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Jul 2, 2024 • 15min

Lieber im Kaffeehaus als in der Synagoge: Zionist Theodor Herzl

Der junge Herzl wollte alle Wiener Juden taufen lassen, dann ließ ihn der Antisemitismus in Europa umdenken. Am 03.07.1904 starb er als Wegbereiter des jüdischen Staats.Ein frommer Jude ist Theodor Herzl in seinen jungen Jahren nicht. Er geht nie in die Synagoge und isst lieber Sachertorte als "gefilte Fisch". Doch in Israel wird er heute noch gefeiert als Wegbereiter eines jüdischen Nationalstaats.Herzl hat offenbar ein oder mehrere Erweckungserlebnisse. So wird er während seiner Studentenzeit in Wien mit Antisemitismus konfrontiert und auf der Straße wüst beschimpft. Entscheidend ist aber vermutlich in den 1890er Jahren der Justizskandal um den französischen Hauptmann Alfred Dreyfus. Dabei erkennt Herzl, dass dieser Antisemitismus, den er schon in Budapest und Wien erlebt hat, nun auch in Frankreich – und damit überall – möglich ist. Für ihn ist klar: Die Juden brauchen ihren eigenen Staat, um dem Antisemitismus zu entkommen.Zunächst wird er für seine Idee zwar ausgelacht. Doch der erste Zionistenkongress in Basel, in dem er Juden aus aller Welt seinen Plan skizziert, wird ein riesiger Erfolg. Innerhalb weniger Monate ist Herzl ein weltweit bekannter Mann, reist in den nächsten Jahren zu Unterredungen mit den politischen Größen seiner Zeit.Obwohl er ein Buch "Der Judenstaat" schreibt, stellt sich Herzl eher ein jüdisches Gemeinwesen als einen Staat vor. Eine Art Kollektiv, in dem das Beste aus Europa übernommen werden soll, zum Beispiel im Bereich der Kultur. Die Araber in Palästina hält Herzl in der Mehrzahl für unzivilisiert – ein rassistischer Blick, der von der in Europa damals üblichen kulturellen Überheblichkeit zeugt. Herzl ist aber überzeugt davon, dass die europäischen Juden im Staate Zion Kulturarbeit leisten würden.Zwei Jahre vor seinem Tod mit nur 44 Jahren beschreibt Herzl in seinem Roman "Altneuland" seinen Traum von einem Staat ohne Militär, in dem Juden und Nichtjuden völlige Gleichheit genießen, in dem auch die Araber begeistert sind von einem jüdischen Gemeinwesen. Dabei wird deutlich: Theodor Herzl ist kein Staatsmann. Er ist ein Visionär. Und Vertreter einer Utopie.In diesem Zeitzeichen erzählt Almut Finck:Wie Herzl früh aus seinem Traum von der Assimilation erwacht,dass er sein Programm "Der Judenstaat" wie im Rausch schrieb,dass er über seine Vision sogar mit dem Papst sprach,warum er Paris, Rom oder Florenz neu aufbauen wollte,was man Theodor Herzl aus heutiger Sicht vorwerfen kann.Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:Michael Brenner (Historiker)Avineri, Shlomo: Theodor Herzl und die Gründung des jüdischen Staates. Berlin 2016.Brenner, Michael: Geschichte des Zionismus. München 2019.Penslar, Derek: Theodor Herzl. Staatsmann ohne Staat. Eine Biographie. Göttingen 2022.Weiterführende Links:Zeitzeichen 13.01.1898: "J´accuse" - In der Dreyfus-Affäre erscheint der offene Brief von Émile ZolaZeitzeichen 14.05.1948: Der Staat Israel wird gegründetZeitzeichen 16.10.1886: Der israelische Politiker David Ben Gurion wird geborenWelches Thema sollen wir im Zeitzeichen recherchieren? Gibt es Kritik oder Lob?Gerne her damit: Einfach schreiben an zeitzeichen@wdr.de Wir freuen uns auch über Bewertungen auf der Podcast-Plattform des Vertrauens! Das ganze Zeitzeichen-Archiv gibt’s hier.Die Macherinnen und Macher hinter diesem Zeitzeichen: Autorin: Almut FinckRedaktion: Carolin Rückl und Frank ZirpinsTechnik: Dirk Olach und Annette Skrzydlo
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Jul 2, 2024 • 15min

