschen zu retten und zu bewahren.“
SPRECHERIN
Jenseits des Atlantiks wähnte man sich auf der „richtigen Seite“, sagt Allen Hornblum. Auf der „richtigen Seite zu stehen“ - das war bald weniger eine moralische, als vielmehr eine strategische Anforderung: Aus dem Ringen der Siegermächte um die Ordnung der Welt nach dem Zweiten Weltkrieg war schnell ein Wettstreit der Systeme von Ost und West geworden. Den die Sowjets wie die USA mit Hilfe der besten Köpfe zu gewinnen trachteten.

Oct 17, 2025 • 22min
MEDIZINGESCHICHTEN - Magengeschwür im Selbstversuch
Niemand hat ihm geglaubt. Aber Robin Warren hat nicht aufgegeben und dadurch unzähligen Menschen das Leben gerettet. Der Pathologe hat das Bakterium entdeckt, das Magengeschwüre verursacht - das Helicobacter Pylori. Jahre nach seinem Kampf um die Anerkennug seiner Entdeckung haben er und sein Kollege Barry Marshall den Nobelpreis für Medizin bekommen. Von Justin Patchett (BR 2025)CreditsAutor dieser Folge: Justin PachettRegie: Sabine KienhöferEs sprachen: Rahel Comtesse, Friedrich Schloffer, Johannes HitzelbergerTechnik: Regina StaerkeRedaktion: Nicole RuchlakIm Interview: Prof. Sebastian Suerbaum (Lehrstuhl für Medizinische Mikrobiologie und Krankenhaushygiene an der LMU München)Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks 2025Besonderer Linktipp der Redaktion:
NDR (2025): Abenteuer Diagnose
Im Podcast nimmt Anke Christians ihre Hörer mit auf spannende Medizin-Abenteuer - in jeder Folge geht es um Menschen mit rätselhaften Symptomen, die einfach nicht mehr weiterwissen. Und es geht um engagierte Ärzte und ihre Suche nach der Diagnose - eine Jagd nach Indizien, Spuren und Beweisen. Stecken die Hinweise in den Blutwerten, Röntgenbildern oder einer Nervenwasserprobe? ZUM PODCAST
Linktipps
ZDF (2025): Fatale Experimente
Die moderne Medizin ist eine hart erkämpfte Errungenschaft. Pioniere der Forschung trieben rettende Ideen voran – und ließen dabei ihr eigenes Leben: Sie starben, damit Millionen Menschen leben. Wie weit darf man im Namen der Wissenschaft gehen? ZUR DOKU
BR (2025): Medizin-Geschichte mit Dr. Werner Bartens
Menschen wurden wohl schon immer krank und mussten geheilt werden. Der Arzt und Medizinjournalist Dr. Werner Bartens nimmt uns im Ratsch mit Hermine Kaiser mit auf "Eine Reise durch die Geschichte der Medizin". JETZT ANHÖREN
Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN. Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.Alles Geschichte gibt es auch in der ARD Audiothek:ARD Audiothek | Alles GeschichteJETZT ENTDECKENLesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
Erzählerin:
Man sieht nur das, was man auch sehen möchte. So funktioniert unser Gehirn. Es kann nur eine bestimmte Menge an Informationen verarbeiten. Überflüssige Dinge – weil sie unmöglich oder unwahrscheinlich erscheinen – blenden die Menschen aus. Nur so kann sich Robin Warren erklären, was ihm nach seiner Entdeckung am 11. Juni 1979 widerfährt. Warum ihm jahrelang fast niemand glaubt. Obwohl er damit Hunderttausenden Menschen das Leben retten wird.
Am Tag jener Entdeckung hat der Pathologe seinen 42. Geburtstag – und verbringt ihn im Labor des Royal Perth Hospitals in Australien. Durch sein Mikroskop schaut er sich die Biopsie eines Patienten mit einer entzündeten Magenschleimhaut an. Eigentlich eine Routine-Untersuchung für Robin Warren. Doch er entdeckt etwas, war er bis dahin nicht gesehen hatte: eine feine blaue Linie auf der Oberfläche der Gewebezellen aus dem Magen.
1. Warren:
It looked suspicious to me, and it looked like masses of bacteria stuck on the surface to me, which was unusual because they're not supposed to be there.
Sprecher (Voice Over) Warren :
Es sah verdächtig aus, wie eine Ansammlung von Bakterien, die auf der Oberfläche der Zellen klebten. Was ungewöhnlich war, weil sie dort nicht sein sollten.
Erzählerin:
Das erzählt Robin Warren bei einem Vortrag auf der Lindauer Nobelpreisträgertagung im Jahr 2015. Er ist inzwischen verstorben. Warren präsentiert seine Entdeckung damals umgehend den Kolleginnen und Kollegen im Labor. Die wollen nicht wahrhaben, dass es sich bei den blauen Stellen auf den Zellen des Magengewebes um Bakterien handeln soll.
Doch Warren sieht das anders. Er kennt sich mit Magenbiopsien besonders gut aus – und er hat ein Hobby, das in diesem Moment möglicherweise den Unterschied macht. Er zeichnet gerne – genauso wie er viel fotografiert. So hat er das später bei dem Vortrag in Lindau erzählt:
2. Warren
And I think all of these things help you to see detail which other people perhaps might miss, because taking a good photograph, you've got to actually see everything in the picture. You don't just sort of see somebody's face there, you see everything in the picture and try and fix it all together, work it so that it looks right.
Sprecher (Voice Over) Warren:
All diese Dinge helfen einem, Details zu erkennen, die andere Leute vielleicht übersehen. Denn bei einem guten Foto muss man wirklich alles im Blick haben. Nicht nur das Gesicht einer Person, sondern auch das drum herum. Die Komposition muss stimmen.

Oct 3, 2025 • 24min
IM SPÄTEN MITTELALTER UND DER FRÜHEN NEUZEIT - Was das Leben kostet, etwa in Augsburg
Was bekam im Mittelalter der Henker für eine Hinrichtung? Wie viel Steuern zahlten die Huren an die Stadt? Die Augsburger Baumeisterbücher verraten es. Insgesamt 31 Regalmeter umfasst das Verzeichnis der städtischen Ausgaben und Einnahmen zwischen 1320 und 1784. Von Carola Zinner (BR 2024)CreditsAutor dieser Folge: Carola ZinnerRegie: Martin TraunerEs sprachen: Julia Fischer, Peter WeißTechnik: Simon LobenhoferRedaktion: Thomas MorawetzIm Interview: Dr. Dieter Voigt
Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks 2025
Besonderer Linktipp der Redaktion:
BR: Bernhard Heckler: Die beste Idee der Welt
Heinz, nach einer gescheiterten Geschäftsidee und von seiner Liebe Jenny verlassen, erhält ein Angebot von Freund Franky: Er will eine Wrestling Show aufs Oktoberfest bringen und Heinz soll das Drehbuch schreiben. Nach einem misslungenen Erpressungsversuch des Wiesnchefs Claudius Schowalter findet sich Heinz am Tegernsee als Geisel wieder – neben ihm überraschenderweise Jenny. ZUM HÖRSPIEL
Linktipps:
Unterstützt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft arbeitet ein Team der Universität Mainz an einer Online-Präsentation der Augsburger Baumeisterbücher, in diesem Fall von 1320 bis 1466. ZUR WEBSEITE
ARD (2021): STAAT UND GELD: Noch nie ging es ohne Kredit
Auch eine Erfindung des Mittelalters: Staatsanleihen. Der Stadtstaat Florenz gibt Ende des 14. Jahrhunderts die ersten Schuldscheine aus, um seine Kriege zu finanzieren. Bürger leihen der Regierung Geld und bekommen es später mit Aufschlag zurück. Um 1800 verschulden sich England und Frankeich massiv - aber die Folgen könnten unterschiedlicher kaum sein. ZUM PODCAST
SWR Kultur (2025): Was wir vom Mittelalter lernen können - Das ökosoziale Zeitalter?
