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Alles Geschichte - Der History-Podcast

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Jan 24, 2025 • 24min

NS-TERROR - Euthanasie als Beginn der Massenmorde

Vor dem Völkermord im Osten begannen die Nationalsozialisten mit der mörderischen Umsetzung ihrer rassistischen Ideologie im Reichsgebiet. Sie töteten Tausende von Kranken und Behinderten im Rahmen der sogenannten Aktion T4. Von Renate Eichmeier (BR 2018) Credits Autorin: Renate Eichmeier Regie: Sabine Kienhöfer Es sprachen: Katja Amberger, Christian Baumann Technik: Fabian Zweck Redaktion: Thomas Morawetz Im Interview: Prof. Gerrit Hohendorf Linktipps: BR (2024): Ohne Gnade - Euthanasie im Nationalsozialismus Anhand von drei Opferbiografien zeichnet "Ohne Gnade" das perfide System der Euthanasie im Nationalsozialismus nach und begleitet Angehörige auf ihrer Suche nach der Wahrheit. JETZT ANSEHEN SR (2024): NS-Ärzte, ihre Verbrechen, ihre Karrieren   Sie experimentierten für ihre Forschungszwecke mit Menschenleben, setzten skrupellos die Ideologie des NS-Regimes um. Deutsche Mediziner agierten als willige Erfüllungsgehilfen des „Dritten Reichs“. Allein 350.000 Menschen wurden damals durch ihre biologisch und juristisch willkürlichen Einordnungen als minderwertig abgestempelt und zwangssterilisiert. Viele verantwortliche Mediziner konnten nach dem Krieg 1945 aber ungehindert ihre Karrieren fortsetzen. JETZT ANSEHEN Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte: Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun? DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend. Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.  Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de. Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Alles Geschichte JETZT ENTDECKEN Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript: ERZÄHLER:Martin B., Schuhmachermeister, geboren 1901, erkrankt als Jugendlicher 1918 an einer Gehirnentzündung und leidet jahrelang unter den Folgen: Parkinson-Symptome wie Zittern der linken Hand, später auch Nachziehen des linken Beines. Ab 1926 ist der junge Familienvater wiederholt in Behandlung in einer psychiatrischen Klinik in Tübingen, arbeitet nach seiner Entlassung immer wieder als Schuhmacher. Im September 1938 weist ihn der behandelnde Arzt in die Heilanstalt Schussenried ein. Anfang Mai 1940 schreibt er eine letzte Postkarte an seine Familie. Zwei Monate später erhalten seine Frau und seine Kinder einen sogenannten „Trostbrief“ aus der Anstalt Schloss Grafeneck bei Reutlingen, in dem sie mit Bedauern darüber informiert werden, dass Martin B. an einem Hirnschlag gestorben sei. O-TON1 HOHENDORF 18‘‘Aktion T4 bedeutet die systematische Erfassung, Selektion und Vernichtung der Patienten in psychiatrischen Heil- und Pflegeanstalten auf dem Gebiet des Deutschen Reiches in den Jahren 1939 bis 1941. ERZÄHLER:Ballastexistenzen – Rassenhygiene – Erbkranke – lebensunwertes Leben – Aufartung – Erbgesundheit – Volkskörper – minderwertige Erbmasse – Euthanasie – Gnadentod ERZÄHLERIN:T4 ist das Kürzel für die Tiergartenstraße 4 in Berlin und war die Adresse einer eleganten Stadtvilla aus der Gründerzeit, die sich nahe der heutigen Philharmonie befand. Im Auftrag der „Kanzlei des Führers“, einer Dienststelle, die Adolf Hitler unmittelbar unterstand, waren dort ab 1940 Verwaltungsbeamte, Sachbearbeiter, Sekretärinnen, Fahrer und Ärzte mit einer sogenannten „Geheimen Reichssache“ beschäftigt: Unter dem Tarnnamen „Zentraldienststelle T4“ organisierten sie die Ermordung von etwa siebzigtausend Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen in psychiatrischen Einrichtungen untergebracht waren. Dazu der Medizinhistoriker Gerrit Hohendorf.  O-TON2 HOHENDORF 1‘ 05‘‘Wie bei vielen anderen nationalsozialistischen Massenvernichtungsaktionen auch gibt es hier nicht so etwas wie einen eindeutigen Befehl, eine eindeutige Anordnung. Es gibt die Euthanasie-Ermächtigung von Adolf Hitler, rückdatiert auf den 1. September 1939, den Tag des Kriegsbeginns, aber wahrscheinlich im Oktober 1939 verfasst, die namentlich zu bestimmende Ärzte ermächtigen sollte, bei kritischer Prüfung des Gesundheitszustandes den Gnadentod zu gewähren. Das klingt jetzt zunächst einmal sehr human, war aber eigentlich eine verklausulierte Formulierung, dass sich innerhalb der Psychiatrie ein Expertenkreis bilden sollte, der das Programm zur Vernichtung lebensunwerten Lebens plant und ausführt. ERZÄHLERIN:Die Idee vom sogenannten „lebensunwerten Leben“ war keine nationalsozialistische Erfindung, sondern lässt sich zurückverfolgen ins 19. Jahrhundert. Auf dem Hintergrund von Kolonialismus und aufstrebenden Naturwissenschaften braute sich ein explosives Gedankengemisch zusammen, das biologistische Vorstellungen zu gesellschaftlichen Maßstäben machte. Sozialdarwinisten wie der britische Soziologe Herbert Spencer prägten Begriffe wie den vom „survival of the fittest“, wörtlich dem „Überleben der Passendsten“. Autoren wie der Franzose Arthur Gobineau fantasierten von Ariern und dem unterschiedlichen Wert von menschlichen Rassen. Ärzte wie der Deutsche Alfred Plötz beschäftigten sich mit der in Mode gekommenen „Eugenik“, sprich: „Erbgesundheitslehre“, in der es um die Verbesserung des menschlichen Erbgutes ging. Und die Diskussionen um Sterbehilfe, ursprünglich gedacht als Erlösung für Schwerkranke, verlagerten ihren Fokus zusehends auf eine Pflicht zum Tod für all diejenigen, die der Gesellschaft keinen ökonomischen Nutzen brachten. Begriffe wie „Rassenhygiene“ und „lebensunwertes Leben“ etablierten sich und kursierten weltweit in wissenschaftlich verbrämten Diskussionen. ERZÄHLER:1920 veröffentlichte Alfred Hoche, Professor für Psychiatrie in Heidelberg, gemeinsam mit dem Juristen Karl Bindung in dem renommierten Wissenschaftsverlag Felix Meiner in Leipzig ein Buch mit dem Titel: „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“; in dem befürworteten die beiden Autoren neben der Sterbehilfe für Schwerkranke auch die Tötung von Zitat: „geistig toten Menschen“. Darunter subsummierten sie Menschen mit den verschiedensten geistigen, psychischen oder körperlichen Handicaps, die als „Ballastexistenzen“ der Gesellschaft Geld kosten und ihr schaden würden. ERZÄHLERIN:Sozialdarwinistische und rassistische Vorstellungen eskalierten in der nationalsozialistischen Ideologie zu einer Extremform. Auf der einen Seite das arische Ideal des germanischen Herren-Menschen: blond, blauäugig, stark, gesund. Auf der anderen Seite die – in Anführungszeichen „Untermenschen“: die Juden, die Kranken, die Schwachen … Sofort nach der Machtübernahme 1933 begannen die Nationalsozialisten mit der politischen Umsetzung ihrer rassistischen Ideologie. Einerseits sollten durch Projekte wie dem „Lebensborn e.V.“ diejenigen zur Fortpflanzung animiert werden, die dem blonden Ideal entsprachen. Andrerseits diente eine Flut von Gesetzen der Durchsetzung der sogenannten „Rassenhygiene“ und legalisierte staatliche Sanktionen gegen Menschen mit unerwünschtem Erbgut – egal ob aus gesundheitlichen oder anderen Gründen. ERZÄHLER:Vom Juli 1933 stammte das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“, das staatlich verordnete Zwangssterilisationen erlaubte und im Laufe der Jahre systematisch erweitert wurde, ebenfalls 1933 „Gesetz über Förderung der Eheschließungen“, Juni 1935 „Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“, September 1935 „Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“, Oktober 1935 „Ehegesundheitsgesetz“ ... ERZÄHLERIN:Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges war der normale Alltag außer Kraft gesetzt. Die Nationalsozialisten begannen mit der Ermordung all jener, die sie vorher gesellschaftlich ausgegrenzt hatten. Um die Mordaktion zu verschleiern, trat die Zentraldienststelle T4 nach außen hin je nach Bedarf unter verschiedenen Tarnnamen auf. ERZÄHLER:Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten, Gemeinnützige Stiftung für Anstaltspflege, Gemeinnützige Krankentransport GmbH und Zentralverrechnungsstelle Heil- und Pflegeanstalten. ERZÄHLERIN:Im Deutschen Reich gab es etwa 800 psychiatrische Einrichtungen. Initiiert durch die Zentraldienststelle T4 in Berlin wurden ab Oktober 1939 sechs der großen Pflegeanstalten gemietet oder beschlagnahmt: ERZÄHLER:Als erstes Schloss Grafeneck in Württemberg, weitere folgten in Brandenburg an der Havel, Bernburg an der Saale, Hartheim bei Linz, Hadamar bei Limburg und auf Schloss Sonnenstein bei Pirna. ERZÄHLERIN:Gaskammern und Krematorien wurden eingebaut und zuverlässiges Personal angeworben: Verwaltungspersonal, Fahrer für die Deportationen, Leichenbrenner, Ärzte, die das Töten der Patienten übernahmen. O-TON3 HOHENDORF 43‘‘Bei der Rekrutierung wurde den Leuten noch nicht klar gesagt, was auf sie zukommt. Die wurden also so sukzessive damit konfrontiert. Man hat die Aktion im Groben erläutert. Aber dass es sich tatsächlich um ein industrielles Massenvernichtungs-Programm gehandelt hat, das ist, glaub ich, vielen erst klargeworden, als sie dann tatsächlich in den Tötungsanstalten angekommen sind. Angedeutet wurde das in jedem Fall, verklausuliert formuliert, aber die ganz konkrete brutale Umsetzung – die haben sie, denke ich, vor Ort erfahren. ERZÄHLER: Unter dem Decknamen Doktor Schmitt war der junge Arzt Aquillin Ullrich 1940 einige Monate in der Tötungsanstalt in Brandenburg tätig – als Vertreter des Leiters Irmfried Eberl, der als Arzt für die Ermordung zuständig war. Nach dem Krieg sagte Ullrich aus, dass er – wie für die Ärzte vorgeschrieben – bei der Untersuchung der entkleideten Opfer und bei der sich daran anschließenden Ermordung in der Gaskammer beteiligt war. Aus seiner Studentenzeit kannte Ullrich den Würzburger Professor für Psychiatrie Werner Heyde, der von Beginn an in die Euthanasie-Morde verwickelt war. Heyde hatte ihm von der Aktion erzählt und gefragt, ob er als Assistenzarzt beim Zitat: „Einschläfern“ ausgewählter Patienten mitarbeiten wolle. Nach einiger Bedenkzeit hatte er zugesagt, weil er – so sagte er aus – den „unheilbar Kranken“ bei der Erlösung von ihren Leiden habe helfen wollen. Bei seinem ersten Besuch in der Tötungsanstalt Brandenburg sei ihm klargeworden, dass es sich um industriellen Massenmord handle, er habe sich niedergeschlagen gefühlt, habe aber nicht den Mut aufgebracht abzusagen. ERZÄHLERIN:Aquillin Ullrich warb Studienfreunde für die T4 Aktion und wechselte Ende 1940 in die Zentraldienststelle nach Berlin, wo er in der Planungsabteilung arbeitete. Mit großem bürokratischen Aufwand plante und organisierte die Berliner Zentrale die Morde – nicht zuletzt auch aus Gründen der Verschleierung. In Zusammenarbeit mit dem Reichsministerium des Inneren erfolgte die Auswahl der Opfer mittels Meldebogen – O-TON4 HOHENDORF 38‘‘…wo gefragt wurde nach der Diagnose der Erkrankung, nach der Dauer der Erkrankung, nach der Dauer der Anstaltsbehandlung, nach der Prognose, nach dem Kontakt zu Angehörigen und vor allem auch nach dem Verhalten. Und ganz am Ende sollte dann die Arbeitsfähigkeit in Prozent der Arbeitsleistung Gesunder eingeschätzt werden. Diese fehlende ökonomische Brauchbarkeit der Anstaltspatienten war das entscheidende Selektionskriterium der Aktion T4. ERZÄHLERIN:Die Direktoren der Heil- und Pflegeanstalten füllten die Meldebögen aus und schickten sie nach Berlin. Die Zentraldienststelle T4 verteilte sie dann an die psychiatrischen Gutachter, die in einem Kästchen am linken unteren Rand des Meldebogens ihr Urteil abgaben: ein rotes Kreuz stand für Liquidierung des Patienten; ein blaues Minus-Zeichen bedeutete, dass der Patient weiterleben durfte. Das war alles. Danach ging der Meldebogen an einen Obergutachter, der letztendlich über Leben und Tod entschied. Insgesamt waren etwa 40 Psychiater als Gutachter für die T4 Aktion tätig. Darunter waren Universitäts- und Anstaltspsychiater, die sich in den 1920er Jahren intensiv für die Reform der Psychiatrie eingesetzt hatten, nationalsozialistische Überzeugungstäter und auch solche, die sich eher als Verwaltungsbeamte verstanden und die Kosten in den überfüllten Anstalten reduzieren wollten. O-TON5 HOHENDORF 1‘12‘‘Der Großteil der Psychiater hat in den 1930er Jahren den Schwerpunkt seiner Arbeit auf Prävention gelegt und gesagt: Unsere Hauptaufgabe ist eigentlich das deutsche Volk auf erbliche psychiatrische Erkrankungen zu screenen, das Sterilisationsprogramm zu unterstützen und an einem großen Erlösungswerk teilzuhaben. Und ich glaube, dass dies es den Psychiatern erleichtert hat, die Patienten dann auch letztlich den Deportationen der Aktion T4 auszuliefern. Es gibt eine enge Verknüpfung zwischen Heilen und Vernichten, also zwischen der Idee, dass man die unheilbaren Patienten, die sich auch durch die damals modernen Schocktherapieverfahren therapeutisch nicht positiv beeinflussen lassen, dass man diese Patienten loswird, um die damit verbundenen Ressourcen lieber für die heilbaren Patienten einzusetzen. ERZÄHLERIN:Die Direktoren der Pflege- und Heilanstalten wurden nicht offiziell darüber informiert, welchen Zweck die Erfassung durch die Meldebogen hatte. Spätestens aber als die ersten Transportlisten kamen mit den Namen von denjenigen, die verlegt werden sollten, war klar, dass es sich nicht nur um eine Erfassung für bürokratische Zwecke handelte. Unter dem Decknamen „Gemeinnützige Krankentransport GmbH“ organisierte die Zentralstelle die Deportationen in die Tötungsanstalten. Pro Transport wurden 40 bis maximal 150 Personen abgeholt: Menschen mit körperlichen oder geistigen Handicaps, mit psychischen Störungen, chronischen Krankheiten, Lernschwierigkeiten, Menschen aus allen Schichten der Gesellschaft, Akademiker, Kaufleute, Handwerker, Arbeiter, Menschen, die sozial auffällig waren – etwa als Obdachlose oder Prostituierte. O-TON6 HOHENDORF 39‘‘Im Grunde genommen setzen sich die T4 Opfer zusammen aus den Menschen, die damals aus den unterschiedlichsten Gründen heraus in Heil- und Pflegeanstalten eingewiesen wurden, weil sie als psychisch krank angesehen waren, weil sie mit den Leistungsanforderungen der NS Volksgemeinschaft nicht zurecht gekommen sind, weil sie vielleicht auch Straftaten begangen haben oder auf der Straße auffällig geworden sind, von der Polizei aufgegriffen wurden und dann eben in eine Heil- und Pflegeanstalt kamen. ERZÄHLERIN:Die Tötungsanstalten gaben sich den Schein einer normalen Heil- und Pflegeanstalt. Das Personal trug weiße Kittel. Bei Ankunft wurden die Männer und Frauen in einen Aufenthaltsraum gebracht, wo sie sich unter dem Vorwand einer Untersuchung ausziehen mussten. Anschließend wurden sie Ärzten wie Aquillin Ullrich vorgeführt, die ihre Identität überprüften, kontrollierten, ob die Entscheidung eines Obergutachters vorlag und entschieden, welche Todesursache offiziell angegeben werden sollte. Unter dem Vorwand, dass sie eine Dusche nehmen sollten, wurden die Gruppen dann geschlossen in die Gaskammern geführt. Das Einführen von Kohlenmonoxid war die Aufgabe der Ärzte. Durch ein Sichtfenster konnten sie das Sterben der Menschen beobachten. Nach einer knappen halben Stunde wurde der Gashahn zugedreht, die Gaskammern entlüftet und die Leichen dann ein bis zwei Stunden später von Pflegern in einen Totenraum gebracht, wo ihnen vor ihrer Verbrennung im Krematorium Goldzähne herausgenommen wurden. ERZÄHLER:   Schloss Grafeneck bei Reutlingen: 9.839 Ermordete; Brandenburg an der Havel: 9.772 Ermordete; Bernburg an der Saale: 8.601 Ermordete; Hadamar in Nordhessen: 10.072 Ermordete; Hartheim bei Linz: 18.269 Ermordete; Schloss Sonnenstein bei Pirna 13.720 Ermordete. ERZÄHLERIN:   Jeder Tötungsanstalt war ein Standesamt angeschlossen. Es stellte die Sterbeurkunden für die Ermordeten aus, die den Hinterbliebenen mit einem Begleitschreiben zugesandt wurden. ERZÄHLER:   In diesen sogenannten „Trostbriefen“ drückten die Verantwortlichen ihr Bedauern aus, gaben natürliche Todesursachen wie Hirnschlag an und verwiesen darauf, dass nach dem langen unheilbaren Leiden der Tod sicher eine Erlösung gewesen sei. ERZÄHLERIN:Trotz strengster Geheimhaltung machten Gerüchte die Runde. Die grauen Busse, der Rauch über den Tötungsanstalten, der Gestank nach verbrannten Leichen … Das massenhafte Sterben der Psychiatriepatienten und -patientinnen sorgte für Aufsehen in der Öffentlichkeit. Im Frühjahr 1940 wussten oder ahnten zumindest weite Teile der Bevölkerung, was in den Tötungsanstalten vor sich ging. Widerstand und Protest regte sich insbesondere in kirchlichen Kreisen. Katholische und evangelische Bischöfe haben sich mit Eingaben an das Justizministerium gewandt, Staatsanwälte Ermittlungsverfahren eingeleitet. Doch der Versuch, die Morde auf legalem Weg zu stoppen, hatte keinen Erfolg. O-TON7 HOHENDORF 29‘‘Das einzige was Erfolg hatte, war der öffentliche Protest. Und den hat beispielhaft der Bischof von Münster, Graf von Galen, in seiner Predigt am 3. August 1941 in der Lambertikirche in Münster umgesetzt, wo er öffentlich über die Deportation der Münsteraner Psychiatriepatienten berichtet hat. ERZÄHLERIN:Die mutige Predigt Graf von Galens gegen die Euthanasiemorde schlug hohe Wellen in der Öffentlichkeit. Um die Bevölkerung zu beruhigen, ließ Adolf Hitler im August 1941 die Mordaktion unterbrechen. Die Zentraldienststelle T4 in Berlin stellte ihre Tätigkeit zwar nicht ein, die Meldebogenerfassung ging weiter, aber die Deportationen der Patienten aus den Heil- und Pflegeanstalten fanden nicht mehr statt. Die Tötungsanstalten haben das Morden zum Teil ganz eingestellt. Andere hatten eine neue Opfergruppe. ERZÄHLER:In den Gaskammern in Bernburg an der Saale, auf Schloss Sonnenstein bei Pirna und in Hartheim bei Linz wurden Häftlinge aus Konzentrationslagern ermordet, die als arbeitsunfähig galten. ERZÄHLERIN:Neben der Ermordung der etwa siebzigtausend Patienten und Patientinnen, die von der Berliner Zentraldienststelle T4 aus den psychiatrischen Anstalten deportiert wurden, ließen die Nationalsozialisten noch weitere Zehntausende von Menschen unter dem Deckmantel der Euthanasie töten. Bereits seit 1939 wurden im Reichsgebiet Kinder und Jugendliche mit geistigen oder körperlichen Handicaps in extra dafür eingerichteten Kinderfachabteilungen ermordet. In den besetzten Ostgebieten wurden Psychiatrieinsassen erschossen, mit Gas oder wie auch immer getötet. Und in den psychiatrischen Anstalten vor Ort wurden ab August 1941 Patienten zwar nicht mehr von Bussen abgeholt und in den Tötungsanstalten ermordet, aber man forcierte ihr Sterben auf verschiedenste Art und Weise. Die Sterblichkeit in den Heil- und Pflegeanstalten stieg rapide an: von etwa 5 Prozent Ende der 1930er Jahre auf 20, 30 oder 40 Prozent in einzelnen Anstalten. O-TON8 HOHENDORF 58‘‘Das hatte natürlich System, das bedeutet, dass man durch die Sparmaßnahmen und die schlechte Versorgung der Patienten einen deutlichen Anstieg der Sterblichkeit, insbesondere beispielsweise an Infektionskrankheiten, an Tuberkulose, bewusst in Kauf genommen hat. Und diese deutliche Erhöhung der Sterblichkeit, die muss man eigentlich zu den dezentralen Formen der Euthanasie rechnen. Und dann kommt man letztlich zu dem Ergebnis, dass durch Vernachlässigung, schlechte medizinische Versorgung, durch Verhungernlassen, aber auch durch überdosierte Medikamente in den Heil- und Pflegeanstalt noch deutlich mehr Patienten gestorben sind und zu Tode gebracht wurden, als der Aktion T4 zum Opfer gefallen waren. Dadurch erklärt sich auch die hohe Gesamtopferzahl geschätzt mit den besetzten Gebieten auf 300.000. ERZÄHLERIN:In den nationalsozialistischen Mörder-Kreisen diskutierte man immer wieder die Möglichkeit, die Morde durch ein Euthanasie-Gesetz zu legalisieren. Doch Adolf Hitler war dagegen. Noch wollte er kein Euthanasie-Gesetz, weil er sich damit öffentlich zu der Ermordung von Patienten psychiatrischer Anstalten hätte bekennen müssen. Er hatte Angst vor Widerstand und Protest in der Bevölkerung. O-TON9 HOHENDORF 48‘‘Er hat gedacht, wir können die Euthanasie, die Vernichtung lebensunwerten Lebens, eigentlich erst dann in unsere Lebensform integrieren, ja, also Euthanasie als normaler Bestandteil der medizinischen Norm psychiatrischen Versorgung, wenn das deutsche Volk reif dafür ist und wenn der Widerstand der Kirche gebrochen ist. Und das erhoffte man sich eben erst nach dem Endsieg. Da wollte man alles offenlegen. Und da wollte man mit allen Gegnern abrechnen. ERZÄHLERIN:Vorerst jedoch begannen die Massenmorde an der jüdischen Bevölkerung in den besetzten Ostgebieten. Die Zentraldienststelle T4 in Berlin stellte morderprobte Experten zur Verfügung: Köche, Fahrer, Kuriere, Krankenpfleger, Leichenbrenner, aber auch Führungspersonal, das sich mit Gas-Massenmorden auskannte. Sie fanden ein neues Aufgabengebiet in den Todeslagern Belzec, Sobibor und Treblinka, in deren Gaskammern 1942/43 innerhalb weniger Monate ein bis zwei Millionen jüdische Männer, Frauen und Kinder getötet wurden.
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Jan 24, 2025 • 23min