Ein Eigentor mit tödlichen Folgen: Der Fußballer Andrés Escobar

Kolumbien träumt bei der Fußball-WM 1994 vom Titel. Doch dann kommt das frühe Aus - auch wegen Andrés Escobars Eigentor. Wenige Tage später wird er ermordet.Anfang der 1990er Jahre gilt Medellín, die zweitgrößte Stadt Kolumbiens, als die gefährlichste Stadt der Welt. Das berüchtigte Kartell um Drogenboss Pablo Escobar geht mit Gewalt gegen alle vor, die sich ihm in den Weg stellen.Im Fußball zeigt sich ein anderes Kolumbien: jung, erfolgreich, voller Hoffnung. 1993 sichert sich das Land seinen Platz bei der WM in den USA im Folgejahr. Dort will Kolumbien der Welt zeigen, dass die Zeit der Negativ-Schlagzeilen vorbei ist.Doch es kommt anders. Als das Auftaktspiel verloren geht, kippt die Stimmung in Kolumbien. Vor dem zweiten Gruppenspiel gegen die Gastgeber USA erhält das Team Morddrohungen aus der Heimat. Das Spiel wird zur Tragödie. Andrés Escobar, der Abwehrspieler von Atlético Nacional aus Medellín, leitet mit seinem Eigentor die Niederlage ein. Kolumbien ist am Boden. Und auf der Suche nach einem Schuldigen für das frühe Ausscheiden.Drei Tage nach dem Ausscheiden reist Andrés Escobar zurück in seine Heimatstadt Medellín - entgegen allen Warnungen. Was dann in der Nacht vom 1. auf den 2. Juli 1994 genau geschieht, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Klar ist: Auf dem Parkplatz einer Bar eskaliert ein Streit. Ein Mann zieht eine Waffe, es fallen sechs Schüsse. Sie treffen Andrés Escobar.Der Schock im Land über die Tat ist groß. Über 100.000 Menschen begleiten seinen Trauerzug, auch Präsident Gaviria würdigt den ermordeten Fußballspieler. Ein Tatverdächtiger wird später wegen Mordes verteilt. In diesem Zeitzeichen erzählt Bastian Kaiser:warum der Mörder Escobars schon nach elf Jahren wieder auf freien Fuß kam,welchen Einfluss die Mafia auf die WM-Mannschaftsaufstellung 1994 hatte,dass der letzte Mord im Fußball-Umfeld in Kolumbien erst wenige Monate her ist,wie Andrés Escobar heute in Kolumbien verehrt wird.Das sind unsere wichtigsten Interviewpartner:Alejandro Pino Calad (Sportjournalist)Andrés Dávila (Professor für Politikwissenschaft)Weiterführende Links:Stichtag 02.12.1993: Drogenkönig Pablo Escobar wird erschossenYoutube: "Die zwei Escobars - Kolumbien, der Fußball und die Drogen" (Trailer zur Dokumentation aus dem Jahr 2010)Welches Thema sollen wir im Zeitzeichen recherchieren? Gibt es Kritik oder Lob?Gerne her damit: Einfach schreiben an zeitzeichen@wdr.de Wir freuen uns auch über Bewertungen auf der Podcast-Plattform des Vertrauens! Das ganze Zeitzeichen-Archiv gibt’s hier.Die Macherinnen und Macher hinter diesem Zeitzeichen: Autor: Bastian KaiserRedaktion: Matti HesseTechnik: Nicolas Dohle
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Jun 30, 2024 • 15min