Das Mittelalter war in manchen Punkten moderner als die "Moderne": Nachhaltigkeit, Recycling und Generationengerechtigkeit waren schon Thema - natürlich mit anderen Begriffen. Manches können wir uns vom Mittelalter abschauen. ZUM PODCAST
Alltag im Mittelalter: Eine Digital Story des Germanischen Nationalmuseums
Das Mittelalter folgt uns auf Schritt und Tritt. Wenn wir durch die Stadt gehen, auf die Uhr sehen, ein Buch aufschlagen oder eine Universität besuchen. Wie sehr uns die Zeit vor 500 Jahren bis heute prägt, zeigt die digitale Ausstellung des Germanischen Nationalmuseums. Sie erforscht: Wie lebten, wohnten und arbeiteten die Menschen im Mittelalter? Welche Hoffnungen und Ängste hatten sie, was wussten sie über die Welt? ZUR AUSSTELLUNG
Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:
DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
ZITATOR
Item 2 Guldin Vnd 13 Schilling dem Augustin ainem potten der Uns Brieff pracht der Berihtun von Costantz.
ZITATOR
An Unser Frauen Tag Natiuitas haben Wir den Zoll empfangen Von dem Torhueter daselbst 29 Pfund.
ERZÄHLERIN
Zolleinnahmen, Botenlohn für Nachrichten vom Konzil in Konstanz, milde Gaben an Bedürftige: alles, was Augsburgs Stadtkasse füllt oder belastet, wird in den „Baumeisterbüchern“ sorgfältig vermerkt.
O-TON Voigt
Wir würden heute sagen, das sind städtische Rechnungsbücher, ab 1320 und das geht bis 1784.
ERZÄHLERIN
Auch andere Städte führten „Baumeisterbücher“, wie die Verzeichnisse heißen, weil die Gelder zunächst fast ausschließlich für den Bau und Erhalt der schützenden Mauern und Gräben rund um die Stadt verwendet wurden. Nirgendwo sonst jedoch wurden die Listen über einen derart langen Zeitraum so sorgfältig geführt und aufbewahrt wie in Augsburg.

Oct 3, 2025 • 19min
IM SPÄTEN MITTELALTER UND DER FRÜHEN NEUZEIT - Die Marketenderin
Die Marketenderin - bis heute ist sie mehr Mythos als reale Figur. Sie nahmen als Frauen am Krieg teil, etwa bei der Verwertung der Beute. Sie leisteten Care Arbeit, versorgten die Soldaten etwa mit Nahrungsmitteln und mit Kleidung - und gehörten daher immer mit zum Tross. Von David Boos (BR 2025)CreditsAutor dieser Folge: David BoosRegie: Christiane KlenzEs sprachen: Xenia Tilling, Shenja LacherTechnik: Moritz HerrmannRedaktion: Nicole RuchlakIm Interview: Prof. Dr. Hiram Kümper, Lehrstuhl für Spätmittelalter und frühe Neuzeit
Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks 2025
Besonderer Linktipp der Redaktion:
rbb: Der Bruch – Frauen zwischen Ost und jetzt
Von heute auf morgen ändert sich alles! Die Gesetze, die Regeln, das Leben. Was früher richtig war, ist heute falsch und umgekehrt. Ruth-Maria Thomas erzählt von ostdeutschen Frauen, die nach der Wiedervereinigung ihr Leben neugestalten mussten. Ihre oft unerzählten und ungewürdigten Erfahrungen sind heute relevanter denn je. ZUM PODCAST
Linktipps:
ARD (2025): WIE MENSCHEN FRÜHER REISTEN - Unterwegs sein im Mittelalter
Ob Pilger, Kreuzritter oder Handelsreisende: Die Menschen im Mittelalter waren - anders als landläufig bekannt - sehr mobil. Sich seinerzeit auf den Weg zu machen war indes meist kaum bequem - und nicht selten ein lebensgefährliches Unterfangen. ZUM PODCAST
WDR Zeitzeichen (2025): Ein Manifest gegen Frauenhass im Mittelalter: Christine de Pizan
Im Jahr 1405 wagt eine Frau in Paris das Unvorstellbare: Sie widerspricht. Christine de Pizans "Stadt der Frauen" ist ein Meilenstein feministischer Literaturgeschichte – die Ich-Erzählerin bekommt Besuch von drei vornehmen Damen. Sie heißen Vernunft, Rechtschaffenheit und Gerechtigkeit. ZUM PODCAST
Alltag im Mittelalter: Eine Digital Story des Germanischen Nationalmuseums
Das Mittelalter folgt uns auf Schritt und Tritt. Wenn wir durch die Stadt gehen, auf die Uhr sehen, ein Buch aufschlagen oder eine Universität besuchen. Wie sehr uns die Zeit vor 500 Jahren bis heute prägt, zeigt die digitale Ausstellung des Germanischen Nationalmuseums. Sie erforscht: Wie lebten, wohnten und arbeiteten die Menschen im Mittelalter? Welche Hoffnungen und Ängste hatten sie, was wussten sie über die Welt? ZUR AUSSTELLUNG
Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:
DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.
Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
ERZÄHLERIN
17 Jahrhundert, eine Stadt irgendwo in Deutschland. Die Bewohner der Stadt sind in heller Aufregung, denn sie werden angegriffen. Sie kennen die Geschichte, die man sich über Belagerungen erzählt: Plünderungen, Brände, Mord und schlimmeres. Die Stimmung ist angespannt. Und dann kommen sie: Die Ritter, Söldner, Landsknechte. Männer, bereit jeden zu töten, der sich ihnen in den Weg stellt. Ohne zu zögern erklimmen sie die Mauern und nehmen die Stadt ein.
ERZÄHLERSo zumindest stellen wir uns typische Szenen im 30-jährigen Krieg vor. Aber das ist mindestens ungenau. Denn erstens endeten Belagerungen nicht zwangsläufig mit dem heldenhaften Erstürmen einer Burg. Manchmal gaben die Belagerten schon davor auf und ließen die Belagerer freiwillig in die Stadt ziehen, in der Hoffnung, nicht geplündert zu werden. Und: Die Soldaten kamen bestimmt nicht alleine. Auch wenn das in vielen Darstellungen des Krieges oft ausgelassen oder vergessen wird: Die Heere im Dreißigjährigen Krieg bestanden nicht nur aus Soldaten und nicht nur aus Männern. Teil eines Regiments waren zum Beispiel auch Wagenmeister, Feldscherer, Diener, Trommler, Feldprediger und Marketenderinnen.
ERZÄHLERINNicht nur Soldaten also, die in den Krieg zogen, sondern auch viele andere. Denn eine Armee muss nicht nur kämpfen, sondern vor allem versorgt werden. Und so sorgt der Regimentstrommelschläger für die Motivation, der Feldpriester fürs Seelenheil und die Marketenderin – sie sorgt, ja wofür? Der Historiker Professor Hiram Kümper ist Experte für das späte Mittelalter und die frühe Neuzeit. Er lehrt an der Universität Mannheim.
O-TON Prof. Hiram KümperDie Marketenderin war die Logistikerin, die Versorgerin - also vor allem für Nahrungsmittel, Kleidung, das Ausbessern der Kleidung. Man muss sich ja vorstellen, die vormodernen Heere, da sind die Staaten in der Regel mit diesen Aufgaben, gerade wenn die Heerzüge größer und auch die Heere größer werden, vollkommen überfordert. Und die Marketenderinnen, das ist eben eine der Gruppen, die das tun. Es tun durchaus nicht nur Frauen, es tun auch Männer, aber an die Marketenderinnen erinnern wir uns irgendwie stärker.

Oct 3, 2025 • 23min
IM SPÄTEN MITTELALTER UND DER FRÜHEN NEUZEIT – Die Landsknechte
Sie waren bewundert und gefürchtet: die Landsknechte. Ursprünglich als Fußsoldaten nach dem Vorbild der Schweizer Söldner geschaffen, verdrängten sie am Ende des Mittelalters die Ritterheere und revolutionierten mit ihren langen Spießen, bunten Gewändern und ihrem ganz eigenen Ehrenkodex die Kriegsführung in Mitteleuropa. Von Michael Zametzer (BR 2025)CreditsAutor dieser Folge: Michael ZametzerRegie: Christiane KlenzEs sprachen: Irina WankaTechnik: Viktor Fölsner-VeressRedaktion: Nicole RuchlakIm Interview: Dr. Christopher Retsch
Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks 2025
Besonderer Linktipp der Redaktion:
ARD: Hateland
Reichsbürger, Neonazis, Verschwörungsideologen: Im neuen Podcast "Hateland" der ARD begeben sich Reporter an den extremen Rand der Republik. Warum radikalisieren sich Menschen und was bedeutet das für unsere Gesellschaft? In der ersten Staffel “Deep State – Vom Elite Soldaten zum Reichsbürger” geht es um die sog. "Gruppe Reuß". Sie soll einen bewaffneten Umsturz geplant haben - im Zentrum dabei: Rüdiger von Pescatore: der mutmaßliche Oberbefehlshaber einer "neuen deutschen Armee". ZUM PODCAST
Linktipps:
Alltag im Mittelalter: Eine Digital Story des Germanischen Nationalmuseums
Das Mittelalter folgt uns auf Schritt und Tritt. Wenn wir durch die Stadt gehen, auf die Uhr sehen, ein Buch aufschlagen oder eine Universität besuchen. Wie sehr uns die Zeit vor 500 Jahren bis heute prägt, zeigt die digitale Ausstellung des Germanischen Nationalmuseums. Sie erforscht: Wie lebten, wohnten und arbeiteten die Menschen im Mittelalter? Welche Hoffnungen und Ängste hatten sie, was wussten sie über die Welt? ZUR AUSSTELLUNGUnd hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:
DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.
Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
ERZÄHLERIN:
Vom Bodensee bis Kempten, von Heilbronn bis Würzburg, von Schwaben bis Thüringen: Im Jahr 1525 greifen einfache Männer zu den Waffen.
Leibeigene Bauern, Knechte, Handwerker ziehen zu Tausenden in einen ungleichen Krieg gegen ihre adeligen Grundherren. Gegen erdrückende Abgaben, gegen Unrecht, für Freiheit und Selbstbestimmung.
Sie scheitern. Eine Schlacht nach der anderen geht verloren. Die Bauern werden erbarmungslos bekämpft, verfolgt und niedergemetzelt. Etwa 75.000 Tote, schätzt man heute. Als meist ungeübte Kämpfer haben sie gegen die bestens ausgerüsteten, kriegserprobten Heere der Fürsten keine echte Chance... Diese erbarmungslosen und schlagkräftigen Krieger sind: Landsknechte. Eine einzigartige Infanterieeinheit der frühen Neuzeit. Ihre Waffe, der lange Spieß, lässt sie selbst für berittene Gegner gefährlich werden. Ihre Kleidung ist für die Zeit extravagant und auffallend. Landsknechte verstehen sich als eingeschworene Gemeinschaft, als Söldner, die sogar eine Art frühdemokratischer Selbstverwaltung pflegen. Und – sie sind so bewundert wie gefürchtet. Denn bei der Bevölkerung haben die Landsknechte einen Ruf wie Donnerhall, seit sie in der Zeit des Habsburger Kaisers Maximilians I. Ende des 15. Jahrhunderts auf den Schlachtfeldern erschienen sind... Es ist ein Volk,
ZITATOR:
„....das ungefordert, ungesucht, umläuft, Krieg und Unglück sucht und nachläuft..“
ERZÄHLERIN:...schreibt der Dichter Sebastian Franck 1531 wenig positiv über das neue Phänomen auf dem Schlachtfeld...
ZITATOR:
„.das unchristlich verloren Volk, deren Handwerk ist Hauen, Stechen, rauben, brennen, morden, spielen saufen huren Gott lästern, freiwillig Witwen und Waisen machen, ja das sich nicht dann anderer Leute Unglück freut...und außerhalb und innerhalb des Kriegs auf dem Bauern liegt, garten, schinden und brandschatzen und nicht allein jedermann sondern auch ihnen selbst nicht Nutz ist, kann ich mit keinem Schein entschuldigen, dass sie nicht aller Welt Plage und Pestilenz seien.“
ERZÄHLERIN:Wer sind diese schillernden Fußkrieger, begehrten Kämpfer und gefürchteten Marodeure, die ab dem späten 15. Jahrhundert das Militärwesen in Mitteleuropa für etwa 100 Jahre bestimmen sollen? Was verbinden wir heute noch mit dem Wort „Landsknecht“?
O-TON Christopher Retsch:
Wir verbinden, wenn man uns jetzt einfach optisch vorstellen, den meist bunt angezogenen, der mit einer langen Waffe einem langen Spieß, später auch Pike genannt, seinen Kriegsdienst ausführt.
ERZÄHLERIN:Der Historiker Christopher Retsch ist Kenner der Landknechtsphänomens und ihrer Ausrüstung, wie den charakteristischen Spieß.
O-TON Christopher Retsch:
Diese langen Spieße kennen wir schon seit dem ausgehenden Hochmittelalter, das ganze Spätmittelalter hindurch gibt es erste Erwähnungen schon im dreizehnten Jahrhundert.

Sep 19, 2025 • 23min
WIE WIR MENSCHEN WURDEN – Das Kochen und das Gehirn
Der aufrechte Gang kam zuerst, danach entwickelte sich das menschliche Gehirn in Millionen Jahren zu der Größe und Leistungsfähigkeit, wie es den modernen Menschen auszeichnet. Ist der Grund dafür ein Wechsel in der Ernährung, oder haben veränderte Lebensbedingungen den Ausschlag dafür gegeben? Von Daniela Remus (BR 2023)CreditsAutorin dieser Folge: Daniela RemusRegie: Irene SchuckEs sprach: Katja AmbergerTechnik: Regina StaerkeRedaktion: Yvonne MaierIm Interview: Philipp Gunz, Ottmar Kullmer, Gerhard WeberEine Produktion des Bayerischen Rundfunks 2025
Besonderer Linktipp der Redaktion:
ARD: Wie wir ticken – Euer Psychologie-Podcast
Wie gewinne ich die Kraft der Zuversicht? Warum ist es gesund, dankbar zu sein? Der Psychologie Podcast von SWR Wissen und Bayern 2 radioWissen gibt Euch Antworten. Wissenschaftlich fundiert und lebensnah nimmt Euch „Wie wir ticken“ mit in die Welt der Psychologie. Konstruktiv und auf den Punkt. Immer mittwochs, exklusiv in der ARD Audiothek. ZUM PODCASTLinktipps:WDR Zeitzeichen (2023): Die Eiszeitkünstler: Als der Homo Sapiens kreativ wurde
Wissenschaftler finden bei Ausgrabungen auf der Schwäbischen Alb drei kleine Skulpturen aus Mammutelfenbein. Sie sind ein neuer Beleg dafür, dass das Gebiet an der oberen Donau ein wichtiges Zentrum der kulturellen Entwicklung des anatomisch modernen Menschen ist. ZUM PODCAST
Senckenberg Naturmuseum Frankfurt: Dauerausstellung “Evolution des Menschen”Wie gingen unsere Vorfahren auf zwei Beinen? Wann fing der Mensch an, Werkzeuge zu benutzen – und wie veränderte das Feuer unser Miteinander? In der Dauerausstellung “Evolution des Menschen” im Senckenberg Naturmuseum Frankfurt bekommst du einen Blick in unsere Ursprünge – wie sich Gesichter wandelten und wie wir heute durch Forschung Stück für Stück unsere Geschichte zusammensetzen. ZUR AUSSTELLUNG
Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:
DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN. Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
SPRECHERIN
Wann und warum wurden wir zu denen, die wir heute sind? Die Frage nach dem Ursprung des Mensch-Seins ist bis heute nicht sicher zu beantworten. Ob mythologische Erzählungen, religiöse Zuschreibungen oder philosophische Theorien, Antwortversuche gibt es viele. Aber erst mit der Aufklärung und der Entwicklung der modernen Naturwissenschaften haben sich solche Erklärungsversuche grundlegend verändert. Vor allem durch die Arbeiten des britischen Naturforschers Charles Darwin. Seine naturwissenschaftlich fundierte Evolutionstheorie gilt als Erklärung für Artenvielfalt, Weltwerdung und die Entwicklung der Gattung Mensch.
