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Alles Geschichte - Der History-Podcast

WEIHNACHTSGESCHICHTE(N) - Die Kerze

Dec 23, 2023
23:34

Die Kerze als Dekoraktionsobjekt gibt es erst seit dem 20. Jahrhundert. Früher, in stromlosen Zeiten, waren Kerzen den Kirchen und Herrschaftshäusern vorbehalten. Die einfachen Leute mussten sich mit Kienspänen oder so genannten Unschlittkerzen aus Hammel - oder Rindertalg zufriedengeben, die grauenvoll stanken und obendrein heftig rußten. Auch der Walrat, eine fettige Substanz aus dem Kopf des Pottwales, war nicht wohlriechend. Die Knappen in den Silberbergwerken von Tirol bekamen Schnaps verabreicht, damit sie den Gestank des Talglichts ertrugen. Autorin: Regina Fanderl (BR 2018)

Credits
Autorin dieser Folge: Regina Fanderl
Regie: Eva Demmelhuber
Es sprachen: Irina Wanka, Johannes Hitzelberger, Michael Hafner
Technik: Fabian Zweck
Redaktion: Michael Zametzer

Im Interview:
Elisabeth Maisinger (Kerzenmanufaktur und Lebzelterei Nagy, Salzburg);
Benjamin Huber (Magister, Kulturvermittler am Keltenmuseum Hallein, Österreich);
Paul Janßen (Pfarrer, Aschau im Chiemgau);
Michael Strassmann (Mitglied der liberalen jüdischen Gemeinde München)

Linktipps:

ARD alpha (2023): Von der Sehnsucht nach dem Licht

Wenn der Großstädter über die langen dunklen Nächte und die klirrende Kälte stöhnt, beginnt für den Erzgebirgler die schönste Zeit des Jahres. ZUR SENDUNG

Deutschlandfunk Kultur (2022): Chanukka – Die Lichter in dunklen Zeiten

Am 18. Dezember beginnt Chanukka. Ein Fest, das nicht in der Thora steht, von dem aber eine große Strahlkraft ausgeht. Es geht bei dem Fest darum, Licht ins Dunkel zu bringen. Das Anzünden der Kerzen auf dem achtarmigen Leuchter folgt festen Regeln.
JETZT ANHÖREN

Planet Wissen (2021): Feuer

Reibung erzeugt Hitze – nach diesem Prinzip wurden schon vor Jahrtausenden unterschiedliche Methoden der Feuererzeugung angewandt. Bis heute funktionieren Streichhölzer und Cerium-Feuerzeuge nach diesem Grundsatz. HIER geht’s zum Beitrag.

Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:

Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?

DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.

Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN

Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.

Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Alles Geschichte
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Timecodes zu dieser Folge:

TC 00:15 - Intro
TC 01:50 – In der Kerzenmanufaktur
TC 04:42 – Licht ins Dunkle bringen
TC 07:25 – Erfindungen für den Bergbau
TC 10:33 – Das Licht Christi: Kerzen im Christentum
TC 15:04 -  Gedenke und Halte: Kerzen im Judentum
TC 16:54 – Was Lebkuchen mit Kerzenwachs zu tun hat
TC 20:23 – Luxusgut Wachs?
TC 22:57 - Outro

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

TC 00:15 - Intro

Sprecherin:
Ein Kind - von einem Schiefertafelschwämmchen umhüpft - rennt froh durch mein Gemüt. Bald ist es Weihnacht! - Wenn der Christbaum blüht, dann blüht er Flämmchen. Und Flämmchen heizen. Und die Wärme stimmt uns mild. Es werden Lieder, Düfte fächeln. Wer nicht mehr Flämmchen hat, wem nur noch Fünkchen glimmt, wird dann noch gütig lächeln…

Sprecher:
Joachim Ringelnatz: Vorfreude auf Weihnachten.

1 ZUSP Umfrage (0.27)
Wir haben einen Christbaum mit echten Kerzen, Bienenwachskerzen. Und auch wenn die nur kurz brennen, das macht nix, das gehört einfach dazu. Das war schon in der Kindheit so. Wenn ich heimkomme, ist es schon dunkel und dann freu ich mich, wenn vor dem Haus ein Kerzerl brennt. Das ist ein schönes, warmes Gefühl.
Sprecher:
Keine Frage: Advent, Weihnachten ohne Kerzen – undenkbar. Selbst wer das Fest nicht so hoch hängt, wird irgendwann am Heiligen Abend, spätestens gegen 17 Uhr, wenigstens eines dieser weltweit bekannten „Leuchtmittel“ anzünden. Mit einem Feuerzeug - oder doch stilvoller: mit einem Streichholz.