NS-TERROR - Eingeschleust nach Auschwitz

Witold Pilecki war wohl der einzige Häftling, der freiwillig im KZ Auschwitz war. Unter falschem Namen berichtete der polnische Untergrundkämpfer von 1940 bis 1943 den Alliierten von den Zuständen im Lager. Von Niklas Nau (BR 2017) Credits Autor: Niklas Nau Regie: Sabine Kienhöfer Es sprachen: Katja Amberger, Stefan Merki Technik: Christiane Gerheuser-Kamp Redaktion: Thomas Morawetz Im Interview: Giles Bennett Linktipps: BR (2023): Verfolgt. Versteck. Verschleppt. – Die letzten Überlebenden des Holocaust   Am 27. Januar 1945 wurde das Nazikonzentrationslager Auschwitz befreit. Innerhalb weniger Jahre sind dort über eine Million Menschen vernichtet worden. Der nationalsozialistischen Tötungsmaschinerie entkamen nur wenige. Thomas Muggenthaler berichtet über die letzten Überlebenden des Holocaust und ihre exemplarischen Geschichten aus Bayern. JETZT ANHÖREN arte (2019): Geboren in Auschwitz 1944 brachte eine junge Jüdin in Auschwitz ein Baby zur Welt. Das Kind wurde Angela genannt und wog nur ein Kilo. Die Mutter versteckte Angela fünf Wochen lang – bis zur Befreiung des Todeslagers. - Eine Dokumentation über zwei Generationen von Frauen, die entschlossen sind, sich von dem Schrecken von Auschwitz und den anhaltenden transgenerationalen Wunden zu befreien. JETZT ANSEHEN Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte: Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun? DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend. Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.  Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de. Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Alles Geschichte JETZT ENTDECKEN Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript: MUSIK & ATMO Straßenatmosphäre, Schreie   SPRECHERIN 19. September 1940, 6 Uhr morgens. Razzia im besetzten Warschau. Die SS treibt aufgegriffene Männer in Fünfergruppen zusammen. Einer von ihnen trägt einen Pass mit dem Namen Tomasz Serafiński bei sich. Doch der Pass ist falsch, und der Mann, der ihn bei sich trägt, hat sich absichtlich festnehmen lassen, um nach Auschwitz verfrachtet zu werden. Tatsächlich heißt er Witold Pilecki und ist ein polnischer Untergrundkämpfer. Er ist wohl der einzige Mensch der Welt, der freiwillig ins Konzentrationslager Auschwitz geht. 945 Tage wird Pilecki dort zubringen und später alles genau niederschreiben. Tag 1: Ankunft im Lager:    ZITATORWir wurden auf eine größere Gruppe Scheinwerfer zugetrieben. Unterwegs wurde einem von uns befohlen, zu einem Posten am Straßenrand zu laufen; ein kurzer Feuerstoß aus einer automatischen Waffe mähte ihn nieder. Zehn Mann wurden willkürlich aus der Gruppe herausgezerrt und als „Kollektivstrafe“ für den von der SS inszenierten „Fluchtversuch“ mit Pistolen erschossen. Die elf Leichen wurden dann mit Stricken an den Beinen hinterhergeschleift, die Hunde auf die blutigen Körper gehetzt. All das unter Gelächter und Scherzen. Wir kamen zu einem Tor in einem Stacheldrahtzaun, über dem „Arbeit macht frei“ zu lesen stand. Erst später verstand ich, was das bedeutete. MUSIK SPRECHERINAuschwitz. Ein Name, der gleichbedeutend geworden ist mit der Vergasung von Millionen Juden durch die Nazis. Doch bei seiner Errichtung 1940 hat das Lager einen anderen Zweck, erklärt Giles Bennett vom Zentrum für Holocaust-Studien  am Institut für Zeitgeschichte in München. GILES BENNETT 1Das, was wir heute Vernichtungslager nennen, war es nicht, es gab keine industrielle Massenvernichtung, und es gab dort auch noch keine Vergasung. Am Anfang, 1940, ist das Lager Auschwitz ganz klar gegründet, um die polnischen Eliten zu unterdrücken. In den Augen Hitlers, in den Augen des Nationalsozialismus galten die slawischen Völker, darunter die Polen, als – in Anführungszeichen – minderwertig. Und Ziel war es, die Eliten Polens zu zerstören, um aus ihnen ein – in Anführungszeichen –  anführerloses Sklavenvolk zu machen. SPRECHERINIn dieses Lager kommt Witold Pilecki. Ein Foto zeigt ihn in gestreifter Lageruniform, die Haare kurz rasiert, mit der Häftlingsnummer 4859. Scharf geschnittene Nase, buschige Brauen und tief liegende Augen, in denen man glaubt, Entschlossenheit zu sehen. Ein polnischer Patriot. Später beschreibt er die Erlebnisse in einem Bericht, der unter dem Titel "Freiwillig nach Auschwitz" von Orell Füssli auch auf Deutsch herausgegeben wurde. Darin schildert Pilecki, warum er nach Auschwitz gekommen ist: ZITATORDie Hauptaufgabe war: Die Einrichtung einer militärischen Organisation, um die Moral der Kameraden zu stärken, indem ich Nachrichten aus der Außenwelt beschaffte und weitergab; wann immer möglich, Nahrungsmittel und Kleidung zu organisieren und unter den Mitgliedern zu verteilen; Informationen aus dem Lager an die Außenwelt weiterzuleiten und, als krönenden Abschluss, unsere eigenen Kräfte aufzustellen, um das Lager zu übernehmen, wenn die Zeit reif war, uns durch Fallschirmtruppen oder abgeworfene Waffen zu unterstützen. SPRECHERINDie Ausgangsbedingungen, die Pilecki für diese Aufgabe bei seiner Ankunft im Lager vorfindet, erscheinen ihm auf entsetzliche Weise – günstig. MUSIK ZITATOR Krankenmann war dafür zuständig, die fast täglichen Häftlingszugänge so schnell wie möglich umzubringen. Sein Charakter war für diese Aufgabe besonders gut geeignet. Wenn jemand versehentlich einige Zentimeter zu weit vorne stand, rammte ihm Krankenmann das Messer, das er im rechten Ärmel trug, in den Bauch. Wer davor so viel Angst hatte, dass er zu weit zurückwich, bekam von diesem Mörder einen Messerstich von hinten in die Nieren, während er durch die Reihen lief. Der Anblick des schreiend zusammenbrechenden Häftlings, dessen Beine im Sand scharrten, brachte Krankenmann in Wut. Er sprang dem Mann auf die Brust, trat ihm in die Nieren und in die Genitalien und brachte ihn so schnell wie möglich um, während wir gezwungen waren, schweigend zuzusehen. Der Anblick traf uns wie ein elektrischer Schlag. Dann spürte ich einen einzigen Gedanken, der diese Schulter an Schulter aufgestellten Polen durchlief. Ich spürte, dass wir alle endlich durch dieselbe Wut vereint waren, in einem Durst nach Rache. Ich spürte, dass ich hier die perfekte Umgebung für meine Arbeit finden würde, und empfand tatsächlich so etwas wie Freude… SPRECHERIN: Der brutale Krankenmann ist dabei kein Angehöriger der SS, sondern Teil eines perfiden Systems, das die SS schon im „Modell-Lager“ Dachau entwickelt hat: Aus den Reihen der Gefangenen werden Vorarbeiter – sogenannte Kapos – sowie Blockälteste und Lagerälteste ausgewählt. Funktionshäftlinge: GILES BENNETT 2Diese Funktionshäftlinge, die hatten durch ihre Position gewisse Privilegien, also ein eigenes getrenntes Bett, mehr zu essen, ein bisschen andere Kleidung. Gleichzeitig mussten sie dann auch die Befehle der SS tatsächlich umsetzen – und hatten dabei aber manchmal auch kleine Spielräume, also wenn es hieß, du musst fünf Leute von deinem Block in das schlechte Arbeitskommando schicken, dann konnte der Funktionshäftling oft entscheiden, welche fünf das waren. SPRECHERINDoch viele der – anfangs meist deutschen - Funktionshäftlinge gehen mit besonderer Brutalität gegen ihre Mitgefangenen vor, wie etwa Krankenmann. GILES BENNETT 3Solche Dinge passieren auch, wenn man Menschen die Möglichkeit dazu einfach gibt, ihren niedersten Instinkten nachzugehen. Und man darf auch nicht vergessen, auch jeder Funktionshäftling befindet sich in einem Kampf ums nackte Überleben. Es ist also eine künstlich durch die SS hergestellte Situation, in der es einen Kampf aller gegen alle grundsätzlich ums Überleben gibt. Und das ist denke ich auch ein Grund, warum dann diese Positionen von „ein kleines bisschen Macht“ – nicht von allen aber von vielen Funktionshäftlingen – so missbraucht wurden. SPRECHERINIn den Auschwitzprozessen nach Kriegsende werden mehrere Funktionshäftlinge wegen mehrfachen Mordes oder Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord zu lebenslanger Haft verurteilt. Krankenmann ist nicht darunter. Er war schon 1941 bei der SS in Ungnade gefallen und auf dem Weg in ein anderes Lager entweder von seinen Mithäftlingen erhängt, oder später mit ihnen vergast worden. MUSIK SPRECHERINPilecki beginnt mit dem Aufbau seiner Organisation. Er organisiert Mithäftlinge, von denen er viele noch aus dem polnischen Untergrund kennt, in Fünfergruppen. MUSIK Einzelne Zellen, die vorerst nichts voneinander wissen sollen, damit bei der Enttarnung einer Zelle nicht die gesamte Organisation gefährdet wird. Doch mit steigender Anzahl der Zellen gibt es zufällige Aufeinandertreffen: ZITATOR Mehr als einmal kam ein Angehöriger dann zu mir und berichtete: „Übrigens, da ist noch irgendeine andere Organisation als unsere im Lager tätig.“ Ich sagte dann immer, er solle sich keine Gedanken machen. SPRECHERINAuch andere Häftlinge gründen in Auschwitz Widerstandsgruppen, mit denen Pileckis Organisation teilweise zusammenarbeitet. Schon relativ bald nach seiner Ankunft, im November 1940, gelingt es Pilecki außerdem, mittels eines freigekauften Häftlings, der zu seiner Organisation gehört, einen ersten Bericht an seine Vorgesetzten in Warschau zu schicken. Ab jetzt werden weitere Berichte über verschiedene Kanäle folgen, die der Welt Informationen über die Zustände im Lager liefern. GILES BENNETT 4 '41 kommt der erste längere Bericht, wo auf Grundlage seiner Informationen im polnischen Untergrund ein Bericht über Auschwitz verfasst wird, nach London übermittelt wird, über Kuriere meistens, über Funksprüche, wo sehr viele Leute also ihr Leben riskiert haben, um diese Informationen nach draußen zu bringen. Und diese Informationen hat die polnische Exilregierung dann auch an die anderen Alliierten weitergegeben. SPRECHERINPilecki hofft, dass die Alliierten durch seine Informationen überzeugt werden, das Lager zu bombardieren oder zumindest Waffen für einen Aufstand abzuwerfen. Dann will er das Lager mit seiner Organisation übernehmen. Doch Generalleutnant Peirse, Oberbefehlshaber des britischen Bomberkommandos, erklärt 1941, dies sei momentan unmöglich. Die britischen Bomber würden für Einsätze gegen die deutsche Industrie gebraucht, und bei Angriffen auf Auschwitz würde man wahrscheinlich lediglich selbst Häftlinge töten. Pilecki plant langfristig – und weiß selbst doch nie, ob er den nächsten Tag noch erleben wird. In Auschwitz gibt es viele Möglichkeiten, zu sterben. Anfang 1941 kämpft Pilecki im läuseverseuchten Lazarett, das viele Häftlinge nicht mehr lebend verlassen, mit einem schweren Fieber; wahrscheinlich aufgrund einer Lungenentzündung. ZITATOR Im Sommer war es eine Zeit lang verboten gewesen, die Fenster zu öffnen – die Kranken hätten sich ja erkälten können. Alle litten unter der Hitze und dem Gestank. Jetzt, bei scharfem Frost, wurden zweimal täglich alle Fenster aufgerissen und der Krankenbau ausführlich gelüftet. SPRECHERINAm dritten Tag kann Pilecki Kontakt zu einem polnischen Arzt aufnehmen, der Pfleger im Lazarett ist – und eines der ersten Organisationsmitglieder. ZITATOR Wenn du mich nicht sofort rausholst, verbrauche ich meine letzten Kräfte im Kampf gegen die Läuse. In meinem jetzigen Zustand habe ich es nicht mehr weit bis zum Schornstein des Krematoriums.  SPRECHERIN Der Arzt schafft es, ihn auf eine andere Station zu verlegen, ihm Decken und Medizin zu verschaffen. Pilecki entkommt dem Krematorium – dank seines langsam wachsenden Netzwerkes. MUSIK SPRECHERINIm Jahr 1941 werden einige der Häftlinge, die bei Straßenrazzien aufgegriffen wurden, von ihren Familien aus Auschwitz freigekauft. Eine Chance für Pilecki, das Lager zu verlassen. Er hat bereits reichlich Informationen gesammelt und mit dem Aufbau des Widerstandes begonnen. Außerhalb des Lagers warten seine Frau und seine zwei Kinder. Doch in seinen Bericht schreibt er später: ZITATOR (S. 114)Die Aufgabe, die ich auszuführen begonnen hatte, nahm mich inzwischen aber so völlig in Anspruch, dass ich mir, seit mein Plan in Gang gekommen war, wirklich Sorgen machte, dass meine Familie mich womöglich freikaufen und so mein Spiel durchkreuzen würde, denn auch ich saß ja ohne Anklage hier und war bloß bei einer Razzia aufgegriffen worden. Ich durfte meine Aufgabe hier natürlich nicht erwähnen und schrieb deshalb an meine Familie, es gehe mir gut, sie sollten meinen Fall nicht wieder aufbringen, und ich wolle bleiben und abwarten, was das Schicksal für mich bereit halte. MUSIK SPRECHERINAls Hitler im Sommer 1941 die Sowjetunion überfällt, wird in Auschwitz zum ersten Mal das Giftgas Zyklon B gegen sowjetische Kriegsgefangene eingesetzt. Pilecki berichtet von einer dieser Vergasungen, bei der mehrere hundert sowjetische Offiziere in einen Raum gesperrt werden. ZITATOR Am Abend traf eine Gruppe deutscher Soldaten unter Führung eines Offiziers ein. Die Gruppe betrat den Raum, legte Gasmasken an, warf einige Behälter mit Gas hinein und beobachtete die Auswirkungen. Kameraden von uns, die als Pfleger arbeiteten und am folgenden Tag die Leichen bergen mussten, erzählten, wie schrecklich es war. Die Männer waren so dicht zusammengequetscht, dass sie sogar als Tote nicht umfallen konnten. SPRECHERINRudolf Höß, der Lagerkommandant von Auschwitz, schreibt in seinen Aufzeichnungen, der Anblick der vergasten Menschen habe ihn damals beruhigt. Denn es müsse ja „in absehbarer Zeit mit der Massen-Vernichtung der Juden begonnen werden“, und nun habe man endlich die richtige Methode dafür entdeckt. Pilecki selbst reagierte damals noch naiv, als ihm ein Mitglied seiner Organisation von der Vergasung berichtet: ZITATOR Er war sehr verstört und kam schnell zu der Vermutung, dass diesem Versuch weitere folgen würden, womöglich mit Häftlingen. Das erschien damals noch unwahrscheinlich. MUSIK SPRECHERINDer polnische Untergrund im Lager Auschwitz ist langsam stark genug, um mehr zu tun, als seine Leute in guten Arbeitskommandos zu platzieren und einige der Kapos auf seine Seite zu ziehen. Er schafft regelmäßig Informationen nach draußen und erhält Medizin und andere Hilfsgüter, etwa über zivile Arbeiter, die im Lager ein und aus gehen können. 1942 bauen die Widerständler aus Einzelteilen einen funktionierenden Radiosender zusammen und berichten der Außenwelt über das Lager. Die Lagerleitung tobt, und bald müssen sie den Sender wieder abbauen, um nicht aufzufliegen. Als Fleckfieber, von Pilecki als Typhus bezeichnet, unter den Häftlingen ausbricht, versucht sich der Untergrund sogar in biologischer Kriegsführung. ZITATOR Im Labor des Krankenbaus züchteten wir typhusinfizierte Läuse und setzten sie bei jedem Apell und bei Blockinspektionen den SS-Männern auf die Mäntel. SPRECHERINWelchen Anteil die Aktion daran hat, lässt sich nicht genau sagen, doch in den folgenden Monaten sterben mehrere Mitglieder der SS an Fleckfieber. Einer der größten mutmaßlichen Erfolge des Untergrunds ist, dass Lagerkommandant Höß seinen Posten vorübergehend räumen muss. Wohl deshalb, weil zu viele grausame Vorgänge aus dem Lager durch den Widerstand an die Weltöffentlichkeit gelangt waren. Doch die Vorgänge selbst kann der Widerstand nicht aufhalten. Neben dem bestehenden KZ Auschwitz wird ein neues Lager errichtet - das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. GILES BENNETT 5Man beginnt dann ab der ersten Jahreshälfte 1942 im Stammlager Ausschwitz vor allen Dingen aber im neu damals zur errichtenden Lager Auschwitz 2, Auschwitz-Birkenau, in zwei umgebauten Bauernhäusern damit, Vergasungen durchzuführen mit Zyklon B, also mit Zyankali. Und da beginnt der Charakter von Auschwitz eine zusätzliche Dimension zu bekommen. Es bleibt die ganze Zeit auch ein Konzentrationslager, und ab dieser Zeit bekommt es zusätzlich den Charakter eines Vernichtungslagers, das heißt die Funktion dieses Lagers wird erweitert. MUSIK SPRECHERINAb Sommer 1942 werden fast jeden Tag mehrere hundert, manchmal auch mehrere tausend Juden in den Gaskammern von Auschwitz-Birkenau getötet, die anderen zu Arbeit für die deutsche Rüstungsindustrie gezwungen. ZITATOR (S.157)Man teilte sie in zwei Gruppen. Männer und Jugendliche über dreizehn bildeten die eine, Frauen und alle Kinder unter dreizehn die andere. Das geschah unter dem Vorwand, dass sie jetzt duschen würden und man sie, weil sie sich dazu ausziehen mussten, des Schamgefühls wegen trennte. Auch die Kleidung mussten die Angehörigen beider Gruppen auf großen Haufen deponieren, die angeblich zur Desinfektion gingen. Jetzt bekamen die Menschen wirklich Angst, dass ihre Kleidung und Unterwäsche durcheinandergeraten würden. Dann gingen sie zu Hunderten, Frauen und Kinder von den Männern getrennt, in die Gebäude, wo sich angeblich die Duschen befanden. In Wirklichkeit waren es die Gaskammern. SPRECHERINEs wird noch bis Ende 1943 dauern, bis Auschwitz zum Zentrum der Judenvernichtung wird – dies sind im Moment noch die Vernichtungslager Belzec, Sobibor und Treblinka. Doch auch jetzt schon ist Auschwitz ein großindustrieller Schlachthof für Menschen. MUSIK SPRECHERINAuch im Stammlager werden die Häftlinge nun nicht mehr wahllos totgeprügelt. Der Tod kommt nun auch hier mit kalter Präzision. Erschießungen, Gas, Phenolspritzen. Doch groteskerweise sind die Bedingungen für die polnischen Häftlinge im Lager, die nicht durch Todesspritzen oder an der Erschießungswand sterben, besser als vielleicht jemals zuvor. Ihre Arbeitskraft wird gebraucht, Misshandlungen sind seltener geworden, sie dürfen sogar Lebensmittelpakete empfangen. Der Widerstand ist inzwischen gut organisiert und vernetzt, besitzt laut Pilecki sogar Nachschlüssel für die Waffenlager MUSIK Kommt es jetzt bald zum Aufstand, den Pilecki sich erträumt hat? Im Frühjahr 1943 verlegt die Lagerleitung tausende von polnischen Häftlinge in andere Lager. Pileckis Organisation wird auseinandergerissen. ZITATOR (S.212)Da entschied ich, dass es jetzt zu schwierig sei, hier noch weiterzumachen. Nach zweieinhalb Jahren hätte ich mit „neuen Jungs“ völlig von vorne beginnen müssen. SPRECHERINPilecki beschließt, das Lager zu verlassen. GILES BENNETT 6Ich kann nicht in seinen Kopf blicken, und wir haben im Wesentlichen zu dieser Frage Aufzeichnungen, die ein, zwei Jahre später unter anderen Voraussetzungen aufgeschrieben wurden. Ich denke, dass es sicher ein Ursachenbündel ist. Es ist wahrscheinlich die sich verändernde Situation im Lager, der zunehmende Druck auf die Widerstandsorganisation im Lager, das Scheitern eines großen Aufstandsversuchs, aber es geht auch darum, dass er ausführliche Informationen über das Lager nach außen bringen möchte. Und so einen langen Bericht wie er ihn da geschrieben hat, den kann er eigentlich nur nach einer Flucht schreiben. MUSIK SPRECHERINPilecki legt die Zukunft der Organisation in die Hände seiner Vertrauten im Lager und plant seine Flucht. Er schleust sich und zwei Mithäftlinge mit Unterstützung seines Netzwerkes in die Nachtschicht der Bäckerei ein, die außerhalb des Lagers liegt. Mithilfe eines vorher nachgemachten Schraubenschlüssels öffnen sie heimlich die schwere Stahltür nach draußen. MUSIK        ZITATORDann geschah das Unerwartete. Von einem sechsten Sinn oder einfach einem momentanen Einfall getrieben, ging der SS-Mann zur Tür hinüber, stellte sich dicht davor und inspizierte sie. (…) Wenn der SS-Mann plötzlich Alarm gab, würden wir uns auf ihn stürzen, ihn bewusstlos schlagen und fesseln müssen, ohne uns erst absprechen zu müssen. Fiel ihm denn nichts auf? Schlief er mit offenen Augen, dachte er an etwas anderes? Ich weiß bis heute nicht, warum er nichts bemerkte. SPRECHERINPilecki und seinen Begleitern gelingt die Flucht. Nach 945 Tagen in Auschwitz ist Pilecki wieder frei. Er hat überlebt. MUSIK   SPRECHERINNach seiner Flucht schreibt Pilecki mehrere Fassungen seines Berichts. Zusammen mit anderen Berichten werden seine Schilderungen Teil der Auschwitz-Protokolle, die 1944 die Alliierten detailliert über die Vernichtung in Auschwitz aufklären und vor dem bevorstehenden Mord an den ungarischen Juden warnen. Doch die Alliierten konzentrieren ihre Bombenangriffe weiter auf militärische Ziele. GILES BENNET 7Die Überlegungen resultierten in einer Entscheidung, je schneller wir diesen Krieg gewinnen, desto schneller hört die Verfolgung auf. Und man darf nicht vergessen, damals für Präzisionsbombardierung, nach den damaligen technischen Gegebenheiten und geographischen Gegebenheiten, die lange lange Flugstrecke,  das war eine hoch-schwierige, wahrscheinlich nicht wirklich mögliche Operation. Ein Flächenbombardement hätte immer auch bedeutet, die Häftlinge zu gefährden. Wir reden hier von einem Ziel am absoluten Limit der Bomberreichweiten. MUSIK SPRECHERIN1944: Innerhalb weniger Wochen werden 450.000 ungarische Juden nach Auschwitz deportiert und größtenteils sofort ermordet. Auschwitz ist zum Zentrum der Judenvernichtung geworden, als das wir es heute in Erinnerung haben. SPRECHERINNeueste Forschung stellt in Frage, ob die Idee, sich nach Auschwitz bringen zu lassen, wirklich Pileckis eigene war oder die einer seiner Vorgesetzten. GILES BENNETT 8  Es kann sein, dass ihm jemand da den Befehl gegeben hat, den er dann auch angenommen hat. Ich persönlich finde die Frage nicht so wichtig. „Freiwillig nach Auschwitz“ – das ist natürlich ein sehr plakativer Titel. Aber seine Leistung, seine Taten beschränken sich nicht in dieser einen Entscheidung. Sondern wir sehen hier jemanden, der bewusst, von der Freiheit seines Volkes überzeugt, sich in sehr gefährliche Situationen begibt. MUSIK Auch nach Auschwitz riskiert Witold Pilecki weiter alles. Er kämpft beim Warschauer Aufstand gegen die Deutschen. Er überlebt den Krieg und schließt sich im Nachkriegspolen dem antikommunistischen Untergrund an. Dann wird er von der kommunistischen polnischen Geheimpolizei festgenommen, gefoltert und 1948 nach einem Schauprozess hingerichtet. Ein imperialistischer Spion soll er sein, ein Vaterlandsverräter. Er, der ohne zu zögern für die Freiheit Polens nach Auschwitz ging.
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Jan 17, 2025 • 23min