Seit dem 19. Jahrhundert tragen die Forschenden mithilfe fossiler Fundstücke immer mehr Puzzleteile zusammen, um das Rätsel der menschlichen Entwicklung vielleicht irgendwann wissenschaftlich zu lösen.
Philipp Gunz schließt eine schwere Tür aus Metall auf. Dahinter in einem schmucklosen Raum bewahren die Forschenden des Max Planck Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig verschiedene Fossilien auf. Oberschenkel-Knochen, Stücke von Wirbelsäulen, Teile eines Beckens, Zähne, Schädel und weitere Knochen-Fragmente:
O-TON Gunz
Das sind Abgüsse von den Originalfossilien, die Originale liegen in dem Fall in einem Safe in Südafrika, wir haben hier quasi die Plastikversionen dieser Fossilien, an denen man ein bisschen nachvollziehen kann, wie sich die Vorfahren der menschlichen Linie über die Jahrmillionen entwickelt haben.
SPRECHERIN
Philipp Gunz ist Paläoanthropologe. Das Wort kommt aus dem Griechischen. Genaugenommen ist es aus drei Begriffen zusammengesetzt: Paläo heißt alt, Anthropos der Mensch und Logie bedeutet Lehre oder Wissenschaft. Paläoanthropologen erforschen also die Entwicklung der frühesten menschenähnlichen Spezies bis hin zum modernen Menschen, dem Homo Sapiens. Die Paläoanthropologie geht davon aus, dass vor rund 6 Millionen Jahren der letzte gemeinsame Vorfahre der heute lebenden Menschenaffen und der heutigen Menschen gelebt hat.
O-TON Gunz
Also, was wir hier haben, ist ein Ausdruck des allerersten Australopithecus Kindes, das jemals gefunden wurde. Australopithecus ist eine wichtige Vormenschen-Art und dieses spezielle Fossil wurde 1924 zufällig gefunden bei Minenarbeiten in Südafrika, in der sogenannten Taung Höhle.
SPRECHERIN
Philipp Gunz zeigt einen Schädel. Er sieht aus wie von einem Menschen, mit angerundeter Schädeldecke, Kieferknochen, Augen- und Nasenhöhle. Aber er ist so klein, dass er locker in eine Hand passt.
O-TON Gunz
Hier handelt es sich um eine versteinerte Form einer fossilen Art, die damals beschrieben wurde als ‚missing link‘ zwischen den Menschenaffen und dem Menschen. Mittlerweile wissen wir, dass das stimmt, dass es sich nämlich tatsächlich um eine afrikanische Form handelt, die auf unserer Linie liegt, im weitesten Sinn.

Sep 19, 2025 • 23min
WIE WIR MENSCHEN WURDEN – Der Neandertaler
Neandertaler waren keine primitiven Halbaffen, sondern eine Menschenart mit Sprache, Kultur, Ritualen, und entwickeltem Sozialverhalten. Sie haben die gleichen Vorfahren wie der moderne Mensch, begegneten dem Homo Sapiens über mehrere Jahrtausende und zeugten mit ihm Nachkommen. Noch heute trägt der moderne Mensch Gene dieses Vorfahren in sich. Von Geseko von Lüpke (BR 2023)CreditsAutor dieser Folge: Geseko von LüpkeRegie: Martin TraunerEs sprachen: Thomas Birnstiel, Julia Fischer, Rahel ComtesseTechnik: Andreas LuckeRedaktion: Andrea BräuIm Interview: Rebecca Sykes, Svante Pääbo, Francois Savatier, Harald Floss, Joachim BauerEine Produktion des Bayerischen Rundfunks 2025Linktipps:radioeins (2024): Spermienkonkurrenz und das Verschwinden der Neandertaler
Der Neandertaler verschwand erstaunlich schnell, nachdem der moderne Mensch seinen Lebensraum in Europa und Westasien besiedelte. Als eine Theorie für das schnelle Aussterben gilt die Spermienkonkurrenz. ZUM PODCAST
Senckenberg Naturmuseum Frankfurt: Dauerausstellung “Evolution des Menschen”Wie gingen unsere Vorfahren auf zwei Beinen? Wann fing der Mensch an, Werkzeuge zu benutzen – und wie veränderte das Feuer unser Miteinander? In der Dauerausstellung “Evolution des Menschen” im Senckenberg Naturmuseum Frankfurt bekommst du einen Blick in unsere Ursprünge – wie sich Gesichter wandelten und wie wir heute durch Forschung Stück für Stück unsere Geschichte zusammensetzen. ZUR AUSSTELLUNG
Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:
DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN. Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
SPRECHERIN
Sie war in Felle gehüllt – die kleine Gruppe von Erwachsenen mit vielen Kindern. Ihre großen Augen lasen die Landschaft mit großer Aufmerksamkeit. Vielleicht war das Land eine Tundra mit Pferden, Büffeln, Mammuts. Vielleicht auch tropisch mit Flusspferden und Löwen. Oder eiskalt mit Bären, Rentieren, Wölfen. Als sie die Höhle in der engen wilden Klamm fanden, von der man heute noch redet, waren sie bepackt mit Speeren, Steinmessern, geflochtenen Körben voller einfacher Utensilien. Die kleinen Kinder der Horde wurden getragen, einige pflückten Essbares, heilende Pflanzen, Kräuter. Irgendjemand von ihnen trug schützend die Glut des letzten Feuers, das bald schon die Höhle im Neandertal wärmen sollte.
SPRECHER
Früher war es eine 1000 Meter lange und etwa 50 Meter tiefe enge Schlucht mit überhängenden Wänden, Wasserfällen, vielen kleineren Höhlen und großem Artenreichtum. Wir wissen nichts Genaues vom Leben der Menschen vor oder in der Höhle, von der Sprache ihrer Bewohner, von ihren Liedern und Ritualen, von ihren Gefühlen und ihrem Denken. Wir wissen nicht, wie und warum einer von ihnen vor 42.000 Jahren starb und hinten in der Höhle liegen blieb oder begraben wurde, bis man Jahrzehntausende später, im Jahr 1856, seinen Schädel und einige seiner Knochen fand. Im Neandertal selbst blieb seit dieser historischen Entdeckung kein Stein auf dem anderen.
SPRECHERIN
Zwar wurden die Schädelplatte und ein paar Knochen erkannt und aufgehoben. Doch alles andere landete auf einem Schuttberg, wurde weggesprengt, abgetragen, verwertet: Hundert Jahre Kalk-Bergbau haben das malerische Tal inzwischen fast vollständig zerstört. Statt Wildbächen rauscht heute unweit die A3 vorbei. Über die einst urzeitliche Landschaft fliegen die Passagierjets zum Flughafen Düsseldorf. Um an die Stelle zu gelangen, wo die Knochen lagen, die dem Neandertaler seinen Namen gaben, hat man jüngst einen 20 Meter hohen Turm errichtet – denn wo sich eins die historische Höhle befand, ist heute nichts, nur Luft.
Oben auf der Plattform kann man auf Knopfdruck Filme einer möglichen Vergangenheit abspielen und in Fernrohren fingierte Neandertaler beobachten. Und selbst die sind nicht mehr, für wen man sie lange hielt, sagt die Direktorin des Neandertal-Museums Bärbel Auffermann. Nicht primitive Halbaffen, sondern stolze indigene Menschen.
O-TON Bärbel Auffermann
Wissenschaft ist ja immer auch ein Spiegel der aktuellen Zeit.
Die allerersten Darstellungen des Neandertalers, die man sieht, zeigen immer so einen sehr haarigen, nackten Menschen. Meistens in der Nähe einer Höhle, kauernd oder lauernd und eigentlich immer mit einer Keule in der Hand. Das sind alles Attribute, die ihm aus diesem abendländischen Mythos des wilden Mannes zugeschrieben werden. Das konnte, sollte nicht unser direkter Vorfahre sein, war etwas Primitives, über das wir uns mit unserer Zivilisation erhoben haben. Das ist so ein eurozentristischer Blick auf das Fremde. Jetzt sind wir diverser aufgestellt in unseren Gesellschaften und lassen vielleicht den Neandertaler auch hinein. Er ist nicht unser direkter Vorfahre. Er ist unser - 'Cousin' trifft es ganz gut - ein entfernter Verwandter, mit dem sich unsere direkten Vorfahren immer wieder in verschiedenen geografischen Regionen sicherlich auch getroffen und vermischt haben.

