Was macht den Mensch zum Menschen? Während auch andere Tiere lernen, Werkzeuge gebrauchen, kommunizieren und kooperieren, scheint sich der menschliche Geist deutlich von dem der übrigen Tiere zu unterscheiden. Von Prisca Straub (BR 2020) CreditsAutorin dieser Folge: Prisca StraubRegie: Sabine KienhöferEs sprachen: Christian BaumannTechnik: Robin AuldRedaktion: Bernhard Kastner
Im Interview:Prof. Julia Fischer, Verhaltens- und Primatenforscherin am Deutschen Primatenzentrum in Göttingen; Prof. Thomas Suddendorf, Entwicklungspsychologe an der University of Queensland in Brisbane, Australien
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
SPRECHER
Unsere körperliche Ausstattung ist recht dürftig. Der Mensch kann weder besonders gut hören, noch besonders scharf sehen. Außergewöhnlich schnell oder überdurchschnittlich kräftig ist er auch nicht. Trotzdem neigen wir dazu, uns für etwas Besseres zu halten. Oder doch zumindest für anders als alle anderen Tiere auf diesem Planeten. An unserer Kraft, unserer Schnelligkeit, unseren Sinneswahrnehmungen kann es nicht liegen - da sind viele Tiere dem Menschen haushoch überlegen. Was also hat die Spezies Mensch so erfolgreich gemacht? Wo genau liegt der entscheidende Unterschied?
Atmo: 0‘37
SPRECHER
Werfen wir also einen Blick auf unsere genetischen Grundlagen. Ein Erbgutvergleich mit den sogenannten Großen Menschenaffen enthüllt zunächst einmal Erstaunliches: Rund 99 Prozent unserer Gene teilen wir mit unseren nächsten lebenden Verwandten - mit Schimpanse und Bonobo. Eine beeindruckende Zahl. Aber wie aussagekräftig ist ein Vergleich der Gensequenzen, wenn es darum geht, der Kluft zwischen Mensch und Tier auf die Spur zu kommen?
1 ZSP Julia Fischer 1
Das ist immer die Frage: Was heißt das, wenn man viele ähnliche Gene hat oder eine große Überlappung im Genpool hat? Wir teilen auch 30 Prozent unserer Gene mit der Kartoffel! Viele von diesen Genen sind sogenannte 'Housekeeping-Gene', die gewissermaßen für physiologische Funktionen da sind.
SPRECHER
Julia Fischer ist Biologin, Verhaltens- und Primatenforscherin und Professorin für ‚Kognitive Ethologie‘ und Leiterin der gleichnamigen Forschungsgruppe am Deutschen Primatenzentrum in Göttingen. Jahrelang hat sie das Verhalten von Affenpopulationen in freier Wildbahn beobachtet. - Die überwältigend große genetische Übereinstimmung zwischen Mensch und Menschenaffe ist wenig erstaunlich: Schließlich sind wir aus demselben Fleisch und Blut - unser Körperbau und unsere Körperfunktionen sind weitgehend deckungsgleich:
2 ZSP Thomas Suddendorf 1
Der Unterschied körperlich ist eigentlich gering. Da sind nur wenige Dinge: Wir haben längere Beine als Arme und laufen aufrecht. Wir haben eine Lederhaut in den Augen, die weiß ist, während die der anderen Primaten dunkel ist. Da kann man sehen beim Menschen, wo wir hinschauen. Frauen haben keine äußerlichen Anzeichen ihrer fruchtbaren Phasen und Menschen haben keinen Penisknochen. Das sind Unterschiede, aber nicht unbedingt Unterschiede, die sofort offensichtlich machen, was bei uns so besonders ist oder warum wir die Welt verändert haben - und andere Primaten immer noch in den Wäldern leben.
SPRECHER
Thomas Suddendorf ist Entwicklungspsychologe und Professor an der University of Queensland in Brisbane, Australien.
Z8030896114 Factual operation (reduced 2) 0‘42
Sein Spezialgebiet: die Evolution des menschlichen Geistes. Wie konnte der Mensch dieses außergewöhnliche Tier werden, das so viele Dinge tut, die andere Tiere nicht tun? Was motiviert uns Fußball zu spielen, Geburtstagsfeste zu veranstalten, ein Konto zu eröffnen.
