Hoffen und Hoffnungslosigkeit, Quantenphysik und Terrorismus – #575
Aug 14, 2021
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Julia Ebner, Extremismusforscherin, diskutiert die Rolle von Hoffnung und Hoffnungslosigkeit in der Radikalisierung. Anton Zeilinger, Quantenphysiker, verknüpft Wissenschaft mit dem menschlichen Drang nach Veränderung. Beide beleuchten, wie extreme Ideologien Krisen ausnutzen und persönliche Resilienz in schwierigen Zeiten stärkt. Das Gespräch erforscht die Bedeutung von Gemeinschaft und Solidarität, um Hoffnungslosigkeit entgegenzuwirken. Schließlich wird die dringende Notwendigkeit eines positiven Dialogs in einer polarisierten Gesellschaft thematisiert.
Hoffnung wird als ambivalentes Element betrachtet, das sowohl aktive Veränderung als auch passive Lethargie hervorrufen kann.
Julia Ebner untersucht die Rolle von Hoffnungslosigkeit bei der Radikalisierung und deren Einfluss auf extremistische Ideologien.
Die gesellschaftliche Wahrnehmung von Hoffnung zeigt zeitliche Schwankungen, die eng mit historischen und sozialen Veränderungen verbunden sind.
Deep dives
Die Rolle der Hoffnung in der Gesellschaft
Hoffnung wird als zentrales Element betrachtet, das sowohl als Triebfeder für soziale Veränderungen als auch als mögliche Quelle der Passivität wirken kann. Der Philosoph Ernst Bloch betont, dass Unzufriedenheit mit dem Ist-Zustand eine notwendige Voraussetzung für Hoffnung ist, die keinen Stillstand, sondern eine aktive Dynamik hin zu Veränderung impliziert. In der Diskussion wird die ambivalente Natur von Hoffnung hervorgehoben, die sowohl als Motor für politischen und sozialen Fortschritt als auch als hinderlicher Anker fungieren kann. Dies wirft die Frage auf, wie Hoffnung effektiv genährt werden kann, um positive gesellschaftliche Entwicklungen zu fördern, ohne in eine gefährliche Lethargie zu verfallen.
Radikalisierung und Hoffnungslosigkeit
Julia Ebner thematisiert die Gefahren der Hoffnungslosigkeit und deren Verbindung zur Radikalisierung von Individuen in extremistischen Bewegungen. Sie erforscht die Dynamiken, die Menschen dazu bringen, radikale Ideologien zu übernehmen, und identifiziert ein tief verwurzeltes Gefühl der Perspektivenlosigkeit als gemeinsamen Nenner. Extreme Gruppen bieten oft eine Art Gemeinschaft, die Betroffenen das Gefühl von Zugehörigkeit und Kontrolle zurückgibt, während sie gleichzeitig das Gefühl der Hoffnungslosigkeit verstärken. Wie viele ihrer Interviewpartner betonen, wird Hoffnung oft in den Manifests extremistisch motivierter Gewaltakte als Abwesenheit von Hoffnung beschrieben, was die Brisanz des Themas unterstreicht.
Der Einfluss von Sprache und Begrifflichkeiten
Die Forschung zur Verwendung des Begriffs 'Hoffnung' in der deutschen Sprache zeigt zeitliche Schwankungen in der Häufigkeit seines Auftretens, die mit gesellschaftlichen Veränderungen korrelieren. Analysen belegen, dass nach Krisen wie dem Zweiten Weltkrieg Hoffnung Hochkonjunktur hatte, während Zeiten wirtschaftlichen und sozialen Wohlstands eher zu einem Rückgang der Verwendung führten. In den letzten Jahrzehnten hat sich die gesellschaftliche Wahrnehmung von Hoffnung gewandelt, und der Begriff erlebt aktuell ein Comeback. Das zeigt, dass gesellschaftliche Strömungen und individuelle Emotionen eng mit der Sprache verbunden sind und dass die Art und Weise, wie über Hoffnung gesprochen wird, deren Wahrnehmung beeinflusst.
Philosophische Perspektiven auf Hoffnung
Der Philosoph Giovanni Maio beschreibt Hoffnung als ein Offensein für das, was kommt, und betont, dass echte Hoffnung nicht nur an die Erfüllung von Wünschen gebunden ist. Er argumentiert, dass Hoffnung vielmehr bedeutet, die Unsicherheiten und Herausforderungen des Lebens akzeptieren zu lernen und vertrauensvoll in die Zukunft zu blicken. Diese Perspektive beleuchtet den Unterschied zwischen einer naiven Hoffnung und einer resilienten Haltung, die auf Selbstvertrauen basiert. Philips Vorstellungen über Hoffnung ermöglichen eine differenziertere Sichtweise, die über bloße Erwartungen hinausgeht und die individuelle Agency in schwierigen Zeiten stärkt.
Krisen und die Macht der Hoffnung
In Krisenzeiten hat Hope sowohl einen positiven als auch einen negativen Einfluss auf das individuelle und kollektive Verhalten. Während Hoffnung als Inspirationsquelle dienen kann, die Menschen motiviert, positive Veränderungen herbeizuführen, kann sie auch in eine gefährliche unternehmerische Perspektive umschlagen, die die Suche nach Sündenböcken und einfache Erklärungen fördert. Es wird argumentiert, dass in Zeiten von Krisen, wie der aktuellen Corona-Pandemie, die Gefahr besteht, dass Hoffnungslosigkeit die Menschen in radikale Bewegungen drängt, die versprechen, diese Hoffnungslosigkeit anzugehen. Daher ist es entscheidend, Möglichkeiten zu schaffen, um eine konstruktive und positive Form von Hoffnung in der Gesellschaft zu fördern.
Resilienz als Gegengewicht zur Radikalisierung
Die Förderung von Resilienz wird als Schlüssel zur Vorbeugung gegen Radikalisierung und Extremismus angesehen. Studien zeigen, dass die Entwicklung einer positiven Grundhaltung und der Zugang zu Perspektiven, die Hoffnung wecken, entscheidend sind, um Menschen vor extremistischen Ideologien zu bewahren. In der Bildungsarbeit wird betont, dass junge Menschen bereits in herausfordernden Situationen gehalten werden müssen, um sicherzustellen, dass sie nicht von extremen Ideologien angezogen werden. Persönliche Erfahrungsberichte von Menschen, die erfolgreich radikale Gruppen verlassen haben, belegen die Bedeutung von Hoffnung und menschlicher Verbindung als Ansätze für die Deradikalisierung.
Hoffnung – das klingt in einer von Naturwissenschaft und Technik geprägten Zeit jenseits des Aufklärerischen. Doch Hoffnung ist immer auch ein Wunschzustand. Ist Hoffnung also ein Motor für politische und soziale Veränderung? Oder macht Hoffnung im Gegensatz dazu passiv und untätig?
In zweiten Teil des Symposiums der Salzburger Festspiele 2021 treffen Personen aus völlig unterschiedlichen Disziplinen aufeinander, um Antworten auf diese Fragen zu finden – der Quantenphysiker Anton Zeilinger und die Extremismusforscherin Julia Ebner, die regelmäßig im FALTER publiziert. Moderiert wird das Symposium vom Journalisten Michael Kerbler, begrüßt hat Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler.