Alles Geschichte - Der History-Podcast

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Oct 4, 2024 • 21min

AUFERSTANDEN AUS RUINEN - Die Gründung der DDR

Fünf Monate nach der Gründung der BRD wird am 7. Oktober 1949 auf dem Gebiet der Sowjetischen Besatzungszone die Deutsche Demokratische Republik gegründet. Dass sich mit der DDR ein eigener Arbeiter- und Bauernstaat entwickeln würde, ist nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges noch nicht absehbar. Von Ulrike Beck (BR 2019)Credits Autorin: Ulrike Beck Regie: Sabine Kienhöfer Es sprachen: Katja Amberger, Christian Baumann Technik: Robin Auld, Regina Stärke Redaktion: Thomas Morawetz Im Interview: Dr. Ulrich Mählert, Anita Möller Linktipps: ARD History (2024): 1949 in Ost und West – Zwei Familien und ihre Träume Als am 23. Mai 1949 das Grundgesetz in Bonn verabschiedet wird, ist in Bremen große Wäsche. Und in Petriroda wird am 7. Oktober 1949, dem Tag der Gründung der DDR, aus Strohsäcken eine Matratze gemacht. Mit Momentaufnahmen des Jahres 1949 aus dem Leben zweier Familien begleitet "1949 in Ost und West" Maria Bastille und Jördis Krey bei ihrer persönlichen Spurensuche, wie es ihren Familien 1949 ergangen ist – einem Jahr, das für die Deutschen die wichtigste Zäsur für viele Jahrzehnte sein wird: die Teilung in zwei deutsche Staaten vor 75 Jahren. JETZT ANSEHEN rbb (2024): Zwischenzeiten – Eine Familiengeschichte der Wendejahre Die wilden Jahre in Berlin, die späten 80er und beginnenden 90er Jahre sind auch für die Wozniaks und die Konrads entscheidend – zwei Familien in Ostberlin, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Jana stammt aus einer Funktionärsfamilie, Frank aus einer Handwerkerfamilie mit Privatbetrieb. Die einen profitierten vom SED-System, die anderen litten darunter. Trotzdem heiraten Jana und Frank am 9.11.1989 – am Tag des Mauerfalls. Sie erleben die Wende und den ersten Jahren im wiedervereinigten Deutschland: Alles ist neu, eine Zeit der Krisen und Hoffnungen. ZUM HÖRSPIEL Archivradio (2023): Gründung der DDR 7.10.1949 | Am 7. Oktober 1949 wird aus der sowjetischen Besatzungszone die DDR. Dazu wird in der Ost-Berliner Wilhelmstraße die provisorische Volkskammer ins Leben gerufen, provisorisch, weil die Wahlen erst im Folgejahr stattfinden sollten. Wichtigster Redner an diesem Gründungstag der DDR ist Wilhelm Pieck. Er ist zusammen mit Otto Grotewohl Vorsitzender der SED und wird an diesem Tag Präsident der DDR. JETZT ANHÖREN Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte: Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun? DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend. Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.  Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de. Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Alles Geschichte JETZT ENTDECKENTimecodes (TC) zu dieser Folge:TC 00:15 - IntroTC 02:54 – Enteignungen, Verurteilungen und andere ReformenTC 07:39 – Anita Möller: Eindrücke einer ZeitzeuginTC 10:45 – Die Sozialistische Einheitspartei DeutschlandsTC 13:52 – Alltag NachkriegszeitTC 16:05 – Ein „antifaschistisch-demokratischer Neuanfang“?TC 20:30 – OutroLesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:TC 00:15 - Intro 1.O-Ton: (Wilhelm Piek) (frei verwendbar)Auf der Grundlage der vom 3. Volkskongress bestätigten Verfassung ist in der deutschen Hauptstadt Berlin einmütig von allen Parteien und Massenorganisationen im deutschen Volksrat die Deutsche Demokratische Republik geschaffen worden ErzählerWilhelm Pieck verkündet am 7.Oktober 1949 im großen Festsaal des früheren Reichsluftfahrtsministeriums die Gründung der DDR. Musik Vier Tage später wählt ihn die Provisorische Volkskammer, das Parlament der DDR, zum Präsidenten des neuen Staates. Ministerpräsident und damit Staatschef wird der frühere Sozialdemokrat Otto Grotewohl. ErzählerinDass sich vier Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zwei deutsche Staaten entwickeln würden, ist 1945 nicht absehbar. Nach der Kapitulation des Oberkommandos der deutschen Wehrmacht übernehmen ab dem 5. Juni die vier Siegermächte die Regierungsgewalt in Deutschland. ErzählerDeutschland soll entnazifiziert, demokratisiert und entmilitarisiert werden. Es soll dafür gesorgt werden, dass niemals wieder eine militärische Bedrohung von diesem Land ausgeht. Darauf einigen sich der amerikanische Präsident Harry Truman, der sowjetische Regierungschef Josef Stalin und der britische Premier Winston Churchill am 2.August 1945 mit dem „Potsdamer Abkommen“. Musik ErzählerinJosef Stalin scheint es mit dem demokratischen Aufbau seiner Besatzungszone eilig zu haben. Noch bevor er das Potsdamer Abkommen unterzeichnet, lässt die Sowjetische Militäradministration SMAD als erste Siegermacht in ihrer Zone wieder Parteien zu. Bis Juli gründen sich KPD, SPD, CDU und die Liberal-Demokratische Partei LDP. ErzählerDie vier Parteien bilden zusammen die „Einheitsfront der antifaschistisch-demokratischen Parteien“, die als Block politische Beschlüsse nur einstimmig fassen dürfen. Ein Novum in der deutschen Parteiengeschichte. ErzählerinWelche Strategie Stalin mit seiner Besatzungspolitik in der SBZ, der Sowjetischen Besatzungszone, verfolgt, erklärt der Historiker und Autor Ulrich Mählert. Er ist Referent bei der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und einer der profiliertesten Kenner der DDR-Geschichte: TC 02:54 – Enteignungen, Verurteilungen und andere Reformen 2.O-Ton ( Mählert ab 3:04)Die Sowjetunion hatte auf der einen Seite das Ziel, maximale Reparationsleistungen aus dem Land zu bekommen, weil die deutsche Wehrmacht das eigene Land verwüstet hatte. Auf der anderen Seite hatte man anfangs den Versuch unternommen, politische Strukturen zu schaffen, die für ganz Deutschland gelten sollten und auch mit dem Ziel, den Einfluss der Kommunisten in ganz Deutschland sicherzustellen. Atmo & Musik ErzählerUm dieses Ziel zu erreichen, wird noch während der letzten Kriegswochen KPD-Funktionär Walter Ulbricht zusammen mit anderen deutschen Kommunisten aus seinem Moskauer Exil nach Berlin eingeflogen. Ulbricht ist als Leiter der KP-Gruppe Berlin gut auf seinen Einsatz im Nachkriegsdeutschland vorbereitet. Sein Auftrag ist klar: Er soll die Vorherrschaft der kommunistischen Partei in der sowjetisch besetzten Zone ebnen. 3.O-Ton ( Mählert ab 7:35)Walter Ulbricht war der Mann Moskaus, der eigentliche Organisator, der eigentliche Macher in der Kommunistischen Partei und in dem sich entwickelnden politischen System der SBZ. (…) Und Ulbricht war der Funktionär, der alle anderen Funktionäre kannte. Der Personalpolitik betrieb, der das Vertrauen der Sowjets hatte, und er hat im Prinzip bis ja Ende der 60er Jahre bis Anfang der 70er Jahre weitgehend unumstritten geherrscht. Musik ErzählerinAb September 1945 beginnt die SMAD mit wichtigen Strukturveränderungen innerhalb der SBZ. Mit der Bodenreform werden Großbauern entschädigungslos enteignet, die mehr als 100 Hektar Land besitzen. Im Oktober tritt die Schulreform in Kraft - mit dem Ziel, alte Bildungsprivilegien zu überwinden. Ab dem Sommer 1946 werden unter der Losung „Enteignung der Kriegsverbrecher“ Betriebe entschädigungslos verstaatlicht. Musik ErzählerDie SMAD beginnt schon wenige Wochen nach Kriegsende, nicht nur NS-Verbrecher massenweise in Speziallager wie Buchenwald, Berlin-Hohenschönhausen, Bautzen und Sachsenhausen zu internieren. 4.O-Ton: (Mahler ab ca 11:25)Das waren häufig auch ehemalige deutsche Konzentrationslager. Da sind selbstverständlich viele Funktionsträger des NS-Systems gelandet. Da landeten aber auch ab Sommer 1945 oppositionelle Kommunisten, oppositionelle Sozialdemokraten, bürgerliche Demokraten, die irgendwie auffielen, die denunziert wurden, die im Weg standen. Und das setzte sich fort. Es gab sowjetische Militärtribunale, die bis Anfang der 1950er Jahre Deutsche im Schnellprozess zu teilweise Jahrzehnten Lagerhaft verurteilten, teilweise zum Tode verurteilten. Es wurden dann auch Tausende von Gefangenen in die Sowjetunion in den Gulag transportiert. ErzählerinEs sind über 50.000 Menschen, die Folter und Hunger in den Speziallagern der SBZ nicht überleben. Mehr als 20.000 werden bis 1947 in die Sowjetunion verschleppt und dort teilweise umgebracht. ErzählerTrotz der öffentlich inszenierten Schauprozesse nimmt die Bevölkerung an dem Schicksal der Verurteilten wenig Anteil. Was daran liegt, dass - genau wie in den westlichen Besatzungszonen - auch die Nachkriegsgesellschaft in der SBZ in erster Linie damit beschäftigt ist, zu überleben. Ulrich Mählert: 5.O-Ton ( Mählert ab ca. 14:10)Die lebten in einem kriegszerstörten Land. Es gab Zuzugssperren. (…) alles war reglementiert. Man war froh, wenn man ein Dach überm Kopf hatte, Frauen warteten auf die Heimkehr ihrer Männer aus der Kriegsgefangenschaft. Es gab Millionen von Flüchtlingen aus den vormaligen deutschen Gebieten des Ostens, die praktisch in der SBZ erst mal Halt gemacht hatten Man war so beschäftigt mit dem Überleben, mit der Frage: Was soll ich essen?  (…) Da hat man da zum Teil der Frage der Politik auch überhaupt keine Aufmerksamkeit mehr geschenkt . (…) und dann greift natürlich so ein Gedankengang: Die Leute, die da verhaftet werden, die werden sich schon irgendwas haben zuschulden kommen lassen und ich denke, es gab ja auch keine Massenemigration aus dem Nationalsozialismus, sondern Leute sind gegangen und geflohen, die unmittelbaren Verfolgungsdruck verspürt hatten und so ähnlich war es natürlich auch in der SBZ. ErzählerinZumal die Bodenreform unter der Losung „Junkerland in Bauernhand“ in weiten Teilen der Bevölkerung äußerst populär ist. Schon weil ein Teil des enteigneten Agrarlandes in den Besitz von über 500.000 Landarbeitern, Kleinbauern und Flüchtlingen übergeht. Es gibt also in Zeiten des Wiederaufbaus nicht nur Verlierer, sondern viele Gewinner. TC 07:39 – Anita Möller: Eindrücke einer Zeitzeugin Musik ErzählerAußerdem sorgt die sowjetische Besatzungsmacht als erste Siegermacht dafür, dass es auch wieder ein kulturelles Leben gibt. Zwei Monate nach Kriegsende existieren im Ostsektor Berlins wieder Theater, Symphonieorchester, Opernensembles und Kabaretts. 6.O-Ton: ( Mählert ab 17:51)Es gab einen anfänglich unglaublich hoffnungsvollen kulturellen Aufbruch. Viele Migrantinnen und Migranten, die praktisch vom Nationalsozialismus in alle Welt geflohen sind, sind in die SBZ zurückgeholt worden, sind dorthin gegangen, hatten dort auch ein kulturelles Leben entfaltet, was auch beispiellos war.  Musik ErzählerinEin kleiner Lichtblick an Normalität für die Nachkriegsgesellschaft, die mit sowjetischen Besatzungssoldaten konfrontiert sind, die berüchtigt dafür sind, brutal gegen die Zivilbevölkerung vorgehen. Anita Möller blickt zurück: 7.O-Ton: ( Möller ab 8:22)Ich erinnere mich nur, dass wir Angst hatten vor denen. Es hieß, die brechen ein und stehlen und vergewaltigen. Das waren halt die Dinge, die man so gehört hat im Umfeld. Also man hatte einfach Angst vor denen. Später wurde das dann anders. Als ich dann 14, 15, 16 Jahre alt war, haben wir dann Russen kennengelernt, die – wie sag ich das jetzt - sehr nett waren. ErzählerAnita Möller ist bei Kriegsende fünf Jahre alt. Sie hatte erlebt, dass eine Brandbombe ihr Elternhaus in Dresden zerstörte. Die Familie flüchtete nach Österreich. 1947 fällt der Entschluss, nach Deutschland zurückzukehren - nach langer Diskussion zwischen den Eltern: Es geht zurück in die SBZ und nicht nach Köln, in die Heimatstadt der Mutter. Atmo ErzählerinEiner der Gründe für die Entscheidung ist ein Anruf aus Dresden: 8.O-Ton: ( Möller ab 2:28)Das war ein enger Freund meiner Eltern. Seine Frau (…) war meine Patentante. Und die beiden waren so, wie ich das nenne, Uralt-Kommunisten. Die hatten Parteibücher, ich glaube unter 300 waren die Nummern. Und die sagten: Hier wird es jetzt wunderbar. Der sozialistische Staat wird kommen, und hier gehört dann alles allen. Kommt doch her. Hier lässt sich viel besser leben als in Westdeutschland. ErzählerAnitas Eltern gehören zu den vielen, die sich nach der NS-Diktatur wünschen, in einem sozialistischen Staat zu leben. Es herrscht eine Aufbruchsstimmung, von der sich nicht nur in der SBZ Menschen mitreißen lassen. Der Historiker Ulrich Mählert: 9.O-Ton ( Mählert ab 18:16)Es gab insgesamt eine Linkswende in ganz Europa. Sie müssen sich in Erinnerung rufen: 1945 wird Winston Churchill abgewählt und Clement Attlee folgt als Labour Premierminister. (…) „Nach Hitler kommen wir“ war der Slogan der Kommunisten und viele Menschen waren davon überzeugt, dass jetzt praktisch eine sozialistische, kommunistische, sozialdemokratische Zukunft anbricht.TC 10:45 – Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Musik ErzählerinDoch gab es jemals die Chance, dass aus den Ruinen des Zweiten Weltkrieges ein sozialistischer Staat hervorgeht, so wie ihn sich Anita Möllers Eltern und viele andere herbeisehnen und keine neue Diktatur? Schon 1946 ist der erste Schritt bereits getan, der den Weg der SBZ in die spätere DDR-Diktatur ebnet. Durch die Vereinigung von SPD und KPD zur sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, der SED. Musik ErzählerDie Idee, die Spaltung der Arbeiterklasse zu überwinden und sich zu einer gemeinsamen gleichberechtigten Einheitspartei zusammen zu schließen, kommt ursprünglich von der SPD. Die KPD weigert sich zunächst, ändert aber auf Druck der sowjetischen Besatzungsmacht ab dem Herbst 1945 ihren Kurs. ErzählerinNach dem schlechten Ergebnis der Partei bei den Wahlen in Österreich und Ungarn soll sich die KPD nun mit der SPD zusammenschließen, dabei aber die Führungsrolle übernehmen. So ist es der Wunsch der sowjetischen Besatzungsmacht. Otto Grotewohl, Vorsitzender des Zentralausschusses der Ost-SPD lässt sich wie viele andere Sozialdemokraten darauf ein. 10.O-Ton ( Mählert ab 6:25)Zum einen gab es sicherlich auch viele Sozialdemokraten, die davon überzeugt waren, dass die sozialdemokratischen Funktionäre auf allen Ebenen, die ja einen ungeheuren Rückhalt innerhalb der Arbeiterschaft und der Otto-Normalverbraucher-Bevölkerung hatten, die Kommunisten letztlich an die Wand spielen würden. Dann gab es persönlichen Druck. Es gab Überredungen, Schmeicheleien Versprechungen. (…) In dieser Gemengelage (…) ist man dann den Weg gegangen. ErzählerAm 21. April 1946 besiegeln KPD-Chef Wilhelm Pieck und Otto Grotewohl die Gründung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Nicht nur Pieck und Grotewohl teilen sich den Parteivorsitz, sondern auch alle anderen wichtigen Ämter werden innerhalb der SED zunächst paritätisch besetzt. Eine Regelung, die bis 1948 gilt. Musik ErzählerinBei den folgenden Landtagswahlen im Herbst 1946 rächt sich, dass die SED in der Bevölkerung als „Russenpartei“ verschrien ist, deren Funktionäre die Demontage der Industrieanlagen durch die Sowjetunion als gerechte Entschädigung der Besatzer darstellen. Die Wähler und Wählerinnen entscheiden, dass die SED in keinem der fünf Länder die absolute Mehrheit erreicht. ErzählerDessen ungeachtet setzt die Partei wesentliche Pflöcke in Richtung künftiger Kontrollstaat. Im Dezember 1946 wird mit der „Deutschen Verwaltung des Inneren“ ein zentrales Innenministerium für die SBZ aufgebaut. Auf Befehl der sowjetischen Besatzungsmacht entsteht darin der Grundstein für den künftigen Überwachungsapparat: die politische Polizei, die sich im Laufe der Zeit zum Führungsorgan der fünf Länder der SBZ entwickelt. Eine besondere Aufgabe kommt darin der Abteilung Kriminalpolizei 5, auch Kommissariat 5 genannt, zu. Einem Vorläufer des Ministeriums für Staatssicherheit.TC 13:52 – Alltag Nachkriegszeit Musik ErzählerinWährenddessen versucht die Gesellschaft in der zerstörten SBZ - wie Millionen von anderen Menschen in der Nachkriegszeit, ihr Leben neu zu organisieren. 11.O-Ton (Möller 3:37)Wir sind ganz am Anfang in das Mietshaus, in dem meine Tante wohnte. Oben unterm Dach gab es ein Zimmer, und da (…) wohnten wir dann zu sechst. Das war sehr eng und dunkel und schäbig, das weiß ich noch, aber (…) man hat es hingenommen. Es ging ja allen schlecht. Keiner hatte irgendetwas. Deshalb war das auch nichts Besonderes.  ErzählerAuch wenn Anita Möllers Vater als Bauingenieur schnell wieder Arbeit findet, ist der Alltag der Familie davon bestimmt, sich etwas zu essen zu beschaffen. 12.O-Ton (Möller ab 12:10)Meine Mutter ist damals - (…) Die ist immer über die sogenannte grüne Grenze gegangen nach Westdeutschland hamstern. Die gingen da rüber mit einem Rucksack durch den Wald in der Nacht auf die andere Seite und (…) hat Essen geholt und dann zurück nach Hause gebracht. Musik ErzählerinIn aller Not lässt es die SED-Führung am Freizeitprogramm für Kinder- und Jugendliche nicht mangeln. Gleich nach Kriegsende gründet Erich Honecker den Jugendausschuss für die Ostzone, aus dem ein Jahr später die Jugendorganisation FDJ entsteht. ErzählerDarüber hinaus wird im Dezember 1948 die sozialistische Kinderorganisation gegründet: der Verband der jungen Pioniere. In dem die sechs- bis 13-jährigen lernen sollen, sich nicht selbst in den Mittelpunkt zu stellen, sondern das Kollektiv. Die Vorsitzende der Jungen Pioniere ist Margot Feist, spätere Honecker. ErzählerinAuch Anita Möller geht mit acht Jahren zu den Jungen Pionieren. 13.O-Ton (Möller ab ca. 5:20)Das fand ich damals ganz toll mit diesen gleichaltrigen Kindern in verschiedenen Gruppen zu spielen, zu arbeiten und dieser Zusammenhalt. (…) Später als ich 13, 14 Jahre alt war und die Zukunft so aussah, dass die Nachfolgeorganisation dann die FDJ Freie Deutsche Jugend sein wird. Da bin ich dann nicht mehr eingetreten.   TC 16:05 – Ein „antifaschistisch-demokratischer Neuanfang“? Musik ErzählerWährend Anita noch begeistert zu den Treffen der Jungen Pionieren geht, hat sich das Verhältnis der drei Westmächte zur UdSSR merklich abgekühlt. Ost und West sind längst auf dem Weg in den Kalten Krieg. ErzählerinBereits im März 1947 gibt US-Präsident Harry Truman mit der „Truman-Doktrin“ als neues Ziel der amerikanischen Außenpolitik vor, freie Völker in ihrem Kampf gegen Totalitarismus künftig zu unterstützen. ErzählerIm Sommer 1947 legt die USA den Marshall-Plan vor. Das Milliarden-Dollar-schwere Wiederaufbauprogramm soll auch in der SBZ gelten. Doch Stalin geht diesen Weg nicht mit. Genau so wenig wie die Währungsreform, die in den westlichen Besatzungszonen am 20. Juni 1948 in Kraft tritt. ErzählerinStatt der D-Mark wird wenige Tage später in der SBZ die Ostmark eingeführt. Und ab Ende Juni die Planwirtschaft. Ulrich Mählert: 14.O-Ton: (Mählert 24:09)Das war eine Planwirtschaft, die einerseits darauf ausgerichtet war, Güter für die Sowjetunion zu produzieren und andererseits war das auch ganz stark darauf ausgerichtet, die Schwerindustrie aufzubauen, die man in Ostdeutschland nicht hatte. (…) Und insofern war praktisch das ein nachholendes Industrialisierungsprogramm mit dem Versprechen nach dem Motto „So wie ihr heute arbeitet, werdet ihr morgen leben“. Und gleichzeitig blieben Lebensmittel rationiert und die Menschen haben ja nichts von den versprochenen Wohltaten des Sozialismus erkennen können. ErzählerAnders als die Parole vom „antifaschistisch-demokratischen Neuanfang“ glauben machen sollte, verwandelt sich die SED ab dem Frühsommer 1948 zur marxistisch-leninistischen Kaderpartei: 15. O-Ton Mählert ( ab 9:50)Das war wirklich so eine Phase, in der überall politische Opposition ausgeschaltet worden sind. Innerhalb der SED wurden die Sozialdemokraten aus ihren Funktionen gedrängt. Man hat die christdemokratische Partei, die liberaldemokratische Partei da rigoros gleichgeschaltet. Massenorganisationen wie die Freie Deutsche Jugend, der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund, die bis zu dem Zeitpunkt noch Fragmente von Pluralität in ihren Führungsgremien hatten, wurden Schritt für Schritt in den Statuten, in ihrer Organisationsform auf Linie gebracht. Die Planwirtschaft, der Wirtschaftsplan wurde neu aufgelegt und das ist dann praktisch eine Verschärfung des politischen und ökonomischen Transformationsprozesses. Musik ErzählerinAls Reaktion darauf, dass die Westalliierten am 20.Juni 1948 auch in ihren drei Sektoren Berlins die D-Mark einführen, lässt Stalin alle Land- und Wasserwege in die alte Reichshauptstadt blockieren. ErzählerDamit sind mehr als zwei Millionen Menschen in den Westsektoren Berlins fast ein Jahr lang eingeschlossen. Um sie zu versorgen, beginnt unter Führung von US-Generalgouverneur Lucius D. Clay am 24.Juni 1948 die Berliner Luftbrücke. Atmo SprecherMehr als 500 amerikanische und britische Transportmaschinen bringen bis zum 12. Mai 1949 Lebensmittel und Kohle nach Berlin. Sie fliegen über einen breiten Luftkorridor und landen schließlich im Zweiminuten-Takt an den Flughäfen Tempelhof, Gatow und Tegel.  Es sind am Ende 1,8 Millionen Tonnen Nahrung, Kohle und Industriegüter, dank denen die Westberliner die Blockade überleben. ErzählerinStalins Kalkül, wenn schon nicht ganz Deutschland, so wenigstens Berlin unter seine Kontrolle zu bringen, geht nicht auf. Stattdessen tritt am 23. Mai das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Kraft. Nur 12 Tage nach der Wahl Konrad Adenauers zum Bundeskanzler erteilt Josef Stalin schriftlich seine Zustimmung, einen zweiten deutschen Staat zu gründen: die Deutsche Demokratische Republik. ErzählerAnita Möller ist damals neun Jahre alt: 16.O-Ton (Möller ab ca. 17:00)Ich habe das ja alles erst sehr viel später - Ende der Fünfzigerjahre da bin ich dann auch ab und zu nach West-Berlin gefahren - gemerkt (…) dass es hier alles gab und wir so wenig hatten, aber irgendwie hat man das hingenommen. Das hat sich alles erst geändert mit dem Bau der Mauer. Da war schlagartig klar: Ich muss weg. Erzählerin:Anita Möller gehört zu den wenigen, die nach dem Bau der Mauer mit ihrer Familie durch einen Tunnel in den Westen fliehen kann. TC 20:30 – Outro
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Sep 20, 2024 • 23min

