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Alles Geschichte - Der History-Podcast

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Jul 4, 2025 • 23min

WESTDEUTSCHLAND NACH 1945 - Aufschwung durch den Korea-Krieg

Der erste heiße Konflikt im Kalten Krieg erschütterte die Welt - auch die Bonner Republik. Im Juni 1950 überschritten Soldaten des kommunistischen Machthabers Kim Il-sung den 38. Breitengrad, die Trennlinie zwischen dem sowjetischen und dem amerikanischen Einflussbereich in Korea. Doch der Konflikt sollte Bonn und Westalliierte zu Bündnispartnern verschweißen. Für Westdeutschland begann ein unverhofftes Wirtschaftswachstum. Von Volker Eklkofer und Simon Demmelhuber (BR 2020)Credits Autoren: Volker Eklkofer & Simon Demmelhuber Regie: Martin Trauner Technik: Helge Schwarz Es sprachen: Andreas Neumann, Hemma Michel & Peter Veit Redaktion: Thomas Morawetz    Im Interview: Dr. Thomas Schlemmer Linktipps Alles Geschichte (2024): Der Koreakrieg – Wie aus Brüdern Feinde wurden Der Koreakrieg, ein Stellvertreterkrieg im Kalten Krieg zwischen 1950 und `53, forderte mehrere Millionen Menschenleben. Wirklich beendet ist er bis heute nicht. Im Juli 1953 wurde nur ein Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet. Von Isabella Arcucci (BR 2013). JETZT ANHÖREN ZDF (2020): Pulverfass Korea – Konflikt ohne Ende Manche Experten sehen im Koreakrieg das wichtigste weltpolitische Ereignis nach dem Zweiten Weltkrieg. Niemals wirklich beendet, beeinflusst er weiter internationale Beziehungen. JETZT ANSEHEN Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte: Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun? DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend. Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.  Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de. Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Alles Geschichte JETZT ENTDECKEN Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript: MUSIK ErzählerSonntag, 25. Juni 1950. In Korea beginnt der Sommermonsun. Es gießt in Strömen. In den frühen Morgenstunden entladen sich heftige Gewitter entlang des 38. Breitengrads. Im Tosen des Sturms nehmen die südkoreanischen Soldaten an der Grenze zu Nordkorea den anschwellenden Geschützdonner ebenso wenig wahr wie ihre amerikanischen Militärberater. Der Angriff des kommunistischen Diktators Kim Il-sung, eines engen Verbündeten der UdSSR, überrollt den unvorbereiteten Gegner. In Blitzkriegsmanier stoßen Kims Truppen vor, besetzen die Hauptstadt Seoul und kontrollieren bereits im August weite Teile Südkoreas. ErzählerinDie Welt ist geschockt, der Kalte Krieg ist plötzlich heiß geworden. Die erst fünf Jahre zuvor gegründeten Vereinten Nationen greifen militärisch ein. Weil bei der entscheidenden Sitzung des Sicherheitsrats der Vertreter der Sowjetunion fehlt, fällt der Beschluss für eine Kampftruppe, die mit Gewalt Frieden schaffen soll. Mehrere Nationen stellen Kontingente, Anfang Juli übernehmen die USA das Kommando. ErzählerWährend die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten zum Gegenschlag rüsten, flackern in Westdeutschland Kriegsängste auf. MUSIK ErzählerinNach den aufwühlenden Ereignissen der letzten beiden Jahre – Währungsreform, Berlin-Blockade, Gründung von Bundesrepublik und DDR, erste Bundestagswahl, Regierungsbildung – ist die Sehnsucht nach einer Verschnaufpause groß. Doch mit einem Schlag ist alles anders. Am anderen Ende der Welt tobt Krieg. In einem Land, das wie Deutschland seit 1945 in eine sowjetische und eine amerikanische Einflusszone geteilt ist. In einem Land, in dem die Gegensätze zwischen Ost und West ebenso heftig aufeinanderprallen. Ist das ein Omen? Droht ein deutsches Korea? ZitatorDer Überfall der nordkoreanischen Kommunisten auf Südkorea und die Kampfhandlungen dort erfüllten die deutsche Bevölkerung mit großer Unruhe. Erzähler…schreibt Konrad Adenauer, der erste Kanzler der Bundesrepublik, in seinen „Erinnerungen“. Mit der grassierenden Furcht der Menschen hat sich auch der Historiker Dr. Thomas Schlemmer vom Münchner Institut für Zeitgeschichte beschäftigt. Zuspielung Schlemmer 1Man darf sich das nicht so vorstellen, dass die Leute massenhaft auf die Straße gegangen wären, um zu demonstrieren. Die Unruhe spielt sich hauptsächlich im privaten Umfeld ab. Ja, man merkt es zuhause in den Familien. Der Zweite Weltkrieg ist grad‘ fünf Jahre zu Ende, der doch fast in jeder deutschen Familie tote Familienangehörige gefordert hat. Das ist noch sehr präsent gewesen, entsprechend auch die Angst. Und dazu kommt etwas, was man heute auch vergessen hat, und das ist die Realität der deutschen Teilung. Wenn es denn zu einem deutschen Korea gekommen wäre, hätten hier erstmals Deutsche auf Deutsche geschossen - und das zu einer Zeit, wo die deutsche Teilung ja auch erst seit einem Jahr harte Realität war. ATMO Aufgeregtes Gemurmel MUSIK ErzählerinIm Bundeskanzleramt herrscht Nervosität. Augenzeugen berichten von der panischen Angst Adenauers in den Tagen nach dem Kriegsausbruch. Was, wenn die DDR mit dem Segen Moskaus die junge Republik angreift? Die Gefahr scheint Adenauer durchaus real. Der Kanzler weiß, dass Ostdeutschland seit 1948 eine paramilitärische Truppe aufstellt. Die kasernierte Volkspolizei zählt mittlerweile 60.000 Mann unter Waffen. Ihr stehen in Westdeutschland nur schwache Polizeikräfte gegenüber, die zudem auf Länderebene organisiert sind. Diese Ordnungshüter, bemerkt Adenauer sarkastisch, wären nicht einmal in der Lage, demonstrierenden Kommunisten die Plakate abzunehmen. ErzählerErst als im Juli 1950 klar wird, dass die USA tatsächlich bereit sind, Südkorea mit einem massiven Militäreinsatz zu verteidigen, legen sich die ärgsten Befürchtungen in Bonn. Und der Politfuchs Adenauer erkennt die Chancen, die sich im Windschatten des Koreakriegs für seinen halbsouveränen Staat bieten. ErzählerinDie Bundesrepublik ist nach wie vor ein besetztes Land. Neben dem Grundgesetz gilt ein Besatzungsstatut, das den Westmächten, vertreten durch einen amerikanischen, englischen und französischen Hochkommissar, Kontrollrechte einräumt. ErzählerAdenauer fürchtet Stalin und die Sowjetunion. Für ihn liegt das Heil im Westen, hier möchte er eine souveräne Bundesrepublik als gleichberechtigten Partner fest verankert sehen. Um diesem Ziel näherzukommen, will er Westdeutschland fünf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wiederbewaffnen. Durch einen eigenen Verteidigungsbeitrag soll die Bundesrepublik Vertrauen schaffen, sich aus der Pariarolle des Kriegsverlierers befreien und zum Verbündeten der westlichen Welt aufsteigen. ErzählerinEin riskantes Vorhaben. Denn die Menschen in Ländern wie Großbritannien, Frankreich oder Italien haben den totalen Krieg des Dritten Reichs und die Verbrechen von Wehrmacht und SS längst nicht vergessen. ErzählerAber Adenauer macht Druck. Mitte August 1950 fordert er in der „New York Times“ eine „starke deutsche Verteidigungsmacht“. Rückendeckung bekommt er unter anderem von Englands Kriegspremier Winston Churchill, der auf die Schaffung einer Europaarmee drängt. In den USA findet der Kanzler vor allem im Pentagon viel Zustimmung. Auch bislang unerbittliche französische Regierungsmitglieder äußern angesichts des Koreakriegs Verständnis. Sogar der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher lässt sich im September zu einer Erklärung hinreißen: ZitatorWir sind bereit, wieder Waffen zu tragen, wenn die westlichen Alliierten mit uns das gleiche Risiko und die gleiche Chance der Abwehr eines sowjetischen Angriffs übernehmen und sich mit größtmöglicher Macht an der Elbe etablieren. ErzählerinDamit ist Adenauer ein echter Coup geglückt. Von nun an steht die Frage der deutschen Wiederbewaffnung auf der Tagesordnung aller internationalen Treffen. Noch im September 1950 stimmen die Westalliierten der Bildung einer 30.000 Mann starken Polizeitruppe zu. So entsteht der halbmilitärische Bundesgrenzschutz, aus dem später die Bundespolizei hervorgeht. Das Projekt Europaarmee scheitert zwar am Widerstand der französischen Nationalversammlung, doch das schadet der westdeutschen Integration keineswegs. Für westliche Sicherheitsinteressen wird die Bundesrepublik bald unverzichtbar. Während sich der Kalte Krieg verschärft, wächst sie immer stärker in die westliche Welt hinein und wird zum Verbündeten aufgewertet. MUSIK ATMO Kriegslärm & Schreie ErzählerZurück nach Korea. Hier rollt seit September 1950 die Gegenoffensive der UNO-Truppen. Das Kommando hat der legendäre amerikanische Fünf-Sterne-General Douglas McArthur, ein egozentrischer Militär mit Hang zu goldbetressten Mützen. Beide Seiten führen den Krieg mit äußerster Brutalität. Massaker sind an der Tagesordnung, Flächenbombardements der US-Luftwaffe radieren ganze Landstriche aus. Rücksicht auf die Zivilbevölkerung gibt es nicht. ErzählerinAls die UN-Streitkräfte den Nordkoreanern heftige Niederlagen zufügen und zur chinesischen Grenze vorrücken, schickt Mao tse-tung im November 1950 hunderttausende Zwangs-Freiwillige zur Unterstützung Nordkoreas an die Front. Im Frühjahr 1951 droht die Lage vollends zu eskalieren. Der in den USA äußerst einflussreiche General McArthur fordert die Ausweitung des Koreakriegs auf China und den Einsatz von Atombomben. US-Präsident Truman zieht die Notbremse und entlässt McArthur. Die Entscheidung Trumans wird in den USA scharf kritisiert, New York empfängt den gefeuerten Rückkehrer McArthur demonstrativ mit einer Konfettiparade. Im Mai frisst sich die Front zwischen Nord- und Südkorea fest – genau dort, wo der Krieg begann, am 38. Breitengrad. Auf Initiative der Sowjetunion beginnen im Juli Waffenstillstandsverhandlungen, doch erst zwei Jahre später wird die Waffenruhe im Grenzort Panmunjon besiegelt. Das Land bleibt geteilt, bis heute gibt es keinen Friedensvertrag. MUSIK ErzählerIn Westdeutschland ebbt der Koreaschock in der zweiten Jahreshälfte 1950 allmählich ab. Das robuste Vorgehen der Amerikaner stärkt das Vertrauen in die westliche Führungsmacht. Die Menschen widmen sich wieder ihren Alltagsproblemen. ErzählerUnd davon gibt es nicht wenige, denn der junge Staat steckt tief in einer Gründungskrise. Trotz Währungsreform kränkelt die Wirtschaft. Zwar ist der Schwarzmarkt kollabiert, die Läden sind voller Waren, doch die Löhne stagnieren und die Arbeitslosenzahl klettert auf über zwei Millionen. Zahlreiche Flüchtlinge und Vertriebene leben in Armut, sozialer Sprengstoff sammelt sich an. ErzählerinNoch im Sommer 1950 stellen die USA auf Kriegswirtschaft um. Die westliche Führungsmacht fährt die Rüstungsproduktion hoch und ist zur Versorgung der Koreatruppen sogar gezwungen, im Ausland einzukaufen. Das ist die Stunde der westdeutschen Nachkriegswirtschaft. Bislang humpelte sie mehr schlecht als recht auf einem Bein, der Binnenkonjunktur. Jetzt darf sie in die Bresche springen und den Weltmarkt versorgen. Auf amerikanischen Druck heben die Siegermächte sogar die nach 1945 erlassenen Produktionsbeschränkungen für die Schwerindustrie auf. ErzählerZwar verursachte der Bombenkrieg immense Schäden in zahlreichen deutschen Städten, doch nur ein Viertel der Industriekapazität ist zerstört. Trotz einiger Demontagen sind ausreichend Produktionsstätten vorhanden, es gibt qualifiziertes Personal und mit mehr als zehn Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen ein riesiges Arbeitskräftereservoir. Milde als „Mitläufer“ entnazifiziert oder gar als „entlastet“ eingestuft, besetzen viele alte Manager erneut die Chefetagen. Thomas Schlemmer: Zuspielung Schlemmer 2Und was haben sie anzubieten? Stahl haben sie anzubieten, Maschinen haben sie anzubieten und Kraftfahrzeuge haben sie anzubieten. Vor allem zivile Kraftfahrzeuge haben sie anzubieten, die dann stärker nachgefragt werden, nachdem eben amerikanische Kraftfahrzeugfirmen jetzt Militärfahrzeuge herstellen. Und chemische Industrieprodukte, Kohlechemie, Petrochemie. Und diese vier Warengruppen – Stahl, Kraftfahrzeuge, Maschinen und Produkte der chemischen Industrie, die stützen die erste Phase des deutschen Exportwunders. MUSIK ErzählerinMehr und mehr kommt die Außenwirtschaft in Schwung. Was immer die Welt benötigt, Made in Germany liefert. Während Korea in Gewalt und Blut versinkt, verdoppeln sich im Zeitraum Juni 1950 bis Juni 1951 die Ausfuhren. Der Koreaboom übertrifft die kühnsten Erwartungen. Es sind nicht nur altbekannte Konzerne wie BASF, Siemens oder AEG, die die Hochkonjunktur beflügeln. Auch Mittelständler fassen international Fuß. Diese Industrieunternehmen ziehen andere Branchen mit nach oben. Zehn Jahre lang glänzt die Wirtschaft mit einem Wachstum von rund 8 Prozent jährlich. Bereits 1952 wird die Bundesrepublik Mitglied beim Internationalen Währungsfonds und der Weltbank. Sie spielt nun in der ersten Liga, ist kreditwürdig. ErzählerDie 50er Jahre sind die Zeit der Traumkarrieren. Adolf Dassler, schon im „Dritten Reich“ Sportschuhersteller, packt wieder an. Die deutsche Fußballnationalmannschaft, die 1954 das „Wunder von Bern“ vollbringt, trägt seine Schuhe mit den drei Streifen. Heute ist Adidas eine Weltmarke. Max Grundig, der 1930 sein erstes Radiogeschäft eröffnet, wird führender Rundfunkgeräteproduzent Europas, 1953 produziert er fast 40.000 Radios. Gustav Schickedanz baut eines der größten Versandhäuser der Welt auf, sein berühmter Quellekatalog erscheint erstmals 1954. Heinz-Horst Deichmann, als junger Soldat an der Ostfront schwer verwundet, studiert von 1946 bis 1952 Theologie und Medizin. Ab1956 leitet er das Familienunternehmen und macht sich einen Namen als größter Schuheinzelhändler Europas. Reinhold Würth übernimmt 1954 im Alter von 19 Jahren den Schraubenladen seines verstorbenen Vaters und zeigt, dass er den Dreh raus hat. Er schafft ein Schrauben- und Dübelimperium, betreibt Hotels und Spitzenrestaurants und baut eine Kunstsammlung mit 18.000 Werken zusammen. MUSIK ErzählerinDer Aufschwung macht die Westdeutschen wohlhabend, die Nachfrage nach Konsumgütern wächst. Bald fehlen den Betrieben Arbeitskräfte, DDR-Flüchtlinge, Übersiedler und ab 1955 erste Gastarbeiter füllen die Lücke. Das individuelle Realeinkommen verdoppelt sich bis 1960, bis 1973 verdreifacht es sich. Man kann sich wieder etwas leisten: Radio, Kühlschrank, Fernseher, VW-Käfer, Italienurlaub. ErzählerVor allem aber kann die Regierung Adenauer eine großzügige Sozialpolitik betreiben. Sie verschafft Flüchtlingen und Vertriebenen Grund und Boden, entschädigt sie für ihre Verluste, versorgt Kriegswitwen und -waisen, bringt eine Rentenreform auf den Weg und vergisst auch Opfer des Nationalsozialismus nicht. Die sozialpolitischen Maßnahmen sorgen für Ausgleich und tragen dazu bei, dass sich die Masse der Deutschen von Hitlers Führerstaat abkoppelt und die Demokratie annimmt. Die nationalsozialistische Tätergemeinde geht währenddessen spurlos in der Nachkriegsgesellschaft auf. Zuspielung Schlemmer 3Diese Verteilungsspielräume, die werden eben durch des geschaffen, was man gemeinhin das Wirtschaftswunder nennt, und ein Katalysator dieses Wirtschaftswunders ist eben der Koreakrieg, weil er der westdeutschen Industrie neue Expansionsmöglichkeiten eröffnet. Die Gießkanne war sehr gut gefüllt und es werden schon spezifische Gruppen besonders bedacht: Das sind eben die Alten und das sind die Opfer des Krieges. Und da entsteht auch eine Art von Zusammengehörigkeit und von Gemeinschaft, die bestimmte politische Gräben hinwegreicht. MUSIK ErzählerinIm Oktober 1954 gehen Konrad Adenauers Bewaffnungswünsche endlich in Erfüllung: Westdeutschland wird Gründungsmitglied des Verteidigungspaktes Westeuropäische Union und tritt der NATO bei. Die Pariser Verträge beenden auch die Besatzungszeit und geben der Bundesrepublik die staatliche Souveränität zurück. Pazifistische Gruppen wie die „Ohne-mich-Bewegung“ protestieren vergeblich gegen die Militarisierung. Der Bundestag stimmt dem Vertragswerk gegen alle Bedenken im Februar 1955 zu. ErzählerNun gilt es, die Bundeswehr aufzubauen und für Bewaffnung und Ausstattung zu sorgen. Ein Bundesland steht dabei buchstäblich Gewehr bei Fuß: Bayern. ErzählerinBayern steckt zu Beginn der 1950er Jahre mitten im Wiederaufbau. Viele Städte sind noch von verheerenden Kriegsschäden gezeichnet. Würzburg und Donauwörth haben besonders unter den Bombenangriffen gelitten: Drei Viertel der Gebäude liegen in Schutt und Asche. Nürnberg ist zur Hälfte, München zu einem Drittel zerstört. Zwei Millionen Vertriebene müssen versorgt werden. Noch immer lebt ein Drittel der Bewohner Bayerns von der Landwirtschaft. Die Gewerbe- und Industriebetriebe, die schon vor dem Krieg hier ansässig waren, kommen aber langsam wieder in Fahrt. ErzählerDoch in Bayern schlummert noch ungenutztes ökonomisches Potential. Brachliegende Relikte der NS-Kriegswirtschaft, ihre Produktionsanlagen und Experten warten auf ein Comeback. Zuspielung Schlemmer 4Bayern ist lange der so genannte Luftschutzkeller des Reiches, das heißt, der strategische Bombenkrieg reicht über eine bestimmte Linie nicht hinaus. Und deswegen ist Bayern lange Zeit vergleichsweise sicher vor Bombenangriffen. Viele Industriebetriebe werden entweder nach Bayern verlagert oder in Bayern neu aufgebaut. Und des trifft vor allem zukunftsfähige Industrien im Bereich des Kraftfahrzeugbaus und im Bereich der optischen Industrie, im Bereich der chemischen Industrie und im Bereich des Flugzeugbaus. Und aller Demontagen und Zerstörungen zum Trotz sind da viele Kerne nach wie vor vorhanden und lassen sich aktivieren. ErzählerinZudem verlassen bedeutende Unternehmen wegen des Kalten Kriegs die „Frontstadt“ Berlin, andere wandern im Streit mit dem SED-Regime aus Mitteldeutschland in den Süden ab. Siemens verlegt seine Konzernzentrale nach München, BMW gibt den Standort Eisenach auf und produziert Autos in Bayern. Die sächsische Auto Union schlägt in Ingolstadt Wurzeln. ErzählerDer Umbau der bayerischen Wirtschaft braucht Zeit, das „Wirtschaftswunder“ setzt daher erst mit Verspätung ein. Aber eine andere Folge des Koreakriegs, die Wiederbewaffnung, ist purer Kraftdünger für eine ökonomische Sondersparte: Rüstung und Wehrtechnik. Schon der Bundesgrenzschutz braucht Standorte, Dienststellen, Fahrzeuge und Bekleidung, dann in weit größerem Ausmaß die Bundeswehr. Das bringt großen Unternehmen und kleinen Betrieben Aufträge und schafft Arbeitsplätze. ErzählerinIn Teilen des Freistaats, vor allem im Süden, ist die Rüstungsinfrastruktur aus der NS-Zeit noch intakt. Alles was sie braucht, ist eine kleine Aufbauspritze. Thomas Schlemmer vom Münchner Institut für Zeitgeschichte: Zuspielung Schlemmer 5Des is eine Mischung aus dem, was schon da ist, beispielsweise Oberpfaffenhofen, das ist ein Luftfahrterprobungszentrum von Hitlers Luftwaffe schon, Messerschmitt in Augsburg und in Regensburg, BMW in München, BMW kennt man heute hauptsächlich eben aufgrund seiner Kraftfahrzeuge, is aber der führende mit Daimler Benz zusammen Flugzeugmotorenhersteller der Luftwaffe; aus dem dann MTU auch hervorgeht, die ja bis heute in dieser Sparte aktiv sind. Hat a so a bissel verkehrsstrategische Gründe auch – die Autobahn nach Berlin, die Donau als Wasserstraße, das spielt für Ingolstadt ne gewisse Rolle, Nürnberg immer schon ein Standort der elektrotechnischen Industrie gewesen, die ja auch wehrmäßig wichtig ist, optische Industrie in München – Rodenstock – spielt da eine ganz große Rolle. Also das sind ja keine neuen Firmen, die man dann hier hochzieht, sondern das ist die Entwicklung des Bestandes, der sich hier tatsächlich vor 1945 auch schon hier im südbayerischen Raum konzentriert hat mit einigen Ablegern eben auch in Nürnberg und Fürth. ErzählerinVor allem ein Politiker treibt die Entwicklung unermüdlich voran: Franz Josef Strauß, zunächst Atomminister, dann von 1956 bis 1962 Bundesverteidigungsminister. Zuspielung Schlemmer 6Franz Josef Strauß setzt bewusst auf die Förderung der heimischen Rüstungsindustrie, weil er sich davon struktur- und rüstungspolitische Effekte erhofft. ErzählerinStrauß will sich nicht nur auf die Schutzmacht USA verlassen. Er setzt auf eine eigenständige europäische Rüstungs- und Verteidigungspolitik, von der deutsche Unternehmen profitieren sollen. In erster Linie aber will Strauß, dass seine bayerische Heimat ein großes Stück vom Kuchen abbekommt. Seine Standortpolitik reicht vom Kasernenbau in strukturschwachen Gebieten bis zum Flugzeugkauf bei bayerischen Firmen. Mit lukrativen Aufträgen greift das Bonner Verteidigungsministerium auch kriselnden Unternehmen unter die Arme. Zuspielung Schlemmer 7Einen erhält beispielsweise die Auto Union, später Audi. Der erste Kübelwagen, der Munga, stammt aus Ingolstädter Produktion. Es ist ein ganz wichtiges Zwischenprodukt, der die Firma in einer schwierigen Zeit am Leben hält. ZitatorFranz Josef Strauß, heißt es anerkennend in Bonn und München, kümmert sich um alles – vom Atomsprengkopf bis zum Uniformknopf. MUSIK ErzählerDer Koreakrieg endet 1953. Er fordert drei bis vier Millionen Tote, darunter knapp 40.000 Amerikaner und 400.000 Chinesen. Bei uns ist er heute fast vergessen, doch er hat wichtige wirtschaftliche und politische Entwicklungen angeschoben. Er hat den Westdeutschen ein unerwartet rasches „Wirtschaftswunder“ beschert und der Bundesrepublik geholfen, nach der totalen Niederlage 1945 als souveräner Staat in den Kreis der Völkerfamilie zurückzukehren. Aber er hat auch die Gräben zwischen Ost und West vertieft und die deutsche Teilung verfestigt – bis hin zum Mauerbau 1961, dessen Folgen wir heute noch spüren. Zuspielung Schlemmer 8Ich würd sagen, der Koreakrieg ist ein wichtiger Katalysator. Er beschleunigt etwas. Und er beschleunigt vor allem die drei großen W, die diese 50er Jahre ausmachen: Er beschleunigt den Wiederaufbau, er beschleunigt das Wirtschaftswunder und er beschleunigt die Westintegration. Und ein viertes W könnte man noch nennen, subsummierend unter die Westintegration, die Wiederbewaffnung. Diese vier Punkte werden alle schneller durch den Koreakrieg.
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Jul 4, 2025 • 23min

WESTDEUTSCHLAND NACH 1945 - Mythos Trümmerfrauen

Nach dem Zweiten Weltkrieg kümmerten sich vor allem professionelle Baufirmen um die Beseitigung der Trümmer, mit Hilfe tüchtiger Frauen. Aber nicht sie, sondern die "Trümmerfrauen" wurden zum Mythos. Von Marita Krauss (BR 2021)Credits Autorin: Marita Krauss Regie: Martin Trauner Technik: Siglinde Hermann Es sprachen: Katja Amberger, Detlef Kügow, Christiane Blumhoff, Jerzy May Redaktion: Nicole Ruchlak    Im Interview: Else Rau Linktipps ARD Archivradio (2025): Reportage über Trümmerfrauen in Berlin vDas Bild der fröhlich anpackenden Trümmerfau prägt bis heute unsere Wahrnehmung vom Wiederaufbau der zerbombten deutschen Städte nach dem Zweiten Weltkrieg. Schon während des Krieges hatte Goebbels Propagandaministerium Schauspielerinnen in den Trümmern fotografieren lassen, um nach alliierten Luftangriffen Zuversicht in der Bevölkerung zu verbreiten. Nach dem Krieg prägen wieder Frauen die Aufräumarbeiten, vor allem auch, weil viele Männer umgekommen oder in Kriegsgefangenschaft sind. Sie machen aber im Gegensatz zur Nazi-Propaganda keinen Hehl daraus, wie hart diese Arbeit ist. Gut zu hören hier im Beitrag aus Berlin vom 21. Juni 1947. JETZT ANHÖREN ZDF (2022): Ein Tag in Dresden 1946 Elli Göbel ist eine von über 500 Trümmerfrauen, die helfen, die zerbombte Stadt wieder aufzubauen. Die fiktive Biografie zeigt Schicksal und Lebenswirklichkeit. JETZT ANSEHEN Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte: Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun? DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend. Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.  Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de. Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Alles Geschichte JETZT ENTDECKEN Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript: MUSIK ERZÄHLERINSie holen mit bloßen Händen Steine aus den Trümmern, klopfen Mörtel von Ziegelsteinen, schichten Ziegelhaufen auf, schieben schwere, mit Trümmerschutt gefüllte Loren – Frauen, und zwar nur Frauen erscheinen auf Fotos der unmittelbaren Nachkriegszeit als die Heldinnen des Neuanfangs. MUSIK ERZÄHLERSolche Fotos der Jahre 1945 und 46 sprechen Bände. Die deutschen Frauen, so suggerieren sie, packen an, sie beseitigen den Schutt, den der Krieg der Männer hinterlassen hat, sie ziehen den Karren aus dem Dreck. Die Frauen waren diejenigen, heißt es, die ganz allein und ohne professionelle Hilfe den Schutt wegräumten. ZITATORINDie Trümmerfrauen sind zum Symbol für den Aufbauwillen und die Überlebenskraft der Deutschen in der Nachkriegszeit geworden. Ohne ihre Schwerstarbeit wären die deutschen Städte lange Zeit Schutthalden geblieben, ohne ihre unermüdliche Tätigkeit das Überleben der Familien nicht gesichert gewesen. ERZÄHLERSo steht es auf der Internetplattform des Deutschen Historischen Museum Berlin. Über die Trümmerfrauen, so scheint es, gibt es wenig Dissens, sie gehören mittlerweile zum offiziellen Geschichtsbild. Von „Trümmermännern“ wird selten gesprochen. Es ist auch nicht von den Baufirmen die Rede, die Abriss und Wiederaufbau mit Hilfe professioneller, meist männlicher Bauarbeiter bewältigten. Unerwähnt bleiben ebenso die alliierten Besatzer, die mit schwerem Gerät, logistischer Unterstützung, Manpower und Unmengen von Material halfen. Nein, es waren die deutschen Frauen. ERZÄHLERINAber wer die Bilder der Ruinenstädte kennt, weiß, dass das nicht ausgereicht haben kann: Mehrstöckige Häuser mussten eingerissen werden, meterhohe Mauern waren zu stützen oder zu sprengen, enorme Schuttberge von Straßen und Plätzen zu räumen. Alles durch die deutschen Hausfrauen mit bloßen Händen? ERZÄHLERGrund genug also zu fragen: Gab es denn diese Trümmerfrauen überhaupt, die – zur Arbeit für geringen Stundenlohn dienstverpflichtet – öffentliche Straßen und Plätze von Trümmern und Schutt befreiten, diesen auf Loren luden und abtransportierten, alles im Dienste der Gemeinschaft? Eine Bestandaufnahme. MUSIK ERZÄHLERINBei Kriegsende 1945 bestand die Bevölkerung in Deutschland überwiegend aus Frauen, Kindern und alten Menschen. Die Männer, die den Krieg überlebt hatten, kamen oft erst nach Jahren zurück. Die Frauen wurden daher notgedrungen zu Heldinnen des Alltags: Mit Improvisation, Hamstern, Geschick und Schwarzmarktkäufen hielten sie ihre Familien über Wasser. ERZÄHLERDer Zeitzeuge Christian Hallig beschreibt den Alltag dieser Frauen der Trümmerzeit in den letzten Kriegsjahren und nach Kriegsende: ZITATORHetzen nach Lebensmitteln auf Karten, stundenlanges Anstehen, um die mageren Rationen zu ergattern. Die Kinder versorgen. Tätig als Krankenschwester, als Wehrmachtshelferinnen, an den Flakbatterien oder in den Fabriken beim Granatendrehen. Und als Briefträgerinnen, Schaffnerinnen. Zu Hause immer die Feuerpatsche und den Eimer mit Wasser bereit, wenn die Bomben wieder einmal die Wohnung durchgeblasen haben. Krieg aus. Nun erst recht ran. Denn die Männer sind gefallen, vermisst oder noch in Gefangenschaft. … Stets ist der Tag zu kurz, er müsste zehn Stunden mehr haben, um das zu schaffen und zu organisieren, was das Überleben ermöglicht. ERZÄHLERINAus Hunger wurde bei Kriegsende auch geplündert. Die Münchnerin Else Rau, Jahrgang 1910, berichtete im Gespräch mit der Autorin Carlamaria Heim von der großen Plünderung der Wehrmachtsbestände im Münchner Bürgerbräukeller unmittelbar vor dem Einmarsch der Amerikaner am 30. April 1945. Die hungrigen Frauen und Männer schleppten heim, was sie tragen konnten. Else Rau war mit ihrer Mutter zusammen aufgebrochen, um auch etwas zu erwischen und kam mit einer schweren Kiste wieder aus dem Lagerkeller nach oben: O-TON Else RauKomm i rauf – Nacht. Na war neba mir a Frau, na hat’s g‘sagt: ‚Hab‘m Sie wos dawischt?‘ ‚Ja‘, hob i gsagt, ‚aber glaub’n‘s, i glaub i muas lieg‘n lass‘n, i kann‘s nimmer hoamtrag’n. Und mei Mama had ma an der Stimm erkannt. ‚Els, Els,‘ hat’s g’sagt, ‚kumm her!‘ Na hamma de Kistn aufn Schlittn nauf und hamma’s hoamg’fahr’n. Na samma hoam. Na hamma de Kistn aufg‘stemmt. Dann war‘n da Fleischdos‘n drina. I konn Eahna sag’n: Also mei Mamma hat direkt zerst a Gsetzl g‘woant vor lauta Freid, glaub‘m‘s des? Also i hab‘s gar net fass‘n kenna. Und mir hab‘m an Kater doch g‘habt, gell, der hat doch a so an Kohldampf g‘habt. De erste Dos‘n de ma aufgmacht hab‘m, den ersten Bissen hat d’Katz kriagt. ERZÄHLERINEinen Tag später ergatterten die Münchenerinnen und Münchner auch noch Wein. Else Rau: O-TON Else RauMir san nüber. Dawei san die Leut bis zu de Wadl im Wein gewatet. Wissen‘s, des war die – i versteh’s vielleicht scho – die Gier, und an Hahn, an Zapfhahn ham‘s net g’habt, da ham’s de Spund eintret’n, da ist der Wein rausg’laufa. Na hat d‘Mama zwoa Putzkiebi voll Wein und an Suppenhafa a voll a no hoamg‘schleppt, gell, oiso na hamma a no an Wein g‘habt, Da drin san lauter so kloane Garterln gwesen. Und de oiden Leit – mei, de jungan, de warn ja meistens gar net da - und de hab‘m nachat a eanan Wein g‘habt und hab‘m dann g‘sunga und war‘n fröhlich, gell – wissen S‘, des war – de hab‘m so richtig an, i mecht fast sag‘n, ned as Kriegsende, sondern mehr oder wenicher an Sieg g’feiert – mecht i fast sag‘n. Des war für uns boid a Sieg. Weil ma was z‘Essn g‘habt ham. MUSIK ERZÄHLERDer Krieg war zu Ende, doch nun standen die Deutschen vor der gigantischen Aufgabe, die Trümmer zu beseitigen. Antonie Rasch aus Haunstetten bei Augsburg in einem Interview: ZITATORIN Ein schauerliches Bild bot sich uns, als wir wieder in unsere Straße kamen. Unser Haus war schwer von Brandbomben getroffen. Nur noch die Grundmauern standen, außerdem noch die beiden Kamine und die fielen nach einem schweren Gewitter in sich zusammen. Das Haus war völlig unbewohnbar. … Dem Wiederaufbau des Elternhauses galt unser ganzer Ehrgeiz. Als mein Bruder am 22. Juli 1945 aus der amerikanischen Gefangenschaft nach Augsburg kam, haben wir beide sofort beschlossen: „So, jetzt bauen wir das Haus wieder auf.“… Zuerst mussten wir Unmassen von Schutt aus dem Trümmerhaufen räumen…. Meine Aufgabe war es, die noch brauchbaren Ziegelsteine mit einem Hammer vom Mörtel zu befreien. Die Steine mussten picobello sauber sein, sonst hielt der neue Mörtel nicht an den Ziegeln und die ganze Arbeit war umsonst. Ich weiß nicht mehr, wie lange ich Steine klopfte, in meiner Erinnerung kommt mir die Zeit wie eine Ewigkeit vor. Es war eine Sträflingsarbeit. Ich weiß noch gut, einmal habe ich mit einem Helfer um die Wette gehämmert. Wir schafften 300 Steine an einem Tag, das war unser absoluter Rekord. Die harte Arbeit machte mir damals nichts aus, ich hatte mein Pflichtjahr auf dem Land in Waal bei Buchloe absolviert und konnte zupacken wie ein Mann. ERZÄHLERElisabeth Widmann, 1945 Mutter einer dreijährigen Tochter, ebenfalls aus Haunstetten: ZITATORINMit dem Aufbau ging es nur zögerlich voran. Mein Mann hatte gleich eine Stelle als Maurer wieder angenommen. Wir brauchten ja Geld. Und Arbeit für Maurer gab es in jener Zeit genug. Er konnte also nur in seiner knappen Freizeit an dem Haus arbeiten. Ich kümmerte mich damals in erster Linie um unsere Tochter und die Versorgung der Familie. Die schwere Arbeit auf dem Bau konnte ich ja nicht verrichten. Steine klopfen und Nägel gerade biegen gehörte jedoch zu meinen Aufgaben. Auch rührte ich schon mal den Mörtel an, bis mein Mann von der Arbeit heim kam, so dass er gleich loslegen konnte. MUSIK ERZÄHLERINFrauen, die in den Trümmern arbeiteten, die für den privaten Wiederaufbau Steine klopften, die als „Trümmerspechte“ aus den Trümmern Brennholz zogen, solche Frauen gab es also viele. Doch immer arbeiteten Frauen und Männer gemeinsam in den Ruinen der Städte. Was aber war mit der "deutschen Trümmerfrau", die ganz allein die Städte von den Trümmern beseitigte? Wie ist dieser Mythos entstanden? ERZÄHLERBereits in der NS-Zeit wurden Trümmerfrauen-Fotos inszeniert. Es sind NS-Propagandabilder des Fotografen Hugo Schmidt-Luchs überliefert, der 1944 in Hamburg Schauspielerinnen zu einem „Trümmerfrauen-Fotoshooting“ zusammengeholt hatte. Sie stehen bei strahlendem Sonnenschein hübsch, jung und lachend, mit Röcken, ungeeignetem Schuhwerk und natürlich ohne Handschuhe auf Ziegelhaufen und geben sich in der Kette Ziegelsteine weiter. „Gemeinsam sind die Schwachen stark“, signalisieren diese Bilder. Ob die Fotos noch im Rahmen der NS-Propaganda Verwendung fanden, ist nicht bekannt. Sie sind jedenfalls der Prototyp der Trümmerfrauen-Fotos, wie sie noch heute in Schulbüchern zu finden sind. MUSIK ERZÄHLERINTrümmerfrauen – oder vielmehr das, was man dafür hielt – blieben auch nach Kriegsende ein Motiv für Fotografen. Doch die fotografierten Frauen waren oft nicht, was man sich heute vorstellt. Dies beweist ein Foto, dessen Geschichte sich nachverfolgen lässt: Lachende junge Frauen mit den charakteristischen Kopftüchern stehen auf einem schmalen Sims, von dem aus es scheinbar tief nach unten geht. Sie reichen sich Steine weiter. Dieses Bild findet sich unter verschiedenen Bezeichnungen im Internet, unter anderem als „Trümmerfrauen in Würzburg, 1945“. Auch in einem bayerischen Schulbuch ist es abgebildet, zusammen mit Fotos zu deutschen Soldaten auf dem Weg in die Kriegsgefangenschaft, Kindern, die in Ruinen spielen, und einem Bild mit Menschen, die auf dem Trittbrett eines überfüllten Zuges mitfahren. Dort wird es bezeichnet als „Trümmerfrauen in München“. ERZÄHLERWas zeigt das Bild nun wirklich? In der Originalbeschriftung der Kontaktabzüge steht: „Pg-Frauen arbeiten am Färbergraben“. Es handelt sich also um einen Schutträum-Einsatz ehemaliger NS-Parteigenossinnen, die wegen ihrer Mitgliedschaft in der Partei nach Kriegsende zu gemeinnütziger Arbeit beim Schutträumen verurteilt worden waren. Auch diese Frauen arbeiteten übrigens zusammen mit Männern, wie sich an einem weiteren Foto dieser Räumaktion zeigen lässt. Doch der Fotograf hatte für das Foto alle Frauen zusammengeholt und das Bild später dann auch noch so beschnitten, dass ein Loch in der Straße wie ein dramatischer Abgrund wirkte. „Trümmerfrauen“ bei der Arbeit erschienen ihm attraktiv. ERZÄHLERINVerpflichtende Räumaktionen waren nichts Neues. Bereits während der NS Zeit wurden Frauen, Schülerinnen und Schüler oder Angestellte von Betrieben im Rahmen des so genannten „Ehrendienstes“ am Wochenende zur freiwilligen Trümmerräumung aufgerufen. Dieser typische NS-Begriff „Ehrendienst“ taucht wieder Anfang 1946 in Würzburg auf: ERZÄHLERFrauen und Männer wurden unter dieser Bezeichnung dazu verpflichtet, eine bestimmte Zahl von Tagen Trümmer zu räumen. Auch in anderen Städten, so in Kassel, musste jede Frau acht Tage im Jahr Trümmer räumen. In West-Berlin wurden ab Juni 1945 Frauen wie Männer als „Hilfsarbeiter und Hilfsarbeiterinnen im Baugewerbe“ dienstverpflichtet. Sie verdienten 60 oder 70 Pfennige pro Stunde und erhielten bei der Lebensmittelzuteilung Schwerarbeiterzulagen. In Berlin arbeiteten im Juli 1946 rund 41.000 weibliche und etwa 37.000 männliche Hilfskräfte bei der Trümmerräumung mit. Solche Dienstverpflichtungen sind der historische Boden, auf dem die Erzählung von den Trümmerfrauen entstand. ERZÄHLERINDoch ebenso real sind die amerikanischen Besatzer, die in allen zerstörten Städten von Anfang an mit schwerem Gerät, mit Lastwagen und Personal halfen: Denn es bestand ein hohes Risiko, dass Menschen ums Leben kamen, wenn Fassaden einstürzten. Mit Trümmerfrauenarbeit allein hätte man nirgends die öffentliche Sicherheit garantieren können. Schwerarbeiten leisteten dann auch deutsche und ungarische Kriegsgefangene oder internierte NS-Profiteure. In einem amerikanischen Wochenbericht für den Regierungsbezirk Schwaben vom November 1945 heißt es: ZITATORDie Reparaturarbeiten an der Reichsautobahn schreiten voran, wir beschäftigen dafür SS-Männer. Für den Bau von Lechbrücken wurden 60 Gefangene herangezogen. ERZÄHLERINEhemaligen Nationalsozialistinnen wurde mit dem Entzug der Lebensmittelzuteilung gedroht, sollten sie sich weigern, ein gewisses Pensum an Trümmerräumarbeiten zu leisten. MUSIK ERZÄHLERDas Bild der heldenhaften Trümmerfrau, die Deutschland mit bloßen Händen aufräumte, setzt sich also aus vielen Mosaiksteinen zusammen, zu denen die Dienstverpflichtung ebenso gehört wie die Inszenierung durch die Fotografen. Gespeist wurde es damals sicher auch von dem Wunsch nach einem Vorbild, nach Menschen, die anpacken, um einen Weg aus den Trümmern zu finden. ERZÄHLERDer Alltag der Frauen in den Jahren nach 1945 war auch ohne zusätzliche Schwerstarbeit anstrengend und zermürbend. Die eigentlichen Hungerjahre standen der Bevölkerung noch bevor: Die offiziellen täglichen Rationen sanken auf 1.500 bis 1.000 Kalorien. Ohne markenfreie Zusatzernährung ging es den Menschen schlecht. Es brach die Zeit der Ersatzprodukte an: Trockenmilch, Trockenei, als Ersatzkaffee den „Muckefuck“ aus Zichorien. Statt Essig nahm man Rhabarber- oder Berberitzensaft. Fleischpflanzerl wurden mit püriertem Salat von roten Rüben gestreckt. Und die Kochbücher des Jahres 1946 enthielten jede Menge Kartoffelrezepte. Eine Zeitzeugin: ZITATORINJeden Tag ging ich aus dem Haus, um irgendetwas Essbares für meine Familie zu suchen. Da stand plötzlich einmal ein Wagen mit Spinat, ein anderes Mal einer mit Blattsalat. Oder eine Bäckerei verkaufte etwas, das wie schwarzer Kuchen aussah und ein klein wenig süß schmeckte… Was Kartoffeln anbelangte, hatte ich mit dem Himmel einen Vertrag abgeschlossen: ‚Lieber Gott, wenn Du mir nicht hilfst, immer wieder Kartoffeln zu organisieren, lege ich mich ins Bett und rühre keinen Finger mehr!‘ Ich brauchte mich nicht ins Bett zu legen. Es geschahen Dinge, die Wunder ersetzten. ERZÄHLERDa es auch an allem anderen fehlte, musste die Hausfrau nicht nur beim Kochen improvisieren. Dunkle Sachen wusch man mit dem Sud von Efeublättern oder mit Ochsengalle, für helle Wäsche nahm man Kastanien oder Kartoffelschalen. Zum Einweichen für die große Wäsche empfahlen die Frauenzeitschriften „Der Silberstreifen“ oder „Der Regenbogen“ Holzaschenlauge. Und was man nicht mehr weiß bekam, konnte man auch färben. Um alte Kleidungsstücke neu erscheinen zu lassen, griff man notgedrungen ebenfalls auf die Natur zurück und färbte mit den Schalen Roter Rüben Textilien karminrot, mit Spinatbrühe hellgrün, mit Birkenlaub grüngelb, mit Sauerampfer maisgelb. Auch die Kosmetik war nun sehr naturnah: Regenwasser oder dünner Aufguss aus Lindenblüten- oder Kamillentee dienten als Gesichtswasser und die Haare wurden mit einer stark verdünnten Spirituslösung massiert, wenn sie zu sehr unter den „Wuckerln“ gelitten hatten, den Röllchen aus Papier oder Holz, auf die sie über Nacht aufgedreht wurden. MUSIK ERZÄHLERINKultur bot ebenfalls eine wichtige Möglichkeit, sich vom Alltag abzulenken; doch auch hier war der Hunger immer dabei. Else Rau erlebte im Münchner Prinzregententheater am 15. November 1945 die Operneröffnung mit Fidelio: O-TON Else RauIm Vorraum vom Prinzregententheater da hab‘n de Ami so a Art Küch‘ eingerichtet g’habt, gell, mit eahnerne Gulaschkanonen und wia ma da so im Theater g’sess‘n san, gell, mia ha’m, Guat‘l hamma koa g’habt, na hat a jede drei Erbs’n im Mund g’habt, wissen’s zum Zutzl’n, drum dass ma was im Mund g’habt hat. Auf oamoi kumma da Gerüche, Gerüche nach Gulasch. Zwiefin und feine Gewürze und Fleisch und Gulasch, Gulasch, Gulasch – i kon Eahna sag’n, des is immer intensiver wor’n, und ‘s Wasser is‘ uns im Mund z’amg’lauf’n, oiso i kon Eahna sag’n, wir san mim Schlucka nimmer nachkumma. Oiso es war phantastisch. Dabei hab‘n de nacha in der großen Pause g‘sehn, dass die herauß‘d eahnare Gulaschkanonen da in Tätigkeit g‘setzt ham und ham da ‘kocht. Meine Güte, oiso des war unbeschreiblich, was ma da für a Gier kriagt hat. Also Fidelio und Gulasch, is für mich ein Begriff! ERZÄHLERDer Alltag der Frauen war Abenteuer genug und ein täglicher Kampf ums Überleben. Neben Essensbeschaffung, Haushalt, Kindererziehung und manchmal etwas Freizeit bestimmte Erwerbsarbeit ihr Leben. Da ganze Jahrgänge an jungen Männern durch den Krieg dezimiert worden waren, mussten viele Frauen damit rechnen, ledig zu bleiben. Umso wichtiger wurde die Arbeit für sie. Auf dem Land war das zunächst vor allem die Tätigkeit auf dem Bauernhof: So arbeiteten evakuierte Städter und Städterinnen, aber auch viele der Flüchtlinge aus den Sudetengebieten, aus Schlesien oder Ostpreußen für Unterbringung, magere Ernährung und geringen Lohn auf den Feldern und im Stall. In der Stadt wurden Frauen hingegen immer mehr in qualifizierten Berufen tätig. Waren bereits in den Zwanzigerjahren Berufe wie Büromädchen, Stenotypistin, Sekretärin, Telefonistin oder Laborantin üblich geworden und hatten die Arbeit als Dienstmädchen in der Hauswirtschaft abgelöst, so ging nun der Aufstieg der Frauen weiter. Ein Bericht des Münchner Wiederaufbaureferats für 1946 hält fest: ZITATORVon dem patriarchalischen Zustand, dass der Mann die Familie ernährt und die Frau das Hauswesen besorgt, hat sich die Großstadtfamilie schon lange entfernt. … 37,8% der Erwerbstätigen sind Frauen. … Allerdings verbirgt sich hinter dem überraschend hohen Anteil der Frauenarbeit eine weittragende soziale Umschichtung…Bei der letzten Zählung im Herbst 1946 waren im Angestellten- und Beamtenverhältnis schon mehr Frauen tätig als in Lohnarbeit. ERZÄHLERINFür die Frauen brachte also die Nachkriegszeit den Aufstieg in Berufe, die gerade nichts mit schwerer Handarbeit zu tun hatten. Doch schon seit den Fünfzigerjahren wurden „Trümmerfrauen“-Denkmäler errichtet, zunächst 1952 in Dresden und in Berlin. Noch ehrte man auch die Männer. So stehen vor dem Roten Rathaus in Berlin seit 1958 zwei Bronzestatuen, die „Aufbauhelferin“ und der „Aufbauhelfer“. Doch bald verengte sich der Fokus auf die Frauen: Ehrungen für die unbekannten Trümmerräumerinnen, die angeblich allein den Wiederaufbau bewältigt hatten, fanden immer wieder engagierte Streiterinnen und Streiter. In vielen deutschen Städten entstanden „Trümmerfrauen“-Denkmäler. ERZÄHLERZum Mythos der Trümmerfrau trug auch die neue Frauenbewegung der Siebzigerjahre bei, die auf die Suche nach den Frauen in der Geschichte ging und den eigenen Müttern ein Denkmal setzte – den starken Müttern der Nachkriegszeit, die in einer vaterlosen Gesellschaft die Kinder alleine großgezogen, für Essen und das alltägliche Überleben gesorgt hatten. Da diese Alltagsarbeit, tatsächlich das millionenfache Schicksal der Nachkriegsfrauen, nicht spektakulär genug schien, trat die „Trümmerfrau“ im engeren Sinne in den Mittelpunkt, die „wie ein Mann“ anpackte und mit schwerer Arbeit den Karren aus dem Dreck zog. MUSIK ERZÄHLERINIhr Mythos überlagert und verstellt in der Rückschau den Blick auf die Frauen der Trümmerzeit und damit auch auf das spezifisch weibliche Nachkriegsschicksal.
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Jul 4, 2025 • 23min