ATMO FX Streichholz

MUSIK Pixner C1576450 W01

TC 01:50 – In der Kerzenmanufaktur

2 ZUSP Elisabeth Maisinger,Kerzenmanufaktur Nagy (1.01)
Wir gehen jetzt erst mal ins Lager durch und dann kommen wir schon langsam zur Produktion. Wir haben eine sogenannte Zugmaschine, das ist eine einfache mechanische Zugmaschine. Da dreht sich der Docht über zwei Trommeln und dieser Docht läuft dann durch ein Wachsbad. Und während er über die Trommeln läuft, trocknet das Wachs immer wieder und dann kann es beim nächsten Durchgang wieder neues Wachs aufnehmen. […] Und die Kerze, muss man sich vorstellen, kommt von dieser Zugmaschine in einem unendlichen Strang eigentlich runter, wird dann abgeschnitten in ungefähr vier Meter lange Stränge und da dann wieder händisch auf die Länge gebracht wie die endgültige Kerze dann sein soll. Und dann ist es längst noch keine fertige Kerze; dann muss vorne noch ein Spitz ran, wo man sie anzünden kann und eventuell hinten ein Loch oder ein Kronus nennt man das auch, wo man sie dann hinten in den Leuchter reinstecken kann, das sind dann noch weitere Arbeitsgänge. Und am Schluss wird sie dann eben in die Farbe getaucht bevor sie in den Laden kommt.

MUSIK hoch und runterwürgen
ATMO Tropfen & Höhle

Sprecherin:
Als die Menschen damit anfingen, sich ihre Umwelt nach Sonnenuntergang zu erhellen, ging es ihnen nicht um den schönen Schein. Archäologische Funde belegen, dass schon während der letzten Eiszeit, vor mehr als 30.000 Jahren, Menschen in Mitteleuropa gelebt haben, die mit sehr harten Klima- und Lebensbedingungen klarkommen mussten. Ihr einziges Ziel: Überleben! Und dazu brauchten sie - neben Essen und Trinken: Wärme. Und Licht.

Sprecher:
Wenn wir heute ziemlich ratlos im Kaufhaus oder beim Möbeldiscounter stehen, werden wir fast erschlagen von der Riesenauswahl an Kerzen in allen Größen, Formen und Farben. In Massen produziert, aus Kaltwachs-Granulat gepresst - hier stapelt sich meist billige Ware. Kerzen, die viel Sauerstoff enthalten und damit schnell abbrennen und leichter rußen. Aber auch auf adventlichen Handwerksmärkten oder Fachgeschäften, wie etwa bei Elisabeth Maisinger in der Wachszieherei Und Lebzelterei Nagy [sprich NAGI, nicht Notsch] in Salzburg, sind Angebot und Vielfalt groß. Gezogen, gegossen, verziert? Was darf’s denn sein, bitte?

3 ZUSP Elisabeth Maisinger, Kerzenmanufaktur Nagy (0.38)
Da ist die Kerzen-Taucherei. Da werden die Rohlinge in die Farben getaucht. Das ist also ein sehr wichtiger Bereich, wir haben ungefähr 60 Farben, die Kunden können das im Geschäft auswählen und dann werden die Kerzen frisch getaucht. Das ist eine Spezialität bei uns, wir haben es also nicht lagernd in zehn Farben dastehen, sondern haben die Größen zur Auswahl und dann sucht sich der Kunde Größe und Farbe aus und kriegt die Kerze dann frisch. Besonders im Advent ist das ein sehr aktuelles Thema bei uns.
Atmo Höhle/ Tropfen

TC 04:42 – Licht ins Dunkle bringen

Sprecherin:
Sechzig Farben, ganz nach Geschmack – für die Jäger und Sammler der Steinzeit waren ganz andere Eigenschaften entscheidend: sie suchten nach einer transportablen Licht- und Wärmequelle, die auch nach einem jahreszeitlich bedingten Umzug funktionierte: vom Zelt, einer Art Tipi, hinein in die Höhle, bei extremen Wetter, oder um Zeremonien zu feiern. Die zündende Idee: sie füllten einen nach innen gewölbten, etwa handgroßen Stein mit flüssigem Tierfett und tauchten einen Zweig oder ähnliches als Docht hinein. Der glomm und rauchte dann mühsam vor sich hin.

