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Apr 22, 2025 • 24min
Taxigeschichte - Mietsänften und Kraftdroschken
Die Geschichte des Taxis ist ein faszinierendes Kapitel Transport-Kultur, ein Spiegel technischen Fortschritts. Kunden gegen Entgelt zu transportieren, das beginnt mit Sänften und Kutschen, geht über Fahrräder, bis hin zu den motorisierten Taxis der Neuzeit. Von Martin Trauner
Credits Autor dieser Folge: Martin Trauner Regie: Martin Trauner Es sprachen: Julia Fischer, Carsten Fabian Technik: Stefan Oberle Redaktion: Katharina Hübel
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Literatur:
Ulrich Kubisch: Taxi - das mobilste Gewerbe der Welt - Schriftenreihe des Museums für Verkehr und Technik Berlin
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.
Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:
MUSIK: Fredl Fesl „Taxilied“
„Hallo, Taxi, fahrn's mich bitte
in die Ottobrunner Strass’.
Doch fahrn's bitte nicht so narrisch
denn ich hab' schon fünf-sechs Mass.
Wenn's geht, den kurzen Weg
über Giesing-Martinstrass’,
weil ich einen kleinen Umweg
über Dachau furchtbar hass’…
ERZÄHLERIN
Der niederbayerische Liedermacher Fredl Fesl singt 1976 von seiner Erfahrung in einem Taxi, in der Landeshauptstadt München. Eigentlich will er einfach nur ganz schnell heim… Von einem Auftritt im berühmten Kleinkunstlokal „MUH“ neben dem Sendlinger Tor, heim in die Münchner Ottobrunnerstraße. Das wären so um die 6 Kilometer Fahrtstrecke … Eigentlich….
MUSIK: Fredl Fesl „Taxilied“
Und ich will auch nicht nach Pasing
Und auch ungern nach Freimann
Weil ich a) schon furchtbar müd’ bin und
b) es mir nicht leisten kann
Der Innungskopf hat d'Tuer zug'haut
Hat g'wart, bis dass ich schlief
Dann hat er schnell sei' Uhr eing'stellt
Auf günstigsten Tarif
MUSIK weg
ERZÄHLERIN
Lieder über das Taxifahren gibt es viele. In jedem Land, in jeder Stadt. Und ja, damit kann man sogar einen Adventskalender füllen
1. ZUSPIELUNG (Jürgen Hartmann)
Wir als Magazin haben auch als Adventskalender, da haben wir jeden Tag, vom 1. Dezember bis zum 24. ein Taxilied vorgestellt als Adventskalender…
ERZÄHLERIN
Sagt Jürgen Hartmann, Geschäftsführer des „Taxi-times-Verlag“, der auch ein gleichnamiges Magazin herausgibt. Ein Fachmagazin für die Taxibranche.
2. ZUSPIELUNG (Jürgen Hartmann)
…da ist auch das Fredl-Fesl-Lied natürlich darin vorgekommen… oder auch das berühmte Lied „I steh in der Kält’n und wart auf mein Taxi, aber es kummt net…
MUSIK (DÖF)
I steh in der Költ'n und woat auf a Taxi, oba es kummt net.
(Kummt net, kummt net)
I woat auf des Brummen von am Mercedes Diesel, oba es brummt net
(Brummt net, brummt net)
Die Dame vom Funk, die sagt zu mia:
"Der Wagen 734 ist in fünf Minuten hier!"
ERZÄHLERIN
Wenn Lieder nicht nur Geschichten erzählen könnten, sondern wirklich Geschichte, wäre die Geschichte des Taxis hier bereits auserzählt: Also: entweder kommt das Taxi nicht und wenn es dann doch kommt, ja, dann wird’s eine abenteuerliche Fahrt und sehr teuer.
MUSIK aus und Geräusch: Autotür schlägt zu
3. ZUSPIELUNG (Jürgen Hartmann)
(…) das sind so diese Geschichten, die man halt hört, das Problem ist einfach wie überall. Wenn du im Taxi zehnmal fährst und hast neunmal einfach, neunmal ist es okay und es passiert nix und der fährt dich so wie er soll und völlig gewissenhaft von A nach B auf den direktesten Weg, dann bist du ausgestiegen als Fahrgast und hast in dem Moment, wo die Tür zugeht, auch schon wieder die Fahrt vergessen. Aber wenn dir mal was Schlechtes passiert, dann erzählst du das einfach …
ERZÄHLERIN
…. oder singst das in Liedern. –
MUSIK (alt und tückisch)
ERZÄHLERIN
… Die Geschichte des „Personenlohnfuhrwesens“, so hieß die Taxibranche auch mal, ist natürlich eine andere, eine komplexere und vor allem ist sie eine sehr lange und eine sehr alte Geschichte …. Wie alt eigentlich?
4. ZUSPIELUNG (Jürgen Hartmann)
Also wenn man überlegt, dass ja auch ein Sänftenträger schon ein Taxi war, wenn man so will, ja, … so alt wie die Menschheit, ja.
ERZÄHLERIN
So Jürgen Hartmann. Er kennt sich aus mit der Branche und der Geschichte des Taxis. Er war selbst lange Jahre Taxifahrer und auch Taxiunternehmer mit vier Fahrzeugen, Referent an der Taxischule München. Und Jürgen Hartmann ergänzt:
5. ZUSPIELUNG (Jürgen Hartmann)
Ich denke ab dem, also ohne eine Jahreszahl nennen zu können, ab dem Moment, wo eben jemand nicht selber mobil genug war, um irgendwo hinzukommen und deswegen auf eine fremde Hilfe, auf ein fremdes Gefährt mit einem entsprechenden Chauffeur angewiesen war.
ERZÄHLERIN
Jahreszahlen oder Daten zu nennen ist tatsächlich gar nicht so einfach oder kaum möglich. Denn in jedem Land, in jeder Stadt entwickelt sich die heute so genannte Taximobilität etwas unterschiedlich. das Wort „Taxi“ ist übrigens gar nicht so uralt… Aber dazu später mehr…
MUSIK aus
ERZÄHLERIN
Vermutlich beginnt dieses mobile Gewerbe also wirklich mit den Sänften. Doch wer weiß das so genau? Aufzeichnungen darüber gibt’s wenige. Die Ära der Sänftenträger in Deutschland endet jedenfalls allerspätestens irgendwann Anfang des 19.Jahrhundert. In Berlin hängt 1833 an einer festgezurrten Sänfte ein Schild:
ZITATOR
„Wer diese Sänfte gebrauchen will, der melde sich in der Siebergasse.
