Heinz Fischer, ehemaliger Bundespräsident Österreichs und Experte für die Zeitgeschichte, und Nina Horaczek, Chefreporterin des Falter und Rechtsextremismus-Expertin, diskutieren die Beziehung Österreichs zur Nazi-Vergangenheit. Sie beleuchten die Herausforderungen in der politischen Kultur und die Rolle von Erziehung. Themen wie die Liederbuch-Affäre und die Verbreitung von rechtsextremen Ideologien durch soziale Medien stehen ebenfalls im Fokus. Der Dialog fordert auch zu kritischem Denken im Umgang mit Populismus und Fake News auf.
Heinz Fischer betont die Bedeutung des Lernens aus der Geschichte der Ersten Republik, um autoritäre Ideologien in Österreich zu vermeiden.
Nina Horaczek warnt vor der Normalisierung von rechtsextremistischen Delikten und der anhaltenden antisemitischen Hetze innerhalb der FPÖ.
Das Bildungssystem und die Zivilgesellschaft müssen eine aktivere Rolle übernehmen, um die Werte einer offenen Gesellschaft zu fördern und zu verteidigen.
Deep dives
Historische Aufarbeitung des Nationalsozialismus
Die Diskussion thematisiert die nach wie vor relevante Frage, wie der Nationalsozialismus in der Zweiten Republik Österreich verarbeitet wurde. Ehemaliger Bundespräsident Heinz Fischer hebt hervor, dass die Gründergeneration der Zweiten Republik bewusst aus der Geschichte gelernt hat, um eine Wiederholung der Fehler der Ersten Republik zu vermeiden. Fischer betont, dass diese Generation sich von autoritären Ideologien ferngehalten hat, um die Demokratie zu sichern. Allerdings bleibt die Ideologie des Extremismus in Teilen der Gesellschaft weiterhin vorhanden, was Anlass zur Besorgnis gibt.
Rechtsextremismus in der heutigen Gesellschaft
Nina Horacek, eine Expertin für Rechtsextremismus, spricht über die anhaltende Präsenz von antisemitischer Hetze in FPÖ-Kreisen und die Liederbuch-Affäre, die auf Problemfelder innerhalb der politischen Kultur in Österreich hinweist. Die Erkenntnis, dass es 2018 über 1600 rechtsextremistische Delikte gab, verdeutlicht die Relevanz des Themas. Horacek ist besorgt über die Normalisierung solcher Vorfälle, während Fischer den Eindruck vermittelt, dass die Gesellschaft bestrebt ist, zu lernen und sich weiterzuentwickeln. Es wird jedoch auch hervorgehoben, dass das Lernen aus der Geschichte ein kontinuierlicher Prozess sein muss.
Bedeutung von Bildung und Zivilcourage
Die Notwendigkeit, die Lehren aus der Geschichte an die jüngeren Generationen weiterzugeben, wird als entscheidend erachtet. Fischer betont die Rolle des Bildungssystems, der Eltern und der Gesellschaft im Allgemeinen, um Zivilcourage zu fördern und für die Werte einer offenen Gesellschaft einzutreten. Es wird darauf hingewiesen, dass es die Verantwortung jedes Einzelnen ist, sich aktiv zu informieren und zu handeln, wenn Menschen aufgrund ihrer Identität ausgegrenzt werden. Diese proaktive Haltung ist wesentlich, um die Gesellschaft vor einem Rückfall in alte Muster zu schützen.
Der Einfluss der sozialen Medien auf Rechtsextremismus
Die Rolle der sozialen Medien wird als bedeutender Faktor im aktuellen Aufstieg des Rechtsextremismus angesehen. Horacek erwähnt, dass die FPÖ frühzeitig eigene Medienplattformen aufgebaut hat, um ihre Botschaften direkt an die Wähler zu kommunizieren und traditionellen Medien zu entgehen. Dies ermöglicht eine unzensierte Verbreitung von Informationen und Propaganda, was eine Herausforderung für die Gesellschaft darstellt. Die Qualität der Informationen hat sich verändert, und es ist wichtig, kritisches Denken und Medienkompetenz zu fördern.
Zukunftsperspektiven und gesellschaftliche Verantwortung
Fischer äußert sich optimistisch über die Zukunft und betont, dass die Gesellschaft aktiv gestaltet werden kann, um einen Rückfall in rechtsextreme Ideologien zu verhindern. Er bringt die Idee ein, dass jede Generation lernen und sich weiterentwickeln muss, um nicht die gleichen Fehler wie die Vorgänger zu wiederholen. Es wird jedoch auch betont, dass rechtsextreme Tendenzen nie vollständig verschwinden, sondern immer ein latentes Risiko darstellen. Der Diskurs über die Verantwortung des Individuums und der Gesellschaft wird als zentral für den Erhalt demokratischer Werte hervorgehoben.
Wie hat sich Österreichs Beziehung zur Nazi-Vergangenheit verändert und was sind die Folgen für die heutige politische Kultur? Der ehemalige Bundespräsident Heinz Fischer und FALTER-Chefreporterin Nina Horaczek liefern einen Rückblick und Ausblick auf den Umgang Österreichs mit seiner Zeitgeschichte.
Die Episode ist ein Mitschnitt der Veranstaltung "let's TALK ABOUT", die am 8. November 2019 im FH Joanneum in Graz stattfand.