Sep 19, 2025 • 24min
WIE WIR MENSCHEN WURDEN – Der Denisova-Mensch
Die genetische Analyse eines Fingerknöchelchens aus einer Höhle im sibirischen Altai-Gebirge war eine Sensation. Im Jahr 2010 hat man dadurch eine bisher unbekannte, archaische Menschenform entdeckt - den Denisova-Menschen. Dank neuer genetischer Daten wird der immer greifbarer. Von Prisca Straub (BR 2022)CreditsAutorin dieser Folge: Prisca StraubRegie: Martin TraunerEs sprachen: Irina Wanka, Frank ManholdTechnik: Helge SchwarzRedaktion: Iska SchreglmannIm Interview: Svante Pääbo, Jean-Jacques Hublin, Bence Viola
Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks 2025
Besonderer Linktipp der Redaktion:
WDR: ZeitzeichenWie wurde eine Piratin zur mächtigsten Frau Irlands? Warum trägt ein Kleidungsstück Weltgeschichte in sich? Und was verbindet Rosa Luxemburg mit unserem Heute? Im WDR Zeitzeichen erfährst du jeden Tag in 15 Minuten Spannendes, Kurioses und Prägendes aus der Geschichte – von der Antike bis heute, von großen Ideen bis zu kleinen Alltagsmomenten. ZUM PODCAST
Linktipps:Bremens Eins (2020): 25.3.2010: Denisova-Urmensch entdeckt Die Folge von Der Stichtag – Die Chronik der ARD blickt zurück auf 2010: jenes Jahr, in dem Forschende erstmals den Denisova-Urmenschen wissenschaftlich nachweisen konnten. ZUM PODCASTSenckenberg Naturmuseum Frankfurt: Dauerausstellung “Evolution des Menschen”Wie gingen unsere Vorfahren auf zwei Beinen? Wann fing der Mensch an, Werkzeuge zu benutzen – und wie veränderte das Feuer unser Miteinander? In der Dauerausstellung “Evolution des Menschen” im Senckenberg Naturmuseum Frankfurt bekommst du einen Blick in unsere Ursprünge – wie sich Gesichter wandelten und wie wir heute durch Forschung Stück für Stück unsere Geschichte zusammensetzen. ZUR AUSSTELLUNG
Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:
DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN. Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
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Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
SPRECHERIN
Im Jahr 2010 gibt das Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie gleich mehrere atemberaubende Entdeckungen bekannt. Dem Team um den schwedischen Paläogenetiker Prof. Svante Pääbo ist es gelungen, das vollständige Erbgut des Neandertalers zu entziffern. Im Frühjahr veröffentlicht die Arbeitsgruppe die bahnbrechenden Ergebnisse. Und nicht nur das. Durch genetische Analysen rücken die Forschenden nicht nur dem Neandertaler auf den Leib, sondern stoßen auch noch auf eine weitere ausgestorbene Menschenform: einen bisher völlig unbekannten Vertreter der Gattung Homo. Die Aufregung unter den Fachleuten ist riesig. Offenkundig haben wir es mit einem ganz neuen Verwandten zu tun - dem sogenannten Denisova-Menschen.
O-TON Svante Pääbo
Man hat da sehr viel Glück gehabt, zum Beispiel mit dem ersten kleinen Fingerknochen von diesem Denisova-Menschen, von einem Mädchen. Wo wir zum ersten Mal erkannt haben, dass es diese Menschenform gibt.
SPRECHERIN
Noch nie zuvor war es gelungen, aus einem einzigen fossilen Knochenstück, so erstaunlich umfassende Erbinformation zu gewinnen. Und noch dazu eine so bemerkenswerte. Die Entdeckungsgeschichte des Denisova-Menschen beginnt also mit der genetischen Analyse eines winzigen Fragments vom letzten Glied eines kleinen Fingers. Er gehörte einem etwa 15-jährigen Mädchen und ist zwischen 50- und 80.000 Jahre alt.
Die Denisova-Höhle im sibirischen Altai-Gebirge: Sie liegt etwa acht Autostunden südlich von Nowosibirsk auf rund 700 Metern Höhe. Die Fahrt ist beschwerlich und führt über unbefestigte Straßen, mehrmals muss ein Flussbett durchquert werden. Heute sind die Höhleneingänge fast zugewachsen, doch die Bodenablagerungen enthüllen: Offenbar wurde die Denisova-Höhle vor rund 250.000 Jahren zum ersten Mal besiedelt. Verstreut in den unterschiedlichen Fundschichten finden sich Tierknochen, Steingeräte und - menschliche Überreste. Archäologen von der Russischen Akademie der Wissenschaften hatten seit den frühen 1980er Jahren eine Fülle von Gegenständen aus der Höhle geborgen - unter ihnen auch das unscheinbare, nur wenige Millimeter große Stück eines Fingerknochens. Jahre später nimmt das Team um den Paläogenetiker Svante Pääbo es genauer unter die Lupe:
O-TON Svante Pääbo
Das war ein kleines Stück. Man findet Tausend und Zehntausende Knochenfragmente bei archäologischen Ausgrabungen, die so klein sind, dass man nicht mal weiß, ob sie von einem Tier kommen oder vom Menschen.
SPRECHERIN
Äußerlich betrachtet, ist das Knöchelchen wenig bemerkenswert. Es unterscheidet sich auch nicht vom entsprechenden Knochen eines Neandertalers oder dem des modernen Menschen. Doch die Analyse genetischer Proben ergibt: Das Knochenbruchstück passt zu keiner bisher bekannten Menschenform. Zum ersten Mal in der Wissenschaftsgeschichte hatte man einen Frühmenschen nicht mit Hilfe von Fossilien entdeckt, sondern durch die Analyse seines Erbguts.
O-TON Svante Pääbo
Natürlich wusste man, dass es etwas gegeben haben muss in Asien. Wenn der Neandertaler in Europa und im westlichen Asien gelebt hat, muss es etwas gegeben haben in Ostasien.
SPRECHERIN
Und diese Lücke füllt nun der Denisovaner: Eine frühe Menschenform, die vor rund 500.000 Jahren am menschlichen Stammbaum eine eigene Linie gebildet hat.
O-TON Svante Pääbo
Was wir wissen: Der nächste Verwandte vom Denisova-Mensch war der Neandertaler. Der gemeinsame Vorfahre lebte vor einer halben Million Jahre oder ein bisschen mehr. Und dieser Vorfahr hat Afrika verlassen und hat sich dann in Eurasien entwickelt - im Westen zum Neandertaler, im Osten zum Denisova-Mensch.
SPRECHERIN
Eine Erkenntnis, die inzwischen durch die Untersuchung weiterer menschlicher Überreste aus der Denisova-Höhle bestätigt werden konnte: Knochensplitter und eine Reihe außergewöhnlich großer Zahnfragmente. Auch sie gehören zu unseren frühmenschlichen Denisova-Cousinen und -Cousins. Und nicht nur das: Während der rund 200.000 Jahre, die die Denisovaner ihre steinzeitliche Höhlenwohnung aufgesucht haben, trafen sie immer wieder auch auf ihre nächsten Verwandten - die Neandertaler - die von Westen aus in das Gebiet vordrangen. Wir wissen nicht, wie fremd sich die beiden Menschengruppen waren, wenn sie sich auf ihren Wanderungen begegneten. Aber wir wissen mit Sicherheit, dass sie gemeinsame Nachkommen hatten. Denn auch deren fossile Überreste konnten inzwischen genetisch identifiziert werden.