ERZÄHLERIN
Den Adeligen ist die Sänfte schon längst zu unbequem geworden, und ein normaler Bürger kann sich das teure Gefährt eh’ nicht leisten. Und man dürfte in dieser Zeit, also um 1830, durchaus einige Probleme gehabt haben, geeignetes Personal zu finden: in Berlin waren es Anfang 1700 die zugewanderte Hugenotten, die Sänften tagen durften, und: in München waren es um diese Zeit türkische Kriegsgefangene- man nennt sie „türkische Sesselträger“, die Sänften tragen mussten. Dass es in Berlin um diese Zeit überhaupt noch einen Sänftenservice gegeben haben soll, das ist dann doch schon ziemlich kuriose Geschichte …
MUSIKAKZENT und (Geräusch Kutsche)
ERZÄHLERIN
Denn: Ein nicht vom Menschen angetriebenes Gefährt zur allgemeinen Personenbeförderung, erobert die Städte bereits lange vorher: Die Kutsche. Bereits um 1770 fahren in Berlin 40 Wagen. Der Erfolg dort ist wechselhaft. Durchsetzen konnte sich diese, nicht ganz so neue Bewegungsart erstmal nur in wenigen Städten. Etwa in Warschau und natürlich in Wien.
MUSIK (Wiener Fiakerlied)
A Kutscher kann a jeder wer’n,
Aber fahren kinnans nur in Wean.
Refrain:
Mei’ Stolz is, i’ bin halt an echt’s Weanakind,
A Fiaker, wie man net alle Tag’ find’t,
Mein Bluat ist so lüftig und leicht wie der Wind,
I’ bin halt an echt’s Weanerkind.
MUSIK aus
6. ZUSPIELUNG (Jürgen Hartmann)
Ja, also die typischen Pferdekutschen, die nennt man Fiaker, vor allem in Wien, da gibt es sie immer noch. … Den Fiaker, da hat sich der Begriff auch noch gehalten…. und es wurde dann tatsächlich irgendwann von der Droschke ersetzt, also vom Automobil.
ERZÄHLERIN
Bis die Pferdedroschke zur Motordroschke, also zum Automobil wird, dauert es dann doch noch ein wenig. Im Süddeutschen Raum und vor allem in Österreich heißen die Fiaker nach dem französischen Vorbild so, weil die Pariser ihre Kutscher als „Fiacres“ bezeichnet haben. Warum die da so hießen? Da ranken sich viele Legenden darum. War es vielleicht der erste Standplatz für Taxis in Paris, in der Rue de Saint Fiacre? – Wir wissen es nicht. Immerhin:
Pate für diesen Begriff steht jedenfalls der „Heilige Fiacrius“, heute übrigens der Schutzheilige für Gärtner und Taxifahrer. -
Den Namen „Droschke“, das weiß man dann immerhin doch sehr genau, führt ein Dessauer Pferdehändler ein, der 1811 die Regierung von Preußen ersucht, „Warschauer Droschken“ zur allgemeinen Personenbeförderung zur allgemeinen Personenbeförderung in Berlin fahren zu lassen. „Droschke“ stammt vom russischen Wort „Droschki“ – auf Deutsch: „Fuhrwagen“. - Und schon drei Jahre nach seinem Antrag kommt prompt die Antwort von Friedrich Wilhelm:
ZITATOR (Friedrich Wilhelm)
Ich finde keine Bedenken, dem Pferdehändler Mortgen mit Rücksicht auf die Bequemlichkeit der Berliner Einwohner, die ausschließliche Befugnis, so genannte „Warschauer Droschken“ in der Stadt aufzustellen.
ERZÄHLERIN
32 Droschken darf der Pferdehändler Alexi Mortgen in Berlin aufstellen. Und in den nächsten Jahren passiert schon einiges: Es entwickelt sich eine erste „Etikette“ des frühen Lohnfuhrgewerbes. Die Droschkenführer sind uniformiert oder zumindest gut gekleidet: schwarzer Zylinder, grüne Jacken mit gelben Schnüren. Tatsächlich ist das ein erster Schritt in die Zukunft des Taxigewerbes – so wie wir es heute kennen.
7. ZUSPIELUNG (Jürgen Hartmann)
Also wenn man so will, gucken Sie in den ländlichen Bereich, dort ist es nahezu, also eigentlich in der Überzahl, so dass in dem ländlichen Bereich die dortigen Taxibetriebe alle Angestellten, also keine Uniform tragen, aber natürlich eine Firmenkleidung tragen. Das heißt, ein T-Shirt, ein Sweatshirt oder auch eine Jacke, wo ganz klar das Logo der Firma draufgedrückt ist. (…)
ERZÄHLERIN
In dieser frühen Zeit des Lohnfuhrwesens, Anfang des 19. Jahrhunderts in Preußen, damals ist der Begriff „Taxi“ noch völlig unbekannt, setzt sich noch eine Etikette durch, die bis heute bei modernen Taxis gilt. Die Droschken stehen hintereinander aufgereiht auf Plätzen, die ihnen die Polizei zugewiesen hat, und warten auf Fahrgäste. Und für Kunden gilt das Höflichkeitsgebot: Man nehme immer die erste Kutsche. - Das hat sich im Großen und Ganzen bis heute gehalten. Jürgen Hartmann:
8. ZUSPIELUNG (Jürgen Hartmann)
Das mag vielleicht der Gerechtigkeitsgedanke sein, dass man sagt, also wer das Taxi, das ganz vorne steht, ist das, das am längsten jetzt schon wartet. Und dann auch das Vorrecht hat, den Auftrag zu bekommen oder die Fahrt zu bekommen.
(ERZÄHLERIN
Heutzutage ist das per Verordnung geregelt:
9. ZUSPIELUNG (Jürgen Hartmann)
Es steht aber ganz klar in der Ordnung drin, in jeder Taxitarifordnung, der Fahrgast hat das Recht, sich sein Taxi frei auszuwählen. Also er darf am Taxistand entlang laufen und auch in das dritte Taxi einsteigen)
MUSIK Akzent (Geräusch altes Taxameter)
ERZÄHLERIN
In der vermeintlich guten, alten Zeit der Fiaker und Droschken, also immer noch gegen Ende der 1880er Jahre, ist der Fahrpreis entweder Verhandlungssache oder: der Kutscher misst mit seiner Taschenuhr die Fahrzeit und berechnet daraus nach eigenem Ermessen seinen Tarif. Nur: Warum sollte der Kunde mehr bezahlen, nur weil der Kutscher lahme Gäule eingespannt hat. Oder den Weg nicht gekannt hat - Kein Wunder, dass da manche Unstimmigkeiten entstehen. - Aber da kommt plötzlich ein Gerät in die Welt, dass das Lohnfuhrwesen revolutioniert. Das Taxameter! Eine Zeitungsannonce dieser Zeit macht es publik:
MUSIK Werbung 1900
ZITATOR (Werbung um 1900)
Original Taxameter Bruhn! Erster und ältester Taxameter der Welt!!
Original Bruhn! Führende Weltmarke auf dem Gebiet der Verkehrskontrolle!
ERZÄHLERIN
Erfunden hat dieses seltsame Kästchen mit den vielen Zahnrädern, diesen bald Geschichte schreibenden Mechanismus, erfunden hat das ein gewisser Friedrich Wilhelm Gustav Bruhn. So um die 1890er Jahre. - Über Wilhelm Bruhn weiß man natürlich, wie in der Taxigeschichte üblich, so nicht unbedingt viel: In Lübeck ist er geboren, er besucht dort ein altsprachliches Gymnasium, lernt also Latein und Griechisch, heuert dann bei einem Ingenieurbüro in Hamburg an und erfindet und vermarktet sehr geschickt sein „Taxameter“ in Zeitungsanzeigen. - Nur: was überhaupt ist ein Taxameter? - 1927 schreibt das „Handwörterbuch für Kaufmänner“:
ZITATOR (Handwörterbuch für Kaufmänner);
Das Taxameter ist ein Gerät, bei dem die durchfahrende Strecke auf einem sichtbaren Zählwerk derart angezeigt wird, dass der Fahrgast sofort den zu zahlenden Betrag für die Fahrt ablesen kann …
MUSIK aus
ERZÄHLERIN
Jürgen Hartmann erklärt es genauer:
10. ZUSPIELUNG (Jürgen Hartmann)
Das Taxameter ist letztendlich das Gerät im Taxi, das eben den Fahrpreis anzeigt, den Kunden und durch eine entsprechende Technik und Mechanik berechnet. (…) Und anhand dessen zählt es dann quasi die Radumdrehungen. Und das führt dann letztendlich zur Berechnung des Fahrpreises, weil: der Fahrpreis setzt sich ja zum einen aus dem Zeitfaktor zusammen und zum anderen aus den gefahrenen Kilometern. (Und um die zu messen, werden einfach die Radumdrehungen gemessen. Da sitzt der Sensor dran und das wird alles mit dem Tachosignal und dem Taxameter verknüpft.)
ERZÄHLERIN
Das „Taxameter“ gibt dem alten Lohnfuhrwesen nicht nur einen neuen Takt und einen neuen Preis vor, das „Taxameter“ gibt der Branche vor allem ihren Namen. Beinahe weltweit, in vielen Sprachen, etwa im Arabischen, im Japanischen oder im Russischen, wird das Gefährt zum Transport bald „Taxi“ genannt werden. Klingt ja so einfach – Freilich: Friedrich Wilhelm Bruhn, übrigens Schüler der alten Sprachen, hat den Begriff aus dem lateinischen Wort „taxare“ - was „abschätzen“ bedeutet – und der griechischen Vokabel „metron“ – was „Maß“ bedeutet – neu zusammengesetzt. Aus der guten alten Pferdedroschke mit einem Taxameter wird also später das uns bekannte Gefährt, das „Taxi“.
MUSIK
ERZÄHLERIN
Bereits 1896 wird das neue Gerät, das Taxameter, Pflicht für alle Berliner Pferdedroschken. Und auch andere Städte ziehen bald nach. - Doch fast gleichzeitig erreicht eine neue, vielleicht noch revolutionärere Erfindung, das Taxigewerbe.
MUSIK Fiakerlied Vorspiel
ERZÄHLERIN
Sang man noch in Wien in den 1890er Jahren das berühmte Fiakerlied mit den Anfangszeilen:
MUSIK (Fiakerlied)
I führ’ zwa harbe Rappen,
Mei’ Zeug dös steht am Grab’n,
A so wie dö zwa trappen
Wer’ns net viel g’sehen hab’n.
ERZÄHLERIN
… singt man das gleiche Lied bereits wenige Jahre später ein bisserl anders:
MUSIK
Ich hab an alten Daimler
die Kraxn steht am Grabn.
A so a Taxi-Auto werdn s‘
no net gsehgn no habm.
ERZÄHLERIN
Für die Nicht Wiener sei das mal übersetzt: anstatt der zwei alten Rappen, der alten Pferde, besitzt der Wiener Fiaker nun einen alten Daimler, in dem er die Kundschaft kutschiert. – Ja, was ist denn da passiert?
MUSIK Akzent (Geräusch: evtl erstes Daimler Taxi)
ZITATOR
… Der neue Daimler-Taxameter hat seinen Stand am Jungfernstieg und fährt zur bestimmten Taxe. Bei den zahlreichen bisher mit dem Gefährt unternommenen Fahrten bewährte sich das Gefährt so gut, dass man nur Stimmen der Anerkennung vernehmen konnte… Seine Vorzüge mit der schnellen Fahrweise werden zur Hebung seiner Beliebtheit beitragen.
ERZÄHLERIN
Schreibt 1898 die Zeitschrift „Der Motorwagen“. Schon in diesem Jahr entsteht in Hamburg ein Daimler Taxibetrieb. Der „Daimler“, der damals noch so genannte „Taxameter“ oder auch die so genannte Kraftdroschke, er erobert die Städte. Das sind keine Pferdekutschen mehr, sondern motorisierte Kutschen, der Volksmund nennt sie „Stinkdroschken“. Die Fahrzeuge sehen zwar anfangs immer noch aus, wie die alten Droschken, statt dem Pferd haben sie halt einen Motor vorne dran, aber die Gefährte werden immer besser. Und immer beliebter.
11. ZUSPIELUNG (Jürgen Hartmann)
Es gab früher mal den Spruch unter der Kundschaft, wenn du mal Mercedes fahren willst, dann fahr Taxi. Ja, weil Mercedes, der war damals noch eine Luxusmarke, konnte sich lang noch nicht jeder leisten. Und wer mal in so einer Luxuskarosse fahren wollte, ist Taxi gefahren, weil es tatsächlich so war, dass die Taxibranche größtenteils in Mercedes-Taxis unterwegs war.
ERZÄHLERIN
Damals zu Beginn der Motorisierung sind Daimler und Mercedes Benz noch getrennte Firmen, aber: sie konkurrieren um das Taxigewerbe. Und die neuen Kraftdroschken verdrängen immer mehr die alten Pferdedroschken. Die sind zu langsam, fahren im Schritttempo, also um die 5 bis 6 Stundenkilometer. Also: die neuen Gefährte: Fahren immerhin im Radltempo, also um die 18 Stundenkilometer. Und werden immer luxuriöser … Die Zeit der Pferdetaxis geht spätestens in den 1920er Jahren zu Ende…
MUSIK
ZITATOR (Fallada)
Der alte Gustav Hackendahl, der Vater – denn es gab ja auch einen jungen Gustav Hackendahl, den ältesten Sohn vom gefallenen Otto; der Alte hatte ihn freilich nie gesehen –, der alte Gustav Hackendahl fand es immer schwieriger, mit einem Pferde zwei Menschen zu ernähren, nämlich sich und seine Frau.
ERZÄHLERIN
Ein Ausschnitt aus dem Roman „ Der eiserne Gustav“ von Hans Fallada. Hauptfigur ist Gustav Hackendahl, ein alter Pferdedroschkenfahrer. Das wahre Vorbild für Falladas Romanhelden: Gustav Hartmann. Den gab es tatsächlich …
12. ZUSPIELUNG (Jürgen Hartmann)
Gustav Hartmann ist in Berlin ein ganz geehrter und bekannter Taxifahrer gewesen.
ERZÄHLERIN
Gustav Hartmann, oder wie er im Roman heißt „Gustav Hackendahl“, leidet unter der Konkurrenz der neuen motorisierten Droschken. Er hat mit 26 Jahren ein Fuhrunternehmen in Berlin gegründet und es über 40 Jahre einigermaßen erfolgreich geleitet:
ZITATOR (Fallada)
Früher (…) konnte man mit einer Droschke sogar Kinder großziehen, wenn man sich nur ein bisschen Mühe gab, die richtigen Warteplätze aufsuchte und einen Gaul vor dem Wagen hatte, der den Leuten Vertrauen einflößte. Aber wer setzte sich heute noch in eine Pferdedroschke?
ERZÄHLERIN
Der eiserne Gustav setzt sich in der Realität am 2. April 1928 in seine alte Pferdedroschke und fährt, als Protest gegen den Untergang des Pferdefuhrwesens, nach Paris. Dort, wo der gute alte Fiaker seinen Namen herhat. Mit einem Plakat:
ZITATOR
„Der älteste Fuhrherr von Wannsee, Gründer der Wannseedroschken, erlaubt sich mit der Droschke 120 die letzte Fahrt Berlin – Paris zu machen, da das Pferde-Material im Aussterbeetat steht.“
MUSIK aus
ERZÄHLERIN
Erreicht hat Gustav Hartmann mit seiner Fahrt nichts. Außer, dass er in die Literatur und in die Ahnentafel der „Taxigeschichten“ eingegangen ist - Aber tatsächlich entbrennen in diesen frühen Jahren Anfang des 20. Jahrhunderts noch heftigere Streitereien. Es geht nun um das Thema, welches Auto für das Taxi das passendere sei: eines, das mit Kraftstoff betrieben wird, sprich: mit fossilem Brennstoff, oder ein, und ja, das gibt es tatsächlich von Anfang an, ein mit Strom betriebenes Automobil. Das seinerzeitige E-Taxi hatte damals immerhin schon eine Reichweite von knapp 70 Kilometern.
13. ZUSPIELUNG (Jürgen Hartmann)
Ja, das ist eine Geschichte, die kam jetzt wieder auf, als es jetzt darum ging, dass man eben, dass sich das Taxi wieder wandelt, also weg vom Diesel wieder zur Elektromobilität hin. Und da hat man dann diese alten Geschichten aufgegriffen, vor allem die Verfechter des Elektrotaxis, haben da gerne darauf hingewiesen, dass es ja ganz früher auch schon die ersten Elektrotaxis gab.
ERZÄHLERIN
Die E-Taxis konnten sich damals nicht durchsetzen. Sie waren im Unterhalt und im Betrieb zu teuer. Es setzte sich die Benzintaxameterdroschke durch. Für viele Jahrzehnte…
MUSIKAKZENT
ERZÄHLERIN
Die Geschichte des Taxis – zumindest in Deutschland – läuft damit lange Zeit in eine Richtung. - Im Zweiten Weltkrieg ist das Taxifahren zwar stark eingeschränkt, blüht in den Nachkriegsjahren aber wieder auf. - Das Wirtschaftswunder. Man konnte und durfte sich jetzt das Taxi wieder leisten!
MUSIKAKZENT
ERZÄHLERIN
Aber warum wurden 1971 aus den schwarzen Taxis nun weiße, hellgelbe Taxis? Jürgen Hartmann kennt den Grund:
15. ZUSPIELUNG (Jürgen Hartmann)
Also offiziell heißt es RAL 1015, RAL 1015, das ist der offizielle Begriff, das ist Hellelfenbein… davor waren die Taxi schwarz, das hat man abgeschafft oder ist zu diesem Hellelfenbein gegangen, aus Sicherheitsgründen, weil eben es zu der Zeit zu sehr vielen Übergriffen kam und Überfällen auf Taxifahrer, vor allen nachts und dann waren die in einem schwarzen Auto natürlich noch schlechter zu erkennen.
MUSIK (Tom Waits) Night on earth
ERZÄHLERIN
Das Taxi ist bald aus dem Alltagsbild der wachsenden Städte kaum mehr weg zu denken. Und die Geschichten, die während einer Fahrt entstehen, finden natürlich auch Einzug in die Literatur und in den Film. 1991 beispielsweise erzählt der Regisseur Jim Jarmusch in seinem Film Night on Earth 5 Episoden, die in Taxis zeitgleich in einer Nacht rund um die Welt entstehen. Im Mittelpunkt. Eigentlich immer der Taxifahrer. Oder auch….
16. ZUSPIELUNG (Jürgen Hartmann)
… also die Menschlichkeit in dieser Taxibranche ist, ist unheimlich wichtig. Ja, der Chauffeur ist, ist Gesprächspartner, der Chauffeur ist Tippgeber für Leute, die eben fremd in der Stadt sind.
Wo kann man denn hingehen und so weiter? Was können Sie denn empfehlen?
MUSIK hoch und aus
ERZÄHLERIN
Heute ist das traditionelle Taxigewerbe dennoch zu einer Mindestlohnbranche geworden. Und ja, sollte es je selbst fahrende Autos geben, wäre die Branche wohl am Ende, meint Jürgen Hartmann, aber, immerhin, eine Chance gäbe es …
MUSIK
17. ZUSPIELUNG (Jürgen Hartmann)
Die Personbeförderung in einem Taxi beginnt und endet nicht am Randstein, sondern da steckt viel, viel mehr dahinter.
Also unsere Branche macht zu einem ganz großen Prozentsatz, vor allem im ländlichen Bereich, die sogenannten Krankenfahrten. Ja, das heißt, es sind also Fahrten, die von der Kasse bezahlt werden, wo Patienten zur notwendigen Dialyse gefahren werden dreimal die Woche, wo sie zur notwendigen Bestrahlung gefahren werden nach einer Krebsbehandlung und so weiter. Man hilft vielleicht, viele sitzen im Rollstuhl, man setzt sie um oder sie müssen sogar im Rollstuhl sitzen, befördert werden. Dafür hat sich die Taxibranche entsprechende Fahrzeuge angeschafft, die dann eben die entsprechende Vorrüstung haben, also sprich ein Rollstuhl auch transportieren können und so weiter. Also das sind Dinge, solange das existiert oder notwendig ist in der Gesellschaft, solange wird es auch ein Taxi brauchen und geben

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Das Manuskript zur Folge gibt es HIER.
Interviewpartner/innen:David Montgomery (Prof. Dr.; Geologe und Autor, Universität Seattle);Francois Buscot (Prof. Dr.; Leiter des Instituts für Bodenökologie, Helmholtz-Zentrum Halle/Leipzig);Ulrich Hampel (Bodenberater für die Bio-Stiftung, Schweiz);Sepp Braun (Landwirt und Boden-Pionier, Dürneck bei Freising);Hans-Jörg Vogel (Prof. Dr.; Bodenphysiker, Leiter des Instituts für Bodensystem-Ökologie, Helmholtz-Zentrum Halle/Leipzig)
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Literatur:
Hans Dollinger, „Die totale Autogesellschaft“ (1972): Dollinger beschreibt in klarer Sprache die Probleme der autogerechten Stadt vor dem Hintergrund unwirtlicher Städte und zunehmenden Autoverkehrs
Klaus von Beyme, „Der Wiederaufbau“ (1987): Ein Standardwerk, das die Unterschiede und Ähnlichkeiten im Städtebau in BRD und DDR aufzeigt
Jane Jacobs, Tod und Leben großer amerikanischer Städte (1961): Große Kritik an der Stadtplanung amerikanischer Großstädte
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Sprecher 1
Verkehrskontrolle in der Rosenheimer Innenstadt, an einem Wochentag im Januar. Polizistin Tamina Schelter und ihr Kollege Robert Maurer beobachten ein Auto, das langsam in ihre Richtung fährt.
ZSP 02 OT Schelter Ah
Ah, da kommt einer. – Ja!
Sprecher 1
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ZSP 03 OT Schelter Bollern
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Sprecher 1
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ZSP 04 OT Schelter Verwarnung
Ich würds heute bei ner mündlichen Verwarnung belassen, ausnahmsweise, normalerweise kostets 50 Euro.
Sprecher 1
Die Autofahrerin bedankt sich und kehrt um. Sie wird nicht die Einzige bleiben, die die Polizistin und ihr Kollege heute auf die neue Fußgängerzone hinweisen müssen – stündlich fahren hier noch Dutzende Autos unerlaubt entlang. Das kann gefährlich werden, wenn sich Passantinnen und Passanten auf die Verkehrsberuhigung verlassen:
ZSP 05 OT Schelter Unfall
Deswegen kann es durchaus zum Verkehrsunfall kommen. Und das wäre natürlich alles andere als gut. Deswegen wäre unser Wunsch, dass die Verkehrszeichen beachtet werden und hier einfach kein Fahrzeugverkehr mehr durchfährt.
Sprecher 1
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MUSIK
Sprecherin 2
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Doch zunächst ein Blick ganz an den Anfang der motorisierten Zeit.
MUSIK ENDE
ZSP 06 Atmo England 1900
ATMO Take: C1064590 004 / Straße in England um 1900
Sprecher 1
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verbreiten sich nach und nach die Dampfkraftwagen als Vorläufer des Autos. Im Vereinigten Königreich ist man skeptisch, fürchtet Unfälle in den Städten – und schreibt 1865 ein Gesetz. Motorbetriebene Fahrzeuge dürfen fortan innerorts nur noch mit 2 Meilen pro Stunde fahren, also gut 3 km/h, und ihre Betreiber müssen Sicherheitsmaßnahmen treffen:
MUSIK
Vorschlag: Take: ZE021640 102 / Greensleeves
Zitator:
Historischer Sprecher Zitat Red Flag Act
„Eine der Personen soll, während sich das Fahrzeug bewegt, diesem mit mindestens sechzig Yards Abstand vorausgehen und dabei ständig eine rote Flagge tragen.“
MUSIK ENDE
Sprecher 1
Eine rote Flagge, um die Stadtbevölkerung vor Fahrzeugen zu warnen, die sich nicht einmal mit Schrittgeschwindigkeit fortbewegen? Sicher, zur Anfangszeit des Motorverkehrs sind sich viele Menschen der potenziellen Gefahren nicht bewusst, sind sie doch eher Pferdekutschen auf den Straßen gewohnt. Doch der so genannte Red Flag Act, das Rote-Flaggen-Gesetz, setzt sich am Ende nicht durch und wird nach gut 30 Jahren wieder abgeschafft. Zu seiner Anfangszeit hat es der motorisierte Verkehr also gar nicht so leicht. Das wandelt sich aber bis zur Mitte des 20 Jahrhunderts deutlich.
MUSIK
Langsam beginnende, ruhige Musik, die leichte Spannung aufbaut
Sprecherin 2
Nach dem zweiten Weltkrieg sind viele deutsche Städte zu großen Teilen zerstört. Der Wiederaufbau ermöglicht aber auch, die Innenstädte komplett neu zu gestalten. Viele Verantwortliche verfolgen ein Ziel:
Musik Ende
Die autogerechte Stadt.
ZSP 07 OT Boucsein autogerechte Stadt
Das Leitbild der autogerechten Stadt ist aus der Moderne heraus entstanden, aus der modernistischen Stadtplanung, die auf einen starken Fortschrittsgedanken hin zu Technologie hingearbeitet hat.
Sprecherin 2
… erklärt Benedikt Boucsein. Als Professor für Urban Design an der Technischen Universität München erforscht er Architektur und Infrastruktur von Städten. Und diese autogerechte Stadt malte man sich folgendermaßen aus.
ZSP 08 OT Boucsein Quartiere
Man hat eigentlich gesagt, wir haben in den Städten ein Wohnquartier, ein Arbeitsquartier, ein Quartier zum Einkaufen und Erholung und die sind voneinander getrennt.
ZSP 09 Atmo Seidlstraße
Take: G0036620 002 / München Unterführung an der Seidlstraße
Sprecherin 2
Möglichst einfach und unabhängig soll man seitdem in die Innenstädte kommen, vielerorts entstehen mehrspurige Fahrbahnen für den Autoverkehr. [[München baut ab den 1950er-Jahren den Mittleren Ring …
ZSP 10 Atmo Berlin
Sprecherin 2
Und West-Berlin eine Stadtautobahn. Und schon zur Einweihung im Jahr 1964 ist sich der dortige Baudirektor sicher: Dabei wird es nicht bleiben, der Ausbau muss weiter vorangehen.
ZSP 11 OT Baudirektor Klotz stolz
Stadtautobahn Berlin(1)
03:10
Der Berliner ist wohl mit Recht in den letzten Jahrzehnten auf sein Stadtstraßennetz stolz gewesen. Was wollen wir Straßenbauer nun heute tun? Wir sind uns darüber klar, dass wir Straßen erstellen müssen, die ebenfalls in 20, 30 Jahren dem dann entstehenden Verkehr gerecht werden.
Sprecherin 2
Schon damals war also absehbar, dass die Zahl der Autos in den Städten weiter zunehmen wird, wie auch der Sprecher einer Fernsehsendung von 1960 feststellt.
ZSP 12 OT Bericht Stauung
rW Autogerechte Stadt
06:20 Es gibt eine Stauung nach der anderen, und schon schimpfen Sie wieder. 07:17 Dem Auto, das steht fest, werden unsere Städte nicht gerecht.]]
ZSP 13 Atmo Autogerecht
Atmo aus rW Autogerechte Stadt
Sprecherin 2
Um dem Auto gerechter zu werden, führen Städte die grüne Welle ein, bauen Straßen aus. Fußgängerinnen und Fußgänger spielen bei den Plänen eine untergeordnete Rolle.
MUSIK
Vorschlag: ID-/Produktionsnr.: 062250 / 1 – DDR 1962
Sprecher 1
Bei der Stadtplanung sind sich Ost- und Westdeutschland während ihrer Trennung übrigens recht ähnlich. Zwar hat in der DDR der öffentliche Personennahverkehr vor allem in Form von Straßenbahnen einen hohen Stellenwert. Doch auch hier sind Autos ein Statussymbol, nach dem sich die Stadtarchitektur richtet – auch wenn die einzelnen Städte in West und Ost natürlich im Detail unterschiedlich sind.
MUSIK ENDE
Sprecherin 2
Mit den immer volleren Straßen wächst in den frühen 70er-Jahren das Bewusstsein dafür, wie viel Platz das Auto einnimmt.
ZSP 14 OT Bericht Vehikel
Die einzelnen Vehikel schleichen nur noch im Schneckentempo dahin, vorbei an den endlosen Reihen der Blechkabinen, die die Straßenränder säumen.
Sprecherin 2
Und mit diesem Bewusstsein steigt auch die Kritik. [[Eine Fernsehsendung im Bayerischen Rundfunk von 1972 greift die Kritik auf, und erklärt anhand eines Buchs des Autoren Hans Dollinger:
ZSP 15 OT Dollinger
Almanach Autogesellschaft
15:20 Der Straßenverkehr ist ein Moloch, der jährlich 20.000 Menschen frisst, mit seinen Abgasen die Luft verpestet, die engen Straßen der Städte verstopft, mit seinem Lärm an den Nerven der Bevölkerung nagt und trotz allem die Aufgaben des Massentransports nicht bewältigen kann.]]
Sprecherin 2
Autor Hans Dollinger fordert 1972 in seinem Buch „Die totale Autogesellschaft“ andere Massenverkehrsmittel – und eine Wende im Straßenbau.
Sprecher 1
Eine Meinung, die sich bald in der Gesellschaft verbreitet – so beurteilt das auch Urban Design-Professor Benedikt Boucsein.
ZSP 16 OT Boucsein Unwirtlichkeit (16“)
Also ich denke, es hatte schon damit zu tun, dass es immer mehr Autos wurden und da gab es die Umweltbewegungen, die damals auch aufkamen und es gab da eine große Strömung in der Stadtkritik, die über die Unwirtlichkeit unserer Städte gesprochen hat und das sehr stark ans Auto drangehängt hat.