ARBEITEN UND LEBEN IN DER FREMDE - Ziegelarbeit im 19. Jahrhundert

Bittere Armut trieb die Menschen in Norditalien dazu, sich in den Sommermonaten auf bayerischen Baustellen und Ziegeleien zu verdingen. Der Bauboom des späten 19. Jahrhunderts ist auch ihr Verdienst, doch die Lebens- und Arbeitsbedingungen waren drückend. Mit dem Ersten Weltkrieg kam diese Arbeitsmigration schlagartig zum Erliegen. Von Julia Devlin (BR 2024) Credits Autorin: Julia Devlin Regie: Christiane Klenz Es sprachen: Thomas Birnstiel, Caroline Ebner, Sebastian Fischer Technik: Robin Auld Redaktion: Thomas Morawetz Im Interview: Lambert Grasmann Linktipps: Alles Geschichte (2024): Kinderarbeit – bei uns doch nicht! Gertraud Seidl aus der Nähe von Augsburg ist stolz: Sie ist vier Jahre alt und darf nun endlich auch mit auf die Weide und ihren Schwestern beim Hüten der Kühe helfen. Es bleibt aber nicht bei dieser Aufgabe. Auf dem Bauernhof ihrer Eltern ist in den 1950er Jahren so viel zu tun, dass sie nur wenig Zeit zum Spielen und für die Schule übrig hat. Dabei macht ihr nichts so viel Spaß wie zu lesen und zu lernen. Als sie in der achten Klasse ist, treffen ihre Eltern hinter ihrem Rücken eine folgenschwere Entscheidung. Kinderarbeit war in Deutschland länger ein Thema, als die meisten denken: Bis in die 1980er Jahre mussten viele Kinder auch hierzulande hart arbeiten, sogar noch dann, als es schon längst Gesetze dagegen gab. JETZT ANHÖREN SWR (2021): Wie werden Ziegelsteine hergestellt? Ziegelsteine dienen seit tausenden von Jahren überall auf der Welt als wichtiger Baustoff. Für ihre Herstellung braucht man Ton, Lehm und heiße Öfen. Für die richtige Form sorgen Strangpressen. Moderne Ziegel haben Hohlräume, die eine bessere Schall- und Wärmedämmung bewirken. JETZT ANSEHEN Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte: Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun? DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend. Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.  Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de. Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Alles Geschichte JETZT ENTDECKEN Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript: MUSIK & ATMO Eisenbahn  ZITATOR Pietro MenisMeinen Einstand, meine erste Erfahrung in Deutschland erlebte ich zu Beginn des Jahrhunderts in der Ziegelei von Marktoberdorf in Bayern. Ich war noch keine elf Jahre alt und hatte nie zuvor einen Zug bestiegen, noch die Welt jenseits der Berge von Gemona gesehen. Dreißig Stunden dauerte die Fahrt in drei verschiedenen Zügen: einer bis zur Grenze bei Pontebba, ein zweiter durch Österreich bis Kufstein und ein dritter durch Ebenen, dichte Wälder und geschäftige Städte des fetten Bayern. Wie groß war doch die Welt! SPRECHERINSo beschrieb der Schriftsteller Pietro Menis, wie er im Jahr 1903 das erste Mal nach Bayern kam, um als "Mui", als Wegtrager in einer Ziegelei zu arbeiten. Er war zehn Jahre alt, und ihn quälte das Heimweh. ATMO Dampfzug ZITATOR Pietro Menis'Gleich sind wir da, "mui", packt eure Sachen.' Durch das beschlagene Fenster sah ich dichtes Schneetreiben. Kurz danach hielt der Zug unter einem kleinen Dach, unter das der Sturm den Schnee trieb. Ich zitterte vor Kälte und Angst. 'Um diese Zeit macht deine Mutter die Polenta!' sagte einer. Ich begann zu weinen; sie hatten ihr Ziel erreicht und lachten mit unmenschlichem Vergnügen. Ich erinnere mich, daß 'die Großen', die 'eisenharten' Ziegler, auch später, in den folgenden Jahren, ihren Sadismus auslebten, indem sie den Jüngsten ihre heiligste Zuneigung in Erinnerung riefen - die geliebten Gesichter in der Ferne. SPRECHERINPietro war einer von tausenden Italienern, die im 19. und frühen 20. Jahrhundert ihre ländlich geprägte Heimat in Norditalien verließen, um sich während der Sommersaison im Ausland zu verdingen. ZITATOR Pietro MenisDie 'Arbeit', die Ziegelei, befand sich in einem kleinen Tal zwischen einem Hügel, der rechts anstieg, und einem Fluß, der links hinunterfloß. 'Beim Morgengrauen geht's los. An die Mutterbrust könnt ihr euch im Herbst wieder werfen...' MUSIK SPRECHERINEs war die bittere Not, die die Menschen dazu zwang. Schon immer war es in den kargen Alpentälern schwer gewesen, sich ein Auskommen zu verschaffen, und Saisonwanderung, besonders von spezialisierten Handwerkern wie Terrazzolegern und Schmieden, aber auch von Krämern, hatte jahrhundertealte Tradition. Dann geriet die italienische Landwirtschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in eine Krise, da billige Agrarprodukte aus Russland und den USA auf den Markt kamen. Dies traf besonders die norditalienische Region Friaul schwer. Gleichzeitig wuchs die Bevölkerung stark an, vor allem, weil die Kindersterblichkeit erheblich zurückging. Die Menschen verarmten, denn es gab nicht genug Arbeitsplätze in der Nähe. Nun waren es nicht mehr nur die spezialisierten Handwerker, die saisonal nach Arbeit suchten, sondern vor allem ungelernte Kräfte. ATMO Baulärm SPRECHERAnders nördlich der Alpen. In der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts nahm die Industrialisierung im Deutschen Kaiserreich Fahrt auf, die Städte wuchsen, das Eisenbahnnetz verdichtete sich. Es gab immer mehr Arbeit, und immer mehr Baustellen. Gleichzeitig wurde es auch immer schwieriger, in den Sommermonaten genügend Arbeitskräfte für die Saisonarbeit zu finden. Mit Einheimischen war das nicht mehr zu stemmen - zumal am Ende des 19. Jahrhunderts eine Auswanderungswelle knapp zwei Millionen Deutsche nach Übersee geführt hatte. Da lag es nahe, ausländische Arbeitskräfte anzustellen. Sie waren bereit, die harte Arbeit zu leisten, die bei den Einheimischen nicht beliebt war. MUSIK SPRECHERINAuch Bayern boomte. Hier fanden vor allem Arbeitskräfte aus Italien Arbeit. Weil sie von jenseits der Alpen kamen, wurden sie "transalpini" genannt. Sie fanden - wie Pietro Menis - vor allem in den zahlreichen Ziegeleien Arbeit. Wo immer sich im lehmreichen Bayern im 19. Jahrhundert ein Vorkommen dieses Rohstoffs fand, wurde er alsbald abgebaut, zu Ziegeln verarbeitet und zu den nächstgelegenen Baustellen gebracht. Zahlreiche Ziegeleien gab es zum Beispiel um Augsburg und München. Die dort gefertigten Ziegel wurden für den Bau der rasch wachsenden Stadt benötigt, für die großen Kasernen, für die Pflasterung der Gehwege und Straßen und für die Tunnel der neuen Kanalisation. Die Städte waren ziegelhungrig, sie verschlangen Unmengen des Baustoffes. SPRECHERDoch auch anderswo, wo der Rohstoff Lehm zu finden war, entstanden aufgrund der großen Nachfrage Ziegeleien. So auch im niederbayerischen Vilsbiburg. Im Heimatmuseum der Stadt erfährt man viel zu der Ziegeleigeschichte. Lambert Grassmann hat hier in seiner Zeit als Direktor des Heimatmuseums die Abteilung "Ziegelpatscher und Ziegelbrenner im Vilsbiburger Land" eingerichtet. Im obersten Stockwerk des stattlichen Baus - dem ehemaligen Heilig-Geist-Spital aus dem Spätmittelalter- kann man seine Funde bewundern. SPRECHERINDa gibt es Dachziegel aller Formen und Größen, tönerne Wetterhähne, die hölzernen Formen, in denen der rohe Lehm gepresst wurde. Es gibt markierte Ziegelsteine, die Beschriftungen tragen, auf denen eine Zeichnungen eingeritzt ist oder ein Name. Dies sind die Feierabendziegel, bei denen sich ein Ziegler die Freude gemacht hat, einen Ziegel individuell zu verschönern. Anrührend das Exemplar, das den Abdruck einer kleinen Hand zeigt: Hier hat ein Kind, vielleicht so alt wie Pietro Menis, seine Hand in den noch feuchten Lehm gedrückt. Lambert Grasmann hat diese Exponate zusammengesucht. Wie er erzählt, hat er O-Ton Grasmann 1Darunter einen Ziegelstein erhalten, eine Bodenplatte, die bezeichnet ist: "Buia, Santi Angelo". Kein Mensch hat gewusst, was das bedeutet. SPRECHERDie quadratische Platte aus Ton stammte aus einem Bauernhaus der Umgebung. Sie war Teil des Fußbodenbelags gewesen. Jemand hatte sich große Mühe damit gegeben, in sorgfältigen Buchstaben in den noch feuchten Ton zu ritzen: Buia Santi Angelo.  O-Ton Grassmann 2Der Kreisheimatpfleger von Dingolfing, Fritz Markmüller, hat mir das aufgelöst: Buja ist eine Stadt, wo - aus dem Umkreis vor allem - Ziegler nach Bayern, in die Schweiz und nach Frankreich gewandert sind und haben Ziegel hergestellt. SPRECHERINBuja liegt im Friaul, einer Landschaft in Venetien im Nordosten Italiens. Die in Bayern tätigen transalpini kamen vor allem aus dieser Gegend. Lambert Grassmann hat sogar noch einen persönlichen Kontakt zu den transalpini herstellen können. O-Ton Grassmann 3Und ich habe einen alten Herrn gefunden, der ist mir verraten worden von der Gemeinde, einen Domenico Calligaro, dessen Vater in Vilsbiburg von 1883 bis 1908 Akkordant, also Ziegelmeister war, und der für die Anwerbung der Arbeiter, dann fürs Essen zuständig war, und auch für die Bezahlung, die er ja vom Ziegeleibesitzer erhalten hat, die hat er dann an die Arbeiter weitergegeben. SPRECHERINDie Akkordanten waren Zwischenunternehmer. Sie waren oft selber Ziegeleiarbeiter gewesen und beherrschten die benötigten Sprachen - deutsch, italienisch und das im Friaul gesprochene furlanisch. Vor Saisonbeginn handelten sie mit den Ziegeleibesitzern einen Vertrag aus. Darin wurde festgelegt, wieviele Steine zu liefern waren und wie die transalpini untergebracht und verpflegt würden. Auch der Preis für 1000 Stück Steine wurde ausgehandelt. Mit dem Vertrag in der Tasche kehrten die Akkordanten ins Friaul zurück und warben dort eine Mannschaft, die sogenannte squadra an. Die Menschen, die die Wintermonate ohne Einkommen gewesen waren, verpflichteten sich bereitwillig. Diese Tage des Anheuerns wurden in einigen Dörfern wie ein Volksfest begangen, auch wenn kritische Stimmen von einem "Markt für Menschenfleisch" sprachen. MUSIK SPRECHERIm März oder April brachen die Ziegler dann nach Deutschland auf. Vor dem Bau der Bahn war dies ein Fußmarsch von etwa zehn Tagen. Die Route folgte jahrhundertealten Pfaden, über den Plöckenpass, den Felbertauern und den Pass Thurn nach Kitzbühl und Kufstein bis nach Bayern. Der Akkordant führte seine Arbeitsgruppe, organisierte die Verpflegung und die Unterkunft auf der Strecke. SPRECHERINMit der Brennerbahn wurde 1867 eine direkte Verbindung zwischen Deutschland und Italien geschaffen. Dies verkürzte die Reisedauer nach Bayern auf zwei Tage. Im Herbst ging es dann zurück. Der Akkordant Luigi Calligaro blieb jedoch in Vilsbiburg, wie Lambert Grassmann von dessen Sohn erfahren hat. O-Ton Grassmann 4Der Domenico Calligaro, 1890 geboren, war natürlich bei seinem Vater mit dabei, und der Mutter, und die haben diese Jahre, von 1883 bis 1908 in Vilsbiburg gelebt. Die sind praktisch nicht heimgefahren, oder heimgewandert, wie die Ziegelarbeiter, die ja im März gekommen sind und im Oktober, spätestens Anfang November wieder in die Heimat mit Geld zurückgekehrt sind, sondern der ist dageblieben. Dieser Luigi Calligaro, dieser Akkordant, der hat in Vilsbiburg eine gehobene Stellung gehabt. Der war schon jemand, den man auch gehört hat. SPRECHERDurch ihre Orts- und Sprachkenntnisse hatten die Akkordanten eine mächtige Position, denn die von ihnen geworbenen Saisonarbeiter waren auf sie ebenso angewiesen wie die Ziegeleibesitzer. Möglicherweise war die verbesserte Bahnverbindung der Grund dafür, dass der Akkordant Luigi Calligaro nicht mehr als Begleitung benötigt war. Auch war es für das Familienleben einfacher - der Sohn Domenico musste nicht aus seinem Alltag herausgerissen werden. O-Ton Grassmann 5Er war ja im Kindergarten in Vilsbiburg, und ist auch in die Schule gegangen, er hat mir sein Schulzeugnis gezeigt. Ich hab von seinem Sohn dann, vom Piere-Luigi, ein Erstkommunionzeugnis von 1901 bekommen; das kann man im Heimatmuseum sehen. MUSIK SPRECHERINFast achtzig Jahre später kehrte Domenico Calligaro nach Vilsbiburg zurück - 1979, zu einem Klassentreffen. Lambert Grassmann hat ihn dann kurz darauf während eines Italienurlaubs in Buja besucht. Daraus entwickelte sich nicht nur eine persönliche Freundschaft, sondern auch eine lebendige Städtepartnerschaft zwischen Vilsbiburg und Buja. SPRECHERSehr gerne kommen die Besucher aus Buja ins Museum, denn hier liegt ein Verzeichnis mit über 2.300 italienischen Ziegelarbeitern und -arbeiterinnen aus. Lambert Grasmann hat dazu Krankenversicherungsunterlagen ausgewertet. Denn im wilhelminischen Kaiserreich waren ab 1883 alle Beschäftigten in Handwerks-, Fabrik- und Gewerbebetrieben krankenversicherungspflichtig. O-Ton Grassmann 7Da sind also die Namen drin, die Herkunft der Ziegler, die persönlichen Daten, der Arbeitsort, und die Arbeitszeit, also vom Anfang bis zum Herbst, solang sie halt da waren. SPRECHERINEine Fundgrube für die Familienforschung. O-Ton Grassmann 8 Wenn Besucher aus Buja kommen, da können die wunderbar suchen drin, die finden dann einen Angehörigen, der da gearbeitet hat. MUSIK SPRECHERINDie Arbeit in den Ziegeleien war hart. Ein zeitgenössischer Beobachter schreibt: Zitator Giovanni CosattiniDie Arbeiter, welche der größten Anstrengung unterworfen sind, sind die Handformer, deren Arbeit, den Tonklumpen hochzuheben und in die Form zu drücken, eine große Arbeitskraft in Armen und Brust erfordert... Jeder Ziegelformer hat eine Arbeitsbank zu seiner Verfügung nebst einer kleinen Kiste für den Sand, der auf das Rohmaterial gestreut wird... Ihm helfen zwei Muli, wie im Berufsjargon die beiden Knaben zwischen 10 und 15 Jahren genannt werden, denen es obliegt, die gefüllte Form aufzuheben, den Ziegel herauszunehmen, ihn auf den Trockenplatz zu schaffen, die Form zur Bank zurückzubringen, sie mit Sand zu bestreuen und dem Former zu reichen. SPRECHERINAuch Frauen wurden als Muli eingesetzt. O-Ton Grassmann 15Die Frauen, das waren die Wegtrager. Und die Kinder. Die mui auf Furlan, auf Friulanisch, und sonst auf Italienisch heißen sie muli. So hat man sie genannt, und so hat man sie auch benutzt. SPRECHERINZwischen fünf- und siebentausend Ziegel musste ein einzelner stampatore, ein Ziegelpatscher, wie er auf bayerisch hieß, an einem Tag schlagen. Die Arbeit begann zwischen vier und fünf Uhr morgens und dauerte bis in die Nachtstunden. Und dies bei ebenso dürftiger Ernährung, die vor allem aus Polenta und Käse bestand, und bei dürftiger Unterkunft: Die Schlafräume waren meist mit Stroh ausgelegte Bretterverschläge auf dem Gelände der Ziegelei, oder die Holzböden der Trockenstadel. SPRECHERIm Jahre 1879 setzte das Königreich Bayern eine Gewerbeaufsicht ein, um den Schutz von Arbeitern und Arbeiterinnen in Betrieben zu kontrollieren. Lambert Grassmann weiß zu berichten: O-Ton Grassmann 9Da ist der sogenannte Fabrikeninspektor gekommen aus Landshut und hat nachgeschaut, wie es mit den Arbeitsstellen ausschaut, mit den Unterkünften, etc., mit den hygienischen Verhältnissen, und das waren natürlich nicht die besten. Gerade die sogenannten Aborte, hat er geschrieben: "Es gibt kein Dach, es gibt keine Seitenwand, es gibt keine Rückwand, es gibt keine Türe. Es gibt nur einen Balken." Und dann, aufgrund dieser Beanstandung, ist es dann besser geworden. Es sind dann feste Unterkünfte gemacht worden, ein paar Häuser stehen noch... SPRECHERBesonders die Kinder- und Jugendarbeit in den Ziegeleien war der Gewerbeaufsicht ein Dorn im Auge. Sie versuchten, das Mindestalter für die Jugendlichen heraufzusetzen und ihre Arbeitszeit zu begrenzen. O-Ton Grassmann 10 Es hat einen Aushang geben müssen, wo also diese Schüler aufgelistet werden müssen, 28.47 und da ist also immer wieder aufgefallen, dass welche unter 13 Jahren, mit 10 Jahren also haben sie welche mitgenommen. Und die san dann heimgeschickt worden. Wie das gegangen ist, weiß ich nicht, aber sie sind dann heimgeschickt worden. MUSIK SPRECHERINAuch in der bayerischen Schulbehörde sorgte man sich um die minderjährigen Italiener. Denn die Schulpflicht erstreckte sich in Bayern auch auf ausländische Kinder. So richtete ab 1890 die Schule an der Wörthstraße im Münchener Stadtteil Haidhausen eigene Schulklassen ein, in denen die Kinder der transalpini und jugendliche Ziegeleiarbeiter auf Italienisch unterrichtet wurden. Hier, am Ostufer der Isar, befanden sich zahlreiche Ziegeleien, denn zwischen Ismaning und Ramersdorf erstreckte sich eine ertragreiche Lehmzunge. SPRECHERDas Ansinnen mutet heute bemerkenswert fortschrittlich an. Es war ein bayerisch-italienisches Prestigeprojekt. Der päpstliche Nuntius schaute gelegentlich vorbei. Der italienische Generalkonsul und der Vizekonsul ließen sich gerne bei der jährlichen Abschlussfeier sehen, und dank großzügiger Spenden wurde jedes Kind an diesem Tag mit einem neuen Gewand, einer Brotzeit und einem Glas Bier bedacht. Doch die gutgemeinte Idee scheiterte an der Praxis. Zu weit waren die Wege, und zu sehr wurde die Arbeitskraft auch der Jüngeren gebraucht. Und so wurde das Projekt schon 1904 wieder aufgegeben. SPRECHERINAuch die katholische Kirche kümmerte sich um die transalpini. Dies war aufgrund der Konfession naheliegend. Die Kirche verglich die Arbeitsmigration mit dem Exodus der Israeliten aus Ägypten oder mit der Flucht der Heiligen Familie. Sie gründete die Hilfsorganisation "Opera di assistenza". Lambert Grassmann weiß von Vilsbiburg zu berichten: O-Ton Grassmann 1331.01 1898 hat also die Obrigkeit möglich gemacht, dass die italienischen Ziegelarbeiter in der Wallfahrtskirche Maria Hilf zu Vilsbiburg einen Gottesdienst haben besuchen können, und die Predigt hat ein aus München stammender ... Pater gehalten, der Pater Linus, der war Vikar des Kapuzinerklosters in München, hat natürlich Italienisch können, vielleicht war's sogar ein Italiener. MUSIK SPRECHERNeben den Ziegeleien waren die zahlreichen Baustellen im Boomland Bayern ein Betätigungsfeld der transalpini. Im Hoch- und Tiefbau, für Häuser, Tunnels, Straßen und Eisenbahn wurden die italienischen Wanderarbeiter eingesetzt. Hier kamen den transalpini ihre Erfahrung mit dem schwierigen Terrain der Alpen zugute. Der bayerische Schriftsteller Oskar Maria Graf schildert in seinem autobiografisch geprägten Roman "Das Leben meiner Mutter", wie er einen solchen Bautrupp erlebte: ZITATOR Oskar Maria GrafDie Bauleute setzten sich zum Teil aus bärtigen, dunkelhäutigen, ausgedörrten Italienern zusammen... Sie redeten ein ziemlich unverständliches Kauderwelsch zusammen, aber sie schufteten viel ergebener als die einheimischen, meist schon gewerkschaftlich organisierten Maurer. Sie kamen scharenweise Sommer für Sommer aus den armen Gegenden ihrer fernen Heimat, arbeiteten für jeden Lohn und kannten nur eine Kameradschaft unter sich, die wahrscheinlich auch nur von der gleichen Sprache herrührte. Sie knauserten und sparten und waren auf jeden Pfennig Nebenverdienst gierig erpicht... SPRECHERINOskar Maria Graf beschreibt, warum die transalpini als Arbeitskräfte so beliebt waren: sie waren zuverlässig, anspruchslos und bereit, die unbeliebte, harte Arbeit zu leisten. Zudem waren sie durch ihre mangelnden Deutschkenntnisse und ihren immer nur saisonalen Einsatz isoliert. Daher wurden sie gerade auf Baustellen immer wieder als Streikbrecher und Lohndrücker eingesetzt, wo sie teilweise durch Polizei von den einheimischen Arbeitern abgeschirmt werden mussten. Denn sie machten sich dadurch natürlich nicht beliebt. Die Bezeichnung "Furlan", eigentlich nur die Bezeichnung für eine Person aus dem Friaul, wurde in deutschen Maurerkreisen sogar ein Synonym für einen Streikbrecher. SPRECHERGraf spricht auch die Sparsamkeit der transalpini an. Sie gaben kaum etwas für sich selber aus, denn sie wollten möglichst viel Geld mit zurück nach Hause nehmen. Das trug in der Tat Früchte. Der Lebensstandard in der Heimat besserte sich, denn die Wanderarbeiter brachten nicht nur ihr Geld, sondern auch ihr Wissen und ihre Fertigkeiten mit ins Friaul. Die Schattenseite war jedoch, dass sie über ein halbes Jahr zuhause fehlten - ein geregeltes Familienleben war mit monatelang abwesenden Familienvätern nur schwer möglich, und die Arbeit in der Landwirtschaft mussten die Daheimgebliebenen stemmen. SPRECHERINEine weitere Schattenseite war der gestiegene Bierkonsum der Heimgekehrten. Oft wurde auf den bayerischen Ziegeleien Bier ausgeschenkt, und viele transalpini wollten es auch während der Wintermonate in der Heimat nicht mehr missen. Die Brauereien im Friaul steigerten ihre Produktion zwischen 1890 und 1914 um das Neunfache. Gleichzeitig stieg die Anzahl der Todesfälle durch Alkohol rasant an. Besonders beunruhigend war, dass gerade die Kinder und Jugendlichen, die aus Bayern zurückkehrten, sich das Biertrinken angewöhnt hatten. MUSIK SPRECHERWie viele transalpini in Bayern arbeiteten, lässt sich nur ungenau feststellen, Schätzungen gehen von zwölf- bis fünfzehntausend Personen für eine Sommersaison aus. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs kam die Massenwanderung schlagartig zum Erliegen. Die Italiener, die sich gerade zur Saisonarbeit in Bayern aufhielten und im August 1914 von der Kriegserklärung überrascht wurden, kehrten überstürzt nach Hause zurück. Angetrieben von der Furcht, dass eine Rückkehr später nicht mehr möglich sein könnte. Es gab Unruhen und Staus in vielen Grenzorten, so auch in Kufstein, ein Nadelöhr für die transalpini, die von Bayern ins Friaul zurück wollten. Oder mussten: Denn viele transalpini erhielten einen Einberufungsbefehl. Aus Zieglern wurden nun Soldaten. Das Kriegerdenkmal in Buja zählt 101 Ziegler auf, die im Ersten Weltkrieg gefallen sind. SPRECHERINUnd so kam die lange Tradition der Arbeitsmigration von Italien nach Bayern zum Erliegen. Erst gute vier Jahrzehnte später, in der Wirtschaftswunderzeit, schloss die junge Bundesrepublik ein Abkommen über Arbeitswanderung mit Italien. Dabei zeigte sich, dass beide Seiten noch stark auf die Erfahrung der transalpini vor dem Ersten Weltkrieg zurückgriffen, was eine Illusion der Rückkehr anbetraf. Vor allem die Bundesregierung glaubte, dass die sogenannten Gastarbeiter saisonal oder nach Konjunktur zu steuern wären, weil man sich noch an der zyklischen Arbeitsstruktur des Kaiserreichs orientierte. MUSIK SPRECHERWas bleibt von Jahrzehnten der Arbeitsmigration? Nur wenige transalpini ließen sich auf Dauer in Bayern nieder. Doch ihr Vermächtnis findet sich in den Bauten des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, vermauert in Häusern und Schulgebäuden, Kirchen und Kasernen, Krankenhäusern und dem unterirdischen Kanalnetz der Städte.
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Jan 17, 2025 • 23min