WESTDEUTSCHLAND NACH 1945 - Wie die Sieger sich zerstritten

Der Zweite Weltkrieg war kaum vorbei, NS-Deutschland und Japan hatten kapituliert, da erkannten die Westalliierten und die Sowjetunion, dass sie keinen Draht mehr zueinander fanden. Das Ergebnis war der Auftakt zum "Kalten Krieg". Von Rainer Volk (BR 2007) Credits Autor: Rainer Volk Regie: Rainer Volk Es sprachen: Krista Posch, Axel Wostry, Helmut Stange Redaktion: Brigitte Reimer   Im Interview: Prof. em. Dr. Rolf Steininger Besonderer Linktipp der Redaktion: SR: InterpretationssacheWas macht Über-Songs wie Let it Be, Nothing Else Matters, Skyfall oder Beethovens Mondscheinsonate so "über"? Das findet Roland Kunz in "Interpretationssache" raus. Er hört genau hin und erzählt die Geschichten dahinter. So wie beim berührenden Soundtrack von „Schindlers Liste“: Eine der besten Filmmusiken, die der große John Williams in seiner langen Karriere geschrieben hat. Roland erzählt, warum John Williams sich diesem Oscar-prämierten Film erst nicht gewachsen fühlte und was den Soundtrack von Schindlers Liste so außergewöhnlich macht. ZUM PODCAST Linktipps Radiowissen (2020): Potsdamer Abkommen – Eine Konferenz und ihre Folgen Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg? Darüber berieten im Sommer 1945 die Siegermächte USA, Großbritannien und Sowjetunion in Potsdam. Die Konferenz stand im Zeichen wachsender Spannungen zwischen Ost und West. JETZT ANHÖREN ZDF (2020): Welt am Abgrund Ende der fünfziger Jahre beginnt das nukleare Spiel der Supermächte - die USA und die UdSSR stationieren Atomraketen in Europa. Und im geteilten Deutschland stehen sich die beiden Militärblöcke NATO und Warschauer Pakt direkt gegenüber. JETZT ANSEHEN Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte: Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun? DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend. Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.  Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de. Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Alles Geschichte JETZT ENTDECKEN Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript: O-Ton 1: Roosevelt – Jalta-Bericht Erzählerin: Es ist der 1.März 1945. In Washington bilanziert Präsident Roosevelt vor dem US Kongress die Konferenz von Jalta. Er spricht von einem erfolgreichen Kraftakt der drei Großmächte für den Frieden, sieht einseitiges Handeln, Einflusssphären und Machtgleichgewichts-Denken am Ende. Übersetzer„Als Ersatz schlagen wir eine Weltorganisation vor, der sich alle friedliebenden Nationen anschließen können. Ich bin sicher: der US-Kongress wird diesem Ergebnis als Anfang einer stabilen Friedens-Struktur zustimmen. Darauf können wir eine bessere Welt für unsere Kinder und Enkel – ihre und meine – aufbauen; eine Welt, auf der sie leben können und müssen. Das ist die eine Botschaft, die ich für Sie habe. Ich empfinde sie sehr tief – und ich weiß, es geht ihnen heute und in Zukunft ähnlich.“ Erzählerin: Wenige Wochen später sind diese Worte bereits veraltet. Nicht nur, weil Roosevelt am 12. April 1945 stirbt – also noch vor der deutschen Kapitulation -, sondern weil auch vom Weltfrieden kaum mehr die Rede ist. Wichtige interne Papiere der Siegermächte des Weltkriegs zeigen, dass schon bei der Konferenz von Jalta - im Nachhinein betrachtet –die Teilung der Welt in Ost und West beschlossen und der „Kalte Krieg“ eröffnet worden ist. Zu Beginn des Treffens, am 4.Februar 1945, ahnt das keiner der Anwesenden. Im Gegenteil: die Gesprächs-Atmosphäre auf der Halbinsel Krim ist freundlich. Stalin, später der Bösewicht schlechthin für den Westen, wird von einer Wochenschau als Sieger der Schlacht an der Oder gelobt: O-Ton 2: The distinguished man, on whose sturdy shoulders falls the responsibility of the government of Russia came to the conference with the enviable prestige of being the architect of the greatest land victory of the war.” O-Ton 3: (Lautsprecher/Leipzig) „Alle Personen in dieser Stadt werden unver¬züglich und vorbehaltlos alle Anordnungen und Befehle der Militärregierung …. Sabotage und Plündern sind verboten. Auf jedes dieser Verbrechen steht die Todesstrafe… Behalten Sie ihre Lebensmittelkarten… Im Freien darf man sich nur zwischen acht und zehn Uhr des Morgens… weitere Ankündigungen werden folgen.“ Erzählerin: Als die Alliierten sich den Deutschen im besiegten Land als neue Herren vorstellen – hier eine Lautsprecherdurchsage aus Leipzig – sind Euphorie und gegenseitiges Wohlwollen der Sieger jedoch schon verflogen ATMO Erzählerin: So schreibt der britische Premierminister Winston Churchill dem neuen US-Präsidenten Truman am 12.Mai ’45 per Telegraph einen langen, sorgenvollen Brief über die Strategie der Sowjetunion: Zitator 2: „Ich habe mich stets um die Freundschaft der Russen bemüht; aber ihre falsche Auslegung der Jalta-Beschlüsse, ihre Haltung gegen Polen, ihr überwältigender Einfluss auf dem Balkan, …die Verkoppelung ihrer Macht mit der Besetzung und Kontrolle so ungeheurer und weiter Gebiete… beunruhigen mich ebenso sehr wie Sie. Wie wird sich die Lage in ein bis zwei Jahren darstellen, wenn die britischen und amerikanischen Armeen nicht mehr existieren und die Franzosen noch keine beachtliche Armee aufgestellt haben…?! Erzählerin: Zwar ist Churchill bald ohne Amt, denn seine Konservative Partei verliert Ende Juli 1945 bei Unterhauswahlen die Mehrheit; doch der Nachfolger Attlee und der neue Außenminister Bevin teilen seine Meinung. Der Innsbrucker Zeithistoriker, Professor Rolf Steininger, einer der besten Kenner der Zeit des „Kalten Krieges“, sagt resümierend: O-Ton 5: Steininger – GB/45: „Wir haben in London eine Entwicklung, die schon seit dem Frühjahr 45 – man kann sogar noch weiter zurück gehen, aber Frühjahr 45 von tiefem Misstrauen gegenüber der sowjetischen Politik getragen ist – von der sogenannten „russischen Gefahr.“ Erzählerin: Bei der Potsdamer Konferenz von Juli bis Anfang August 1945 bestätigen die Weltkriegs-Alliierten zwar die Jalta-Vereinbarung, Deutschland aufzuteilen in Besatzungszonen und einen Kontrollrat für gesamtdeutsche Fragen einzusetzen. Auch werden die Bedingungen für die Kapitulation Japans und die so genannte „Oder-Neisse-Linie“ als künftige Westgrenze Polens diskutiert. Doch Truman ist nicht Roosevelt. Der Neuling im Weißen Haus, bisher mit Weltpolitik wenig befasst, hat sich rasch eingearbeitet. Rolf Steininger hält den Sohn eines einfachen Farmers aus Missouri keineswegs für ‚überfordert’ mit der Materie: O-Ton 6: (Steininger – Truman) Truman ist massiv unterschätzt worden. Truman ist so „down to earth“ – ein Mann der praktischen Politik. Er ist auch jener, der zum ersten Mal Molotov sagt: Haltet Eure Verträge ein – dann wir auch. Und er ist auch schon von einem tiefen Misstrauen getragen.“ Erzählerin: Diese Haltung Trumans bildet sich im Laufe des Jahres 1945 allmählich heraus. Bezeichnend ist, wie er bereits in Potsdam gegenüber Stalin ein Weltereignis quasi ‚im Nebensatz’ ankündigt: den Abwurf der ersten Atombombe. O-Ton 7: (BBC-Hiroshima) „Scientists, British and American have made the Atomic Bomb at last. The first one was dropped on a Japanese city early this morning. It was…… Erzählerin: Zwei Tage nachdem die britische BBC – wie alle anderen Radiosender der Welt auch – den Abwurf von Hiroshima meldet, greifen Sowjettruppen am 8.August auf dem asiatischen Kriegsschauplatz ein. Briten und Amerikaner sehen die schnellen Erfolge als Beweis für die Schlagkraft Moskaus. Das vergrößert den Argwohn gegenüber Stalin. Prompt lehnt Truman eine sowjetische Beteiligung an der Besetzung der japanischen Insel Hokkaido ab; umgekehrt verweigert Stalin den USA den Wunsch, auf der Insel-Gruppe der Kurilen einen Stützpunkt zu errichten: Zitator 1: „Wünsche dieser Art werden normalerweise entweder einem besetzten Land vorgelegt oder einem alliierten Land, das unfähig ist, einen bestimmten Teil seines Landes selbst zu verteidigen… Ich glaube nicht, dass die Sowjetunion in eine dieser beiden Kategorien eingereiht werden kann.“ Erzählerin: In Europa schnürt sich das Problemknäuel im Herbst und Winter 1945-46 weiter zu: Vor allem verschlechtert sich überall die Ernährungslage: in Frankreich, Italien, Großbritannien, aber auch in Deutschland sind Lebensmittel knapp. Dazu kommt: das glorreiche Großbritannien ist praktisch pleite. Der berühmte Welt-Ökonom John Maynard Keynes, damals Berater der Londoner Regierung, nennt angesichts der Lage drei Bedingungen, um die Situation zu stabilisieren: Zitator 2: „Diese Bedingungen sind a) eine intensive Konzentration auf Ausweitung der Exporte, b) drastische und unmittelbare Einsparungen unserer Überseeausgaben und c) substantielle Hilfe von den Vereinigten Staaten unter Bedingungen, die wir akzeptieren können.“ Erzählerin: Die Verhandlungen mit den Amerikanern sind zwar erfolgreich; Großbritannien wird der Großteil seiner Schulden aus dem Pachtleih-Gesetz, das im Krieg zum Einkauf von Kriegsgütern diente, erlassen. Darüber hinaus kann der Schatzkanzler ein Darlehen zu niedrigen Zinsen aufnehmen. Aber: London kann diese 3,75 Milliarden Dollar nicht wie gewünscht einsetzen. Daran sind die Sowjets Schuld: Der Innsbrucker Zeithistoriker Professor Rolf Steininger: O-Ton 8: (Steininger – Geld/GB) „Die Briten waren in einer schwierigen Situation. Die Sowjetunion hat sich nicht an die Viermächte-Vereinbarung gehalten, sie hat nicht Lebensmittel in die Westzonen geschickt. In London standen die Hausfrauen Schlange vor den Brotläden – das war noch nicht einmal im Krieg vorgekommen. Das große Darlehen aus den USA, was die Briten für sich eigentlich nutzen wollten, müssen sie nun nehmen, um die Deutschen in ihrer Zone durchzufüttern – die Millionen mehr sind als geplant.“ Erzählerin: Kurz: das Bild ist düster – und es besteht wenig Aussicht auf Aufhellung. Während britische und amerikanische Diplomaten lange Denkschriften an ihre Regierungen schicken, deren Warnungen vor der Sowjetunion auf ein unterschiedliches Echo stoßen, wendet sich Winston Churchill an die Weltöffentlichkeit. Am Ende des ersten Nachkriegswinters, genauer: am 5.März 1946, hält er an der Universität von Missouri in Fulton einen Vortrag über die Lage in Europa und schildert dem Publikum ungeschminkt die Tatsachen, wie er sie sieht: O-Ton 9: (Churchill – Iron Curtain) „From Stettin in the Baltic to Trieste in the Adriatic… lay all the capitals of the ancient Europe… lie in what I must call the Soviet sphere.“ Übersetzer (Zitator 2): „Von Stettin an der Ostsee bis nach Triest an der Adria ist ein Eiserner Vorhang über Europa herabgelassen worden. Hinter dieser Linie liegen alle Hauptstädte der alten Staaten von Zentral- und Osteuropa. Warschau, Berlin, Prag, Wien, Budapest, Belgrad, Bukarest und Sofia: Alle diese berühmten Städte, und auch die Bevölkerung um diesen Städten liegen in einer Sphäre, die ich Sowjetische Sphäre nennen muss.“ Erzählerin: Heute weiß man: die Ansprache ist genau berechnet. In London haben der Premier und der Außenminister sie gelesen; auch US-Präsident Truman kennt ihren Inhalt. Denn er reist gemeinsam mit Churchill in der Eisenbahn nach Fulton. Als ihn Journalisten nach Ende der Veranstaltung dazu befragen wollen, stellt sich der US-Präsident jedoch überrascht und weicht aus. In den USA ist die Mehrheit der Bürger nämlich dafür, möglichst schnell abzurüsten und die eigenen Soldaten heim zu holen. Noch ist der „Kalte Krieg“ nicht mehrheitsfähig. Das Weiße Haus und das US-Außenministerium brauchen also eine Gelegenheit, der Welt Moskaus Haltung zu zeigen. Sie bietet sich bei der großen Außenminister-Konferenz im Frühjahr 1946 in Paris. Das Treffen behandelt vordergründig Friedensverträge mit den ehemaligen Verbündeten Hitlers – zum Beispiel (mit) Italien. Premierminister Attlee beteuert: O-Ton 10: (Attlee – Paris) „We’re discussing these treaties…we are trustees of the unborn children of the future.“ Übersetzer (Zitator 2): „Wir besprechen diese Verträge frei und offen, vor aller Welt. Wir fühlen hier den Druck der Weltmeinung. Mögen unsere Ohren dafür offen bleiben, denn kein Land, kein Herrscher kann es sich leisten, sie zu ignorieren. Wir sind Abgesandte einzelner Länder, aber gemeinsam sind wir für alle Menschen der Erde verantwortlich, die Friede und Sicherheit wollen. Wir sind Treuhänder der ungeborenen Kinder der Zukunft.“ Erzählerin: Das Pathos trägt gewisse Früchte – die Friedensverträge werden 1947unterzeichnet. Doch sind sie fast nebensächlich. Bei den wahren Kernpunkten, der Deutschlandpolitik, habe sich in Paris gezeigt, so Rolf Steininger, wie groß der Graben zwischen West und Ost im Sommer 1946 bereits sei:O-Ton 11: Steininger - Pariser AMK) „Diese Außenminister-Konferenz, endet im Juli, wenn sie so wollen, mit einem totalen Desaster. Molotov bewegt sich kei¬nen Millimeter. Bevin rastet fast aus. Es gibt diese wunderbare Szene, wo er um den Tisch herumläuft und den Molotov am Kragen schüttelt und fragt: Warum sagst Du immer „Njet“? Aber: Bevin hat klare Vorgaben vom Kabinett was zu tun ist im Ernstfall. Und Bevin schlägt vor: wenn die Sowjetunion nicht zurück¬kehrt zu einer gemeinsamen Deutschlandpolitik, sprich auch einer gemeinsa¬men Wirtschaftspolitik, Nahrungsmittel in die Westzone, dann wird Großbritan¬nien seine Zone alleine organisieren.“ Erzählerin: Die Briten haben für ihre Ansichten inzwischen bei den Amerikanern einen wichtigen Verbündeten: Lucius D. Clay. Der damals 49jährige General und stellvertretende Militärgouverneur der US-Zone drängt Washington im Sommer 1946 rascher Tatsachen zu schaffen – bis hin zur Bildung einer westdeutschen Regierung. Aber Außenminister James F. Byrnes zieht kleinere Schritte vor – wenngleich auch sie eindeutig sind: O-Ton 12: (Byrnes-Ankündigung) „Hier ist das Große Haus der Württembergischen Staatstheater in Stuttgart, der Stadt des Länderrats. Es mag dies mit ein Grund sein, warum der Außenminister … eine volle Klarlegung der Richtlinien, die die Vereinigten Staaten bis zum heutigen Tage befolgt haben und die in Zukunft eingeschlagen werden sollen.“ Erzählerin: 6. September 1946, der Reporter von Radio Stuttgart kündigt eine Rede von Byrnes an, die dieser vor deutschen und amerikanischen Honoratioren hält. Sie genießt seither einen geradezu legendären Ruf, als „Rede der Hoffnung“: O-Ton 13: (Byrnes-Rede) The American people, who fought for freedom…Das amerikanische Volk, das für die Freiheit gekämpft hat, will die Deutschen nicht versklaven. Das amerikanische Volk will dem deutschen Volk die eigene Regierung zurückgeben; das amerikanische Volk will dem deutschen Volk helfen zurückzufinden zu einem Platz unter den freien und friedliebenden Nationen der Welt… Nations of the world.“O-Ton 14: (Steininger/Byrnes) „Trotz aller Papierknappheit wurde die Rede in hunderttausenden von Exemplaren in der amerikanischen Zone verteilt. Und wenn sie die Reaktionen (nehmen): die Ministerpräsidenten, der Geiler, der Ministerpräsident, hat Tränen in den Augen; Erhard – der spätere Wirtschafts¬minister – ist begeistert. Das heißt: hier wird eine Schneise geschlagen. Zum ersten Mal sehen die Deutschen. Plötzlich: der große, der große Bruder, die USA, bieten uns die Hand zur Zusammenarbeit – nicht Partner – zur Zusam¬menarbeit an. Das war wie ein Durchatmen, wie frischer Wind. Man wusste: jetzt geht’s los.“ Erzählerin: Die Welt erhält durch die Byrnes-Rede den ersten eindeutigen Hinweis: die USA denken nicht, wie nach Ende des 1.Weltkriegs, an einen Rückzug auf den eigenen Kontinent. General Clay lässt den klärenden Worten von Byrnes im Herbst 1946 Taten folgen. Er trifft dabei, nicht nur wegen der ökonomischen Notlage, auf einen ausgeprägten Kooperationswillen in London. Im dortigen Außenministerium schreibt der Leiter der Deutschland-Abteilung um die gleiche Zeit ein Memorandum, in dem er betont, wie wichtig bessere wirtschaftliche Verhältnisse aus Sicht der Deutschen sind: Zitator 2:  „Wir müssen darauf achten, dass der Teil Deutschlands, der auf westlichen Ideen beruht, sowohl politisch wie auch wirtschaftlich attraktiver ist als der Rest. Wenn wir dies tun, können wir darauf hoffen, dass Ost-Deutschland früher oder später unter westlichen Einfluss gebracht werden kann, oder dass der sowjetische Einfluss dort zumindest zu einem gewissen Grad ausgeglichen wird.“ Erzählerin: Eine der wichtigsten westlichen Ideen ist die Demokratie: in der britischen und der amerikanischen Zone haben bereits erste Wahlen stattgefunden, teilweise sind die Länderverfassungen durch Referenden demokratisch ‚abgesegnet’. Die hohe Wahlbeteiligung und die Mehrheiten für bürgerliche Parteien zeigen den Besatzern: die Deutschen wollen den Weg des Westens mitgehen. Lobend erklärt Botschafter Robert Murphy, politische Berater der US-Militärregierung, im Radio: O-Ton 15: (Murphy) „Amerikaner mit denen ich gesprochen habe, haben mir ge¬gen¬über ihre Bewunderung dafür ausgedrückt, wie sich Deutsche bemühen, eine Demokratie aufzubauen. Sie haben mit Interesse die Wahlen in der ameri¬ka¬nischen Zone verfolgt.“ O-Ton 16: (Musik – „Glenn Miller – „705“) Erzählerin: Freiheit – das haben die Deutschen bis dahin nur in den Medien, wie hier in der Musik alliierter Radiosender – erfahren. Nun schaffen die Briten und Amerikaner auch wirtschaftliche Voraussetzungen. Die Besatzungszonen, faktisch ‚Kleinstaaten’ mit schwierigsten Ein- und Ausfuhrbedingungen für Waren, werden Ende 1946 zusammengeschlossen zur „Bi-Zone“. Die Wochenschau berichtet: O-Ton 16: Bizonen-Abkommen/Wochenschau „Der englische Außenminister Bevin und der amerikanische Außenminister Byrnes unterzeichneten gegen Jahres¬ende ein Abkommen, das die amerikanische und englische Zone zunächst wirt¬schaftlich vereint. Das Abkommen tritt am 1.Januar 1947 in Kraft. Damit ist der erste Schritt zur wirtschaftlichen Einheit Deutschlands getan. Ein hoffnungsvol¬ler politischer Abschluss des alten Jahres, der für das neue Antrieb und Ankur¬belung der Wirtschaft verspricht.“ Erzählerin: Für die Sowjetunion ist die Bizone jedoch ein Affront. Moskau betont in allen Verhandlungen verbal die Bereitschaft, weiter eine gesamtdeutsche Lösung anzustreben – wenn es Reparationen aus den Westzonen erhält. Doch darauf wollen sich Amerikaner und Briten nicht mehr einlassen. So kommt es im ersten Halbjahr 1947 zur Eskalation des „Kalten Krieges, symbolisiert durch zwei Daten – den 12. März, den Tag der „Truman-Doktrin“ und den 5. Juni, den Tag des „Marshall-Planes“.  Der Grund dafür aber ist nicht allein die wirtschaftliche Stabilisierung Deutschlands. Attlee, Bevin, Truman und der seit Januar ’47 zum Nachfolger von Byrnes bestellte US-Außenminister Marshall haben ebenso sehr Krisengebiete auf dem Balkan, in Ostmitteleuropa und im Mittleren Osten im Blick: Zitator 1: In Polen werden die Parlamentswahlen im Januar 1947 von der Sowjetunion manipuliert – die von ihr protegierten so genannten „Block-Parteien“ erhalten 93 Prozent der Stimmen. In der Tschechoslowakei propagiert der kommunistische Ministerpräsident Gottwald ein Bündnis aller Slawen unter Führung der Sowjetunion; in Griechenland kämpfen linke Guerrilla-Verbände gegen die Regierung. Im Iran weigert sich Moskau entgegen den Vereinbarungen, seine Truppen zurückzuziehen Erzählerin:  In diese Querelen hinein beginnt in Moskau das nächste geplante Außenminister-Treffen der Alliierten – am 10.März 1947, also zwei Tage ehe Präsident Truman im US-Kongress seine berühmte Rede hält. // Geschichtsforscher wie Rolf Steininger sehen die Diskussionen in der Sowjet-Hauptstadt als letzten Lackmus-Test vor der Teilung der Welt: O-Ton 17: (Steininger – Moskau) „Der große Test für einige, für einige war’s gar kein Test mehr, ist dann die Außenminister-Konferenz im März/April 1947. Die Briten haben den Eindruck: die Sowjets wollen eine Lösung. Die Russen wollen aber gleichzeitig massiv Reparationen. Und wir kennen alle diesen berühmten Spruch von George Marshall, dem Außenminister: Die Ärzte diskutieren und der Patient stirbt. Und da sehen Sie: es gibt da keine Annähe¬rungspunkte mehr. Da ist das Ende der Fahnenstange erreicht. Und vor allen Dingen die USA – organisieren jetzt das, was sie sozusagen „kontrollieren“ können.“ Erzählerin: Im Frühsommer 1947 ist die Kriegskoalition am Ende. West und Ost haben das Vertrauen zueinander verloren. Es geht – und das erstaunt im Rückblick – weniger um eine konkrete Kriegsgefahr, als um Befürchtungen vor einer Machtzunahme der jeweils anderen Seite. Wichtig ist: die Pläne beider Seiten bleiben defensiv, auch der bereits kurz erwähnte „Marshall-Plan“, der – und das unterstreicht das Gesagte über Deutschland und Europa – sich an den ganzen Kontinent richtet: O-Ton 18: (Steininger - ERP) „Es ging den Amerikanern nicht nur um Deutschland in dieser Phase, sondern auch um Westeuropa. Es ging um die Stabilisierung Frankreichs, es ging um die Stabilisierung Italiens – das waren die Länder mit den stärksten kommunistischen Parteien. Und die Furcht in Washington war noch nicht einmal so sehr, dass die Sowjets durchmarschieren. Sondern die Befürchtung war, dass die sowjetische „Fünfte Kolonne“, d.h. die kommunisti¬schen Parteien das Ruder übernehmen würden. Erzählerin: Wie klar die beiden Machtblöcke im Laufe des Jahres 1947 bereits fertig ‚betoniert’ sind, zeigen interne Analysen der US-Regierung. So schreibt der US-Diplomat George Kennan im November 1947: Zitator 1:  „Die Kriegsgefahr ist mancherorts äußerst übertrieben worden. Die sowjetische Regierung will keinen und erwartet keinen Krieg mit uns in der vorhersehbaren Zukunft. …Die politische Ausbreitung des Kommunismus konnte zumindest zeitweilig zum Stillstand gebracht werden.“
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Jun 20, 2025 • 23min