Schriftsteller, Liebhaberin, Produktivitätswunder: George Sand

Die am 01.07.1804 geborene Sand trägt Hosen, männliche Pronomen und Männernamen. Sie verfasst 180 Werke. Als Sozialistin setzt sie sich für ein freieres Frankreich ein.George Sand wird am 1. Juli 1804 als Aurore Amantine Lucille Dupin geboren. Väterlicherseits stammt sie aus adligem Hause, aber ihre Mutter ist eine einfache Vogelhändlerin aus dem Volk. Als der Vater stirbt, ist Aurore gerade vier Jahre alt.Die adlige Großmutter nimmt das Kind zu sich auf das Landschloss Nohant. Die Mutter bleibt in Paris und bekommt das Kind nur bei gelegentlichen Besuchen zu Gesicht.George Sand wird eine der berühmtesten und umstrittensten Schriftstellerinnen des 19. Jahrhunderts. In Männerkleidung kämpft sie für die Gleichstellung der Frau und hinterlässt mit 180 Bänden ein vielschichtiges literarisches Werk.Auch ihre Liebesbeziehungen tragen zu ihrer Berühmtheit bei. So ist sie viele Jahre mit Frédéric Chopin liiert. In dieser Zeit entsteht mit dem Buch "Ein Winter auf Mallorca" über eine gemeinsame Reise dorthin eines ihrer literarischen Meisterwerke.Oft wird ihr Leben vor allem auf diese Beziehungen zu berühmten Männern und auch Frauen verkürzt, doch George Sand ist von Anfang an hochbrisant und politisch. In ihren Büchern erobern Frauen sich verbotene Freiräume, wird freie Liebe gelebt oder es werden Menschen als Frauen geboren, aber als Männer aufgezogen.In ihren letzten Jahren pflegt sie ihre tiefe Freundschaft zu Gustave Flaubert. Die Korrespondenz der so unterschiedlichen Freunde ist ein anrührendes Zeitzeugnis sowie ein Dokument der Kunstgeschichte. Als George Sand im Juni 1876 stirbt, heißt es von Victor Hugo: "Ich trauere um eine Tote und grüße eine Unsterbliche!" Ihr enger Freund Flaubert schreibt nur: "Sie fehlt mir."In diesem Zeitzeichen erzählt Murat Kayı:Womit der französische Ministerpräsident zu George Sands Lebzeiten die arme Pariser Bevölkerung auf die Barrikaden treibt,warum Sands erster Gatte sich als Flop erweist,wieso George Sand nach dem damaligen Eherecht von ihrem Mann mit Geld unterstützt wird, das ihr sowieso schon gehört,wie George Sand zu ihrem Pseudonym findetwarum George Sand von der Landbevölkerung "die Gute Dame von Nohant" genannt wird.Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:Beate Rygiert, Autorin und MusikwissenschaftlerinDr. Armin Strohmeyr, Literaturwissenschaftler und AutorBeate Rygiert: Die Sprache der Liebe, 2019Armin Strohmeyr: Glauben sie nicht zu sehr an mein satanisches Wesen, Freiburg 2016George Sand: Histoire de ma vie. Frankreich 1855André Maurois: Lélia ou la vie de George Sand. Frankreich 1952Weiterführende Links:Planet Wissen: Geschichte des FrauenwahlrechtsStichtag: 01. März 2010 - Vor 200 Jahren: Frédéric Chopin wird geborenWelches Thema sollen wir im Zeitzeichen recherchieren? Gibt es Kritik oder Lob?Gerne her damit: Einfach schreiben an zeitzeichen@wdr.de Wir freuen uns auch über Bewertungen auf der Podcast-Plattform des Vertrauens! Das ganze Zeitzeichen-Archiv gibt’s hier.Die Macherinnen und Macher hinter diesem Zeitzeichen: Autor: Murat KayiRedaktion: Carolin Rückl und David Rother
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Jun 29, 2024 • 13min

Das erste Opfer der "Bestie des Gévaudan"

Am 30.6.1794 wird eine junge Bauerntochter in den dichten Wäldern Südfrankreichs tot aufgefunden, grausam zugerichtet - von einem Riesen-Wolf? Etwa 100 weitere Opfer folgen und ein Schreckensmythos entsteht...Mitte des 18. Jahrhunderts versetzt eine mysteriöse Kreatur die Menschen im abgelegenen Gévaudan in Angst und Schrecken. Diese Region im Süden Frankreichs, geprägt von dichten Wäldern und schroffen Felsen, ist Schauplatz einer grausamen Serie von Angriffen. Innerhalb von drei Jahren werden hier mehr als 100 Menschen, vor allem Frauen und Kinder, Opfer einer Bestie, deren wahre Natur bis heute Rätsel aufgibt.Augenzeugen berichten von einer Mischung aus Wolf, Leopard und Bär. Der Fantasie – und Angst - scheinen keine Grenzen gesetzt zu sein. Regierung und Kirche nutzen die Panik, um ihre Macht zu festigen. Dragoner und Jäger werden entsandt, der Bischof von Mende erklärt, die Bestie sei eine Strafe Gottes. Erst drei Jahre später gelingt es dem örtlichen Jäger Jean Chastel schließlich, ein ungewöhnlich großes Tier zu erlegen. Die Angriffe hören auf, doch das Mysterium bleibt: War es ein übergroßer Wolf, ein hybrides Raubtier oder sogar das Ergebnis menschlicher Intrigen? In diesem Zeitzeichen erzählt Herwig Kratzer:wie die Presse die Angst der Menschen schürt und die Bestie zum nationalen Gesprächsthema macht warum der Bischof von Mende die Situation weiter anheizt,wie hunderte von Soldaten und Jäger vergeblich versuchen, die Bestie zu erlegen,warum die Rolle des Jägers, der die Bestie schließlich erlegt, Fragen aufwirft, und wie die wahre Natur der Bestie und die Hintergründe der Angriffe bis heute Rätsel bleiben. Das sind unsere wichtigsten Quellen:Utz Anhalt, Serienmörder der Geschichte. Die Bestie vom Gevaudan. In: Karfunkel. Zeitschrift für erlebbare Geschichte. Band 97, 2011, S. 24–31.Jay M. Smith, Monsters of the Gévaudan. The Making of a Beast, London 2011. Richard H. Thompson, Wolf-Hunting in France in the Reign of Louis XV. The beast of the Gevaudan, New York 1992. Und sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:Dr. Utz Anhalt, Historiker und Autor; Jean Paul Chabrol, HistorikerWeiterführende Links:Karl-Hans Taake, Vom „Bauernschreck“ der Lavanttaler Alpen bis zu den französischen „Bestien“, in: Zeitschrift für Anomalistik, Band 22 (2022), S. 136–155.Welches Thema sollen wir im Zeitzeichen recherchieren? Gibt es Kritik oder Lob?Gerne her damit: Einfach schreiben an zeitzeichen@wdr.de Wir freuen uns auch über Bewertungen auf der Podcast-Plattform des Vertrauens! Das ganze Zeitzeichen-Archiv gibt’s hier.Die Macherinnen und Macher hinter diesem Zeitzeichen: Autor: Herwig Katzer Redaktion: David Rother
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Jun 28, 2024 • 15min

