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Vaka Moana, so nannten die Polynesier ihre hochseetüchtigen Segelkanus. Mit ihnen eroberten sie vor 5000 Jahren den Pazifik, das größte Meer der Welt, und begründeten eine maritime Inselkultur, die sich über ein Drittel der Erdoberfläche ausbreitete. Ihre Navigationskunst ist weitgehend in Vergessenheit geraten - bis vor einigen Jahren in einem aufwändigen Projekt originalgetreue Repliken der traditionellen Vakas gebaut wurden, gesteuert nach traditioneller Navigationskunst. Die Vaka-Flotille durchkreuzte den Pazifik auf den alten Reiserouten der Polynesier und warb auf den Inseln für die Wiederbelebung der Segelkunst. Autor: Ulli Weissbach (BR 2014)
Credits
Autor dieser Folge: Ulli Weissbach
Regie: Martin Trauner
Es sprachen: Axel Wostry, Detlef Kügow
Technik: Cordula Wanschura, Michael Zöllner
Redaktion: Thomas Morawetz
Linktipps:
Deutschlandfunk (2023): Der Himmel der Maori
Welche astronomischen Kenntnisse die neuseeländischen Indigenen hatten, lässt sich leider nicht mehr genau sagen. Klar ist: Der Himmelsanblick am frühen Morgen spielte eine große Rolle:
Pazifik-Navigation via Sterne - Der Himmel der Maori (deutschlandfunk.de)
Planet Wissen (2023): Wie die Maori nach Neuseeland kamen
Tausende von Kilometern fuhren polynesische Seefahrer in kleinen Segelkanus, den sogenannten Wakas, über den damals noch unbekannten Pazifik und besiedelten neue Welten wie zum Beispiel Neuseeland – und das schon lange bevor Christoph Kolumbus auf Entdeckungsreise ging. Die Nachfahren der Polynesier auf Neuseeland sind die Maori. Sie halten die seefahrerischen Leistungen ihrer Vorfahren in Erinnerung und lehren noch heute die traditionelle Navigation:
Wie die Maori nach Neuseeland kamen - Planet Wissen - Sendungen A-Z - Video - Mediathek - WDR (planet-wissen.de)
Und hier noch ein paar besondere Tipps für Geschichts-Interessierte:
Im Podcast „TATORT GESCHICHTE“ sprechen die Historiker Niklas Fischer und Hannes Liebrandt über bekannte und weniger bekannte Verbrechen aus der Geschichte. True Crime – und was hat das eigentlich mit uns heute zu tun?
DAS KALENDERBLATT erzählt geschichtliche Anekdoten zum Tagesdatum - skurril, anrührend, witzig und oft überraschend.
Und noch viel mehr Geschichtsthemen, aber auch Features zu anderen Wissensbereichen wie Literatur und Musik, Philosophie, Ethik, Religionen, Psychologie, Wirtschaft, Gesellschaft, Forschung, Natur und Umwelt gibt es bei RADIOWISSEN.
Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
Alles Geschichte finden Sie auch in der ARD Audiothek:
ARD Audiothek | Alles Geschichte
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Timecodes (TC) zu dieser Folge:
TC 00:15 – Intro
TC 01:45 – Ohne Navi, Karte und Kompass
TC 06:13 – Ein Boot wie eine Nussschale?
