
Alles Geschichte - Der History-Podcast MEDIZINGESCHICHTEN - Die Macht der Syphilis
Die Geschlechtskrankheit Syphilis wurde sogar als biologische Waffe eingesetzt. Denn wenn sich zu viele Soldaten ansteckten, konnte die Infektion kriegsentscheidend sein. Hunderttausende Menschen starben an Syphilis. Erst vor rund 100 Jahren hat man eine wirksame Waffe gegen den Erreger gefunden: Das Antibiotikum Penicillin. Von Lukas Grasberger (BR 2022)
Credits
Autor dieser Folge: Lukas Grasberger
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Christian Baumann, Andreas Neumann
Technik: Roland Böhm
Redaktion: Nicole Ruchlak
Im Interview: Prof. Norbert Brockmeyer (Mediziner, Präsident der Deutschen STI-Gesellschaft), Prof. Verena Schünemann (Medizinerin für Evolutionäre Medizin), Dr. Lutz Sauerteig (Medizinhistoriker), Prof. Martin Tobin (US-Autor)
Eine Produktion des Bayerischen Rundfunks 2025
Besonderer Linktipp der Redaktion:
SWR (2025): Der Schrei – Der rätselhafte Fall Rafael Blumenstock
Seit 35 Jahren lässt eine Geschichte die Menschen in Ulm nicht los: Der Fall Rafael Blumenstock. Im November 1990 findet man den 28-Jährigen tot auf dem Münsterplatz - nur wenige Schritte vom Polizeipräsidium entfernt. Nur eine einzige Zeugin will seine Schreie gehört haben. Rafael fällt auf: Er spaziert mit Lippenstift und Handtasche durch die Stadt und tritt in langen Kleidern auf der Bühne auf. Wurde Rafael Blumenstock Opfer, weil ihn Ulm als anders wahrgenommen hat? ZUM PODCAST https://1.ard.de/der-schrei
Linktipps
tagesschau (2024): Mehr Sex, mehr Syphilis, mehr Scham
Syphilis ist seit Jahren auf dem Vormarsch. Obwohl die gefährliche Krankheit leicht behandelbar ist, scheuen Betroffene teils den Arztbesuch: Sie schämen sich zu sehr. In dieser Folge von 11KM: der tagesschau-podcast geht Datenjournalistin Claudia Kohler auf die Suche nach den Ursachen. Warum nehmen Geschlechtskrankheiten zu und was macht den Kampf dagegen so schwierig? ZUR FOLGE
Bayern 2 (2023): Aus Versehen genial - Wie der Zufall zu neuen Entdeckungen führte
Penicillin, Röntgenstrahlen oder auch die Pockenimpfung - viele Meilensteine der Medizin verdanken wir dem Zufall. Aber auch alltägliche Dinge wie Tesafilm, die Mikrowelle oder das Eis am Stiel waren eigentlich so nie geplant. Wie kam es zu diesen Entdeckungen? Und was begünstigt Zufallsfunde? ZUR FOLGE
Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:
DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.
Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
Alles Geschichte gibt es auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Alles Geschichte
JETZT ENTDECKEN
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
SPRECHER
Es ist ein Brandbrief, den ein Sekretär im Jahr 1503 an Kaiser Maximilian I schickt: Soldaten sind Opfer einer bösartigen, unbekannten Seuche geworden.
ZITATOR
„Die einen waren vom Scheitel bis zu den Knien mit einer zusammenhängenden, fürchterlichen schwarzen Art von Krätze überzogen, und dadurch so abschreckend, dass sie, von allem Kameraden verlassen, sich in der Einsamkeit den Tod wünschten; die anderen hatten diese Krätze an einzelnen Stellen, aber härter als Baumrinde, am Vorder- und Hinterkopfe, an der Stirne, dem Halse, der Brust, dem Gesäße und zerrissen sich dieselben vor heftigem Schmerze mit Nägeln. Die übrigen starrten an allen Körperteilen von einer solchen Menge von Warzen und Pusteln, dass ihre Zahl nicht zu bestimmen war.“
SPRECHER
Die Syphilis war in Europa angekommen – eine tückische Krankheit, die in den nächsten Jahrzehnten und Jahrhunderten von Italien bis Estland, von Russland bis nach Portugal ziehen sollte.
Doch wo kam sie her – diese rätselhafte, extrem ansteckende Seuche? War sie ein Souvenir, das Christoph Kolumbus von seiner ersten Expedition nach Südamerika nach Europa einschleppte? Lange galt das als unstrittig und auch heute sind viele Wissenschaftler davon überzeugt.
Kolumbus landete im Mai 1493 in Barcelona. Dort wurden bald infizierte Seeleute bei einem Arzt vorstellig, der notierte: Die neue Krankheit stamme von der Karibik-Insel Hispaniola, wo die Mannschaft des Entdeckers mit Eingeborenen in Berührung gekommen sei. Deutlicher wurde seinerzeit ein spanischer Geschichtsschreiber: „Die Krankheit“, so hielt es Gonzalo Fernández de Oviedo fest, „wird am leichtesten durch Geschlechtsverkehr übertragen, wie man es oft beobachtet hat ... Von den Spaniern, die mit den indianischen Weibern verkehrten, entgingen nur wenige der Ansteckung.“ Von den Häfen Spaniens sei die Krankheit dann nach Italien und in andere Länder gelangt.
Doch: War es wirklich so einfach? Stimmte das so plausible wie willkommene Erklärungsmuster, nach dem die Syphilis gleichsam eine gerechte Antwort darstellte auf die mörderischen Krankheitserreger, die die Europäer nach Amerika einschleppten und durch die Völker sogar ausgelöscht worden waren? Zweifel an der These, dass Kolumbus die Syphilis aus Amerika nach Europa brachte, säten unlängst nicht nur Funde aus Niederösterreich: Archäologen gruben 2019 in Sankt Pölten das Skelett eines Kindes aus, das für Syphilis typische Zahnmissbildungen aufwies. Die Forscher datierten den Todeszeitpunkt auf mindestens 50 Jahre vor Kolumbus`Reisen. Auch Paläogenetiker der Universität Zürich fanden Hinweise darauf, dass die Syphilis bereits vor Christoph Kolumbus in Europa grassiert haben könnte.
Prof. Verena Schünemann
„Wir haben im Moment Genome, die aus dieser Zeit kommen.“
SPRECHER
…sagt die Züricher Forscherin Verena Schünemann, die DNA-Proben alter Knochen aus Finnland, Estland und den Niederlanden auf Syphilis-Erreger hin untersucht hat.
O-TON Schünemann
„Das heißt, man kann sagen: Ja, sie kommen aus dem 15. Jahrhundert! Aber ob sie davor oder danach sind – das ist bei diesen Proben ein bisschen schwierig.
SPRECHER
Sie habe – das räumt die Professorin für evolutionäre Medizin ein - nicht mehr in der Hand als eine Indizienkette, die sich indes nach und nach verdichte. Da sind zum einen die Berechnungen der Forscher, nach denen sich der Vorgänger aller modernen Syphilis-Formen vor mindestens 2500 Jahren entwickelt haben muss - und womöglich seinen Ursprung in Europa hatte. Und da ist der Fakt, dass es schon zum Ende des 15. Jahrhunderts eine große Vielfalt von Unterarten des Erregers Treponema pallidum in Europa gab – was gegen die bisherige Annahme steht, erst Kolumbus und seine Mannschaft hätten die Syphilis neu eingeschleppt.