Sprecher:
Das Licht reichte wohl halbwegs dazu aus, die Gesichter der Mitbewohner zu erkennen, Essen zu wärmen, nasse Kleidung zu trocknen oder Schnee zu schmelzen. Auch die berühmten Höhlenmalereien entstanden schließlich nicht im Blindflug.

4 ZUSP Umfrage (0.18)
Nicht schön, düster, kalt… Also ich kann es mir nicht gemütlich vorstellen. // Ich habe da ein schönes Buch gelesen, wie die so mit ihren Fellen - und haben es sich auch gemütlich gemacht.  Die haben geschaut, dass sie ein Feuer haben. […] Beleuchtung haben sie nicht gehabt. Die sind halt dann ins Bett gegangen.
Musikakzent

Sprecher:
Über Jahrtausende hinweg bestanden künstliche Lichtquellen der Menschen wohl immer aus dieser einen Kombination: Docht und Wachs.

Sprecherin:
Wachs ist der Überbegriff für eine organische Verbindung, die bei etwa 40 °C schmilzt und dann eine Flüssigkeit bildet. Es gibt tierische und pflanzliche Wachse.

Sprecher:
Pflanzliche Wachse schützen Blätter und Früchte vor dem Austrocknen und werden aus Zuckerrohr oder der Wachspalme gewonnen.

Sprecherin:
Tierische Wachse sind beispielsweise Wollwachs oder das Bürzeldrüsenfett der Wasservögel. Auch Talg und Unschlitt, das Eingeweidefett geschlachteter Rinder und Hammel können als Brennstoff nützlich sein. Und natürlich gehört auch das Bienenwachs dazu.

Sprecher:
Der stark vergrößerte Vorderkopf des Pottwals lieferte das Walrat, eine fetthaltige Substanz, die ebenso als Brennstoff geeignet war wie Schellack, gewonnen aus den Ausscheidungen von Blattläusen.

Sprecherin:
Das klingt alles nicht gerade appetitlich, aber es wird die Menschen der Eisenzeit nicht weiter beschäftigt haben. Vielmehr galt es, die technologische Entwicklung der Eisenzeit voranzutreiben und eine wichtige, neue Arbeitsstätte zu beleuchten: das Bergwerk. Seit etwa 800 vor Christus wurde Salz abgebaut - das vor allem für die Konservierung von Lebensmitteln unentbehrliche „Weiße Gold“.

TC 07:25 – Erfindungen für den Bergbau

Sprecher:
Tief drin im Berg aber half das glimmende, schwache Lichtlein allein aber nicht weiter. Deshalb kam eine weitere Erfindung des Steinzeitmenschen zum Einsatz: der Kienspan.

Sprecherin:
Kienspäne sind Bündel von etwa 20 Zentimeter langen und Latten aus harzreichem Holz wie Kiefer, Tanne, Fichte, Lärche oder Kirschbaum. Zündet man es vorne an, brennt das Bündel rund 20 Minuten lang ab. Der Schwierigkeit für den Bergmann bestand darin, die unruhig flackernde Flamme mit der Hand auszutarieren.

Sprecher:
Eine sportliche Sache, wenn man gleichzeitig auch noch große Brocken aus dem Felsen hauen muss.