Übergabe des römisch-deutschen Königs Otto III. an dessen Mutter

Heinrich der Zänker hatte ihn zuvor in seiner Hand, es geht um die Macht im Reich. Da ist Otto III. drei Jahre alt. Am 29.6.984 wird er an seine Mutter übergeben.Ende des 10. Jahrhunderts sind die Zeiten unruhig. Kaiser Otto II. will wenigstens für die Zukunft etwas Gutes auf den Weg bringen. Deshalb lässt er in Verona seinen kleinen Sohn zum König wählen: Otto III. Ohne Vater und Mutter tritt der Kleine in Begleitung zweier Erzbischöfe die Reise gen Norden an. Weihnachten 983 wird der Dreijährige in Aachen zum König gekrönt und gesalbt. Doch dann bringt ein Bote aus Rom die Nachricht vom Tod Ottos II.Es ist ein Rätsel, warum die Mutter Theophanu nicht zu ihrem Sohn eilt. Stattdessen geht Heinrich der Zänker als nächster männlicher Verwandter selbstverständlich davon aus, dass der kleine König unter seine Fittiche gehört. Vielleicht hegt er aber auch die Hoffnung, auf diesem Weg irgendwann selbst König zu werden.Die Ottonen hingegen wollen die Nachfolge des ältesten Sohnes durchsetzen: Auf Otto den I. folgt sein ältester Sohn Otto II.. Der lässt seinen Sohn Otto III. krönen. Monate später kommt es im thüringischen Rara bei Meiningen zum Showdown. Königshof und Kloster sind überfüllt von den Anhängern Theophanus und Adelheids, die alle dem Kind-König die Treue geloben und bereit sind, dafür zu kämpfen. Heinrich der Zänker kommt ebenfalls mit einer großen Zahl Getreuer, muss aber einsehen, dass er einen militärischen Konflikt nicht gewinnen kann und übergibt Otto III. an dessen Mutter. In diesem Zeitzeichen erzählt Maren Gottschalk:dass das Ritual von Salbung und Krönung sicherlich nicht kindgerecht war,warum im 10. Jahrhundert das Kindeswohl in Königshäusern keine Priorität hat,wie Heinrich der Zänker den kleinen König als Faustpfand nutzt,warum ein Himmelszeichen zwar einen schönen Effekt hat, Heinrich der Zänker aber durch etwas ganz anderes zum Einlenken gebracht wird.Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:Prof. Dr. Bernd Schneidmüller, Seniorprofessor an der Universität HeidelbergBernd Schneidmüller, Stefan Weinfurter (Hrsg.): Otto III. – Heinrich II. Eine Wende? (Mittelalter-Forschungen. Band 1). Thorbecke. Sigmaringen 1997.Ekkehard Eickhoff: Kaiser Otto III. Stuttgart 1999.Gerd Althoff: Otto III. WBG-Bibliothek. Darmstadt 1996.Weiterführende Links:Zeitzeichen: 14.04.972 - Otto II. heiratet Prinzessin TheophanuStichtag: 15. Juni 991 - Kaiserin Theophanu stirbt in NimwegenWelches Thema sollen wir im Zeitzeichen recherchieren? Gibt es Kritik oder Lob?Gerne her damit: Einfach schreiben an zeitzeichen@wdr.de Wir freuen uns auch über Bewertungen auf der Podcast-Plattform des Vertrauens! Das ganze Zeitzeichen-Archiv gibt’s hier.Die Macherinnen und Macher hinter diesem Zeitzeichen: Autorin: Maren GottschalkRedaktion: Matti HesseTechnik: Sascha Schiemann
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Jun 27, 2024 • 15min