ARBEITEN UND LEBEN IN DER FREMDE - Waren schleppen über die Alpen

Oft trugen sie 50 Kilo auf dem Rücken. Sie kamen dahin, wo die Säumer mit ihren Pferden und Wagen nicht hinkamen. Zu Fuß trugen sie auf ihren "Kraxen"-Gestellen Waren über die Alpen und bedienten einen inneralpinen Handel, der heute schon fast vergessen ist. Von Markus Mähner (BR 2021) Credits Autor: Markus Mähner Regie: Irene Schuck Es sprachen: Berenike Beschle, Friedrich Schloffer Technik: Andreas Lucke Redaktion: Thomas Morawetz Im Interview: Prof. Robert Büchner Besonderer Linktipp der Redaktion: Radiowissen (2025): Rezepte des Überlebens Ganz typische Verhaltensweisen rund ums Essen gibt es in fast jeder Familie - dass man zum Beispiel als Kind immer seinen Teller leer essen sollte. So war es jedenfalls bei Iska Schreglmann. Als ihre Mutter stirbt und sie die Wohnung ausräumt, fällt Iska ein Kochbuch von 1871 in die Hände. Als sie erfährt, dass ihre Eltern als Kinder nach dem Zweiten Weltkrieg hungern mussten, beginnt sie zu recherchieren: Was hat das rätselhafte Kochbuch mit dem Hungerwinter von 1946/47 zu tun? Und was mit ihr selbst - etwa damit, dass sie immer alles aufessen musste? ZUM PODCAST Linktipp: SWR (2023): Hast du mal ‚nen Euro? Zur Kulturgeschichte des Bettelns Mal sind es Hilfsbedürftige in auswegloser Lage, mal arbeitsunwillige Faulenzer oder gar Kriminelle - das Bild des Bettelns ist widersprüchlich und wandelbar: Genoss es im Mittelalter noch einen guten Ruf, störten Bettler in der Neuzeit immer öfter die öffentliche Ordnung und Arbeitsmoral. Und heute? Welche Rolle hat Bitten und Betteln in unseren Gesellschaften? Warum hat sich das Bild vom Betteln so verändert? Und ist Crowdfunding auch eine Form des Bettelns? JETZT ANHÖREN Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte: Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun? DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend. Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.  Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de. Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Alles Geschichte JETZT ENTDECKEN Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript: MUSIK SPRECHEREin bekanntes Gemälde Carl Spitzwegs zeigt einen Mann mit langem Stock und mannshoher Holzkiste auf dem Rücken, wie er gerade auf einem Baumstamm, der als Brücke dient, eine Schlucht überquert. Er trägt zerfranste Kleidung und einen Tirolerhut mit Feder. Das Vorbild für diesen „Kraxenträger“, wie der Bildtitel den Mann bezeichnet, war der Berchtesgadener Anton Adner, den Spitzweg als Kind noch kennengelernt hatte. Adner, der im Jahr 1822 im stolzen Alter von 117 Jahren starb, gilt heute noch als der älteste bekannte Bayer. Ein Zusammentreffen mit dem bayerischen König Maximilian I. Joseph, fünf Jahre vor seinem Tod, machte den Berchtesgadener endgültig unsterblich. ZITATOR„Der Mann mit seinen Silberhaaren, klein und mager von Gestalt, aber noch frisch und froh, ohne alle Stütze eines Stabes, nahte sich dem freundlich ihm zugewandten Könige.“ SPRECHERHeißt es über Adner in einem 1827 veröffentlichen Buch mit „Anekdoten aus dem Leben Maximilian I. Joseph“ ZITATOR„Nachdem er früh sich mit dem Gewerbehandel mit Berchtoldsgadner Waren zu widmen begann, trug er noch in dem Alter von hundert Jahren zu Fuß hölzerne Fabrikarbeiten und Spielzeuge aus der Heimat mit dem beladenen Tragkorbe auf dem Rücken über die Berge nach Salzburg, der Schweiz, Tirol, Steiermark, Österreich und Bayern. Seine weiße Kappe trug er bereits 33 und seinen Rock 55 Jahre.“ SPECHERWas hier wie ein romantisch verklärtes Idyll klingt, war für die Betroffenen oft die einzige Möglichkeit ihren dürftigen Lebensunterhalt zu verdienen. Und Adner war beileibe nicht der Einzige. In manchen Gegenden stellten die „Kraxenträger“ zeitweise einen Großteil der arbeitenden Bevölkerung dar. Denn die Hochgebirgsregionen wie das Walsertal, das Zillertal oder das Defereggental waren noch keine Tourismusziele. Robert Büchner, emeritierter Geschichtsprofessor an der Universität Innsbruck: Büchner Die Hochzeit für sie war so 1760 bis erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. Dann kommt schon die Massenproduktion und so weiter, Massenindustrie. SPRECHERWanderhandel gab es schon immer. Doch dass im 18. Jahrhundert dieses mühsame Gewerbe - besonders in gebirgigen oder moorigen Regionen - besonders stark anwuchs, lag an zwei Faktoren. Büchner [...] Bleiben wir mal bei Bayern und bei Tirol und angrenzende Länder: Im Alpenvorland und in den Gebirgsgegenden, besonders den Hochgebirgsgegenden wie in Tirol, war zu wenig Land vorhanden, das bebaubar war, war ein karger Boden. Das heißt zu gut Deutsch: Wenn die Bevölkerung wächst - und sie wächst bei uns seit Ende des 15. Jahrhunderts im Reich deutlich sichtbar an, die Verluste seit der großen Pest von 1348 sind dann aufgeholt - es waren zu viele Leute da.Aus Studien aus Oberbayern wissen wir, dass die Landwirtschaft nicht mehr genügend Leute anstellen / aufnehmen konnte. SPRECHERUnd somit war es nicht nur für landwirtschaftliche Tagelöhner ohne eigenen Grund notwendig sich ein anderes Auskommen zu suchen. Auch mancher Hof ernährte nur mehr den Erstgeborenen. Die jüngeren Geschwister mussten „auf Wanderschaft“ gehen, wie Robert Büchner sagt: Büchner Das sind also alles einkommensschwache, unterbäuerliche Schichten, die gezwungen sind, aus Armut auf Wanderschaft zu gehen und einen Nebenverdienst zu suchen. Und der war bei einem normalen Kraxenträger um 1800 sehr gering. 30 Gulden pro Mann. Davon konnten sie - selbst wenn sie eine kleine Bauernschaft mit zwei Kühen hatten und zwei, drei Feldern - nicht leben. Sie konnten leben davon, wenn die ganze Familie auf Reisehandel sich einließ. SPRECHERDenn auch die Frauen – ja manchmal sogar Kinder, obgleich das eigentlich verboten war – durchstreiften die Lande als Händler. Zunächst verkauften sie eigene landwirtschaftliche Produkte oder gesammelte Kräuter auf dem Markt einer nahen Stadt. Doch schon bald zog es sie auch weiter in die Ferne mit anderen, oft selbst hergestellten Produkten. Vielerorts waren ein Drittel der Händler Frauen. Gerade ledige, verwitwete oder geschiedene Frauen hatten keine andere Chance als sich als Kleinhändler/innen durchzuschlagen und selbst ausgegrabene Enzianwurzeln – zum Brennen von Schnaps – oder selbstgeklöppelte Spitze zu verkaufen. Im Grödnertal, wo das Spitzklöppeln große Tradition hatte, gab es teils sogar mehr Frauen als Männer im Wanderhandel. MUSIK SPRECHERDoch meist waren es doch die Männer die mit der Kraxe losgingen. Und meist auch länger und weiter als die Frauen. Wie sehr das auch das Leben in manchen Orten verändert hat, zeigt sich noch heute in Chroniken aus dieser Zeit. Manche sprichwörtliche „Wanderhändlerdörfer“, wie in Bayern zum Beispiel Mittenwald oder Dießen am Ammersee, waren im Sommer oft menschenleer. Da besonders die männliche Bevölkerung in diesen Monaten unterwegs war, fanden Hochzeiten nahezu ausschließlich im Januar und Februar statt. Geburten gab es dementsprechend hauptsächlich im Oktober und November. Denn: Ein Wanderhändler war oft den ganzen Sommer hindurch unterwegs, er kehrte nicht einfach um, sobald er seine Waren verkauft hatte. Büchner Das Problem ist - sie haben es ja schon sagt – mitnehmen: Selbst, wenn man die Kraxe voll hat. Man geht ja nicht gleich wieder nach Hause. [...] Man geht von zu Hause aus mit den heimischen Waren. Aber damit man nicht immer wieder gleich die Kraxe leer hat, wenn man kein Warenlager anlegen konnte, hat man im Ausland Waren zugekauft. Das wäre viel zu schlecht gewesen für den Verdienst, wenn man nur mit einer Kraxe rausgeht. […] Die haben sich alle im Ausland weiter eingedeckt und das mussten nicht dieselben Waren sein. Man geht mit Kurzwaren, mit Schnittwaren von Tirol aus und deckt sich in Nürnberg mit anderen Kurzwaren ein oder anderswo mit Spielzeug und geht dann weiter hausieren. SPRECHERDer Begriff „Hausieren“ beschreibt sehr deutlich die Eigenheit dieses Handels. Denn die meisten Kraxenträger haben sich nicht auf den Markt gestellt und gewartet bis ein Käufer zu ihnen kommt, sondern sind tatsächlich von Haus zu Haus gegangen, um ihre Waren zu verkaufen. Eine solch unökonomische Tätigkeit kennt man heute – in Zeiten von Kaufhäusern und Internethandel - nicht einmal mehr vom Staubsaugervertreter! Denn da Wanderhändler ja nicht nur in Städten unterwegs waren, lagen die Häuser oft sehr weit auseinander: Büchner In einem Jahr hatte so ein Kraxenträger leicht mal 700-800 Kilometer zurückgelegt. Die waren das gewohnt, und die sind ja zum Verkauf - als dann die Massenproduktion gekommen ist im 19. Jahrhundert – sind sie weitergezogen. Sie sind dann die abgelegensten Einödhöfe weiterhin gegangen. Wegen zwei, drei Kunden sind sie 20 Kilometer gegangen. SPRECHERUnd dort wurden sie oft schon erwartet. Denn nicht jeder hatte die Möglichkeit in eine Stadt mit reichhaltigem Warenangebot zu fahren. Und in vielen Dörfern oder kleineren Städten gab es selbst Dinge des alltäglichen Bedarfs nicht immer zu kaufen. Das wussten die Kraxenträger und konnten somit zielgerichtet mit einem spezifischen Warenangebot all jene besuchen, die sie sehnlichst erwarteten. Büchner  Es gibt kaum einen Krämer, einen Kraxenträger, der ein breites Warensortiment hat. Man hat sich schon spezialisiert. Aber wenn Sie so wollen, das reichte bei den Kraxenträgern von Kurzwaren - darunter sind etwa zu verstehen Nägel, Messer, Scheren, Nadeln, Knöpfe, Garn, Zwirn, Fingerhüte, Bleistifte, Tinte, Schnürsenkel, Borten, Seitenbänder und so weiter - über Haushaltswaren wie Glas und Tongeschirr, Töpfe und Pfannen. Ferner waren Kraxenträger unterwegs mit Decken, Strümpfen, Bettfedern, landwirtschaftlichen Geräten wie Sensen, Sicheln und Wettstein und meistens einfachem Schmuck, Paternoster - also Rosenkränze - Ringe, Ohrgehänge, Broschen, Ketten. Sie sehen, das ist ein ganz breites Spektrum. SPRECHERDoch auch Spezialwaren wie Barometer, Thermometer oder Ferngläser, die hauptsächlich im Friaul hergestellt wurden, trugen sie von Norditalien über die Alpen bis nach Bayern. Dort konnten sie dann Waren kaufen, auf die man sich in diesen Gegenden spezialisiert hatte. Wie zum Beispiel von den sprichwörtlichen „Herrgottsschnitzern“ aus Oberammergau, den Hinterglasmalern aus Murnau am Staffelsee oder den Uhrmachern im Schwarzwald. MUSIK SPRECHERUnd auch den Vogelhändler gab es, wie wir ihn noch aus Mozarts Singspiel kennen. SPRECHERManche Wanderhändler haben ihre Waren zum Teil selber hergestellt, wie Anton Adner, der im Anfertigen von Holzschachteln und wohl auch im Stricken einiges Talent zeigte. Doch die Meisten kauften ihre Waren bei lokalen Händlern – auf Reisen wäre das anders auch gar nicht rentabel gewesen. Da sie aber oft nicht genug Geld hatten, standen sie immer wieder in der Schuld dieser lokalen Händler: BüchnerOft ist es so, dass Kraxenträger auf Kredit gehandelt haben. […] Und wenn sie dann von ihrer Handelsreise zurückkamen, um im nächsten Jahr wieder auf Reise zu gehen, dann haben Sie erst mal die Altware, die sie verkauft hatten, bezahlt und neue wieder eingekauft. Kraxenträger sind eher die Ärmeren - besonders arm waren etwa unter den Kraxenträgern die Glashändler und die mit Tonwaren, also Küchengeschirr. Man hat ja gesagt: Wenn ein Glashändler hinfällt, steht dann ein Bettelmann wieder auf. SPRECHERViele ortsansässige Händler rechneten mit diesen billigen Lieferdiensten und banden sie fest an sich. Wie zum Beispiel der Verleger Matthäus Rieger, der in Augsburg 1745 eine riesige Buchhandlung eröffnete. Der Schriftsteller Johann Pezzl schrieb über ihn: ZITATOR„Sein Verlag ist sehr dick und er hat dabei ein schönes Vermögen gesammelt. Er hält das ganze Jahr hindurch einige dreißig Kerle, die mit Butten auf den Rücken, oder mit Karren voll heiliger Sermone ganz Tirol, Bayern, Schwaben, Franken und Österreich durchstreifen und den gemächlichen Pfarrern das Futter für ihre geistliche Herde auf Jahre lang verkaufen. Es soll manchen alten Ruraldekan geben, der schon den ganzen Riegerschen Verlag durchgepredigt hat." SPRECHERWeniger an Pfarrer, mehr an das bäuerliche Volk wurden auch gerne Schriften wie frivole Gedicht- und Liederbüchlein oder religiöse und politische Traktate verkauft. Da durften dann gerne wieder die Frauen und Kinder übernehmen von Tür zu Tür zu gehen. Denn sollten sie aufgegriffen werden, so drohte ihnen eine mildere Strafe als den Männern, wenn sie solch „anstößige“ Literatur vertrieben! MUSIK SPRECHERTatsächlich war der Kleinhandel mit Büchern, Bilddrucken oder Heiligenbildchen sehr gefragt. Schon im 17.Jahrhundert beschäftigte der in Padua geborene Giovanni Antonio Remondini mehrere Wanderhändler und baute so ein europaweites Handelsnetz aus, das farbenfrohe Drucke und kleine Bücher an die einfachen Leute brachte. Manchmal haben sich aber auch Wanderhändler selbst untereinander zusammengetan um gemeinsam ein Lager im Ausland zu finanzieren. Robert Büchner: BüchnerDann kamen Sie darauf: Sie können gemeinsam einkaufen und verkaufen. Und je nach der Einlage mussten sie die Unkosten tragen und wurden aber nach der Einlage auch am Gewinn beteiligt. Und aus diesen Warenlagern sind oft Handelsgesellschaften entstanden, die dann etwa in den Niederlanden - das konnte bis nach Spanien und so weitergehen - floriert haben. Das ist aber alles ursprünglich entstanden aus dem Zusammenschluss von Buckelträgern. […] Peek & Cloppenburg, das ist doch eine Bekleidungskette. Die sind aus ursprünglich Wanderhändlern, die mit Stoffen und Tuchen und Leinen und so weiter, unterwegs waren, entstanden. SPRECHERDoch so eine Karriere war den wenigsten vergönnt. Schon allein deshalb, weil die „Hausierer“ nicht immer gerne gesehen waren. So erließ zum Beispiel die Stadt München im Jahr 1690 ein Verbot „des Hausiererhandels“. In Landsberg am Lech wurde 1715 ein „Bettelverbot“ verabschiedet. Um die Jahrhundertwende 1800 gab es überall „Hausierordnungen“. So durfte in Österreich nur mit bestimmten Waren gehandelt werden; Arzneiwaren zum Beispiel wurden verboten – sowohl für Tier als auch für den Menschen. Ferner durften keine Wagen zum Transport benutzt werden. Ausschließlich Tragegeräte – also Kraxen – waren erlaubt. Die meisten Wanderhändler konnten sich mehr ohnehin nicht leisten – nicht einmal einen Schubkarren, der von einem Hund mitgezogen wurde. Denn auch das gab es. Büchner Die Kraxenträger stellen überhaupt die größte Gruppe unter den Wanderhändlern. Also die Leute, die mit Karren und mit Pferd und Wagen und Saumtieren zogen, sind deutlich in der Minderzahl gegenüber den Kraxenträgern. SPRECHERBesonders beim Kleinhandel über die Alpen war die Kraxe oft auch sinnvoller als ein Wagen. Denn die Wege waren oft schlecht und mit Wägen gar nicht zu befahren – oder sie blieben im Schnee stecken. Zudem konnte man beim Überschreiten eines hohen Alpenpasses auch Zoll- und Mautgebühren sparen. Wenngleich es natürlich Schwerstarbeit war, die mit den Jahren oft zu Rückengratverkrümmungen, Knochen-, Gelenk- oder Wirbelsäulenschäden führte. Büchner Und Kraxenträger haben die Männer in der Regel bis 50 Kilo getragen, die Frauen bis 30 Kilo. SPRECHERSo eine Warenkraxe war demnach mehr als nur ein kleines Rückengestell. Denn man wollte ja möglichst viel transportieren. Büchner [...] bei uns war es üblich, dass der Kopf mitgetragen hat. Die Kraxe wurde bis über den Kopf gezogen und in Höhe des Kopfes war ein Riegel, ein Brett gepolstert, das direkt auf dem Kopf auflag. So hat der Kopf mitgetragen, nicht nur die Schultern. SPRECHERDie Form und das Material, aus dem die Kraxe gefertigt wurde, hing von den Waren ab, die ein Händler dabeihatte. Für Töpfe und Geschirr reichte oft ein grob geflochtener Korb aus. Vogelhändler stapelten die Käfige bis weit über ihren Kopf hinaus. Teppiche oder größere Drucke wurden einfach zusammengebunden und über die Schultern geworfen. Frauen benutzten oft ein Tragetuch. Und: Kleidung oder Hüte wurden auch schon mal selbst übereinander angezogen.Doch viele Kraxen waren kompliziert gebaute Gestelle aus verschiedenen Holzkisten. Etwa wenn mit ganz unterschiedlichen Waren gehandelt wurde. Denn die Kraxe stellte ja gleichzeitig den Verkaufsladen da. Büchner Ätherische Öle, Seifen, Balsam, Pulver, gebrannte Wässer und die Allheilmittel wie Theriak oder Vitridat. Das sind alles kleine Sachen, aber die konnte man nicht zusammen haben. Dann haben sie richtig kleine Schubfächer gehabt und haben die Sachen da rausgeholt. Genauso wenn sie mit Kurzwaren gehen: In einem kleinen Schubfach haben sie Nadeln, in einem anderen Zwirn und so weiter. Gerade bei Arzneien und Olitheken sehen Sie immer die Kraxenhändler mit solchen Kästen auf den Rücken. Das ist kein einfaches Gestell mehr. MUSIK SPRECHER Die Zeiten wurden immer schwerer für die Wanderhändler, besonders, wenn sie aus dem Ausland kamen. Wer im frühen 19. Jahrhundert in Österreich einen „Hausierpass“ erwerben wollte, der musste mindestens 20 Jahre alt sein und die Österreichische Staatsbürgerschaft besitzen. Dadurch dachte man zumindest die ausländischen Wanderhändler in ihrer ständig steigenden Zahl einzuschränken.Doch oft gab es diese Regeln nur auf dem Papier, um die ortsansässigen Händler zu beschwichtigen. Tatsächlich wurden Verstöße von der Obrigkeit selten geahndet. Denn die Kraxenträger behoben einfach ein Versorgungsdefizit: Sie befriedigten Bedürfnisse, die die sesshaften Kaufleute schuldig blieben. SPRECHERDoch außer bei ihrer Kundschaft waren die Kraxenträger alles andere als beliebt. So wurde Ihnen oft nachgesagt, sie schleppten Krankheiten wie Cholera oder Typhus ein, sie hätten geklaut oder sie verdürben die Sitten – wie das der konservative Jurist und Literat Justus Möser in seinen „Patriotischen Phantasien“ schon im Jahr 1775 in einer „Klage wider die Packenträger“ behauptete. ZITATORDie Packenträger sind der Verderb des ganzen Landes. Wer hat die guten Sitten verderbt? Gewiss niemand mehr als der Packenträger, der mit seinen Galanteriewaren nicht auf den Heerstraßen, sondern auf allen Bauernwegen wandelt, die kleinsten Hütten besucht, mit seinem Geschwätz Mutter und Tochter horchend macht, ihnen vorlügt, was diese und jene Nachbarin bereits gekauft. Er hat von allem was sich für jeden Stand passt und weiß einer jeden gerade das anzupreisen, was sich am besten für sie schickt. Das Vermögen aller Familien ist ihm bekannt; er weiß wie die Frau mit dem Manne steht, und nimmt die Zeit wahr, jene heimlich zu bereden, wenn der grämliche Wirt nicht zu Hause ist. Kurz, der Packenträger ist der Modekrämer der Landwirtinnen, und verführt sie zu Dingen, woran sie ohne ihm niemals gedacht haben würden. SPRECHERDen sesshaften Händlern waren die Kraxenträger mehr als nur ein Dorn im Auge. Ihnen ging es schlichtweg darum, die unliebsame Konkurrenz loszuwerden. Und deswegen gab es auch allerlei üble Nachrede. Professor Robert Büchner: Büchner Sie haben behauptet, sie hätten falsches Maß und Gewicht. Das hatten sie selbst wahrscheinlich noch öfter. Sie hätten schlechte, und verfälschte Ware. Ein Trick war zum Beispiel bei den Tuchhändlern: Es gab begehrte Tücher - etwa aus Brabant. Und ab einer gewissen Zeit bekamen die eine Plombe. Jetzt haben sie einfaches Tuch gekauft und haben die falsche Plombe drangemacht. SPRECHERIm Grunde gibt es das heute auch noch. Nur die nachgemachten Rolex-Uhren, Adidas-Turnschuhe und vermeintlichen Designerkleider werden heutzutage industriell hergestellt und weltweit im Internet vertrieben. Büchner Oder ein anderer Trick bei den Tuchhändlern war: Man spannt das Tuch auf einen Rahmen, macht es nass und dehnt es. Dann schindet man wieder ein paar Zentimeter raus. Natürlich haben das aber auch die stationären Händler gemacht. Ich habe mal ausführlich darüber geschrieben. Und man kann absolut nicht sagen, dass die Wanderhändler mehr geschummelt hätten - um es höflich auszudrücken - als die lokalen Händler. SPRECHERDas war schon allein deswegen nicht möglich, weil sie sich ihr Geschäft damit kaputt gemacht hätten. Büchner Denn man muss sich vorstellen, diese Kraxenträger gingen alljährlich fast dieselben Bezirke ab. Sie hatten ihre Stammkunden, die konnten sie gar nicht betrügen, denn dann wären sie diese Kundschaft los gewesen. MUSIK SPRECHERMit zunehmender Industrialisierung, der steigenden Mobilität – auch ländlicher Bevölkerungen – und dem Beginn der Massenproduktion im 20.Jahrhundert erledigte sich der Wanderhandel mit Kraxe auf dem Rücken von selbst. Wer heute etwas benötigt, bestellt immer öfter im Internet. Kurz darauf steht dann schon der Bote mit seinem Lieferwagen vor der Tür ... oder auch der moderne Kraxenträger: der Radler, der auf seinem Rücken die Pizzakisten ausfährt.
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Jan 17, 2025 • 23min