Welche Merkmale erlauben uns, Weltraumteleskope zu bauen und über unsere eigene Existenz nachzudenken? Mehr als zehn Jahre hat Suddendorf systematisch Studienerkenntnisse gesammelt und 2013 in einem Standardwerk veröffentlicht. - Mit dem Titel: 'Der Unterschied. Was den Mensch zum Menschen macht'.
3 ZSP Thomas Suddendorf 1
(…) Ich denke, dass der Unterschied hauptsächlich darin zu finden ist, dass unser Geist sich entwickelt hat in einer Form, wie wir das bei anderen Tieren nicht sehen.
SPRECHER
Der menschliche Geist also. Macht er uns zu etwas Einzigartigem? Werfen wir zunächst einen Blick auf unser zentrales Steuerungsorgan, das Gehirn.
4 ZSP Thomas Suddendorf 2
Sicherlich spielt es eine Hauptrolle, weil das Gehirn die neurologische Basis für unseren Geist ist. Aber es ist nicht der Fall, dass wir das größte Gehirn haben. Die Gehirne von Säugetieren sind sehr ähnlich. Und doch haben wir mit unserem recht großen Gehirn - 1,2 bis 1,5 Kilogramm - nicht die größten Gehirne. Elefanten zum Beispiel haben Gehirne mit bis zu vier Kilogramm und Wale sogar bis zu neun Kilogramm.
Z8025542102 Brain puzzle (b) 0‘32
SPRECHER
Die absolute Gehirngröße ist also wenig aussagekräftig für geistige Leistungen. Sobald man jedoch die jeweilige Körpergröße in die Rechnung miteinbezieht, ändert sich das Bild: Die relative Gehirngröße des Menschen liegt nämlich deutlich über der Gehirngröße von Walen und Elefanten. Das menschliche Gehirn ist etwa siebenmal größer als es für ein durchschnittliches Säugetier seiner Größe zu erwarten wäre, erklärt Thomas Suddendorf:
5 ZSP Thomas Suddendorf 2
(…) Es stimmt wohl, dass, wenn man das Körpergewicht mit einbezieht, dann haben Menschen so zwei Prozent ihres Körpers Gehirn. Wale und Elefanten haben weniger als ein Prozent. Also sind wir da besser als die Wale, wenn Sie so möchten. Allerdings ist es nicht der Fall, dass alle Tiere weniger relative Gehirngröße haben. Einige Mäusearten haben bis zu zehn Prozent ihres Körpergewichts Gehirn. Also hat uns die Neurowissenschaft da bisher noch nicht ganz so weit gebracht.
C1576660110 working brain 0‘32
SPRECHER
Die Gehirngröße in unterschiedliche Relationen zu setzen - auch das führt schlussendlich nicht zu stichhaltigen Erkenntnissen über unsere geistigen Fähigkeiten. Wie sieht es mit weiteren Kriterien aus - Gehirnstruktur? Anzahl der neuronalen Verbindungen? Zelltypen? Beim systematischen Versuch, diese Zusammenhänge zu enträtseln, wirft die moderne Neurowissenschaft allerdings bisher mehr neue Fragen auf, als sie beantworten kann, erklärt Julia Fischer:
6 ZSP Julia Fischer 32
Die Größe des Gehirns ist wichtig, aber vor allem ist auch die Vernetzung des Gehirns wichtig. Welche Areale sind mit welchen verknüpft? Dann die Dichte der Neuronen? Da gibt es große Debatten. Was ist jetzt eigentlich wichtig? Ist das ganze Gehirn wichtig oder ist nur der Cortex wichtig? Da kann man trefflich drüber streiten und lange Debatten führen. Als Faustformel kann man schon sagen: Wenn das Gehirn relativ zur Körpergröße größer ist, dann sagt einem das was. Aber was das einem genau sagt, das muss man dann genauer angucken: Welche Areale des Gehirns sind eigentlich für was zuständig? Da wird es schon wieder nicht mehr so einfach, da wirklich klare Zusammenhänge herzustellen.