INSEL-GESCHICHTEN - Ascension, die Ratten und das Paradies

Sie ist ein Experimentierfeld am Ende der Welt: die Atlantikinsel Ascension, auf halbem Weg zwischen Afrika und Südamerika. Hier entstand ab Mitte des 19. Jahrhunderts das erste künstlich geschaffene Ökosystem der Welt. Die Briten siedelten zahlreiche neue Pflanzen und Tiere an. Doch die koloniale Unterwerfung der Insel durch die Briten zeigt bis heute Schattenseiten. Von Lukas Grasberger (BR 2023)Credits Autor: Lukas Grasberger Regie: Martin Trauner Es sprachen: Katja Amberger, Rahel Comtesse, Andreas Neumann, Friedrich Schloffer Technik: Regina Stärke, Christine Frey Redaktion: Nicole Ruchlak Im Interview: João Vitor Tossini, Dr. Nicola Weber, Prof. David Wilkinson Linktipps: Deutschlandfunk Kultur (2023): Über die Tücke der ökologischen Zeitbombe Dem Klimaschutz läuft die Zeit davon: Wenn die Erderwärmung begrenzt werden soll, braucht es globale Anstrengungen, warnt der IPCC. Der Philosoph Hans Jonas entwarf bereits 1979 eine globale Umweltethik. Heute ist sie aktueller denn je. JETZT ANHÖREN ARD alpha (2021): Leben auf dem Mars? Gibt es - oder gab es Leben auf dem Mars? Und wenn ja, wie könnte dieses Leben aussehen? Die Antwort finden wir möglicherweise auf der Erde. JETZT ANSEHEN Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte: Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun? DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend. Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.  Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de. Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Alles Geschichte JETZT ENTDECKEN Timecodes (TC) zu dieser Folge: TC 00:15 – IntroTC 01:17 – Eine Insel im DornröschenschlafTC 03:05 – Die steinerne FregatteTC 06:30 – Ethische Fragen der Flora und FaunaTC 10:53 – Das Problem Vögeln, Ratten und KatzenTC 14:07 – Ist da doch ein Plan(et) B?TC 22:38 – OutroLesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:TC 00:15 – Intro ATMO ERZÄHLERINEine Insel irgendwo im Nirgendwo, Mitten im Atlantik. Eigentlich nur ein  größerer Felshaufen im Wasser - flächenmäßig in etwa so groß wie Würzburg. Jedoch so uninteressant, dass selbst frühe portugiesische Eroberer nur kurz einen Fuß daraufsetzten. Um fortan einen großen Bogen um das wüste Eiland zu machen. Mit diesen wenigen Worten könnte die Geschichte der Insel Ascension erzählt sein. Eigentlich. MUSIK Denn Ascension, diese Insel, auf der wahrscheinlich sechs, sieben Millionen Jahre lang so gut wie nichts passierte, seit  sie sich nach einem Vulkanausbruch über die Meeresoberfläche erhob: Diese Insel wurde in den letzten gut 200 Jahren zu einem Knotenpunkt der Weltgeschichte. Und sie sollte sich letztendlich zu einem biologischen Labor unter freiem Himmel entwickeln - das sogar Antworten auf  drängende Zukunftsfragen unserer Zeit liefern könnte. TC 01:17 – Eine Insel im Dornröschenschlaf ATMO Es ist eine Entwicklung, die keineswegs absehbar ist, als die Seefahrer João da Nova und Afonso de Albuquerque Anfang des 16. Jahrhunderts wohl als erste Menschen Ascension Island betreten. O-Ton 1  João Vitor Tossini, Politikwissenschaftler, englisch, deutsche Overvioce, Teil 1„Diese portugiesischen Seefahrer machten nur kurz Station auf Ascension – das übrigens einer Überlieferung nach so heißt, weil Albuquerque sie am Feiertag von Christi Himmelfahrt erstmals gesichtet haben soll.“ ERZÄHLERIN   ...weiß der brasilianische Politikwissenschaftler Vítor Tossini. O-Ton 1 Tossini Teil 2„Auf der Insel gab es kaum Wasser. Lebensfeindliche Bedingungen also, weshalb weder da Nova, noch ein paar Jahre später Albuquerque formale Besitzansprüche geltend machten. Die Portugiesen hatten kein Interesse daran, die Inseln bewohnbar zu machen und sie zu besiedeln.“   ERZÄHLERIN Für gut 300 Jahre fiel die unwirtliche Insel erneut in einen Dornröschenschlaf. Im 17. Jahrhundert beschrieb ein schiffbrüchiger Seemann die Insel mit den Worten: “Jeder hätte gedacht, dass der Teufel persönlich hier seine Wohnstatt genommen - und den Eingang der Hölle hierhin verlegt hat.” MUSIK ERZÄHLERIN Nicht viel schmeichelhafter äußerte sich der britische Naturforscher Charles Darwin, der 1836 zur ersten geologischen Expedition nach Ascension kam. ZITATOR„Der Tag war klar und heiß: Und ich sah eine Insel, die mir nicht in Schönheit zulächelte, sondern mich in nackter Hässlichkeit anstarrte. Die Lavaströme sind mit Hügeln bedeckt. Die Landschaft ist in einem Ausmaß zerfurcht, die sich geologisch nicht einfach erklären lässt.“  TC 03:05 – Die steinerne Fregatte ERZÄHLERINTrotz der wenig einladenden Geologie, trotz der äußerst kargen Fauna und Flora sollte Ascension doch bald interessant für die seefahrenden Nationen der Neuzeit werden. Dies lag vor allem an Napoleon. Die Briten verbannten den französischen Ex-Kaiser nach dessen letzter Kriegs-Niederlage bei Waterloo auf die Atlantikinsel St. Helena – die 1300 Kilometer entfernte Nachbarinsel von Ascension.   O-Ton 2 Tossini OV„Die Briten sagten sich: Wenn wir Napoleon nach St. Helena ins Exil schicken, dann brauchen wir eine Präsenz in der Region. Damit nicht das gleiche passiert wie in Elba, wo Napoleon zuletzt entkommen konnte.“ ERZÄHLERIN Großbritannien baute Ascension Island zu einer „steinernen Fregatte“ aus. Da es der Königlichen Marine selbst untersagt war, über Land zu herrschen, stellten die Briten Ascension tatsächlich als Kriegs-Schiff in ihren Dienst. Solche „steinernen Fregatten“, sagt Vítor Tossini, wurden im 19. Jahrhundert zu strategische wichtigen Stützpunkten, mit denen das British Empire seine Position als globale Großmacht festigte. O-Ton 3 Tossini OV„Stützpunkte wie Ascension Island waren wichtig, als es um Napoleon ging. Sie sollten etwas später eine bedeutende Zwischenstation für britische Schiffe auf dem Weg in die Kolonien, zunächst Ost-Indien, dann Südafrika werden. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurden Ascension und St. Helena zu Häfen, die Dampfschiffe auf diesen langen Routen mit Kohle versorgen konnten.“ MUSIK ERZÄHLERINDie Lage von Ascension Mitten im Südatlantik erlaubte es Großbritannien, gleich einer Spinne die Fäden im weltumspannenden Netz der Macht zu spinnen: So beschreibt es der Experte für internationale Politik, Vítor Tossini. Mit seinen „steinernen Fregatten“ machte Großbritannien seinen Einfluss geltend – etwa für die Abschaffung des Sklavenhandels. Dies, betont Tossini, sei weniger aus christlicher Nächstenliebe oder Humanismus geschehen. Vielmehr fürchtete Großbritannien im globalen Markt um die Konkurrenzfähigkeit der eigenen Produkte. O-Ton 4 Tossini OV „Großbritannien hatte Anfang des 19. Jahrhunderts den Handel mit Sklaven im British Empire abgeschafft – und drängte andere Nationen, es ihm gleichzutun. Das Parlament in Brasilien verabschiedete dazu eine Reihe von Gesetzen, um die Briten zu besänftigen. Praktisch ging der Sklavenhandel jedoch weiter. Deshalb begann Großbritannien, die Muskeln spielen zu lassen, und fing brasilianische Handelsschiffe ab – besonders solche Boote, die Sklaven transportierten. Wichtige Haltepunkte dafür waren St. Helena und Ascension Island: Mitten im Atlantik, genau zwischen Afrika und Brasilien waren sie dafür perfekt gelegen.“ ERZÄHLERIN   Ihren zuallererst militärisch-machtpolitischen Charakter hat die Insel, auf der offiziell gerade einmal 800 Menschen dauerhaft leben, bis heute behalten. Vítor Tossini: O-Ton 5 Tossini OVSPRECHER„Bis zum heutigen Tag kann niemand eine Liegenschaft auf Ascension Island erwerben, und niemand darf sich dauerhaft dort niederlassen. Man kann seinen Aufenthalt dort verlängern - aber ob das gewährt wird: Das hängt von der britischen Regierung ab.“TC 06:30 – Ethische Fragen der Flora und Fauna MUSIK ERZÄHLERINUm die karge Insel für die zeitweise dort stationierten Briten attraktiver zu machen, entwickelten zwei Biologen einen gewagten Plan. Charles Darwin und sein Kollege Joseph Hooker schlugen der britischen Marine vor, Bäume, Sträucher und andere Pflanzen nach Ascension zu bringen. Ein neues, künstlich angelegtes Ökosystem entstand, weiß Nicola Weber. Die promovierte Biologin forscht und lehrt an der der University of Exeter. Von 2013 bis 2016 war Weber verantwortlich für den Naturschutz auf Ascension.   O-Ton 6 Dr. Nicola Weber englisch, dt. OV„Schiffe brachten Flora aller Art – und aus den verschiedensten Teilen der Welt nach Ascension. Vieles kam aus Key Gardens, dem Londoner Botanischen Garten, zu dem Joseph Hooker gute Beziehungen hatte. Diese Bäume, Büsche und Blumen wurden auf dem Green Mountain, dem Grünen Hügel gepflanzt.“ ZITATOR„Nach oben hin findet man ein Dickicht von 40 verschiedenen Baumarten, daneben wachsen zahlreiche Sträucher und Obstbäume“. ERZÄHLERIN...heißt es in John Croumbie Browns Studie „Wälder und Feuchtigkeit“ aus dem Jahr 1877. Binnen weniger Jahrzehnte war also auf dem „Grünen Berg“ von Ascension üppige Vegetation entstanden. Die ursprüngliche Idee, die Versorgung der Inselbewohner mit Obst und Gemüse vor Ort zu verbessern, schien erreicht. Doch gelöst waren die Wassernöte Ascensions damit noch keineswegs. Und auch das neue Ökosystem, der frische Bergwald, der Wasser aus den Wolken kämmte, erwies sich als fragil: Die neu eingeführte Flora und Fauna bedrohte endemische, seit Langem auf der Insel heimische Tiere und Gewächse. O-Ton 7 Dave Wilkinson engl., dt. OV„Solch ein Vorgehen führt fast zwangsläufig dazu, dass man Arten ausrottet.“ ERZÄHLERIN...sagt der Ökologe Dave Wilkinson, Professor an der University of Lincoln. O-Ton 8 Wilkinson OV„Diese Begrünung von Ascension war ein Experiment, das man heutzutage wohl als unethisch ablehnen würde. Fände man unberührte Natur, dann versuchte man sicher alles zu tun, sie genauso zu erhalten. Andererseits: Dieser neu geschaffene tropische Wald war viel artenreicher als die Natur, die vorher da war. Es mag vorher 20, vielleicht 30 Pflanzenarten gegeben haben: Vor allem Gräser, Farne oder Moose. Heute dürften wir ein paar hundert Arten dort haben.“ ERZÄHLERINDas „Experiment von Ascension“ wirft – Mitten in der aktuellen Biodiversitätskrise - Fragen nach dem Preis, und dem Wert des Erhalts einzelner Arten auf. Fragen, die eher ethischer und philosophischer als biologischer Natur sind. Nicola Weber: O-Ton 9 Weber OV„Naturerhalt bedeutete für uns stets, invasive Arten loszuwerden – und einer Landschaft zu erlauben, in den Zustand zurückzukehren, bevor der Mensch sich einmischte. Hier auf Ascension hat eindeutig der Mensch diese invasiven Arten eingeführt. Müssen wir nun unsere Fehler beheben, und diese ausrotten? Oder müssen wir – als Verursacher dieses Problems – mit den Folgen leben und Wege finden, wie Fauna und Flora sich dem anpassen können?“ ERZÄHLERINMit dem Lehrbuchwissen zu Natur- und Artenschutz komme man auf Acension nicht weiter, betont die Biologin. Ein vielfältiges und ausgeglichenes Ökosystem, das resilient auf die aktuellen und kommenden Krisen reagieren kann: Dies ist demnach erstrebenswerter - als eine Insel wie etwa Ascension in einen fragilen, artenarmen Urzustand zurückzuführen. Nicola Weber hat auf Ascension Island die „friedliche“ Koexistenz einheimischer und invasiver Arten beobachtet.  O-Ton 10 Weber OV„Ja, es gibt Fälle, in denen eine invasive eine einheimische Art verdrängt hat. Es gibt hier aber auch das Beispiel, wo etwa ein invasiver Baum einer endemischen Art einen Lebensraum bietet.“TC 10:53 – Das Problem Vögeln, Ratten und Katzen MUSIK ERZÄHLERINEine solcherart friedliche Koexistenz sicherzustellen – das gelinge nicht immer, räumt die Wissenschaftlerin Weber ein. Das bekannteste Beispiel: Die Ratten, die irgendwann beim Zwischenstopp eines Segelschiffs Anfang des 18. Jahrhunderts auf die Atlantikinsel gelangt sein müssen. Ein niederländischer Seefahrer, der 1720 auf Ascension strandete, berichtete, er habe angesichts der Masse an Ratten um sein Leben gefürchtet. Die Ratten von Ascension nährten sich nicht nur von menschlichen Hinterlassenschaften. Sie dürften, so vermutet die ehemalige Konservatorin der Insel, die Landvögel auf der Insel ausgerottet haben. Und begannen dann, die Nester der Seevögel zu plündern. Nicola Weber: O-Ton 11 Weber OV„Nachdem die Ratten sich auf Ascension einmal angesiedelt hatten, begannen sie die Eier der Seevögel zu räubern, was deren Bestände dezimierte. Dies taten sie jedoch nicht in dem Ausmaß wie später die Katzen – die man eigentlich auf die Insel gebracht hatte, um die Rattenplage zu bekämpfen. Die Katzen interessierten sich aber nicht sonderlich für die Ratten, ihnen schmeckten die Vögel besser. Das sollte katastrophale Auswirkungen auf die Seevögel-Populationen haben.“ ERZÄHLERIN2001 entwickelten Vogelschützer gemeinsam mit der britischen Regierung daher einen umstrittenen Plan: Die wilden Katzen sollten getötet werden, um den Seevögeln – die sich auf Ascension vorgelagerte Felsen zurückgezogen hatten – die Rückkehr zu ermöglichen. O-Ton 12 Weber OV„Es gab lange ethische und moralische Diskussionen, eine Volksbefragung, bei der sich zahlreiche Bewohner gegen die Ausrottung der Wildkatzen aussprachen. Als man dann begann, die Tiere zu vergiften, erwischte es auf der Insel auch viele Hauskatzen: Fast 40 Prozent wurden unabsichtlich getötet. Aus Artenschutz-Perspektive war diese Maßnahme aber erfolgreich. Gleich nachdem die Wildkatzen ausgerottet waren, kehrten die Seevögel zurück. Zuerst die Maskentölpel, später eine endemische Fregattvogel-Art. Mittlerweile sind elf Seevogel-Arten zurückgekehrt, wir haben mehrere Tausend Paare, die auf der Insel nisten.“ ERZÄHLERINTrotzdem sei es schwierig, das Ökosystem im Gleichgewicht zu halten, räumt Nicola Weber ein. Bedingungen zu schaffen, in denen Vielfalt gedeihen kann – ohne dass eine Pflanze oder ein Tier ein anderes verdrängt. Sollte eine Art sich zu aggressiv ausbreiten und radikale Eingriffe nötig werden, müssten darüber nicht die Biologen, sondern die Gesellschaft als Ganzes entscheiden. O-Ton 13 Weber OV„Die Ausrottung einer Tier- oder Pflanzenart auf Ascension ist ein emotionales Thema, das die auch Interessen der Bewohner berührt. Wir haben gelernt, dass man in alle Programme zum Management dieses vom Menschen geschaffenen Ökosystems die Öffentlichkeit von Anfang an einbinden muss. Denn es kann auch schiefgehen. Vieles funktioniert hier nach dem Prinzip „Versuch und Irrtum“. „Trial and Error“ hat eine lange Geschichte hier, es hat Ascension geprägt.“  TC 14:07 – Ist da doch ein Plan(et) B? MUSIK ERZÄHLERINDer aus „Versuch und Irrtum“ entstandene neue Nebelwald von Ascension stellt - nach Ansicht manches Experten - als gesichert geltende Erkenntnisse der Biologie auf den Prüfstand. Denn klassischerweise, sagt der britische Forscher Dave Wilkinson, werde die Frage, wie ein so komplexes Ökosystem wie am Green Mountain entstehen kann, mit „Koevolution“ erklärt. Koevolution meint einen oft lange andauernden, ausgefeilten Prozess, in dem sich zwei Arten wechselseitig aneinander anpassen – um daraus ihren Nutzen ziehen. Etwa bei Schmetterlingen und Orchideen: Eine Orchidee braucht das Insekt zur Bestäubung – und bietet diesem süßen Nektar, der allerdings in einem tiefen Blütenkelch schlummert. Schmetterlinge passten sich daran an, indem sie einen besonders langen Rüssel entwickelten, um den Nektar zu erreichen. In Summe entstünde aus solchen langwierigen, komplexen Prozessen ein neues Ökosystem, so die Theorie. Dave Wilkinson hat auf Ascension jedoch etwas ganz anderes beobachtet. O-Ton 14 Wilkinson OV„Das Ökosystem am Green Mountain wurde am Reißbrett in weniger als 50 Jahren geschaffen.  Das hat mir gezeigt, dass es vielleicht nicht immer diesen langen Prozess der Koevolution zwischen Organismen – Pflanzen und Tieren – braucht. Ascension ist eher ein Beispiel für „Ecological Fitting“. Das bedeutet, es werden Arten bunt zusammengewürfelt. Findet eine Pflanze oder ein Tier passende Bedingungen vor, überlebt es. Wenn nicht, stirbt es aus.“ ERZÄHLERINFür den Biologie-Professor Dave Wilkinson ist Ascension Island damit ein Studienobjekt, das zumindest ein wenig Hoffnung macht im Kampf gegen die Klimakrise.  O-Ton 15 Wilkinson OV„Wenn wir uns heute Sorgen darüber machen, wie lange etwa ein gerodeter Regenwald braucht, um sich zu regenerieren, dann zeigt ein Beispiel wie Ascension: Das kann unter bestimmten Umständen sehr schnell geschehen. Schnell bedeutet in diesem Zusammenhang: Eine für die Menschheit relevante Zeitspanne von ein- bis zweihundert Jahren.“ ERZÄHLERINDass einmal gerodeter Tropenwald nachwächst – dies funktioniere aber auf Grund des einfacheren Kreislaufs von Verdunstung, Kondensation und Regen mitten im Meer einfacher als etwa im brasilianischen Binnenland mit dem komplexeren Ökosystem des Amazonas. Rode man dort zu große Flächen, so trockne der Boden aus, der Wald sei unwiederbringlich verloren. MUSIK ERZÄHLERINDavid Wilkinson hält Acension für „untererforscht“, was die Potenziale der Insel anbelangt. Und er vertritt eine sehr gewagte Hypothese: Wenn es auf einer kargen Vulkaninsel Mitten im Atlantik gelingt, binnen weniger Jahrzehnte ein neues Ökosystem zu etablieren, dann könnte dies auch auch auf einem anderen Planeten gelingen. O-Ton 16 Wilkinson OV„Es handelt sich um die Idee des Terraforming, die ein wenig nach  Science-Fiction klingt. Will man einen fremden Planten wie etwa den Mars für den Menschen bewohnbar machen, dann könnte man damit anfangen, Bedingungen zu schaffen, dass das Leben auf sehr niedriger Stufe möglich wird: Wie das etwa auf der Erde der Fall war, wo es am Anfang kaum Sauerstoff gab, der dann aber dank der Photosynthese von Pflanzen zunahm, was wiederum das Wachstum neuer Vegetation ermöglicht. Eine Dynamik, die sich aus sich selbst speist. Ein Ökosystem, das sich selbst erhält und reproduziert, wie wir es auch auf Ascension beobachten konnten: Auch dort hat man es der Natur überlassen, ihren eigenen Weg zu finden.“   ERZÄHLERINDass Ascension quasi eine Blaupause für Leben auf dem Mars abgeben könnte – das ist Zukunftsmusik. Bei der Erkundung anderer Planeten, für die Raumfahrt spielte – und spielt - die Insel indes bereits eine wichtige Rolle. ATMO ERZÄHLERIN Es waren nicht die NASA-Mitarbeiter im Kontrollzentrum Houston – sondern ihre Kollegen auf Ascension Island, die 1969 die Nachricht von der erfolgreichen Mondlandung der amerikanischen Astrounauten Neil Armstrong und Buzz Aldrin empfingen. Doch nicht nur bei der Erkundung des Alls, auch für die ganz weltliche militärische Eroberung und Verteidigung war Ascension Island bedeutend. Ob als Zwischenlande-Platz für Flugzeuge der Alliierten im Zweiten Weltkrieg – oder für die Logistik des britischen Militärs während des Kriegs um die Falkland Inseln im Jahr 1982. O-Ton 17 Tossini OV„Interessanterweise gab es Uneinigkeit mit den USA über diese kriegerische Nutzung: Die Amerikaner waren dagegen, Ascension zur Machtprojektion zu nutzen: also seine politischen Interessen auch mit Androhung oder Anwendung von Gewalt durchzusetzen – auch weit entfernt vom eigenen Territorium. Premierministerin Margret Thatcher pochte jedoch auf die britische Souveränität, und betonte, Ascension sei die Insel der Krone - und damit „unsere“ Insel.“ MUSIK ERZÄHLERINAscension Island galt nach der britischen Verteidigung der Falkland-Inseln mehr denn je als „unversenkbarer Flugzeugträger“, mit dem Großbritannien seine Interessen im Südatlantik durchsetzen konnte.Heute setzt man Vítor Tossini zufolge weniger auf offene militärische Gewaltdemonstration, um sich Vorteile im internationalen Mächtespiel zu verschaffen, führt Vitor Tossini aus. Politische Widersacher – und zuweilen auch Partner – würden vielmehr ausgespäht, auch von der Atlantikinsel aus. Davon künden zahlreiche Abhör-Anlagen des britischen Geheimdienstes GCHQ, aber auch der US-amerikanischen NSA, die auf Ascension ihre Antennen in die Luft recken. Der brasilianische Experte für internationale Politik, Vítor Tossini: O-Ton 18 Tossini OV„Man muss die Abhör-Anlagen als Teil der Geheimdienst-Kooperation „Five Eyes“ sehen. Dabei arbeiten Großbritannien, die USA, Kanada, Australien und Neuseeland zusammen. Es ist wie ein Puzzle einer möglichst lückenlosen weltweiten Überwachung, zu dem jedes der Länder seinen Teil beiträgt – und die Basis auf Ascension dürfte sich auf ihrer Lage gut dazu eignen, den afrikanischen Kontinent, aber auch brasilianische oder argentinische Telekommunikation abzuhören.“  ERZÄHLERINWeltweit verfüge der britische Geheimdienst über Einrichtungen zur militärischen und nachrichtendienstlichen elektronischen Aufklärung. Ob auf Ascension, Gibraltar oder Zypern – auf abgeschirmten Inseln wie Ascension bleibe der Öffentlichkeit mehr denn je verborgen, was genau Geheimdienste treiben - und wie effektiv diese smartere, digitale Art der Kriegsführung wirklich funktioniere. Gegner und Partner über die wahre Macht und Bedeutung von Ascension im Unklaren zu lassen – dies dürfte indes durchaus im Interesse Großbritanniens liegen, betont der Politikwissenschaftler Vítor Tossini. O-Ton 19 Tossini OV„Es ist eine sehr große Spannbreite, wozu diese Insel den Briten nützlich sein kann. Man kann sich Ascension vorstellen als Instrument zur konventionellen Kriegsführung, wie auch der äußerst unkonventionellen, etwa zur Satellitenbild-Auswertung durch Geheimdienste. Theoretisch könnten sowohl Großbritannien wie auch die USA sogar Atomwaffen auf Ascension stationieren – ohne damit internationale Verträge zu brechen. Wie auch immer: Übersee-Gebiete wie Ascension helfen Großbritannien, trotz seiner eigentlich bescheidenen Größe ein bedeutender Akteur auf der internationalen Bühne zu bleiben – und quasi oberhalb seiner eigentlichen Gewichtsklasse zu kämpfen.“ MUSIK ERZÄHLERINAscension Island – einst schon für Charles Darwins und Joseph Hooker ein „Experiment am Ende der Welt“ - ist damit bis heute in vielerlei Hinsicht eine Insel der Möglichkeiten geblieben - die auch in Zukunft einige Überraschungen bereithalten dürfte…   TC 22:38 – Outro
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Sep 20, 2024 • 23min