TC 08:25 – Vorbildliche Überlebensstrategien
TC 11:19 – Die Maori auf den Spuren ihrer Vorfahren
TC 14:46 – Die Bedeutung der Vakas
TC 18:53 – Wie eine Reise ins Weltall
TC 21:59 - Outro
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
TC 00:15 – Intro
ERZÄHLER
"Te Vaka" heisst dieser Song der gleichnamigen polynesischen Popgruppe. Te Vaka ist in der Sprache der Polynesier: "Das Boot" - der Inbegriff ihrer maritimen Kultur. Mit ihren "Vaka Moana", hochseetüchtigen Segelkanus, besiedelten sie tausende von Inseln im Pazifik, dem größten Meer der Welt, das fast ein Drittel der Erdoberfläche einnimmt. Sie begründeten damit eine maritime Kultur, deren Ausdehnung durch das sogenannte "Polynesische Dreieck" markiert wird. (MUSIK: priv. CD: „Safe House“ aus „Safe House“ [ ]) Seine Eckpunkte sind Hawaii im Nordpazifik, Neuseeland im Südwestpazifik und die Osterinsel im Südostpazifik. Es umschließt eine Meeresfläche von 50 Millionen Quadratkilometern, fünfmal so groß wie Europa (MUSIK ENDE). Dabei ist Polynesien kein Staat, sondern nur ein Sammelbegriff für verschiedene indigene Völker im Pazifik mit gemeinsamer kultureller und ethnischer Herkunft. ((So wie die Indianer Nord- und Südamerikas einer gemeinsamen Kultur entstammen oder die Araber des Nahen und Mittleren Ostens.)) Und doch ist die Besiedelung Polynesiens einmalig in der Geschichte der Menschheit. Einmalig in ihren geografischen Dimensionen und in ihrer seefahrtstechnischen Leistung. (MUSIK: Z9508055 108 [01’10’’])
TC 01:45 – Ohne Navi, Karte und Kompass
Die große maritime Völkerwanderung der Polynesier begann vor rund 4.000 Jahren. Sie kamen aus Südost-Asien und waren auf der Suche nach neuem Lebensraum - vermutlich wegen Übervölkerung oder Hungersnöten in ihrer Heimat. Bis Christi Geburt waren sie vom Westen Asiens nach Osten, ins Zentrum des Pazifiks vorgestoßen und hatten die Fidschi-, Tonga- und Samoainseln besiedelt. Es folgten weitere Vorstöße nach Tahiti, Hawaii und zur Osterinsel. Mit der Besiedelung Neuseelands vor 800 Jahren war das polynesische Dreieck komplett: ein Inselreich grösser als Europa.
Wie haben die Polynesier das vollbracht mit ihren hölzernen Nussschalen, ohne Kompass und Sextant? Mehr als tausend Jahre bevor sich die ersten Europäer, wie der portugiesische Weltumsegler Ferdinand Magellan oder der englische Captain James Cook in den Pazifik vorwagten? Waren sie Hasardeure, die einfach aufs offene Meer hinaussegelten, ohne zu wissen, ob da Land war? Oder Fischer, die von der Küste abgetrieben wurden und nach langer Odyssee auf den Inseln des Pazifiks landeten. Zufällige oder absichtliche Besiedelung - über diese Frage haben Anthropologen und Historiker lange gerätselt und debattiert. Der neuseeländische Anthropologe Professor Geoffrey Irwin vertritt den neuesten Stand der Forschung und ist sich ziemlich sicher:
O-Ton Geoffrey Irwin
The first explorers had no maps...
Overvoice
Die ersten Kundschafter hatten keine Karten, sie hatten keine Navigationsinstrumente. Einfach aufs offene Meer hinauszusegeln war also äußerst gefährlich. Um auf der sicheren Seite zu sein, mussten sie auch wieder zurückkehren können. Ich glaube, es war Erkundung und Rückkehr. Nicht selbstmörderische Reisen ins Unbekannte. Sie kannten die Winde, sie konnten gegen die vorherrschenden Winde hinaus segeln und dann wieder mit ihnen zurückkehren. Sie kannten ihren Himmel, sie kannten die Sterne über ihren eigenen Inseln. Und wenn sie zurückkamen, unter ihren eigenen Sternen, ihrem eigenen Himmel, konnten sie ihre eigene Insel finden und sicher sein.
...they could intercept their own island and be safe.
ERZÄHLER
Mit der Sicherheit des Zurückkehrens im Hinterkopf, segelten die ersten Kundschafter der Polynesier also hinaus in die Weiten des Pazifiks. In der Hoffnung, auf Land oder zumindest Inseln zu stoßen. Ganz so wahl- oder ziellos waren ihre Entdeckungsfahrten aber nicht. Sie vermuteten wohl, dass neues Land irgendwo im Osten liegen musste, also im offenen Meer jenseits ihrer Position am Westrand des Pazifiks. Sie kannten also die Himmelsrichtungen, aber wie haben sie navigiert?