28.06.1969: Stonewall-Unruhen prägen den Christopher Street Day

Bei einer Razzia in einer New Yorker Bar widersetzen LGBTQ-Personen sich der Polizei. Es folgen tagelange Straßenkämpfe - und ein jahrzehntelanger Kampf um Anerkennung.Wenige Stunden nachdem viele schwule Fans Judy Garland – eine Ikone der queeren Community – zu Grabe getragen haben, treffen sie sich im "Stonewall Inn". Die Bar in der Christopher Street ist eine der wenigen Kneipen für queere Menschen in New York. Dass es überhaupt einen Treffpunkt für queere Menschen gibt, gefällt im konservativen Amerika der 1960er Jahren vielen nicht. Und so kommen auch in der Nacht zum 28. Juni 1969 wieder einmal Polizisten ins "Stonewall Inn", um die Feiernden zu schikanieren. Nichts Neues für die queere Community. Nur diesmal ist die Stimmung in der Bar aufgeheizter.Und draußen tobt bereits ein Kampf, von dem nicht klar ist, wer genau ihn begonnen hat. Aber in dieser Nacht entlädt sich eine lange aufgestaute Wut. Steine und Flaschen fliegen auf Polizisten und es gelingt den Demonstrierenden, Gefangene aus den Polizeitransportern zu befreien. Es sind vor allem queere Latinos und Schwarze, die genug haben von den oft rassistischen, schwulenfeindlichen Drangsalierungen der Polizei. Die Unruhen in der Christopher Street ziehen sich über mehrere Tage hin, immer mehr Menschen schließen sich den Protesten an. Es ist die Geburtsstunde für eine weltweite LGBTQ+-Bewegung für Gleichberechtigung und Akzeptanz – ein Kampf, der bis heute anhält. In diesem Zeitzeichen erzählt Christiane Kopka:von der Verfolgung der Schwulen im Nationalsozialismus, die nach Kriegsende anhält,über den Paragraf 175 im bundesdeutschen Strafgesetzbuch, der Homosexualität bis 1969 unter Strafe stellt und erst 1994 endgültig abgeschafft wird, vom Versteckspiel und dem damit verbundenen Leid vieler Homosexueller, weil sie sich nicht outen konnten,warum heute weltweit der CSD, der Christopher Street Day, als buntes Protest-Fest begangen wird,dass die Gewalt gegen queere Menschen zuletzt wieder zugenommen hat.Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:Heiner Schulze (Sozialwissenschaftler, Schwules Museum Berlin)Reinhard Schmidt (Düsseldorf, Aktivist, Mitbegründer der ersten deutschen Schwulengruppe)Reinhard Schmidt (Hrsg.): HAG Homosexuelle Aktionsgruppe Bochum: Beginn der homosexuellen Emanzipation im Jahr 1970. 2021Linus Giese (Hrsg.): Pride! Eine kurze Geschichte der LGBTQ+-Bewegung. München. 2022Erinnerung, Sichtbarkeit und Emanzipation: Christopher Street Days (Regenbogenportal)Weiterführende Links:Deutschlands erste Schwulen-Demo in Münster"Schwulen-Paragraph" wird abgeschafftEhe für alle wird eingeführtUnterzeichnung des LebenspartnerschaftsgesetzGeburtstag Judy GarlandAudiothek-Tipp: Zeitreise in die Münchner Disco-Ära der 80er Jahre. Plötzlich ist von einem neuen Virus die Rede. Die queere Szene erlebt Angst, Unwissenheit und Ausgrenzung. Der Podcast "I will survive" erzählt den Kampf gegen die AIDS-Krise und was heute daraus geworden ist.Welches Thema sollen wir im Zeitzeichen recherchieren? Gibt es Kritik oder Lob?Gerne her damit: Einfach schreiben an zeitzeichen@wdr.de Wir freuen uns auch über Bewertungen auf der Podcast-Plattform des Vertrauens! Das ganze Zeitzeichen-Archiv gibt’s hier.Die Macherinnen und Macher hinter diesem Zeitzeichen: Autorin: Christiane KopkaRedaktion: Carolin Rückl und Frank ZirpinsTechnik: Theo Kramer
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Jun 26, 2024 • 14min