INSEL-GESCHICHTEN - Korsika und die Autonomie

Korsika: Eine traumschöne Insel im Mittelmeer, bewohnt von Einwohnern, die seit Jahrhunderten um ihre Freiheit kämpfen. "Korsika ist nicht Frankreich", "Freiheit für Korsika": Solche Graffiti finden sich überall auf der Insel. Welche Rolle spielen dabei die eigene korsische Identität und Sprache? Und die alten korsischen Lieder, die Musikgruppen wie "Alba" wieder zum Leben erwecken? Von Vanja Budde (BR 2023) Credits Autorin: Vanja Budde Regie: Ron Schickler Es sprachen: Laura Maire, Florian Schwarz, Ron Schickler Technik: Regine Elbers Redaktion: Thomas Morawetz Im Interview: Ghjuvanfrancescu Mattei, Alain Di Meglio, Matthias Waechter Linktipps: BR (2022): L’Alba beim Nürnberger Bardentreffen 2022 Während die Musiker das Erbe des polyphonen Gesangs ihrer Heimat Korsika bewahren, sind sie offen für zeitgenössische Elemente aus Folk und Jazz sowie Einflüsse aus arabischen und nordafrikanischen Ländern sowie aus Italien, Griechenland, Portugal, dem Senegal und Simbabwe. JETZT ANSEHEN Deutschlandfunk (2022): Korsika, Frankreich und die ewige Frage der Unabhängigkeit Im Frühjahr 2022 kehrte die Gewalt zurück. Nach der Ermordung eines inhaftierten Nationalisten kam es zu Protesten auf Korsika. Die Forderung nach Unabhängigkeit ist wieder da, doch die korsische Bevölkerung ist bei diesem Thema zerstritten. JETZT ANHÖREN Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte: Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun? DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend. Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.  Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de. Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Alles Geschichte JETZT ENTDECKEN Timecodes (TC) zu dieser Folge:TC 00:15 – IntroTC 02:40 – Eine Insel, schon immer begehrtTC 05:15 – 14 goldene JahreTC 08:53 – Die Universität Korsika Pasquale PaoliTC 12:56 – Wege in die AutonomieTC 19:31 – Das Korsisch ParadoxonTC 22:45 – OutroLesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:TC 00:15 – Intro MUSIKSprecherinAlgajola, ein kleiner Ort an der zerklüfteten Westküste Korsikas. In der Dorf-Kirche verbinden drei Männer ihre Stimmen zum Paghjella-Gesang: Sie sind die Wurzeln der korsischen Musik, diese klagend-dramatischen mehrstimmigen Melodien. Wenn man sie hört, sieht man Korsikas schroffe Berge vor sich, die mehr als 50 Gipfel über 2.000 Meter Höhe, die eiskalten, klaren Flüsse, die zu Tal stürzen, die stachelige Macchia, die das harte Leben der Schäfer im Inneren der Ile de Beauté Jahrhunderte lang bestimme: der heute bei Touristen beliebten „Insel der Schönheit“. Denn Korsika ist schön, aber auch wild. Ein „Gebirge im Meer“, umkämpft seit Jahrtausenden, stets beherrscht von fremden Mächten, gegen die sich die Korsen immer gewehrt haben. All das klingt mit in diesem traditionellen, polyphonen Gesang. Die UNESCO hat ihn darum 2009 zum immateriellen Erbe der Menschheit erklärt. ATMOSprecherinEiner der drei Sänger ist Ghjuvanfrancescu Mattei. Seine Gruppe L’Alba lade sie dazu ein, mit in die korsische Seele einzutauchen, erklärt er den Touristen, die an diesem Abend zu annähernd 100 Prozent das Publikum stellen. Darum sängen sie ausschließlich in ihrer eigenen Sprache: Korsisch. Das klingt überhaupt nicht wie Französisch, sondern hat eher Ähnlichkeiten mit Italienisch. Weshalb es auch im Norden der Nachbarinsel Sardinien von vielen verstanden wird. MUSIKTC 02:40 – Eine Insel, schon immer begehrt SprecherinKorsika ist nach Sizilien, Sardinien und Zypern die viertgrößte Insel im Mittelmeer; mit knapp 350.000 Einwohnern, in etwa so viele wie Island hat. Früher wurde in den Dörfern im Inselinneren viel gesungen, bei Festen, aber auch abends in den Familien. Doch immer mehr junge Leute wandern in die Städte ab, nach Bastia an der Ostküste mit ihren langen Sandstränden oder in die Insel-Hauptstadt Ajaccio im Südwesten. Zurück bleiben die Alten, gesungen wird immer seltener. Gruppen wie I Muvrini, A Filetta oder eben L’Alba sind darum die Hüter nicht nur von Geschichte und Tradition, sondern sie bewahren und fördern auch die korsische Identität. Sagt Ghjuvanfrancescu Mattei: O-Ton 1 Ghjuvanfrancescu Mattei, Französisch, OVOV MÄNNLICH„Unsere Insel hat in der Vergangenheit gelitten. Und sie hat sich an jedes Leiden angepasst. Deshalb findet man auch in der Musik, im künstlerischen Ausdruck, eine Form von Melancholie, eine Form von Schmerz. Denn die korsische Bevölkerung wurde in all den Jahren der Fremdherrschaft mundtot gemacht. Das erzählen wir auch in unseren Liedern: Dass wir Korsen schweigen mussten. Immer wieder unsere Staatsangehörigkeit ändern mussten. Sicherlich spürt man das in unserer Musik: Korsikas melancholische Leuchtkraft.“ ATMO SprecherinSie ist lang, die Liste der fremden Herrscher über diese gebirgige Insel, die zwischen dem italienischen Festland und Sardinien liegt: Byzantiner, Langobarden, Sarazenen und Franken setzten sich an den Küsten fest. Die Markgrafen der Toskana meldeten ebenso Ansprüche an, wie die Seerepubliken Pisa und Genua. Die meisten Korsen zogen sich ins unzugängliche Inselinnere zurück. MUSIKDabei war die Insel schon in prähistorischer Zeit bewohnt. Und schon immer begehrt. Ligurer und Etrusker vom nahen italienischen Festland siedelten sich an, aber auch Griechen und Araber hinterließen genetisch ihre Spuren. Unter der Herrschaft Genuas im Mittelalter kamen viele italienische Siedler, die ihre Sprache und Kultur mitbrachten. Es wird daher angenommen, dass die moderne korsische Bevölkerung eine Mischung all dieser ethnischen und linguistischen Gruppen ist. So blieb Korsika, das nie eine brave Kolonie oder Provinz war, immer eine Welt für sich.TC 05:15 – 14 goldene Jahre 1729 hatten die Korsen genug: In mehreren, Jahre langen Aufständen lehnten sie sich gegen die Zwangsverwaltung und das Feudalsystem der Genuesen auf. 1755 riefen sie ihre staatliche Unabhängigkeit aus. Unter Führung des Widerstandskämpfers Pascal Paoli, der bis heute als „Babbu di a Patria“ verehrt wird, als „Vater des Vaterlandes“, gaben sich die Korsen eine demokratische Verfassung. Übrigens war es die erste Verfassung im Zeitalter der Aufklärung, lange vor den Verfassungen der Vereinigten Staaten im Jahr 1776 und Frankreichs 1791. Inklusive Gewaltenteilung und Volkssouveränität und des europaweit ersten Frauenwahlrechts immerhin für alleinstehende Frauen und Witwen. Einer der engsten Mitarbeiter Paolis dabei war Carlo Buonaparte: Napoleons Vater. Die Genuesen mochten sich mit der kämpferischen Inselbevölkerung nicht länger herumärgern und verkauften ihre Ansprüche an Frankreich. Schon nach 14 Jahren war es dann vorbei mit der Freiheit: 1769 besiegte Frankreich die korsischen Truppen in der Schlacht bei Ponte Novu. MUSIKSprecherinSeither ist Korsika französisches Staatsgebiet. Sieht man von einer kurzen Periode während der Französischen Revolution ab, als die Insel unter englische Oberhoheit geriet. Pascal Paoli ging ins Exil nach England, 1807 starb er in London. Der junge Napoleon schrieb später in seinen unveröffentlichten „Lettres sur la Corse“: „Die Geschichte Korsikas ist ein ständiger Kampf zwischen einem kleinen Volk, das frei sein will, und seinen Nachbarn, die es unterjochen wollen.“ Obwohl der korsische Kampf um Unabhängigkeit nur so kurze Zeit Erfolg hatte, beeinflusste er nicht nur viele Intellektuelle und Staatsmänner jener Zeit, unter ihnen Jean-Jacques Rousseau und die Gründungsväter der Vereinigten Staaten. Sondern die Erinnerung an diese 14 goldenen Jahre der Freiheit ist auch heute noch lebendig. Vor allem in der damaligen Hauptstadt des unabhängigen Korsikas: Corté, in den Bergen im Inselinneren gelegen. Heute hat die lebendige Kleinstadt am Zusammenfluss von Restonica und Tavignano 7.500 Einwohner. Die Hälfte davon sind Studenten der einzigen Universität Korsikas. TC 08:53 – Die Universität Korsika Pasquale Paoli Die nach Pascale Paoli benannte Universität ist ein wichtiges Symbol des Strebens nach Autonomie, erklärt ihr Vize-Direktor Alain Di Meglio in seinem lichten Büro im oberen Stockwerk des modernen Baus.  O-Ton 2 Alain Di Meglio, Französisch (kein OV, da kurz und unten erklärt)„Pascal Paoli, der Gründer des unabhängigen Korsikas, hatte hier eine Universität ins Leben gerufen, die vier Jahre lang bestand, von 1765 bis 1769.“SprecherinDenn Pascale Paoli hat hier in Corté nicht nur das unabhängige Korsika gegründet, sondern 1765 auch eine Universität, die bis zur Machtübernahme Frankreichs 1769 bestand. O-Ton 3 Alain Di Meglio, Französisch/OVOV ALAIN„Korsikas Universität war 212 Jahre lang geschlossen und wurde 1981 wiedereröffnet. Und zwar unter Druck, auf Grund von Forderungen. Zu dem Zeitpunkt, als die Universität wiedereröffnet wurde, saßen 120 politische Gefangene in den französischen Gefängnissen. François Mitterrand hat sich dann des Problems angenommen, Wahlen zum ersten Korsischen Regionalparlament zugelassen und die Universität wiedereröffnet. Das war erst möglich, nachdem die Sozialistische Partei unter François Mitterrand an die Regierung gekommen war. Von diesem Zeitpunkt an hat die Universität das Studium der korsischen Sprache wiederaufgenommen und korsischsprachige Lehrer für das Bildungssystem ausgebildet.“SprecherinNeben Französisch ist an der Universität Korsisch obligatorisches Nebenfach in sämtlichen Fächern. O-Ton 4 Alain Di Meglio, Französisch/OVOV ALAIN„Das ist sehr, sehr wichtig, weil die Sprache ein Identitätskriterium ist. Aber sie ist keine geschlossene Identität, keine ethnische Identität, sondern eine offene Identität, eine kulturelle Identität.“ MUSIK SprecherinWeil sie über die Sprache transportiert werde und nicht über Abstammung, erklärt Di Meglio. Die Sprachforscher der Uni haben die Jahrhunderte lang nur mündlich überlieferte Grammatik des Korsischen verschriftlicht und eine verbindliche Rechtschreibung festgelegt. Die Wissenschaftler zogen kreuz und quer über die Insel, zeichneten die verschiedenen Dialekte auf und brachten ein Wörterverzeichnis des Korsischen heraus. O-Ton 5 Alain Di Meglio, Französisch (kein OV da kurz und unten erklärt)„Die Wiedergeburt der korsischen Sprache ist nicht der Universität allein zu verdanken, sie hat aber einen großen Beitrag dazu geleistet.“ SprecherinSo habe die Uni einen wichtigen Beitrag für die Wiedergeburt der Sprache geleistet, sagt Di Meglio. Das war auch dringend nötig, denn unter französischer Herrschaft wurde das Korsische gezielt unterdrückt, wie Matthias Waechter erklärt. Der deutsche Historiker und Frankreich-Experte leitet das Institut Européen des Hautes Etudes Internationales in Nizza. Er hat umfassende Werke über die Geschichte Frankreichs verfasst. O-Ton 6 Matthias Waechter„1870 bis 1940: Das war die Phase, in der sich dieses republikanische Staats- und Nationsmodell in Frankreich durchgesetzt hat. Und es musste sich gegen starke Widerstände durchsetzen. Und in diesem Zusammenhang hat man sich gedacht, um eine einheitliche Republik zu gründen, müssen wir auch alle eine einheitliche Sprache sprechen. Die Regionalsprachen, die ja in Frankreich extrem verbreitet waren, noch im 19. und frühen 20. Jahrhundert, wurden vom Zentralstaat brutal unterdrückt. Insofern hat Frankreich große Schwierigkeiten, damit zurechtzukommen, dass es ein Volk gibt in Korsika, das seine Kultur autonom leben möchte.“ SprecherinAn öffentlichen Orten wie zum Beispiel den Schulen Korsisch zu sprechen, war verboten. Doch die Unterdrückung ging noch weiter, richtete sich auch gegen die musikalische Tradition, erklärt Matthias Waechter: O-Ton 7 Matthias Waechter„Der Harmoniegesang, der in Korsika gepflegt wurde, galt ja auch als ein Ausdruck korsischen Widerstands. Diese gesamten Ausdrucksformen einer Eigenständigkeit wurden als Widerständigkeit gegenüber der Französischen Republik angesehen. […] Man fürchtete, dass die Menschen, die in diesen Grenzregionen oder auf einer Insel wie Korsika lebten, zum Separatismus neigen würden, wenn man ihnen zu viel Eigenständigkeit lassen würde.“ SprecherinIn der französischen Nationalversammlung ging die Angst um, dass dann etwa auch die Bretagne, das Baskenland oder das Elsass ähnliche Ansprüche wie die „störrischen“ Korsen erheben könnten. O-Ton 8 Matthias Waechter„Und diese Angst ist natürlich immer noch im Hintergrund, dass eine Region, die zu viel Eigenständigkeit besitzt, separatistisch wird. Und dass die Autonomie nur der erste Schritt zur Sezession ist“.TC 12:56 – Wege in die Autonomie MUSIK Sprecherin Im Falle Korsikas nicht ganz zu Unrecht: Nicht nur die restriktive Sprachenpolitik trieb die Korsen auf die Barrikaden. Nachdem Algerien 1962 in einem grausamen Krieg seine Unabhängigkeit errungen hatte, siedelten tausende Algerienfranzosen, die so genannten „Pieds noirs“ nach Korsika über. Viele Korsen fürchteten, eines Tages zur Minderheit auf ihrer eigenen Insel zu werden. Denn gleichzeitig wanderten zehntausende Korsen auf der Suche nach Arbeit von der wirtschaftlich rückständigen Insel ins Ausland ab. Wegen dieser massiven Landflucht verlor Korsika ein Drittel seiner Bevölkerung. In Sorge um die eigene Identität radikalisierte sich der korsische Nationalismus, Korsika wurde mit einer französischen Kolonie verglichen. In den frühen 1970er Jahren gründeten sich mehrere Parteien als politischer Arm der Nationalbewegung. Nachdem Frankreich Forderungen nach offizieller Zweisprachigkeit, Autonomie oder gar Unabhängigkeit strikt ablehnte, gingen einige Nationalisten in den Untergrund. Der 1976 gegründete Frontu di Liberazione Naziunalista Corsu, kurz FLNC, versuchte die Unabhängigkeit mit Bombenattentaten und Morden zu erzwingen. Mehrere bewaffnete Gruppen bekämpften sich auch gegenseitig. 1998 eskalierte die Gewalt: Ein nationalistisches Mordkommando erschoss den französischen Präfekten der Insel, Claude Erignac, aus nächster Nähe, auf offener Straße, mitten in der Hauptstadt Ajaccio. Die französische Öffentlichkeit war schockiert. O-Ton 10 Matthias Waechter„Und insofern wurde dieses Autonomiebestrebungen oder Unabhängigkeitsbestreben der Korsen auch oft als eine Bedrohung wahrgenommen.“ SprecherinÜber diese blutigen Zeiten spricht man auf der Insel heute nicht gern. Die Täter von damals und ihre Hintermänner wurden gefasst und zu langen Gefängnisstrafen verurteilt. Die militanten Gruppen haben die Waffen niedergelegt. In den Supermärkten kauft man Baguette und auf den Dorfplätzen spielen die Korsen Boule. Haben sie ihren Frieden mit Frankreich gemacht? Nicht wirklich: Fährt man auf der sich durch die Berge schlängelnden Straße D18 nach Corte, durchquert man kurz vor der Universitätsstadt einen Straßentunnel. Dessen Wände sind über und über mit Spraydosen beschrieben: „Korsika ist nicht Frankreich“, liest man da auf Französisch. „Freiheit für Korsika“, „Franzosen raus aus Korsika“ und so weiter. MUSIK SprecherinAuf der ganzen Insel weht der „Mohrenkopf“ mit Stirnband auf Bannern und Fahnen und klebt als Aufkleber auf Autos: Das Emblem des Freiheitskampfes. Und in den Altstadt-Gassen von Corte ist das Konterfei eines Mannes allgegenwärtig: Es ist das Porträt von Yvan Colonna. Der korsische Nationalist war wegen Beteiligung an dem Präfekten-Mord zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Er hatte dabei stets seine Unschuld beteuert. Im März 2022 wurde Yvan Colonna im Gefängnis im südfranzösischen Arles von einem Mithäftling angegriffen und schwer verletzt. Daraufhin kam es auf Korsika zu Protesten und Ausschreitungen. Dutzende Polizisten wurden verletzt. Yvan Colonna starb drei Wochen später im Alter von 61 Jahren im Krankenhaus. Zu seiner Beerdigung in seinem Heimatdorf in den korsischen Bergen ordnete der Regionalpräsident der Insel Trauerbeflaggung an. MUSIK Anfang der 2020er-Jahre stand damit Korsikas Verlangen nach Autonomie wieder auf der Tagesordnung. Auf Korsika machte man sich Hoffnungen auf neue Verhandlungen und Fortschritte. Doch dann griff der russische Präsident Vladimir Putin die Ukraine an. Die folgende Energiekrise und eine hohe Inflation hielten ganz Europa in Atem, so auch Frankreich. Das Thema Korsika rückte wieder auf die hinteren Ränge. Dabei seien die Forderungen im Vergleich zu den achtziger und neunziger Jahren mittlerweile gemäßigt, betont Alain Di Meglio, der Vize-Direktor der Universität in Corté: Nur noch zehn Prozent der Korsen verlangten die Unabhängigkeit ihrer Insel von Frankreich. Doch für die Autonomie seien 90 Prozent. Er eingeschlossen. O-Ton 11 Alain Di Meglio, Französisch/OVOV ALAIN„Ich bin Autonomist. Ja, ja, ja, ja, ja, ja, ich bin Autonomist, da ich ein Aktivist der korsischen Sprache bin! Ich fordere das Korsische als offizielle Sprache neben Französisch. Und ich bin für ein System, das mehr Vertrauen in Korsika setzt, das Korsika mehr Macht gibt, aber ohne die Armee oder die Polizei zu fordern oder sich aus dem System der Solidarität mit Europa und Frankreich zu lösen. Die deutschen Bundesländer: Die sind ein Modell für uns. Deutschland ist viel besser dezentralisiert als Frankreich.“ SprecherinDie Verfechter korsischer Freiheit haben ihre Ansichten auch deshalb abgemildert, weil sie den Gang in die Politik und durch die Institutionen angetreten haben: Autonomisten und Separatisten taten sich zusammen und errangen 2015 die Mehrheit im korsischen Regionalparlament. Doch Korsika müsse sich auch Europa und der Welt öffnen, fordert Di Meglio. Ebenso wie Frankreich, das zu sehr auf seinen einheitlichen Zentralstaat fixiert sei und Befugnisse nur zögerlich abgebe. O-Ton 12 Alain Di Meglio, Französisch/OV OV ALAIN„Und ich glaube auf jeden Fall, dass das Prinzip der Autonomie heute ein notwendiges Prinzip ist, sogar weltweit: Wir werden aufgefordert, kurze Transportwege zu fördern, vor Ort zu konsumieren, um die CO2-Kosten des Großhandels zu vermeiden. Man verlangt von uns, die Verpackungen zu reduzieren, man verlangt von uns mehr Ökologie, man verlangt von uns, Energie zu sparen. All das, was in Europa und der Welt im Trend liegt, ist ein Prinzip, das in Richtung Autonomie geht.“TC 19:31 – Das Korsisch Paradoxon MUSIK SprecherinAuf dem Weg zu mehr Eigenständigkeit sei die korsische Sprache ein wichtiger Trittstein, betont Di Meglio. O-Ton 13 Alain Di Meglio, Französisch/kein OV, da kurz und oben erklärt „Die Sprache ist das wichtigste Kriterium für das Bedürfnis der Korsen nach Identität.“ SprecherinDoch obwohl sie heute im öffentlichen Leben, auch in der Literatur, anerkannt sei, gebe es da eine große Gefahr: Nur noch zehn bis 15 Prozent der Jugendlichen sprächen aktiv Korsisch und nur noch etwa die Hälfte verstehe die Regionalsprache. Denn in den Familien wird Korsisch zum ersten Mal seit Jahrhunderten nicht mehr an die nächste Generation weitergegeben. O-Ton 14 Alain Di Meglio, Französisch/OV OV ALAIN„In den vergangenen 40 Jahren hat sich eine Art Paradoxon entwickelt: Die korsische Sprache ist sichtbarer und präsenter in der Politik und in den Medien. In der Bevölkerung geht sie jedoch zurück. Sie wird im Alltag weniger gesprochen.“MUSIK SprecherinDie UNESCO stuft Korsisch darum als bedrohte Sprache ein. Diese Entwicklung müsse gestoppt werden, fordert Alain Di Meglio. Doch er ist guter Hoffnung. Auch wenn es immer weniger gesprochen wird, werde Korsisch immer häufiger an den Schulen gelehrt. Und dann sei da ja auch noch die Musik: Viele korsische Lieder sind in der Zeit der Unterdrückung verloren gegangen, doch erstaunlich viele haben auch überlebt. Dank der Überlieferung in den Familien, wie Ghjuvanfrancescu Mattei von L’Alba erzählt: Alle Mitglieder der Gruppe hätten von einer mündlichen Weitergabe profitiert. Fragt man ihn, ob er sich als Korse fühle oder als Franzose, antwortet der Musiker überraschend weltoffen: O-Ton 17 Ghjuvanfrancescu Mattei, Französisch/OVOV MÄNNLICH„Ich fühle mich sehr wohl und gut verstanden in der korsischen Sprache, natürlich. Aber ich fühle mich auch sehr gut mit Französisch. Und ich empfinde mich in gewisser Weise auch ein bisschen deutsch, und auch spanisch und auch italienisch. Ich fühle mich jedenfalls sehr wohl in meiner Rolle als Mittelmeeranrainer und das gilt auch für die anderen Musiker der Gruppe.“ SprecherinMattei erklärt: Sie stünden mit einem Bein auf jedem Ufer des Mittelmeeres. Zwar bewahren sie die Tradition der korsischen Musik und hüten damit eine uralte kulturelle Tradition. Doch sie wollen sie auch kreativ weiterentwickeln. Darum habe L’Alba sich auch anderen mediterranen Einflüssen geöffnet, sagt Ghjuvanfrancescu Mattei: Griechischen, nordafrikanischen, italienischen Musiktraditionen. O-Ton 18 Ghjuvanfrancescu Mattei, Mix aus Korsisch und Französisch/OVOV MÄNNLICH„Wir versuchen eigentlich mit der korsischen Sprache, der korsischen Musik, eine neue Musik zu machen, die ihre Wurzeln aber nicht verleugnet. Wir versuchen, ein Bindeglied zu schaffen, zwischen allen Ufern des Mittelmeers. Aber natürlich ist der Ausgangspunkt immer noch die Art und Weise zu singen, die für Korsika spezifisch ist.ATMOTC 22:45 – Outro
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Sep 20, 2024 • 22min