Sep 5, 2025 • 24min
PIRATEN - Wilde Zeiten an der Adria
Was heute für Urlauber an den Adriastränden kaum vorstellbar ist, war mehr als tausend Jahre lang Normalzustand: Freibeuter haben Segelschiffe mit wertvoller Fracht überfallen und ausgeraubt. Piratenboote gehörten quasi zur maritimen Landschaft wie heute touristische Ausflugsdampfer. Von Bernd-Uwe Gutknecht (BR 2025)Credits Autor: Bernd-Uwe Gutknecht Regie: Martin Trauner Es sprachen: Berenike Beschle, Florian Schwarz, Katja Amberger, Katja Schild Technik: Andreas Lucke Redaktion: Thomas Morawetz Im Interview: Srecko Cecuk, Neven Cagal, Dr. Vanja Kovacic, Nikolas Jaspert, Senka Vlahovic, Karlo Kovacic Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks 2025 Besonderer Linktipp der Redaktion: SWR: Archivradio Das Radio: seit einem Jahrhundert Wegbegleiter der deutschen Geschichte. Historische Tondokumente vermitteln ein Gefühl für wichtige Ereignisse und Stimmungen vergangener Jahrzehnte. ZUM PODCAST Linktipps funk (2023): Die Wahrheit über Afrikas Piraten Vor einigen Jahren kamen in den Nachrichten ständig schockierende Meldungen über #Piraten-Angriffe in Somalia. Europa und die USA starteten Anti-Piraterie-Missionen und patrouillierten an der Ostküste Afrikas. Und heute? Heute gibt es vor Somalia quasi keine Piraterie mehr. Das Problem hat sich auf die andere Seite des Kontinents verlagert. Der Golf von Guinea in Westafrika ist zum neuen Hotspot der Piraten geworden. Auf einer der wichtigsten Seestraßen der Welt überfallen sie Handelsflotten und halten Geiseln fest, um Lösegeld zu erpressen. Aber: Wieso gibt es in Somalia eigentlich keine Piraten mehr? Und warum musste ausgerechnet Westafrika das neue Piratenparadies werden? JETZT ANSEHEN Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte: DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend. Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN. Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de. Alles Geschichte gibt es auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Alles Geschichte JETZT ENTDECKEN Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript: Erzählerin:Männer mit Tüchern auf dem Kopf und Säbeln in der Hand klettern bedrohlich brüllend von ihren kleinen Holzbooten auf ein großes Segelschiff. Im idyllisch gelegenen Hafenbecken von Omis im südlichen Kroatien herrscht normalerweise eine entspannte Stimmung: neben Fischkuttern liegen hier Segelboote für Urlauber. Einmal im Jahr, immer am 18. August, verwandelt sich der ruhige Küstenort aber in ein lautes, grelles und schrilles Piraten-Nest! Ein örtlicher Verein veranstaltet eine Piratenschlacht nach historischem Vorbild. Srecko Cecuk ist der Vorsitzende:
SPRECHER 1 „Wir spielen die Schlacht nach, als Papst Honorius der Dritte seine Marine hierherschickte, um gegen die Seeleute aus Omis zu kämpfen. Die Piraten besiegten den Papst! Wir haben Details über den Verlauf der Schlacht in italienischen Archiven gefunden. Also wir wissen ungefähr, was passiert ist: die Seeleute aus Omis attackierten mit kleinen wendigen Booten die wenig beweglichen großen Schiffe des Papstes und enterten sie. Um das Ganze für unsere Besucher spektakulärer zu machen, verwenden wir auch Kanonen, die es damals ja noch gar nicht gab.“
Erzählerin:Im Jahr 1221 mussten die päpstlichen Schiffe diese empfindliche Niederlage gegen die Omiser Seeräuber einstecken. Sieben Jahre später kamen die Schiffe des Papstes wieder, diesmal behielten sie die Oberhand. Die Angriffe der Piraten aus Omis blieben eine Zeitlang aus, aber schon wenige Jahre später trieben die dalmatinischen Freibeuter wieder ihr Unwesen.
Ein paar Hundert Meter neben dem Hafenbecken mündet der Fluss Cetina ins adriatische Meer. Der Fluss kommt aus den Bergen und trägt Sedimente mit sich, deren bräunliche Farbe vermischt sich mit dem Azurblau des Meeres. Der einheimische Fischer Neven Cagal (sprich: Newen Tschagall) kennt die Küste hier wie seine Westentasche. Kurz hinter der Mündung drosselt er den Motor seines Holzbootes:
SPRECHER 2 „Jetzt sind wir genau über der Mostina! Da unten am Meeresboden, diese Stein-Mauer, die reichte früher bis anderthalb Meter unter die Meeresoberfläche, große Militär-Schiffe mit Tiefgang sind da aufgelaufen. Sie hatten also keine Chance, vom Meer aus in die Schlucht hineinzufahren. Die sogenannten Omis-Pfeile dagegen waren so flach gebaut, dass sie ohne Probleme drüberfahren konnten. So ruderten die Piraten ein paar Kilometer ins Hinterland und waren dort absolut sicher.“
Erzählerin:Unter anderem wegen dieses natürlichen Schutzraumes in der Cetina-Schlucht konnten die Seeräuber aus Omis über 300 Jahre lang den Küstenraum im mittleren Dalmatien beherrschen. EIN Piratenclan dominierte den Seeraub: die berüchtigten Kacic!
SPRECHERIN 1 „Die Kacic waren eine Fürstenfamilie, diese Seeräuber waren also Adlige! Einige Vornamen der Kacic-Seeräuber sind bekannt: Malduk, Osor, Jodimir oder Miroslav. Man muss verstehen: Seeraub war damals eine ganz normale Form der Geldbeschaffung. Man trieb Handel, wenn die Geschäfte aber nicht gut liefen, hat man eben Zwangszölle, Wegegeld, Lösegeld etc. eingetrieben. Das war gang und gebe im Mittelalter. Im Stadtarchiv von Dubrovnik gibt es dazu einige Dokumente. Etwa einen Vertrag zwischen Omis und Kotor, in dem die Piraten den Handelsreisenden freie Durchfahrt garantierten. Natürlich gegen ein Entgelt.“
Erzählerin:Dr. Vanja Kovacic ist Archäologin, hat lange am Staatlichen Institut für Konservierung in Split gearbeitet und hat ein Buch über die Piratenfamilie Kacic geschrieben.