O-Ton Geoffrey Irwin
They had no compasses...
Overvoice
Sie hatten keinen Kompass, aber sie konnten einen Kurs steuern. In der Nacht nutzten sie die Sterne nahe am Horizont und bei Tag die Dünung. Im Meer gibt es ja ständig Dünung und Wellen, wobei die Wellen von lokalen Winden stammen. Aber im Prinzip haben sie mit Hilfe von Sternen und Dünungen navigiert.
...steered by the stars and by the swells.
ERZÄHLER
Die Dünung, auch Seegang genannt, mag oberflächlich betrachtet überall gleich aussehen und ist für das geübte Auge doch charakteristisch für bestimmte Meeresregionen. Sie hängt ab von der Kontur des Meeresbodens, von Strömungen und der Ausdehnung des Meeres. Die Dünung ist quasi die unterschwellige Atmung des Meeres, während die weit kürzeren Wellen nur vom Wind aufgepeitscht werden. Die Polynesier waren als maritimes Naturvolk so mit dem Meer und seinen vielfältigen Erscheinungen vertraut, dass sie mit einer Art siebtem Sinn ahnen konnten, wo Inseln sein mussten.
O-Ton Geoffrey Irwin
One of the things they could do...
Overvoice
Sie konnten zum Beispiel ein Ziel erweitern. Wenn sie sich einer Inselgruppe näherten, war das ein zusammenhängendes Ziel, von Insel zu Insel. Sie konnten Land aus 30 Meilen Entfernung ausmachen, ohne es zu sehen. Sie schauten sich die Wolken an und wie die Dünung sich änderte, wenn sie auf Land traf. Und vor allem haben sie den Himmel nach Vögeln abgesucht. Vögel, die an Land nisten und auf dem Meer nach Nahrung suchen. Je nach Vogelart fliegen sie eine bestimmte Strecke aufs Meer hinaus. Das heißt, sie mussten nur in eine bestimmte Entfernung zum Land kommen, um es über den Horizont hinaus wahrzunehmen.
...detect it over the horizon.
MUSIK: priv. CD: “Don’t Kill Innocent People” aus “Safe House” (00’40’’)
TC 06:13 – Ein Boot wie eine Nussschale?
ERZÄHLER
Originale polynesische Vakas, wie man sie heute noch in den Pazifiksammlungen deutscher Völkerkundemuseen sehen kann, waren ausschließlich aus natürlichen Stoffen gebaut. Der Rumpf wurde aus einem Baumstamm geschnitzt. Das Tauwerk bestand aus Kokosfasern. Und die Segel wurden aus den Blättern des Pandanusbaumes geflochten. Durch ihre hochflexible Bauweise widerstanden die Vakas den Unbilden der hohen See. Für lange Seereisen wurde Proviant mitgenommen, Kokosnüsse dienten als Trinkwasservorrat. Unterwegs waren die Seefahrer auf Fischfang und Regenwasser angewiesen - und das Auftauchen einer (MUSIK ENDE). Ihre Entdeckungen hielten die Polynesier auf sogenannten “Stabkarten” fest. Sie bestehen aus den Rippen von Palmblättern, die mit Kokosfasern zu einer Art Gitter zusammengeflochten sind. Die sich kreuzenden Rippen stehen für vorherrschende Meeresströmungen und Windrichtungen. An ihnen befestigte kleine Muscheln markierten die Positionen von Inseln. Die Navigatoren, die in der polynesischen Kultur den vergleichbaren Rang von Hohepriestern oder Medizinmännern in anderen Kulturen hatten, benutzten solche Stabkarten als Unterrichtsmittel. Für Geoffrey Irwin waren sie die wahrscheinlich ersten Seekarten der Menschheit, allerdings nicht für die Reise gedacht, sondern zur Vorbereitung.
O-Ton Geoffrey Irwin
I think those things were aids for learning ...