SPRECHER
Gehirngröße, Gehirnstruktur, Gehirnaktivität - nach jetzigem Stand können auch die Neurowissenschaften nicht endgültig klären, was genau den menschlichen Geist zu etwas Besonderem macht.
Wie also kann man das Vorhandensein oder die Abwesenheit geistiger Fähigkeiten bei Tieren systematisch feststellen? Um mehr darüber zu erfahren, was genau den Unterschied ausmacht, bleibt vorerst nur ein indirekter Weg - die vergleichende Verhaltensforschung.
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SPRECHER
Geist ist ein schillernder Begriff. - Wir können uns zum Beispiel Dinge vorstellen, die unseren Sinnen nicht direkt zugänglich sind. Wir haben eine Vorstellung von vergangenen Erlebnissen und können uns auch künftige Szenarien plastisch ausmalen. Wir sinnen über abstrakte Konzepte nach und stellen uns Fragen über unser eigenes Dasein.
Atmo 0‘8
Was in einem Tier vorgeht, darüber können wir zunächst nur mutmaßen. Hat ein Affe beispielsweise eine Vorstellung davon, was es heißt, ein Affe zu sein?
7 ZSP Julia Fischer 6
An diese Frage kommen wir nicht gut ran. Das ist, würde ich sagen, außerhalb unserer Reichweite. Ich gehe davon aus, dass Affen nicht dasitzen und sagen: 'Ja, ich bin ja eher jemand, der introvertiert ist' (lacht). Oder: 'Ich bin jemand, der immer Schwierigkeiten hat!' Also, dass sie so über sich selbst räsonieren. Davon gehe ich nicht aus. Aber ich kann das nicht nachweisen.
SPRECHER
Die vergleichende Entwicklungspsychologie hat in den vergangenen Jahrzehnten eine beeindruckende Reihe experimenteller Tests zur Erforschung von geistigen Fähigkeiten bei Tieren vorgelegt. Unter ihnen: der sogenannte Spiegeltest, den es inzwischen in vielen unterschiedlichen Varianten gibt. Zum Hintergrund: Ab einem gewissen Alter sind Kleinkinder in der Lage, ihr eigenes Abbild im Spiegel zu erkennen. Menschenkinder erwerben eine Vorstellung davon, wie sie aussehen - und zeigen sich im Test irritiert, wenn sich ihr Spiegelbild nicht mit ihren Erwartungen an das eigene Aussehen deckt.
Wenn man ihnen zum Beispiel einen Farbklecks auf die Stirn setzt. Viele unterschiedliche Vergleichsstudien haben ergeben: Auch bestimmte Tiere sind dazu in der Lage. Die Primatenforscherin Julia Fischer:
8 ZSP Julia Fischer 8
Der Spiegeltest ist ja schon lange Gegenstand der Debatte. (…) Wir haben als Menschen dauernd mit Spiegeln zu tun. Wir lernen irgendwann zu verstehen, dass das, was wir da sehen, wir selbst sind. Und wenn man Affen genügend Gelegenheit gibt, in den Spiegel zu gucken, dann lernen die das auch. Man hatte das erst bei Großen Menschenaffen gesehen oder auch bei Delfinen. Und jetzt gibt es auch eine Studie mit Rhesusaffen. Man hat den Rhesusaffen einfach lange Spiegel in ihren Käfig gestellt und irgendwann haben die verstanden, dass das miteinander zusammenhängt - was sie fühlen und was sie sehen da drüben. Das muss aber nicht unbedingt heißen, dass man ein Selbstverständnis hat und sagt: 'Das bin ja ich!' Oder ein Konzept hat: 'Ich bin ein Affe!' Das kann man daraus so oder so gar nicht schließen.
SPRECHER
Ein reiner Lerneffekt - oder tatsächlich eine komplexe Geistesleistung, die auf einem tieferen Verständnis von grundsätzlichen Zusammenhängen beruht?