Sprecher 1
1972 eröffnet Münchens damaliger Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel die neue Fußgängerzone zwischen Stachus und Marienplatz:
ZSP 17 OT Vogel Blechschlangen
HJ Vogel 1972, DK243980 120
München hat sich durch die Einrichtung dieses Bereichs gegen die Übermotorisierung erfolgreich zur Wehr gesetzt. Es hat die richtige Rangordnung der Nutzungen wiederhergestellt und die Menschlichkeit, die in Blechschlangen, Motorenlärm und Abgaswolken zu ersticken drohten, in das Herz dieser Stadt zurückgeholt.
Sprecher 1
Die neue Fußgängerzone in München entsteht im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen in der Stadt.
ZSP 18 Atmo Fußgängerzone Nürnberg II (1978)
Sprecherin 2
Doch auch andernorts ist diese Entwicklung nicht aufzuhalten: Überall in deutschen Städten entstehen eigene Abschnitte zum Bummeln und Aufenthalten – ganz ohne Autos. Und sowohl DDR als auch BRD sammeln Erfahrungen, wie Verkehrsberuhigung funktionieren kann.
[[ZSP 19 Tagesschau 1973
Tagesschau vom 17.08.1973
Die Fußgängerzonen müssen durch öffentliche Nahverkehrsmittel leicht zu erreichen sein bzw. genügend Parkmöglichkeiten in unmittelbarer Nähe aufweisen. Sie müssen durch Grünflächen aufgelockert werden sowie attraktive Geschäfte haben.
Sprecherin 2
Diese Faktoren gelten über 50 Jahre später noch genauso.]]
Was überrascht: Während im Deutschland der 70er also erst das Bewusstsein für die Vorteile verkehrsberuhigter Innenstädte wächst, sind andere Länder schon weiter.
Sprecher 1
Eine Stadt, an der sich München Ende der 80er ein Beispiel nimmt, ist das italienische Bologna. Dort ist ein Teil der Altstadt schon seit 1989 nur für Autos mit Ausnahmegenehmigung befahrbar. Grund genug für den damaligen Münchner Stadtplanungsausschuss, sich das mal vor Ort anzusehen:
ZSP 20 Klaus Hahnzog
In Deutschland wird sowas immer sehr viel grundsätzlicher angegangen, in Italien hab ich das Gefühl, dass man nicht so viel redet, sondern eher etwas tut und da wollen wir ein paar Beispiele anschauen.
Sprecher 1
… erklärt Klaus Hahnzog, damals 2. Münchner Bürgermeister, auf der Studienreise.
Natürlich gibt es auch im Bologna der 80er-Jahre Streit um die Verkehrsberuhigung. Als Gegner formiert sich damals zum einen der Einzelhandel, wie ein TV-Bericht des Bayerischen Rundfunks von 1989 zeigt.
ZSP 21 Autofreie Stadt Bologna Geschäfte
Heftig umstritten unter den Bologneser Geschäftsleuten war die Sperrung der Hauptgeschäftsstraße Via dell’Indipendenza. Bei manchen Besitzern der Geschäfte ist der Zorn noch immer nicht verraucht.
Sprecher 1
Zum anderen stößt das Einfahrtsverbot auch unter den Autofahrerinnen und Autofahrern auf wenig Gegenliebe:
ZSP 22 Autofreie Stadt Bologna Kontrollen
Die Bologneser Polizei hat jedoch rigide Kontrollen eingeführt, rund 3000 Sünder erwischt sie pro Woche, die sich nach wie vor ohne Genehmigung durch die engen Gassen der Altstadt zwängen wollen.
Sprecher 1
Das war also die Situation vor mehr als 30 Jahren. Wie hat sich die verkehrsberuhigte Altstadt Bolognas seitdem entwickelt? Halten sich die Menschen an die Regeln und ist der Einzelhandel heute zufrieden?
ZSP 23 Atmo Neptunsplatz
Sprecherin 2
Ziemlich genau in der Mitte der verkehrsberuhigten Altstadt Bolognas liegt der Palazzo D’Accursio.
ZSP 24 Atmo Begrüßung Orioli
Im Hintergrund einfaden
Sprecherin 2
Hier hat die Stadtverwaltung ihren Sitz und hier treffen wir Valentina Orioli. Sie ist Professorin für Stadtplanung und bis 2024 Verkehrsbeauftragte in Bologna.
ZSP 24 Atmo Begrüßung Orioli
Hier dann das „Buongiorno“, danach wieder ausfaden
Sprecherin 2
Valentina Orioli präsentiert stolz ihre neueste Maßnahme: In Bologna gilt seit Anfang 2024 fast flächendeckend Tempo 30 – damit ist Bologna Vorreiter-Stadt in Italien. Das Ziel, die Zahl der Verkehrstoten auf null zu bringen, hat auch auf Anhieb geklappt: kein Fußgänger wurde 2024 in einen tödlichen Unfall verwickelt.
Dabei war die Grundidee der Verkehrsbeschränkungen in der Stadt eigentlich einmal eine ganz andere.
ZSP 25 OT Orioli centri storici
Le zone a traffico limitato in Italia nascono principalmente come una misura di mobilità che accompagna la valorizzazione dei centri storici.
Overvoice (weiblich)
Verkehrsbeschränkte Zonen in Italien sind entstanden, um die historischen Stadtzentren zu schützen.
[[Sprecherin 2
Die Stadtzentren sind mit ihren engen Gassen ohnehin nicht für viel Autoverkehr ausgelegt.
Sprecher 1
Es waren also praktische Gründe, aus denen Bologna begann, den Verkehr in der Stadt einzuschränken.]] Inzwischen geht es bei der Verkehrsberuhigung längst um den Schutz der Umwelt und der Menschen, die ohne Auto unterwegs sind. Valentina Orioli erinnert sich, wie neue Maßnahmen von Händlerinnen und Händlern kritisiert wurden. Hat es sich am Ende gelohnt, die wichtigsten Straßen zur Fußgängerzone zu machen?
ZSP 26 OT Orioli pedonale
In realtà oggi la T è una delle zone commerciali più importanti di Bologna, nei weekend arrivano persone da tutta la regione per passeggiare e fare compere. Questo ha dimostrato in maniera molto evidente che l'appetibilità del commercio può essere anche legata a un'area pedonale.