ARBEITEN UND LEBEN IN DER FREMDE - Wanderarbeit seit der Antike

Die Pyramiden hätte es ohne Wanderarbeit nie gegeben. Bis heute sind ganze Wirtschaftszweige auf Menschen angewiesen, die oft von weit her kommen. Von Susanne Hofmann (BR 2021) Credits Autorin: Susanne Hofmann Regie: Anja Scheifinger Es sprachen: Christian Baumann, Katja Bürkle, Christian Schuler Technik: Christiane Gerheuser-Kamp Redaktion: Nicole Ruchlak Im Interview: Willi Kulke, Lars Petersen Besonderer Linktipp der Redaktion: MDR (2025): Iron East – Heavy Metal im Osten Heavy Metal war in der DDR eine besonders laute und pulsierende Subkultur. Mit dem Mauerfall änderte sich für diese Metal-Szene alles. Fans reisten in den Westen, um ihre Ikonen auf der Bühne zu sehen. Ost-Metal-Bands bekamen Konkurrenz. Und der DDR-Metal wurde Teil von etwas Größerem. Wie ging es in den 90er Jahren mit dem Ost-Metal weiter? Und was ist heute noch davon geblieben? Darum geht es in der zweiten Staffel Iron East – Heavy Metal im Osten. Host und Autor Jan Kubon begibt sich auf eine Zeitreise durch die 90er und Nullerjahre in Ostdeutschland. Dabei spricht er mit vielen Ost- und auch West-Metal-Größen: Mit Kerstin Radtke von Blitzz und Sabina Claaßen von Holy Moses, mit Eric und Ingo von Subway to Sally und mit Maik Weichert von Heaven Shall Burn. ZUM PODCAST Linktipps: hr (2024): Magie & Medizin – die Geheimnisse des Papyrus Ebers Der Papyrus Ebers ist mit seinen etwa 3.500 Jahren das älteste, vollständig erhaltene Medizinhandbuch der Welt. Auf 18,6 Metern wurden hier im alten Ägypten Rezepte niedergeschrieben, unter anderem gegen Haarausfall, Husten oder Verdauungsprobleme. Als sich Georg Ebers 1872 auf die Suche nach der Schriftrolle macht, ist ihre Existenz fraglich und ihr sensationeller Zustand nur ein Gerücht. Der Film begleitet den Ägyptologen bei seinem Abenteuer und erzählt dazu die fast vergessene Geschichte eines königlichen Schreibstoffes, der jahrtausendealtes Wissen zugänglich und heute anwendbar macht. JETZT ANSEHEN radioWissen (2024): Söldner – Geschichte der Schattenarmeen   Der Krieg ist ihr Handwerk. Doch sie kämpfen nicht als Soldaten für ihr Land, sondern gegen Sold, also gegen Bezahlung, für eine fremde Macht. Das Söldnertum besteht schon seit langem. JETZT ANHÖREN Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte: Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun? DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend. Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.  Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de. Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Alles Geschichte JETZT ENTDECKEN Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript: MUSIKERZÄHLERNach der sengenden Hitze des Tages legt sich die kühlende Nacht über das Land, diesen südlichsten Teil der ägyptischen Wüste. Beinahe lautlos gleitet das Boot des deutschen Ägyptologen Johannes Dümichen den Nil entlang, der Mond erhellt die zerklüfteten Felsen am Ufer in dieser Sommernacht des Jahres 1869. Fasziniert lässt der Reisende seinen Blick schweifen – und traut seinen Augen nicht:  ZITATOR„War es Täuschung oder Wirklichkeit? … Wir kamen näher und ich konnte nun die Erscheinung in ihrer ganzen Grossartigkeit, konnte die riesenhafte Gestalt, wie die der anderen, ganz ebenso gebildeten neben ihr, deutlich übersehen, wie sie, mit dem Rücken an die Felswand gelehnt, die Hand auf das Knie gestützt, in imposanter Ruhe dasassen und auf den Strom zu ihren Füssen herniederschauten.“ERZÄHLERIN Vier gigantische Statuen. Sie sitzen vor dem Felsentempel Ramses des Zweiten in Abu Simbel. Gut 20 Meter ragen sie in die Höhe. Ein Monument, das vom Selbstbewusstsein des Pharaos zeugt, der sich vor mehr als 3.000 Jahren in diesen Statuen verewigen ließ: Ramses der Große. Seine größte Errungenschaft ist jedoch nicht die Vielzahl imposanter Bauwerke, die er hinterlässt. Die Ägypter verdanken ihm eine nie dagewesene Blütezeit, ein halbes Jahrhundert in Wohlstand und Frieden. ERZÄHLERDenn Ramses gelingt die Aussöhnung mit den Erzfeinden Ägyptens, den Hethitern. Die Herrscher beider Länder schließen den ersten erhaltenen schriftlichen Friedensvertrag der Geschichte, und beide Höfe nehmen einen regen Austausch auf, schildert der Ägyptologe Lars Petersen. Er arbeitet am Badischen Landesmuseum in Karlsruhe. 1. ZUSPIELUNG Petersen (09:20)„Man will dann ja auch sich weiterhin gut vertragen. Und dazu gehörten dann natürlich Prestigeobjekte und wertvolle Geschenke, die dann von beiden Seiten ausgetauscht worden sind.“ ERZÄHLERINBei diesen diplomatischen Beziehungen spielt eine Personengruppe eine besondere Rolle: ägyptische Ärzte, die die damalige Welt in Erstaunen versetzen. Für Lars Petersen sind diese ägyptischen Ärzte die ersten Wanderarbeiter der Antike, von denen man sicher weiß. Wanderarbeiter - also Menschen, die, so die Definition des Duden, ihren „Arbeitsplatz weit entfernt von ihrem Wohnort aufsuchen“ müssen. Der Ägyptologe Lars Petersen: 2. ZUSPIELUNG Petersen (09:20)„Weil diese ägyptischen Ärzte so bedeutend waren, hat dann der hethitische Herrscher darum gebeten, dass für eine Zeit die Ärzte zu ihm kommen, um da auch die Bevölkerung medizinisch zu versorgen - also die ganze Bevölkerung wahrscheinlich nicht – das ist dann der Königshof gewesen. Also die ägyptische Medizin war in der Zeit sehr, sehr fortschrittlich, man hatte erste chirurgische Eingriffe, die für die damalige Zeit, das ist ja 3.300 Jahre her, so bedeutend waren, dass sich die gesamte damalige Welt die Hände nach ihnen geleckt hat, um auch die an ihren Hof zu bekommen.“ ERZÄHLERAllerdings dürfte die zeitweilige Betätigung am hethitischen Hof nicht wie bei den späteren und heutigen Wanderarbeitern aus ökonomischer Notwendigkeit erfolgt sein, so Petersen, sondern im Rahmen eines Austausches im Dienste der Diplomatie. ERZÄHLERINDie ägyptischen Ärzte waren hoch spezialisiert, davon zeugen Papyrus-Quellen. Sie praktizierten beispielsweise als Augen-, Zahn- oder Ohrenärzte. Und Untersuchungen der erhaltenen Mumien mit den Mitteln der Endoskopie und der Computertomographie haben ergeben: Die ägyptischen Chirurgen konnten sogar Amputationen vornehmen und Prothesen einsetzen – eine Kunst, die in anderen Kulturen damals wahrscheinlich unbekannt war. Der Ägyptologe Petersen ist überzeugt, dass diese frühen Wanderarbeiter, …3. ZUSPIELUNG Petersen 12:04„… die Fachkräfte der damaligen Zeit dann natürlich ihre Techniken und ihr Wissen auch weitergegeben haben. Und so hat sich natürlich auch die gesamte antike Welt immer auch weiterentwickelt. … Für einen Ägypter war es sehr, sehr wichtig, von seiner Religion her, dass er wieder zurück kehrt nach Ägypten, … dass er, wenn er verstirbt, in der Erde Ägyptens nahe beim Nil bestattet wird … Deshalb wissen wir auch, dass diese ägyptischen Ärzte auch wieder zurück nach Ägypten kamen.“ MUSIK ERZÄHLEREbenfalls im antiken Ägypten finden sich erste Spuren einer weiteren Gruppe historisch bedeutsamer Wanderarbeiter: Als Anfang des 19. Jahrhunderts europäische Abenteuerreisende die monumentalen Ramses-Statuen im ägyptischen Abu Simbel wiederentdecken, machen sie an den Figuren eine spannende Beobachtung. Lars Petersen: 4. ZUSPIELUNG Petersen 21:00„Die waren ganz erstaunt, dass sie neben den ägyptischen Hieroglyphen auch griechische Inschriften gefunden haben, also keine offiziellen Inschriften, die wirklich gezielt in Stein gemeißelt waren, sondern wie heute, so Graffiti, also „I was here“. ERZÄHLERINDie griechischen „Graffiti“ geben den Archäologen zunächst Rätsel auf. Wie haben sich Griechen nach Ägypten verirrt, mehrere Tausend Kilometer südlich ihrer Heimat? 5. ZUSPIELUNG Petersen 21:00„Da haben sich griechische Söldner, die unter einem bestimmten Pharao tätig waren, nämlich dem Pharao Psammetich dem Zweiten im sechsten Jahrhundert, die haben sich da verewigt, und die haben dann quasi so aufgeschrieben ihren Namen und ihre Kompagnie und unter wem sie gedient haben. Die müssen da irgendwie eine Rast gehalten haben.“ ERZÄHLERGriechische Söldner sind ab 600 vor Christus im östlichen Mittelmeerraum überaus gefragt – nicht nur bei den ägyptischen Herrschern. In der Region kommt es immer wieder zu militärischen Konflikten, gute Kämpfer sind gefragt. In den Quellen werden die griechischen Söldner „eherne Männer“ genannt, in Anspielung auf ihre Rüstung und ihre Waffen, die aus Eisen geschmiedet sind, so Lars Petersen: 6. ZUSPIELUNG Petersen 24:47„Die waren sehr gut ausgebildet, aber auch ausgerüstet, und das war vor allem das, was man schätzte. Die kamen mit Sack und Pack, also die hatten ihre Rüstung, ihre selbstgeschmiedeten oder die sie sich haben fertigen lassen, die sie natürlich gut schützten. Sie hatten präzise, gute Waffen, die sie selbst verwendeten, und die einfach dann den Gegnern überlegen waren. … also das muss wohl so eine richtige Eliteeinheit gewesen sein, … vielleicht so etwas wie die französische Fremdenlegion, die bestimmte Aufgaben dann im Militärdienst in Ägypten übernommen haben.“ MUSIK ERZÄHLERINFür ihre Dienste unter fremden Herrschern und in fremden Regionen werden diese frühen militärischen Wanderarbeiter fürstlich entlohnt. In Ägypten erhalten sie pures Gold. Dafür müssen sie allerdings auch fern der Heimat kämpfen, und manch einer muss in der Fremde auch sein Leben lassen. ERZÄHLERDaheim ist das Ansehen von Söldnern eher gering, sie gelten als Außenseiter, leben meist abseits der Polis. Aber oft sehen Männer keinen anderen Ausweg: Die Bevölkerung Griechenlands wächst und im gebirgigen Land werden die Lebensmittel knapp. Viele Männer müssen sich anderswo nach einer Lebensgrundlage umschauen und entscheiden sich oft für ein Leben als Söldner auf fremden Territorien.  MUSIK ERZÄHLERINIm gleichen Zeitraum, um 500 vor Christus, sind andere frühe Wanderarbeiter dokumentiert: Im antiken Persien entsteht die heutige Weltkulturerbe-Stätte Persepolis, die Stadt der Perser. Eine riesige, prachtvolle Palast- und Tempel-Anlage. Erbauen ließen sie die persischen Großkönige, so Lars Petersen: 7. ZUSPIELUNG Petersen„Die haben wirklich gezielt aus ihren neuen Provinzen oder Satrapien, so hieß es bei den Persern, haben die sich dann die interessanten Leute geholt. Also da gibt es …Quellen aus Persepolis, die dann sagen: Auf unserer Baustelle des Königspalastes haben 200 Ägypter und 200 Syrer gearbeitet… teilweise Namen und die Gehaltsforderungen und was die bekommen haben und was die auch gemacht haben - also das waren Steinmetze, das waren Holzhandwerker, also Schreiner, die auf diesen Baustellen dann auch gearbeitet haben, und dann wahrscheinlich auch wieder in die Regionen zurückgegangen sind, wo sie ursprünglich herkamen.“ ERZÄHLERAuch für das römische Reich ist der Einsatz diverser Wanderarbeiter verbürgt. Insbesondere in der Landwirtschaft waren sie gang und gäbe. Zu Erntezeiten waren Kolonnen von Erntehelfern aus anderen Regionen für Großgrundbesitzer tätig, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. ERZÄHLERINSchon die frühen Wanderarbeiter kommen bei Tätigkeiten zum Einsatz, die besondere Kenntnisse und Fähigkeiten erfordern – und, wenn die heimische Bevölkerung nicht damit dienen kann oder will. Der Historiker Willi Kulke, der das Industriemuseum in Lage leitet, hat dem Phänomen der Wanderarbeit in Geschichte und Gegenwart eine Ausstellung gewidmet. Er ist davon überzeugt: Wanderarbeiter gab es schon immer. 8. ZUSPIELUNG Kulke 1:39„Es gab immer schon Gegenden, in denen Mehrbedarf war an Arbeit, und wo weniger Bedarf war und Wanderarbeit ist ganz häufig auch davon bestimmt, dass die Arbeit nur saisonal anliegt. … in der Landwirtschaft gibt‘s ganz viele Bereiche, die nie existieren würden, … ohne dass Menschen aus Gegenden kommen, in der sie noch weniger verdienen und die deswegen ein Interesse daran haben, für einen bestimmten Zeitraum auch in der Fremde zu arbeiten.“ MUSIK ERZÄHLERGerade im Mittelalter gab es viele Handwerker, die davon lebten, mit ihrem Leiterwagen über Land von Ort zu Ort zu ziehen, um den Menschen ihre Dienste und Waren anzubieten. Viele waren gezwungen, längere Zeit auf der Straße zu leben, sie schliefen in Schuppen oder Unterständen. Liefen die Geschäfte schlecht, waren sie auf Almosen angewiesen. Kesselflicker, Bürstenbinder, Scherenschleifer, genauso wie etwa auch Hausierer – alle zählen zum fahrenden Volk. Viele von ihnen sind Juden, Sinti und Roma, die sich nicht in den Städten niederlassen dürfen und von den Zünften ausgeschlossen sind. Der Historiker Willi Kulke: 9. ZUSPIELUNG Kulke 12:12„Das waren vor allen Dingen Berufe, die in der Menge in der Stadt nicht gebraucht wurden – so ein Kesselschmied, der konnte ein ganzes Jahr nicht davon in einer Stadt leben. Genauso wenig ein Scherenschleifer, … der zog durch ein bestimmtes Gebiet und war halt eins, zwei, vielleicht auch viermal im Jahr in den entsprechenden Dörfern für einen Tag oder zwei, verrichtete seine Arbeit, aber dann war das auch erledigt mit der Menge der Scheren und Messer, die entsprechend nachzuschleifen waren, und er zog weiter in den nächsten Ort nach. Also bei diesen Berufen ist es vor allen Dingen ein Gewerbe, bei dem die Nachfrage in den einzelnen Orten nicht so groß war, zum anderen aber auch eine gewisse Fachkenntnis notwendig war, um Messer, Scheren entsprechend richtig zu schleifen oder einen Kupferkessel also wirklich wieder dicht zu bekommen, der unter Umständen durchgescheuert war oder aus anderen Gründen Löcher bekommen hatte.