Sprecherin:
Im Keltenmuseum von Hallein bei Salzburg wird der Salzabbau auf dem nahen Dürrnberg dokumentiert. In einer der Vitrinen ist ein original-eisenzeitlicher Kienspan zu sehen. Der Historiker Benjamin Huber erklärt die Handhabung:

5 ZUSP Benjamin Huber, Keltenmuseum Hallein (0.45)
Wenn man in den Stollen hineinkommt, das ist unter Tage, da ist kein Sonnenlicht. Wie beleuchtet man damals diese vielen Stollen, die geschaffen wurden? Die waren ja sehr schmal, diese Zugangsstollen bis man auf die Salzschichten gestoßen ist. Und deshalb haben die Bergmänner diese Kienspäne im Mund getragen. Da haben wir die Zahnabdrücke auf den Kienspänen drauf. Weil die Stollen ja sehr eng waren, man braucht beide Hände, um das Werkzeug in der Hand zu halten und als man dann auf die Salzstöcke gestoßen ist, auf diese Salzvorkommen, hat man die Stollen verbreitet, größere Stollenhallen möchte ich sagen, geschaffen und dann hat man eben die Kienspäne in die Wand gesteckt. Das ist die Geschichte, die wir gerne hier im Keltenmuseum Hallein erzählen. Wir haben aber hier nicht nur die Zahnabdrücke, sondern wir haben auch in unserer Ausstellung Kienspanhalter: Das sind lange Hölzer, da ist vorne eine Kerbe, da kann man den Kienspan einfach einklemmen.

Sprecherin:
Der Kienspan gilt als die älteste bekannte Grubenbeleuchtung in Mitteleuropa. Weil er während der Arbeit im Stollen mit dem Mund festgehalten werden musste, verlor der Bergmann meist seine Zähne und galt dann, zahnlos, als „bergfertig“. Das heißt, er war Invalide und arbeitslos. Ein Schicksal, das den Dürrnberger Knappen ab dem 16. Jahrhundert erspart blieb. Die kämpften gegen andere Widrigkeiten:

6 ZUSP Benjamin Huber, Keltenmuseum Hallein (0.46)
Es gibt ganz unterschiedliche Brennbehälter, beziehungsweise Leuchtkörper, Öllampen, in der Bergmannsprache sind es Grubenlampen, die haben ganz unterschiedliche Formen und die wurden dann befüllt mit Fett, mit Talg, das hat man sich von den Metzgern geholt und das Bergwerk so ausgeleuchtet. Da gibt’s ganz unterschiedliche Formen, und eine ganz besondere Form, die wir hier im Keltenmuseum haben, ist die sogenannte ‚Halleiner Blende‘. Das ist ein Holzkasten mit einem kleinen Brennstoffbehälter darin, das schaut ganz fantastisch aus. Dahinter belegt mit Messing, um die Leuchtkraft dann auch zu verstärken. Das ist dann schon eine spätere Variante aus dem 19. Jahrhundert. Das hat fürchterlich gestunken. Also wenn man das schonmal probiert hat, ich hab das schon einmal gerochen tatsächlich bei einem Workshop und das stinkt ganz erbärmlich (lacht).

Sprecherin:
Den Bergmännern im Silberbergwerk von Rattenberg in Tirol wurde aus diesem Grund der Lohn zum Teil als Schnaps ausgezahlt. So war wohl der Gestank unter Tag besser zu ertragen.

TC 10:33 – Das Licht Christi: Kerzen im Christentum

Sprecher:
Jahrtausende lang konnten die Menschen ihre Behausungen nur mit dem Kienspan oder mit primitiven Öllampen erhellen - und so waren diese preiswerten Leuchtmittel bis weit in das Mittelalter unentbehrlich. Andere künstliche Lichtquellen waren deutlich teurer und kamen daher zumindest für die ärmeren Leute nicht in Frage. So ein Luxusleuchtmittel war auch – die Kerze.

7 ZUSP Elisabeth Maisinger, Kerzenmanufaktur Nagy (0.50)
Es ist eine sehr sehr feine Arbeit. Also wir brauchen da Leute, die gute Augen haben, die feine Hände haben und die viel Geduld haben. Ob die Kerzen jetzt mit Zweigerl, Sternderl oder Glockerl verziert werden, oder ob wir eine Hochzeitskerze, einen Baum draufbasteln mit ungefähr 35 Blättern in verschiedenen Farben, die werden alle einzeln ausgeschnitten, oder ob man die Kerzen beschriftet, da wird jeder Buchstabe von Hand geschrieben. Die Maschinen helfen uns da nicht sehr viel, hauptsächlich Handarbeit ist gefragt.
Das macht natürlich auch den Preis, aber auch, dass der Kunde da das Gefühl hat, sein Wunsch ist uns wichtig und wir bemühen uns, auf das einzugehen.