DAS ALTE ROM - Die Geschichte eines imperialen Traums

Das alte Rom ist die Mutter der imperialen Idee. Sie wurde von Julius Caesar unabsichtlich begründet und seitdem immer wieder aufgegriffen: von byzantinischen Herrschern, Karl dem Großen, den heilig-römischen Kaisern oder von russischen Zaren und Napoleon Bonaparte. Vielleicht, bei genauerem Hinsehen sogar von der EU. Von Ulrich Zwack (BR 2020)Credits Autor: Ulrich Zwack Regie: Sabine Kienhöfer Es sprachen: Hemma Michel, Christian Baumann, Christian Schuler Technik: Ursula Kirstein Redaktion: Thomas Morawetz   Im Interview: Dr. Julian Traut Besonderer Linktipp der Redaktion: SWR: Das Wissen    Täglich Neues aus Gesundheit und Geschichte, Wissenschaft und Weltgeschehen. Wichtige Zusammenhänge, gründliche Recherchen, überraschende Hintergründe über die unterschiedlichsten Themen: „Das Wissen“ spricht mit Menschen, die sich auskennen, reist an die wichtigsten Schauplätze und sammelt so Erkenntnisse um sich den drängendsten Fragen von heute, gestern und der Zukunft zu stellen  ZUM PODCAST Linktipps SWR (2025): Der römische Traum – Eine Anno-Story   Ein packender Hörspiel-Podcast im Anno-Universum: Zwei junge Männer verkaufen sich selbst in die Sklaverei – im Glauben, dass sie im Römischen Reich aufsteigen können. Was als verzweifelter Traum beginnt, wird zur abenteuerlichen Odyssee durch Kolonien, Intrigen und Machtzentren eines Imperiums. "Der römische Traum" erzählt die offizielle Vorgeschichte zu "Anno 117: Pax Romana" – als epische Audio-Serie mit deutschen Top-SchauspielerInnen, exklusivem Soundtrack von den Anno-Komponisten und live aufgenommen vom SWR-Symphonieorchester. Jetzt abonnieren – ab 20. August geht’s los! ZUM PODCAST   SWR (2021): Das Erbe des Römischen Reiches Das Limesmuseum in Aalen ist Basisstation für Dieter Moors Erzählung über das Erbe des Römischen Reiches. Die Reise geht weiter Rund ums Mittelmeer nach Bosra und Lepis Magna und endet bei Pont du Gard in Frankreich. JETZT ANSEHEN Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte: DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend. Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.  Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de. Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Alles Geschichte JETZT ENTDECKEN Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript: MUSIK ERZÄHLERIN:Paris ist die Stadt der Liebe, München leuchtet als Isar-Athen, New York preist sich als Big Apple. Viele Städte schmücken sich mit wohlklingenden Beinamen. Doch Rom ist einzigartig: Rom ist golden. Rom ist ewig. Denn Rom ist mehr als nur eine Stadt. Rom ist eine Idee. Nicht nur die einer Stadt, sondern die eines ganzen Reiches.  1. ZUSP: OT-TrautDas Besondere am Römischen Reich ist, dass es in seiner jahrhundertelangen Geschichte immer wieder transformiert wurde und auch durch verschiedene Ideen ergänzt wurde: Also das Römische Reich ist als historisches Gebilde eigentlich ein schwieriger Begriff. ERZÄHLERDer Münchner Historiker Dr. Julian Traut ist Spezialist für bayerische Landesgeschichte. Daneben beschäftigt er sich aber auch immer wieder mit dem römischen Reichsgedanken und den Veränderungen, die er im Lauf der Zeit erfuhr. 2. ZUSP:   OT-Traut (weiter)Es gab verschiedene römische Reiche, die römische Republik, das römische Kaiserreich. Als das Römische Reich zerbricht, kommt es dann zu verschiedenen Neuinterpretationen. Und es wird an die römische Reichsidee angeknüpft. ERZÄHLERIN:Die Vorstellung von Rom als Reich, das nicht sterben darf, liegt unter anderem darin begründet, dass einige biblische Texte wie das Buch Daniel, die Johannes-Apokalypse oder der 2. Thessalonicherbrief seit dem Altertum oft so interpretiert wurden, dass das Ende des Imperium Romanum den Weltuntergang einläuten würde. MUSIK ERZÄHLER:Ausgehend von einer am Tiber gelegenen, zunächst ziemlich unbedeutenden, Kleinstadt eroberten die Römer nach und nach ein ganzes Weltreich. ERZÄHLERIN:Nichtsdestotrotz ging es in Rom selbst ständig drunter und drüber; balgten sich Patrizier und Plebejer um die Macht. Bis im Jahrhundert vor Christi Geburt immer häufiger herausragende Einzelpersönlichkeiten nach der Alleinherrschaft strebten und der inzwischen arg in die Jahre gekommenen Republik den Garaus machten. ERZÄHLER:Der erste, der aus diesem Ringen siegreich hervorging, war Gaius Julius Caesar. Ein genialer Feldherr, herausragender Staatsmann, brillanter Schriftsteller und meisterhafter Ränkeschmied. ERZÄHLERIN:Anfang 44v.Chr. ließ sich er sich vom Senat - gewissermaßen Roms parlamentarischem Oberhaus - zum Diktator auf Lebenszeit ernennen. Damit schien er die traditionelle römische Republik beseitigt und sich zum Alleinherrscher aufgeschwungen zu haben. Ob er zusätzlich nach dem Königstitel strebte, ist bis auf den heutigen Tag umstritten. Nicht umstritten ist dagegen, dass rund 60 Senatoren den Diktator Caesar als lupenreinen Tyrannen betrachteten und am 15. März des Jahres 44 v. Chr. mit 23 Dolchstichen ermordeten. ERZÄHLER:Damit war Caesars Modell der Alleinherrschaft übers Römische Imperium kläglich gescheitert. Dennoch gehen die deutsche Bezeichnung Kaiser oder der in mehreren slawischen Sprachen gebräuchliche Titel Zar direkt auf seinen Namen zurück. MUSIK ERZÄHLERIN:Zum ersten Kaiser im eigentlichen Sinn wurde Caesars Adoptivsohn Octavian. der nicht nur das Vermächtnis seines Adoptivvaters antrat, sondern auch dessen Namen erbte. Er riss zwar ebenfalls die Alleinherrschaft an sich, vermied dabei aber tunlichst alles, was ihn als Usurpator hätte erscheinen lassen können. Stattdessen hielt er sich demonstrativ an die traditionellen republikanischen Spielregeln. Begnügte sich nach außen mit der Stellung eines Primus inter pares, also gleichsam eines Ehrenvorsitzenden unter ihm gleichrangigen Bürgern. Seine eigentliche Macht stützte er allerdings ebenfalls auf die lebenslange Sicherung wichtiger Amtsbefugnisse. Die eines Dictators war nicht darunter. Aber der lebenslange Titel eines Imperators oder die jährliche Verleihung der Amtsgewalt eines Volkstribuns bescherten ihm z.B. auf Dauer den Oberbefehl übers Militär oder das Vetorecht gegenüber den Inhabern anderer Staatsämter. ERZÄHLER:Auch auf religiöser Ebene spielte Octavian eine Sonderrolle. Nicht nur, dass er lebenslang das Amt des Pontifex Maximus bekleidete, das gewissermaßen dem eines Papstes über den römischen Götterkult entsprach - er ließ sich vom Senat obendrein den Ehrennamen Augustus verleihen. Das bedeutete der Erhabene und erhob den Kaiser gewissermaßen zu einem Wesen zwischen Mensch und Gott. ERZÄHLERIN:Die kaiserliche Hofpropaganda und unterwürfige Provinz-Obrigkeitsvertreter machten die sakrale Weihe, die den Herrscher dadurch umgab, im ganzen Reich publik. So frohlockte eine zeitgenössische Inschrift im kleinasiatischen Halikarnassos:       MUSIK ZITATOR: Das Göttliche hat den Menschen, den Caesar Augustus gesandt, auf dass unser Leben glücklich werde. Den Vater seines Vaterlandes, den Heiland des ganzen Menschengeschlechts, dessen vorausschauende Fürsorge die Gebete aller nicht nur erfüllt, sondern sogar übertroffen hat. ERZÄHLER:Nun hing In der Antike der Himmel wesentlich tiefer als heute. Deshalb wurde Augustus von vielen auch ganz konkret als Erlöser betrachtet, gefeiert und verehrt. Hatte er doch für inneren und äußeren Frieden, Rechtssicherheit und Wohlstand gesorgt und die Weltherrschaft Roms gesichert. Kurzum: Er hatte sich als Götterliebling erwiesen und das sagenhafte Goldene Zeitalter wieder heraufgeführt. Und das dank übermenschlicher Fähigkeiten, die ihm die Götter verliehen hatten. ERZÄHLERIN:Diese Fähigkeiten bildeten die Basis für den kaiserlichen Herrscherkult, denn sie waren nach damaligem Glauben göttlicher Natur. Darum hatten sie auch Anspruch auf kultische Verehrung. Der Herrscher selbst konnte offiziell allerdings erst nach dem Tod zum Gott erhoben werden. Vorausgesetzt, seine Herrschaft wurde als eine gute betrachtet. Dann wurde er, wie z.B. Caesar, Augustus, Claudius oder Trajan vom Senat zum divus, zum Vergöttlichten, erklärt, der dasselbe Recht auf religiöse Verehrung besaß wie die herkömmlichen Staatsgötter Jupiter & Co. Erst als sich das Kaisertum im 3. Jahrhundert vom Prinzipat zum absolutistischen Dominat wandelte, führte der Herrscher bereits zu Lebzeiten regelmäßig den Titel dominus et deus - Herr und Gott. MUSIK ERZÄHLER:Seit Augustus blieb die römische Reichsidee eng mit dem Kaisertum verbunden, galt das Imperium Romanum als Idealstaat - in dem die verschiedensten Völker in Rechtssicherheit, Wohlstand und Frieden unter der Regentschaft eines von den Göttern eingesetzten Monarchen zusammenlebten. ERZÄHLERIN:Konstantin der Große stellte schließlich das Christentum dem Heidentum gleich und leitete dadurch die vollständige Christianisierung des Imperiums ein. Auf den ersten Blick bedeutete das den Verlust des sakralen Nimbus der Kaiser. Aber in Wahrheit war das Gegenteil der Fall. Denn der Herrscher war jetzt zwar kein Gott mehr, galt aber als Stellvertreter Gottes auf Erden. Und das erhob ihn selbstverständlich weiterhin himmelhoch über alle Normalsterblichen. So schrieb der Kirchenvater Eusebius von Caesarea über das Wesen der Regentschaft Konstantins des Großen: MUSIK ZITATOR:Christus übt die oberste Herrschaft über die ganze Welt aus und steht über allen Dingen. Er ist das Wort Gottes, durch das unser gottgeliebter Kaiser, gleichsam in Übertragung der göttlichen Machtfülle und Nachahmung Gottes, die Angelegenheiten dieser Welt regelt und lenkt.  MUSIK ERZÄHLERIN:Gegen Ende des 5. Jahrhunderts brach die Westhälfte des Imperiums unter dem Ansturm völkerwandernder Germanenstämme zusammen. Die Osthälfte bestand dagegen noch fast ein Jahrtausend lang fort. Auch wenn sie nach der Ausbreitung des Islam ständig an Ausdehnung und Macht einbüßte. ERZÄHLER:Heute wird das Oströmische Reich nach seiner Hauptstadt Konstantinopel, alias Byzanz, meist als Byzantinisches Reich bezeichnet.  Den Oströmern selbst wäre das jedoch nie in den Sinn gekommen. Bis zur Eroberung Konstantinopels durch die Osmanischen Türken im Jahr 1453 nannten sie sich ausschließlich Rhomaioi.  - Römer. ERZÄHLERIN:Aber auch im Westen blieb die Romidee weiterhin lebendig, betrachtete man den Fortbestand des Imperiums zumindest theoretisch als gegeben. Auch wenn der Thron bis zur Krönung Karl des Großen durch den Papst am Weihnachtstag des Jahres 800 gewissermaßen verwaist blieb. Julian Traut: 3. ZUSP:   OT-TrautDas Römische Reich, das Karl der Große begründet hat, setzt sich weniger aus einem einheitlichen Reichsgebiet zusammen, sondern ist mehr als eine politische Idee zu verstehen, als Bezugspunkt, als Ort der Kaiserwürde. Und der Papst als Spender dieser Kaiserwürde tritt da in den Vordergrund. Das Römische Reich, das dann später unter dem Titel des Heiligen Römischen Reich später noch mit dem Zusatz Deutscher Nation Bestand haben sollte, ist also ein supranationales und weniger politisch als mehr ideelles Gebilde. ERZÄHLER:Rein äußerlich stellte Karls Krönung die Wiederherstellung des einstigen Westreichs dar. Doch erfolgte die Neubelebung nicht nur gemäß römischer, sondern auch nach fränkischer Überlieferung. Das wies der Romidee teilweise eine ganz neue Richtung. Zwar blieb das Kaisertum weiterhin mit sakraler Weihe umgeben und stützte auch Karl seine Herrschaft nicht zuletzt auf die Schlagkraft seiner Truppen. Aber beides war nun auch mit germanischen Vorstellungen in Form des von Gott dem rechtmäßigen Herrscher verliehenen Königsheils und des Heereskönigtums verbunden. Hinzu kam die durch die päpstliche Salbung symbolisierte Vorstellung vom Gottesgnadentum. Dadurch wurde Karls Reich nicht nur zum neuen Rom, sondern auch zum neuen Jerusalem erhoben.    ERZÄHLERIN:Indes war Papst Leo III. eigentlich gar nicht dazu berechtigt, jemanden zum Kaiser zu erheben. Da das römische Reich in Gestalt des oströmischen ja noch konkret fortbestand, wäre allein der oströmische Kaiser befugt gewesen, einen Mitkaiser zu ernennen. Aber Nikephoros I. dachte gar nicht daran, einen ungehobelten Frankenkönig als Amtskollegen zu betrachten.     ERZÄHLER:Deshalb versuchte Karl, seine Legitimation durch eine betont römische Amtsführung zu beweisen: Er ließ für den Bau der Aachener Pfalzkapelle antike Säulen aus Rom und Ravenna importieren; wies die wichtigsten Gelehrten seiner Zeit an, die antike Literatur zu pflegen; schuf eine straffe Zentralverwaltung. Und wirklich: Als in Konstantinopel auf Nikephoros I. der wesentlich kompromissbereite Michael I. folgte und Karls Kaisertum anerkannte, galt auch der Frankenherrscher als rechtmäßiger Erbe der alten Caesaren und sein Reich wirklich als Westteil des Imperium Romanum.    ERZÄHLERIN:Dann dauerte es erst einmal anderthalb Jahrhunderte, ehe 962 mit der Kaiserkrönung Ottos I. die lange Reihe der römischen Kaiser deutscher Herkunft begann. MUSIK ERZÄHLER:Nun gehörte es seit der Spätantike zu den Hauptpflichten des Kaisers, als Schirmherr der Kirche aufzutreten. Dadurch wurden ihm folgerichtig nicht nur weltliche, sondern auch kirchliche Rechte eingeräumt. Wie die oströmischen Kaiser beriefen jetzt auch die römisch-deutschen Synoden und Konzilien ein, setzten nach Gutdünken Bischöfe und Äbte ein und ab - und manchmal sogar den Papst. ERZÄHLERIN:               Das zeugte nicht von Größenwahn, sondern entsprach den Erwartungen, die man in Kaiser und Reich setzte. Das Imperium war ja nicht als nationaler Flächenstaat gedacht, sondern als Universalmonarchie, deren Macht sich vor allem auf die Loyalität von Menschen aus den unterschiedlichsten Weltgegenden gegenüber dem von Gott - zum Herrschen bestimmten - Regenten stützte. ERZÄHLER:Wohl erstreckte sich das Heilige Römisches Reich im Hochmittelalter von Antwerpen bis nach Breslau, von Hamburg bis nach Siena. Aber von echter Weltherrschaft kann da trotz aller Größe kaum gesprochen werden. Ein starkes Machtzentrum, mit dem sich auch das Ausland gut stellen wollte, bildete es jedoch allemal. So berichtete der Mönch und Chronist Widukind:    MUSIK ZITATOR: Der Kaiser wurde durch seine vielen Siege weithin berühmt. Deshalb besuchten ihn auch oft Gesandte von den Römern, Griechen und Sarazenen und brachten Geschenke: Goldene, silberne, bronzene, gläserne und elfenbeinerne Gefäße, Teppiche, Balsam, Gewürze und Tiere wie Löwen, Kamele, Affen und Strauße. ERZÄHLERIN:Aber das Heilige Römische Reich hatte nicht nur Freunde, sondern auch Feinde. Vor allem in Frankreich und in Italien polemisierte man ständig gegen die Vereinnahmung des Imperium Romanum durch die deutschen "Barbaren" Ja, selbst die Römer wollten vom Kaiser, der ihren Namen trug, nichts wissen. Als Otto III. die Tibermetropole tatsächlich zur Hauptstadt des Heiligen Römischen Reiches machen wollte, setzten sie ihm so zu, dass er nur knapp mit dem Leben davonkam. MUSIK ERZÄHLER:                          In Rom wurde auch der ideologische Krieg zwischen Papst und Kaisertum um die religiöse Führungsrolle im Abendland begonnen. Der Kaiser, so erklärte Papst Gregor VII. im Jahr 1076, maße sich eine Stellung an, die nach Christi Willen allein dem Papst als Nachfolger des Apostels Petrus zukomme. Die Antwort Heinrichs IV. erfolgte postwendend. In einem hochfahrenden Brief setzte er den Papst kurzerhand ab: MUSIK ZITATOR:Du wagtest zu drohen, du wolltest uns unserer von Gott verliehenen Gewalt berauben, als hätten wir das Reich von dir, und als ob die Kaiserkrone in deiner und nicht Gottes Hand läge, der uns zur Herrschaft berufen hat. Steig herab vom angemaßten Stuhl des heiligen Petrus. Steig herab, steig herab! ERZÄHLERIN:Nach den bisherigen Gepflogenheiten wäre die Angelegenheit damit erledigt gewesen. Aber jetzt folgte etwas völlig Neues: Der Papst verhängte seinerseits über den Kaiser den Kirchenbann. ERZÄHLER:In diesem Stil ging es über 150 Jahre lang weiter. Man setzte einander ab, ernannte Gegenpäpste und Gegenkaiser. Nach dem Tod Kaiser Friedrichs II. konnte der Papst die Auseinandersetzung schließlich zu seinen Gunsten entscheiden. Seitdem besaßen die Kaiser in kirchlichen Angelegenheiten keinerlei Mitspracherecht mehr.                                      ERZÄHLERIN:So gingen Kaiser und Reich aus der Auseinandersetzung zwischen Kaiser und Papst erheblich geschwächt hervor. Den Rest besorgte sehr viel später der Dreißigjährige Krieg. Er ließ das Heilige Römische Reich ausgeblutet, verstümmelt und als Spielball fremder Mächte zurück. Trotzdem bestand es noch gut 150 Jahre lang weiter. MUSIK ERZÄHLER:Neben dem oströmischen und dem Heiligen Römischen entstanden ab dem Mittelalter auch andere Kaiserreiche. Etwa das bulgarische oder das serbische - und natürlich vor allem das russische. Denn als nach dem Fall von Konstantinopel die orthodoxe Kirche ihres kaiserlichen Schutzherren beraubt war, wollten die Großfürsten von Moskau an dessen Stelle treten. Deshalb begannen sie sich dem Ausland gegenüber dadurch zu legitimieren, dass sie Moskau zum Dritten Rom erklärten und sich selbst zu Zaren.  ERZÄHLERIN:Als Zar par excellence gilt bis heute Peter der Große. Dabei hat gerade er das Wort Zar durch Imperator ersetzt. Also durch den ursprünglich rein militärischen Namenstitel der römischen Kaiser. Denn Peter wollte weniger als spätantiker oder mittelalterlicher kaiserlicher Schirmherr der orthodoxen Gläubigen betrachtet werden, denn als auf der Höhe der Zeit stehender, absolutistischer Monarch einer neuen europäischen Großmacht. Bis 1917 bezeichneten sich auch seine Nachfolger nur noch als Imperatoren. MUSIK ERZÄHLER:Ganz anders Napoleon I. von Frankreich. Als Ziehsohn der Französischen Revolution, genialer Feldherr, Machtmensch und Politiker war er der vielleicht modernste Monarch seiner Zeit. Trotzdem bediente er sich, als er Ende 1804 das französische Kaisertum schuf, einer betont traditionellen Formensprache: 5, ZUSP:  OT-TrautNapoleon war es einerseits, der das Heilige Römische Reich deutscher Nation nach tausend Jahren beendet, im August 1806 so also mit einer großen Tradition bricht, andererseits sich aber dann selber schon durchaus in der Tradition der römischen Reichsidee und des Kaisertums sieht. Er vollendet sozusagen die Französische Revolution, krönt sich selbst zum Kaiser, aber er tut dies in Anwesenheit des Papstes und lässt sich auch vom Papst salben. Napoleon benutzt also verschiedene Versatzstücke, die sich vor allem in der Repräsentation zeigen. Er trägt den Lorbeerkranz. Es werden verschiedene Herrschaftssymbole kreiert, die an die römische Kaiseridee anknüpfen und so begründet er das französische Kaisertum MUSIK ERZÄHLER:Das 65 Jahre nach dem Untergang des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gegründete Kleindeutsche Kaiserreich wurzelte erklärtermaßen nicht im alten Rom, sondern im freien Germanien des fälschlich zum teutschen Volksheiland hochstilisierten Cheruskerfürsten Hermann. Hitlers Drittes Reich berief sich ebenfalls kaum auf römische Traditionen, aber dafür umso mehr auf die irrationale arische Rassentheorie. Anders Mussolini in Italien. Denn zu dessen erklärten Zielen gehörte bekanntlich die Wiederherstellung des Imperium Romanum unter zeitgemäßen Bedingungen. ERZÄHLERIN:Was Deutschland betrifft, ist die römische Staatsidee mithin bereits 1806 abrupt abgerissen. Lediglich der Bundesadler erinnert immer noch ein wenig daran. Lässt er sich doch unmittelbar vom den obersten römischen Staatsgott Jupiter verkörpernden Adler herleiten, den schon die römischen Legionen auf ihren Feldzeichen trugen. ERZÄHLER:Dafür hat Franz II., der letzte heilig-römische Kaiser, die Reichsidee bereits 1804 in seine Heimat verpflanzt und als Kaiser Franz I. von Österreich den imperialen Traum der alten Römer einfach weitergeträumt. Sein neues Kaiserreich besaß ja auch wirklich alles, was ein echtes Kaiserreich ausmacht. Es war ein Vielvölkerstaat und sein Kaiser ein Vielvölkerbeherrscher von Gottes Gnaden. Das ließ sich schon allein an seinem sogenannten großen Titel deutlich ablesen. Selbst in stark verkürzter Form:   ZITATOR:Seine Kaiserliche und Königliche Apostolische Majestät, von Gottes Gnaden Kaiser von Österreich, König von Ungarn und Böhmen, von Dalmatien, Kroatien, Galizien und Illyrien; König von Jerusalem etc. Herzog von Lothringen, von Krain und der Bukowina; Großfürst von Siebenbürgen; Herzog von Friaul, Ragusa und Zara; Markgraf von Ober- und Niederlausitz und in Istrien; Herr von Triest, und auf der Windischen Mark; Großwojwode der Woiwodschaft Serbien etc., etc. ERZÄHLERIN:Heute gibt es in Europa gar keinen Kaiser mehr. Doch ist zusammen mit der Kaiserwürde auch die römische Reichsidee erloschen? Ja und nein. Nach der Regentschaft selbstgefälliger Potentaten sehnt sich niemand mehr zurück. MUSIK Aber wenn man die Vorstellung akzeptiert, dass die EU lediglich einen Paradigmenwechsel vollzogen hat, indem sie das Gottesgnadentum eines Einzelnen durch einen freiheitlich-demokratischen Grundwertekatalog ersetzt, kann die Europäische Union durchaus als zeitgemäße Fortsetzung des römischen Traums gelten. Denn auch sie umfasst Gebiete mit vielen Völkern, in denen Wohlstand, Frieden und Recht herrschen. MUSIK ERZÄHLERIN:Folglich ist es vielleicht doch mehr als nur reiner Zufall, dass die Gründungsverträge der Staatengemeinschaft in Rom geschlossen wurden - jener Stadt, in die schon seit über 2000 Jahren alle Wege führen.
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Jun 20, 2025 • 25min

DAS ALTE ROM - Agrippina - Mutter, Monster, Mörderin?