Ohne ihre Melodie keine Geburtstagsparty: Mildred Hill

Am 27.6.1859 wird Mildred Hill geboren: die Musiklehrerin, die ein Morgenlied für einen Kindergarten komponiert. Als Geburtstagssong "Happy Birthday" erobert es von Kentucky aus die Welt.Die Schwestern Mildred J. Hill und Patty Smith Hill arbeiten im "Louisville Experimental Kindergarten". Was heute weltweit als "Happy Birthday to You" bekannt ist, komponiert Musiklehrerin Mildred ursprünglich als Begrüßungslied für den Kindergarten. Patty schreibt den ursprünglichen Text "Good Morning to All". Ein Jahr später ergibt es sich bei einer Geburtstagsfeier, dass Patty das Lied in das heute gesungene Happy Birthday umtextet. Das Lied geht um die Welt, denn es ist betörend einfach - bis auf eine kleine Stelle.Es ist der für Selten- oder Hobbysänger gefürchtete Oktavsprung, der Sprung über acht Töne beim dritten "Happy Birthday" im Liedchen. An ihm scheitert das melodische Ständchen oftmals und wird ziemlich schräg.Derartige Probleme hat die Schauspielerin Marilyn Monroe 1962 hörbar nicht, als sie dem damaligen US-Präsidenten John F. Kennedy das Ständchen ins Mikrophon haucht. Nach dem Tod der Schwestern Hill sichern sich nacheinander zwei Musikverlage die Rechte an dem Stück und verlangen Geld für die öffentliche Nutzung zum Beispiel in Filmen oder Werbung. Erst 2015 wird das Lied gerichtlich zum Allgemeingut erklärt, das jeder kostenfrei verwenden darf. Der Musikverlag Warner Chappell willigt in einen Vergleich ein und zahlt 14 Millionen Dollar an diejenigen zurück, die das Lied öffentlich genutzt hatten. In diesem Zeitzeichen erzählt Irene Geuer:Warum Morgenlieder für hibbelige Kindergartenkinder ein wichtiges Ritual sind,warum viele Filmemacher lange Zeit lieber "For He’s a Jolly Good Fellow" als "Happy Birthday" nutzen,warum in Deutschland länger für die öffentliche Nutzung des Liedes bezahlt werden muss als in den USA,warum wir überhaupt Geburtstag feiern.Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:Jürgen Terhag, Professor em. für Musikpädagogik an der Hochschule für Musik und Tanz Köln.Jeremy Gartner, Medienanwalt, Köln.Stefan Heidenreich, Kunst- und Medienwissenschaftler, Berlin, BuchautorStefan Heidenreich: Geburtstag. Wie kommt es, dass wir uns selbst feiern, Carl Hanser Verlag, 2018.Weiterführende Links:Stichtag: 01. Juni 2006 - Vor 80 Jahren: Norma Jean Baker in Los Angeles geborenPlanet Wissen: John F. KennedyWelches Thema sollen wir im Zeitzeichen recherchieren? Gibt es Kritik oder Lob?Gerne her damit: Einfach schreiben an zeitzeichen@wdr.de Wir freuen uns auch über Bewertungen auf der Podcast-Plattform des Vertrauens! Das ganze Zeitzeichen-Archiv gibt’s hier.Die Macherinnen und Macher hinter diesem Zeitzeichen: Autorin: Irene GeuerRedaktion: Christoph Tiegel und David Rother
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Jun 26, 2024 • 14min