INSEL-GESCHICHTEN - Das rätselhafte Urvolk der Kanaren

Fernab der einst bekannten Welten entwickelte sich um Christi Geburt auf den Kanaren eine rätselhafte Kultur. Die ersten Bewohner der Inseln im Atlantik scheinen weder über seetaugliche Boote noch über Kenntnisse der Schifffahrt verfügt zu haben. Wie aber waren sie dann auf die Inseln mitten im Meer gekommen? - Nur eines der vielen spannenden Rätsel rund um die Ur-Kanaren, die Guanchen. Von Lukas Grasberger (BR 2024) Credits Autor: Lukas Grasberger Regie: Kirsten Böttcher Es sprachen: Christian Baumann, Carsten Fabian, Katja Schild, Jennifer Güzel Technik: Matthieu Belohradsky Redaktion: Thomas Morawetz Im Interview: Dr. Teresa Delgado, Prof. Harald Braem, Dr. Rosa Fregel, Dr. José Ignacio Sáenz Linktipps: Deutschlandfunk Kultur (2012): Eine Insel verlässt sich auf sich selbst Auf den Kanarischen Inseln gedeihen Pläne und erste Projekte, den Anteil sauberen Ökostroms zu erhöhen. Die kleinste Insel der Kanaren, El Hierro, geht dabei sehr weit: Die abgeschiedene, windumtoste Vulkaninsel will sich von diesem Jahr an zu hundert Prozent mit Wind- und Wasserkraft versorgen. ZUM BEITRAG WDR (2024): Teneriffa & Co. – Macht der Massentourismus die Kanaren kaputt? Millionen von Menschen zieht es jedes Jahr auf die Kanaren. Obwohl der Tourismus der wichtigste Wirtschaftszweig für die Urlaubsinseln ist, bringen die Urlauber auch einige Probleme mit sich. Deshalb protestieren im Frühjahr 2024 rund 57.000 Menschen auf Teneriffa, Gran Canaria und an vielen anderen Orten gegen den Massentourismus. Die größte Forderung: Mehr Wohnraum und günstigere Preise. Aber auch für eine bessere Wasserversorgung, eine Obergrenze für Touristen und für mehr Umweltschutz protestierten viele Einheimische. Die ARD-Korrespondentin Kristina Böker erzählt, wie es den Menschen vor Ort geht, welche Rolle der Tourismus für die Einheimischen spielt und auf wen die Menschen tatsächlich wütend sind. JETZT ANHÖREN Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte: Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun? DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend. Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.  Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de. Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Alles Geschichte JETZT ENTDECKENTimecodes (TC) zu dieser FolgeTC 00:15 - IntroTC 02:36 – Genetische VielfaltTC 06:13 – Eine Frage und zwei ThesenTC 11:14 - HöhlenfundeTC 13:38 – Rätsel über RätselTC 18:34 – Der Streit um PyramidenTC 21:45 – Outro Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:TC 00:15 - Intro MUSIK & ATMO Strandpromenade, Meeresrauschen SprecherTouristen schlendern über die Strandpromenade von Maspalomas auf Gran Canaria. Einige schlürfen Eis, andere lassen den Blick über den tiefblauen Atlantik streifen. Für die ovale Steinformation zu ihren Füßen, ein paar Meter strandwärts, scheinen sich die meist deutschen Urlauber kaum zu interessieren. Ganz anders die kanarische Archäologin Teresa Delgado. Für Forschende wie sie sind die Spuren derjenigen, die bereits ein paar Tausend Jahre vor den Touristen auf die Insel kamen, ein spannendes Rätsel - das sie nur nach und nach zu lösen lernen. O-Ton 1 Dr. Teresa Delgado, Konservatorin am Museo Canario, Las Palmas, span. Voice Over weiblich„Das sind Reste einer Siedlung, wie sie für die Ureinwohner der kanarischen Inseln typisch war. Damals boomte die Bevölkerung auf Gran Canaria, ihre Kultur blühte. Menschen, die seinerzeit in Berg-Höhlen lebten, zogen an die Küsten. Die Gesellschaft war im Aufbruch: Vormalige Viehzüchter entwickelten ihre Fähigkeiten im Ackerbau - und begannen auch den Ozean intensiv auszubeuten.“ SprecherIn den Ruinen von „Punta Mujeres“ fanden die Archäologen Hinterlassenschaften, die auf einen reichhaltigen Fischkonsum der ersten Bewohner Gran Canarias hindeuteten. Doch da war eine Sache, die die Forscher bald ins Grübeln bringen sollte... O-Ton 2 Delgado Voice Over weiblich„Bei dieser und anderen Ausgrabungen haben die Archäologen nie Gräten oder Köpfe von Hochsee-Fischen gefunden. Die ersten Bewohner der Inseln haben wohl nur an oder nahe der Küste gefischt. Darauf, dass sie das ohne Boote taten, weist eine besondere Ohrerkrankung hin, die man in Schädeln der Urkanarier gefunden hat. Diese hatten einen Tumor im Hörkanal, der bei häufigem Kontakt mit kaltem Wasser entsteht – etwa, wenn man am Ufer nach Meerestieren taucht. Auch hat man bei Ausgrabungen nie Überbleibsel von Schiffen entdeckt. In der Gesamtschau verleitet uns das zu dem Schluss, dass die frühen Bewohner der Inseln weder über Boote, noch über Fähigkeiten der Navigation verfügt haben dürften.“ MUSIK & ATMO Meeresrauschen SprecherWie aber waren die ersten Siedler dann auf die kanarischen Inseln gekommen – und warum? Und: Falls sie doch eigene Boote hatten: Weshalb hatten sie sich überhaupt auf die lebensgefährliche Überfahrt übers offene Meer, in unbekannte Gefilde, begeben? TC 02:36 – Genetische Vielfalt SprecherVieles zur Herkunft und Lebensweise der kanarischen Ureinwohner erscheint uns heute, gut 500 Jahre nach der endgültigen Einnahme der Inseln durch die Spanier, geheimnisvoll. Die iberischen Eroberer haben die Guanchen, Canarios, Majos und Majoreros, die Gomeros, Bimbaches und die Benahoaritas gnadenlos ausgerottet. Deren Kultur und Zivilisation versank im Dunkel der Geschichte. MUSIK Grabungs-Funde haben nachgewiesen, dass das mediterrane Seefahrer-Volk der Phönizier bereits im zehnten Jahrhundert vor Christus einen Fuß auf die Insel Lanzarote setzte. Später kamen die Römer. Doch beide waren keine Siedler, betont die Archäologin Teresa Delgado: Es waren wenige Menschen, die dort saisonal Stützpunkte für den Handel, etwa mit Purpur, betrieben. Die Urkanarier, das erste Volk, das die Inseln im Atlantik dauerhaft besiedeln sollte, waren andere... O-Ton 3 Delgado Voice Over weiblich„Die erste nachhaltige Besiedlung der Inseln fand durch Berber-Völker aus dem Nordwesten Afrikas statt. Darauf deuten auch die jüngsten Untersuchungen von Spuren alten Erbguts hin.“ O-Ton 4 Dr. Rosa Fregel, Genforscherin, Universidad de La Laguna, Teneriffa, span. Voice Over weiblich„Nach unseren genetischen Analysen waren die ersten dauerhaften Bewohner der Kanaren Berber, die aus dem Norden Afrikas stammen.“ Sprecher  ...bestätigt die Forscherin Rosa Fregel von der Universität von La Laguna auf Teneriffa. Die Biologin untersuchte mit ihrer Arbeitsgruppe das Erbgut von 48 Menschen, deren Überreste Archäologen an verschiedenen Orten der Inseln ausgegraben hatten. Die alten Erbgutspuren verraten, dass die Ur-Kanarier offenbar in zwei Wellen übers Wasser kamen: In Fregels Analysen zeigte das Erbgut der ersten Bewohner der östlichen Kanareninseln Lanzarote, Fuerteventura und Gran Canaria einen größeren europäischen Einschlag - während bei den westlicher gelegenen der Anteil an nordafrikanischen Genen überwog. Und: Es war kein homogenes Berber-Volk, das da aus Nordafrika auf das Atlantik-Archipel gelangte. O-Ton 5 Fregel Voice Over weiblich„Es war bereits ein Völkergemisch. Das Erbgut der ersten kanarischen Siedler weist nordafrikanische und mediterrane Elemente auf – sowie aus Subsahara-Afrika. Vor der ersten Migration auf die Kanaren dürfte es größere Wanderungsbewegungen im und in den Norden Afrikas gegeben haben. Auch von Menschen, die südlich der Sahara aufbrachen, Richtung Norden.“ SprecherWaren es Verwerfungen rund um die römische Einnahme von Nordafrika, die Menschen unterschiedlicher Herkunft und in großer Zahl vertrieben, und diese zu einer Wanderung bis auf die kanarischen Inseln veranlassten? Nicht nur genetisch, auch ihrem Aussehen nach unterschieden sich die Guanchen, die Ureinwohner Teneriffas, frühen Beschreibungen zufolge deutlich. Der Dominikaner-Pater Fray Alonso de Espinosa, der mit den spanischen Eroberern auf die Insel kam, schilderte die Urbevölkerung einerseits als „dunkel und braungebrannt“; andererseits fand der Priester und Geschichtsschreiber im Norden des Eilands „hellhäutige“ Menschen vor - darunter Frauen „mit blondem und schönem Haar“. Die Forschung der Biologin Rosa Fregel und ihrem Team bestätigt, dass es besonders unter den Ureinwohnern der großen Inseln Teneriffa und Gran Canaria eine große genetische Vielfalt gab. TC 06:13 – Eine Frage und zwei Thesen MUSIK SprecherDoch: Wer genau wann auf die Inseln kam – und vor allem warum: Diese Fragen lassen sich auch mit Erbgut-Analysen nicht zufriedenstellend beantworten. Für Teresa Delgado passen die Erkenntnisse ihrer Forscher-Kollegin Fregel zumindest zu zwei Theorien über die Ankunft der ersten Siedler auf den Kanaren. O-Ton 6 Delgado Voice Over weiblich„Die erste These geht davon aus, dass ein anderes Volk – wie die Römer – die ersten Inselbewohner herübergebracht, sie quasi auf den Inseln ausgesetzt hat: Als Gefangene oder Sklaven. Eine zweite These ist, dass sie aus eigenem Antrieb und mit eigenen Mitteln gekommen sind. Demnach hätten die Ur-Kanarier die Kunst der Schifffahrt mit der Zeit einfach verlernt. “ SprecherEs gibt Quellen, die Wissenschaftler an der These vom Inselvolk ohne jegliche Kenntnisse und Mittel zur Seefahrt zweifeln lassen. So erwähnt der italienische Geschichtsschreiber Leonardo Torriani nach der spanischen Eroberung im 16. Jahrhundert, Boote von Ureinwohnern, gefertigt aus dem Holz von Drachenbäumen. Der deutsche Kanaren-Forscher Harald Braem verweist in diesem Zusammenhang auf Zeugnisse, die die indigene Bevölkerung selbst hinterließ. O-Ton 7 Braem„Gran Canaria ist stark vertreten mit interessanten Darstellungen…. die Felsbilder natürlich, sogar von einem Schilfboot.  Was jetzt wirklich interessant diskutiert wird, ist, dass diese Boote Schilfboote waren. Dieses Schilf ist quasi unsinkbar, weil es ja hohl ist innen. Und dass mit diesen Schilfbooten diese Expeditionen gemacht wurden.“ SprecherOb es diese Boote wirklich gab, und wie groß der Bewegungsradius damit gewesen sein mag – dies ist und bleibt eine weitere Unbekannte in der Geschichte der Urkanarier. In jedem Fall dürften die ersten Bewohner der Kanaren ihr Dasein über 1000 Jahre lang in Isolation gefristet haben - bis die Europäer die Inseln im späten Mittelalter wiederentdeckten. Selbst die benachbarten Inseln waren stets zum Greifen nah – und doch unerreichbar. Mangels Metallvorkommen stellten die Ur-Kanarier Werkzeuge und Waffen aus Stein und Knochen her. Und noch eine These wird durch DNA-Analysen von Rosa Fregel gestützt: Dass sich Wirtschaft und Gesellschaft jeder einzelnen der Kanareninseln unabhängig voneinander entwickelten, Handel oder sonstiger Austausch fand nicht statt: Ton 8 Fregel Voice Over weiblich„Insgesamt recht seltene Krankheiten, die auf El Hierro gehäuft auftraten, deuten auf eine starke Blutsverwandtschaft hin - und eine geringe genetische Vielfalt der Bewohner. Auf Gran Canaria dagegen hat sich eine große genetische Diversität erhalten. Möglicherweise hängt das damit zusammen, dass es auf dieser ungleich größeren Insel mehr Vieh und Getreide hab – und mehr Wasser, um auch eine größere Bevölkerung durch Krisenzeiten zu bringen.“ ATMO Plätschern Wasserquelle SprecherWasser – das gibt und gab es auf der nordwestlichsten Kanareninsel La Palma im Überfluss. Noch heute füllen die unterirdischen Quellen zuverlässig die Trinkwasserreservoirs. Die Nähe zum Wasser: Sie war ein entscheidender Grund, warum gerade hier die einst wichtigste Siedlung der Ureinwohner entstand. O-Ton 9 Braem„Wir sind hier im barranco gomeros, im Westen von La Palma, und das ist eine besondere Zone, mit etwa 35 Höhlen der Ureinwohner. (...) Hier in dem barranco werden, hochgerechnet, 200 bis 250 Menschen gelebt haben, Männer, Frauen, Kinder.(…) Die Population der Einwohner hier, der Ureinwohner, wird ungefähr auf 10.000 geschätzt, zur Ankunft der Spanier, in zwölf Stämmen aufgeteilt.“ ATMO Schritte, Abstieg in den barranco SprecherÜber unwegsames Gelände geht es hinunter, zum Grund der Schlucht. Vor Ankunft der spanischen Eroberer, die Bäume und Sträucher in großer Zahl abholzten, dürfte der Barranco de Los Gomeros bewachsen und die Höhlensiedlung besser zugänglich gewesen sein. Heute prägen Sand, Fels und Geröll eine zerklüftete Landschaft, die schließlich ins Meer mündet.  O-Ton 10 Braem„Grundnahrungsmittel war das Meer. Dann war ja hier die Anbaumöglichkeit hier am Bach gegeben… Oder natürlich die Ziegen, die meiste Grundlage beruhte auf Ziegen. Also sowohl die Felle, für Kleidung. Oder die Sehnen, die Hörner. Also man konnte von der Ziege das Fleisch, alles verwenden. Das war hier so eigentlich eine ganz gut ausgewogene Kost zwischen Früchten… Beerensammler, nä? Und Gofio gabs ja auch. Gofio, das war die geröstete Wurzel des Farnkrauts...und dann hat man ein Mehl, so n Hirte hatte nen Beutel mit Gofio dabei für unterwegs: Schnell mal ein kleines Brot backen, oder so.“TC 11:14 - Höhlenfunde SprecherIn den Höhlen des Barranco de Los Gomeros fördern Archäologen noch immer zahlreiche Utensilien der Urkanarier zu Tage, weiß Harald Braem. ATMO Klettern O-Ton 11 Braem„Die interessantesten Sachen sind natürlich immer im vorderen Bereich, wo die Feuerstelle war, und wo man die Abfälle ´rauswarf. Und da findet man am meisten.“ MUSIK Sprecher Kunstvolle, aus Knochen geschnitzte Nadeln, mit denen die Ureinwohner Kleidung aus dem Leder der Ziegen nähten, fanden sich in den Höhlen ebenso wie steinernes Werkzeug, mit denen sie Fleisch schnitten. Unmengen an Splittern tönerner Töpfe lassen erahnen, dass hier groß aufgekocht wurde: Die Benahoaritas, so der Name der ersten Siedler auf La Palma, lebten wohl in Verbünden von Großfamilien zusammen. Ein Grund, warum die kanarischen Ureinwohner nicht in einzelnen Höhlen wohnten – sondern sich in Höhlenkomplexen niederließen: Überall dort, wo ihnen die vulkanische Geographie der Inseln genügend Platz bot. O-Ton 12 Dr. José Ignacio Sáenz, Leiter der archäologischen Stätte Cueva Pintada, Gáldar, Gran Canaria, span., Voice Over männlich„Diese Orte bestehen teils aus natürlichen Höhlen, teils aus künstlichen Eintiefungen, die die Ureinwohner so in den Berg schlugen, dass sie einerseits unterirdische Wohnräume hatten, andererseits aber auch die Flächen der Terrassen nutzen konnten, die die Geografie der Hanglage für sie bereithielt. Später kamen auch freistehende, runde Steinhäuser dazu. Es entstanden nach und nach immer komplexere Siedlungen, wie etwa im Gáldar – wo sich mehr als 60 Häuser rund um die Cueva Pintada, die „bemalte Höhle“, gruppieren.“ Sprecher...sagt José Ignacio Sáenz. Er leitet das Museum Cueva Pintada in Gáldar, im Nordwesten von Gran Canaria. Der heute knapp 25.000 Einwohner zählende Ort war einst Hauptstadt des Nordreiches der Altkanarier. An der Cueva Pintada von Gáldar zeigt sich, dass die kanarischen Ureinwohner Höhlen nicht nur für weltliche Zwecke nutzten O-Ton 13 Sáenz Voice Over männlich„Die Cueva Pintada war keine normale Grabkammer. Bei den dort aufgebahrten Mumien dürfte es sich, ähnlich wie bei christlichen Heiligen-Reliquien, um bedeutende Persönlichkeiten gehandelt haben. Diese Bestattung, möglicherweise eines kanarischen Herrschers, dürfte die Höhle zu einem ,heiligen Ort’ aufgewertet haben.“TC 13:38 – Rätsel über Rätsel MUSIK SprecherAuch die „bemalte Höhle“ von Gáldar hält, wie José Ignacio Sánz einräumt, letztlich mehr Fragen als Antworten über das Leben und Sterben der kanarischen Ureinwohner bereit. Denn deren Kenntnisse der Mumifizierung wollen nicht recht zu einem ausgewanderten Berbervolk aus Nordafrika passen: Dies rief den französischen Forscher Jean-Paul Canamas auf den Plan: Der behauptete, verbannte oder verschleppte Ägypter seien einst gemeinsam mit den Berbern auf die Inseln gelangt, und hätten dort ihre Bestattungsbräuche eingeführt. Doch warum unterscheiden sich die Arten der Mumifizierung der alten Ägypter und der Altkanarier dann so deutlich? Wie erklärt sich, dass die Ägypter Verstorbene ausweideten, die Urkanarier ihren dagegen mitsamt aller Organe einbalsamierten – und die Leichen schließlich auch noch in Lederhäute einnähten? Auch der Sinn und Zweck der Zeichen und Formen an der Wand der Cueva Pintada von Gáldar bleibt bis heute im Dunkel der Vergangenheit verborgen. Markierten die Kreise und Dreiecke, die Archäologen in unterschiedlicher Ausprägung auf allen Kanareninseln entdecken, die Zugehörigkeit zu einem Volk, Stamm oder Familie? Dienten sie einst als eine Art Kalender – oder für religiösen Riten? Die Forscherin Teresa Delgado glaubt: In der vorzeitlichen Gesellschaft der Urkanarier waren handfeste landwirtschaftliche Zwecke und spirituelle Praxis kaum zu trennen. O-Ton 14 Delgado Voice Over weiblich„Diese Menschen mussten den Blick nach oben richten, die Sterne, das Wetter und die Jahreszeiten verfolgen: Sie sahen sich also im wahrsten Sinn des Wortes den Himmelsmächten ausgesetzt.“ SprecherOb sich die Geheimnisse der indigenen Bildersprache jemals vollständig lüften lassen? José Ignacio Sáenz hat daran Zweifel: Denn die ersten Bewohner der kanarischen Inseln hinterließen keinerlei schriftliche Dokumente, ihre Kultur wurde mündlich überliefert. Selbst von ihrer Sprache sind nur Bruchstücke bekannt – etwa die Ureinwohner-Bezeichnung Guanche - die sich aus den Worten „Guan“ für „Mensch“ und „Chinet“ für die Insel Teneriffa zusammensetzt. So bleibt Wissenschaftlern wie Sáenz nur, Scherben zusammenzufügen, auf dass sich ein stimmiges Bild von den ersten Kanariern ergebe; oder, im wahrsten Sinn des Wortes, die Zeichen an der Wand zu deuten: Felsgravuren etwa, oder die Malereien in der Cueva Pintada. Doch diese in ihrer tieferen Bedeutung zu entschlüsseln: Für José Ignacio Sáenz eine schwierige, wenn nicht unmögliche Aufgabe. O-Ton 15 Saénz Voice Over männlich„Als Archäologen kommen wir hier oft nicht weiter, weil wir mit den materiellen Zeugnissen einer Kultur arbeiten. Sobald es um die Welt des Denkens, des Glaubens, der Rituale und der Religion der Urkanarier geht, wird es für uns sehr schnell sehr kompliziert.“ SprecherDer Autor Harald Braem taucht in seinen Büchern und Filmen tief ein in diese mythenumrankte Welt der kanarischen Ureinwohner. Literarisch - und mit experimentellen Expeditionen folgt er den Spuren der Urkanarier, auch in seiner Wahlheimat La Palma. Die Gesellschaft der dort lebenden Benahoaritas, das wird dabei deutlich, war eine hierarchische. Die Autorität der Adelsklasse leitete sich ab aus dem Monopol über Mythen und Riten, aber auch aus der Fähigkeit, den Himmelskalender zu deuten. Als Mittler zwischen den Menschen und den übernatürlichen Kräften, als eine Art Priester und Zeremonienmeister traten dabei die Faycanes oder Fayzagues auf dem heiligen Berg der Ureinwohner auf: Dem Idafe – auf dem man Tiere opferte, die Götter beschwor - und weissagte. O-Ton 16 Braem„Also, Tieropfer, insofern, als man die Ziege danach aufgegessen hat, mit der ganzen Familie (lacht)...das ist klar. Aber die Innereien, das wurde dann zum Idafe hochgebracht, und dann auf einem kleinen Opferplatz hingelegt für die Seelenvögel, also Adler, Geier und Raben. Und dann hat man beobachtet, wie die Tiere sich verhalten haben. Und daraus dann geweissagt. Das ganze Ritual ging eigentlich immer um Himmel und Wasser. Dass es wieder regnet und das Wasser kommt. Da gabs ganz ausgeklügelte Rituale von Steinanbohrungen bis zu Zicklein, die angebunden wurden. Und die haben dann so gejammert, dass dann die große Regengöttin Munaiba dann ein Erbarmen hatte. Und hat´s dann regnen lassen“.TC 18:34 – Der Streit um Pyramiden MUSIK Sprecher Für kultische Zwecke genutzt worden sein soll auch eine Reihe von Steinbauten, die ebenfalls nach Himmelskörpern ausgerichtet sind - und die bis heute Rätsel aufgeben: Stufenpyramiden, die sich auf der Hälfte der acht kanarischen Inseln finden. Um den Ursprung der imposanten Bauten aus dunklem Lavastein entstand in den 1990er-Jahren eine erbitterte Kontroverse, an der sich Wissenschaftler und geschichtsinteressierte Laien, aber auch kanarischen Nationalisten und Esoteriker beteiligten. Auch Harald Braem hat gemeinsam mit dem norwegischen Archäologen Thor Heyerdahl an der Pyramide von Güimar auf Teneriffa gegraben. Nach Heyerdahls abenteuerlich anmutender These bildeten die kanarischen Pyramiden sowohl zeitlich als auch geografisch eine Zwischenstation auf dem Weg von ägyptischen Sonnenanbetern zu den Maya in Mexiko. Demnach wäre ihre Bauzeit rund 1000 Jahre vor Christi anzusiedeln. Kanarische Wissenschaftler wie die Kuratorin des Museo Canario von Las Palmas, Teresa Delgado, reagieren auf solche Spekulationen zunehmend gereizt. O-Ton 17 Delgado Teil 1 Voice Over weiblich„Diese Pyramiden haben nichts mit der Welt der kanarischen Ureinwohner zu tun“ Sprecher..erklärt Teresa Delgado, Kuratorin des Museo Canario in Las Palmas de Gran Canaria. O-Ton 17 Delgado Teil 2 Voice Over weiblich„Das sind Anhäufungen von Lesesteinen, die Bauern von ihren Feldern entfernt haben, die Stufen wurden dazu angelegt, um Früchte oder Getreide zu trocknen. Archäologen haben die Pyramiden nach Ausgrabungen eindeutig auf die Zeit nach der spanischen Eroberung datiert. Es ist schon wichtig, hier der wissenschaftlichen Evidenz zu folgen: Wir können nicht einfach Geschichten verbreiten, die nicht durch die Evidenz wissenschaftlicher Erkenntnis gedeckt sind.“ Sprecher Diese „archäologischen Erkenntnisse“, entgegnet der deutsche Professor Harald Braem, seien das Ergebnis lediglich einer Grabung - und ließen andere Funde und historische Quellen außer Acht. O-Ton 18 Braem„Tatsächlich beschreiben Chronisten wie Leonardo Torriani die Rituale auf solchen Pyramiden. Das gabs ja vor den Spaniern! Da wurden die Könige, die Menceys gekrönt, da wurden die Feste gefeiert an diesen Pyramiden…und wir haben zum Beispiel unter der einen Pyramide eine Höhle ausgegraben, da lagen Scherben, und zwar der Ureinwohner! Also man wird nicht ernst genommen. Oder, die Ureinwohner werden nicht ernst genommen.“ MUSIK Sprecher Es mangle an Finanzmitteln und Motivation, behauptet Braem. Und es fehlten Forscherinnen und Forscher mit einem frischen Blick, um das archäologische Erbe der kanarischen Ureinwohner unvoreingenommen zu erkunden, ihre steinernen Zeugnisse zum Sprechen zu bringen. Und dennoch: Trotz aller Kritik ist Harald Braem zuversichtlich, dass die weit zurückliegende Zivilisation der Urkanarier nicht in Vergessenheit geraten wird. O-Ton 19 Braem„Die Kultur hier ist irgendwie in den Menschen drin, in der Landschaft: Die ist auf eine magische Weise so kraftvoll, dass sie einfach überlebt.“TC 21:45 – Outro
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Sep 6, 2024 • 24min

FRÜHE WELTREISENDE - Die Naturforscherin Maria Sibylla Merian

Schon als Jugendliche beobachtet Maria Sibylla Merian fasziniert, wie aus gefräßigen Raupen erst wie tot wirkende Puppen und dann bunte Schmetterlinge werden. Die 1646 geborene Tochter des berühmten Matthäus Merian ist künstlerisch hoch begabt. Jahre später gelingt ihr - fast undenkbar für eine Frau ihrer Zeit - eine Forschungsreise nach Surinam. Autorin: Renate Ell (BR 2013) Credits Autorin: Renate Ell Regie: Sabine Kienhöfer Es sprachen: Beate Himmelstoß, Katja Schild, Peter Lersch Technik: Susanne Herzig Redaktion: Brigitte Reimer Im Interview: Dr. Katharina Schmidt-Loske, Brigitte Strehler, Dr. Andreas Curtius, Prof. Dr. Anne-Charlott Trepp Linktipps: Deutschlandfunk (2018): Der Kupferstecher und Verleger Matthäus Merian Die Kupferstiche von Matthäus Merian zeigen deutsche Städte, wie sie vor dem Dreißigjährigen Krieg aussahen. Mit ihnen wurde der Kupferstecher und Verleger berühmt. Er ist es bis heute. Dazu haben besonders seine zwei Hauptwerke beigetragen, mit denen er zum Chronist seiner Zeit wurde. ZUM BEITRAG radioWissen (2020): Schmetterlingssammler – Von Hesse bis Nabokov Bis ins 20. Jahrhundert hinein streiften Schmetterlingsjäger und Sammler mit ihren Netzen durch Wald und Wiesen, um die flatternden Schönheiten zu erhaschen. Auch einige bekannte Schriftsteller frönten dem lustvollen Zeitvertreib. JETZT ANHÖREN Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte: Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun? DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend. Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.  Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de. Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Alles Geschichte JETZT ENTDECKENTimecodes (TC) zu dieser Folge: TC 00:15 – IntroTC 04:09 – Nürnberger ZeitTC 07:20 – Das Metamorphosebild – eine ganz neue ErfindungTC 11:31 – Geistreich & gläubigTC 15:40 – In der SekteTC 18:27 – Eine Reise nach SüdamerikaTC 22:55 – OutroLesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:TC 00:15 – Intro MUSIK ERZÄHLERIN1647, ein Jahr vor dem Ende des 30jährigen Krieges, kommt Maria Sibylla Merian in Frankfurt am Main zur Welt, als jüngstes Kind einer der bedeutendsten Künstler- und Verleger-Familien im deutschsprachigen Raum. Ihr Vater Matthäus Merian stirbt, als sie drei Jahre alt ist. Ihre Mutter heiratet ein Jahr später Jacob Marrell, einen Kunsthändler und Maler, spezialisiert auf Blumen-Stillleben. Ein Glücksfall: Er erkennt und fördert die künstlerische Begabung seiner Stieftochter - in seiner Werkstatt absolviert sie eine Ausbildung als Blumenmalerin gemeinsam mit den männlichen Lehrlingen. Sie lernt, wie sie später in ihrem „Raupenbuch“ erzählt, ZITATORIN MERIAN "… meine Blumenmalerei mit Raupen, Sommervögelein und dergleichen Thierlein auszuzieren … eines durch das ander’ gleichsam lebendig zu machen." ERZÄHLERINMit „Sommervögelein“ meint sie Schmetterlinge. ZITATORIN MERIAN "Also hab’ ich oft große Mühe in Auffangung derjenigen angewandt, bis ich endlich, vermittelst der Seidenwürmer, auf der Raupen Veränderung gekommen." ERZÄHLERINFrankfurt ist im 17. Jahrhundert ein Zentrum der Seidenspinnerei. In der Werkstatt eines Onkels beobachtet Maria Sibylla erstmals mit 14 Jahren wie aus Seidenraupen Puppen und dann Falter werden. Und entdeckt durch erste Forschungen, vielleicht im Garten hinter dem Haus, dass diese Metamorphose bei allen Schmetterlingen gleich abläuft. Aber sie streift wohl auch durch die Räume des Merian-Verlags - dort liegen Bücher mit Bildern von allen möglichen Tieren - damals bahnbrechende Werke, sagt die Biologie-Historikerin Katharina Schmidt-Loske vom Museum König in Bonn.  (1. ZUSP.) KATHARINA SCHMIDT-LOSKE"Neben dem Ulisse Aldrovandi von 1602, das Werk über die Insektenkunde, gibt es ein zweites, das ist von Thomas Mouffet von 1634, was sich auch wiederum mit der Insektenwelt beschäftigt und diese beiden Werke von Thomas Mouffet und Aldrovandi wurden in der „Historiae naturalis“ von John Johnston zusammengeführt, ein fünfbändiges Werk, in dem eins über Insekten, Schlangen und Drachen zusammengeführt war, und das wurde in der Werkstatt der Merians hergestellt." ERZÄHLERINEs sind keine biologischen Fachbücher im heutigen Sinne. Die damaligen Autoren versuchen lediglich die Vielfalt des Lebens zu erfassen und eine Systematik zu schaffen. Ihre Werke dienen auch Künstlern als Vorlagen, denn sie enthalten vor allem sehr viele präzise Abbildungen. In der „Historiae naturalis“ sind das erstmals fein schattierte Kupferstiche anstelle der zuvor üblichen, viel gröberen Holzschnitte - eine echte Pionierarbeit der Merians. Auch das Kupferstechen lernt Maria Sibylla wohl im Verlag ihres verstorbenen Vaters, meint Brigitte Strehler vom Kunstkabinett Strehler in Sindelfingen. (2. ZUSP.) BRIGITTE STREHLER"Ich glaube nicht, dass das für Frauen in der damaligen Zeit üblich war, den Kupferstich zu erlernen, und sie ist eine ganz hervorragende Kupferstecherin - sie kann sehr, sehr fein stechen, in wunderschönen schwarzweiß-Schattierungen; das ist auch durchaus eine schwierige Tätigkeit, wenn man einmal mit dem Stichel in dem Kupfer gearbeitet hat, das lässt sich ja nicht radieren, das ist fix, da ist dann eine Linie, und die lässt sich nicht mehr so leicht wieder entfernen aus der Kupferplatte, weil das ist eine Vertiefung in der Kupferplatte und die ist dann da." ERZÄHLERINIm Alter von 19 Jahren heiratet Maria Sibylla Merian den Architektur-Maler Johann Andreas Graff aus Nürnberg, einen Lehrlings-Kollegen in der Werkstatt. Fünf Jahre später zieht das Paar mit der zweijährigen Tochter nach Nürnberg. TC 04:09 – Nürnberger Zeit MUSIK ERZÄHLERINIn Nürnberg herrscht eine ähnliche Atmosphäre wie in Frankfurt - es ist eine protestantisch geprägte Freie Reichsstadt, also nur dem Kaiser untertan, und regiert von einer Bürgervertretung. Der Kunsthistoriker Andreas Curtius von den Museen der Stadt Nürnberg. (3. ZUSP.) ANDREAS CURTIUS"Der große Rat und der Kleine Rat, das sind also die Hauptgremien in Nürnberg, die hatten das Sagen in Nürnberg und haben alles eigentlich auch entschieden innerhalb der Stadt, das zweite wesentliche für Nürnberg ist, dass es eine Handelsstadt war, dass Nürnberg Handelsbeziehungen quer über ganz Europa unterhielt, und dass dritte wesentliche Element ist das Patriziat, was sehr ausgeprägt ist in Nürnberg, sehr traditionsbewusst ist, aber gleichzeitig auch sehr weltoffen. Denn der Handel wurde z.T. auch durch das Patriziat geführt, und das Patriziat war eben auch eine sehr gebildete Schicht, und das hatte zur Folge, dass nach dem 30jährigen Krieg Nürnberg auch einen schnellen Wiederaufstieg hatte, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch geistig-kulturell." ERZÄHLERINEs muss eine anregende Atmosphäre gewesen sein für die junge Künstlerin, zumal sie schnell Kontakt findet zur lokalen Oberschicht, den Patrizierfamilien: Sie gibt deren unverheirateten Töchtern Malunterricht - scherzhaft spricht sie von ihrer „Jungfern-Companey“. Und sie findet auch Kontakt zu anderen Künstlern und Dichtern, für die Nürnberg ein gutes Pflaster ist. (4. ZUSP.) ANDREAS CURTIUS"Das Patriziat war ein sehr wichtiger Auftraggeber, und Nürnberg war auch ein Buchdruckerort ähnlich wie Frankfurt, sehr wichtig waren eben auch Unternehmungen wie illustrierte Bücher, das war eine sehr einträgliche Quelle auch für die Künstlerschaft." ERZÄHLERINSicher haben sie auch die waschechten, mit Blumenmotiven bemalten Tischdecken von Maria Sibylla Merian gekauft. 1675 veröffentlicht die ihr erstes illustriertes Buch - das „Neue Blumenbuch“. Es steht ganz in der Tradition der so genannten Florilegien, wie sie auch der Merian-Verlag auf den Markt brachte. Solche Bücher enthalten Kupferstiche mit einzelnen Blumen oder Blumen-Arrangements als Vorlagen für Amateur-Maler und für Stickarbeiten. Solche Blumenbücher verkaufen sich gut, in schwarz-weiß oder - gegen Aufpreis - einzeln koloriert. Maria Sibylla Merians Blumenbuch erscheint in drei Bänden. Wie sie es bei ihrem Stiefvater gelernt hat, krabbeln hier und da Insekten über die Blätter, flattert ein Schmetterling davon. Vier Jahre später, und ein Jahr nach der Geburt der zweiten Tochter, erscheint das zweite Buch - und da ist auf einmal alles anders. Die Schmetterlinge sind nicht mehr nur ein belebendes Element. Und für ihre Bilder verwendet sie im Unterschied zu den Malern von Stillleben keine Vorlagen aus naturhistorischen Büchern. Die Biologie-Historikerin Katharina Schmidt-Loske: TC 07:20 – Das Metamorphosebild – eine ganz neue Erfindung (5. ZUSP.) KATHARINA SCHMIDT-LOSKE"Sie hat eine richtige Insektenzucht betrieben zuhause in Schächtelchen, hat jedes Stadium erfasst und hat dann als Ergebnis dessen ihr 50 Tafeln umfassendes Werk von 1679, das erste Raupenbuch mit dem Titel „Der Raupen wunderbare Verwandelung und sonderbare Blumennahrung“, in dem hat sie eine Pflanze, die Futterpflanze der Raupe meist in der Mitte dargestellt und rundherum die verschiedenen Entwicklungsstadien. Und das ist absolut neu." ERZÄHLERINDieses „Metamorphosebild“ ist ihre … ZITATORIN MERIAN"…ganz neue Erfindung …" ERZÄHLERIN… wie sie im Titel stolz vermerkt. Die meisten Menschen kennen damals die Entwicklungsstadien nicht, die sie im Vorwort ausführlich erläutert. (6. ZUSP.) KATHARINA SCHMIDT-LOSKE"Was weit verbreitet war, war der aristotelische Urzeugungs-Gedanke, dass Insekten aus Schlamm und Dreck entstehen, spontan. Das ist natürlich nicht ganz weit hergeholt, denn was man optisch sehen kann, sind die Larvenstadien, die größer sind, die Eier hat man nicht gesehen, die Entwicklung des Mikroskops steht erst bevor, oder auch die Nutzung von Lupen war noch nicht so gängig, dass man sich überhaupt auf diese kleinsten, kleinen Tiere konzentrierte, das begann ja alles erst, das war also ein hoch spannendes Zeitalter." ERZÄHLERINAuch Maria Sibylla Merian selbst entdeckt erst nach und nach, dass alle Schmetterlinge dieselbe Entwicklung durchlaufen wie die Seidenspinner. Sie hält ihre Beobachtungen in kleinen Aquarellen fest, und aus diesen Einzelteilen - Futterpflanze, Eier, Raupe, Puppe, Schmetterling - entsteht dann der Kupferstich für das Buch. Man merkt ihm diese Entstehung durchaus an: Manche Raupen sitzen etwas steif auf der Pflanze, und die Puppen - die sie „Dattelkern“ nennt - liegen neben der Pflanze oder auf einem Blatt wie auf einem Präsentierteller, statt darunter zu hängen, wie in der Natur. In den Begleittexten wird nur die Futterpflanze namentlich bezeichnet, die meisten Insekten hatten damals noch keine Namen. MUSIK ZITATORIN MERIAN "Ob nicht die unten kriechende Raupe eine von der artigsten und fürnehmsten Gattung der bishero abgehandelten Raupen sei, soll sich bald eröffnen. Denn sie hat fünf große, gelbe Haarborstel auf dem Rücken, zu hinterst noch einen aufgerichten roten Schweif oder Haarschwanz, und ist sonst sehr schön gelb, wie ein schönes Dottergelb. Wenn sie sich streckt, so sieht man vom Kopf an zwischen etlichen Gliedern breite schwarze Streife, wie Sammet; hat auch auf jeder Seite des Leibs schwarze Düpfelein. Unter dem Kopf finden sich zu jeder Seiten sechs rote Kläulein, in der Mitte des Leibs acht gelbe Füßlein und zu hinterst noch zwei derselben. Ihre Art ist, dass sie von gar erschrockner Natur. Denn so bald sie das geringste merkt oder fühlt, so rümpft sie sich alsobald zu sammen und liegt, als wäre sie tot, so lang, bis alles wieder still ist. Zu Ende des Augusts aber hat sie sich zu ihrer Veränderung hinbegeben, und ein weißes Gespinst gemacht, worinnen sie zu einem braunen Dattelkern worden. Und weil ich derer etliche hatte, so sind mir teils Vöglein noch im November, teils aber im April des folgenden Jahres hervorgekommen, welche Motten waren, die nur bei Nacht fliegen. Ihre Farb ist weiß und schön grau, wie silberfarb; sie haben zwei braune Hörner und sechs graue oder silberfarbene Füßlein." ERZÄHLERINDie detaillierte Beschreibung ist wichtig, da die meisten Leser Schwarz-Weiß-Ausgaben haben, erklärt Brigitte Strehler vom Kunstkabinett Strehler in Sindelfingen. Nur sehr wenige Bücher hat Maria Sibylla Merian handkoloriert. (7. ZUSP.) BRIGITTE STREHLER"Aber das konnte sich ein normales Bürgertum nicht leisten. Das waren dann die Luxusausgaben, die dann in die Höfe gingen oder an die etwas adligeren oder wohlhabenderen Bibliotheken, denn das war nicht üblich, dass man zuhause so ein Buch hatte, denn da war überhaupt kein Geld dafür da." TC 11:31 – Geistreich & gläubig ERZÄHLERINWährend in den Schwarzweiß-Bildern die deutlichen Linien des Kupferstichs von Vorteil waren, verwendete Merian für einen Teil der kolorierten Bücher eine ganz besondere Drucktechnik. (8. ZUSP.) BRIGITTE STREHLER"Sie hat dann ein zweites Büttenpapier, ein etwas leichteres, dünneres Büttenpapier genommen und hat das auf den ganz frischen Kupferdruck nochmal aufgelegt und nochmal durch die Walze gezogen und das abgeklatscht, abgedruckt, und damit entstand ein seitenverkehrter, viel zarterer Abdruck dieses Kupferstichs, der ganz zarte, feine Linien hatte, keinen Prägerand, und den sie dann koloriert hat, und da hatte sie dann diesen Aquarellcharakter, den sie eigentlich haben wollte. Das war eine ganz schlaue Idee von ihr, denn sie hat sozusagen das Aquarell in ein Multiple verwandelt." ERZÄHLERINNur wenige dieser so genannten Umdrucke haben die Jahrhunderte überdauert - in all ihrer Schönheit: Die farbenfrohen Schmetterlinge scheinen fast über dem Papier zu schweben. Die Bildtafeln kommen mitunter als Einzelblätter in den Kunsthandel. Durch ihr kleines Format - etwa so wie heute ein Roman - wirken aber auch die kolorierten Exemplare bescheiden. Das Raupenbuch beginnt mit dem Lobgedicht eines Nürnberger Gelehrten und Poeten, der es in eine Reihe stellt mit den Werken der ersten Insektenforscher. Aber wissenschaftliche Werke erscheinen damals in lateinischer Sprache. Und Maria Sibylla Merian widmet ihr Buch … ZITATORIN MERIAN "… den Naturkündigern, Malern und Gartenliebhabern." ERZÄHLERINDie Naturkündiger, das sind eher Natur-Liebhaber als Gelehrte. Sie zieht auch eine klare Grenze ihrer Fähigkeiten, etwa wenn sie beobachtet, dass aus einer Puppe kein Schmetterling wird, sondern Fliegen ausschlüpfen. Das Phänomen der Parasiten war damals noch unbekannt. ZITATORIN MERIAN "Was nun die rechte Ursach solcher unordentlichen Veränderungen sey, … habe ich nicht ausfinden noch erdenken können, sondern den Herren Gelehrten überlassen müssen und sollen." ERZÄHLERINEinen deutlichen Hinweis auf den Charakter ihres Buchs gibt Maria Sibylla Merian im Vorwort. ZITATORIN MERIAN "Suche … hierinnen nicht meine sondern allein Gottes Ehre, Ihn als einen Schöpfer auch dieser Kleinsten und geringsten Würmlein zu preisen. … welcher sie mit solcher Weisheit begabt, dass sie … ihre Zeit und Ordnung fleißig halten und nicht eher hervorkommen, als bis sie ihre Speise zu finden wissen." ERZÄHLERINDie Historikerin Anne-Charlott Trepp von der Universität Kassel sieht das Raupenbuch in einer Tradition mythisch-spiritueller Naturfrömmigkeit. (9. ZUSP.) ANNE-CHARLOTT TREPP"Die davon ausging dass man einen direkten Weg zu Gott findet, jeder für sich, und im 17. Jahrhundert finden wir tatsächlich eine Bewegung, sich mehr zu öffnen dem zweiten Buch, kann man so sagen, dem Buch neben der Heiligen Schrift, das ist das Buch der Natur. Es gibt seit dem 17. Jahrhundert so einen Trend, sich überhaupt allgemein mehr mit niederen, gewöhnlicheren Naturphänomenen zu beschäftigen. Nicht mehr mit außergewöhnlichen. Und in diesem Rahmen geraten Insekten ebenfalls ins Zentrum des Interesses. Gerade in dem angeblich Unscheinbaren, oder auf den ersten Blick Unscheinbaren sucht man eben wirklich das Höchste, Gottes Wirken in der Natur, Gottes Allmacht, Gottes Vorsehung in der Natur, gerade da, wo man es nicht vermutet." ERZÄHLERINBücher wie das von Maria Sibylla Merian sollen also gleichsam durch Wissen über die Natur den Glauben stärken. (10. ZUSP.) ANNE-CHARLOTT TREPP"Sich Faktenwissen anzueignen und sich gleichzeitig über dieses Wissen, auch die Vermehrung des eigenen Wissens, zu erheben, zu erbauen, das ging wirklich eng zusammen in damaliger Zeit und das wurde dann durch so ein Erbauungsbuch wie das Merians wirklich sehr schön möglich." ERZÄHLERINDiese überkonfessionelle, außerkirchliche Bewegung ist in Frankfurt wie auch in Nürnberg stark vertreten in gebildeten Kreisen, zu denen auch gebildete Handwerker wie die Merians zählten. In ihrem Verlag erscheinen etliche religiöse, auch kirchenkritische Schriften. TC 15:40 – In der Sekte MUSIK ERZÄHLERINRund 12 Jahre lebt und arbeitet Maria Sibylla Merian in Nürnberg. Nach dem Tod ihres Stiefvaters kehrt sie 1683 mit ihren zwei Töchtern nach Frankfurt zurück, um Erbschaftsangelegenheiten zu klären. Dort erscheint auch der zweite Band des Raupenbuchs. Nach Nürnberg geht sie nicht mehr - sondern sie zieht mit ihren Töchtern und ihrer Mutter nach Friesland, um dort bei den Labadisten, einer pietistischen Sekte, zu leben. (11. ZUSP.) ANNE-CHARLOTT TREPP"Und diese weist alle Elemente einer wirklich eher separatistischen, heute würden wir sagen, fundamentalistischen Frömmigkeit auf. Diese völlige Negation des Körperlichen, aber dies mit einer Konsequenz durchführt, wie wir das in anderen pietistischen Gemeinden, die eben auch diesen Wandlungsvorgang, eine geistige Erneuerung suchen, eben nicht haben." ERZÄHLERINMit dem Beitritt zu den Labadisten verlässt Maria Sibylla Merian ihren Mann, da die Sekte nur Ehen innerhalb ihrer Gemeinschaft anerkennt, und Johann Andreas Graff diesem Fundamentalismus offenbar nichts abgewinnen kann. Vergeblich reist er nach Friesland um seine Frau umzustimmen. Später beschreibt er seine Eindrücke in einem langen Brief an Johann Jakob Schütz, einen fundamentalistischen Frankfurter Pietisten, der seine Frau in offenbar beeinflusst hat. Es ist der Brief eines verzweifelten Vaters, der sich um seine Töchter sorgt - vor allem um die kleinere, 10-jährige, denn er habe gesehen, wie Kinder dort brutal verprügelt wurden. Und er klagt, seine Frau tue nicht alles freiwillig - und ihr Werk, das er unterstützt habe, drohe verloren zu gehen. Dieser Brief, erst 2009 bekannt geworden, revidiert das Bild von Graff, der in vielen Merian-Biografien schlecht wegkommt: Als seiner Frau künstlerisch unterlegen, womöglich ein Trunkenbold oder Weiberheld. Auch äußert der Nürnberger Rat äußert sich lobend über Graffs … ZITATOR "… allhie geführten guten Wandel, auch in seiner wißenschafft und Information der Jugend geführten Fleiß." ERZÄHLERINGraff war offenbar nicht nur als Architekturmaler anerkannt, sondern auch als Zeichenlehrer. Auch auf Maria Sibylla Merian wirft der Brief und die genauere Betrachtung  ihres geistigem Umfelds in Frankfurt ein anderes Licht als es in den Biografien bisher der Fall war. Religiöser Fundamentalismus - das passt so gar nicht zu der beliebten emanzipatorischen, gar feministischen Interpretation ihrer Biografie. TC 18:27 – Eine Reise nach Südamerika MUSIK ERZÄHLERINGraff hat mit seinem Besuch keinen Erfolg - fünf Jahre später wird seine Ehe vom Nürnberger Rat geschieden, und er heiratet wieder. Zu dieser Zeit hat sich die Labadisten-Sekte bereits aufgelöst - und Frau und Töchter sind weitergezogen nach Amsterdam. In der pulsierenden Metropole war es unter den reichen Bürgern Mode, botanische und zoologische Raritäten in Mode zu sammeln, die regelmäßig mit Schiffen aus den Kolonien kamen, erzählt die Biologiehistorikerin Katharina Schmidt-Loske. (12. ZUSP.) KATHARINA SCHMIDT-LOSKE"Was war das für eine verrückte Zeit, wo so viele Pflanzenknollen und Material getauscht wurde untereinander, zwischen botanischen Gärten und Leuten, die genug Geld hatten, gigantische Schneckensammlungen, und überall war jeder stolz über diese Sammlungen, da waren die Künstler gut im Geschäft, u.a. Maria Sibylla Merian und ihre Töchter, weil natürlich das Botanisieren eine Möglichkeit war, die Pflanzen zu erhalten, aber die viel schönere war natürlich die kraftvolle Vitalität und Farbenpracht durch einen Künstler für die Ewigkeit zu erhalten. ERZÄHLERINDie Töchter, ebenfalls begabte Malerinnen, können mit zum Lebensunterhalt beitragen. Außerdem braucht die Mutter Geld für ein teures und gewagtes Unterfangen: Eine Reise in das kleine südamerikanische Land Surinam, damals niederländische Kolonie. Sie will die prächtigen Schmetterlinge, die sie aus Sammlungen kennt, in ihrem Lebensraum sehen und malen. Und sie schafft es - zu einer Zeit, als allein reisende Frauen eigentlich völlig undenkbar sind. Zwei Jahre von 1699 bis 1701, lebt sie mit ihrer jüngeren Tochter in dem tropischen Land, und erkundet das Umfeld der Zuckerrohrplantagen - unterstützt von Einheimischen und Sklaven, von denen sie vieles über die medizinische Verwendung der Pflanzen erfährt. Zurück in Amsterdam, gelingt es ihr in kürzester Zeit, einen großformatigen Prachtband über die Pflanzen und Tiere Surinams zu veröffentlichen. (13. ZUSP.) KATHARINA SCHMIDT-LOSKE"Als erstes naturkundliches Werk Surinams ist ihr Werk zu bezeichnen, sie hat wirklich da Grundlagen entdeckt und beschrieben." ERZÄHLERINWird Maria Sibylla Merian am Ende ihres Lebens doch noch zur Naturforscherin, als die sie sich vorher nie gesehen hat? Für das Surinam-Werk zieht sie einen bekannten Amsterdamer Botaniker zu Rate, es erscheint auf Latein und Niederländisch. Es ist kein Andachtsbuch, dem Text fehlen jegliche Hinweise auf Gottes Wirken. Aber es ist nicht ihr letztes Werk: Kurz nach ihrem Tod 1717 veröffentlicht ihre jüngere Tochter einen dritten Band des Raupenbuchs - offenbar ist sie der Naturfrömmigkeit bis zuletzt treu geblieben. Unabhängig davon werden alle ihre Bücher später von Biologen für ihre Forschung genutzt. (14. ZUSP.) KATHARINA SCHMIDT-LOSKE"Die Informationen die sie bieten konnte über manche Tierarten, das waren ja die allerersten von manchen Arten. Linné hat 136 mal ihr Werk zitiert." ERZÄHLERINCarl von Linné, der im 18. Jahrhundert die systematischen Grundlagen der heutigen Biologie schuf. MUSIK ERZÄHLERINMaria Sibylla Merian hat keine persönlichen Aufzeichnungen hinterlassen. Ihre wenigen überlieferten Briefe enthalten fast nur Geschäftliches - und außer dem Brief ihres enttäuschten Ehemanns gibt es auch keine persönlichen Äußerungen über sie. Nur ihre Bücher können uns Aufschluss geben über ihr Denken, ihre Ziele. Ihre Eigenständigkeit zu einer Zeit, als das für Frauen so nicht üblich war, weist zweifellos auf eine starke Persönlichkeit hin. Bei den Motiven wird es schon schwieriger. Zielstrebiges Selbstbewusstsein - trotz mancher bescheidenen Äußerung im Raupenbuch? Religion als treibende Kraft - auch für den Weg nach Amsterdam und Surinam? Die Person Maria Sibylla Merian bleibt letztlich rätselhaft - was uns nicht daran hindert, uns an ihren Bildern zu erfreuen und ihre insektenkundliche Pionierarbeit anzuerkennen. TC 22:55 – Outro
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Sep 6, 2024 • 23min