Sie ist die Frau mit dem vielleicht schlechtesten Leumund in der gesamten römischen Geschichte: Agrippina, Schwester, Ehefrau und Mutter berüchtigter römischer Kaiser wie Caligula und Nero. Weil sie zielgerichtet selbst nach Macht strebte, wurde sie von den Zeitgenossen als Monster dargestellt. Von Imogen Rhia Herrad (BR 2019)Credits Autorin: Imogen Rhia Herrad Regie: Martin Trauner Es sprachen: Beate Himmelstoß, Stefan Merki, Johannes Hitzelberger Technik: Regine Elbers Redaktion: Thomas Morawetz Im Interview: Prof. Werner Eck  Besonderer Linktipp der Redaktion: BR (2025): Ein Zimmer für uns allein   Im Podcast "Ein Zimmer für uns allein" mit Host Paula Lochte treffen zwei Frauen aus verschiedenen Generationen aufeinander und sprechen über ein Thema, das sie verbindet. Zum Beispiel über Schönheitsideale, sexuelle Aufklärung, Finanzen, Care-Arbeit. Was waren ihre Struggles damals und heute? Was hat sich verändert, oder vielleicht sogar verbessert? ZUM PODCAST Linktipps WDR (2023): Agrippina die Ältere: vom Volk geliebt, vom Kaiser verbannt Sie gilt als Staatsfeindin: Die römische Adelige Agrippina, Mutter des späteren Kaisers Caligula, wird auf die Insel Ventotene verbannt. Dort stirbt sie am 18.10.33. Nach dem Tod ihres Mannes, dem Feldherrn Germanicus, wird Agrippina die Ältere beschuldigt, an einer Verschwörung beteiligt zu sein. Sie wird auf die Insel Pandateria verbannt, die heute Ventotene heißt. Dort verhungert Agrippina. Bis heute ist ungeklärt, ob sie die Nahrung verweigert hat oder ob sie ihr verwehrt worden ist. JETZT ANHÖREN BR2 Tatort Geschichte (2023): Die „Giftmöderin“ Agrippina und der berühmteste Muttermord der Antike   Im Römischen Reich herrscht 59 n. Chr. ein Mann, der bis heute als Sinnbild römischer Gewalt und Dekadenz gilt: Kaiser Nero. Auf den Thron hat ihn seine Mutter Agrippina verholfen, die weithin als Giftmörderin bekannt ist. Von der harmonischen Mutter-Sohn-Beziehung ist in diesem Jahr allerdings nicht mehr viel zu sehen. Nero plant das, was in der Antike als schändlichste Tat überhaupt gilt, den Muttermord. Zusammen mit unserem Gast Prof. Dr. Martin Zimmermann beleuchten wir die dunkle Seite der Antike. JETZT ANHÖREN WDR (2018): Nero, römischer Kaiser (Todestag 09.06.0068)   Er war Künstler. Lieber noch als er Kaiser war. Und in beiden Jobs begabt. Begabter jedenfalls, als er uns im kollektiven Gedächtnis geblieben ist seit Peter Ustinovs schauerlich-brillanter Verkörperung im Film "Quo Vadis": Nero Claudius Caesar Augustus Germanicus, Herrscher über ein Weltreich. Das Volk verehrt ihn als Showtalent mit politischer Fortune, bis er im sechsten Amtsjahr versagt. JETZT ANHÖREN Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte: DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend. Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.  Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de. Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Alles Geschichte JETZT ENTDECKEN Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:MUSIKERZÄHLERINEs ist das Jahr 15 nach Christus. In Rom hat vor einem Jahr Kaiser Tiberius die Nachfolge seines Adoptivvaters Augustus angetreten. Im fernen Germanien stehen acht Legionen, die Roms Westgrenze entlang des Rheins bewachen. Ihr Oberkommandierender ist der Adoptivsohn des Kaisers, Germanicus Caesar. ERZÄHLERUngewöhnlich für einen römischen Feldherrn ist, dass Germanicus seine Familie mit nach Germanien gebracht hat – den kleinen Sohn und seine schwangere Ehefrau. Im sechsten November bringt sie eine Tochter zur Welt, die wie ihre Mutter den Namen Agrippina bekommt. Bereits ein Jahr später kehrt die Familie nach Rom zurück: ins Zentrum der Macht. ERZÄHLERINWerner Eck, Professor Emeritus für Alte Geschichte an der Universität Köln, hat sich ausführlich mit Agrippina beschäftigt. Ohne ihren familiären Hintergrund, sagt er, ist Agrippina nicht zu verstehen. In ihr liefen nämlich die beiden maßgeblichen Familien der frühen Kaiserzeit zusammen. ZUSPIELUNG 1 (Werner Eck)Und daraus resultierte dann ihre Stellung. Dann kam natürlich hinzu, dass sie im Jahr Fünfzehn nach Christus geboren wurde hier in Köln, als ihr Vater Oberkommandierender des römischen Heeres am Rhein war. Der Ruhm von Germanicus ist immer noch vorhanden gewesen, und darauf hat sie sich ja auch in der Zukunft immer wieder bezogen. MUSIK ERZÄHLERINAls Agrippina fünf Jahre alt ist, stirbt ihr Vater. Germanicus war ein römischer Superstar. Bei den Soldaten und beim Volk war er beliebt wie sonst niemand. Nun trauert ganz Rom mit der Witwe und ihren Kindern. Der römische Autor Sueton berichtet: ZITATOR Durch kein Trostzusprechen, durch keine Edikte konnte der Trauer des Volkes Einhalt geboten werden. Man schleuderte Steine gegen die Tempel und stürzte Altäre um. ERZÄHLERINAgrippinas Mutter ist überzeugt, dass Kaiser Tiberius seinen designierten Nachfolger vergiftet hat. Der strahlende Kriegsheld Germanicus war wesentlich populärer als der alte, übellaunige und misstrauische Kaiser. Agrippinas Mutter glaubt, dass Tiberius einen Umsturzversuch des Germanicus befürchtet und den vermeintlichen Rivalen deswegen vorsichtshalber aus dem Weg geräumt hat. Jetzt spinnt sie selber Intrigen; vielleicht plant sie nun sogar, den Kaiser zu stürzen. Jedenfalls verbannt Tiberius sie aus Rom auf eine einsame Insel und lässt sie schließlich umbringen. ERZÄHLERAls Agrippina etwa vierzehn ist, wird sie verheiratet. Im siebten Jahr ihrer Ehe bringt sie ihr einziges Kind zur Welt. Im gleichen Jahr stirbt Tiberius, ohne einen Erben zu hinterlassen. Sein Nachfolger wird sein nächster Angehöriger – ausgerechnet ein Sohn des Germanicus: Agrippinas älterer Bruder Caligula. ERZÄHLERINDie Geschwister haben sich seit vielen Jahren nicht mehr gesehen. Die Verbannung und der Tod ihrer Mutter, das Hofleben voller Argwohn und Intrigen und die lange Trennung haben in allen tiefe Spuren hinterlassen. Der plötzliche Umschwung muss ihnen wie eine Erlösung vorkommen. ERZÄHLERCaligula ist mit fünfundzwanzig der älteste des Quartetts. Agrippina ist zweiundzwanzig, Drusilla einundzwanzig und Livilla zwanzig Jahre alt. Eine Zeitlang werden die drei jungen Frauen fast so etwas wie Mitkaiserinnen, wie der antike Geschichtsschreiber Cassius Dio verwundert erzählt. ZITATOR Gegen seine Schwestern erwies er sich anfangs außerordentlich zärtlich und ehrerbietig. Er erteilte ihnen die Erlaubnis, bei den Schauspielen den Ehrensitz mit ihm zu teilen. Auch ließ er sie in die Gelübde, welche Staatsbeamten und Oberpriester alljährlich für ihn und den Staat taten, mit einschließen, und die Huldigung, die man ihm leistete, ließ er zugleich auch ihnen leisten. ERZÄHLERINWenn also die Konsuln im Senat einen Eid auf den römischen Staat schwören, dann schwören sie nun nicht nur auf Staat und Kaiser, sondern auf Staat, Kaiser und die drei kaiserlichen Schwestern. Das Bild der jungen Frauen wird auf offizielle Münzen geprägt. Caligula präsentiert sich im Quartett. So etwas hat es noch nicht gegeben. MUSIK ERZÄHLERUnd dann geht es alles jäh in Scherben. Etwa zwei Jahre nach seiner Thronbesteigung stirbt Caligulas Lieblingsschwester Drusilla. Der junge Kaiser kann den Verlust nicht verwinden. Plötzlich sieht auch er, so wie einst sein Vorgänger Tiberius, an jeder Ecke Feinde und Verschwörer. Er beschuldigt seine beiden überlebenden Schwestern, gemeinsam mit einem Senator ein Komplott gegen ihn gesponnen zu haben. Der Senator wird hingerichtet, Agrippina und Livilla in die Verbannung geschickt. ERZÄHLERINBasieren die Vorwürfe auf Fakten? Auf Gerüchten? Hat es die Verschwörung überhaupt gegeben? Gibt es vielleicht nicht einmal Gerüchte, sondern nur einen jähen Stimmungsumschwung des labilen Caligula, der in seinem jungen Leben schon zu viel Verlust und Verrat erlebt hat? ERZÄHLEROder haben die Schwestern, die ehrgeizig, klug und in der politischen Welt Roms gut vernetzt sind, tatsächlich gegen ihren Bruder intrigiert? Auszuschließen ist es nicht. In späteren Jahren wird Livilla erneut als Verschwörerin ins Exil geschickt, wo sie schließlich stirbt. Hat vielleicht Agrippina damals schon geplant, ihren eigenen kleinen Sohn als Anwärter auf den Caesarenthron in Position zu bringen? MUSIK ERZÄHLERINSie wird auf der Mittelmeerinsel Pontia festgehalten. Es ist dieselbe Insel, auf der ein Jahrzehnt zuvor ihre Mutter den Tod gefunden hat. Über ein Jahr verbringt Agrippina dort. Sie muss sich gefragt haben, ob sie das Eiland je wieder verlassen wird. ERZÄHLERUnd wieder wendet sich das Glück. Caligula fällt tatsächlich einer Verschwörung zum Opfer. Sein Nachfolger wird sein – und natürlich auch Agrippinas – ältlicher Onkel Claudius, der letzte lebende männliche Vertreter der Dynastie. Er hebt die Verbannung auf und gibt Agrippina ihr eingezogenes Vermögen zurück. Einige Zeit später stirbt Agrippinas erster Ehemann. ZUSPIELUNG 2 (Werner Eck)Und zwar in dem Augenblick war er tot, als Claudius, der damalige Kaiser, als er seine Ehefrau Messalina hat hinrichten lassen – man könnte auch sagen, ermorden lassen. ERZÄHLERINMessalina war in ein etwas undurchsichtiges Komplott verstrickt. Davon gibt es viele am kaiserlichen Hof. Wahrscheinlich wollte sie Claudius absetzen und stattdessen ihren jugendlichen Liebhaber zum Kaiser machen. Claudius hat das erfahren und seine Gattin umgehend beseitigen lassen. ZUSPIELUNG 3 (Werner Eck)Und damit war Claudius frei als Ehemann. Und da hat nun Agrippina alles drangesetzt, um ihn zu heiraten. Da war sie sozusagen in der Top-Position. ERZÄHLERNicht alle Römer sehen das mit Freude. Römische Frauen haben in der politischen Öffentlichkeit nichts zu suchen. Aber Agrippina hat keine Lust, im Hintergrund zu bleiben. Sie lässt sich gemeinsam mit Claudius sehen. Sie macht ihren Einfluss geltend. Die konservativen Senatoren sind empört. Noch über ein Jahrhundert später wird diese Empörung in der Darstellung des Geschichtsschreibers Cassius Dio deutlich – auch er ist schließlich ein Senator. ZITATOR  Sobald Agrippina Kaiserin war, wusste sie alles gleich so einzurichten, dass sie sich Claudius ganz zu eigen machte. Niemand wagte, bei ihr Anstoß zu erregen, da sie mehr Macht als selbst Claudius besaß und öffentliche Audienzen veranstaltete, was in den Staatsprotokollen angezeigt wurde. ERZÄHLERINDas alles wirkt so, als habe Rom nun nicht einen Herrscher, sondern zwei: Kaiser und Kaiserin. Vor dieser Annahme allerdings muss man sich hüten, warnt Werner Eck. ZUSPIELUNG 4 (Werner Eck)Sie war nicht Kaiserin, obwohl sie meistens ja so betitelt wird. Die Stellung einer Kaiserin, die gab es in dem Sinn nicht, dass damit ja absolut Null, irgendwelche Recht verbunden waren. Sie konnte Einfluss ausüben, und das hat sie weidlich getan, aber sie hatte dazu keinerlei primäres Recht. Wenn sie Einfluss ausüben wollte, dann ging das eben über den Ehemann. Oder über andere Personen, die dann entsprechend handelten, weil sie eben in der Top-Position war.  MUSIK ERZÄHLERIn der römischen Gesellschaft wird sehr viel Geschäftliches und Politisches über Beziehungen abgewickelt. Agrippina gehört dem vornehmsten Adel an. Ihr Urgroßvater war der erste Kaiser Augustus, ihr Vater der noch immer berühmte Held Germanicus. Sie ist reich, gut vernetzt, und sie ist ehrgeizig. Sie will ganz oben sein. Sie will der Welt ihren Stempel aufdrücken. Der römische Geschichtsschreiber Tacitus berichtet. Die Übersetzung aus dem Lateinischen stammt von Andreas Schäfer und ist im Magnus-Verlag erschienen: ZITATOR Um auch verbündeten Völkerschaften ihre Macht zu zeigen, setzte Agrippina es durch, dass in der Stadt der Ubier, in welcher sie geboren war, eine Kolonie gegründet wurde, die nach ihr den Namen erhielt. ERZÄHLERINDie Ubier sind ein germanischer Stamm. Wahrscheinlich will aber Agrippina nicht so sehr den Germanen einen Machtbeweis liefern, sondern vielmehr ihren Standesgenossen in Rom. Sie verwandelt die germanische Siedlung in eine römische Kolonie: nun steht mitten in Germanien ein Stück Rom, und aus Germanen sind, weil Agrippina es so will, Römer geworden. Und nicht nur das, erklärt Werner Eck.  ZUSPIELUNG 5 (Werner Eck)Sie ist die einzige auf ganz endlos lange Zeit, die dann es vermocht hat, dass eine römische Kolonie dann auch ihren Namen getragen hat. Denn Köln hieß ja damals Colonia Claudia Ara Agrippinensium. Das ist der sozusagen entscheidende Punkt: die Bewohner dieser Stadt nennen sich nun nach Agrippina.  ERZÄHLERAgrippina hat sich verewigt. Damit hat sie sogar ihren berühmten Vater, den Eroberer und Feldherrn überflügelt. Er trug den Ehrennamen Germanicus, weil er die Germanen im Krieg besiegt hat. Jetzt tragen Germanen Agrippinas Namen. Sie hat die Landkarte verändert. ERZÄHLERINDas ist erst der Anfang. Agrippinas Ehrgeiz erstreckt sich auch auf ihren Sohn, der inzwischen dreizehn Jahre alt ist: ein Teenager. Nero. Nach seiner Geburt, so berichtet Tacitus, hat Agrippina Wahrsager über sein Schicksal befragt. ZITATOR Sie gaben ihr zur Antwort, er werde dereinst herrschen und seine Mutter töten. Darauf sprach sie: Mag er mich auch töten, wenn er nur herrscht! ERZÄHLERDiese Anekdote ist sicherlich eine spätere Erfindung. Aber ein bisschen fängt sie doch Agrippinas große und zielstrebige Ambition ein: Sie will Macht für sich und ihren Sohn, egal um welchen Preis. Diese Ambition ist ihr gewissermaßen in die Wiege gelegt, erklärt der Historiker Werner Eck. ZUSPIELUNG 6 (Werner Eck)Aus ihrer Abstammung her hat sie nun ein exzeptionelles Anspruchsdenken gehabt. Dass sie, weil sie eben auf Augustus zurückgeht, dass sie ein originäres Recht habe, am politischen Prozess teilzunehmen.  ERZÄHLERINAugustus ist nach seinem Tod unter die Götter versetzt worden. Man hat ihm mitten auf dem Forum in Rom einen Tempel errichtet. Er hat eigene Priester, die für seinen Kult zuständig sind. Von diesem Gott stammt Agrippina ab. Jedes Mal, wenn sie in ihrer Sänfte über das Forum getragen wird und den Tempel sieht, wird sie daran erinnert. Sie ist felsenfest überzeugt, dass ihr und ihrem Sohn die höchste Macht im Staate zusteht. ERZÄHLERAuch der junge Nero ist ja ein Nachfahre des vergöttlichten Augustus. Claudius stammt dagegen aus einer nicht ganz so vornehmen Linie der Dynastie. Vielleicht ist auch das ein Grund dafür, dass Agrippina bald nach ihrer Hochzeit beginnt, Nero als Anwärter auf den Thron ins Gespräch zu bringen. ERZÄHLERINClaudius hat einen eigenen Sohn, der drei Jahre jünger als Nero ist. Dennoch überzeugt Agrippina den Kaiser, Nero zu adoptieren. Damit steht ihr Sohn nun an erster Stelle in der Thronfolge. ERZÄHLERDie antiken Geschichtsschreiber sind sich einig: Agrippina hat den ältlichen Claudius ausgetrickst. Und der kommt ihr allmählich auf die Spur. Sueton erzählt: ZITATOR Gegen das Ende seines Lebens hatte er bereits manche nicht undeutlichen Zeichen gegeben, dass er sowohl über seine Verheiratung mit Agrippina als auch über die Adoption des Nero Reue empfand. In der Tat verfasste er nicht lange darauf ein Testament, indes kam ihm, ehe er weitergehen konnte, Agrippina zuvor... ERZÄHLERINNach fünfzehn Ehejahren, so stellen es die antiken Autoren dar, sieht Claudius endlich klar. Er will das Kuckucksei Nero aus dem Nest schubsen und seinen eigenen Sohn wieder zum Thronfolger machen. Daraufhin schreitet Agrippina zur Tat. Am 13. Oktober des Jahres 54 erkrankt Claudius nach einem Gelage. Er leidet üble Magenschmerzen und stirbt schließlich in den frühen Morgenstunden. ZITATORDass er durch Gift ermordet wurde, steht allgemein fest, nur wo und von wem – darüber weichen die Angaben ab. ERZÄHLERSo wie hier Sueton sind sich auch die anderen Geschichtsschreiber durchaus nicht sicher, wann und wo und wie Claudius das Gift gereicht wurde. Offensichtlich kursieren in Rom zahlreiche einander widersprechende Gerüchte. Niemand weiß etwas. Trotzdem – vielleicht auch gerade deshalb – sind alle überzeugt: hinter Claudius‘ Tod steckt Agrippina, die ihrem Sohn den Weg zur Macht sichern will.  ERZÄHLERINStimmt das? Oder ist doch der magenleidende, weit über sechzig-Jährige Claudius, der immer gerne reichlich isst und trinkt, doch eines natürlichen Todes gestorben? Auch heute noch sind sich Historiker nicht einig, obwohl die Wahrscheinlichkeit eher gegen einen Giftmord spricht. ERZÄHLERNun ist der Kaiser tot, und Rom hat einen neuen Kaiser. Sueton erzählt: ZITATOR Nero war siebzehn Jahre alt, als er aus dem Palast trat und auf der Freitreppe des Palastes als Imperator begrüßt wurde. Seiner Mutter überließ er die ganze Leitung der Staats- und häuslichen Angelegenheiten. Auch gab er am ersten Tag seiner Regierung der Prätorianergarde als Parole: „Die beste Mutter“. ERZÄHLERDie folgenden fünf Jahre gelten den antiken Zeitgenossen als „Goldenes Jahrfünft“, als gute und wohltuende Zeit. Sie sind vermutlich auch die glücklichsten im Leben Agrippinas. Bis der jugendliche Nero alt genug ist, selber das Ruder zu übernehmen, leitet sie gemeinsam mit dem Philosophen Seneca – Neros Erzieher – und dem Kommandanten der Prätorianergarde die Regierung. MUSIK ERZÄHLERINAgrippina hat ihr Ziel erreicht: Sie ist an der Macht. So groß ist ihr Einfluss, dass er sogar ganz offiziell sichtbar wird. Der Historiker Werner Eck: ZUSPIELUNG 7 (Werner Eck)Es gibt Goldmünzen, die offensichtlich unmittelbar nach dem Tod von Claudius und der Übernahme der Herrschaft durch Nero geprägt wurden. Und auf diesen Münzen erscheint nicht nur das Portrait von Agrippina. Das Entscheidende war, dass dort auf diesen Münzen der Name Agrippinas im Nominativ erschien. Das heißt, sie ist als handelnde Person damit benannt. Und der Name ihres Sohnes, der auf der Rückseite stand – ihr eigener stand auf der Vorderseite – und der Name des Sohnes erschien im Dativ. Das heißt: sie tut etwas für Nero. MUSIK ERZÄHLEREine Statuengruppe zeigt Agrippina, wie sie Nero einen Kranz aufsetzt. Man könnte das so verstehen: Agrippina krönt Nero. Das ist noch nie dagewesen. Und es wird Jahrhunderte dauern, ehe im Römischen Reich wieder eine Frau so sichtbar über eine solche Machtfülle verfügt. ERZÄHLERINImmer weiter testet Agrippina die Grenzen des Machbaren aus. Sie nimmt an einer Versammlung des Senats teil – allerdings im Hintergrund, hinter einem Vorhang verborgen. Das mag uns nicht sonderlich gewagt erscheinen, doch der Historiker Tacitus – auch er ein Senator – ist hellauf empört, als er diese Begebenheit berichtet. Frauen haben im Senat einfach nichts zu suchen. Und dann kommt es noch schlimmer. ZITATOR Ja sogar, als Gesandte der Armenier vor Nero kamen, war Agrippina schon im Begriff, zum Thronsitz des Kaisers emporzusteigen und zugleich mit ihm den Vorsitz zu führen, wenn nicht Seneca, während die übrigen vor Schrecken erstarrten, Nero aufgefordert hätte, der herankommenden Mutter entgegenzueilen. So wurde unter dem Schein kindlicher Ehrfurcht einem Skandal begegnet. ERZÄHLERErschreckend und skandalös wäre es, schreibt Tacitus, wenn die Mutter des jugendlichen Kaisers gemeinsam mit ihm eine ausländische Gesandtschaft empfinge. Damit würde die Tatsache offiziell sichtbar, dass sie seine faktische Mitregentin ist. Respekt vor der Tradition und vor der Form ist ungeheuer wichtig in Rom. Darüber hat Agrippina sich trotz ihrer großen politischen Klugheit hinweggesetzt. Das war ihr großer Fehler, sagt Werner Eck. ZUSPIELUNG 8 (Werner Eck)Eine Frau hat an der Politik direkt nicht teilzunehmen. Und das hat Agrippina dann für eine kurze Zeit ostentativ missachtet, diese selbstverständliche Struktur römischer Politik. Und das ist dann – hat zu ihrem Ende geführt.  ERZÄHLERINEin letztes Mal in Agrippinas wechselhaftem Leben wendet sich das Glück. Nach fünf Jahren gemeinsamer Regierung beschließt der nun zweiundzwanzig-Jährige Nero, dass er alleine regieren will. Tacitus schreibt lapidar: ZITATOR Zuletzt fand er sie mehr als lästig, wo man sie auch immer sich aufhalten ließ, und er beschloss, sie zu töten. ERZÄHLERDie antiken Autoren berichten übereinstimmend von mehreren Mordkomplotten, die scheitern. Vielleicht ist das symbolisch gemeint und soll darstellen, wie mächtig, wie lebendig, wie beinahe übermenschlich Agrippina ihren Zeitgenossen erscheint. Vielleicht illustriert es auch einfach nur die Tatsache, dass Nero große Schwierigkeiten hat, willige Mörder zu finden. ERZÄHLERINAgrippina ist bekannt, einflussreich und beim Volk und bei den Soldaten beliebt. Die Prätorianer weigern sich, ihr ein Haar zu krümmen. Erst bei dem Kommandanten der römischen Flotte wird Nero fündig. Dieser täuscht ein Schiffsunglück vor, um Agrippina zu ertränken. Sie entkommt, schwimmt an Land und verbarrikadiert sich in ihrem Landsitz. Tacitus berichtet davon so packend, dass man glauben möchte, er habe die Details von einem Augenzeugen erfahren. ZITATOR Im Schlafgemach war schwaches Licht und eine einzige Sklavin bei Agrippina, die banger und banger wurde. Jetzt war alles still. Plötzlich ließ sich Lärm vernehmen. Als hierauf die Sklavin das Zimmer verließ, rief sie ihr nach: „Auch du lässt mich allein!“ Die Mörder stellten sich um das Bett, und zuerst schlug der Schiffshauptmann die Kaiserin mit einem Knüttel auf den Kopf. Als dann der Centurio zum Todesstoß das Schwert zog, rief sie, ihren Leib hinhaltend: „In den Mutterleib stoße!“ und erlag unter vielen Wunden. MUSIK ERZÄHLERIn der Darstellung des Tacitus wird Agrippina in ihrer Todesstunde zur römischen Heldin. Sie stirbt allein und tapfer, hingemeuchelt von vielen – so wie Julius Caesar. Das ist bemerkenswert, denn Tacitus hat für wenige Angehörige der kaiserlichen Dynastie ein gutes Wort übrig. Schnell spricht sich herum, wer hinter der Tat steckt. Nero wird bis zu seinem eigenen Tod knapp zehn Jahre später das Odium des Muttermörders nicht mehr abschütteln können. ERZÄHLERINDennoch bleiben Agrippinas glühender Ehrgeiz, ihr Streben nach Macht und Herrschaft in römischen Augen so ungeheuerlich, dass sie über Jahrhunderte nur als Giftmörderin und Monster dargestellt wird. Erst heute, in einer Zeit, die mächtige Frauen auch als positiv oder einfach als normal betrachtet, können wir zurückblicken und Agrippina als hochbegabte Politikerin sehen, die sehr viel erreicht hat – und am Ende durch ihren Ehrgeiz und die starren Gesetze ihrer Welt gescheitert ist.
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Jun 20, 2025 • 24min

DAS ALTE ROM - Caesar!