Overvoice
Ich denke das waren eher Lernhilfen für den Unterricht. Die Schüler der Navigatoren mussten die Entfernung und die Lage jeder Insel zur nächsten wissen. Sie mussten das Verhalten der Fische und Wale kennen und natürlich die Strömungen, Winde und Dünungen. Die Stabkarten waren also eine Art Eselsbrücke. Zu dieser Zeit gab es bereits kognitive Karten des Pazifiks. Die Leute wussten schon, wo die Inseln waren. Das war also eine ganz andere Ausgangslage, als die Zeit, in der sie erstmals auf Entdeckungsreise gingen. Denn da wussten sie nicht, wo Land zu finden war. Als sie zum ersten Mal aufbrachen mussten sie strategisch vorgehen und ihr Überleben sichern.
... in terms of survival.
TC 08:25 – Vorbildliche Überlebensstrategien
ERZÄHLER
Die Strategie des Überlebens bestand einmal darin, gegen die vorherrschenden Winde, also nach Osten, zu segeln. Wenn längere Zeit keine Inseln auftauchten, konnte man so wenigstens wieder sicher zum Ausgangsort zurückkehren. Die Segel der polynesischen Vakas waren so gestaltet, dass sie fast gegen den Wind segeln konnten. Eine Technik, die europäische Seefahrer erst sehr viel später entwickelten. Die zweite Überlebensgarantie bestand darin, immer nur von einer Insel zur nächstgelegenen zu segeln und große Überfahrten zu vermeiden. Professor Irwin kann das mit wissenschaftlichen Daten untermauern:
O-Ton Geoffrey Irwin
And what the radio carbon dates say...
Overvoice
Die Radiokarbondatierung sagt uns, dass die Reihenfolge der Besiedelung in der Reihenfolge der Sicherheit erfolgte. Und die Inseln, deren Erreichen am riskantesten war, wurden zuletzt besiedelt. Neuseeland und die Chatham Islands waren die allerletzten Ziele, weil sie so gefährlich weit weg waren.
...dangerous place to go to.
MUSIK: Z9499303 101 (00’40’’)
ERZÄHLER
Die Radiokarbondatierung wurde eingesetzt, um die Spur der Polynesier mithilfe archäologischer Funde zu verfolgen. 1908 fand der deutsche Pater Otto Meyer auf einer Insel im heutigen Papua-Neuguinea verzierte Tonscherben. Die Ornamente waren keiner bis dahin bekannten Kultur zuzuschreiben und so nannte man sie nach ihrem Fundort "Lapita". Später fand man auch auf Inseln weiter im Osten Lapita-Scherben, wie z.B. in Vanuatu, Neukaledonien, Fidschi und Tonga. Damit war die Hypothese des norwegischen Anthropologen Thor Heyerdahl, nach der die Polynesier von Südamerika aus, also von Osten, den Pazifik besiedelt hätten, endgültig widerlegt. Die Spur der Lapita-Scherben führt eindeutig von West nach Ost (MUSIK ENDE). Die ersten pazifischen Seefahrer hatten kleine wendige und schnelle Vakas, die von zwei bis drei Personen gesegelt wurden, später auch große Reisekanus, auf denen ganze Großfamilien mit ihrem Hausrat unterwegs waren. Die kleinen Kanus waren die Kundschafter, die großen dienten der Völkerwanderung.
O-Ton Geoffrey Irwin
I think what's quite likely...
Overvoice
Wahrscheinlich sind die Kundschafter zuerst aufgebrochen. Das Land wurde zuerst entdeckt bevor die Migranten folgten. Der Pazifik ist eine riesige Wasserfläche und man wollte sicher nicht mit Männern und Frauen und Kindern, mit Schweinen, Hunden und Hühnern, Kokosnüssen und Pflanzen ins Ungewisse hinaussegeln. Erkundung und Entdeckung kamen zuerst und dann erst die Kolonisierung. Und wenn die Kolonisatoren segelten, dann direkt dahin, wo sie wussten, dass da Land zu finden war.