“ MUSIK ERZÄHLERINDiese Wanderhandwerker und-kaufleute decken Nischen ab, die die ansässigen Handwerker und Kaufleute nicht bedienen. So bieten die Hausierer ein buntes Sortiment an Kurzwaren, Tüchern, Bändern, Kerzen, aber auch Tee, Kaffee oder Schmuck an. Die niedergelassenen Krämer betrachten sie oft als lästige Konkurrenz, sie werden als arbeitsscheu und sittlich verdorben verunglimpft. So heißt es in einem Bericht aus dem Jahr 1769: ZITATOR  „Sie betrügen den geringen Mann nicht nur mit schlechten Waren und übersetzen ihn im Preise, sondern bestehlen ihn auch noch manchmal dazu. Sie verführen die Weiber zu unnützer Pracht und Üppigkeit; sie schleppen ihnen heimlich Kaffee und starke Getränke zu, und verleiten sie gar oftmals zu andern Ausschweifungen.“ ERZÄHLERDie Dienste der umherziehenden Hausierer und Handwerker werden zwar benötigt, dennoch müssen sie eher am Rande der Gesellschaft leben, so der Historiker Willi Kulke. Man beäugt sie mit Argwohn. Fehlt irgendwo ein Silberlöffel, fällt der Verdacht schnell auf diese wandernden Arbeiter. 10. ZUSPIELUNG Kulke 13:31„Es waren halt Menschen, von denen man nicht so genau wusste, wo sie herkamen, wo sie lebten, wie sie lebten. … Das war dieser Makel der unehrenhaften Handwerker, Gewerke oder Gewerbe, die halt eben nicht wie ein Kaufmann oder ein Tischler oder ein Schumacher fest am Ort etabliert waren und entsprechend anerkannt. So waren halt eben Scherenschleifer, Kesselflicker oder andere halt schon eher ein unehrbares Handwerk.“ 11. ZUSPIELUNG Museum  (mit Musik)   ERZÄHLERINDas Ziegelei-Museum Lage. Eine eigene Ausstellung ist hier einer besonderen Gruppe von Wanderarbeitern aus dem westfälischen Lippe gewidmet. Die lippischen Wanderziegler haben vor allem seit Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg nicht nur ihre Heimat-Region geprägt, sagt der Leiter des Ziegeleimuseums, Willi Kulke.  12. ZUSPIELUNG Kulke„Ich würde einfach mal so vereinfacht sagen: Die Lipper haben Berlin aufgebaut. Die saßen in Glindow, Zehdenick rund um Berlin und haben Millionen von Ziegeln produziert, mit denen dann später diese riesen Mietskasernen mit drei, vier bis zu sieben Hinterhäusern entstanden, mit denen große Fabriken entstanden – und ohne die Lipper wäre diese Industrialisierung so nicht möglich gewesen, weil sie den Baustoff lieferten eben dafür.“ ERZÄHLERAm Anfang ist die Not. Im damaligen Fürstentum Lippe leben die meisten Menschen von der Handspinnerei und -weberei in Heimarbeit. Mit dem Aufkommen der Textilfabriken ab Mitte des 19. Jahrhunderts verlieren sie ihr Einkommen. Die Landwirtschaft wirft zu wenig ab, um die ganze Bevölkerung davon zu ernähren. Da bietet der Bauboom in Städten wie Berlin, Hamburg oder Bremen den arbeitssuchenden Lippern eine Chance. Der Historiker Willi Kulke: 13. ZUSPIELUNG Kulke 7:56„Die schaffen einen Baustein, einen von vielen, um Industrialisierung in Deutschland überhaupt möglich zu machen. … Und da konnte man aber auch nur Wanderarbeiter gebrauchen, weil Ziegel kann man nur von März bis Oktober herstellen, danach es zu kalt und friert dieser Lehm. Und es ist nicht möglich, also Steine zu formen, die nicht wieder auseinanderbröseln. Dafür braucht man dann Wanderarbeiter, die bereit sind, genau das tun, in einer bestimmten Saison zu arbeiten und dann das Land aber auch wieder zu verlassen oder die Gegend wieder zu verlassen, weil man sie nicht haben wollte, wenn sie keine Arbeit hatten.“ERZÄHLERINIn seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ beschreibt Theodor Fontane 1873 das arbeitsame Leben der lippischen Wanderarbeiter vor den Toren Berlins: ZITATOR  „Die Lipper, nur Männer, kommen im April und bleiben bis Mitte Oktober. Die Leute sind von einem besonderen Fleiß. Sie arbeiten von drei Uhr früh bis acht oder selbst neun Uhr abends, also nach Abzug einer Eßstunde immer noch nah an siebzehn Stunden. Sie verpflegen sich nach Lipper Landessitte, das heißt im wesentlichen westfälisch. Man darf sagen, sie leben von Erbsen und Speck, die beide […] aus der lippeschen Heimat bezogen werden, wo sie diese Artikel besser und billiger erhalten. Mitte Oktober treten sie, jeder mit einer Überschußsumme von nahezu 100 Talern, den Rückweg an […].“ MUSIK ERZÄHLERIn geschlossenen Gruppen fahren die Wanderziegler mit der Bahn jedes Frühjahr in die Fremde, um dort auf den Ziegeleien in Akkordarbeit ihr Geld zu verdienen. Vor allem die Familienväter schicken den Großteil ihres kargen Lohns sofort zurück in die Heimat, behalten nur ein kleines Taschengeld für sich. Die finanzielle Lage der Ziegler bessert sich erst in den 1920er Jahren – da können sich einige den Luxus eines eigenen Fahrrads oder Radios leisten, allerdings nur, wenn sie dafür monatelang eisern sparen. ERZÄHLERINDie Männer werden in der Fabrik angelernt und eingearbeitet, jeder spezialisiert sich auf eine bestimmte Tätigkeit in der Produktion – sei es als Tongräber, Former oder Brenner. Bei schlechtem Lehm, Krankheit oder Unfällen müssen alle den Verlust tragen. ERZÄHLER Meist leben zwei Dutzend Arbeiter zusammen in einem Wohnhaus, manchmal auch nur in einer einfachen, spartanisch eingerichteten Bretterbude, immer jedoch in unmittelbarer Nähe zur Fabrik mit dem Ziegelofen. Immer wieder kommt es deshalb zu Bränden. Die Männer teilen sich einen Schlafsaal, jeder hat eine einfache Bettstatt, als Unterlage dient ein mit Stroh gefüllter Leinensack. Oft werden die Jüngsten, vielfach erst 14-Jährigen, abstellt zum Kochen, später leisten sich viele Mannschaften eine Haushälterin. Die Mahlzeiten nehmen sie gemeinsam ein. Man bildet eine Ersatzfamilie, hat kaum Kontakt zur Außenwelt -das schweißt zusammen. ERZÄHLERINDie Familie bleibt während dieser Monate zuhause. Die meisten Frauen bewirtschaften einen kleinen Hof, halten Hühner und vielleicht ein Schwein, bauen Gemüse an, ziehen die Kinder groß und müssen zum Teil für die Pacht ihres Hofes beim Großbauern arbeiten. Ein richtiges Familienleben, einen Alltag, den Frau und Mann teilen, findet nur im Winter statt. Kontakt halten sie während der Monate der Trennung über Briefe, immer wieder bekommen die Wanderziegler auch ein Stück Schinken oder Speck aus der Heimat geschickt. Der Lohn für die Zieglerarbeit soll schließlich am Ende der Saison möglichst vollständig in den gemeinsamen Haushalt fließen.  ERZÄHLERDie Hochphase der Wanderarbeit der lippischen Ziegler endet nach dem Ersten Weltkrieg. In Lippe entwickelt sich eine eigene Industrie und die Ziegler werden zunehmen durch Maschinen ersetzt. ERZÄHLERINUnd heute? Heute sind weltweit ganze Wirtschaftszweige auf Wanderarbeiter angewiesen – Menschen, die ihrer Heimat vorübergehend oder regelmäßig für etliche Monate oder Jahre den Rücken kehren, um dorthin zu ziehen, wo es Arbeit und ein Auskommen für sie gibt. Viele von ihnen werden ausgebeutet und wie Sklaven behandelt.China: Abermillionen von Chinesen ziehen durch das riesige Land und ermöglichen dort unter härtesten Arbeitsbedingungen den gigantischen Bauboom. Indien: Rund 40 Millionen Wanderarbeiter kommen vom Land in die Städte, um dort meist als Tagelöhner in Fabriken, auf dem Bau oder für Transportunternehmen zu schuften. Unzählige leben in den Slums buchstäblich von der Hand in den Mund, etliche schlafen auf der Straße. ERZÄHLERDeutschland: Altenpflegerinnen aus Osteuropa stemmen ein Gros der häuslichen Pflege hierzulande; sie leben im Haushalt mit den Pflegebedürftigen, um die sich für einen kargen Lohn kümmern, fern der eigenen Familie in der Heimat. Spanien: Ein Heer an Saisonarbeitern schwärmt alljährlich auf die Felder, um Salat zu pflanzen, Melonen und Tomaten zu ernten oder Spargel zu stechen. ERZÄHLERINIn Europa arbeiten die Saisonarbeitskräfte zum Mindestlohn – zumindest auf dem Papier. Doch immer wieder ziehen die Arbeitgeber einen großen Anteil ab und behalten ihn ein – für die Verpflegung, Arbeitsgeräte und die Unterbringung; eine Unterbringung, oft in einfachen Containern oder überfüllten Sammelunterkünften. Gewerkschaften kritisieren die Arbeitsbedingungen als Sklaverei: Oftmals muss ohne Ruhetage durchgearbeitet werden, Zehn-Stunden-Tage sind bei der körperlichen schweren Arbeit keine Ausnahme. Die Betriebe müssen für die Arbeiter während eines Zeitraums von drei Monaten keine Sozialabgaben zahlen. MUSIK ERZÄHLERAuch wenn der Auszug in die Fremde quer durch die Geschichte sicherlich abenteuerliche Aspekte hat - als schiere Wanderslust ist das Massenphänomen der Wanderarbeit nicht zu erklären. Freiwillig lassen die wenigsten ihr Zuhause und ihre Familie zurück, um der Arbeit nachzuwandern. Davon ist Willi Kulke überzeugt. Der Arbeit wegen zeitweise oder langfristig seiner Heimat den Rücken zu kehren, bedeutet für die Menschen schließlich den Sprung ins kalte Wasser, das Kappen von gewachsenen Beziehungen und den Verlust der Heimat. Für viele eröffnet Wanderarbeit aber auch eine Perspektive, oftmals die einzige. Daran hat sich in den letzten Jahrhunderten nichts geändert. 14. ZUSPIELUNG Kulke 10:32 „Solange, wie Menschen arm sind irgendwo und Arbeit suchen, wird es immer Wanderarbeit geben. Und genauso wird es immer das Bedürfnis geben, für einen bestimmten Zeitraum möglichst billige Arbeitskräfte anzuwerben, die Dinge tun, die die heimische Gesellschaft selber so nicht tun will, so wie sie heute fast niemanden mehr finden, der bereit ist, für diese Löhne Erdbeeren zu pflücken oder Spargel zu stechen. … Solange wie keine gerechten, also wirklich auskömmliche Löhne dafür gezahlt werden für eine wirklich sehr, sehr schwere körperliche Arbeit, solange wird man immer andere Arbeitskräfte anwerben, die oft aus eigener Not halt eben bereit sind, jetzt zum Beispiel aus der Ukraine zu kommen, um hier Spargel zu stechen.“
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Jan 17, 2025 • 1min

TRAILER - Rezepte des Überlebens

Ganz typische Verhaltensweisen rund ums Essen gibt es in fast jeder Familie - dass man zum Beispiel als Kind immer seinen Teller leer essen sollte. So war es jedenfalls bei Iska Schreglmann. Als ihre Mutter stirbt und sie die Wohnung ausräumt, fällt Iska ein Kochbuch von 1871 in die Hände. Als sie erfährt, dass ihre Eltern als Kinder nach dem Zweiten Weltkrieg hungern mussten, beginnt sie zu recherchieren: Was hat das rätselhafte Kochbuch mit dem Hungerwinter von 1946/47 zu tun? Und was mit ihr selbst - etwa damit, dass sie immer alles aufessen musste?ZUM PODCAST
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Jan 9, 2025 • 22min

DER PANAMAKANAL - Eine Großbaustelle der Geschichte

Ein Kontinent wird in der Mitte durchgeschnitten und eine der wichtigsten Wasserstraßen der Welt entsteht. Die Geschichte des Panamakanals von seinem Baubeginn 1881 bis zu seiner Übergabe an Panama 1999 ist dramatisch: Es gab Tausende von Toten, Putschversuche, Machtkämpfe und militärische Konfrontationen. Von Klaus Uhrig (BR 2019)CreditsAutor: Klaus UhrigRegie: Sabine KienhöferEs sprachen: Katja Amberger, Christian Baumann, Jerzy May Technik: Roland BöhmRedaktion: Nicole RuchlakLinktipps:Im laufenden Betrieb - Tunnelbau unter der GroßstadtPlanet Wissen | ARD alphaBauingenieure wissen häufig nicht, auf welche Überraschungen sie im Untergrund stoßen werden. Fundamente von Wohn- und Geschäftshäusern müssen gesichert werden. Tunnelbau unter der Großstadt ist eine komplexe technische Herausforderung. (Verfügbar bis 11.02.2024)JETZT ANSEHEN Emily Warren Roebling vollendet die Brooklyn BridgeFrauengeschichte – Frauen schreiben Geschichte | ARD alphaDer deutsche Einwanderer John August Roebling entwarf die berühmte Hängebrücke, verunglückte aber tragisch. Sein Sohn Washington und dessen Frau Emily führten seine Mission fort und betraten dabei technisches Neuland. Ihr gelang es schließlich, die Brücke fertigzustellen.ZUM BEITRAG Brücken dieser WeltVon Seilen und Bögen | ARD alphaBILDERGALERIE ANSEHEN Und hier noch eine besondere Empfehlung der Redaktion: Kinder der Flucht – Frauen erzählen Podcastserie mit 4 Folgen | ARD AudiothekWas bedeutet es, die Heimat zu verlassen? Wie kann das Ankommen gelingen?Shahrzad Osterer präsentiert die bewegenden Geschichten von vier Frauen und Müttern, deren Leben von einer Flucht geprägt wurde.JETZT IN DER ARD AUDIOTHEK HÖRENAußerdem ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte: Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun? DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend. Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.
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Jan 3, 2025 • 23min

