Demokratie und Ideologien - Verschwörungsmythen als Ersatz-Religion
Feb 21, 2025
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Oliver Hidalgo, Politikwissenschaftler an der Universität Passau, untersucht die brisanten Parallelen zwischen Verschwörungstheorien und Religionen. Er erklärt, wie digitale Medien diese Mythen verbreiten und welche psychologischen Mechanismen sie anfeuern. Zudem thematisiert er, wie Misstrauen gegenüber Eliten und Institutionen der Nährboden für diese Glaubenssysteme ist und warum sie eine Bedrohung für die Demokratie darstellen. Hidalgo beleuchtet auch den Einfluss von Identitätskrisen auf die Anfälligkeit für Verschwörungsglauben.
Verschwörungstheorien bieten Menschen Orientierung und Identität, indem sie Ohnmachtsgefühle überwinden und eine klare Weltanschauung schaffen.
Die Digitalisierung hat die Verbreitung von Verschwörungstheorien verstärkt und in einer komplexen Informationslandschaft Misstrauen und falsche Überzeugungen gefördert.
Verschwörungstheorien gefährden demokratische Systeme, indem sie das Vertrauen in Institutionen untergraben und zu gesellschaftlicher Spaltung und Radikalisierung führen.
Deep dives
Verschwörungstheorien als Ersatzreligionen
Verschwörungstheorien können als Ersatzreligionen betrachtet werden, da sie den Menschen Orientierung und Identität bieten. Diese Theorien helfen den Anhängern, Ohnmachtsgefühle zu überwinden und sich in einer komplexen Welt zurechtzufinden. Sie schaffen ein komplexes Lagerdenken, unterteilen die Welt in Gut und Böse, was zu einem massiven politischen Problem führt. Es wird festgestellt, dass diese Anziehungskraft sowohl eine Strahlkraft ähnlich der von Religionen hat, als auch zu einem Vertrauensverlust in politische Institutionen führt.
Die Rolle der Digitalisierung
Die Digitalisierung hat die Verbreitung von Verschwörungstheorien erheblich beschleunigt und diese auf einen neuen, problematischen Nährboden gestellt. Es wird auf Studien verwiesen, die besagen, dass in einigen Ländern bis zu zwei Drittel der Menschen an Verschwörungstheorien glauben. Diese neue Kommunikationslandschaft hat auch die Qualität der Informationsbeschaffung und -verbreitung verändert, sodass kritisches Misstrauen der Menschen oft in falschen Überzeugungen mündet. Das steigende Misstrauen zeigt sich besonders in Krisensituationen, in denen Verschwörungstheorien florieren.
Unterschiede zwischen Verschwörungstheorien und Religionen
Obwohl Verschwörungstheorien religiöse Züge annehmen können, unterscheiden sie sich in verschiedenen Aspekten von traditionellen Religionen. Religionen bieten in der Regel positive Heilsbotschaften und Räume für Selbstreflexion, während Verschwörungstheorien oft auf negativen Glauben basieren und keine positiven Lösungsansätze liefern. Zudem haben Verschwörungstheorien eine Tendenz zur Polarisierung, die die Gesellschaft spaltet, während Religionen Gelegenheiten zur interreligiösen Verständigung schaffen können. Dies schafft ein gefährliches Klima, in dem Unversöhnlichkeit und Feindbilder gedeihen.
Psychologische Aspekte von Verschwörungsglauben
Psychologisch gesehen sind Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben, oft durch ein hohes Maß an Misstrauen gegenüber anderen und den Institutionen geprägt. Diese Neigung zur Skepsis führt dazu, dass sie selektiv Informationen wahrnehmen und nur das akzeptieren, was ihren Überzeugungen entspricht. Der Glaube an Verschwörungen kann als Bewältigungsmechanismus fungieren, um mit Unsicherheiten in einer komplexen Welt umzugehen. Einsichten zeigen, dass autoritäre persönliche Strukturen und fehlende Resilienz ebenfalls zu dieser Anfälligkeit beitragen.
Demokratie und Verschwörungstheorien
Verschwörungstheorien stellen eine erhebliche Herausforderung für die Demokratie dar, da sie das Gefühl der Zusammengehörigkeit gefährden. Demokratische Systeme leben von der Akzeptanz gemeinsamer Regeln und Konfliktbewältigung, die durch Verschwörungsglauben destabilisiert werden können. Man merkt, dass das Vertrauen in demokratische Institutionen erodiert und eine Tendenz zur Radikalisierung und politischen Passivität sichtbar wird. In vielen Fällen wirken Verschwörungsmythen als Katalysatoren für Stimmen der Unzufriedenheit und tragen zur Spaltung der Gesellschaft bei.
Ein Vortrag des Politikwissenschaftlers Oliver Hidalgo Moderation: Katrin Ohlendorf
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Verschwörungsmythen haben große Strahlkraft – wie Religionen auch. Was diese beiden gemeinsam haben, was sie unterscheidet und welche Probleme daraus entstehen, darüber spricht der Politikwissenschaftler Oliver Hidalgo in seinem Vortrag.
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Oliver Hidalgo lehrt Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Politische Theorie an der Universität Passau. Verschwörungserzählungen und das Verhältnis von Politik zu Religion gehören neben anderen Themen zu seine Arbeitsschwerpunkten.
00:04:08 - Vorbemerkungen: Populäre Irrtümer über Verschwörungstheorien und mehr
00:13:58 - Forschungsergebnisse zu Verschwörungstheorien
00:23:43 - "Negativer Glaube": Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Religionen und Verschwörungsmythen
00:58:54 - Politische Brisanz: Verschwörungstheorien und Demokratie
01:13:27 - Vorschau auf die nächsten beiden Hörsaal-Folgen: Europa struggelt mit einer neuen Weltordnung und wie Wissenschaftsjournalismus besser werden könnte und sollte