8 ZUSP Umfrage (0.14)
I brauch schon jeden Abend sehr lange, bis ich die Kerzen alle anzünde. Und sie danach auch alle wieder ausmache. Und hinterher der Geruch, wenn man’s ausblast: ein Traum.

Musikakzent Orgel

Sprecher:
Es ist nicht einfach, Licht in das Dunkel der frühesten Kerzengeschichte zu bringen. Die überlieferten Texte und Darstellungen machen nicht klar, was da leuchtet. Fackeln? Oder doch schon Kerzen?

Sprecherin:
Wahrscheinlich gelang es schließlich den Römern, Wachs und Docht so zu kombinieren, dass kein eigenes Gefäß mehr nötig war. Ab der Mitte des zweiten Jahrhunderts nach Christus jedenfalls waren einfache, niedrige Wachskerzen so weit entwickelt, dass sie ohne lästiges, übermäßiges Rußen und üblen Geruch in einem geschlossenen Raum brennen konnten.

9 ZUSP Elisabeth Maisinger, Kerzenmanufaktur Nagy 0.23
Kirchen sind nach wie vor ein wichtiger Kundenkreis. Wird natürlich von der Menge her weniger, weil weniger Messen gefeiert werden, das spürt man schon ein bisschen. Und es ist auch nimmer so, dass bei den Hochämtern alles beleuchtet war, das ist nicht mehr so häufig. Aber nach wie vor ein wichtiger Abnehmerkreis. Die kirchlichen Feste geben nach wie vor unser Geschäftsjahr vor, die bestimmen das sehr stark.

Sprecherin:
Das aufblühende Christentum mit seinen liturgischen Gebräuchen war der Impuls dafür, dass sich Kerzen schnell verbreitet haben. So sind länglich-runde Kerzen für liturgische Zwecke seit der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts mit Sicherheit nachgewiesen. Von der Geburt bis zum Tod begleiten sie bis heute den gläubigen Menschen ein Leben lang. Pfarrer Paul Janßen aus Aschau im Chiemgau weiß um die Symbolkraft des Kerzenlichts:

10 ZUSP Pfarrer Paul Janßen, Aschau im Chiemgau (0.31)
Jesus sagt einmal im Johannesevangelium „Ich bin das Licht der Welt“ und an andrer Stelle sagt er dann „Ihr seid das Licht der Welt“. Und man zündet auch nicht eine Lampe an und stellt sie unter den Scheffel, sondern man stellt sie auf den Leuchter, dass es allen leuchtet. Und so ist für mich eine Kerze als Lichtträgerin ein wunderbares Symbol für uns als Christen, dass wir selber das Licht Christi empfangen, den Glauben empfangen und so selber zu Lichtträgern werden und das Licht weiterschenken.
Orgel

Sprecherin:
Tauf- und Sterbekerze, Osterkerze, Altarkerzen, die kleinen Opferkerzen, die Gläubige mit einem Anliegen anzünden können, oder auch die Blasiuskerzen – der ganze Bedarf für ein Kirchenjahr wird am 2. Februar bei einem eigenen Gottesdienst geweiht:

11 ZUSP Pfarrer Paul Janßen, Aschau im Chiemgau (0.37)
Man kennt eigentlich so seit dem 10. Jh. Ungefähr den Brauch der Kerzenweihe an Maria Lichtmess. Und man hat ja offenbar heidnische Lichtriten und Prozessionen christlich umgedeutet und da kommt natürlich das sehr zu Hilfe, dass bei diesem Fest eben das Licht thematisiert wird. Die Kinder gehen immer mit und haben die Kerzen in der Hand. Die Kirche ist auch abgedunkelt, wir haben dann nur das Licht der Kerzen und das ist auch was Besonderes, diesen Gottesdienst nur im Kerzenschein zu feiern.