FRÜHE WELTREISENDE – Der Indienfahrer Balthasar Sprenger

Im Jahr 1505 segelt der Gewürzkäufer Balthasar Sprenger an die indische Malabarküste. Seine Reise mit der portugiesischen Indienflotte ist die früheste deutsche Meerfahrt dahin, wo der heißbegehrte Pfeffer wächst. Von Simon Demmelhuber (BR 2022) Credits Autor: Simon Demmelhuber Regie: Irene Schuck Es sprachen: Irina Wanka, Christian Baumann, Stefan Wilkening Technik: Regina Staerke Redaktion: Thomas Morawetz Im Interview: Dr. Maximilian Kalus Linktipps: WDR (2012): Bartholomeu Dias bricht zum Kap der Guten Hoffnung auf Seine Reise ist so geheim, dass bis heute niemand genau weiß, wie sie verlaufen ist: Im August 1487 sticht der Portugiese Bartolomeu Dias mit zwei Karavellen und einem Versorgungsschiff in See. Sein Ziel: die Umschiffung Afrikas und die Entdeckung eines Seewegs nach Indien, denn der verspricht reiche Gewinne im Gewürzhandel. JETZT ANHÖREN Deutschlandfunk (2022): Vasco da Gama, das Kap der Guten Hoffnung und der Seeweg nach Indien   Vor mehr als 500 Jahren umsegelte der portugiesische Seefahrer Vasco da Gama das Kap der Guten Hoffnung – und entdeckte den Seeweg nach Indien. Für die Portugiesen war es der Beginn eines goldenen Zeitalters, in dem sie den Seehandel mit Indien dominierten. JETZT ANHÖREN Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte: Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun? DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend. Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.  Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de. Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Alles Geschichte JETZT ENTDECKEN Timecodes (TC) zu dieser Folge: TC 00:15 - IntroTC 02:08 – Portugiesische WaagnisseTC 04:21 – Kupfer regiert die WeltTC 08:42 – Der bayerische SeefahrerTC 12:12 – Eine blutige SpurTC 14:53 – Teile und herrscheTC 19:19 - HeimreiseTC 22:40 – OutroLesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript: TC 00:15 - Intro MUSIK ERZÄHLERINIndien! … ERZÄHLER… wo Pfeffer, Kurkuma, Kardamon, Nelken, Zimt gedeihen, wo kostbare Harze, Hölzer und Arzneien wachsen, wo Rubine, Smaragde, Diamanten, Perlen, Gold in Fülle überfließen. ERZÄHLERINIn der Antike schaffen Karawanen den verschwenderischen Reichtum des Orients aus den Tiefen Arabiens, aus China, Persien, Indien zu den Umschlagplätzen am östlichen Mittelmeer und in die Zentren der Alten Welt. Ab dem 10. Jahrhundert bringen vorwiegend italienische Großimporteure die Ware von Alexandria per Schiff nach Venedig und Genua, wo sie Käufer aus allen Winkeln Europas findet. ERZÄHLERINUm die Mitte des 15. Jahrhunderts sperrt das Osmanische Reich die uralten Handelsstraßen. Die neue Großmacht hat Konstantinopel erobert, beherrscht Anatolien und den Balkan, rückt über Syrien gegen Ägypten vor und kontrolliert nun den Zugang zum Orient. Mit weitreichenden Folgen, wie der Wirtschaftshistoriker Maximilian Kalus erklärt: O-TON KALUS 1Die Osmanen wollen die Christen von den asiatischen Gewürzen gewissermaßen komplett abschneiden. Das gelingt auch eine Weile, bis sie merken, dass dieser Handel verdammt lukrativ ist und sie deswegen selber mitmachen. ERZÄHLERINAuch im Mittelmeer versucht das Osmanische Reich, die abendländische Konkurrenz aus dem Geschäft zu drängen. Die Sicherung der Warenströme und Profite lässt den europäischen Großimporteuren nur eine Chance: Sie müssen neue Lieferwege erschließen und selbst in Asien einkaufen. ERZÄHLERAber wie? Die Landroute fällt aus. Bleibt nur der Seeweg. Doch niemand weiß, ob und wo ein Weg um Afrika herum nach Osten führt. TC 02:08 – Portugiesische Waagnisse MUSIK ERZÄHLERINDie Portugiesen wagen es trotzdem. Seit 1418 rüstet die Krone zahllose Expeditionen aus, die sich Fahrt um Fahrt an der Küste Westafrikas vortasten. Eine zentrale Behörde trägt den ständig erweiterten Wissensschatz über Küsten, Winde, Strömungen, Gezeiten, Untiefen, Ankergründe zusammen, der Portugals Goldenes Zeitalter befeuert. ERZÄHLERWozu die Mühe? Warum steckt ein kleines Land wie Portugal so viel Geld und Ausdauer in beschwerliche Entdeckungsfahrten mit unsicherem Ausgang? Aus Wissbegier und Missionierungseifer? Maximilian Kalus hat die Strukturen und Akteure des Orienthandels der frühen Neuzeit erforscht und hält ein anderes Motiv für ausschlaggebend: O-TON KALUS 2Natürlich werden religiöse Gründe vorgeschoben, da geht es immer auch um Christianisierung. Aber am Ende des Tages geht es um den schnöden Mammon. Am Ende geht es um Gewinn. ERZÄHLERAnders gesagt: Die Beseitigung des italienischen, osmanischen und asiatischen Zwischenhandels im Gewürz- und Orientgeschäft ist portugiesische Staatsräson. O-TON KALUS 3Das ist ein klassischer Verdrängungswettbewerb: Wenn ich das selber mache, greife ich den Gewinn ab, egal wie teuer das am Ende in Europa ist. Ich schöpfe hundert Prozent ab, und das ist der Deal, den die Portugiesen versuchen. MUSIK ERZÄHLERIN1488 ist das Ziel zum Greifen nah: Bartholomeu Dias umfährt das Kap der Guten Hoffnung und stößt in den Indischen Ozean vor. Nur zehn Jahre später landet Vasco da Gama an der Malabarküste: Der erste Europäer hat Indien auf dem Seeweg um Afrika erreicht und kehrt mit Zimt, Nelken, Pfeffer, Ingwer, Harz, Weihrauch, Duft- und Farbstoffen reich beladen heim. ERZÄHLERDie Welt hat sich für immer verändert: Die alten Monopole sind gebrochen, das Tor zur indischen Schatzkammer ist aufgestoßen, der direkte Zugriff auf die Schätze Indiens verheißt fantastische Renditen. TC 04:21 – Kupfer regiert die Welt ERZÄHLERINAuch den Augsburger und Nürnberger Kaufherrn ist die Tragweite des Durchbruchs auf Anhieb klar: Die Zentren des Orienthandels werden sich von Venedig, Genua oder Alexandria nach Lissabon und nach Antwerpen verlagern, wo Portugal die Gewürzimporte vermarktet. Wer im Geschäft bleiben will, muss dort präsent sein und investieren. O-TON KALUS 4Die Eliten der Reichsstädte, die europaweit Handel treiben, wissen genau, wo die Musik spielt, deswegen ist anzunehmen, dass sie diese Chancen wittern. Gerade die Welser gehen da ziemlich forsch voran. ERZÄHLERINHeute würde man die Augsburger Welser vermutlich als Early Mover bezeichnen. Schon 1502 gründen sie eine Niederlassung in Lissabon, wenig später ziehen mit den Fuggern weitere Handelshäuser nach. Und vermutlich sind es auch die risikobereiten Welser, die ab 1503 das Projekt einer deutschen Handelsfahrt nach Indien vorantreiben. ERZÄHLERDirektimporte aus Asien? Die ganze Lieferkette in einer Hand? Das klingt interessant, setzt aber einen Vertrag mit König Manuel von Portugal voraus. Zum Glück stehen die Chancen dafür gut. Denn die Deutschen haben zwei Dinge, die Manuel fehlen: Geld und Kupfer! ERZÄHLERINPortugal schickt seit 1498 alljährlich Handelsschiffe nach Indien, deren Finanzierung schwer auf der Staatskasse lastet. Vor allem der militärische Geleitschutz blutet die Ressourcen aus. König Manuel braucht also Fremdkapital, das er über ein beiderseits profitables Beteiligungsmodell einwirbt: Der Investor zahlt die Ausrüstung, den Unterhalt und die Heuer der portugiesischen Besatzung eines oder mehrerer Schiffe, dafür kann er frei in Indien einkaufen. Einen Teil der Rückfracht behält die Krone, den Rest der Geldgeber. ERZÄHLERAber Manuel hat noch ein zweites Problem: Indien besitzt keine eigenen Kupferminen. Das Metall ist begehrt, muss aber importiert werden und entwickelt sich so zum wichtigsten Tauschgut des Gewürzgeschäfts. O-TON KALUS 5Die Formel ist einfach: ohne Kupfer kein Pfeffer. Kupfer ist im Grunde das wichtigste Metall, Kupfer braucht man in wahnsinnigen Mengen für Dächer, für Alltagsgegenstände, alles Mögliche im Haushalt wird aus Kupfer hergestellt. Später werden auch die Rümpfe von Schiffen mit Kupfer beschlagen, Geschütze sind aus Kupfer […]. ERZÄHLERIn großen Mengen liefern können das begehrte Metall nur Augsburger und Nürnberger Handelsgesellschaften, allen voran die Fugger. Maximilian Kalus: O-TON KALUS 6Die Leute, die auf dem Kupfer hocken, sind im Grunde die oberdeutschen Kaufleute. Die haben fast die absolute Marktmacht. Die drei deutschsprachigen Reviere, nämlich Tirol, Neusohl und Mansfeld sind die größten Kupferabbaugebiete, und die Leute, die im Montanwesen tätig sind, sind genau die Leute, die dann im Pfefferhandel tätig sind. ERZÄHLERUm mit der Investitionslücke zugleich seine Kupferlücke zu schließen, kommt Manuel den Deutschen entgegen. Er gewährt ihnen beträchtliche Handelsvorteile in Portugal und fordert einen vergleichsweise geringen Kronanteil von 30 Prozent auf die in Indien geladene Ware. MUSIK ERZÄHLERIN 1504 ist der Vertrag unter Dach und Fach. Ein Konsortium, dem die Augsburger Handelsgesellschaften der Welser, Fugger, Gossembrot und Höchstetter sowie die Nürnberger Firmen Imhoff und Hirschvogel angehören, bringt 65.000 Dukaten für drei Handelsschiffe auf. Ein Drittel der Summe, die etwa 7 Millionen Euro entspricht, tragen die Welser, den Rest die Mitgesellschafter. ATMO ERZÄHLERIN25. März 1505: 20 Schiffe der siebten königlichen Indienflotte lichten im Hafen von Lissabon die Anker. Das Oberkommando hat Dom Francisco de Almeida, dem 1500 Soldaten, 200 schwere und 100 leichte Geschütze sowie ein Tross von Segelmachern, Zimmerleuten, Handwerkern, Geschützgießern, Beamten und Einkäufern unterstehen. TC 08:42 – Der bayerische Seefahrer MUSIK ERZÄHLERUnd: ein junger Mann, der an diesem Tag auf einer der drei deutschen Schiffe zur Reise seines Lebens aufbricht. ZITATORIch, Balthasar Sprenger aus Fils in Tirol, ein Bestellter der Welser zu Augspurg! ERZÄHLERINBalthasar Sprenger, von dem wir kaum mehr als den Namen wissen, wird für seine Auftraggeber 15 Monate auf See und fünf Monate in Indien zubringen. Er wird 42.000 Kilometer zurücklegen, wird unbekannte Tiere, Pflanzen und Merkwürdigkeiten bestaunen, wird in Seenot und Todesangst geraten, wird beten, bangen, hungern, dürsten und bisweilen an der Heimkehr verzagen. ERZÄHLEREr wird aber auch mit verstörender Selbstverständlichkeit an Gewaltexzessen, Kriegsgräueln, brutalen Plünderungen und Brandschatzungen teilhaben. Er wird auf Menschen treffen, deren Fremdheit sein Begreifen überfordert. Er wird sehen, ohne zu verstehen, und urteilen, ohne zu prüfen. Nur eines wird er nicht tun: Er wird nie, wird mit keinem Wort, keinem Gedanken an der Überlegenheit des christlichen Abendlands und seinem Vorrecht auf alle Schätze dieser Erde zweifeln. ERZÄHLERINNach vier Wochen auf See legt die Flotte erstmals eine lange Pause an der Küste des heutigen Senegal ein. Hier leben Wolofstämme, die sich mit den Europäern arrangiert haben. Viele Wolofhändler sprechen genug Portugiesisch, um Frischwasser und Proviant gegen Werkzeug oder Schmuck zu tauschen. ERZÄHLERDie Rast vor der Kapumfahrung ist dringend nötig. Navigationsfehler, Stürme, Strömungen und Havarien haben die Flotte zerstreut. Ohne sichere Sammelplätze wären die Nachzügler verloren. Außerdem sind selbst die modernen portugiesischen Naos, Karacken und Karavellen schwimmende Dauerbaustellen. Marodes Tauwerk und gerissene Segel müssen geflickt, gesplitterte Masten, gebrochene Anker und Steuerruder erneuert, Lecks gestopft und faulende Planken ausgetauscht werden. ATMO ERZÄHLERINDann wird es ernst. Die Umsegelung der Südspitze Afrikas entfesselt alle Schrecken des Meeres: Wolkenbrüche, gewaltige Strömungen, Fallböen und unberechenbare Winde zersprengen den Verband, drücken und schieben die Schiffe gegen Klippen und Riffe. Zwei später wiedergefundene Schiffe gehen verloren, für die übrigen öffnet sich nach schweren Tagen der Indische Ozean. MUSIK ERZÄHLERBislang liefert Sprengers Bericht erwartbare Entdeckerexotik: Wasser, Wellen, tanzende Horizonte, fremde Sterne, wundersame Tiere und Pflanzen, schwarze Menschen mit ‚seltsamen‘ Kleidern, Haaren und anstößiger Nacktheit. An der ostafrikanischen Küste kippt das launige Seestück. ERZÄHLERINAcht Schiffe ankern vor Kilwa, der Hauptstadt des gleichnamigen Swahili-Sultanats. Der reiche Handelshafen herrscht über den heute tansanischen Teil der Küste Ostafrikas. 1502 unterstellt Vasco da Gama das Sultanat der Herrschaft Portugals und verhängte einen jährlichen Tribut. Dass Kilwa diese Abgabe und den Vasallenstatus seither ungestraft verweigert, schwächt die Autorität Portugals. ERZÄHLERHöchste Zeit, ein warnendes Exempel zu statuieren! TC 12:12 – Eine blutige Spur MUSIK ERZÄHLERINAm Morgen des 24. Juli 1505 künden Kanonenschüsse ein blutiges Lehrstück an. 500 Bewaffnete stürmen den Palast des Sultans, der inzwischen geflohen ist und die Stadt einer so raub- wie mordlustigen Soldateska überlässt. Balthasar Sprenger ist, unklar ob als Zeuge oder Täter, in den Überfall verwickelt. ZITATORDa fuhren wir hin mit ganzer Macht zu der Stadt und schossen etlich Heiden tot, plünderten und fanden große Schätze von Gold, Silber, Perlen, Edelsteine sowie kostbare Kleidung. ERZÄHLERVon Skrupeln keine Spur. Auch als Generalkapitän Almeida kurz danach das feindliche Mombasa belagern, angreifen, plündern und bis auf den Grund niederbrennen lässt, billigt Sprenger die zügellose Gewalt. Was hier geschieht, ist Ausfluss der Gewissheit, gemeinsam einer überlegenen christlichen Zivilisation anzugehören, die einen universalen Herrschaftsanspruch begründet. MUSIK ZITATORDurch Gottes Vorsehung blieb mancher Heide tot. Wir eroberten und besetzen die Stadt mit großem Frohlocken, dankten dem Allmächtigen und begannen zu plündern und fanden unsagbar große Reichtümer. Amen! ERZÄHLERDie siebte Indienarmada von 1505 bis 1506 unter Francisco de Almeida ist keine Entdeckungs- und noch nicht einmal vorrangig eine Handelsfahrt. Sie ist eine brutale Inkasso- und Strafaktion. Die Demonstration militärischer Macht soll Widerstände brechen, Aufwiegler züchtigen, Nachahmer schrecken und allen zeigen, wer an den afrikanischen Küsten und im Indischen Ozean künftig das Sagen hat. ERZÄHLERINDabei verzichtet Portugal trotz massiver Militärpräsenz auf die Eroberung geschlossener Herrschaftsräume. Die expansive Strategie setzt vorerst auf die Sicherung des Seewegs und der Logistikkette durch befestigte Faktoreien, die den Armadas als Brückenkopf, als Waren- und Ausrüstungslager, als Nachrichtenbörse, Herberge und Servicezentrum dienen. Welche Mittel der Generalkapitän einsetzt, um seine Ziele zu erreichen, ist ihm überlassen: Er kann Freundschafts- und Bündnisverträge schließen, notfalls aber auch Gewalt anwenden. O-TON-KALUS 7In Westafrika gibt es hochentwickelte Kulturen und Königshäuser, da müssen sich die Portugiesen mit den Eliten arrangieren. TC 14:53 – Teile und herrsche ERZÄHLERMalindi ist der letzte ostafrikanische Halt vor der Überfahrt nach Indien. Im geschützten Hafen des muslimischen Stadtstaats kann die Armada gesichert ankern, Vorräte auffrischen, Schäden ausbessern, auf vermisste Schiffe warten. Dafür sorgt ein Beistandsvertrag auf Gegenseitigkeit: Der König gewährt das Aufenthaltsrecht, Portugal verspricht Schutz vor dem aggressiven Nachbarn Mombasa. Entsprechend freudig nimmt man die Nachricht vom Untergang des Rivalen auf. ZITATORDer Kunig was zufrieden, dass wir die Stadt gründlich verwüstet, ausgeraubt und eingeäschert haben. ATMO ERZÄHLERINEnde August stechen 15 überholte, bestens proviantierte Schiffe in See. Nach 16 Tagen und 4000 Kilometern über offenes Meer ist die Passage geschafft. Die Flotte steuert zunächst die menschenleere Insel Angediva vor der Malabarküste an. Während die Nachzügler eintreffen, errichten Bautrupps ein Fort nebst Kirche aus mitgebrachten Fertigbauteilen. Ende Oktober steht die Festung. Almeida stellt 80 Mann und zwei Schiffe zu ihrer Bewachung ab und nimmt Kurs auf die Malabarküste. MUSIK ERZÄHLERIm Südwesten des indischen Subkontinents treffen die Portugiesen auf eine verwirrende Vielzahl meist muslimisch, bisweilen hinduistisch geprägter Königreiche, Fürstentümer und Stadtstaaten. Unter allen Hafen- und Handelsstädten, in denen indische, tamilische, arabische, chinesische und jüdische Kaufleute mehr oder minder friedlich zusammenleben, ist keine berühmter, keine größer, reicher und wichtiger als Calicut. ERZÄHLERINIn Calicut, der Hauptstadt des gleichnamigen Königreichs, war auch Vasco da Gama bei seiner ersten Ankunft gelandet. Der Zamorin, der Herrscher der muslimischen Erbmonarchie, hatte die Portugiesen freundlich empfangen. Aber die Duldung währte nicht lange. Die Neuankömmlinge treten derart aggressiv und herrisch auf, dass sie zuletzt einen vollständigen Boykott seitens der eingesessenen Händler provozieren. Als sich schließlich niemand mehr bereitfindet, ihnen Ware zu verkaufen, weichen die Portugiesen auf andere Handelsplätze aus. ERZÄHLERDivide et impera – teile und herrsche! Ein Spiel beginnt, das die Portugiesen meisterhaft beherrschen: Wie in Afrika nutzen sie regionale Rivalitäten und Sezessionsbestrebungen für ihre Zwecke. Die Strategie geht auch diesmal auf: Weil Calicut die Vorherrschaft an der Malabarküste anstrebt und dabei nicht zimperlich vorgeht, sind die Portugiesen in den benachbarten Königreichen Cochin und Cannanore hoch willkommen. Für ein Beistandsversprechen gegen Calicut gewähren die Rajas nicht nur ungehinderten Zugang zu ihren Häfen und Märkten. Sie gestatten den Bau von Faktoreien und Festungen, akzeptieren die Dauerpräsenz bewaffneter Soldaten und erkennen die Oberherrschaft König Manuels an. ERZÄHLERINCalicut hält still, solange die Armada in Indien weilt. Kehrt sie mit dem Wintermonsun nach Portugal zurück, hagelt es Angriffe gegen die nun schutzlosen Nachbarn. Ein halbes Jahr später trifft die nächste Flotte mit dem Sommermonsun an der Malabarküste ein und führt sofort harte Strafexpeditionen durch. Das Hin und Her wechselseitiger Provokationen und Rachefeldzüge eskaliert: Calicut zerstört portugiesische Niederlassungen und befehdet Parteigänger Portugals. Die Portugiesen kapern und plündern muslimische Handelsschiffe, beschießen arabische Faktoreien, überfallen und verwüsten mit Calicut verbündete Städte. MUSIK ERZÄHLERSo stehen die Dinge, als Balthasar Sprenger am 26. Oktober 1505 in Cannanore erstmals indischen Festlandsboden betritt. Er landet in einem Gebiet schwelender Konflikte, die er nicht durchschaut, und nimmt selbst dann ungerührt an Kriegshandlungen teil, wenn Almeida im Namen des portugiesischen Königs und abendländischer Handelsinteressen auf Unbewaffnete schießen und ihre Häuser niederbrennen lässt. O-TON KALUS 8Sie wollen sich etablieren im Indischen Ozean. Es war klar, dass sie den gesamten Handel kontrollieren wollten. Es ist der Beginn dessen, was wir später als Globalisierung bezeichnen, dessen, was letztlich im Kolonialismus endet.TC 19:19 - Heimreise ERZÄHLERINWas Balthasar Sprenger miterlebt, ist die Gründung des Estato da India. Dieses vorkoloniale Gebilde, das Francisco de Almeida als erster der auf drei Jahre bestellten Vizekönige regiert, ist kein geschlossenes Herrschaftsgebiet. Das wäre zu Beginn des 16. Jahrhunderts sowohl verwaltungs- und militärlogistisch wie demografisch nicht zu stemmen. Die Herrschaft des Vizekönigs erstreckt sich über kleine, unverbundene Flächen mit portugiesischen Faktoreien, Festungen, Kirchen, Verwaltungs- und Wohngebäuden. Zum Schutz der Exklave bleiben erstmals zehn bemannte Schiffe in Indien zurück. Die dauerhaft stationierte Seemacht soll verbündete Städte und Häfen verteidigen, Passierzölle eintreiben, Piraten bekämpfen und den muslimischen Handelsverkehr stören. ERZÄHLERWährend Almeida sein Regiment als Vizekönig aufnimmt, beginnen die Kaufleute in Cochin und Cannanore mit dem Wareneinkauf und der Verladung. Ob Sprenger selbst handelt, in welcher Funktion er auftritt und wie das Geschäft abläuft, verschweigt der Bericht. Wir wissen nur, dass sich die drei Schiffe der oberdeutschen Kaufherren bis Ende Dezember mit Perlen, Edelsteinen, Ingwer, Zimt, Aloe, Schellack Kampfer, Gummi, kostbaren Harzen und rund 130 Tonnen Pfeffer füllen. ATMO ERZÄHLERINDann drängt die Zeit: Die gestaffelt abreisenden Heimkehrer müssen den Wintermonsun erwischen. Ein erstes Geschwader läuft am 2. Januar aus, die Leonarda, auf der Sprenger fährt, setzt am 21. Januar 1506 Segel in Richtung Lissabon, die dritte Abteilung folgt Anfang Februar. MUSIK ERZÄHLERDie Heimreise dauert zehn Monate und ist ein Fiasko. Schiffbrüche, Gegenwinde, Stürme, Flauten verzögern die Überfahrt. 123 Seefahrer sterben an Hunger, Durst und Fieber. 20 Monate nach seiner Ausfahrt macht Sprengers Schiff in Lissabon die Leinen fest. ZITATORAm 15. November setzen wir Anker vor der Stadt und hatten do mit diese Reis in dem Namen Gottes vollbracht und geendet. MUSIK ERZÄHLERAbgeschlossen ist die Reise damit noch nicht. Zumindest nicht für die süddeutschen Handelsgesellschaften. ERZÄHLERINKönig Manuel möchte verhindern, dass ein plötzliches Überangebot an Gewürzen und Orientwaren die Preise ruiniert. Also lässt er die Fracht der Deutschen beschlagnahmen und einlagern. Erst nach vier Jahren können die Fugger, Welser, Gossembrot, Imhof und Hirschvogel die Herausgabe vor Gericht erstreiten. ERZÄHLERAm Ende tröstet ein stattlicher Reingewinn von 150 bis 175 Prozent wohl über manchen Ärger hinweg. ERZÄHLERINUnd Balthasar Sprenger? ERZÄHLEREr kehrt nach Augsburg zurück, verfasst einen Reisebericht, der 1509 als illustrierte Merfart zu viln onerkanten Inseln und Kunigreichen im Druck erscheint. Wie es dem Chronisten der ersten deutschen Indienfahrt danach ergeht, ist ungewiss. Seine Spur verliert sich wie ein Ruderschlag im Ozean. TC 22:40 – Outro
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Sep 6, 2024 • 24min