MUSSOLINIS ENDE – Der italienische Widerstand

Für ihre Gegner waren sie "banditi" und "ribelli", für die meisten Landsleute Helden: Rund 300.000 italienische Widerstandskämpfer führen aus dem Untergrund einen Guerillakrieg und bekämpften in den letzten Kriegsjahren die deutschen Besatzer und deren italienischen Vasallen.Von: Christiane Büld-Campetti (BR 2020) Credits Autorin: Christiane Büld Campetti Regie: Martin Trauner Es sprachen: Irina Wanka, Andreas Neumann, Jerzy May Technik: Robin Auld Redaktion: Thomas Morawetz Im Interview: Matthias Durchfeld, Giacomo Notari, Giacomina Castagnetti Linktipps: hr (2024): Verräterkinder – Die Töchter und Söhne des Widerstands Die Männer des 20. Juli 1944 werden heute verehrt als Helden, die ihr Leben im Widerstand gegen Hitler geopfert haben. Für ihre Kinder ist der gewaltsame Tod des Vaters eine Katastrophe, an deren Folgen sie bis in die Gegenwart zu tragen haben. JETZT ANSEHEN SWR (2022): Zivilcourage im Nationalsozialismus Sophie und Hans Scholl - diese Namen kennt jeder. Doch 75 Jahre später beginnen Historiker, sich auch mit kleineren Formen des Widerstands im Nationalsozialismus zu beschäftigen: Ein verweigerter Hitler-Gruß, ein übermaltes Propaganda-Plakat. - Was zeichnet den Widerstand aus und wie groß war er? Von Birgit Bernard und Michael Kuhlmann (SWR 2021). JETZT ANHÖREN Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte: Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun? DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend. Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.  Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de. Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Alles Geschichte JETZT ENTDECKEN Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript: ATMO Bella Ciao instrumental MUSIK SPRECHERINAm 8. September 1943 um 19 Uhr 45 unterbricht der italienische Rundfunk sein Programm für eine Ankündigung des Regierungschefs Pietro Badoglio. O-Ton 01 Originalausschnitt RAI-Archiv   ZITATOR OVDie italienische Regierung hat angesichts der Unmöglichkeit, den ungleichen Kampf gegen die überwältigende gegnerische Macht fortzuführen und um weiteres Unheil von der Nation abzuwenden, General Eisenhower, den Oberkommandierenden der alliierten Streitkräfte, um einen Waffenstillstand gebeten. Dem Gesuch wurde stattgegeben. SPRECHERIN400 Kilometer Luftlinie weiter nördlich verfolgt der 17-jährige Giacomo Notari in seinem Heimatdorf im tosco-emilianischen Apennin die Rede am Radio. O-Ton 02 Giacomo Notari          ZITATOR OVWir haben der Nachricht vom Waffenstillstand zunächst keine große Bedeutung beigemessen. Wir lebten schließlich in den Bergen des Apennins, weit weg von Krieg und Bomben. Wir machten deswegen erst einmal weiter wie gewohnt. MUSIK SPRECHERINDoch schon bald wird sich auch für Giacomo Notari alles ändern.Denn Deutschland besetzt Nord- und Mittelitalien,schafft dort einen faschistischen Bündnisstaatund aus dem Bauernjungen wird ein Partisan. O-Ton 03 Matthias Durchfeld       Ein Partisan ist jemand, der – wie das Wort sagt - eine Position einnimmt. Der auf einer Seite steht, eben auf einem pars. Ein Partisan ist jemand der hinguckt und Entscheidungen trifft. SPRECHERINFür Matthias Durchfeld, Direktor des Institutes für die Geschichte des italienischen Widerstandes in der norditalienischen Stadt Reggio Emilia hat sich Giacomo Notari damit für die richtige Seite der Geschichte entschieden, selbst wenn man ihn und seinesgleichen damals als Banditen und Rebellen abtut. O-Ton 04 Matthias Durchfeld       So wurden sie von der deutschen Besatzungsmacht oder den italienischen Faschisten bezeichnet, banditi, wurde dann aber auch trotzig angenommen, ja dann sind wir das eben banditi e ribelli. Kokettiert auch mit der Gesetzlosigkeit, was eine sehr hoch anzusehende Eigenschaft ist, dass man dem Gewissen mehr Gewicht gibt als dem Gesetz, gerade in Jahren des Krieges.  (ausblenden) MUSIK SPRECHERSeit Herbst 1922 wird die parlamentarische Monarchie Italien von der faschistischen Partei unter Benito Mussolini regiert und verwandelt sich schrittweise in ein totalitäres Regime. SPRECHERINDie Pressefreiheit ist eingeschränkt, es gelten Rassengesetze, eine politische Opposition existiert nicht mehr. Die Antifaschisten sitzen in Haft oder leben in der Verbannung. SPRECHER1936 schließen Mussolini und Hitler einen Freundschaftsvertrag, die „Achse Berlin-Rom“, 1940 tritt Italien an der Seite Deutschlands in den Zweiten Weltkrieg ein. SPRECHERINDer Krieg nimmt für das unzureichend vorbereitete und schlecht ausgerüstete Land einen katastrophalen Verlauf. Als sich noch die Lebensbedingungen der Bevölkerung verschlechtern, kommt es im Frühjahr 1943 zu Massenprotesten. SPRECHERMitte 1943 landen die Alliierten auf Sizilien und bombardieren Rom. Daraufhin entzieht das oberste Gremium der Faschistischen Partei Benito Mussolini das Vertrauen. Noch am selben Tag lässt König Vittorio Emanuele III. ihn verhaften und übernimmt den Oberbefehl über die Streitkräfte. Marschall Pietro Badoglio wird zum neuen Regierungschef ernannt. SPRECHERINDie Italiener jubeln und sofort formieren sich die antifaschistischen Parteien neu. SPRECHERDie Badoglio-Regierung verspricht Hitler, weiterhin an seiner Seite zu kämpfen. Im Geheimen verhandelt sie mit den Alliierten über einen Waffenstillstand, der am 8. September eintritt. Hitler schäumt und spricht von Verrat. MUSIK SPRECHERINDieser Vorwurf wird von der NS-Propaganda gebetsmühlenartig wiederholt und gilt bis heute als einer der Gründe, warum sich die Deutsche Wehrmacht für im späteren Verlauf für eine „Politik der verbrannten Erde“ gegen Widerstandskämpfer und die Zivilbevölkerung entscheiden. SPRECHERDa sie mit einem Rachefeldzug der Deutschen rechnen, flüchten König und Regierung in den von den Alliierten kontrollierten Süden. Das Land überlassen sie dem Chaos und der deutschen Wut. SPRECHERINNoch am selben Tag gründen die antifaschistischen Parteien und Organisationen ein nationales Befreiungskomitee und rufen zum Widerstand auf. Denn noch ist das faschistische Regime nicht besiegt. SPRECHERWie befürchtet, marschieren deutsche Truppen sofort in Italien ein und besetzen den noch nicht befreiten Teil des Landes bis Neapel. Ein Spezialkommando holt Mussolini aus dem Gefängnis und Hitler beruft ihn zum Regierungschef der neu geschaffenen Marionettenregierung Repubblica Sociale Italiana, auch Republik von Salò genannt, nach ihrem Sitz am Gardasee. SPRECHERINItalien ist faktisch zweigeteilt. Der von den Alliierten befreite Süden, il Regno del Sud, erklärt Deutschland der Krieg. Nord- und Mittelitalien untersteht der deutschen Besatzung und ihren italienischen Vasallen. SPRECHERVor diesem Hintergrund, so Matthias Durchfeld, beginnt eines der wichtigsten Kapitel der neueren italienischen Geschichte - die zwanzigmonatige Resistenza. O-Ton 05 Matthias Durchfeld       Resistenza ist der antifaschistische Widerstand von 1943-45 gegen die deutsche Besatzung und den italienischen hauseigenen Faschismus. Es ist bewaffneter Widerstand und politischer Widerstand. Und der fällt nicht vom Himmel, sondern entwickelt sich aus dem politischen Widerstand, den es auch vorher gegeben hat. MUSIK SPRECHERINIn den folgenden Monaten schließen sich Hunderttausende Italiener, Männer und Frauen, dem antifaschistischen Widerstand an. Den Kern bilden Oppositionelle, die in dem Durcheinander-Sommer zwischen 25. Juli und 8. September aus der politischen Haft entlassen werden. Sie gründen in den Städten erste „Gruppen für patriotische Aktionen“, kurz GAP genannt. Noch ist es ein unbewaffneter Widerstand, mit dem Stift in der Hand, um politische Propaganda zu betreiben oder auf dem Fahrrad, um die Ortsgruppen oder die alliierten Streitkräfte mit Informationen zu versorgen, erläutert Matthias Durchfeld: O-Ton 06 Matthias Durchfeld       Am Anfang allerdings, als die Partisanen noch sehr wenige waren, gab es einzelne Kleingruppen in den Städten, die Attentate auf faschistische Offiziere durchführten, um zu zeigen, a) sie sind angreifbar, und b) es gibt Leute die angreifen, es gibt Widerstand, es gibt eine Alternative MUSIK SPRECHERIm Herbst und Winter 1943/44 verläuft die Front auf der so genannten Gustavlinie, rund hundert Kilometer südlich von Rom. Dort stehen sich deutsche Truppen und alliierte Streitkräfte gegenüber. Um die Wehrmacht zu unterstützen, ruft die Republik von Salò junge Italiener zu den Waffen, mit wenig Erfolg. SPRECHERINDer antifaschistische Widerstand hat hingegen großen Zulauf: Kriegsdienstverweigerer, die sich verstecken müssen, sowie italienische Soldaten, die bis zum 8. September an der Seite Deutschlands gekämpft haben. SPRECHERAuch die italienische Armee wird von dem Waffenstillstand überrascht. Als der König und die Badoglio-Regierung hinter die Linien der Alliierten fliehen, stehen sie zudem ohne Oberbefehlshaber da. Daraufhin legen Soldaten und Offiziere die Waffen nieder.Um nach Hause zu gelangen, müssen sie den deutschen Machtbereich durchqueren. Dort stellt man sie vor die Wahl:Eingliederung in die neugegründete faschistische Armee oder Entwaffnung und anschließende Deportation in deutsche Arbeitslager. MUSIK SPRECHERINNur 20 Prozent der Soldaten sind bündniswillig, mehr als eine halbe Million landen in deutschen Arbeitslagern, mindestens ebenso viele desertieren.Sie machen sich auf den Weg nachhause, und oft führt der Weg über den Apennin, der sich südlich von Bologna von der französischen Grenze bis zur Adria hinzieht. SPRECHERINDer nicht enden wollende Zug aus Rückkehrern ist für Giacomo Notari, der in einem Dorf oberhalb von Reggio Emilia lebt, die erste Begegnung mit den Auswirkungen des Krieges. In Erinnerung bleibt ihm vor allem eine Gruppe Gebirgsjäger, die geschwächt und ausgehungert aus Russland zurückkommt. O-Ton 07 Giacomo Notari         ZITATOR OVDiese Jungs stürmten den Sitz der faschistischen Partei im Dorf und schmissen alles aus dem Fenster. Für uns war es fast schon ein Schock auch das Porträt Mussolinis im Staub liegen zu sehen. Wir hatten schließlich alle eine faschistische Ausbildung erhalten. O-Ton 08 Matthias Durchfeld       Wie Giacomo Notari gesagt hat: Die Alpini verwüsten das Büro, nachdem sie aus dem Krieg zurückkommen, nicht vorher. Das heißt, ihre konkrete Situation bringt sie auf den Gedanken, sich anders zu Verhalten. Und einige gehen zu den Partisanen. Und sie sind sehr wichtig aufgrund der Erfahrung, die sie mitbringen. SPRECHERINFür Giacomo Notari ist die Episode ein Schlüsselerlebnis. Sie macht ihm Mut und er nimmt zu einer lokalen GAP-Widerstandsgruppe Kontakt auf. Dort erhält er den Auftrag, sich bei der Armee der Republik von Salò zu melden, um sie zu infiltrieren. Auch andere Zivilisten reagieren. Sie wollen verhindern, dass die Rückkehrer in die Hände der Deutschen und ihrer faschistischen Unterstützer fallen, und versorgen sie mit ziviler Kleidung, verstecken ihre Waffen und verbrennen die Uniformen. Dabei kann schon diese Hilfe Folgen haben, erklärt Giacomina Castagnetti, eine 18-Jährige, die sich ebenfalls einer GAP-Gruppe anschließt. O-Ton 09 Giacomina Castagnetti        ZITATORIN OVZu den Familien zu gehen und zu fragen, ob sie eine Hose oder ein Paar Schuhe übrighaben, konnte gefährlich werden. Viele waren nach wie vor wie vor Faschisten und unterstützten die Deutschen. Wir riskierten also, angezeigt zu werden und im Gefängnis zu landen oder gefoltert zu werden. MUSIK SPRECHERIm Mai 1944 gelingt es den alliierten Streitkräften, die Gustavlinie bei Rom zu durchbrechen und die Wehrmacht zieht sich langsam gen Norden zurück. SPRECHERINNoch hat der Widerstandskampf da keine militärische Bedeutung. Vielmehr schützt man die Zivilbevölkerung vor den Schikanen der Besatzer und Faschisten oder stört die Versorgung der deutschen Truppen. SPRECHERINMit dem Rückzug der Wehrmacht verlegt sich der Widerstand jedoch von den Städten in die Berge und wird dort zunehmend als Guerillakrieg ausgetragen. SPRECHERINFür ihre Ausbildung zu Guerillakämpfern sorgen die desertierten Soldaten, für ihre politische Indoktrination sogenannte politische Kommissare. O-Ton 11 Matthias Durchfeld       Das waren oft ältere, die politische Erfahrung hatten, aus dem Exil, im Gefängnis. Für die zwanzigjährigen Partisanen, die von nichts eine Ahnung hatten, die aus einer ländlich geprägten Gegend kamen, waren das ganz wichtige Vaterfiguren, die wirklich versuchten einem das ABC der Politik beizubringen. SPRECHERINDie politischen Kommissare sollen auch dafür sorgen, dass sich das Verhältnis zur Bevölkerung verbessert. Gerade zu Beginn des bewaffneten Befreiungskampfes sind die Bewohner der Bergregionen nicht davon begeistert, dass sie einen undisziplinierten Haufen junger Männer, die in ihrer Nähe einen Guerillakrieg führen, mit Lebensmitteln versorgen sollen. O-Ton 12 Matthias Durchfeld       Wenn du selber wenig zu essen hast, wird es auch schwierig, andere Leute durchzufüttern. Es ist also nicht nur politisch zu sehen. SPRECHERINIn der Regel können die Partisanen jedoch während der gesamten 20 Monate auf die Unterstützung der Bevölkerung zählen, besonders gegen Ende des Krieges, als Neutralität nicht mehr möglich ist. Und hier tun sich vor allem die Frauen hervor. Zwar trauen sich nur wenige – weil es sich einfach nicht gehört – sich den bewaffneten Partisanen anzuschließen. Trotzdem ist ihre Mithilfe unverzichtbar, gerade als Stafette, weiß Giacomina Gastagnetti. O-Ton 13 Giacomina Castagnetti ZITATORIN OV Wir haben Flugblätter verteilt und die Partisanen in den Bergen mit Informationen versorgt. Die Jungs mussten schließlich wissen, wo sich genau die deutschen Truppen befanden. Wir haben auch Waffen in unseren Körben transportiert, zum Beispiel Handgranaten zwischen den Kartoffeln versteckt. Wer erwischt wurde, landete geradewegs im Gefängnis und kam meist nie mehr nach Hause. MUSIK SPRECHERINAllein im Jahr 1944 beteiligen sich bis zu einhundertfünfzigtausend Partisanen gleichzeitig an dem bewaffneten Befreiungskampf in den Apennin-Regionen Piemont, Ligurien, Emilia Romagna und Toskana. Es sind vorwiegend junge Männer, die sich in den Bergen verstecken, dort in Hütten und Höhlen übernachten und von der Bevölkerung versorgt werden. Von dort machen sie ihre Vorstöße ins Tal, schießen aus dem Hinterhalt auf vorbeifahrende deutschen Truppen, sprengen Brücken, kappen Telefon- und Stromleitungen. Waffen, Geld, Lebensmittel oder Benzin erhalten sie - nach anfänglichem Zögern - von den Alliierten. Manchmal kommen auch deren Offiziere, um sie zu schulen. SPRECHERINNatürlich wissen die Allliierten, dass sie den Krieg gegen die Deutschen auch alleine gewonnen hätten, so Matthias Durchfeld. Trotzdem kommen sie irgendwann an den Partisanen nicht vorbei, obwohl sie anfangs als Banditen und Rebellen gelten. O-Ton 14 Matthias Durchfeld Die Partisanen werden aber für die Regierungen im Süden ein wichtiges Argument den Alliierten gegenüber, schon in Sichtweite auf die Nachkriegszeit: Das gute Italien, das wir hinterher auf die Waagschale bei den Friedensverhandlungen legen können. Insofern gibt es die Legitimation der Truppen und des Befreiungskomitees ganz offiziell. Sie waren in gewisser Weise die reguläre Armee SPRECHERINPartisanen, eine reguläre Armee? Das sehen die Deutschen und ihre italienischen Vasallen anders. Für sie sind sie bloß Banditen, die einen hinterhältigen Bandenkrieg führen. Daher fühlt sich der deutsche Oberbefehlshaber Kesselring auch nicht verpflichtet, sich an die Genfer Konvention zu halten, die den Umgang mit Kriegsgegnern regelt. MUSIK SPRECHER  Das Resultat ist verheerend:die deutschen Soldaten und ihre faschistischen Verbündeten wie die Spezialeinheit Decima Mas brandschatzen, vergewaltigen, morden ungestraft.Partisanen, die in deutsche Gefangenschaft geraten, werden gefoltert und getötet. Sie benutzen die Bevölkerung als Druckmittel: jeder Partisanenangriff wird mit Repressalien gegen umliegende Dörfer geahndet und selbst das Verschweigen von Informationen wird mit dem Tode bestraft. SPRECHERIN  Weil die Partisanen trotzdem weitermachen, werden die Vergeltungsmaßnahmen im Sommer 1944 sogar noch verschärft. In dieser Zeit nehmen auch die deutschen Massaker an der Zivilbevölkerung zu. Als so genannte Sühnemaßnahmen werden rund 10.000 Frauen, Kinder und alte Männer auf bestialische Weise abgeschlachtet - sowohl von der SS als auch von der Wehrmacht - was lange geleugnet wird. Als Grund für diese Politik der verbrannten Erde gelten neben der Verbitterung über das Waffenstillstandsabkommen der Italiener mit den Alliierten, natürlich noch weitere Gründe, so Matthias Durchfeld. O-Ton 15 Matthias Durchfeld Erst einmal ist sicherlich eine totale Verrohrung und eine nicht Italienspezifische Nichtachtung des Lebens vorauszusetzen bei vielen Leuten, die sich an den Kriegsalltag und an Gewalt gewöhnt haben. Dazu kommt, wenn man über Massaker redet 1944, über Marzabotto, das schlimmste, da war eigentlich klar, die Deutschen verlieren die Krieg. Diese Verbrechen im letzten Jahr haben auch den zweiten Grund: die Situation, es ist sowieso alles ist egal, wir sind dabei zu verlieren. SPRECHERINNach einem Massaker in seiner Nachbarschaft, bei dem 32 Zivilisten lebendig verbrannt werden, wechselt Giacomo Notari zum bewaffneten Widerstand und legt sich den Codenamen „Partisan Willi“ zu.  O-Ton 16 Giacomo Notari ZITATOR OV  Es war ein traumatisches Ereignis. Sie hatten auch vorher getötet, Doch hier verhöhnten sie die Toten und vor allem töteten sie Kinder. Danach konnte man überall hören: "Damit muss Schluss sein." Und viele griffen zu den Waffen. MUSIK SPRECHERMittlerweile verläuft die Front auf der Gotenlinie. Die 320 Kilometer lange deutsche Verteidigungslinie mit Minenfeldern, Schützengräben und Luftschutzbunkern zieht sich zwischen Bologna und Florenz von der toskanischen Küste quer durch den tosco-emilianischen Apennin bis zur Adria. SPRECHERINWährend die Alliierten vorwiegend aus der Luft angreifen, kämpfen die Partisanen am Boden weiterhin ihren Guerillakrieg: angreifen, zurückziehen, angreifen.Denn für größere Aktionen reicht ihre Kampfkraft nicht. Das merkt auch Giacomo Notari, alias Partisan Willi, als er, nur mit Maschinengewehren und Handgranaten ausgerüstet, gemeinsam mit mehreren Einheiten die Division Göring angreift, die hingegen über Panzerfahrzeuge, Artillerie und Kleinflugzeuge verfügt. O -Ton 17 Giacomo Notari   ZITATOR OV  Das ist uns teuer zu stehen gekommen, es gab viele Tote, mehr als 1000 von uns wurden gefangen genommen und nach Deutschland deportiert. Anderthalb oder zwei Tage konnten wir dagegenhalten. Dann lösten wir unsere Verbände auf. Nur ganz langsam schlossen sich unsere Reihen wieder. SPRECHERDann folgt der letzte Kriegswinter. MUSIK SPRECHERINFür die Partisanen in ihren provisorischen Unterkünften werden die Zustände unhaltbar. Es schneit wie lange nicht mehr, sie leiden unter der Kälte und müssen hungern. Als dann die Alliierten vorübergehend ihre Truppen abziehen, um sie anderswo einzusetzen, geben viele auf und gehen nach Hause. Nur ein kleiner Teil, darunter Giacomo Notari, hält durch und setzt den Guerillakrieg fort. ATMO Akkordeon SPRECHERINIm Frühjahr 1945 nehmen die Alliierten die Kampfhandlungen wieder auf und auch die bewaffnete Resistenza bekommt erneut Zulauf. Gemeinsam befreien sie Schlag auf Schlag eine Stadt, eine Provinz nach der anderen.Am 25. April fällt die Gotenlinie und kurz darauf kapituliert Deutschland.Während Partisan Willi noch bis zum 2.Mai in den Bergen bleibt, um versprengte faschistische Milizen zu bekämpfen, feiert Giacomina Castagnetti bereits die Befreiung. O-Ton 19 Giacomina Castagnetti ZITATORIN OV  Das erste was ich getan habe, nach Hause laufen und die Fenster öffnen. Denn sie waren fünf Jahre lang mit lichtundurchlässigem Zuckerpapier verklebt gewesen. Dann habe ich mir eine Fahne unseres Befreiungskampfes besorgt und bin bis nach Reggio heruntergelaufen, um zu feiern. MUSIK SPRECHERINDer zwanzigmonatige Befreiungskampf kostet rund 120.000 Partisanen und Zivilpersonen das Leben. Genaue Zahlen über Gefallene auf der gegnerischen Seite existieren nicht, auch weil dieses Kapitel der deutsch-italienischen Geschichte nie wissenschaftlich untersucht wurde. SPRECHERIm ganzen Land kommt es danach zu einer persönlichen, später dann auch zu einer politischen und gerichtlichen Abrechnung mit dem Faschismus. Letztere finden jedoch durch ein Amnestiegesetz im Juni 1946 ein vorzeitiges Ende. MUSIK SPRECHERINFür die Männer und Frauen aus dem antifaschistischen Widerstand eine Enttäuschung. Sie trösten sich damit, dass die Monarchie abgewählt wird und ein neuer demokratischer Staat aus ihrem Befreiungskrieg hervorgeht. MUSIK Vor allem aber hat er mündige Bürger hervorgebracht, wie Giacomo Notari. Als Vertreter der kommunistischen Partei ist er später lange Zeit Bürgermeister seiner Heimatgemeinde. Zeit seines Lebens engagiert er sich zudem dafür, dass die Gründe, die Erfahrungen und Folgen der Resistenza nicht in Vergessenheit geraten. Den für ihn ist nichts schlimmer, als dass der Faschismus als eine Meinung unter vielen wieder salonfähig wird.
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Jan 3, 2025 • 23min