Atmo 0‘17
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Ähnlich kompliziert ist die Frage, wie die Verwendung von Werkzeugen bei Tieren zu beurteilen ist. Schimpansen zum Beispiel knacken Nüsse mit Steinen oder angeln mit Stöckchen nach Termiten. Schaffen sich also Tiere - so wie Menschen - einen Werkzeugkasten an, mit dem sich künftig wieder auftretende, ähnliche Probleme lösen lassen? Und basteln sie vielleicht sogar eigens Werkzeuge für einen möglichen Gebrauch in der Zukunft?
9 ZSP Julia Fischer 28
Ja (lacht), das ist sehr schönes Bild mit dem Werkzeugkasten, das gefällt mir. Aber es gibt da keine Evidenz. Es gibt ein paar Berichte darüber, dass die Tiere zum Beispiel, wenn sie jetzt einen guten Stein gefunden haben zum Nüsse knacken, dass sie den aufheben. Aber es ist nicht so, dass man zum Beispiel kommunal irgendwie ein Lager hat, wo die ganze Gruppe sich bedienen kann. Oder: 'Wir haben hier die kleinen Steine für die kleinen Affen und die großen für die großen' oder so (lacht). Das gibt es auch nicht.
SPRECHER
Vielmehr fällt auf, dass die unbestreitbare Kreativität der Tiere beim Einsatz von Werkzeugen offenbar seit Jahrmillionen keine entscheidenden Technologiesprünge hervorgebracht hat. Erfinden Affen sozusagen das Rad jedes Mal wieder neu? Viele Experimente haben inzwischen gezeigt, zu welchen kognitiven Leistungen Tiere fähig sind - aber auch, wo ihre Grenzen liegen. Wie diese Befunde allerdings zu bewerten sind, das ist in der Wissenschaft nach wie vor umstritten. Es gibt beide Trends - einerseits die 'romantische Position', die das gemeinsame Erbe betont und mit verblüffenden Ergebnissen über tierische Leistungen aufwartet, die man eigentlich nur dem Menschen zugetraut hätte. Auf der anderen Seite: die sogenannten 'Spielverderber', die 'schlanke' Erklärungen bevorzugen. Zu ihnen gehört Julia Fischer:
10 ZSP Julia Fischer 9
Nein, ich bin da nicht so besonders romantisch veranlagt.
Julia Fischer 2
Es gibt eine Debatte in der Wissenschaft, wie wir das am besten verstehen können, was die Gemeinsamkeiten sind und was die Unterschiede. (…) Und ich denke, dass es einerseits die Suche danach gibt: Was sehen wir in den Affen, was wir mit ihnen teilen, was uns was darüber sagt, was gewissermaßen ein altes Primaten-Erbe ist. Und die andere Frage ist dann aber: Was ist denn Mensch-spezifisch? Worin unterscheiden wir uns, was macht uns aus? Was definiert uns als Mensch?
Z8030896104 Genetics 0‘16
SPRECHER
Also wenden wir nochmals den Blick: Weg von den mitunter erstaunlichen Gemeinsamkeiten zwischen Mensch und Tier - hin zu den ganz offensichtlichen Unterschieden. Finden wir heraus, was Tiere nicht können:
82221060W01 Glass 1. Akt 0‘32
SPRECHER
Menschen greifen auf Sprache zurück, um einander mitzuteilen, was in ihren Köpfen vor sich geht. Tiere tun das nicht. Die Fähigkeit zu sprechen ist eine der elementarsten menschlichen Eigenschaften. Unsere Sprachfähigkeit ist ein Alleinstellungsmerkmal. Womit natürlich keinesfalls behauptet werden soll, dass Tiere nicht kommunizieren.
Atmo 0‘41
Im Gegenteil! Tiere haben extrem ausgefeilte Kommunikationsstrategien - Bienen tanzen, Wale singen, Chamäleons kommunizieren über Farbpigmente in ihrer Haut. Tiere haben eine bemerkenswerte Fülle an akustischen, chemischen und visuellen Strategien, mit denen sie in der Lage sind, Informationen auszutauschen. Aber ist das Sprache? Julia Fischer hat Kommunikation und Sozialverhalten von Primatenpopulationen im Freiland erforscht. Über was also tauschen sich Affen untereinander aus?