...land was to be found.
ATMO Maori-Sprechgesang
TC 11:19 – Die Maori auf den Spuren ihrer Vorfahren
ERZÄHLER
Eine Meeresbucht im hohen Norden Neuseelands. Tätowierte junge Männer blasen in Muschelhörner und skandieren mit den Frauen uralte Sprechgesänge - das Begrüßungsritual der Polynesier für heimkehrende Vakas (MUSIK: priv. CD: “Be Better Than Me” aus „Safe House“ [00’50’’]). Zwei Segel sind am Horizont aufgetaucht und steuern auf die Bucht zu. Sie gehören zu einer ganzen Flottille nachgebauter Vakas, die die Entdeckungsreisen der alten Polynesier nachvollzogen haben. Das Projekt, das von der deutschen Meeres-Stiftung OKEANOS finanziert wird, soll die lange vergessene Tradition der polynesischen Seefahrtkunst wiederbeleben. Die Besatzungen der Boote stammen fast ausschließlich von den Pazifikinseln und wurden von den alten Meistern der Navigation ausgebildet. Ihre Replika-Vakas sind aus modernen Verbundfaserstoffen gebaut und mit Solarzellen und neuesten Navigationsmitteln ausgestattet. GPS und Radar sind aber nur für den Notfall gedacht. Die jungen Seeleute setzen ihren ganzen Stolz daran, sich nur auf die Navigationskunst ihrer Vorväter zu verlassen (MUSIK ENDE). Dieter Paulmann, der Gründer der Stiftung Okeanos, will mit seinem Projekt den Pazifikinsulanern nicht nur ihre alte Kunst des Hochseesegelns zurückgeben, sondern sie damit auch mobiler und unabhängiger machen.
O-Ton Dieter Paulmann
Wie kann man diese wunderbare Navigation und Seemannskunst verbinden mit modernen Segeltechniken und Antrieben? Und wir sind darauf gekommen, dass wir diese alten Boote nachbauen, lokal, genau in der Art, ohne Nägel ohne alles, also mit Lashings, also mit Verknüpfung von Seilen, wie man das früher hatte. Und diese aber mit Solarantrieb versehen, mit Solarmodulen und Elektromotoren und damit unabhängiger vom Wind machen und damit zu einem wirklich einsatzfähigen Transportmittel zwischen den Inseln. Für Fischerei, Transport von Passagieren und Fracht und aber auch die Überwindung von großer Entfernung.
ERZÄHLER
Dieter Paulmanns Stiftung Okeanos hat sieben solche modernen Vaka-Repliken bauen lassen und sie in den vergangenen zwei Jahren auf Expeditionen durch den Pazifik geschickt. Auf den Routen ihrer Vorfahren konnten die jungen Navigatoren sich selbst und anderen beweisen, dass die Navigationskunst der alten Polynesier noch immer funktioniert.
O-Ton Dieter Paulmann
Sie waren die absoluten Meister in der Seefahrt, vor tausend Jahren, mit Booten, die gegen den Wind segelten, mit einer Navigation, die ihnen ermöglichte, über tausende von Meilen kleine Inseln im Ozean zu finden. Eine unglaubliche Meisterschaft, die sie dann natürlich nach dem Eintreffen europäischer Segelschiffe, dem Eintreffen von Dampfmaschinen und später dann auch öl- und benzinbetriebenen Motoren verloren haben. Weil es praktisch viel einfacher war, die europäischen Antriebe zu benutzen. Und heute, da die Treibstoffe so teuer werden und damit die Fortsetzung der Fischerei, des Transportes aus Kostengründen fast unmöglich machen, besinnen sie sich wieder. Indem sie das Beste aus ihrer Tradition, nämlich diesen Schiffsbau und die Navigation nehmen, aber mit modernen Antrieben der Solartechnik verbinden. Und das scheint mir die Zukunft zu sein: Das Beste aus der Vergangenheit mit dem Besten der Zukunft.