Am 26.6.1284: Der Rattenfänger entführt die Kinder von Hameln

Ein Märchen - oder ein Mord? Oder reden wir über junge Auswanderer? Das Zeitzeichen geht der Geschichte um den legendären Rattenfänger von Hameln nach...Die Geschichte geht so: Ein Mann kommt nach Hameln, vertreibt auf Wunsch der Bürger mit seiner Flöte Ratten und Mäuse aus der Stadt. Doch statt ihm wie versprochen zu entlohnen, jagen sie den Fremden weg. Der rächt sich und kommt am 26. Juni 1284 zurück in die Stadt. Nur dieses Mal zieht er mit seiner Flöte keine kleine Nager in seinen Bann, sondern verschwindet mit 130 Kindern auf Nimmerwiedersehen durch das Osttor der Stadt.Über den Wahrheitsgehalt der Legende wird seit Jahrhunderten spekuliert. Die einen sind Anhänger der Vertuschungs-Theorie: Die Jugend der Stadt habe zu ausschweifend gefeiert und musste gezüchtigt werden. Dabei sei es entweder zu geplanten Morden oder einem ungewollten Unglück gekommen. Andere vermuten eine freiwillige Auswanderung gen Osten, wie sie seinerzeit nicht unüblich war. Doch bis heute fehlen klare Beweise, die Indizienlage ist dünn. Steckt hinter dem Rattenfänger ein jahrhundertealter Cold Case oder nur heiße Luft? Wie auch immer, Hameln lebt ganz gut vom Mythos des Rattenfängers.In diesem Zeitzeichen erzählt Ralph Erdenberger:welche Hinweise eine Inschrift zum Verbleib der Kinder gibt,warum sie möglicherweise freiwillig einem Fremden gefolgt sein könnten,ob Ratten überhaupt auf Musik reagieren und dem Mann mit der Flöte gefolgt sein können,welche Rolle ein um Sittlichkeit bemühter Graf gespielt haben könnte,was hinter der "Teufelsküche" steckt.Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:Michael Boyer, spielt den Rattenfänger von HamelnGernot Hüsam, Heimatforscher Dr. Jürgen Udolph, Institut für Namensforschung, LeipzigErik Schmolz, UmweltbundesamtWeiterführende Links:Stichtag zum Rattenfänger von HamelnUnser Audiothek-Tipp: The Belles - eine Fantasy-Hörspiel-Serie nach Dhonielle ClaytonWelches Thema sollen wir im Zeitzeichen recherchieren? Gibt es Kritik oder Lob?Gerne her damit: Einfach schreiben an zeitzeichen@wdr.de Wir freuen uns auch über Bewertungen auf der Podcast-Plattform des Vertrauens! Das ganze Zeitzeichen-Archiv gibt’s hier.Die Macherinnen und Macher hinter diesem Zeitzeichen: Autor: Ralph ErdenbergerRedaktion: David Rother
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Jun 24, 2024 • 15min

Michael Jackson - vor 15 Jahren stirbt der King of Pop

Als Musiker und Tänzer setzt er neue Maßstäbe, wird zum Weltstar - und zur tragischen Skandalfigur. Am 25.6.2009 stirbt Michael Jackson durch ein Narkosemittel.Michael Jackson, der außergewöhnliche Musiker, der begnadete Tänzer, der Jahrhundertkünstler, der King of Pop. Aber eben auch: die tragische Skandalfigur. Immer wieder stehen Vorwürfe im Raum, Michael Jackson habe Minderjährige missbraucht. Weil Michael und seine Geschwister ungewöhnlich musikalisch sind, gründet der Vater 1964 das Trio "The Jackson Brothers". Als Michael und Marlon zwei Jahre später dazu kommen, nennt der Vater die Gruppe in "The Jackson Five" um. Da ist Michael sieben Jahre alt.Jackson wird der King of Pop. Mit dem Album "Thriller" macht er sich unsterblich. Entspannung findet Jackson auf seiner Neverland Ranch, einem elf Quadratkilometer großen Areal bei Los Angeles. Dorthin lädt er auch immer wieder Kinder ein. Seit Anfang der 90er gibt es Missbrauchsvorwürfe, ein erster Fall wird außergerichtlich beigelegt. 2005 muss sich Michael Jackson wegen Kindesmissbrauch und weiteren Anklagepunkten vor Gericht verantworten, er wird in allen Punkten freigesprochen. US-Medien berichten immer wieder, Jackson habe Schweigegeld in Millionenhöhe an Familien mutmaßlicher Opfer gezahlt. In den Nullerjahren wird es still um Michael Jackson. Die Konzertreihe "This is it" soll der Abschied von der Bühne und seinen Fans sein. Doch Jackson wird diese Konzerte nicht mehr spielen. Er stirbt am 25. Juni 2009, achtzehn Tage vor dem ersten Auftritt. Sein Leibarzt Conrad Murray hatte ihm gegen seine Schlafstörungen das Narkosemittel Propofol in viel zu hoher Dosis verabreicht. In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Klasen:wie Michael Jackson schon als Kind ein Leben fernab der Normalität führt,wie Michael Jackson und der Produzent Quincy Jones kongeniale Partner werden,wie Jackson mit außergewöhnlichen Instrumenten vorher nie gehörte Klänge schafft, wie Michael Jackson mit seinem Privatleben und der Dokumentation "Living with Michael Jackson" für Aufregung sorgt.Das sind unsere wichtigsten Quellen:WDR 4 Legenden "Thriller von Michael Jackson wird 40" mit Tom Petersen und Andreas Hötter vom 30.11.2022WDR 4 Legenden: "Michael Jackson als Duettpartner" (30.8.2023)Weiterführende Links:Stichtag: 16. Mai 1983 - Michael Jackson stellt den "Moonwalk" vorZeitzeichen: 28.01.1985 - Aufnahme des Songs "We Are The World"Planet Wissen: Vater-Sohn-KonflikteEhren-Oscars für Quincy Jones und Juliet TaylorWelches Thema sollen wir im Zeitzeichen recherchieren? Gibt es Kritik oder Lob?Gerne her damit: Einfach schreiben an zeitzeichen@wdr.de Wir freuen uns auch über Bewertungen auf der Podcast-Plattform des Vertrauens! Das ganze Zeitzeichen-Archiv gibt’s hier.Die Macherinnen und Macher hinter diesem Zeitzeichen: Autorin: Andrea KlasenRedaktion: Christoph Tiegel und Matti HesseTechnik: Sarah Fitzek
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Jun 23, 2024 • 15min