FRÜHE WELTREISENDE – Hans Schiltberger, der deutsche Marco Polo

Unfreiwillig verschlug es Johannes (Hans) Schiltberger in die Fremde. Im Mittelalter geriet der Bayer als Kriegsgefangener des Sultans bis nach Indien. Seine Erlebnisse beschrieb er in einem packenden Reisetagebuch. Von Lukas Grasberger (BR 2018)Credits Autor: Lukas Grasberger Regie: Stefanie Ramb Es sprachen: Xenia Tiling, Thomas Lettow Technik: Monika Gsaenger Redaktion: Thomas Morawetz Im Interview: Dr. Christoph Paulus, Prof. Birgit Studt, Markus Tremmel Besonderer Linktipp der Redaktion: BR: Die Grandauers und ihre Zeit Mit Podcasts kann man tief in besondere Geschichten eintauchen. Die Hörspiel-Serie “Die Grandauers und ihre Zeit” ist so eine besondere Geschichte: Die Familiensaga erzählt unter anderem das Leben von Kriminaloberwachtmeister Ludwig Grandauer und dessen Sohn, dem Münchener Kriminalkommissar Benno. Drei Generationen einer Münchner Familie durchleben und durchleiden in den Jahren von 1893 bis 1945 fast fünf Jahrzehnte bayerische und deutsche Geschichte - eine dramatische Zeit voller Träume, Hoffnungen, aber auch Kriege. ZUM PODCAST Linktipps: phoenix (2024): Kreuzritter im Orient Kriege im Namen Gottes - Die Kreuzzüge aus arabischer Sicht: Diese Folge erzählt die Geschichte der muslimischen Rückeroberung des Heiligen Landes. JETZT ANSEHEN Deutschlandfunk (2005): Im Osmanischen Reich respektiert – in Resteuropa gefürchtet Liegt zwischen der Türkei und Europa ein „Kulturgraben“? Diese Frage hat ihren Ursprung im Nachhall der im 15. und 16. Jahrhundert weitverbreiteten sogenannten „Türkengefahr“. 1529 standen die Osmanen zum ersten Mal vor den Toren Wiens, ein traumatisches Ereignis für die mitteleuropäischen Königtümer. ZUM BEITRAG Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte: Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun? DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend. Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.  Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de. Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek: ARD Audiothek | Alles Geschichte JETZT ENTDECKENTimecodes (TC) zu dieser Folge:TC 00:15 – IntroTC 02:57 – Ein Bayer auf ReisenTC 05:10 – Die Schlacht von NikopolisTC 09:17 – Chronist, Augenzeuge oder Fiktion?TC 14:48 – Andere Länder, andere SittenTC 19:05 -  Die Anziehungskraft des SchiltbergersTC 21:29 - Outro Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:TC 00:15 – Intro MUSIKZITATOR „Dann befahl der König, dass ein jeder seine Gefangenen töte. (…) Auch meine beiden Mitgefangenen wurden gepackt, und man schlug ihnen die Köpfe ab.  ATMO Als ich an der Reihe war, da erblickte mich der Sohn des Königs und erwirkte, dass ich am Leben blieb. Man führte mich zu den anderen Knaben, denn keiner unter zwanzig Jahren durfte getötet werden, und ich war zu der Zeit kaum sechzehn Jahre alt.“ SPRECHERINNüchtern, ja fast lakonisch erzählt der Jüngling Johannes Schiltberger, wie er 1396 nach einem gescheiterten Kreuzzug dem Türkenherrscher Bayezid in die Hände fiel – und dem Tod gerade noch einmal von der Schippe sprang. Die folgenden über 30 Jahre sollte der Spross eines alten bayerischen Adelsgeschlechts in Gefangenschaft verbringen. Doch Schiltberger saß nicht etwa in Kerkerhaft: Er musste seinen Herren als Soldat auf verschiedensten Feldzügen dienen. Johannes Schiltberger verschlug es nach Sibirien, nach Samarkand, ja gar nach Indien: Fremde Länder, die kaum je ein Zeitgenosse bereiste. Er will fantastische Begebenheiten erlebt haben, wie etwa Kamele, die man in Flammen setzte, um Kriegselefanten in die Flucht zu schlagen. MUSIK  SPRECHERINUnd Johannes Schiltberger schrieb seine Erlebnisse auf. Sein „Reisebuch“ über die Begebenheiten als „Sklave im Osmanischen Reich und bei den Tartaren 1394-1427“ wurde ab dem späten Mittelalter zu einer Art Bestseller - zunächst in mehreren Handschriften verbreitet, dann vielfach nachgedruckt. Die ins Neuhochdeutsche übertragenen Zitate stammen aus der Ausgabe von Ulrich Schlemmer. Die Schilderungen des unfreiwilligen Weltreisenden aus Bayern waren nicht nur für damalige Zeitgenossen eine spannende Lektüre. Schiltbergers Berichte fesseln noch heute, sagt Dr. Christoph Paulus vom „Haus der Bayerischen Geschichte“ in Augsburg. O-Ton 1 Christoph Paulus, Historiker am „Haus der Bayerischen Geschichte““Für unseren Bereich, konkret Bayern um das 14. Jahrhundert, ist dieser Text wahrlich ein Solitär [...]. Weil wir keine vergleichbaren Texte haben, und weil er uns in vielerlei Hinsicht eine ungemein interessante Mischung zwischen eigener Anschauung und eben systematischen ‚Abhandlungen‘ über fremde Länder, fremde Menschen, fremde Kulturen, fremde Religionen und Gebräuche liefert.” SPRECHERINEs sind diese anschaulichen Schilderungen, derentwegen Schiltberger zuweilen auch als „bayerischer Marco Polo“ bezeichnet wird. TC 02:57 – Ein Bayer auf Reisen MUSIK Doch wer war dieser Johannes Schiltberger wirklich? Wo kam er her? Was veranlasste ihn, gen Osten gegen die Heiden in den Krieg zu ziehen? Und wie kam es zu seinem vielgelesenen Bericht? Geboren wird Johannes Schiltberger in ein Bayern des späten Mittelalters. Ein Bayern, das bewegten Zeiten entgegensieht... O-Ton 2 Prof. Birgit Studt, Mittelalterliche Geschichte, Uni Freiburg„Das war eine Zeit der Erbfolgestreitigkeiten, wo nun konkurrierende Teilherzogtümer entstanden […]“ SPRECHERIN...sagt die Freiburger Historikerin Birgit Studt. Bayern ist damals aufgeteilt unter den Enkeln und Urenkeln des deutschen Königs Ludwig des Bayern. Da gibt es die Münchner, die Landshuter, die Ingolstädter und die Straubinger – sich allesamt gegenseitig spinnefeind. Besitztümer sind zersplittert, der Stammsitz derer zu Schiltberg war auf einer Burg im heutigen Landkreis Aichach-Friedberg. Ein Zweig der Familie hatte sich in München niedergelassen, wo wohl auch Johannes Schiltberger zur Welt kam. Als nicht Erstgeborener Sohn konnte er sich wohl keine Hoffnung darauf machen, das Familienerbe anzutreten. O-Ton 3 Studt„Das Problem für Zweit- und Drittgeborene war nun tatsächlich: Wenn die Herrschaft nicht geteilt wurde, dass man sich Möglichkeiten anderer Verdienste suchte. Und da gab es eben die klassischen Wege: Politikberatung, indem man nun tatsächlich auch den Hofdienst suchte, den Dienst an größeren Fürstenhöfen, wo es eben darum ging, den Fürsten zu beraten, und hier die fürstliche Politik zu steuern. Oder auf der anderen Seite dann tatsächlich eine militärische Karriere zu unternehmen, und dann so etwas zu werden wie ein Offizier.“ MUSIK SPRECHERINJohannes Schiltberger geht also als Knappe in die Lehre, lernt vom Kreuzritter Leonhard Reichartinger, der aus der Umgebung von Trostberg stammte, das Kriegshandwerk. Dass es ihn damit in fremde Länder ziehen würde, war nahezu vorgezeichnet, sagt die Freiburger Professorin Birgit Studt. O-Ton 4 Studt„Darauf beruhte das Selbstverständnis von Adeligen, namentlich von adeligen Rittern, unterwegs zu sein, um zu kämpfen, Kriege zu führen, Reisen zu organisieren […]“   TC 05:10 – Die Schlacht von Nikopolis ATMO SPRECHERINRitter und Knappen, die sich quasi als Ich-AG in den Dienst verschiedener Herren stellten, wurden damals gebraucht – zumal es nicht nur innenpolitisch im deutschen Reich unruhig war. Besonders laut um Unterstützung rief Sigismund, der König von Ungarn. Osmanische Krieger bedrohten sein Königtum, auch im Rest der abendländischen Welt grassierte die Angst vor der „Türkengefahr“. Johannes Schiltberger eilte also Sigismund gemeinsam mit seinem Herrn Reichartinger zur Hilfe. Es war ein bunt zusammengewürfeltes christliches Heer, mit dem Johannes Schiltberger im September 1396 bei Nikopolis auf die Osmanen und ihre Verbündeten stoßen sollte. Das christliche Abendland im Kreuzzug gegen die Heiden zu verteidigen – das war zuweilen eher ein vorgeschobenes Motiv, sagt die Mediävistin Birgit Studt.  O-Ton 7 Studt”Das kann man schon in Nikopolis sehen: Da ging es Sigismund natürlich darum, sein Reich zu schützen. Diejenigen aber, die sich an diesem Kreuzzug beteiligten, hatten natürlich durchaus andere Motive. Und in der Berichterstattung über Nikopolis kann man sehen, dass da ganz unterschiedliche Motivkomplexe verhandelt wurden. Und eigentlich gar nicht deutlich sichtbar wurde: War das tatsächlich ein Kreuzzug oder war es eben dann einfach auch ein traditioneller ritterlicher Kampf, der gesucht wurde. Um eben auch militärische Bewährung zu finden - oder zum Beispiel von Seiten der Fürsten von Burgund sich als großer europäischer Player darzustellen“. SPRECHERINEigeninteressen sollten die Unternehmung zum Scheitern bringen: Als am 25. September im heutigen Norden Bulgariens die christlichen und osmanischen Armeen aufeinandertrafen, beharrten die französischen Ritter darauf, den ersten Angriff zu führen. Gegenüber diesem Wunsch zeigte sich König Sigismund skeptisch, wie Johannes Schiltberger berichtet. Prompt geht die Sache schief. Schiltberger gelang es zunächst, seinem Herren Reichartinger das Leben zu retten – doch war die Schlacht schnell verloren. Die Kreuzritter flüchteten, König Sigismund wurde auf ein Schiff begleitet, das ihn nach Konstantinopel brachte. Viele andere versuchten ebenfalls ihr Glück mit einer Flucht über das Wasser – doch vergebens. ZITATORSehr viele wollten auf die Schiffe, doch waren diese bald so voll, dass kein Platz mehr war. Versuchten doch noch welche, auf ein Schiff zu gelangen, so schlugen ihnen die, die schon darin saßen, die Hände ab, so dass sie ertranken.“ SPRECHERINEin Teil des Heeres – auch der Ritter Reichartinger - fiel in der Schlacht oder wurde auf der Flucht getötet... ZITATOR„...der größere jedoch geriet in Gefangenschaft. So wurden auch (…) zwei Adelige aus Frankreich gefangen. Auch der Großgraf von Ungarn und andere mächtige Herren, Ritter und Knechte, darunter ich, gerieten in Gefangenschaft“. ATMO SPRECHERINHans Schiltberger erlebte in der Folge einen Gewaltmarsch von rund 500 Kilometern -  barfuß, gefesselt und unter sengender Sonne. Über Gallipoli unweit von Konstantinopel ging es übers Meer nach Bursa, der damaligen Hauptstadt des osmanischen Reiches. Für die Qualen, die er erlitten haben muss, findet der Kriegsgefangene gerade einmal einen Satz: Er sei… ZITATOR„mit drei Wunden schwer verletzt, und man befürchtete, dass ich auf der Reise sterben könnte“. SPRECHERINÜber seine Gefühle angesichts eigener und fremder Qualen in Gefecht und Gefangenschaft verliert Johannes Schiltberger kein Wort. SPRECHERIN Ausgeblendet wird in dem Bericht auch, was Johannes Schiltberger später im Dienst morgenländischer Kriegsherren genau getan hat – und möglicherweise auch gegen seinen Willen tun musste. Mit Vorsicht kann man aus diesem Schweigen auch den Schluss ziehen, dass seine persönliche Rolle bei diesen kriegerischen Unternehmungen nicht unbedingt vorzeigbar war. Eine Lesart, der auch der Augsburger Historiker Christoph Paulus einiges abgewinnen kann. O-Ton 9 PaulusDass er unter Umständen auch für Handlungen in der Fremde herangezogen worden ist, die alles andere als christlich waren – und mit seinem Weltbild vereinbar – das hat durchaus einiges für sich...”  TC 09:17 – Chronist, Augenzeuge oder Fiktion? SPRECHERINNachdem sich Johannes Schiltberger wohl im mehr oder weniger ritterlich ausgefochtenen Kampf als Fußsoldat bewährt hat, bekommt er ein Pferd. Ein Aufstieg, mit dem er die Erzählperspektive wechselt. Er berichtet nun nicht mehr persönliche Erlebnisse, sondern von den Feldzügen unter dem Sultan Bayezid. Zwölf Jahre lang ist Schiltberger als Chronist dabei. Bayezid erobert während dieser Zeit zwischen Schwarzem Meer und Mittelmeer Stadt für Stadt – manchmal bietet er belagerten Städten Verhandlungen an – begleitet von unmissverständlichen Drohungen. ZITATOR  „Danach ordnete der König an, Karamans Haupt auf einen Spieß zu stecken, und es daran herumzuzeigen, damit die anderen in der Stadt, wenn sie hörten, dass ihr Herr getötet wurde, sich desto eher ergeben würden. SPRECHERIN Doch schließlich wendet sich das Kriegsglück gegen Sultan Bayezid: Im Kampf um Armenien unterliegt die osmanische Armee dem zentralasiatischen Militärführer und Eroberer Timur. Johannes Schiltberger wird gefangen genommen - und muss fortan seinem neuen Herrn dienen. Dieser Furcht und Schrecken verbreitende Kriegsherr erobert nun weite Teile Vorder- und Mittelasiens. Schiltberger gelangt mit Timur bis nach Indien – wo sich die aufsehenerregende Episode mit den Kriegselefanten zuträgt. Timurs indischer Gegner verfügt über Elefanten mit einem … ZITATOR„turmartigen Aufbau, der mit wenigstens zehn Männern besetzt ist“. ATMO SPRECHERINTimur – seinerzeit auch Tamerlan genannt - berät sich mit seinen Ratgebern, wie denn nun die Elefanten zu besiegen seien. Einer von ihnen hat die zündende Idee, wie man dem indischen König begegnen kann: Holz auf die Kamele binden! ZITATORTamerlan zog ihm entgegen, ließ die Kamele vorantreiben und das Holz auf ihnen anzünden. Die Kamele erhoben ein fürchterliches Geschrei, und als die Elefanten das hörten, und dazu das Feuer sahen, drehten sie um und flohen. Und keiner konnte sie aufhalten.