Julius Cäsar, ein Gigant der Geschichte, wird auf dramatische Weise beleuchtet. Der verhängnisvolle Tag seines Mordes und die politische Intrige seiner Verschwörer stehen im Fokus. Die brutale Eroberung Galliens zeigt die verheerenden Auswirkungen seiner Ambitionen. Zudem wird Cäsars Leidenschaft für Kleopatra und der Bürgerkrieg gegen Pompejus thematisiert. Schließlich wird die Theorie erkundet, dass seine Selbstinszenierung zu seiner Verwundbarkeit führte, was den Weg für Augustus ebnete.
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Jun 6, 2025 • 24min

STARS DES ABSOLUTISMUS - Maria Theresia, die erstaunliche

Maria Theresia schaffte die Folter ab, führte die allgemeine Schulpflicht ein, und reformierte die Verwaltung. Das hätte der 23-Jährigen bei "Amtsantritt" als Erzherzogin von Österreich und Königin von Ungarn und Böhmen niemand zugetraut. Bis heute gehört sie zu den erstaunlichsten Gestalten der Ära des Absolutismus. Von Mira Alexandra Schnoor ( BR 2011/2020)Credits Autorin: Mira Alexandra Schnoor Regie: Martin Trauner Es sprachen: Axel Wostry, Aglaia Szyszkowitz, Heiko Ruprecht, Heinz Peter  Technik: Angelika Vetter-WagnerRedaktion: Brigitte Reimer Im Interview: Prof. Dr. Karl Vocelka (war bis 2012 Leiter des Instituts für Geschichte der Universität Wien, inzwischen ist er außerordentlicher Professor für Österreichische Geschichte der Universität Wien im Ruhestand) KORREKTUR: In der aktuellen Version wurde ein Fehler korrigiert: Statt "Am 13. Mai 1717 wird dem österreichischen Kaiser Karl VI. ..." heißt es nun: "Am 13. Mai 1717 wird Kaiser Karl VI. ..." Das eigentliche "Österreichische Kaisertum", die Donaumonarchie, gab es erst ab 1804.Besonderer Linktipp der Redaktion: COSMO: Lost Sheroes Der mächtigste Pirat aller Zeiten? Eine Frau. Der erste Autor der Menschheit? Eine Frau. In diesem Podcast stellt euch die Schauspielerin Milena Straube immer eine Frau vor, die Großes geleistet hat, die Vorkämpferin, Pionierin, Role Model war. Ihr hört die spannenden Lebensgeschichten unbeachteter Heldinnen. Aus allen Zeiten, aus allen Ländern, aus allen Schichten ZUM PODCASTLinktipps WDR (2020): Franz I. – Ehemann von Maria Theresia Maria Theresia von Österreich war 23, als sie in Wien an die Macht kam. Ihr Vater hatte ihr bewusst einen Mann ausgesucht, der nicht besonders mächtig war: Franz, Herzog von Lothringen. Was im Barock selten vorkam: das Brautpaar kannte sich bereits zuvor und beide liebten einander ein Leben lang. JETZT ANHÖREN Deutschlandfunk Nova (2019): Warum Maria Theresia zum Mann erklärt werden musste   Frauen an der Macht sind heute keine Seltenheit mehr. Auch wenn sich viele darüber beklagen, dass dies bei weitem noch nicht oft genug der Fall sei. Die Habsburgerin Maria Theresia war die erste Frau auf dem Thron, die sich in Österreich gegen heftige Widerstände behaupten musste. Die Historikerin Barbara Stollberg-Rilinger distanziert sich in ihrem Vortrag dennoch von Feministinnen, die Maria Theresia noch heute als Ideal der Weiblichkeit loben. JETZT ANHÖRENUnd hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN. Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Alles GeschichteJETZT ENTDECKENLesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:Titelsprecher:Prolog. MUSIK ErzählerAm 13. Mai 1717 wird dem österreichischen Kaiser Karl VI. und seiner Gemahlin Elisabeth Christine von Braunschweig-Wolfenbüttel eine Tochter geboren, Maria Theresia. 'Nur' ein Mädchen - die Eltern wünschen sich einen männlichen Thronfolger, doch auf Maria Theresia folgen zwei weitere Töchter. Bereits vier Jahre zuvor hatte Kaiser Karl VI. die Thronnachfolge neu geregelt. Das salische Recht, wonach ausschließlich ein männlicher Nachkomme den Thron erben konnte, wurde außer Kraft gesetzt. Die neue Vereinbarung, die Pragmatische Sanktion, bestimmte, dass im Fall des Aussterbens der männlichen Linie der Habsburger die Tochter des letzten Throninhabers zur Herrscherin werden solle und nicht etwa angeheiratete männliche Verwandte. So vorausschauend der Kaiser in dieser Hinsicht handelte, so nachlässig war er bei der Erziehung. Die älteste Tochter erhielt keine Ausbildung, die sie darauf vorbereitet hätte, einmal Regentin einer Großmacht zu werden.Die junge Prinzessin tanzte gern, machte Musik und führte ein geborgenes Leben in ihrer Familie. Sie war übrigens recht hübsch, wie der preußische Gesandte Graf Podewils feststellte: Zitator„Ihr Gesichtsausdruck ist offen und heiter, ihre Anrede freundlich und anmutig. Man kann nicht leugnen, daß sie eine schöne Person ist.“ MUSIK Erzähler1736 heiratete Maria Theresia den neun Jahre älteren Herzog Franz Stephan von Lothringen, den sie schon seit ihrer Kindheit kannte. Es war, äußerst ungewöhnlich in den Kreisen des Hochadels, eine Liebesbeziehung. Bis zum Tod Franz Stephans im Jahr 1765 waren die beiden 29 Jahre verheiratet oder, wie Maria Theresia berechnete: MARIA THERESIA„Mein glücklicher Ehestand währte Jahr 29, Monat 335, Wochen 1.540, Tage 10.781, Stunden 258.744.“ MUSIK TitelsprecherEine Frau auf Habsburgs Thron Erzähler1740 starb Kaiser Karl VI., Maria Theresia wurde zur Herrscherin über viele, unterschiedliche Länder. MARIA THERESIA„Königin zu Ungarn, Böhmen, Dalmatien, Kroatien, Slowenien. Erzherzogin zu Österreich, Herzogin zu Steyer, Kärnten und Krain, Schlesien, Brabant, Limburg, Luxemburg, Mailand, Mantua, Parma, Piacenza. Markgräfin zu Mähren. Fürstin zu Siebenbürgen. Gefürstete Gräfin zu Tirol und Flandern. Markgräfin des heiligen Römischen Reiches zu Burgau.“ Erzähler Dass sie den Thron tatsächlich besteigen konnte, schien zunächst alles andere als selbstverständlich, Maria Theresia musste damit rechnen, auf viel Widerstand zu stoßen, sowohl bei den Regenten des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, als auch bei den Untertanen ihrer vielen Länder. Einigermaßen verblüfft konstatierte der venezianische Gesandte in Wien, dass die neue Herrscherin schnell allgemein anerkannt wurde. Zitator"Aus den Provinzen kommen täglich Berichte von der geleisteten Huldigung, alles vollzieht sich in bewunderungswürdiger und gleichsam unerwarteter Harmonie." ErzählerDas Erbe, das sie antrat, war kein glanzvolles. Sowohl die Armee als auch Wirtschaft und Verwaltung ihrer Länder waren marode. MARIA THERESIA„Niemand glaube (ich) werde widersprechen, dass ein gekröntes Haupt in schwerer- und misslicheren Umständen seine Regierung als ich angetreten habe.“ ErzählerDoch die erst 23 Jahre junge Frau ließ sich nicht entmutigen. Sie machte sich sofort daran, eine der prägenden europäischen Herrscher des 18. Jahrhunderts zu werden und ihr Land durch Reformen voranzubringen. Der Historiker Karl Vocelka, Leiter des Instituts für Geschichte der Universität Wien: 1 O-Ton Vocelka1„Was sie charakterisiert hat ist, dass sie als Frau in eine Männerrolle schlüpfen musste, zur Herrschaft gelangt ist, ohne große Vorbereitung. Ihr Vater hat, obwohl er wusste, dass sie seine Nachfolgerin wird (…) sie dennoch nicht vorbereitet auf diesen Job, auf diese Funktion…“ MUSIK MARIA THERESIA„(Ich habe) die zu Beherrschung so weitschichtiger und verteilter Länder erforderliche Erfahr- und Kenntnüs um so weniger besitzen können, als meinem Herrn Vattern niemals gefällig war, mich zur Erledigung weder der auswärtigen noch inneren Geschäfte beizuziehen noch zu informieren.“ 2 O-Ton Vocelka „… und sie hat sich eigentlich mit Hilfe vieler Berater natürlich sehr gut geschlagen auf diesem Gebiet.“ MARIA THERESIA„Das bisschen Ruhm, das ich mir in der Welt erworben habe, schulde ich der guten Wahl meiner Vertrauten. Ich habe das Glück gehabt, verdienstvolle und rechtschaffene Leute zu finden.“ ErzählerBei aller Bescheidenheit: Maria Theresia war zum Herrschen geboren. Noch einmal der venezianische Gesandte: Zitator„Sie ist in der Tat nach allgemeinem Urteil so, dass man niemand anderen als sie zur Bewahrung des Erbes des Hauses Habsburg auswählen würde, wenn man die Möglichkeit hätte, frei die Erbin in der ganzen Welt zu suchen.“ MUSIK TitelsprecherKindersegen oder: MARIA THERESIA„Man kann nicht genug davon haben, in diesem Punkt bin ich unersättlich.“ ErzählerBereits ein Jahr nach der Hochzeit brachte Maria Theresia ihr erstes Kind zur Welt, die Tochter Maria Elisabeth, die im Alter von drei Jahren starb. Eineinhalb Jahre später, im Oktober 1738, kam Maria Anna, und im Januar 1740 folgte eine weitere Tochter, die aber nur ein Jahr alt wurde. Am 13. März 1741 dann endlich der ersehnte Thronfolger, Joseph. Zwischen 1737 und 1756 gebar Maria Theresia 16 Kinder, das macht in 19 Jahren 16 Schwangerschaften und Geburten. Sechs ihrer Kinder starben im Kindes- oder Teenager-Alter. Die übrigen zehn überlebten ihre Mutter. Die physische Leistung, die Maria Theresia erbrachte, ist kaum vorstellbar. Neben den zahlreichen Schwangerschaften und Geburten musste sie schließlich einen kriegsgeschüttelten Vielvölkerstaat regieren. MUSIK TitelsprecherArbeiten oder: MARIA THERESIA „Wir leben in dieser Welt, um unseren Mitmenschen Gutes zu tun, denn wir sind nicht für uns selbst da oder gar nur, um uns zu amüsieren.“ ErzählerMaria Theresias Einstellung zur Arbeit war vorbildlich. Sie stand um halb sechs Uhr in der Früh auf und ging zur Messe. Um halb acht Uhr begann sie mit der Arbeit: sie las Akten oder ließ sie sich vorlesen, und empfing ihre Sekretäre und Minister zum Referat. Das dauerte bis zwölf Uhr mittags. Am Nachmittag dann: MARIA THERESIA „4 uhr bis 6 uhr expedirn, schreiben, audienzen.“ ErzählerDer preußische Gesandte Podewils berichtete an seinen König: Zitator„Sie beschäftigt sich viel mit ihren Staatsangelegenheiten und bemüht sich, genaue Kenntnis von ihnen zu bekommen. Sie liest die meisten Berichte ihrer Gesandten, prüft die Entwürfe der Schriftstücke, unterhält sich oft mit ihren Ministern und wohnt den Konferenzen bei, die über Staatsgeschäfte von irgendwelcher Bedeutung abgehalten werden.“ MUSIK  TitelsprecherMilitärisches oder: MARIA THERESIA„Was für ein abscheuliches Geschäft ist doch der Krieg; er ist gegen die Menschlichkeit und gegen das Glück.“ ErzählerDie junge Königin saß kaum auf ihrem Thron, da begann Friedrich von Preußen einen Krieg. Der König, nur ein paar Monate vor Maria Theresia gekrönt, nutzte die Gunst der Stunde, denn die Habsburger Herrscherin stand ohne schlagkräftige Armee da - ihr Vater hatte es unterlassen, das Armeewesen zu reformieren. MARIA THERESIA„Die ihren Feinden so förchterlich ehedessen geweste kaiserliche Truppen, die für die erste in Europa gehalten wurden, verloren bei Freund- und Feinden den größten Teil ihres Ansehens.“ ErzählerFriedrich II. warf einen begehrlichen Blick auf das reiche Schlesien. Was ihn antrieb, aus dem Nichts einen Krieg zu beginnen, beschrieb er selbst so: Zitator„Beim Tod meines Vaters fand ich ganz Europa in Frieden. (Ich) war im Besitz schlagfertiger Truppen, eines gut gefüllten Staatsschatzes und von lebhaftem Temperament; das waren die Gründe, die mich zum Kriege mit Therese von Österreich, Königin von Böhmen und Ungarn, bewogen. Der Ehrgeiz, mein Vorteil, der Wunsch, mir einen Namen zu machen, gaben den Ausschlag und der Krieg ward beschlossen.“ ErzählerAlso wurden tausende Soldaten in Marsch gesetzt, ein verlustreicher Krieg begann, in dem es hauptsächlich um Eitelkeiten, Gier und Machtansprüche ging. Im Dezember 1740 fiel der preußische König in Schlesien ein – der österreichische Erbfolgekrieg hatte begonnen. Er dauerte insgesamt acht Jahre, sämtliche europäischen Mächte waren mehr oder weniger involviert, gekämpft wurde auf verschiedenen Schauplätzen in Europa, Bündnisse wurden geschlossen und sofort wieder gebrochen, wenn es der eigene Vorteil gebot. Aus seiner Position der Stärke heraus verlangte Friedrich II., dass man ihm das besetzte Schlesien offiziell überlasse. Als notorischer Frauenfeind dachte er anscheinend, die junge, unerfahrene Königin mit seinem rechtswidrigen Verhalten und der Stärke seiner Armee einschüchtern zu können. Doch Maria Theresia widersetzte sich und ließ ihrem Widersacher mitteilen: Maria Theresia „Die Königin hat nicht die Absicht, ihre Regierung mit der Zerstückelung ihrer Staaten zu beginnen. (…) Sie (kann) weder einer Gesamt- noch einer Teilabtretung Schlesiens zustimmen.“ ErzählerAuf Maria Theresias Seite standen England, als Erzfeind Frankreichs, Russland, und der unsichere Kantonist Sachsen, während sich Preußen mit Frankreich, Bayern und Spanien verbündete. Der österreichische Erbfolgekrieg ist ein verwirrendes Hin und Her, bei dem Maria Theresia nicht nur gegen Preußen und Frankreich, sondern auch gegen den bayerischen Kurfürsten Karl Albrecht kämpfen musste. Dieser hatte die Pragmatische Sanktion nicht anerkannt, und erhob Ansprüche auf einige Länder des Habsburger Reiches, da er mit einer Cousine Maria Theresias verheiratet war. Oberösterreich und Böhmen wollte er sich gemeinsam mit den Franzosen erkämpfen. Doch das misslang. Einen Erfolg konnte Karl Albrecht allerdings verbuchen: im Februar 1742 wurde er in Frankfurt zum deutschen Kaiser gekrönt. Als er drei Jahre später starb, änderte sich die Lage. Sein Sohn, Kurfürst Max III. Joseph schloss Frieden mit Maria Theresia und versprach, die Wahl ihres Mannes, Franz Stephan zum deutschen Kaiser zu unterstützen. Die Gefahr aus Bayern war Maria Theresia nun los, nicht aber die aus Preußen, und der Krieg ging weiter. Friedrich II. blieb Maria Theresias lebenslanger Feind. 3 O-Ton Vocelka7„Maria Theresia hat Friedrich von Preußen gehasst. Sie nennt ihn Scheusal und Bestie, sie hat ihn zutiefst verabscheut und gehasst. (…) Man hat (…) diese Abneigung verstehen können, weil ja in letzter Instanz der Beginn der ganzen Auseinandersetzung, die dann mit den beiden Schlesischen Kriegen und dem österreichischen Erbfolgekrieg 8 Jahre der Herrschaft Maria Theresias ausfüllen, natürlich durch diesen "räuberischen Überfall" Friedrichs von Preußen auf Schlesien ihren Anfang genommen hat.“ MUSIK ErzählerAcht Jahre Krieg. Nachdem der Erbfolgekrieg im Oktober 1748 mit dem Frieden von Aachen beendet wurde, blieben Maria Theresia nur acht friedliche Jahre, bis es 1756 mit dem siebenjährigen Krieg wieder los ging. 4 O-Ton Vocelka12 „Sie hat den Krieg im Prinzip grundsätzlich abgelehnt, aber hat keine großen Alternativen gehabt, als Kriege zu führen, (…) Sie war keine große Kriegsheldin in dem Sinne, dass sie eine Freude am Krieg hatte, sondern sie hat den Krieg als ein notwendiges Übel der Politik der damaligen Zeit betrachtet.“ MUSIK TitelsprecherDie "Kaiserin" ErzählerMit dem Tod des bayerischen Kurfürsten wurde im Januar 1745 der Kaisertitel wieder frei. Eigentlich hätte er Maria Theresia gehört, denn die Habsburger stellten schon seit Jahrhunderten den deutschen Kaiser. Aber für das Deutsche Reich galt die Pragmatische Sanktion nicht, hier war es unmöglich, dass eine Frau die Kaiserkrone erhalten konnte. Daher wurde Maria Theresias Ehemann Franz Stephan im Oktober 1745 zum Kaiser gekrönt. "Kaiserin" war Maria Theresia fortan nur als Ehefrau des Kaisers. MUSIK TitelsprecherReformen ErzählerNicht nur die Armee musste reformiert werden, Maria Theresia stand vor der Aufgabe, Verwaltung, Wirtschaft, Justiz und das Bildungswesen ihres Landes zu erneuern. Sie begann mit einer Heeresreform, denn die Schlesischen Kriege hatten gezeigt, dass die österreichische Armee im europäischen Vergleich nicht bestehen konnte, oder, wie ein Bonmot aus späterer Zeit lautete: Zitator„Österreich hinkt immer nach, um eine Idee oder ein Jahr oder eine Armee.“ 5 O-Ton Vocelka5„Einerseits waren die Reformen in der Monarchie notwendig. (…). Schlesien ging im 1. Schlesischen Krieg an Preußen verloren (…) und innerhalb kürzester Zeit hat sich herausgestellt, dass Preußen imstande war, mehr Steuern aus diesem Schlesien herauszuwirtschaften, als das die Habsburger Monarchie davor gekonnt hat und das hat gezeigt, dass hier dringende Reformen des Systems notwendig sind. Dort beginnt's auch mit der Steuerpolitik, man hat versucht, die adeligen Stände zu entmachten und die Steuerpolitik ganz zu einer Aufgabe des Staates zu machen. Das zieht viele andere Reformen nach sich. Im Wesentlichen (…) kommt es zu einer Zentralisierung der Verwaltung, der Versuch die Verwaltung in unterschiedlichen Schichten aufzubauen, d.h. bis in die untere Ebene hinein, bis in die Kreisebene hinein gab es eben dann Kreisämter, die sowohl Einfluss auf die Politik des Kreises nahmen, aber auch nach Wien berichteten, also auch diesen Zentralismus verstärkt haben.“ ErzählerIm Gegensatz zu anderen Großmächten war Österreich ein Vielvölkerstaat. Die verschiedenen Länder, die er vereinigte, hatten unterschiedliche Sprachen, Gesellschaftsordnungen, Rechtssysteme und auch unterschiedliche Armeen und Militärausbildungen. Dies alles galt es anzugleichen. 6 O-Ton Vocelka5„Es gab Reformbedarf in vieler Hinsicht, etwa eine Frage, die in ganz Europa zu diesem Zeitpunkt diskutiert wurde, war die allgemeine Verpflichtung zum Unterricht, also in Österreich gibt’s keine Schulpflicht bis heute, sondern eine Unterrichtspflicht, die Maria Theresia eingeführt hat. Aber auch in vielen anderen Bereichen gab es Reformansätze, die im Geist der Zeit lagen. Es ist letztlich eine Zeit, in der Gedanken der Aufklärung eine Rolle spielen, selbst wenn Maria Theresia nicht als aufgeklärte Monarchin zu bezeichnen ist, so ist doch ihr Umkreis sehr stark von diesem Reformgeist der Aufklärung beeinflusst gewesen.“ MUSIK Titelsprecher.Die alten Werte oder: MARIA THERESIA„Nichts ist so nützlich und heilsam wie die Religion.“ ErzählerObwohl Maria Theresia viele Reformen auf den Weg brachte und durchaus einen pragmatischen Modernismus pflegte, hielt sie konservative Werte sehr hoch. Als tiefgläubige Katholikin besuchte sie regelmäßig die Messe, unterzog sich Exerzitien und hielt die Fasttage ein. Als Herrscherin und Mutter versuchte sie ihre Landeskinder und ihre eigenen Kinder vor schädlichen Einflüssen zu bewahren. Vor aufklärerischen Gedanken zum Beispiel. Eine Zensurbehörde hatte Schriften zu verbieten, die die katholische Religion oder die gesellschaftliche Ordnung in Frage stellten. Laster und Unmoral ihrer Untertanen versuchte Maria Theresia mit teilweise drastischen Mitteln zu bekämpfen: eine Keuschheitskommission sollte dafür sorgen, dass Prostituierte von den Straßen verschwanden und bestraft wurden. Auch die Freier - oft verheiratete und angesehene Mitglieder der besten Gesellschaft - sollten überwacht werden. Das Gut der Ehe war eines der höchsten für Maria Theresia, sie war glücklich mit Franz Stephan verheiratet und hielt ihm selbstverständlich lebenslang die Treue. 7 O-Ton Vocelka4„Er hingegen hat durchaus auch andere Abenteuer gehabt und böse Zungen haben behauptet, schon Zeitgenossen haben behauptet, dass Maria Theresias Einrichtung der Keuschheitskommission nicht zuletzt ein Überwachungsmechanismus für ihren untreuen Gemahl gewesen sein könnte.“ MUSIK Titelsprecher Der Tod des Kaisers: MARIA THERESIA „Ich lebe dahin wie ein Tier, habe kein Gefühl und keine Vernunft, ich vergesse alles.“ Erzähler1765 erlag Kaiser Franz Stephan in Innsbruck einem Herzinfarkt. MARIA THERESIA„Kaiser Franciscus mein Gemahl hat gelebt 56 Jahr, 8 Monat, 10 täge, ist den 18 augusti 1765 gestorben halbe 10 Uhr Abends.“ ErzählerMaria Theresias Witwenschaft sollte fünfzehn Jahre dauern. Sie litt. Doch ihr Pflichtgefühl verbot es ihr, sich ganz von der Regierung zurückzuziehen. Ihr Sohn wurde nach dem Tod seines Vaters zum neuen Kaiser des Heiligen Römischen Reiches gekrönt und von Maria Theresia zu ihrem Mitregenten ernannt. MUSIK Titelsprecher Mutter und Sohn oder: MARIA THERESIA„Es ist fürwahr ein großes Unglück, mit dem besten Willen verstehen wir uns nicht.“ 8 O-Ton Vocelka6„Joseph II. war von all den Herrschern des 18. Jahrhunderts ganz sicher der am weitesten mit dem Gedankengut der Aufklärung vertraute, und auch das Gedankengut der Aufklärung umsetzende. Die zwei Kernfragen der Aufklärung hat ja Maria Theresia schon unter dem Einfluss ihres Sohnes gelöst, nämlich die Frage der Abschaffung der Folter. Und auf der anderen Seite der zweite große Diskurs war die religiöse Toleranz. Die ist erst unter Joseph II. zustande gekommen. Maria Theresia war religiös sehr intolerant als sehr eifrige Katholikin. Die Zusammenarbeit von Mutter und Sohn hat natürlich nicht sehr gut geklappt. Die beiden waren grundverschieden von ihrer Zugangs¬weise zu den Dingen und es gab einen heftigen Generationenkonflikt, (…) weil Joseph II. in vieler Hinsicht sehr viel radikaler die Gedanken der Aufklärung vertreten hat, als das seine Mutter je gekonnt hat.“ ErzählerIhre Vorstellungen in politischen und gesellschaftlichen Fragen klafften weit auseinander, und der Versuch Übereinstimmungen zu finden, zermürbte beide. MARIA THERESIA„Ich bin so unglücklich, den Kaiser meistens nicht von meinen Absichten überzeugen zu können. Er hat sehr oft andere: das bringt viel Nachteil für die Geschäfte mit sich und macht mir das Leben unerträglich.“ MUSIK TitelsprecherDas Ende oder: MARIA THERESIA„Ich kann mich nicht beklagen: der Mensch muss aufhören.“ ErzählerNach all' den Schwangerschaften und Geburten, den Sorgen um ihr Land und der schwierigen Regentschaft mit ihrem Sohn war Maria Theresia im Laufe der Jahre müde und krank geworden; sie war sehr korpulent, kurzatmig und fast blind.Am 29. November 1780 starb sie im Alter von 63 Jahren. 9 O-Ton Vocelka14„Bei den Österreichern hat es ganz sicherlich einen bis heute prägenden Eindruck hinterlassen, man spricht von der Maria-Theresianischen Epoche. Maria Theresia ist eine der beliebtesten Persönlichkeiten auch heute noch, wenn man Österreicher befragt, fast gleichauf mit Leuten wie Mozart. Und zweifellos hat ihre Epoche, die eine Epoche der Modernisierung des Staates ist, wo es einen erheblichen Modernisierungsschub gegeben hat, wo eine Verwaltung geschaffen wurde, die grundlegend bis zum Ende der Monarchie bestanden hat und in manchen Elementen darüber hinaus ihre Wirkung gehabt hat, hat eine ganz große Vorbildrolle gespielt und ist eine ganz eine wichtige Epoche zumindest für die Geschichte der Habsburger Monarchie und die österreichische Geschichte.“
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Jun 6, 2025 • 26min