SPRECHERIN 1„Die ersten schriftlichen Quellenangaben zu Piraten in Omis sind aus dem 12. Jahrhundert. Sie kontrollierten den gesamten Küstenstreifen von Trogir in Nord-Dalmatien bis zur Insel Korcula in Süd-Dalmatien. Sie attackierten vor allem venezianische Schiffe, aber auch der Überfall auf ein Schiff des deutschen Kaisers Friedrich des Zweiten ist überliefert. Und nicht zuletzt päpstliche Schiffe waren Ziele der Seeräuber. Sie mussten Tribut zahlen, sonst wurden sie geplündert.“
Erzählerin:Kaiser Friedrich residierte in Süditalien, seine Handelsschiffe fuhren von dort Richtung Konstantinopel. Die Freibeuter aus Omis hatten ihre Beutezüge also bis ins südliche Italien ausgedehnt. Ihre Lieblings-Opfer waren aber die reich beladenen Schiffe aus Venedig, die quasi direkt vor der Haustüre vorbeifuhren:
SPRECHERIN 1„Die Venezianer segelten nach Osten: ins Heilige Land, an die Levante, nach Konstantinopel, um Handel zu treiben. Viele dieser Handelsschiffe kamen aber nicht weit weg von Venedig, nur bis hierher! An Bord wurden sogar Pferde transportiert, ansonsten Wein, Getreide, das berühmte Glas aus Venedig, und auf dem Weg zurück unter anderem Metalle oder Gewürze. Davon haben wir detaillierte Warenlisten im Archiv gefunden.“
Erzählerin:Außer den schriftlichen Erwähnungen ist vom Kacic-Clan nicht viel erhalten. Im Stadtmuseum von Omis liegt aber ein etwa drei Meter langer Steinblock, vermutlich ein Grabstein der Freibeuter. Die Archäologin liest die kurze Inschrift vor:
SPRECHERIN 1„Hier ruht Miroslav Kacic zusammen mit seinem Vater und seinem Bruder. - Diese Steintafel wurde am Friedhof außerhalb der Stadtmauer entdeckt. Was wir auch in Omis gefunden haben, ist ein Dokument eines gewissen Burgherren Jura, in dem er den Bewohnern ausdrücklich die Piraterie erlaubt.“
Erzählerin:Auch Nikolas Jaspert, Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Heidelberg, forscht über Piraten in der Adria. Er ist Autor des Buches „Seeraub im Mittelmeerraum“. Mit dem Hollywood-Image der Piraten aus der Karibik, also mit Papagei auf der Schulter, Rumflasche in der Hand und Totenkopf auf der Fahne, hat die historische Realität der dalmatinischen Akteure nicht viel zu tun:
O-TON NIKOLAS JASPERT „Keine Totenköpfe, nein, nicht trinkfest! Man kann aber diese Karrieren verfolgen, das sind verarmte Adlige. Und wie auf dem Land manche verarmte Adlige zu Räubern werden, andere überfallen, so entschließen manche verarmte Kleinadlige auch, zur See zu gehen. Denn das, was sie können, ist kämpfen.“
Erzählerin:Neben den Kacic aus Omis gab es im Mittelalter weitere Seeräuber-Gruppierungen entlang der dalmatinischen Küste. Sie hatten sich die Reviere wohl aufgeteilt, ähnlich wie das heute die Mafia tut. Und auch an der westlichen, italienischen Küste der Adria, im westlichen Mittelmeer oder der Ägäis terrorisierten Piraten Handelsreisende. Teilweise agierten diese Freibeuter im Auftrag von Herrschenden:
O-TON NIKOLAS JASPERT „Es handelt sich – wenn man so will – um eine Form halbstaatlicher Gewalt. Das sind Personen, die etwa von der Republik Venedig oder der Krone Aragon oder Genua oder wem auch immer Kaperbriefe und die Erlaubnis erhalten, die Feinde dieser Herrschaften anzugreifen. Und es gibt auch – und das ist überraschend – Kaufleute, die auch mal zu Gewalt greifen. Das heißt also der Berufspirat, wie wir es uns vorstellen, so Blackbeard und Captain Sparrow und so, den gibt es im Mittelalter so gut wie gar nicht, sondern die anderen beiden Typen sind vorherrschend.“
Erzählerin:Nikolas Jaspert ist Mitglied einer internationalen Forschungsgruppe, die eine Datenbank über Piraterie im Mittelmeerraum aufbaut. Die Wissenschaftler durchforsten dafür Stadt - und Kirchenarchive, analysieren Handelsverträge und Register, kartographieren regionale Brennpunkte und berechnen die Gewinne der Raubzüge. Laut dem Heidelberger Historiker ein bislang vernachlässigtes Forschungsfeld:
O-TON NIKOLAS JASPERT „Da ist noch viel zu finden über Gewalt zu See. Also wenn so ein Seeraub, so eine Prise gemacht wurde, also ein Schiff gekapert wurde, dann hat das häufig diplomatische Konsequenzen gehabt, dann wurden Gesandte hin und hergeschickt und es ging um Schadensausgleich und die Androhung von Repressalien und sowas konnte sich über Monate, Jahre, ja Jahrzehnte hinziehen. Und hat auch Texte hinterlassen, die weitgehend unbekannt sind. Und die gilt es erst einmal zu lesen und auszuwerten und zwar so, dass man die Karrieren und die Handlungen von einzelnen Seeräubern, Individuen verfolgen kann und auch ihre Verbindungen zu unterschiedlichen politischen Einheiten, Herrschaften, Staaten, wenn man so möchte, auch verfolgen kann. Und das ist bislang nicht möglich gewesen, weil die Forschung in der Regel national orientiert ist, also die Italiener forschen zur italienischen Geschichte und die Spanier zur spanischen. Aber diese Seeräuber waren – das liegt in der Natur der Sache – grenzüberschreitend tätig.“
Erzählerin:Von der Altstadt von Omis aus führen einige steile Stufen zur Mirabela-Festung hinauf. Sie wurde im 13. Jahrhundert erbaut und überragt die Stadt. Von der Original-Anlage ist noch der Turm erhalten. Senka Vlahovic veranstaltet für Interessierte Piraten-Touren durch Omis, vermittelt Wissen aus der Zeit an Schulkinder und spielt auf Festivals eine Kacic-Fürstin. Vom Turm der Festung aus schaut sie auf´s Meer und zur vorgelagerten Insel Brac:
SPRECHERIN 2 „Die Festung wurde zur Verteidigung benutzt, hatte verschiedene Zwecke: der Turm war natürlich Aussichtspunkt, von hier aus hat man einen Blick über die Adria, auf den Kanal zwischen Festland und der Insel Brac, über die ganze Insel hinweg, und auf der anderen Seite zum Cetina-Fluss und den Anfang der Schlucht. Außerdem war es ein Leuchtturm. Mit dem Feuer konnten sie ihren eigenen Booten nachts signalisieren, wo ihr Hafen ist. Und die Burg war der letzte Rückzugsort. Wenn Gegner in die Stadt eindringen konnten, hätte sich die Kacic-Familie für die letzte Schlacht hier verschanzt.“
SPRECHERIN 2„Von diesem Ort aus regierten sie. Vor der Kacic-Ära hatte sich hier ein anderes Fürstentum zwischen den Flüssen Neretva und Cetina etabliert. Die Kacic-Familie hat ihnen die Herrschaft über diesen Landstrich entrissen. Die geografische Lage ist prädestiniert für Herrschende: die Stadt wurde nicht nur durch die Burg beschützt, sondern auch durch eine Stadtmauer und wo heute die Hauptstraße ist, war ein schützender Wasserkanal.“
Erzählerin:Bereits in der Antike sorgten illyrische Piraten für Angst und Schrecken an der Adria. Die Illyrer waren eine Ansammlung verschiedener Stämme wie den Japoden, Liburnern oder Histriern, die der Region Istrien ihren Namen gaben. Sie jagten schon in den Jahrhunderten vor der Zeitenwende römische oder griechische Handelsschiffe. Laut Nikolas Jaspert nutzten sie vor allem versteckte Buchten auf den vielen Inseln vor der kroatischen Küste:O-TON NIKOLAS JASPERT „Insofern sind solche zerklüfteten Küsten für Seeräuber perfekt, weil die Opfer gewissermaßen an den Küsten entlangfahren und dann kann man von einer Küstenbucht aus oder von hinter einer Küste relativ schnell vorstoßen. Und deshalb ist die Küste Dalmatiens schon seit vielen Jahrhunderten und auch im frühen Mittelalter ein Gebiet, von dem erzählt wird, wo sich sehr häufig Seeraub ereignete. Da sind die illyrischen Seeräuber nur ein Beispiel für eine lange Tradition.“
Erzählerin:Was für heutige Urlauber an den Adriastränden kaum vorstellbar ist, war mehr als Tausend Jahre lang Normalzustand: Segelschiffe mit wertvoller Fracht wurden von Freibeutern überfallen und ausgeraubt. Piratenboote gehörten quasi zur maritimen Landschaft wie heute touristische Ausflugsdampfer. Laut Archäologin Kovacic liegt das an der unterschiedlichen Beschaffenheit der italienischen und kroatischen Küstenlandschaften:
SPRECHERIN 1„Entlang der kroatischen Adriaküste sind Tausende Inseln. Hier gibt es unzählige Buchten, wo Schiffe anlegen konnten. Auf der italienischen Seite ist die Küste ewig lang, ohne schützende Buchten. Deshalb fuhren venezianische oder päpstliche Schiffe lieber auf unserer Seite. Gleichzeitig waren diese Buchten perfekte Verstecke für die Piraten. Die Seeräuber überfielen aber auch konkurrierende Städte an der Küste. So ist bekannt, dass die Bewohner von Omis einmal fast alles verloren, weil die Stadt von anderen Piraten eingenommen wurde.“
Erzählerin:Von den Neretva - Piraten ist die Taktik überliefert, in Inselbuchten Feuer zu entzünden und damit Handelsreisende anzulocken. Die mussten immer wieder anlanden und ihre Vorräte auffüllen. Näherten sie sich den Feuerstellen vermeintlicher Siedlungen, so tappten sie in die Piratenfalle. Am 18. September 887 ereignete sich vor Makarska eine legendäre See-Schlacht: die Neretva-Seeleute verteidigten ihre Stadt gegen eine übermächtige Flotte mit 12 Kriegsschiffen aus Venedig. Der venezianische Doge Urso I. verlor in der Schlacht sein Leben. Am 18. September wird jährlich der „Tag der kroatischen Marine“ gefeiert.