“  SPRECHERINEine drastische Szene, die Historiker zumindest für möglich halten. Auch Schlittenhunden und Giraffen will Schiltberger begegnet sein. Gern berichtet er von Schlangen – zuweilen aber kommt der selbsternannte Chronist auf Abwege – und erzählt Begebenheiten, die aus heutiger Sicht völlig unglaubwürdig wirken. Schlangen, 8000 an der Zahl, die eine Stadt belagern – und von Sonnenaufgang bis -untergang miteinander kämpfen: Konterkariert das nicht den Anspruch dabei gewesen, ein glaubwürdiger Augenzeuge zu sein? Für den Historiker Christoph Paulus ist das nicht unbedingt ein Widerspruch. O-Ton 10 Paulus„Grundsätzlich ist Augenschau, die eigene Teilnahme an Ereignissen ein Qualitätskriterium des Mittelalters für Berichte. Auf der anderen Seite – und das hängt sehr stark mit dem Adressatenkreis zusammen – sind so fabulöse, unterhaltsame, an Aventüren mittelalterlicher Ritter und an Heldengeschichten erinnernde Episoden, dass die Erwartungshaltung Schiltberger auch zur Ausformulierung dieser fabulösen Passagen gezwungen hat […].  SPRECHERINAuch Markus Tremmel, der Schiltbergers „Irrfahrt durch den Orient“ neu herausgegeben hat, glaubt nicht, dass es sich dabei quasi um einen Eins-zu-Eins Augenzeugenbericht eines Reporters handelt, der von vor Ort berichtet. O-Ton 11 Tremmel „Bei seiner Beschreibung von Jerusalem etwa: Die ist aus anderen Berichten seiner Zeit eingeflochten. Das kann Schiltberger gewesen sein, aber auch ein Redakteur, der gesagt hat: „Hans, da wär´s jetzt günstig, gleich einmal ein bisschen Jerusalem zu beschreiben...Wenn du da schon in der Nähe warst“ SPRECHERINVon Hans Schiltbergers Bericht ist keine Original-Handschrift erhalten, betont Christoph Paulus. Der Text ist Forschern nur in späteren Handschriften und Drucken zugänglich. O-Ton 12 Paulus “Es handelt sich möglicherweise um einen “wachsenden Text” Um einen Kern, der tatsächlich aus der Feder Schiltbergers stammt, haben sich im Laufe der Zeit weitere Texte von anderen Autoren gelegt: Immer im Spiel auch mit der Erwartungshaltung der Leser. […] Die Frage nach der Fiktionalität des Textes verknüpft sich auch sehr stark mit der Frage nach der Realität Schiltbergers. Also konkret: Hat er gelebt, oder ist er ein sprechender Name, eine Kunstfigur. ,Schiltberger´ – der sein Schild in Sicherheit bringt, und der sich hinter seinem Schild verbirgt. So könnte man seinen Namen deuten. Es gibt also durchaus einiges, was für die Fiktionalität dieses Textes und damit auch die Fiktionalität Schildbergers spricht”. MUSIK   SPRECHERINHat es diesen Johannes Schiltberger etwa möglicherweise nie gegeben? So einfach ist es nicht, sagt der Mittelalter-Forscher Paulus. O-Ton 13 Paulus“Auf der anderen Seite gehen das 15. und 16. Jahrhundert, ein Aventin, die gehen von einer realen Person Hans Schiltberger aus. Und der Text strahlt durchaus Kenntnisse über Land und Leute aus, die aus eigenen Anschauungen zu erwachsen scheinen.”  TC 14:48 – Andere Länder, andere Sitten SPRECHERINBesonders plastisch beschreibt Johannes Schiltberger, der Christenmensch unter Heiden, religiöse Sitten und Gebräuche der Muslime. Diese nehmen etliche Kapitel in seinem Reisebuch ein. ZITATOR“Sie fasten den ganzen Tag, bleiben ohne Speise und Getränk, bis die Sterne am Himmel stehen”, SPRECHERIN… schreibt er etwa über den Fastenmonat Ramadan. ZITATOR“Die Heiden sagen auch, dass sie nach dem Jüngsten Tag mehrere Frauen haben werden, mit denen sie schlafen, doch bleiben diese immer Jungfrauen”, SPRECHERIN… heißt es an einer anderen Stelle. Markus Tremmel fasziniert dabei der unverstellte Blick Schiltbergers auf den Islam – just in einer Zeit, in der die Dämonisierung der Osmanen, die “Türkenfurcht” begann. O-Ton 14 Tremmel  “Er beschreibt das ganz neutral, auch interessiert: Was haben die für Sitten und Gebräuche? (…) Das wertet er nie, sondern es scheint immer durch, dass er mit denen in interessierter Diskussion und Runde zusammengesessen ist.” SPRECHERINDie Wahrnehmung, dass er sich in Gefangenschaft, in der Fremde befindet – die hat Johannes Schiltberger trotz seiner langen Abwesenheit vom Abendland nie verloren, sagt Markus Tremmel. O-Ton 15 Tremmel“Was in seinem Bericht immer ein bisschen durchscheint, ist, dass er sich stark zurücksehnt in die Christenheit. Also dort, wo er zu Hause ist.” MUSIK  SPRECHERINAm deutlichsten wird dies bei Johannes Schiltbergers letztem Fluchtversuch, der schließlich erfolgreich sein wird. Bereits unter Bayezid war ein ähnliches Unterfangen gescheitert – und hatte für ihn mit Kerkerhaft geendet. Nun, Jahre später, hat sich Timurs einst eiserne Herrschaft längst in Stammesfehden seiner Söhne und Enkel aufgelöst. Im Zuge dieser Wirren verschlägt es Johannes Schiltberger nach Georgien. Dort beschließt er, mit vier Glaubensbrüdern zu fliehen.   ZITATOR“Wir sind Christen, die gefangen wurden, als der ungarische König vor Nikopolis unterlag, und mit Gottes Hilfe sind wir bis hierher gelangt”, SPRECHERIN... erklärten Schiltberger und einige Schicksalsgenossen nun einer Bootsbesatzung an der Küste des Schwarzen Meeres. ZITATOR“Wenn wir über das Meer kommen, dann haben wir die Hoffnung, doch noch zu unseren Familien und zu unserem christlichen Glauben zurückkehren zu können.” ATMO SPRECHERINDie Besatzung des Handelsschiffs erhört Schiltbergers Bitte – und bringt ihn nach Konstantinopel. Über die Walachei gelangt er nach Lemberg in der westlichen Ukraine, wo er noch einmal drei Monate krank darniederliegt.  ZITATOR“Von da reiste ich weiter nach Eger, Regensburg und Landshut. Schließlich erreichte ich Freising, wo ich geboren wurde. Mit der Hilfe Gottes bin ich endlich wieder nach Hause und zu meinem Glauben zurückgekehrt. Gott dem Allmächtigen und allen, die mir dabei halfen, sei gedankt. Ich hatte schon geglaubt, dass ich den Heiden und ihrem schlechten Glauben nicht mehrentkommen könne.” SPRECHERINDies ist indes ein Satz, der Christoph Paulus aufhorchen lässt. Denn die Geschichte Johannes Schiltbergers wirft für Mittelalter-Forscher eine gewichtige Frage auf... MUSIK O-Ton 16 Paulus“Wie konnte er drei Jahrzehnte in der Fremde bei einer anderen Religion überleben? Es ist durchaus denkbar, dass er, um sein nacktes Leben zu retten, zum Islam konvertieren musste“. SPRECHERINVielleicht, sagt Christoph Paulus, steckt in Schiltbergers streitbarem Verhältnis zum Islam auch letztlich die Motivation, sein Reisebuch zu schreiben. Paulus steht folgende Szenerie vor Augen. O-Ton 17 Paulus“Er kommt nach Bayern zurück. Man fragt ihn natürlich, wo er gewesen ist – und er erzählt seine Geschichte. Es werden an ihn Fragen gestellt, die in seinen Ohren natürlich auch wie Vorwürfe geklungen haben müssen. Und man macht ihm vielleicht auch den Vorwurf, dass er sich allzu sehr an den Islam angenähert habe.Und das Ganze fügt sich doch in ein apologetisches Bild, ein Rechtfertigungs-Bild dieses Reisebuchs. Das wäre gleichermaßen die Außenperspektive dieses Textes. Und nach Innen könnte sich Schiltberger sozusagen auch sich selbst gegenüber und seinem Gott gegenüber Rechenschaft über sein Handeln und sein Tun abgelegt haben.” TC 19:05 -  Die Anziehungskraft des Schiltbergers   SPRECHERINFür die Freiburger Professorin Birgit Studt kommt noch ein anderer Grund in Frage, warum Johannes Schiltberger seine Geschichte niedergeschrieben hat. Auch dieser hat mit seiner langen Abwesenheit zu tun. Schiltbergers Bericht könne man auch als einen Tätigkeitsbericht in der Fremde, als eine Art Bewerbungsschreiben lesen. O-Ton 18 Studt“Das ist natürlich einfach auch ein formaler Ausweis seiner Fertigkeit. Die Dokumentation eben auch seiner Erfahrungen, mit denen er sich beispielsweise für den diplomatischen Dienst in Stellung bringt. Das kann natürlich seine Person dann auch wertvoll machen für den Hof- und Fürstendienst.” SPRECHERINLetztlich scheint der unfreiwillige Weltreisende Johannes Schiltberger - zurück in der Heimat - gut an- und auch untergekommen zu sein. Einer Notiz des bayerischen Geschichtsschreibers Aventinus zufolge wirkte er nach seiner Rückkehr als Kämmerer des Herzogs von Bayern-München, Albrecht III. Sein weiterer Lebensweg, auch wann und wo er gestorben ist, bleibt im Ungefähren – was die Anziehungskraft des geheimnisumwitterten Weltreisenden nur noch weiter steigert. Für den Moderator und Verleger Markus Tremmel ist Johannes Schiltberger gar sein “Lieblingsbayer”:  O-Ton 19 Markus Tremmel, Journalist und Verleger Das war ein sympathischer Mensch, er wertet nie, er beschreibt einfach, was er erlebt hat – auf eine nette, bescheidene, offen interessierte Art.” SPRECHERINDer studierte Slavist Tremmel ist Schiltberger schon ein paar Mal auf der Seidenstraße gefolgt. Dessen Bericht sei auch 600 Jahre nach dem ersten Erscheinen ein immer noch aktueller Reiseführer. ATMO Wenn er gen Osten, nach Armenien, Georgien, Usbekistan oder in die Türkei reise, habe er daher immer seinen Schiltberger im Gepäck, sagt Tremmel. Auch auf Laien und Forscher in diesen Ländern übe Johannes Schiltberger bis heute eine Faszination aus. O-Ton 20 Tremmel“Ich war vor ein paar Jahren einmal in Istanbul, bin da in einer Universitätsbibliothek gesessen, und sehe da, wie neben mir so ein Wissenschaftler mit einem Text beschäftigt ist. Und wir kommen ins Gespräch - und er erzählt, dass er gerade diesen Schiltberger da behandelt.” SPRECHERINSo wirkt Johannes Schiltberger mit seiner Geschichte noch heute als verbindendes Band zwischen Orient und Abendland.TC 21:29 - Outro
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Aug 23, 2024 • 22min

VÖLKERWANDERUNG UND DANACH – Der Missionar Korbinian

Korbinian war ein Missionsbischof aus dem 8. Jahrhundert, der das Christentum in Bayern verbreitete. Im Podcast wird erzählt, wie er einen hungrigen Bären zähmte und als Bischof Einfluss auf die christliche Entwicklung hatte. Die Machtspiele der Zeit werden beleuchtet, insbesondere zwischen heidnischen Traditionen und dem aufkommenden Christentum. Korbinians Flucht nach einem Mordanschlag sowie die politischen Intrigen mit Herzog Tassilo und Karl dem Großen zeigen, wie Religion und Macht im frühen Bayern eng miteinander verknüpft waren.
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Aug 23, 2024 • 25min

VÖLKERWANDERUNG UND DANACH – Die Herkunft der Bajuwaren

Thomas Grasberger, ein Experte für die Geschichte der Bajuwaren, erläutert die faszinierenden Ursprünge dieses Volkes. Er diskutiert die verschiedenen Theorien über ihre ethnische Identität und Herkunftsorte. Dabei legt er dar, wie soziale Dynamiken die Identität formten und archäologische Funde neue Erkenntnisse liefern. Außerdem beleuchtet er die Transformation von der Spätantike zum Frühmittelalter und die wichtige Rolle von Wasserstraßen. Abschließend wird die Organisation der Siedlungen im Voralpenraum betrachtet und deren Einfluss auf die bayerische Identität.
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Aug 23, 2024 • 23min

VÖLKERWANDERUNG UND DANACH – Wer ist wirklich warum gewandert?

Die Völkerwanderung verändert unser Bild vom Untergang des Römischen Reiches. Anstatt massenhaften Zerstörung, gibt es florierende Kulturen und tiefe Wechselwirkungen zwischen Römern und Barbaren. Zahnschmelz- und Isotopenanalysen bieten spannende Einblicke in die Mobilität der Langobarden. Strategische Allianzen und interkulturelle Begegnungen führten zum Niedergang des Imperiums. Wie haben die Menschen auf diesen Wandel reagiert und welche Rolle spielte Karl der Große in der neu entstehenden Ordnung?

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