MUSSOLINIS ENDE – Die Republik von Salò

Im Sommer 1943 wird Mussolini gestürzt und festgesetzt, wenige Wochen später aber von deutschen Fallschirmjägern befreit. Kurz darauf gründet er südlich der Alpen die "Republik von Salò", in der er versucht, als Staatschef von Hitlers Gnaden einen noch radikaleren Faschismus durchzusetzen. Das Unternehmen endet im Desaster. Von: Rainer Volk (BR 2023) Credits Autor: Rainer Volk Regie: Rainer Schaller Es sprachen: Rahel Comtesse, Christian Jungwirth, Peter Weiß, Silke von Walkhoff Technik: Andreas Lucke Redaktion: Thomas Morawetz Im Interview: Amedeo Osti Guerazzi, Roberto Vivarelli Linktipps: Deutschlandfunk (2025): Mussolini – Italiens Weg in den Faschismus Benito Mussolini war bereits fast drei Jahre lang Ministerpräsident, als er am 3. Januar 1925 endgültig den Weg Italiens in die Diktatur ebnete. Er übernahm öffentlich die Verantwortung für den Mord an einem politischen Gegner. JETZT ANHÖREN ZDF (2023): Mussolini – Der erste Faschist Er gilt als Erfinder des Faschismus: der Diktator Benito Mussolini. Über zwei Jahrzehnte lang steht er an der Spitze Italiens und stürzt am Ende sein Land in die Katastrophe. JETZT ANSEHEN Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte: Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun? DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend. Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.  Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de. Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Alles Geschichte JETZT ENTDECKEN Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript: OT 1 Kriegserklärung Italien an Frankreich/GB am 10.6.1940Rufe „Duce, Duce, Duce“ – L’ora delle decisione…   MUSIK Erzähler:Die Stunde der Entscheidung ist da, ruft Benito Mussolini am 10. Juni 1940, als er Frankreich und Großbritannien den Krieg erklärt. Die Menschen auf dem Platz vor dem Palazzo Venezia in Rom jubeln. Entscheidend ist dieser Tag in der Tat. Mit ihm beginnt auch die Geschichte der Republik von Salò. – Denn der 2.Weltkrieg überfordert Mussolinis Diktatur: Zwei Feldzüge in Äthiopien und Libyen haben Italien viel Kraft gekostet. Es ist Hitlers Blitzfeldzug durch Frankreich, der Mussolini in den Krieg lockt – er spekuliert auf einen Teil der Beute. 1943 hat Italien diese Hoffnungen begraben müssen. An allen Fronten ist das Bündnis mit dem NS-Regime, die so genannte „Achse“, in der Defensive. Amedeo Osti Guerazzi, Professor für Zeitgeschichte an der Universität Padua sagt zur Kriegslage im Sommer 1943: OT 2: OV Amedeo Osti Guerazzi Osti-Guerazzi – Sommer 43 „The reports of the political police … in the hands of Hitler.”   Übersetzer: “Die politische Polizei berichtete damals, dass die Menschen sauer waren über das Regime. Man wusste, der Krieg war verloren. Es war völlig sinnlos, gegen die Amerikaner zu kämpfen. Die Bombenangriffe der amerikanischen und britischen Luftwaffe hatten viele Städte bereits stark zerstört. Im Süden wie im Norden. Zudem hungerten die Italiener – Menschen starben, weil es nicht genug zu essen gab. Man war sich einig: Mussolini ist nur eine Marionette Hitlers.“ OT 3: Landung Sizilien „Hello the OWI in New York – this is Allied Force Headquarters in North Africa. …     Erzähler:Am 10.Juli 1943 merken alle, es wird ernst: Briten und Amerikaner beginnen die Invasion Siziliens. Die Landung führt dazu, dass Mussolinis Gefolgsleute das Vertrauen in ihn verlieren. Sie beantragen für den 24.Juli eine Sitzung des „Faschistischen Großrats“. Das Gremium hat seit 1939 nicht mehr getagt, ist eigentlich unnütz, meint Amedeo Osti Guerazzi: OT 4: OV Amedeo Osti Guerazzi (Osti Guerazzi – Großrat)„But it was the only way… to summon these hierarchs in the Gran Consiglio.”       Übersetzer: “Aber es war der einzige Weg wie die Bonzen der Faschistischen Partei, Mussolini zwingen konnten etwas zu tun. Die intelligentesten unter ihnen hatten kapiert, dass der Krieg verloren war. Sie hatten Mussolini bekniet, den Faschismus zu retten – und damit sich selbst. Jetzt zwangen sie ihn zu handeln. Seltsamerweise ist er einverstanden – das Motiv ist bis heute unklar. Wir wissen nicht, weshalb er die Parteigrößen zum Faschistischen Großrat einberuft.“ MUSIK Erzähler:Man tagt zehn Stunden. Als ein Antrag gestellt wird, Mussolini das Kommando über die Streitkräfte zu entziehen und es König Viktor Emmanuel III. zu übertragen, schweigt der Duce. Prompt wird der Vorschlag angenommen. Konsterniert bittet Mussolini tags darauf um eine Audienz beim König. Dieser erklärt ihm dabei, er sei als Regierungschef entlassen und festgenommen. OT 5: („Nachrichten des italienischen Rundfunks“ MB: W0030442Z00) -   „Attenzione! Attenzione!... Pietro Badoglio.“  Erzähler:Die Nachricht von Mussolinis Sturz ist eine Sensation. In Rom feiern die Menschen auf der Straße. Offiziell heißt es im Radio: Seine Majestät der König und Kaiser habe der Bitte Mussolinis entsprochen, ihn von den Ämtern als Ministerpräsident, Regierungschef und Staatssekretär zu entbinden. Diese Ämter seien Feldmarschall Pietro Badoglio übertragen worden. Erzähler:Ein 71jähriger General als Nachfolger eines Mannes, der für Millionen ein Idol war? Das bestürzt Millionen Italiener. Der Historiker Roberto Vivarelli erinnert sich, sein Vater habe als überzeugter Faschist von „Verrat“ gesprochen. Vivarelli lehrt nach dem Krieg Geschichte an italienischen Universitäten und forscht auch zu den Ursprüngen des Faschismus. Anfang dieses Jahrhunderts sorgt sein freimütiges Bekenntnis in Italien für Furore, der Staatsstreich gegen Mussolini 1943 sei für ihn als damals 13jährigen ein Schlag gewesen. Hier ein Ausschnitt eines Gesprächs mit Roberto Vivarelli aus dem Jahr 2004. OT 6: OV Roberto Vivarelli Vivarelli – Staatsstreich„Era colpito …all’interno di regime fascista stesso.“       Übersetzer II: „Es war Frustration und auch Wut, weil es nicht möglich schien, dass die Dinge so enden würden. Wie Mussolini gestürzt wurde, schien für uns wie ein Verrat. Verrat seitens der Italiener, aber auch seitens einiger Faschisten, denn es war ja der Großrat, der den Sturz herbeiführte - gewissermaßen als Putsch innerhalb des faschistischen Regimes.“ Erzähler:Die Hoffnungen des Monarchen in General Badoglio werden bald enttäuscht. Viktor Emmanuel hat Angst vor dem Kommunismus und einem Ende seines Königreichs. Gleichzeitig soll Badoglio die Deutschen daran hindern, Italien zu besetzen. Denn in Berlin ahnt man, dass Italien den Krieg gegen Briten und Amerikaner beenden will. So viele Probleme kann ein Polit-Neuling wie Badoglio nicht lösen, meint der Historiker Amedeo Osti Guerazzi OT 7: OV Amedeo Osti Guerazzi„It was a failure, of course… where he was in the hands of the Anglo-Americans.” Übersetzer: “Das ging schief - klar. Das Einzige, was er schaffte, war auf Demonstranten gegen den Faschismus zu schießen. Er war unfähig, einen Waffenstillstand mit den Anglo-Amerikanern zu erreichen, der Hand und Fuß hatte. Er konnte die Rache der Deutschen nicht verhindern. Sie besetzten am 9./10.September das ganze Land. Daraufhin floh er mit dem König flugs in den äußersten Süden, nach Brindisi, wo er in den Händen der Alliierten war.“ MUSIK Erzähler:Die Schilderung zeigt, wie sich die Ereignisse überstürzen. Die Waffenruhe mit den Alliierten, die am 8. September 1943 publik wird, ist für die Deutschen Vorwand, ganz Nord- und Mittelitalien zu besetzen, Rom zu belagern und 800-tausend italienische Soldaten gefangen zu nehmen. Für Roberto Vivarelli, der in Siena lebt, ist die Einigung mit Amerikanern und Briten der Schlüsselmoment. Denn er zwingt alle sich zu entscheiden, auf welcher Seite sie stehen: OT 8: OV Roberto Vivarelli Vivarelli – 8. September„Il momento decisivo … contre gli tedeschi.” Übersetzer II: „Der entscheidende Moment ist der 8. September, der Tag des Waffenstillstands. Denn ab da ging es bergab, sogar in einer kleinen Stadt wie Siena. Die Einwohnerschaft war gespalten. Es gab diejenigen, die für die eine Seite waren und diejenigen, die gar keine Haltung einnahmen. Die auf der anderen Seite zeigten sofort eine, sagen wir mal, positive Haltung zur Regierung des Südens. Also gegen die Deutschen. Entscheidend war also, für die Deutschen oder gegen die Deutschen zu sein.“ MUSIK Erzähler:Am 12. September befreien deutsche Fallschirmjäger Mussolini aus der Gefangenschaft in einem Hotel am Gran Sasso-Massiv. Für die Nazis ein Coup – auch der Empfang durch Hitler in dessen Hauptquartier in Ostpreußen. Dort erklärt dieser seinem einstigen Vorbild, SS und Wehrmacht seien nun die Herren in Italien. – Ein Eklat, den man durch eine Radiorede Mussolinis an seine Landsleute kaschieren will. OT 9: Radio-Rede Mussolinis nach der Befreiung „Camiceneri, italieni é italiane…         Erzähler:Der Duce spricht an diesem 18. September aus München - sehr verhalten. Er verkündet, Italien werde den Kampf an der Seite Deutschlands wieder aufnehmen. - De facto ist die „Repubblica Sociale Italiana“, die er am 23. September 1943 ausruft, ein Staat von Hitlers Gnaden. Die erste Kabinettssitzung findet in der deutschen Botschaft in Rom statt. Da wissen aber alle schon, dass die Ministerien und Führungsriege des neuen Regimes an den Gardasee umziehen. Amedeo Osti Guerazzi: OT 10: OV Amedeo Osti Guerazzi Osti – Saló “First of all…it was secret.    Übersetzer: Erstens lag Rom zu nahe an der Front. Zweitens verachtete Mussolini Rom, weil er hier verraten worden war am 25. Juli 43. Mailand war zu gefährlich - die US-Luftwaffe bombardierte die Stadt täglich. So kam man auf diesen Ort am Garda-See, in der Nähe wichtiger Nazi-Kommandostellen, wo ihn der SS-General Wolff überwachen konnte. Die Bezeichnung „Republik von Salò“ rührt daher, dass dort das Propaganda-Büro saß. So hieß es offiziell immer: „Salò sagt dieses, Salò berichtet jenes.“ Die Leute meinten, Mussolini sei dort. Aber wo er wirklich war, war geheim.“ OT 11: Musik Giovinezza - instrumental Erzähler:Zur Propaganda gehört auch, dass im Radio wieder die Faschisten-Hymne „Giovinezza“ ertönt. Auch das ein Zeichen, es ist alles wieder wie Juli 1943. Allerdings zieht Mussolini auch Lehren aus seinem Debakel. Das zeigt der offizielle Staatstitel „Repubblica Sociale Italiana“ – Italienische Sozialrepublik. Er soll an die populistischen Anfänge der faschistischen Partei im Jahr 1919 anknüpfen, sagt Amedeo Osti Guerazzi: OT 12: OV Amedeo Osti Guerazzi Osti – RSI-Name„The first name, not given by Mussolini… against the monarchy, against the king, who betrayed him in July 1943.”  Übersetzer: Zunächst dachten die Nazi-Bonzen – nicht Mussolini – als Bezeichnung an „Nationale Faschistische Regierung“. Mussolini wusste aber: der Begriff „Faschismus” kommt im September 1943 nicht mehr gut an bei den Leuten. Er argumentierte: Wir müssen zurück zum wahren Faschismus – dem sozialen Faschismus, populistischen Faschismus. So entstand “Italienische Sozialrepublik“. Klar, das ging auch gegen die Monarchie - den König, der ihn im Juli 43 verraten hat.“  MUSIK Erzähler:Im Alltag führt das zu einer Radikalisierung: einer verschärften Zensur, Polizei und Gestapo verstärken erheblich die Verfolgung der Juden – tausende landen nun in deutschen Vernichtungslagern in Osteuropa. Wer politisch missliebig ist, landet im Gefängnis. Drakonische Maßnahmen, die Italien spalten. Eine Minderheit der Bevölkerung bleibt Mussolini treu; eine Mehrheit wartet ab oder leistet Widerstand. Schätzungen zufolge schließen sich 150-tausend Männer und Frauen Partisanen- und Widerstandsgruppen an - „Partigiani“ oder „Resistenza“ genannt. MUSIK Erzähler:Berühmt – und in unzähligen Versionen nachgesungen – wird ab Herbst 1943 die Partisanen-Hymne „Bella ciao“, ursprünglich ein Volkslied. Der Text handelt vom Abschied eines Partisanen von seiner Geliebten, ehe er sich in den Bergen versteckt. Der „Eindringling“, der besungen wird, sind die deutschen Besatzer Italiens. Erzähler:Die Fronten werden unübersichtlich, was das Misstrauen wachsen lässt und tausende italienische Zivilisten das Leben kostet. Berüchtigt sind die Massaker deutscher Soldaten in Orten wie Sant‘ Anna di Stazemma unweit von Pisa und Marzabotto bei Bologna. Auch in Rom schlagen die deutschen Besatzer erbarmungslos zu: OT 14: Atmo „Fosse Ardeatine“ Erzähler:Eine Landstraße im Süden der italienischen Hauptstadt windet sich an den Ardeatinischen Höhlen vorbei. Der Weg in die Gedenkstätte dort führt durch ein schmiedeeisernes Tor in einen weiten Innenhof, von dem aus man Gänge sieht. Am 24. März 1944 erschießt die SS hier per Genickschuss 335 italienische Geiseln, darunter 75 Juden – Vergeltung für einen Bombenanschlag der Widerstandsbewegung tags zuvor in Rom. – In den Höhlengängen sind zur Erinnerung steinerne Tafeln angebracht; in einem Mausoleum stehen die Särge der Hingerichteten – eine düstere Szenerie. MUSIK Erzähler:Militärstrategen nennen Kriege zwischen Staats-Armeen und kleinen Guerrilla-Gruppen „asymmetrisch“. Sie sind zäh, verlustreich, kaum zu gewinnen. Deshalb akzeptieren die Deutschen widerwillig Truppen der Republik von Salò an ihrer Seite, vor allem für den „Partisanen-Kampf“. Hier zeigt sich deren militärischer Wert, sagt der Experte Amedeo Osti Guerazzi: OT 15: OV Amedeo Osti Guerazzi Osti – RSI-Truppen„They were quite effective fighting against the partisans… Alessandro Pavolini was wounded – on the back, by the way.”         Übersetzer:„Sie waren nützlich– einige von ihnen zumindest waren ganz gut. Die so genannten “Schwarzen Brigaden”, die Miliz der faschistischen Partei, waren dagegen ein Desaster: Wirkungslos, disziplinlos, ohne Material und Waffen Erzähler:Trotz der mangelhaften Ausrüstung ihrer Gegner tun sich Amerikaner und Briten schwer auf dem italienischen Kriegsschauplatz. Erst Anfang Juni 1944 erreichen sie Rom. Die Stadt ist schwer mitgenommen, schreibt die Schriftstellerin Elsa Morante, eine Römerin, später in ihrem Roman „La storia“: MUSIK Zitatorin: „In den letzten Monaten der deutschen Besatzung nahm Rom das Aussehen gewisser indischer Metropolen an, wo nur die Aasgeier ihr Futter bekommen.“ OT 17: Roosevelt – Rom ist gefallen „Ladies and gentleman – the President of the United States. -  My friends, yesterday… one up – two to go.” Erzähler:Anlässlich der Befreiung spricht in den USA Präsident Roosevelt im Radio. Die Deutschen haben Rom zur „offenen Stadt“ erklärt – sie wird nicht verteidigt. Roosevelt sagt: Dies ist die erste befreite Hauptstadt der Hitler-Allianz. Eine ist geschafft – zwei stehen noch aus. Erzähler:Die Symbolik der Befreiung Roms kann kaum überschätzt werden – hinter der reinen Machtfrage, wem die Hauptstadt gehört, verbirgt sich ein ideologischer Kontext. Deshalb habe der Verlust Roms dazu geführt, dass sich die weltanschauliche Perspektive der Faschisten von Salò weiter verschärft, meint der Historiker Amedeo Osti Guerazzi: OT 18: OV Amedeo Osti Guerazzi Guerazzi – Bedeutung Rom“Because since summer 1944 the fascists didn’t consider them (as) Italians anymore. … And the Italians were part of this plot against this Europe.”    Übersetzer:“Ab Sommer 1944 betrachteten sich die Faschisten nicht mehr als Italiener, sondern als Verteidiger der Festung Europa, der europäischen Zivilisation. Sie wurden Nazi-Faschisten, versuchten, wie die Deutschen zu sein, so hart, so erbarmungslos, so verschlagen. Ihr Kampf als Faschisten richtete sich gegen Italiens Bevölkerung. Daher die blutigen Aktionen gegen Zivilisten. Daher sind die Faschisten dieser Zeit im kollektiven Gedächtnis Italiens so verhasst.“ Erzähler:Das Überleben von Mussolinis Marionetten-Regime in Oberitalien wird dadurch erleichtert, dass Briten und Amerikaner im Herbst 1944 das Interesse an diesem Krieg verlieren. Sie ziehen ihre kampfstärksten Truppen ab nach Frankreich. So können Wehrmacht und Salò-Soldaten die „Goten-Stellung“, eine Verteidigungslinie von Carrara in Ligurien bis Pesaro an der Adria lange halten. Trotzdem verlässt Mussolini die Region am Gardasee kaum noch. Roberto Vivarelli, damals inzwischen 15, berichtet noch Jahrzehnte später von der Not bei seinen Einsätzen gegen Partisanen in Piemont und gegen Briten und Amerikaner bei Bologna. OT 20: OV Roberto Vivarelli Vivarelli – Verpflegung„Mentre in vece … mangiaba molto male.“ Übersetzer II:„Verpflegung gab es nicht. Wenn, dann einmal in der Woche riesige Laibe Schwarzbrot. Ich erinnere mich an Stempel mit einem Datum darauf – sie waren Monate alt. Und dann hatten wir eine Art Salami und einige Bonbons, die angeblich Vitamine enthielten. In Piemont war die Versorgung ein Problem. Tatsächlich haben wir sogar versucht, Mehl von den Bauern zu bekommen und ab und zu auch ein paar Hühner zu stehlen, um sie an Ort und Stelle zu kochen, denn sonst war die Verpflegung wirklich übel.“ MUSIK Erzähler:Als Briten und Amerikaner Anfang April 1945 ihre Schlussoffensive starten, geht es mit Mussolinis Pseudo-Staat rasch zu Ende. Am 25.April stehen die Alliierten vor Mailand und die Partisanen rufen einen allgemeinen Aufstand aus. Mussolini sucht mit seiner Geliebten Claretta Petacci Schutz bei einem Trupp deutscher Soldaten, der nordwärts zieht, aber am Comer See von Partisanen gestoppt wird. Das besiegelt sein Schicksal. Stolz berichten einige der Partisanen später, wie sie das Paar am 28. April 1945 kurzerhand erschießen. Anschließend bringen sie die Leichen nach Mailand, wo sie geschändet kopfüber an einer Tankstelle aufgehängt werden. Auch mit anderen Bonzen des Regimes wie Parteichef Pavolini macht man kurzen Prozess. Es beginnt eine Welle von Säuberungen. Schätzungen zufolge werden allein 1945 zwischen 5- und 8000 Gefolgsleute der Republik von Salò gelyncht. 10-tausende verlieren ihre Arbeitsplätze. Bis 1948 eine Amnestie kommt, sind viele politisch aktive Mussolini-Anhänger zu den Christdemokraten gewechselt. Dort ist es sicherer als im neu gegründeten „Movimento Sociale Italiana“, der an den Faschismus anknüpfen will. In derlei ultrarechten Gruppierungen der italienischen Nachkriegszeit sieht der Historiker Amedeo Osti Guerazzi das bleibende Erbe der Republik von Salò – und bezieht die „Fratelli d’Italia“ der derzeitigen Regierungschefin Georgia Meloni mit ein. OT 22: OV Amedeo Osti Guerazzi Guerazzi – MSI„Movimento Sociale italiana … Italian Social Republic.”         Übersetzer: “Italienische Sozialbewegung, Italienische Sozialrepublik – das soll Erinnerungen wecken. Erster Präsident des Movimento war Rodolfo Graziani, Verteidigungsminister und Generalstabschef von 1943 bis ’45. Bis in die 1970er Jahre war der ideologische Spielraum des Movimento gering. Dann machte Silvo Berlusconi den rechten Flügel akzeptabel. Und Georgia Meloni ist die Tochter einer langen, langen Geschichte. Auch wenn ich sie nicht für eine Faschistin halte, liegen die Wurzeln ihrer Partei in der Italienischen Sozialrepublik.“ MUSIK Erzähler:Der Marionettenstaat Hitlers wirft in Italien also Schatten bis heute. Benito Mussolinis Leiche wird 1945 übrigens zunächst anonym verscharrt, dann ausgegraben und in einen Sarkophag gelegt. Predappio, sein Geburtsort, wo der Sarkophag ausgestellt ist, gilt als Wallfahrtsstätte für Neofaschisten. Nicht wenige kommen in schwarzen Hemden.
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Dec 27, 2024 • 32min

WIE WAR DAS DAMALS? - Als wir schon eimal Angst vor dem Atomkrieg hatten

Die Angst vor einem Atomkrieg treibt die Menschen in den 80er Jahren um und auf die Straße. Als Reaktion darauf formiert sich sowohl in der BRD als auch in der DDR eine breite Friedensbewegung, die unabhängig von etablierten politischen Parteien agiert - ein Phänomen, das sich auch in anderen westlichen Ländern beobachten lässt. Die Aktivisten kritisieren dabei besonders die ihrer Ansicht nach völlig überzogene Aufrüstungsspirale zwischen den Supermächten. Da Deutschland durch seine geografische Lage im Falle eines Atomkonflikts zwischen den Großmächten als erstes betroffen wäre, finden die Anliegen der Friedensbewegung in beiden deutschen Staaten besonders großen Anklang in der Bevölkerung. Credits Autoren: Christian Schaaf & Michael Zametzer Redaktion: Eva Kötting & Heike Simon Im Interview: Dr. Claudia Kemper Linktipps: Deutschlandfunk (2023): Friedensbewegung – Mit Menschenketten gegen Aufrüstung Im Oktober 1983 demonstrierten in der Bundesrepublik mehr als eine Million Menschen gegen Aufrüstung – so viele wie nie zuvor. Sie wollten die Stationierung von Pershing-Raketen verhindern. Der Bundestag aber entschied anders. JETZT ANHÖREN ARD (2024): NATO-Doppelbeschluss in Brüssel Ende der 1970er-Jahre kommt es zu neuen Spannungen im Kalten Krieg zwischen den Ländern des Warschauer Paktes und den NATO-Staaten. Der Westen fühlt sich durch die Stationierung sowjetischer Mittelstreckenraketen in Osteuropa bedroht. Am 12. Dezember einigen sich die Außen- und Verteidigungsminister der NATO-Staaten in Brüssel auf den NATO-Doppelbeschluss - eine folgenreiche politische Entscheidung, die bei vielen Menschen die Angst vor einem neuen atomaren Wettrüsten schürt und einer der Treiber wird für die Friedensbewegung der 1980er-Jahre. JETZT ANHÖREN SWR (2023): Wie russische Einflussnehmer die deutsche Friedensbewegung unterwanderten Am 22. Oktober 1983 demonstrierten Hunderttausende Deutsche für Frieden und gegen den NATO-Doppelbeschluss, also die Stationierung von Massenvernichtungswaffen. Was kaum einer ahnte: Die Geheimdienste der DDR und Sowjetunion beeinflussten die Friedensbewegung. Vor allem der "Dienst A" des KGB setzte auf "Einflussgespräche, verdeckte Dokumentenaktionen, mündliche Desinformation und den vermehrten Einsatz von unbewussten Multiplikatoren". JETZT ANHÖREN SWR (2024): Wie zeitgemäß ist Pazifismus? Seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine gilt Pazifismus als unzeitgemäß. Was dabei oft übersehen wird: Den einen Begriff des "Pazifismus" gibt es nicht. Von Rolf Cantzen (SWR 2023) JETZT ANHÖREN Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte: Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun? DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend. Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.  Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de. Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Alles Geschichte JETZT ENTDECKEN

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