STARS DES ABSOLUTISMUS - Friedrich II. und die Seidenraupen

Friedrich der Große förderte nicht nur die Kartoffel, sondern auch den Seidenbau. Ausgerechnet im unwirtlichen Brandenburg. Dazu ließ er die Eier des Seidenspinners nach Preußen bringen, warb Fachkräfte aus dem Ausland an, ließ Waisenkinder im Seidehaspeln anlernen und machte sich damit herzlich unbeliebt. Von Katharina Hübel (BR 2020)Credits Autorin: Katharina Hübel Regie: Axel Wostry Es sprachen: Heiko Ruprecht, Katja Schild, Axel Wostry   Technik: Monika Gsaenger Redaktion: Thomas Morawetz Im Interview: Dr. Susanne Evers, Dr. Silke Kamp Besonderer Linktipp der Redaktion: BR (2025): WirTier Dieser Podcast erzählt von Menschen, die ihr ganzes Leben verändert haben durch diesen einen Moment auf Augenhöhe mit einem Tier. Sie teilen mit uns ihre tiefgreifenden Erfahrungen und Erkenntnisse über unser Zusammenleben auf diesem Planeten und lassen uns teilhaben an ihrem Wissen über Tiere. Denn auch Forscherinnen und Forscher wissen zunehmend: Tiere haben Gefühle, Intelligenz und ein Sozialleben. Und auch Vici und Julius, die Hosts von WirTier, verändern sich durch diese Begegnungen – und stellen sich vielfältigen Herausforderungen auf der Weide, im Garten oder auch in freier Wildbahn. ZUM PODCAST Linktipps planet wissen: Geschichte der Seide Seit die Seidenherstellung vor gut 5000 Jahren in China entdeckt wurde, ranken sich um den begehrten Stoff Geheimnisse und Mythen. Dabei hat die Seide nicht nur die Mode, sondern auch die Wirtschaft ganzer Länder beeinflusst. JETZT LESEN WDR (2021): Friedrich der Große erlässt den Kartoffelbefehl Friedrich der Große liebte Kartoffeln: Weniger für sich, um so mehr für seine Untertanen. Immer wieder versuchte er, die Kartoffel unters Volk zu bringen: Mit Tricks, durch Predigten - und in Befehlen. JETZT ANHÖREN Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte: DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend. Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.  Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de. Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Alles Geschichte JETZT ENTDECKEN Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:Zitatorin: „Leider haben sich die Würmer einigermaßen zu Krankheiten geneiget, welche darin bestehen, dass sie häufig auf den Rändern laufen, durch starke Bewegungen eine gewisse Angst äußern und sogar das frische Futter meiden. Einige fressen sehr gut, bleiben aber dessen ungeachtet klein und vertrocknen auch an den Schachteln, welches eine Art von Schwindsucht ist.“ Sprecher: Das ist der Bericht von Anne Marie Baral, einer bemerkenswerten Frau. Ehemalige Tagelöhnerin. Witwe. Alleinerziehende Mutter. Eine von den Armen im Preußen des 18. Jahrhunderts. Sie hat eine steile Karriere gemacht und ist Angestellte von keinem Geringeren als von Friedrich dem Zweiten, dem preußischen König. Seinem Kommissar legt sie Rechenschaft ab: Zitatorin:„Die meisten dieser kranken Würmer sind blanke Würmer, welche zuletzt, nachdem sie an den Rändern gelaufen, platzen und auslaufen“ Sprecher:„Die Würmer“, um die sie sich sorgt, sind: „Seidenwürmer“, also: Seidenraupen. Anne Marie Baral ist königliche Seidenbauerin im „Jägerhof“ zu Potsdam, einer so genannten „Seidenbau-Musteranstalt“, in der landesweit ausgebildet wird. Eine absolut privilegierte Position: Anne Marie Baral bekam ein jährliches Gehalt von 150 Reichstalern und war mit Abstand die bestbezahlte Seidenkultivateurin des Landes, zudem konnte sie mietfrei wohnen und erhielt Gewinnbeteiligung, mehr noch: die königlichen Behörden verpflichteten für sie Pflücker, die das Futter für die Seidenraupen besorgten und anlieferten. Baral musste nichts davon finanzieren, die Kosten trug Friedrich der Große. Auch für die sechs Waisenkinder, die ihr bei der Pflege und Aufzucht der Raupen halfen, bezahlte sie keinen Groschen: der König höchstpersönlich verpflichtete die Waisen und sah seinerseits ebenfalls davon ab, sie zu bezahlen – in seinen Augen erhielten sie genug Lohn in Form einer Gratis- Ausbildung. Anne Marie Barals Tochter Susette hingegen wurde vom König bezahlt mit vier Groschen Lohn pro Tag. Zudem erhielten die Barals 16 Lot Graines frei Haus. Musik „Graines“ - die Eier des Seidenspinners, aus dem die Raupen schlüpfen. Die fressen sich einen guten Monat lang groß und spinnen sich dann in einen Kokon ein, den Seidenkokon. Sofern sie solange überleben. Eine verwegene Vision Friedrichs des Großen: Ausgerechnet im klimatisch wechselhaften, unwirtlichen Brandenburg heimische Seide gewinnen zu wollen. Er versuchte es mit allen Mitteln: Anne Marie Baral hatte drei beheizbare Säle und bekam Holz fürs Befeuern geliefert. Doch all das reichte nicht. Zitatorin:„So beklagte ich mich wegen Mangel an Futter. Da nun dieses wohl daher kommt, weil die Arbeiter beym Schneiden zu nachlässig sind, und statt, wenn gutes Wetter ist, um acht Uhr aufhören könnten, so hören selbige schon um vier Uhr auf. Bitte demnach Euer Hochwohlgeboren denen Leuten scharf anzubefehlen, dass selbige fleißiger schneiden und ich mehr Futter bekomme, sofern die Würmer vor Mangel der Blätter umkommen müssen.“ Sprecher:…berichtet Anne Maria Baral dem so genannten Seidenbaukommissar, der im Auftrag von Friedrich dem Zweiten alle Arbeiten rund um die Gewinnung preußischer Seide kontrollierte. Die Seidenraupen – normalerweise in wärmeren, asiatischen Gefilden heimisch – sind wählerisch: Sie fressen nur die Blätter des Maulbeerbaumes. Und da Friedrich der Große unbedingt mit eigener Seide glänzen wollte, griff er ein Jahr nach seiner Thronbesteigung per Dekret in die Flora Brandenburgs ein: Er ließ tausende Linden fällen und machte Platz für Maulbeerbäume. Samen wurden verteilt, für je 1.000 Stämme gab es eine Geldprämie von 50 Thalern. Manche der Maulbeerbäume stehen heute noch, gut 200 Jahre später, wie in Zernikow. Die Historikerin Dr. Silke Kamp hat dort die Dauerausstellung „Vom Maulbeerbaum zur Seide“ wissenschaftlich begleitet. Sie weiß: Der Pflanz-Befehl des absolutistischen Herrschers war nicht von heute auf morgen umsetzbar. 01 / OT Kamp Diese Bäume müssen erstmal in Baumschulen, bevor sie ins Freiland gesetzt werden, müssen in den ersten Jahren auch noch sehr liebevoll gepflegt werden, damit sie nicht eingehen, nicht vertrocknen, auch regelmäßig beschnitten werden. Musik Sprecher:Das Gedeihen der Maulbeerbäume im unwirtlichen Brandenburg war oberste Staatsaufgabe: Selbst die Akademie der Wissenschaften unter Leitung des Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz beschäftigte sich damit. Auch die Königliche Realschule bildete aus, Plantagen-Inspektoren und Kreisgärtner schwärmten aus, um auf dem Land den Anbau zu überwachen. Friedrich der Große selbst unternahm Reisen ins Brandenburgische. Selten war er zufrieden. Er schreibt an die Kammer: Zitator Friedrich „...die Amtleute ernstlich zur Befolgung ihrer Pflicht anzuhalten. Es seindt Faule Esels“ SprecherDer König wurde zum Botaniker. Zitator Friedrich„Glaubwürdigen Berichten zufolge werden die meisten Maulbeerbaumplantagen nicht richtig kultiviert, sondern von Anfang an dadurch verdorben, dass die Baumwurzeln nicht ordentlich beschnitten werden“ Sprecher:Friedrich war ungeduldig mit seinen Untertanen. Doch der Seidenbau erforderte enorme Fachkenntnis. Italien und Frankreich waren damals die führenden Nationen im Seidengewerbe – ihnen wollte Friedrich Konkurrenz machen. Die absolutistischen Herrscher standen im Wettkampf - um Gebiete, wirtschaftliche Unabhängigkeit und Prestige. Doch das Geschäft mit der Seide war durchaus heikel und wirtschaftlich riskant. Wer sollte das wagen? Wie sollte die nötige Kenntnis nach Preußen kommen? Friedrich der Zweite warb kurzerhand Facharbeiter aus dem Ausland an. Silke Kamp: 02/ OT KampZum Teil hatte man sie durch das Edikt von Potsdam durch die Aufnahme der Hugenotten auch bereits im Land. Oder bereits Nachfahren dieser französischen Religionsflüchtlinge und konnte auf deren Wissen zurückgreifen. Sprecher:Wie auf das von Anne Marie Baral, eine der geschicktesten Seidenhasplerinnen, die Brandenburg wohl hatte, wenn man dem Obersten Seidenbauinspektor glauben mag. Sie war die Tochter von Hugenotten und lebte schon länger in Potsdam. Die Fertigkeit des Seidehaspelns – also des Abwickelns des Seidenfadens – hat sie von ihren Eltern gelernt. Know-How war für die Hugenotten die Chance, in der neuen Heimat Fuß zu fassen. Anne Marie Baral bildete auch Lehrlinge aus. Musik Der Arbeitsplatz einer Hasplerin sieht so aus, 03 / OT Kampdass vor ihr ein Behältnis mit heißem Wasser steht, in dem die Kokons eingeweicht werden. Die werden zu mehreren herausgefischt und (…) behutsam über eine Spule gelegt, die dann durch eine Kurbel angetrieben (…) den Faden langsam abwickeln vom Kokon. Und das erfordert dann sehr viel Geschick, dass man darauf achtet, dass sich diese Kokons nicht untereinander verheddern, daher das Wort verhaspeln. Sprecher:Auch die Seidenraupen selbst erforderten viel Sorgfalt. 30 bis 45.000 Raupen versorgte Anne Marie Baral pro Saison. Die Eier lagerte sie in kleinen Papierschachteln auf Holzregalen, die penibel reingehalten werden mussten, sortierte kranke und tote Raupen aus, versorgte die anderen bis zu fünf Mal täglich mit frischem Futter. 1.500 Kilogramm Maulbeerbaum-Blätter benötigte sie in der Saison, jeden Tag frisch angeliefert. Sprecher:Daher ordnete Friedrich der Große an, dass preußische Beamte und Pastoren auf ihren Grundstücken und Kirchhöfen Maulbeeren pflanzen und Seide kultivieren sollten. Daraufhin pflanzten Adlige Maulbeerbaum-Alleen bei ihren Schlössern. Doch vor allem niedere Stände trafen Zwangsmaßnahmen.Die Bauern wurden ohne Nutzen für sich selbst verpflichtet – zu ihrem Leidwesen. 05 / OT Kamp   Der Baum selber bringt dann auch keinen Ertrag, wenn der Seidenbau (…) schiefläuft, weil die Raupen sich nicht entwickelt haben, weil sie durch Krankheit dahingerafft wurden, weil es Fäulnis gab. All diese Faktoren, die (…) oftmals zum Totalausfall führten. Das frustrierte die Bauern ungemein, denn sie waren darauf angewiesen, genau abzuwägen, was lukrativ ist, was Gewinn bringt und sie hätten die Bäume lieber umgehauen, um wenigstens Obstbäume zu pflanzen. Sprecher:Sie versuchten es zum Teil – und wurden rigoros bestraft. Die Bauern mussten gezwungen werden. Nicht die besten Voraussetzungen für Friedrichs Projekt. 06/ KampMan muss verstehen, dass sich diese Seidenkultur nicht etabliert hat und auch nicht etablieren konnte, weil sie nicht über Jahrhunderte gewachsen ist wie in Italien oder Frankreich, in den Dörfern der Cevenne, wo jede Familie nebenbei auch noch Seide kultiviert. Hier muss sich diese Seidenkultur in die bestehende Landwirtschaft einordnen. Sprecher:Und sie will nicht so recht ins bäuerliche Jahr passen. Seidenraupen brauchen konstant Wärme – doch der Sommer kommt nicht in Frage – ab Juli ist Ernte in Brandenburg. 07/KampSie brauchen Wagen, auf denen das Laub transportiert werden muss. Das sind dann Fuhrwerke, die dann den Bauern eventuell fehlen in der Erntezeit, daher waren sie allein deswegen schon nicht besonders glücklich darüber, da so in die Pflicht genommen zu werden. Sprecher:Der Seidenbau wurde also vorgezogen – in den unwirtlichen, klimatisch wankelmütigen Mai. Ein Problem für die empfindlichen Seidenraupen. Von den 45.000 Eiern blieben Anne Marie Baral am Ende vielleicht 50 Kokons. Silke Kamp: 08 / OT Kamp(…) Wenn es dort zu Temperaturschwankungen kommt, dann wird dieser Faden, der gesponnen wird von der Raupe, auch unterbrochen. (…)  Der Faden erreichte nicht diese Länge wie von der italienischen oder französischen Seide von bis zu vier Kilometern. Musik Sprecher:Für aufwändige Webarbeiten mit komplexen, mehrschichtigen Mustern, benötigen die Webstühle lange, stabile Fäden. Ein Faden, der reißt oder zu kurz ist, bewirkt Unebenheiten im Stoff. Auch beim Färben gibt es Probleme bei minderwertigen Seidenfäden. Und so war Friedrichs Landseide für die aufwändigen Seidenstoffe ungeeignet. Der Faden hatte keine besondere Qualität. Wofür also der ganze Aufwand? Friedrich der Zweite war es leid, seinen politischen Konkurrenten viel Geld zuzuschustern, indem er teure Rohseide oder auch fertige Seidengewebe importierte. Wirtschaftspolitische Maxime war der so genannte Merkantilismus. Die eigene Wirtschaft zu subventionieren und aufzubauen und gleichzeitig ausländische Güter auszubremsen durch Zölle oder Importstopps. Und Preußen brauchte viel Seide. Schon allein fürs Militär – für Seidenstrümpfe und seidene Haarbänder. Was manieriert klingt, war höchst funktional: Seide war damals die einzige reißfeste Faser. Doch Friedrich der Große wollte mehr als Strümpfe. Doktor Susanne Evers ist Kunsthistorikerin bei der Stiftung preußische Schlösser und Gärten und eine Kennerin der Seidenkunst unter Friedrich dem Großen. 09 / OT EversEs war ihm natürlich auch unglaublich wichtig zu zeigen, dass  sein Land, das ja erst seit relativ kurzer Zeit zu den europäischen Größen gezählt werden konnte, dass eben in diesem Land diese hochwertige Kunst auch hergestellt werden konnte, dass man sich schmücken konnte mit Werken, die in eigenen, in heimischen Manufakturen gefertigt wurden. Das war damals ein ganz großer Prestigepunkt. Und Friedrich hatte es halt relativ nötig. Weil er eben ein Neuling war. Musik Sprecher:Friedrich der Große wollte eine ganze Industrie aufbauen. Er investierte in Seidenmühlen, die den Zwirn herstellten und in königliche Manufakturen, Webereien, die Stoffe für Kleidung und Tapeten herstellten. Susanne Evers: 10 / OT Evers Die Textilmanufakturen, die Fabrikation war eigentlich einer der führenden Wirtschaftszweige. Es waren unglaublich viele Menschen an der Herstellung von Textilien beteiligt. (…)Dazu kommt noch, dass in diesem Bereich auch die Technologie gefordert war. Das heißt, man musste immer wieder neue Innovationen wagen, um die Webstühle auf den neuesten Stand zu bringen. Musik 11/ OT EversWie wird ein Webstuhl eingerichtet, damit man die komplizierten Muster tatsächlich fabrizieren kann? Das war im Land einfach nicht vorhanden. Deswegen hat Friedrich gleich nach seiner Thronbesteigung auch Edikte erlassen, dass aus den führenden Seidennationen, das war in erster Linie natürlich Frankreich, aber auch Italien und auch Holland, dass Musterzeichner, Färber und eben einfach auch Weber nach Preußen gelockt wurden, muss man sagen: mit Anreizen, mit Unterstützung von Ansiedlung und so weiter. Sprecher:Es waren Hugenotten, die bei der Einreise schon eine Generation vorher ganze Webstühle mitgebracht hatten, das Wissen, sie zu konstruieren und zu bedienen. Es waren Zeichner von Webmustern aus Italien und Holland, es waren so genannte „Liseurs“, diejenigen, die die Muster lesen und auf den Webstuhl übertragen konnten, es waren Ziehjungen, die halfen, den Webstuhl zu bedienen; Färber, die wussten, die Seide zu färben. Und jüdische Unternehmer, die das finanzielle Risiko wagten, um beruflich Fuß fassen zu können.Anfangs brachten die preußischen Seidenmanufakturen trotzdem nur einfache Stoffe zustande. Aus Lyon, dem führenden Zentrum der Seidenkunst, kamen die kompliziertesten Motive für Seidentapeten her, dort wurden die fehlerfreisten Stoffe aus der hochwertigsten Seide gewebt. Dieses Niveau wollte Friedrich der Zweite erreichen. 11 / OT EversWas sich mit der Zeit entwickelte, waren dann mehrschichtige Muster, die ein Grundgewebe hatten, eine erste Musterebene und oft auch noch eine zweite. Und das ist technologisch sehr kompliziert. Sprecher:Beispielsweise ein Stoff mit Hintergrundmuster, auf das dann Blumen gewebt wurden, die sich plastisch in einem 3-D-Effekt abhoben. Die preußischen Webereien machten unter Friedrich dem Zweiten eine enorme technische Entwicklung durch und konnten nach einiger Zeit eben auch diese aufwändigen Stoffe herstellen, die sich mit der internationalen Konkurrenz messen ließen. Kunsthistorikerin Susanne Evers: 12 / OT EversEin schönes Beispiel ist ein Brief von der Schwester Friedrichs des Zweiten. Er hat offensichtlich seiner Schwester einen schönen Stoff geschickt und sie schreibt zurück, dieser Stoff ist ja wundervoll. Sie ist völlig überrascht, dass der in Preußen hergestellt werden konnte. (…) Sie hätte sich einen großen Spaß daraus gemacht, all ihren Bekannten diesen Stoff zu zeigen. Und alle hätten gedacht, er wäre aus Frankreich. Sprecher:So sehr Friedrichs Zeitgenossen beeindruckt waren - für einen solch aufwändigen Stoff nahmen die preußischen Webereien keine heimische Seide her, bis zum Schluss nicht. Sie benötigten die besseren Seidenfäden aus dem Ausland. Friedrich der Große kam nicht ohne importierte Rohseide aus. Die in Brandenburg gewonnene so genannte Landseide war nach wie vor von minderer Qualität und reichte auch von der Menge her nicht aus. Dieser Makel blieb. Dennoch ist der Preußenkönig stolz auf die heimische Webkunst, er sucht eine Art „Showroom“ und findet ihn im „Neuen Palais“ in Sanssouci. Nach dem Siebenjährigen Krieg stattet er dieses repräsentative Gästeschloss aus, das sogar öffentliche Besuchszeiten für Untertanen hatte. Susanne Evers kennt dort jedes Detail. 13/ OT EversEs ist nirgends in einer Quelle geschrieben, dass das Neue Palais das Musterbuch der Seidenproduktion ist. Aber die Beobachtung legt das sehr nahe. (…) Es ist so, dass in diesem Haus wirklich alle Qualitäten der Seidentapetenkunst, die es damals gab, vorhanden sind. (…) Das ist außergewöhnlich. Sprecher:Seidentapeten waren damals tatsächlich die wertvollsten Kunstobjekte in den Schlössern. Das zeigt sich unter anderem daran, dass auch Friedrichs Schlösser im Siebenjährigen Krieg geplündert wurden – Seidenstoffe waren oft Kriegsbeute. 14 / OT EversDas fand ich auch spannend, das war lange gar nicht so bekannt. Offensichtlich war es so, dass man so einen hohen Preis zahlte für solche Seidenstoffe, dass es sich sogar lohnte, eher die Stoffe als zum Beispiel die Gemälde mitzunehmen. (...) stattdessen schnitt man tatsächlich rundum so einen Seidenpaneel aus der Wand aus. Auch von Stühlen und von Sesseln hat man den Bezug abgeschnitten. Sprecher:Friedrich der Zweite kam also 1763 aus dem Krieg wieder und musste seine Schlösser neu ausstaffieren. Und das bei leeren Staatskassen. Dennoch: die perfekte Gelegenheit für eine Leistungsschau der preußischen Seidenkunst. 15 / OT EversDa ist sicherlich vieles auch auf Pump gewesen. Er hat ja auch das Neue Palais selbst, eine Fanfaronade, also eine Angeberei genannt. Aber er wollte damit zeigen, wir sind wer. Wir sind jetzt unter den wichtigsten fünf in Europa. (…) Ich habe mal ausgerechnet nach dem, was in den Rechnungen überliefert ist, dass ein ganzer Raum mit einer allerhöchsten Qualität der reichen Seidenstoffe bis zu 8.400 Taler gekostet hat. Der Stoff für einen Raum mit ganz einfacher Seidenbespannung war dann nur knapp 2.000 Taler teuer. Was haben andere Dinge gekostet? Da kann man sagen, ein Gemälde von Antoine Pesne, das war damals der bekannteste Hofmaler, hat 200 Taler gekostet. Sprecher:Fast nichts im Vergleich zur Seide, die also ganz entscheidend zum Prunk, zur „Fanfaronade“, beigetragen hat. Musik Sprecher:Seide als Teil einer universalen königlichen Raumkunst – für die Kunstgeschichte ein Gewinn. Doch für die Menschen damals? 18 / OT EversEs gibt sehr viele Reiseberichte, die wirklich sehr lobend über diese Ausstattung schreiben. Aber es ist nicht so, dass er eine große Nachfolge gehabt hat. Denn der Zweck war natürlich unter anderem auch, dass die Bestellungen in den Manufakturen sich stapeln. Dass die Menschen, die dahinkommen sagen: das will ich auch. Das hat nicht geklappt. Sprecher:Friedrich der Große kam zu spät. Die Mode war längst eine andere: Papiertapeten, auch fürs Bürgertum erschwinglich. Die Seidenmanufakturen überlebten noch einige Zeit dank königlicher Aufträge, die aber auch weniger wurden. 19 / OT EversDas ist so ein schleichender, schleichender Abschied gewesen. Sprecher:Doch Friedrich der Zweite hatte mit seiner Vision trotz aller Anstrengungen und Hindernisse auch etwas geschaffen, das blieb: Er hatte es geschafft, die Textilindustrie auszubauen, Technologie, Wissen und Fachkräfte ins Land zu holen und Arbeit für sozial ausgegrenzte Gruppen zu schaffen. Musik Und der Seidenbau? Millionen von Maulbeerbäumen prägten zwei Jahre vor Friedrichs Tod das Landschaftsbild und immerhin fünf Prozent der Seide konnte Preußen selbst produzieren. Doch bei all den Subventionen über fast 50 Jahre - ein wirtschaftspolitisches Desaster. Historikerin Silke Kamp: 20 / OT KampDie Geschichtsschreibung hat sich sehr lange dagegengestemmt einzugestehen, dass der Seidenbau wirtschaftlich nicht erfolgreich war. Sprecher:Und den Untertanen einfach lästig. Nach dem Tod von Friedrich dem Zweiten, ab 1786, holzten viele die ungeliebten Maulbeerbäume einfach ab. Friedrich und die Seidenraupen – ein historisches Kapitel voller Widerstände, Mühen und Kuriositäten. Was so energisch begann, war letzten Endes dann doch nur eine sehr anstrengende Illusion. Musik
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Jun 6, 2025 • 24min