In der frühen Neuzeit, also im 16. und 17. Jahrhundert, war eine andere Piratengruppe aus dem heutigen Kroatien sehr erfolgreich: die Uskoken! Dieser militärisch organisierte Verband rekrutierte seine Mitkämpfer unter anderem aus Flüchtlingen osmanisch besetzter Gebiete in Süd-Dalmatien, aber auch aus anderen Bevölkerungsgruppen des westlichen Balkans. Zentrum der Uskoken war der Küstenort Senj in der Nähe des heutigen Zadar. Laut Quellen konnten die Uskoken dauerhaft auf 1000 Kämpfer zurückgreifen und legten sich erfolgreich sowohl mit den Venezianern als auch mit den Osmanen an. In Italien nannte man sie „Venturini“, also Glücksritter. Spezialität der Uskoken waren Angriffe nicht auf offener See, sondern im Hafen:
O-TON NIKOLAS JASPERT „Das sind Überfälle auf Schiffe, die gerade im Hafen sind, und das passiert sehr häufig. Also unser Bild des Seekrieges, das wir aus dem 17., 18. und 19. Jahrhundert kennen, mit den großen Schlachtschiffen und vielen Kanonen, das gilt für die frühe Zeit und auch für die Zeit der Uskoken weniger. Sie haben schnelle Schiffe, mit denen sie auch Handelsschiffe überfallen. Also ihr Vorteil ist, dass sie das Gelände natürlich gut kennen und in dieser Inselwelt zuhause sind und notfalls auch in Flüsse hochfahren können. Und zum zweiten, dass sie eben kleinere, schnellere, wendigere Schiffe haben.“
Erzählerin:Zur rein materiellen Motivation kam auch eine religiöse hinzu. Die Seeräuber aus Senj raubten vorzugsweise Schiffe der Osmanen aus.
O-TON NIKOLAS JASPERT „Die religiösen Gegensätze zwischen Muslimen und Christen erleichtern den Seeraub, weil man als Christ problemlos einen Muslim überfallen darf, weil er eben ein Glaubensfeind ist. Und umgekehrt gilt es genauso, während man sonst schon darauf achten muss, wenn man als Genuese einen Christen überfällt, weil das diplomatische Schwierigkeiten bedingt. Also der Seeraub zwischen Andersgläubigen ist schlichtweg risikoärmer für die Gewaltakteure, für die Piraten.“
Erzählerin:Was oftmals bei Piraten-Erzählungen unberücksichtigt bleibt, ist die Versklavung der Opfer. Seeräuber nahmen nicht nur sämtliche Waren der eroberten Schiffe mit, sondern oftmals auch die Besatzung oder Reisende. Und Archäologin Kovacic hat Aufzeichnungen ausgewertet, die sogar Entführungen in Küstenorten erwähnen:
SPRECHERIN 1„Aus dem 16. und 17. Jahrhundert haben wir Belege, dass osmanische Piraten hierherkamen und vor allem auf den Inseln Männer und Frauen entführt haben, die nach kräftigen Arbeitskräften aussahen. Teilweise wurden alle Bewohner von kleineren Inseln mitgenommen, so dass diese Eilande über Nacht unbewohnt waren. 1571 drangen ottomanische Piraten nach Zentraldalmatien ein, sie griffen die Siedlungen auf der Insel Hvar an und brannten praktisch alles nieder. Aber aus welchem Grund auch immer sind sie nicht ins nahegelegene Omis gekommen.“
Erzählerin:Der Heidelberger Historiker Niklas Jaspert macht in seinen Veröffentlichungen immer wieder deutlich, dass Piraterie von der Antike bis zur Neuzeit eine breite gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Bedeutung hatte. Das Bild der freiheitsliebenden Revolutionäre unter dem Totenkopf, die den Reichen das Geld stahlen und es den Armen gaben, ist ihm zufolge stark romantisierend. Ein Freibeuter im Mittelmeer war eher Wirtschaftskrimineller als Robin Hood. Und letztlich war ein großer Teil der Bevölkerung beteiligt: als Täter, Opfer oder Nutznießer:
O-TON NIKOLAS JASPERT „Man tut gut daran, wenn man eine Geschichte des Seeraubs in Dalmatien und an der Küste schreibt, dann immer die Küstenbewohner mitzuschreiben, die ganz unterschiedlich involviert sein können. Als Opfer natürlich von Überfällen, als Täter, die selbst zur See gehen und rauben, aber nicht zuletzt auch als Käufer und als Teil dieses Handels-Netzwerks, auf dem ja auch der Seeraub beruht, dass man die Beute verkaufen können muss.“
Erzählerin:Die kroatische Archäologin Vanja Kovacic ergänzt, dass man Piraterie in früheren Epochen nicht mit heutiger Moral beurteilen dürfe:
SPRECHERIN 1„Das war keine Frage von gut und böse, das war normal. Sie forderten Geld oder Ware dafür, dass fremde Schiffe durch die hiesigen Seegebiete fahren durften. Wenn man so will, tun wir das heute auch, in dem wir Zölle, auf der Autobahn Gebühren von den Durchreisenden oder in den Häfen Liegegebühren verlangen, freilich ohne Gewalt!“
O-TON NIKOLAS JASPERT „Ich halte Seeraub schon für ein zeitloses Phänomen, wir haben es ja immer noch! Also am Golf von Aden und anderswo, man muss sich nur die Zahlen anschauen, werden Jahr für Jahr Schiffe überfallen. Und das kriegen wir in Deutschland nur bedingt mit. Am Horn von Afrika eine Zeitlang schon, da war es auch in den Nachrichten. Und Reedereien reagieren zum Beispiel damit darauf, dass sie Söldner, Privattruppen anstellen, um Schiffe zu verteidigen. Also das ist ein Phänomen, das die Zeiten überdauert.“
Erzählerin:Wenn alljährlich im August im Hafenbecken von Omis die Piratenschlacht tobt, hat man von der Festung Fortica Starigrad aus den besten Ausblick. 300 Meter über der Stadt ist diese Anlage aus dem 15. Jahrhundert. Auch sie diente den Piratenfamilien als Hochburg, Aussichtspunkt und Rückzugsort. Erobert wurde sie nie. Wann genau und warum die Herrschaft der Kacic-Freibeuter endete, ist nicht überliefert. Ihre Nachfolger in Dalmatien, die Uskoken, gerieten im sogenannten „Krieg um Gradiska“, den Venedig und Habsburg ausfochten, zwischen die Fronten. Nach dem Friedensschluss der beiden Großmächte von 1617 wurden alle Schiffe der Uskoken verbrannt, sie mussten ins Hinterland umsiedeln. Viele von ihnen schlossen sich als Söldner den Habsburgern an, die übrigen zerstreuten sich zwischen Balkan und Österreich, die Piraterie an der kroatischen Küste löste sich fast über Nacht in Luft auf!
Erzählerin:Karlo Kovacic ist Mitglied der örtlichen Sektion des kroatischen Wanderverbandes und kümmert sich mit seinem Team um die Instandhaltung der Wanderwege zu den Burgen und Höhlen der Gegend. Er beobachtet die Piratenschlacht immer von oben, ganzjährig führt er Wandergruppen auf den Spuren der Piraten durchs Gelände.
Und auf EINE Entdeckung warten die Bewohner von Omis seit langem: irgendwo muss doch ein Piratenschatz vergraben liegen!?
SPRECHER 1„Leute aus Omis suchen seit Jahrhunderten nach möglichen Piratenschätzen, zum Beispiel in den vielen kleinen Höhlen hier. Bisher hatte aber noch kein Schatzjäger Glück, es wurde nichts Wertvolles gefunden. Wir wissen nicht, wohin die Kacic ihre Schätze geschafft haben oder ob sie hier irgendwo ruhen. Zur Bank haben sie die Schätze sicher nicht gebracht!“