MUSIK: 9499303 101 (00’50’’)
TC 14:46 – Die Bedeutung der Vakas
ERZÄHLER
Die Bucht, an der die beiden Vakas anlegen, ist ein heiliger Ort der Maori.
Auf einem Hügel bilden rot angestrichene Götzenfiguren einen Kreis mit etwa hundert Metern Durchmesser. Es ist ein altertümlicher Kompass, eine Art polynesisches Stonehenge. Der Götzenkreis gehört zu einer Schule für Navigatoren, in der die überlieferte Kunst der polynesischen Navigation gelehrt wird. Die 32 Götzenfiguren markieren 32 Sektoren im Kreis. Mit ihnen lernen die Schüler, den Horizont in gleiche Abschnitte einzuteilen. Das hilft ihnen, auch auf See die Richtung zu bestimmen. Die Schüler auf den beiden Vakas waren weit weg, sehr weit. Von Neuseeland sind sie zur Osterinsel gesegelt, ans andere Ende des polynesischen Dreiecks. Dann über Tahiti und die Cook-Inseln wieder zurück nach Neuseeland. 15.000 Kilometer auf den Spuren ihrer Ahnen.
MUSIK: CD93696 009 (00’20’’)
ERZÄHLER
Piripi Smith hat sein Vaka zur Osterinsel gesteuert und kehrt mit stolzgeschwellter Brust zurück. Nicht nur, weil er diese 7.000 Kilometer entfernte Insel ohne Navigationsinstrument gefunden hat - nur mit dem Wissen seiner Ahnen. Sondern auch weil ihn diese Leistung mit Stolz auf seine Herkunft und Kultur erfüllt.
MUSIK ENDE
O-Ton Piripi Smith
Vakas mean everything for Maori...
Overvoice
Vakas bedeuten alles für uns Maori. Weil wir mit ihnen hierhergekommen sind, nach Aotearoa, das heißt: Neuseeland. So haben sich die Polynesier über den Pazifik ausgebreitet, mit Vakas. Der Vaka ist der Link, er verbindet die Leute von Insel zu Insel. Zum Beispiel: Die Vakas Takitimu und Tainui kamen vor 26 Generationen hier an. Also ist jeder mit einem bestimmten Vaka verbunden. Die Leute können feststellen, ob sie mit dir verwandt sind, wenn sie sagen können: Meine Vorfahren kamen auf dem gleichen Vaka.
...ancestors came on the same vaka.
MUSIK: priv. CD: „Don’t Kill Innocent People“ aus „Safe House“ (00’50’’)
ERZÄHLER
Es waren sieben Kanus, die Neuseeland vor rund 800 Jahren besiedelten. Sie kamen von den Cook-Inseln, über 3.000 Kilometer nordöstlich von Neuseeland. Dazwischen liegen keine Inseln. Also muss die Überfahrt außerordentlich entbehrungsreich gewesen sein. Die Menschen auf den sieben Kanus müssen am Ende ihrer Kräfte gewesen sein, als sie Aotearoa, das "Land der großen weißen Wolke" am Horizont auftauchen sahen. Jedes der sieben Kanus hatte einen Namen, aus denen sich dann die Namen der sieben Maoristämme Neuseelands ableiten. So wie der mittelalterliche Ritter von einer bestimmten Burg kam, die er im Namen trug, so identifiziert sich der Maori mit dem Kanu seiner Vorfahren. Für den Steuermann Piripi war die Fahrt zur Osterinsel wahrscheinlich das größte Erlebnis seines noch jungen Lebens.
MUSIK ENDE
O-Ton Piripi Smith
Yeah, totally...
Overvoice
Ja, total! Wenn du rausfährst, verändert das alles. Wenn du zuhause bist, dann schaust du Fernsehen oder liest die Zeitung. Aber das einzige, was du als Seefahrer siehst, ist der Himmel und das Meer. Auf die zwei Dinge konzentrierst du dich den ganzen Tag. Und plötzlich siehst du Dinge, die du nie sehen würdest.
...this type of lifestyle.