11 ZSP Julia Fischer 19
Es geht um Futter. Nicht alle Arten interessanterweise, aber viele haben Futterlaute, wenn sie etwas Leckeres zum Fressen gefunden haben. Dann gibt es Alarmrufe, wenn Gefahr droht. Das haben wirklich wahnsinnig viele Tiere, das scheint einen hohen Überlebenswert zu haben, dass das unabhängig voneinander in verschiedenen Tiergruppen evolviert ist. Und dann gibt es diese sozialen Laute, also Protestschreie oder Drohlaute oder den Ausdruck von einer positiven Stimmung. Und das war es dann meistens auch schon. Dann gibt es vielleicht noch Paarungslaute. Oder die Männchen, die ihre Kampfkraft anzeigen, also 'Display-Laute' machen, wo man dann sehen kann, dass die Männchen jetzt in besonders toller Form sind. Die haben besonders lange Rufe oder besonders laute Rufe (lacht) oder die hören sich irgendwie noch toller an als andere. Aber es gibt da keine Gespräche.
Z8025542104 Statistic research 0‘35
SPRECHER
Was am menschlichen Kommunikationssystem einzigartig ist: Wir verwenden ein enorm komplexes, anpassungsfähiges und grundsätzlich offenes Sprach-System. Sprache wird erworben und verläuft bei allen Menschenkindern nahezu gleich –
Atmo 0‘10
sie beginnen zunächst mit Nachbrabblen.
Atmo 0‘5
Tierische Kommunikationsstrategien hingegeben sind angeboren. Sie werden evolutionär weitergegeben und sind damit wenig flexibel - und nahezu ausschließlich funktional:
12 ZSP Julia Fischer 18
(…) Wenn ein Affe sich einem anderen annähert, (…) dann machen die oft bestimmte Laute vorher, Grunzlaute zum Beispiel bei Pavianen. Und diese Grunzlaute signalisieren gewissermaßen eine gutmütige Einstellung, eine wohlwollende Attitüde, sodass der andere weiß: 'Oh, ich muss nicht aus dem Weg gehen!' Selbst wenn ein hochrangiges Tier kommt, macht aber diese Laute, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass der mir etwas tun wird, sehr gering. Und dann kann ich sitzen bleiben. Und dann krault er mir vielleicht sogar das Fell. (…) Die teilen sich dann schon etwas mit, nämlich: 'Ich tu dir nichts!', aber es bezieht sich nicht auf eine Idee, oder es ist nichts, wo wir sagen können: 'Ich sage zu Dir, ich tu Dir nichts!' Oder: 'Du musst keine Angst haben!' Sie haben auch keine verschiedenen Möglichkeiten sich auszudrücken, sondern sie drücken ihre Stimmung aus.
SPRECHER
Tiere unterhalten sich also nicht, so wie Menschen das tun. Sie teilen zwar ihre Stimmungen mit, geben Alarm- und Futterlaute - aber teilen keine Gedanken miteinander. Reicht es, Informationen auszutauschen oder muss man Geschichten erzählen können? Soweit wir wissen, erzählen sich Tiere keine Geschichten. Ihnen fehlt das Bedürfnis, sich über das auszutauschen, was sie gerade erlebt haben. Sie unterhalten sich weder über die Vergangenheit, noch machen sie Pläne für die Zukunft. Menschen machen das ständig. Der Entwicklungspsychologe Thomas Suddendorf spricht in diesem Zusammenhang von der Fähigkeit zum 'Entwerfen verschachtelter Szenarien':
13 ZSP Thomas Suddendorf 3
(…) Das heißt, unsere Vorstellungskraft, mit der wir uns Situationen, die wir nicht direkt wahrnehmen, vor Augen führen können. Zum Beispiel die Vergangenheit oder die Perspektive eines anderen oder auch zukünftige Szenarien. Wir können uns natürlich vorstellen, was wir morgen machen werden, oder die nächste Woche. (…) Wir stellen uns verschiedene Szenarien vor und können Versionen davon vergleichen und evaluieren. Zum Beispiel im Sinne von: Wie wahrscheinlich ist, dass die Situation so stattfinden wird? Oder wie wünschenswert ist das? Und dann suchen wir uns einen Plan aus und nicht einen anderen.