TC 15:04 -  Gedenke und Halte: Kerzen im Judentum

Sprecher:
Aber Kerzen leuchten nicht nur im christlichen Jahreslauf. Auch im Judentum sind sie wichtige religiöse Symbole, sagt Michael Strassmann von der liberalen jüdischen Gemeinde in München:

12 ZUSP  Michael Strassmann, liberale jüdische Gem. München (1.18)
Man denke an die Menora, also an den siebenarmigen Leuchter, kennt auch jeder, ist auch im Staatswappen von Israel drin. Und jetzt fragt einer wieso 7, sind doch 8 Kerzen? Die Kerze in der Mitte die zählt nicht. Das ist die Dienerkerze, mit der man die anderen anzündet. Und eine große Rolle spielt die Kerze im Sabbat: Der Sabbat beginnt ja immer bei uns am Freitagabend, wenn die ersten drei Sterne am Himmel zu sehen sind. Und 18 Minuten bevor der Sabbat richtig da ist, muss man die Sabbatkerzen angezündet haben, das sind zwei. Die haben auch Namen: Eine heißt Schamor, ‚Bewachte‘, ‚Pass auf‘. Die zweite Kerze heißt Sachor, das heißt ‚Erinnere dich‘, das ist eine Aufforderung, dass man den Sabbat bewahrt und ihn nicht vergisst. Und die beiden Kerzen zündet immer die Frau des Hauses an und spricht dabei einen Segen. Da ist die Kerze auch ganz wichtig, wir haben sogar ein Kerzenfest, das heißt Chanukka. Da haben wir die Chanukkia. Erinnert vielleicht die Christen an den Adventskranz, nur bei uns wird nicht jeden Sonntag eine weitere Kerze angezündet, sondern jeden Tag bis alle acht Kerzen brennen. Und das heißt bei uns auch Lichterfest auf Deutsch […]. Das wird immer so gefeiert um die Wintersonnenwende rum, da werden die Tage wieder länger, das Licht kommt zurück. Dass da die Christen Weihnachten feiern und wir Juden Chanukka, erklärt sich vielleicht ein bisschen von selbst.
Sprecher:
Durch die Verwendung in der christlichen Liturgie und im jüdischen Ritus wurden die Kerzen ab dem Mittelalter immer beliebter - und qualitativ besser. Sie wurden nun aus Bienenwachs, einem knappen und teuren Rohstoff, und blieben daher den Kirchen und dem Adel vorbehalten.

TC 16:54 – Was Lebkuchen mit Kerzenwachs zu tun hat

Sprecherin:
Um das Jahr 1600 kostete ein Kilo Bienenwachs zehnmal so viel wie ein Kilo Fleisch. Für die Reichen kein Problem: Bei einem Hoffest in Dresden um 1750 wurden fast 15 000 Wachslichter verbraucht.

Sprecher:
Die einfachen Leute mussten sich immer noch mit Kienspänen oder den Unschlittkerzen aus Hammeltalg oder Rindernierenfett herumplagen. Was immer auch Licht spendete, roch, wie schon in Urzeiten, ranzig und rußte erbärmlich.

Sprecherin:
Und gesund war das alles auch nicht. Im 17. Jahrhundert weißte man Talgkerzen mit Arsenik und atmete damit ordentlich Gift ein. Und ein Zeitzeuge berichtete nach 1800…

Zitator:
…dass die Fülle der brennenden Kerzen bald die Luft der Räume überhitzte und verpestete. Dass bei der Krönung von König Georg IV. in London im Jahr 1821 in Westminster Hall – es brannten über 1500 Kerzen – viele der Damen infolge der Hitze ohnmächtig wurden und dass das herabtropfende Wachs, noch bevor alle Kerzen entzündet wurden, die Wachsschnäuzer und die kostbaren Gewänder der Gäste überflutete!

Sprecherin:
Wachsschnäuzer war ein eigener Berufszweig bei Hofe. Die Männer hatten den Auftrag, permanent die Dochte zu kürzen, um das Rußen und Tropfen zu verhindern. „Schnäuzen“ nannte man das seinerzeit.

Sprecher:
Vor dem Wachsschnäuzer stand naturgemäß der Wachszieher. Dessen Ursprungsberuf war der des Lebzelters, also des Lebkuchen-Produzenten. Da Zucker erst um 1800 aufkam, wurden die Backwaren mit Honig gesüßt. Um den Honig zu gewinnen, haben die Lebzelter ganze Bienenwaben gepresst und dann das Wachs zu Kerzen weiterverarbeitet.

13 ZUSP Elisabeth Maisinger, Kerzenmanufaktur Nagy (0.30)
Der Lebkuchen ist ein sehr wesentlicher Bestandteil unserer Produktion, auf den wir nicht verzichten wollen. Wir produzieren als eine der wenigen Lebkuchen ganzjährig, auch zu Ostern gibt’s Lebkuchen, es gibt im Sommer die Lebkuchen-Schiftl zum Beispiel, die ein typisches Brauchstumsgebäck sind, das zu den sogenannten Prangtagen gegessen und geschenkt wird. Und ab Herbst hat man dann eh schon wieder Lust auf einen frischen Lebkuchen.
Sprecherin:
Aber auch unter den Lebzeltern muss es schwarze Schafe gegeben haben.  Die prangerte der Wiener Hofprediger Abraham a Santa Clara in aller Deutlichkeit an, indem er von der Kanzel polterte:

Zitator:
Sonst seynd die Wachskerzler gar ehrliche und redliche Leut, außer denselben, welche allerley Hartz, Pech und Terpentin unter das Wachs mischen, daß solche Kerzen sich eines kurtzen Lebens erfreut, ja dergestalt abnimmt, dass ein Träne die andere schlägt; vielleicht beweint sie das Schelmenstück des Meisters, der fast wert ist, daß ihm der Henker den Docht um den Hals bindet ...

Sprecher:
Für den sich krümmenden und dadurch sich selbst schnäuzenden Docht fehlte aber noch lange die zündende Idee. Selbst Goethe hatte es offensichtlich satt, tränenden Auges zu dichten, denn er grantelte:

Zitator:
Wüsste nicht, was sie Bessers erfinden könnten, als wenn die Kerzen ohne Kürzen brennten!

Musikakzent dito

TC 20:23 – Luxusgut Wachs?

Sprecherin:
Ob der Geheimrat das noch erlebt hat? Er starb 1832. Erst mit der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts und der Entdeckung der Rohstoffe Paraffin und Stearin wurden geruchs- und tropffreie Kerzen auch für die breite Bevölkerung erschwinglich. Erste Fabriken entstanden 1833 in Paris und 1837 in Wien.

Sprecher:
Paraffin wird aus Mineralöl gewonnen wird und ist an den Ölpreis gekoppelt. Etwa drei Viertel aller Kerzen in Deutschland sind heute Paraffin-Kerzen.

Sprecherin:
Stearin besteht zum Großteil aus Palmöl und ist wegen des hohen Landverbrauchs und der damit verbundenen Zerstörung der Regenwälder höchst umstritten. Allein in Indonesien wurde für Ölpalmen Regenwald von einer Fläche geopfert, die mehr als doppelt so groß ist wie Bayern. Deshalb wird Stearin inzwischen nur noch selten für die Kerzenherstellung verwendet.

Sprecher:
Zweifellos: Kerzen aus Bienenwachs sind die schönste, edelste, umweltfreundlichste, aber auch teuerste aller Varianten. Sie kostet vier- bis fünfmal so viel wie eine Paraffinkerze. Und auch das Bienensterben in Teilen der Welt macht den fein duftenden Rohstoff nicht preiswerter. Jetzt schon hat der Klassiker unter den Kerzen nur noch einen Marktanteil von 0,5 Prozent.

Sprecherin:
Trotzdem lassen sich viele Menschen – zumindest an Weihnachten – vom Preis nicht abschrecken:

14 ZUSP Umfrage (0.21)
Die Bienenwachskerze ist für uns auch sehr wichtig. Und ich habe eine Kundin, die mir jedes Jahr eine selbstgewickelte Bienenkerze schenkt. Und die wird an Heilig Abend am Tisch angezündet und die sagt auch immer zu mir: genieß es und das ist einfach schön.
Sprecherin:
Längst beleuchtet elektrisches Licht unsere Räume: Glühlampen, Leuchtstoffröhren, LEDs, Fernsehschirme oder Lichterketten. Trotzdem hat die Kerze auch nach fast 2000 Jahren nicht ausgedient – ganz im Gegenteil: sie ist heute mehr denn je ein Symbol der Wärme und des Wohlbefindens, ihr Brennen kann uns tief berühren. Ein chinesisches Sprichwort sagt:

Sprecher:
Alle Dunkelheit der Welt reicht nicht, um das Licht einer einzigen, kleinen Kerze auszulöschen.

TC 22:57 - Outro

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