ERZÄHLER
Für Piripi war die Reise nicht nur eine Wiedervereinigung mit seinen Vorfahren, sondern auch mit deren Natur und Umwelt. Ein fast spirituelles Erlebnis.
O-Ton Piripi Smith
You can see ...
Overvoice
Du siehst, dass in diesen vergangenen Zeiten die Umwelt alles bedeutete für meine Vorfahren. Sie studierten sie, sie waren Experten in allem. Sie haben wirklich alles Wissen aufgesogen und das Beste war: sie haben es von Generation zu Generation weitergegeben. Und nach mehreren tausend Jahren hast du immer noch Experten über Experten, die dieses Wissen weitergeben. Und du bist auch definitiv mehr mit der Natur verbunden. Die Dinge die du da draußen siehst: Wale, Haie, Vögel ... nach einer Weile hast du das Gefühl, als ob der Geist des Meeres zu dir spricht.
...like it's talking to you.
TC 18:53 – Wie eine Reise ins Weltall
ERZÄHLER
Die Besiedelung des Pazifiks durch die Polynesier gilt als eine der größten seefahrerischen Leistungen der Menschheitsgeschichte. Sie kann nur verglichen werden, mit einer fiktiven Reise von Raumfahrern, die von einer überbevölkerten und unbewohnbar gewordenen Erde ins unendlich weite Weltall aufbrechen, auf der Suche nach bewohnbaren Planeten. Der Anthropologe Geoffrey Irwine findet den Vergleich gar nicht so weit hergeholt.
O-Ton Geoffrey Irwin
You can have as many people in a canoe...
Overvoice
Man kann so viel Leute in einem Kanu haben wie in einem Raumschiff. Sie reisen weit und sie reisen schnell. Sie nehmen ihre Wirtschaft und ihre Technologie mit sich. Und wenn sie angekommen sind, das haben die Polynesier gezeigt, können sie auch überleben.
...they can survive.
MUSIK: CD93696 009 (00’40’’)
ERZÄHLER
Der Song "Te Vaka" wurde von Ope Foa'i komponiert, dem Bandleader der gleichnamigen polynesischen Popgruppe. Ope Foa'i hat ihn seinen seefahrenden Vorfahren gewidmet, die vor rund tausend Jahren auch seine Heimatinseln, die Atollgruppe Tokelau besiedelt hatten. Im Song "Te Vaka" - das Boot - singt er von der Vision, von der diese ersten Seefahrer der Menschheit geleitet waren. Der Text geht etwa so:
Overvoice
Ich, der Leiter dieser Expedition, habe eine Vision: dass gleich hinter dem Horizont ein Ort ist, den wir unsere Heimat nennen werden. So rudert und rudert mit dem Gott von Tokelau. Rudert wie ein Mann.
ERZÄHLER
Und der Refrain:
Overvoice
Land! Land! Wir sind angekommen.
Land voraus, schaut, unser Land steigt auf.
MUSIK: priv. CD: „Be Better Than Me“ aus „Safe House“ (00’50’’)
ERZÄHLER
Für den Musiker Ope Foa'i steckt eine Menge Emotion in diesem Song:
O-Ton Ope Foa'i
Sometimes I'm in tears...
Overvoice
Manchmal breche ich in Tränen aus, wenn ich mir vorstelle, in so einem Vaka zu sein. Wenn ich versuche, nachzuerleben, was sie erlebt haben, diese Entbehrungen... Wenn man so viele Leute an Bord hat, ganze Familien, Kommunen. Die Verantwortung des Meister-Navigators war so groß. Stellt euch vor, ihr reist von Samoa nach Tahiti, oder von Tahiti nach Hawaii. Da reden wir nicht von 12 Stunden im Flugzeug, sondern von Monaten auf See! Und dann auf so engem Raum zu überleben, das war eine so emotionale Erfahrung.
...emotional experience.
ERZÄHLER
Unerschrocken stießen die Polynesier ins Unbekannte vor - wie Raumfahrer auf der Suche nach neuen Planeten. Auf dem Wasserplaneten Erde machten sie den größten Ozean zu ihrer Heimat.
TC 21:59 - Outro