C1589890104 Forbidden business red. 0‘46
SPRECHER
Wir machen detaillierte Pläne. Wir sammeln Informationen, von denen wir glauben, dass sie uns später nützlich sein könnten. Wir malen uns Konsequenzen aus, indem wir über das Hier und Jetzt hinausdenken. Wir lernen von der Erfahrung anderer. Wir schlussfolgern, was im Kopf unserer Mitmenschen vor sich geht, und können deren nächsten Schritte vorhersagen - und vieles, vieles mehr. Nach allem, was wir bisher wissen, sind solche komplexen geistigen Leistungen ausschließlich dem Menschen vorbehalten. Julia Fischer über ihre Freilandbeobachtungen von Affen:
14 ZSP Julia Fischer 9
(…) Wir untersuchen Affen ja in Afrika. Und die leben in toll komplexen Gruppen. Die haben sehr ausdifferenzierte Sozialbeziehungen, die haben Freundschaften, die finden sich zurecht, die kennen sich genau aus in ihrer Gegend. Die kennen sich alle individuell, also das ist schon sehr beeindruckend, wie außergewöhnlich, auch individuell unterschiedlich die einzelnen Affen sind. Was das für Persönlichkeiten sind. Und dann leben die ihr Leben und trotzdem sind denen abstrakte Probleme verschlossen. Das ist für die einfach nichts, womit sie zu tun haben in ihrer Welt. Und dafür gibt es dann vielleicht auch gar keine besondere Notwendigkeit. Die können sehr viel lösen. Einfach, indem sie beobachten und einfache Schlüsse ziehen. Und damit kommt man sehr weit. Und das finde ich eigentlich faszinierend, wie weit man kommt im Leben, ohne dass man ein Crack in Mathematik ist.
SPRECHER
Menschen dagegen haben Imaginationsfähigkeit - also die Möglichkeit 'verschachtelte Szenarien' zu entwerfen. Und sie verfügen darüber hinaus sogar noch über eine ganz besondere Motivation: das tiefe Bedürfnis nach geistiger Verbindung, den Wunsch, sich in die geistige Welt der Mitmenschen sozusagen 'einzuklinken'. Bereits Kleinkinder haben den unbändigen Drang, ihren Geist mit dem anderer zu verknüpfen: Ständig wollen sie uns etwas zeigen und geben keine Ruhe, bis wir uns auf sie einlassen. Der Entwicklungspsychologe Thomas Suddendorf:
15 ZSP Thomas Suddendorf 4
Davon sehen wir in der Tierwelt eigentlich nichts. Menschen tun das permanent: (…) Das Austauschen über unsere Erfahrung. Die beste Art und Weise zum Beispiel, den zukünftigen Urlaubsort auszusuchen, ist, jemand zu fragen, der schon mal da war. Oder sich eine Karriere auszusuchen. Die beste Informationsquelle ist, jemanden zu fragen, der diese Karriere gemacht hat. Und wir geben uns gegenseitig Ratschläge. Wir erzählen Geschichten, und dadurch lernen wir. Durch die Erfahrungen anderer über die Welt können wir die eigenen Vorhersagen verbessern und natürlich auch besser kooperieren. Wir können gemeinsame Ziele erstellen in einer Art und Weise, wie wir das in anderen Tierarten so nicht finden.
C1595010105 sensitive thinking 0‘54
SPRECHER
Wir haben ein unstillbares Bedürfnis, unser Wissen mit anderen zu teilen, uns mental auszutauschen. Und Menschen geben ihr Wissen über Generationen weiter. Dadurch verfügen wir über einen gewaltigen, immer weiter wachsenden Schatz an wertvollen Erfahrungen, die wir selbst gar nicht gemacht haben müssen.
Wir können sogar Lösungen für Probleme finden, die noch gar nicht aufgetreten sind - und der nächsten Generationen nicht nur unsere Antworten, sondern sogar unsere offenen Fragen hinterlassen. Das gibt uns unendlich viele Möglichkeiten, die anderen Geschöpfen auf diesem Planeten verwehrt sind. Mit diesen Fähigkeiten hat der Mensch seine Welt verändert.