STARS DES ABSOLUTISMUS - Die Mätresse Madame Pompadour

Marquise Madame Pompadour gilt also glanzvollste "Maitresse" im Frankreich des 18. Jahrhunderts. Aber sie war nicht nur die Geliebte des französischen Königs Ludwig XV. Sie förderte auch Kunst und die noch junge Wissenschaft. Auch politisch agierte sie ehrgeizig und riskant. Von Renate Kiesewetter (BR 2021)Credits Autorin: Renate Kiesewetter Regie: Irene Schuck Es sprachen: Berenike Beschle, Christian Baumann, Carsten Fabian, Rahel Comtesse Technik: Andreas Lucke Redaktion: Thomas Morawetz Im Interview: Dr. Andrea Weisbrod   Besonderer Linktipp der Redaktion: BR (2025): Ein Zimmer für uns allein Im Podcast "Ein Zimmer für uns allein" mit Host Paula Lochte treffen zwei Frauen aus verschiedenen Generationen aufeinander und sprechen über ein Thema, das sie verbindet. Zum Beispiel über Schönheitsideale, sexuelle Aufklärung, Finanzen, Care-Arbeit. Was waren ihre Struggles damals und heute? Was hat sich verändert, oder vielleicht sogar verbessert? ZUM PODCAST Linktipps ARD Klassik (2023): MDR-Sinfonieorchester – Joseph, ach Joseph Tanja Kuhn und Carl Rumstadt singen "Joseph, ach Joseph" aus der Operette "Madame Pompadour", dem erfolgreichsten Bühnenwerk von Leo Fall. Der österreichische Komponist, dessen Werke später von den Nationalsozialisten verboten werden sollten, starb 1925. "Madame Pompadour" wurde 1922 in Berlin uraufgeführt. Die Aufnahme mit dem MDR-Sinfonieorchester unter Leitung von Florian Ludwig von 2023 ist eine Produktion von MDR Klassik. JETZT ANSEHEN Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte: DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend. Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.  Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de. Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Alles Geschichte JETZT ENTDECKEN Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:SPRECHER: „Mätresse“ – das Wort klingt heute ziemlich abwertend. MUSIK SPRECHERIN:Eine "Maitresse-en-titre" nannte man am Hof von Versailles die nicht geheime Liebesbeziehung der Könige. Keine dieser Mätressen hatte so viel Macht und Einfluss wie Madame de Pompadour. ZUSPIELUNG 1: Was man bei Madame de Pompadour auch sagen kann, dass eine große Ambition bestanden hat, aber auch eine große intellektuelle Kapazität und vielleicht auch eine Vision, was Kunst anbelangt und auch durchaus, was Politik anbelangt. Und das macht sie innerhalb dieses Jahrhunderts doch sehr besonders.  SPRECHERIN:Die Historikerin und Kunsthistorikerin Dr. Andrea Weisbrod hat zu Madame de Pompadour geforscht und die umfassende Monographie geschrieben: Madame de Pompadour und die Inszenierung der Macht MUSIK SPRECHERIN:Die Pompadour und Ludwig. Beginnen wir mit ihm. König Ludwig XV. lebte von 1710 bis 1774. Er war der Urenkel von Ludwig XIV., dem Sonnenkönig, und folgte ihm - bereits mit fünf Jahren - auf den Thron. Den zweijährigen Waisen erzog eine Gouvernante aus dem Hochadel, sein Hauslehrer, Bischof Fleury, betreute seine formale und religiöse Bildung. Mit 16 übernahm Ludwig die Staatsgeschäfte selbst, Kardinal Fleury als Premierminister an seiner Seite. Ein Jahr zuvor noch hatte Ludwig die acht Jahre ältere tief religiöse polnische Königstochter Marie Leszczy¬nska geheiratet, damit es beizeiten einen männlichen Thronfolger gab. MUSIK SPRECHER:Madame de Pompadour wurde am 29. Dezember 1721 in Paris als bürgerliche Jeanne Antoinette Poisson geboren. Ihr Vater Francois, ein wohlhabender Armeelieferant, musste nach einem Finanzskandal nach Deutschland fliehen. Jeannes Mutter Louise Madeleine de la Motte, galt als eine sehr schöne, intelligente und lebenslustige Frau mit zahlreichen Affären. Darunter eine mit dem reichen Steuerpächter und Finanzier Lenormant de Tournehem, möglicherweise Jeannes leiblichem Vater. Zumindest gewährt er als Vormund Jeanne die für Adelstöchter übliche Erziehung mit Gesprächskreisen sowie täglichem Üben in Balletttanz, Schauspiel und Gesang. Als 16-jährige grazile Schönheit mit "großen blauen Augen, schmalem Gesicht und einer Porzellanhaut", wie es heißt, brilliert sie mit Opernarien in den besten Pariser Salons. Verheiratet wird sie von ihrem Ziehvater mit seinem reichen adligen Neffen und Erben Le Normant d`Etiolles. Über die junge Madame d`Etiolles wird Voltaire in seinen Memoiren schreiben, sie sei… ZITATOR: …gut erzogen, reizend, angenehm, bezaubernd und talentiert. SPRECHERIN:Das geistige Leben Frankreichs blüht im 18. Jahrhundert in den Pariser Salons. Hier verkehren alter Hochadel und Großbürger, Kardinäle, Staatsmänner, Gelehrte, Philosophen und Schriftsteller . Die junge Madame d´Etiolles trifft auf Voltaire, Montesquieu, Helvetius, die mit ihren neuen gesellschaftsverändernden Ideen, dem rationalen Denken den Weg ebnen wollen. Später wird sie den Schriftsteller Denis Diderot und den Physiker Jean d`Alembert protegieren. Sie sind Autoren der Encyclopédie, eines der Hauptwerke der französischen Aufklärung. SPRECHER: Legenden über Madame de Pompadour gibt es genug. Befeuert werden sie bis in die jüngste Zeit vor allem durch zwei Fälschungen. Einmal durch die angeblichen Memoiren ihrer Kammerfrau Nicole de Hausset. Und dann durch eine Briefsammlung, die noch 1999 ins Deutsche übersetzt wurde. Doch das können keine Originalbriefe sein. Andrea Weisbrod: ZUSPIELUNG 2:   Also bei ihren echten Briefen kann man sehen, dass das sehr kurze Briefe sind, sie sind sehr zielgerichtet, und die gefälschten Briefe, im Gegenzug dazu, sind sehr lang, manchmal seitenweise. Und die erzählen alles Mögliche, die erzählen, wie dumm der König ist, und wer wieder gegenüber dem König sich frech verhalten hat, die sind plump und in einer Art und Weise indiskret, dass ein einziger solcher Brief Madame de Pompadour ihre Stellung gekostet hätte, wenn der in die Hände des Königs geraten wäre. MUSIK SPRECHERIN:Verbürgt ist jedenfalls: Auf der Hochzeit des Thronfolgers mit Marie-Thérèse von Spanien, im Februar 1745, lernen sich Ludwig und Madame d´Etiolles kennen. Nach dem prächtigen Maskenball in Versailles wundert sich der am Hof etablierte Herzog de Luynes über die enge Vertrautheit der beiden. ZITATOR: Madame d'Etiolles soll angeblich bis über beide Ohren in den König verliebt sein und er soll ihre Gefühle erwidern. SPRECHER:Hinter ihren aufgeklappten seidenen Fächern lästern die Höflinge: Eine Bürgerliche?? ZUSPIELUNG 3:  Madame de Pompadour kommt natürlich nicht aus dem Nichts. Sie ist zwar eine Bürgerliche, aber sie ist vernetzt mit dem Pariser Großbürgertum und vor allen Dingen mit der Pariser Hochfinanz. Die wiederum in der Hand des Großbürgertums war, und da hat sie eben sehr, sehr gute Kontakte, und aus dem Kreis gab es wiederum Kontakte zu dem Hof, die geholfen haben, sie überhaupt am Hof zu platzieren um dieses Kennenlernen mit Ludwig möglich zu machen.  MUSIK SPRECHERIN:Ein paar Monate später wird sie – zum Entsetzen vieler Höflinge - offiziell am Hof vorgestellt, auch der Königin. Und zwar als frischernannte Marquise de Pompadour. Denn kurz vorher hat Ludwig ihr eine freie Markgrafschaft geschenkt und ihr so zu "einem makellosen Namen“ verholfen. Anfang des Jahres 1746, sitzt Madame de Pompadour am Hof "unangreifbar fest im Sattel", versichert Andrea Weisbrod in ihrem Buch über Madame de Pompadour. ZITATORIN: Bald schon drängeln sich bei ihrer morgendlichen Toilette, die den höfischen Gebräuchen gemäß öffentlich stattfindet, beinahe ebenso viele Höflinge wie beim Lever des Königs.        SPRECHERIN:Madame de Pompadour kennt die erfolgreichen Großbankiers, die Brüder de Paris. Sie finanzieren die meisten Projekte des Königs: Ludwig ist von ihnen sozusagen finanziell abhängig. ZUSPIELUNG 4:   Der Finanzminister, da war der Posten vakant, der wird dann mit jemandem besetzt aus diesem Pariser Kreis. Ihr Ziehvater bekommt das Amt des Kulturministers, das nannte man damals Generalintendant der königlichen Bauten, der war also für Architektur und Kunstankäufe am Hof zuständig, d.h. sie besetzt also gleich in den ersten Monaten wichtige Ämter am Hof, d.h. sie hat dann auch Stützen am Hof. MUSIK SPRECHERIN:Sie beauftragt ihren Ziehvater Tournehem mit dem Ausbau eines Theaters. Und übergeht damit demonstrativ den Herzog von Richelieu, der für Festivitäten am Hof eigentlich zuständig wäre. Später finden sich in ihrer großen Bibliothek in Versailles unter den über 3.500 Büchern immerhin "über 3.000 Opern, Theaterstücke und Abhandlungen zu Oper und Schauspiel ". SPRECHER:Sie trommelt selbst ein buntes Ensemble zusammen. Höflinge, Diener und Dienerinnen sowie von den Pariser Bühnen professionelle Schauspieler und Schauspielerinnen, sogar ein Kinderballett aus Söhnen und Töchtern der besten Tanzlehrer. Ohne Standesgrenzen. Die Hauptrollen spielt sie meist selbst. ZUSPIELUNG 5:   Das Theater war ein weiteres Ausdrucksmittel ihrer Macht, sie hat das Publikum bestimmt, und nach dem Theater gab es ein Abendessen, was sie für den König veranstaltet hat, in ihren Räumen oder in den Räumen des Königs. Und dazu hat sie wieder eine handverlesene Zahl von Gästen eingeladen, d.h., alle haben natürlich versucht, Einladungen zu diesem Abendessen zu bekommen, weil das Ganze so zwanglos war, dass der König manchmal für seine Gäste am Ende des Essens einen Kaffee gekocht hat. SPRECHER:Als gebildete und politisch versierte Frau nimmt Madame de Pompadour auch teil an Staatsratssitzungen, organisiert politische Arbeitsessen mit Ludwigs Ministern in ihren Räumen. Der Soziologe Norbert Elias hat in seiner Abhandlung Die höfische Gesellschaft beschrieben, wie die Anordnung der Räume am Hof Rang und Bedeutung der adligen Höflinge widerspiegelt. Das ungewöhnlich große Appartement von Madame de Pompadour hat durch eine geheime Wendeltreppe direkten Zugang zu den privaten Gemächern des Königs. MUSIK SPRECHERIN:Den lässt sie später allerdings zumauern, denn ihr Verhältnis zum König wird für diesen vor allem mit Blick auf die mächtige Kirche zunehmend auch eine Belastung. In der vom Katholizismus geprägten Gesellschaft lebt der König offiziell in Sünde, kann als Ehebrecher z.B. bei der Messe nicht die Heilige Kommunion empfangen. Auch keine Sterbesakramente. Sobald der König also krank oder verletzt wurde, das heißt, möglicherweise in Lebensgefahr geriet, mussten die Mätressen sofort verbannt werden. Das erlebte eine Vorgängerin von Madame Pompadour. So verging sogar das Heilige Jahr 1750, ohne dass Ludwig die Kommunion empfangen hätte, und der Druck der Kirche und seiner sehr religiösen Familie auf ihn ließ nicht nach. SPRECHER:Eine "extreme Zwangslage" für den König, er will Madame de Pompadour in seiner Nähe behalten. Und sie möchte ihren Verbleib am Hof sichern. Fegefeuer und Höllenschlund. Wie also die Kirche besänftigen? Andrea Weisbrod: ZUSPIELUNG 6:  Dann entsteht eben dieser Plan, dass quasi diese Liebesbeziehung in eine platonische Freundschaft umgewandelt wird, dass Madame de Pompadour auch versucht, zu ihrem Mann zurückzukehren, der aber dann dankend ablehnt, und dass Madame de Pompadour sich einen Beichtvater nimmt, der sie in religiösen Dingen berät. Dass auf einmal Skulpturen entstehen, die Madame de Pompadour als die Freundschaft darstellen, d.h. all dies wurde öffentlich gemacht, um dem Hof und der Kirche zu zeigen, wir sind kein Paar mehr, wir sind nur noch befreundet. Und in diesem Zug bekommt dann Madame de Pompadour dieses Amt als Palastdame der Königin, um damit ein offizielles Amt zu haben, was ihr auch ermöglicht hat, am Hof zu bleiben, unabhängig von Ludwig.  SPRECHERIN: So notiert Herzog de Lynes 1754 in seinem Tagebuch. ZITATOR: Madame de Pompadour ist von der Mätresse zur Freundin des Königs geworden und übt durch diesen neuen Status vielleicht sogar noch mehr Einfluss auf ihn aus als zuvor. SPRECHER:Zwei Jahre vorher hatte der König die Marquise de Pompadour zur Herzogin von Ménars erhoben. SPRECHERIN:Und sie inszeniert ihre Macht äußerst geschickt. Ihre Portraits – im 18. Jahrhundert ein zentrales politisches Mittel der Machtdarstellung – kann die Öffentlichkeit regelmäßig in Salonausstellungen im Pariser Louvre sehen. Auf uns heute wirken die Rokokokleider prachtvoll genug, das Publikum damals aber wusste, dass es Tageskleider sind, als Ausdruck ihrer prominenten Stellung am Hof. Es fehlt nicht das Perlenarmband, ein Geschenk Ludwigs, der Quelle ihrer Macht. Von allen Portraits, sorgt Mitte der 1750er Jahre das lebensgroße Werk von Maurice-Quentin Delatour, für Aufsehen in Paris. Madame de Pompadour verkörpert hier die machtvolle Politikerin. Zu erkennen am Aufbau des Gemäldes, der genauso ist wie bei anderen Ministerportraits jener Zeit. Auf dem Globus im Hintergrund ist nur Frankreich aufgemalt, noch dazu mit einer blauen Linie umrandet. Eindeutiger geht’s nicht mehr: Frankreich ist ihr Machtbereich. SPRECHER:Auf dem Gemälde ist nichts zufällig. ZUSPIELUNG 7:Auf ihrem Schreibtisch stehen verschiedene Bücher von Aufklärern, unter anderem ein Band von der Encyclopédie, eines großen Lexikonprojektes in der Zeit und ein Buch von Montesquieu, einem berühmten Aufklärer, beide Bücher waren zu der Zeit verboten. D.h. sie zeigt eben auch, sie hat diese Bücher und diese Autoren gefördert, weil ihre Machtstellung das eben zulässt. MUSIK SPRECHER:In den 1750er Jahren lässt sie eine Militärakademie errichten, um die Ausbildung des Nachwuchses im Heer zu systematisieren. In Sèvres entsteht die königliche Porzellanmanufaktur in Konkurrenz zum bekannten Meißner Porzellan. SPRECHERIN:In der Außenpolitik geht es um nichts Geringeres als die Vormachtstellung in Europa. MUSIK SPRECHERIN:Das "renversement des alliances" – die Umkehrung der Allianzen wirft fast alle Mächte auf den Kriegsschauplatz, an allen Enden der Welt. Das erstarkende Preußen unter König Friedrich II., bisher Frankreichs Verbündeter, wendet sich England zu. Das wiederum gegen Frankreich erbittert um die nordamerikanischen Kolonien kämpft. Österreich unter Kaiserin Maria Theresia, bisher klassischer Kriegsgegner von Frankreich, muss sich Preußen erwehren und sondiert bei Frankreich für ein Bündnis. SPRECHER:Madame de Pompadour übernimmt die Vermittlerrolle zwischen der österreichischen und der französischen Seite. ZUSPIELUNG 9: Sie hat den ersten Brief überbracht von der Kaiserin Maria Theresia an Ludwig, und sie war danach auch bei den ersten Verhandlungen zugegen, die im kleinsten Kreis mit dem österreichischen Botschafter, dem damaligen französischen Außenminister Bernis, und ihr eben geführt wurden, d.h., sie waren nur zu dritt, bevor das Ganze dann eben öffentlich gemacht wurde. SPRECHERIN:Der 1756 signierte Vertrag zwischen Frankreich und Österreich schlägt an den anderen europäischen Höfen ein wie ein "Donnerschlag". Der preußische König Friedrich II. sieht sich von allen Seiten bedroht. Er marschiert sofort in Sachsen ein, bevor dieses sich der neuen Allianz anschließen kann - und ruft dadurch alle Mächte auf den Plan und auf die Schlachtfelder. Es ist der Beginn des Siebenjährigen Kriegs. Ob Madame de Pompadour da den König klug beraten hat? ZUSPIELUNG 10: Sie hat ihn falsch beraten, das kann man in jedem Fall sagen, allerdings muss man auch sagen, dass zur Zeit sich alle gegenseitig falsch beraten haben. Weil, es gab auf der französischen Führungsebene kaum Stimmen gegen dieses neue Bündnis, sowohl der König als auch sein Außenminister haben sich davon eben Vorteile versprochen und es hat wahrscheinlich damit auch niemand gerechnet, dass Friedrich II. aufgrund dieses neuen Bündnisses sofort angreift und er sofort einen Krieg vom Zaun bricht. SPRECHER:Auch als Frankreich nach anfänglichen Erfolgen zurückfällt, will Madame de Pompadour noch keine Verhandlungen mit den Gegnern, im Gegensatz zu ihrem alten Freund, dem französischen Außenminister de Bernis. Machtbewusst verschafft sie ihm die Kardinalswürde, lässt ihren neuen Günstling, den Grafen de Stainville, zum Herzog von Choiseul-Stainville küren, und überzeugt Ludwig, der etwas bei ihr gutzumachen hatte, de Bernis gegen de Choiseul auszutauschen. SPRECHERIN: Friedensverhandlungen oder nicht? Der englische Außenminister Newcastle bringt es auf den Punkt: ZITATOR: Die große Frage ist, auf welcher Seite die Lady steht. Das wird alles entscheiden. MUSIK SPRECHER:Der Ausgang des Siebenjährigen Krieges ist für Frankreich desaströs: Die nordamerikanischen Kolonien sind verloren, die österreichischen Niederlande bekommt Frankreich auch nicht, Preußen erstarkt in Europa, und Frankreich steht kurz vor dem Staatsbankrott. Bei seinen Untertanen wird Ludwig, der "Vielgeliebte", zum "Vielgehassten". Und mit ihm Madame de Pompadour. Verprasst habe sie alles mit der prunkvollen Ausstaffierung ihrer Schlösser, dem Theater, ihren sündteuren Garderoben, den immensen Kriegskosten. SPRECHERIN:Freilich gab es das "System der Verschwendung" schon länger, so Andrea Weisbrod: ZUSPIELUNG 11:  Alles war eben darauf angelegt, Schulden zu machen, und letztlich diese Schulden wieder zu decken durch Einkünfte, die man aus den Kolonien erzielen konnte, aus Leibeigenschaften. Und nachdem dieses System dann nach und nach bröckelt, und durch den Krieg die französische Kolonialherrschaft in Amerika abrupt beendet wird, fielen auch viele Geldquellen weg. Letztlich war sie aber greifbar, sie war das Sinnbild und konnte damit auch zu einer Art Sündenbock gemacht werden. SPRECHER: Auch wenn ihr Altersportrait sie am seinerzeit modischen Stickrahmen zeigt - natürlich, sittsam und nur im Haus wirkend: eine solche neue Pompadour gibt es nicht! Den König Friedrich II. von Preußen bringt sie zur Raserei, weil sie sich nicht in die Karten schauen lässt. Ihr großes Netzwerk an Kontakten auch zu anderen Fürstenhöfen zusammen mit einem florierenden Günstlingshandel sichert ihre Macht: Auf einen Gunstbeweis folgt eine Gegenleistung und darauf wieder eine Gunst. So entstehen immer neue Abhängigkeiten. SPRECHERIN: Gleichwohl ist der Preis für ihre Machstellung hoch. Ständig verfügbar sein für den König, häufiges Reisen mit dem Hof, ein immenses Arbeitspensum. Sie schrieb, meistens nachts, an die 60 Briefe pro Tag. ZUSPIELUNG 12:  Dann kam eben dazu, diese persönlichen Schicksalsschläge, vor allen Dingen, der Tod ihrer Tochter Alexandrine, die mit 10 Jahren dann ganz überraschend gestorben ist, und von diesem Tod sagt sie, dass ihr das quasi einen Schlag versetzt hat, von dem sie sich nicht mehr richtig erholt hat. MUSIK SPRECHER: Sie bewahrt dennoch die Contenance. Legt sich selbst eiserne Disziplin auf gegenüber einem als schwierig beschriebenen, manchmal depressiven, ängstlichen und schweigsamen König. Sie nimmt stets trotz Migräne und Fieber an Hoffesten teil, Ludwig zuliebe. Sie muss Intrigen der Hofschranzen abwehren, kann niemandem vertrauen. Sie bannt auch zahlreiche Versuche, sie durch jüngere Frauen zu ersetzen. Und Ludwig ist kein Heiliger, er fühlt sich zu blutjungen Frauen hingezogen.Sie vergisst indes nie: Sie ist vollständig von ihm abhängig. Einmal verrät sie in einem Brief ihren geheimen Wunsch: ZITATORIN: Ich hätte den großen Thron bevorzugt, muss mich aber mit dem kleinen begnügen, der nicht im geringsten meinem Temperament entspricht. SPRECHERINNach dem Attentat auf Ludwig XV. im Jahr 1757 will Madame de Pompadour schon von sich aus den Hof verlassen, damit er vor seinem Ableben in den Schoß der Kirche zurückkehren kann. Aber Ludwig, der nach einer Woche Wehklagen merkt, dass er doch nicht lebensgefährlich verletzt ist, kann ihren Weggang noch verhindern. MUSIK SPRECHER: All dies zehrt über die Jahre an ihrer fragilen Gesundheit. Sie ist oft krank, wird immer häufiger bettlägerig. Von einer Erkältung kann sie sich nicht mehr erholen. Sie stirbt am 15. April 1764, im Alter von 42 Jahren, an Lungenentzündung. Der König, so flüstert man am Hof, sei "tief betroffen" über den Tod seiner Freundin. SPRECHERIN:Keine 25 Jahre später fegt die Französische Revolution mit einer neuen aufsteigenden bürgerlichen Schicht das höfische System weg. Politisch, freilich nur aus unserem heutigen Rückblick, hat Madame de Pompadour, zusammen mit dem König, durch Fehlentscheidungen Frankreich destabilisiert und den Weg zur Französischen Revolution bereitet. Das Erbe ihres Mäzenatentums aber, so Andrea Weisbrod, wirke bis in unsere Zeit hinein.  ZUSPIELUNG 13:  Sie hat Diderot gefördert, sie hat Montesquieu gefördert, sie hat selbst Rousseau gefördert, sie hat Voltaire gefördert, d.h. sie hatte ein Gespür letztlich auch für Umwälzungen in diesem Zeitalter, und hat die entscheidenden Personen gefördert, die bis heute eben Reichweite haben.
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May 23, 2025 • 26min

DAS LEBEN DER HANDWERKER – Wie Pflasterer die Straßen brachten

Die Römer hatten gepflasterte Straßen nach Deutschland gebracht, aber im Mittelalter verfielen sie langsam. Ohne feste Straßen versanken die Menschen im Schlamm, und Krankheiten breiteten sich schneller aus. Erst viel später überlegten die Stadtväter, wie sie ihre Wege mit einem sicheren Belag ausstatten könnten. Unter ihnen verlief bald auch die Kanalisation. - Das harte Handwerk des Pflasterns war entstanden. Von Anja Mösing (BR 2010 // 2019) Credits Autorin: Anja Mösing Regie: Anja Mösing Es sprach: Christiane Roßbach Technik: Christian Schimmöller Redaktion: Brigitte Reimer Im Interview: Dr. Wolfgang Czysz Archäologe (verstorben 2022) ; Dr. Lutz Dallmeier Stadtarchäologe; Dr. Brigitte Huber Kunsthistorikern; Ludwig Bauer Steinmetzmeister (Organisation und Leitung des Hauzenberger Granitzentrums seit Juli 2023 neu geregelt), Walter Braun Pflasterer Obermeister Besonderer Linktipp der Redaktion: BR (2025): WirTier Zu Gast bei Radiowissen: WirTier erzählt von Menschen, die ihr ganzes Leben verändert haben durch diesen einen Moment auf Augenhöhe mit einem Tier. Sie teilen mit uns ihre tiefgreifenden Erfahrungen über unser Zusammenleben auf diesem Planeten und ihr Wissen über Tiere. Sechs Folgen - ab dem 13. Mai jeden Dienstag neu. ZUM PODCAST  Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte: Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun? DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend. Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.  Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de. Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Alles Geschichte JETZT ENTDECKEN 

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