Aufstieg und Vermächtnis: Der römische Kaiser Vespasian

Der römische Kaiser Vespasian (gestorben am 23. oder 24.6.79 n.Chr.) ist überzeugt: "Geld stinkt nicht – selbst wenn es aus Urin stammt." So erhebt er kurzerhand eine Pinkelsteuer, um den Aufbau des zerstörten Roms voranzutreiben.Nach Neros Tod stürzt das römische Weltreich ins Chaos. Rom selbst ist noch vom großen Brand zerstört, drei Kaiser halten sich nur wenige Monate. Das ist die Stunde von Titus Flavius Vespasianus. Der Sohn eines Zöllners hat sich als Feldherr einen Namen gemacht, war jedoch beim alten Kaiser Nero in Ungnade gefallen, weil er während dessen stundenlangen Gesangsvorträgen eingeschlafen sein soll.Vespasian entgeht nur der Todesstrafe, weil Nero einen starken Heerführer braucht, der einen Aufstand der Juden in Judäa zerschlägt. Gemeinsam mit seinem Sohn Titus macht sich Vespasian auf den Weg. Aus der Ferne verfolgt er auch die politischen Kämpfe in Rom. Schließlich dient man ihm das Kaiseramt an. Vespasian kehrt nach Rom zurück und bringt zum Amtsantritt Getreide aus Ägypten und Nordafrika – ein Segen für die hungernde Bevölkerung.Dann macht sich der neue Kaiser an den Wiederaufbau der Stadt. Er lässt das zerstörte Kapitol wieder aufbauen und initiiert das Kolosseum, das heutige Wahrzeichen der Stadt. Das Geld dafür hat unter anderen sein Sohn Titus in Jerusalem geplündert. Und Vespasian ist als Sohn eines Zöllners ein versierter Steuereintreiber, der in seiner zehnjährigen Amtszeit das Finanzsystem auf Vordermann bringt. Titus Flavius Vespasian stirbt am 24. Juni 79 im Alter von knapp 70 Jahren vermutlich an Ruhr. In diesem Zeitzeichen erzählt Marko Rösseler:wie Vespasian als Heerführer einen Blinden und Lahmen geheilt haben soll, so wie es die Evangelisten später Jesus zuschreiben, wieso er zunächst seinen Sohn nach Rom schickt, als man ihn zum Kaiser erklären will, über die gesundheitlichen Probleme des Kaisers, der unter Verstopfung leidet und an Durchfall stirbt,wie Vespansian aus der Ferne dafür sorgt, dass sein Vorgänger sein Amt verliert.Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:Prof. Stefan Pfeiffer, Historiker Universität Halle-WittenbergStefan Pfeiffer: Die Zeit der Flavier: Vespasian – Titus – Domitian, Freiburg, 2009Sueton zitiert aus: Werke in einem Band. Kaiserbiographien / über berühmte Männer. Erschienen in der Reihe: Bibliothek der Antike – Römische Reihe. Berlin, 1985 Weiterführende Links:Stichtag über den römischen Kaiser NeroStichtag über den Brand in Rom Zeitzeichen über Kaiser TiberiusWelches Thema sollen wir im Zeitzeichen recherchieren? Gibt es Kritik oder Lob?Gerne her damit: Einfach schreiben an zeitzeichen@wdr.de Wir freuen uns auch über Bewertungen auf der Podcast-Plattform des Vertrauens! Das ganze Zeitzeichen-Archiv gibt’s hier.Die Macher hinter diesem Zeitzeichen: Autor: Marko Rösseler Redaktion: Matti HesseTechin: Sarah Fitzek

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