Overvoice (weiblich)
Tatsächlich bilden sie heute eine der wichtigsten Einkaufszonen in Bologna, an den Wochenenden kommen die Menschen aus der ganzen Region, um zu bummeln und einzukaufen. Das hat sehr deutlich gezeigt, dass eine Fußgängerzone für den Handel attraktiv sein kann.
Sprecher 1
In Bologna geht die Verkehrsberuhigung für den Handel also auf. Ob das eine allgemeingültige Regel ist, erfahren wir später noch.
Allein ein Einfahrtsverbot für einen Großteil der Autos aussprechen reicht allerdings nicht, um den Verkehr tatsächlich aus der Stadt zu halten, das wissen sie auch hier in Bologna. Denn es müssen sich auch alle daran halten. Eine Lösung dafür nennt Oriolis Kollege Cleto Carlini.
ZSP 27 OT Carlini telecamere
In realtà Bologna poi ha preso piena efficacia la zona di traffico limitato nel 2005 quando viene attivato il servizio di telecontrollo che ha portato un grande beneficio perché da subito c'è stata una riduzione di quasi il 30% dei flussi veicolari
Overvoice (männlich)
Tatsächlich hat die verkehrsberuhigte Zone in Bologna erst im Jahr 2005 ihre volle Wirkung entfaltet, als die Videoüberwachung eingeführt wurde. Dadurch hat sich der Verkehr sofort um fast 30 % verringert.
[[Sprecher 1
In quasi jeder italienischen Stadt, groß oder klein, gibt es heute diese verkehrsberuhigten Zonen, überwacht durch Kameras. Wer keine Einfahrtsgenehmigung hat, sollte keine Strafen riskieren: Die liegen zwischen 80 und über 300 Euro.]]
ZSP 28 Atmo Indipendenza
Sprecher 1
In Bologna haben sie sich längst an die Einfahrtsregeln in der Altstadt gewöhnt, wie eine kurze Umfrage vor Ort zeigt:
ZSP 29 OT Voxpop giungla
Penso che sia di grande aiuto per le famiglie, per il passaggio in serenità, per godersi lo shopping evitando il caos della giungla che si presenta subito fuori porta del centro storico.
Overvoice (männlich)
Das ist sehr gut für Familien, um in Ruhe voranzukommen, Shopping zu genießen, während direkt vor den Toren der Altstadt ein chaotischer Dschungel beginnt.
ZSP 30 OT Voxpop tutela
E un modello che sicuramente aiuta a prevenire l’inquinamento ambientale acustico, e sicuramente ha anche la tutela ovviamente dei pedoni.
Overvoice (männlich)
Dieses Modell schützt vor Umweltschäden und Lärmbelästigung, und natürlich schützt es auch Fußgänger
ZSP 31 OT Voxpop normale
È normale che in centro delle città non si entra più in macchina.
Overvoice (männlich)
Es ist ganz normal, mit dem Auto nicht ins Stadtzentrum zu fahren.
Sprecher 1
Natürlich sind auch in Bologna nicht alle überzeugt von der verkehrsberuhigten Innenstadt.
ZSP 32 OT Voxpop parcheggi
Io non abito a Bologna, abito a provincia, e ci metto un sacco di tempo. Prima, c’erano tanti parcheggi, adesso parcheggi non ce ne sono.
Overvoice (weiblich)
Ich wohne nicht in Bologna, sondern in der Umgebung, und brauche sehr lange zur Arbeit. Früher gab es viele Parkplätze, jetzt aber nicht mehr.
ZSP 33 OT Orioli differenza
C'è una differenza fra chi vive in città e chi vive fuori dalla città
Overvoice (weiblich)
Es gibt einen Unterschied zwischen den Stadtbewohnern und denen aus dem Umland.
Sprecher 1
… weiß auch die Verkehrsbeauftragte Valentina Orioli.
ZSP 34 OT Orioli campagna
Chi vive in campagna fa più fatica a fare questi passaggi anche perché dove non c'è densità il trasporto pubblico funziona male
Overvoice (weiblich)
Für die Menschen auf dem Land sind die Fahrten in die Stadt anstrengender, denn in nur wenig besiedelten Regionen funktioniert der öffentliche Nahverkehr schlechter.
Sprecher 1
Die Lösung dafür ist laut Valentina Orioli aber nicht, die Verkehrsberuhigung zurückzunehmen. Stattdessen brauche es bessere Angebote vor allem im öffentlichen Personennahverkehr.
[[Sprecherin 2
In Bologna hat es Jahrzehnte gedauert, und die Bewohnerinnen und Bewohner diskutieren immer noch über neue Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung.]]
Auch in Deutschland gibt es oft Gegenwind bei Projekten zur Verkehrsberuhigung. Die FDP fordert im Sommer 2024 gar eine Politik für das Auto – auch in Städten. FDP-Politiker Zyon Braun sagt damals:
ZSP 35 OT Braun FDP Kulturkampf
„Dieser Beschluss, den wir heute getroffen haben, ist ein deutliches Zeichen dafür, dass wir den Kulturkampf gegen das Auto nicht mitmachen“
Sprecherin 2
Die FDP fordert in ihrem Beschluss unter anderem mehr kostenlose Parkplätze. Das könnte, so die Schlussfolgerung der Partei, mehr Autos in die Innenstädte locken und dem Handel helfen.
Sprecher 1
Dabei ist nicht mal mehr der Handel selbst der Meinung, dass mehr Autos dem Verkauf in Stadtzentren unbedingt guttun.
ZSP 36 OT Ohlmann Mantra
Die autogerechte Stadt ist nicht mehr das große Mantra, was der lokale Einzelhandel vor sich herträgt, sondern eine klimagerechte Stadt, eine funktionale, ökologische und letztendlich lebenswerte Innenstadt.
Sprecher 1
Sagt Bernd Ohlmann, Pressesprecher beim Handelsverband Bayern.
[[ZSP 37 OT Ohlmann egal
Mittlerweile denken auch viele Einzelhändler immer mehr um und sagen, klar, mein Geschäft muss erreichbar sein für meine Kunden. Wie die zu mir ins Geschäft kommen, ist erstmal nebensächlich. Hauptsache, sie kommen. Ob jetzt per Fahrrad, zu Fuß, mit dem ÖPNV oder eben mit dem Auto, ist letztendlich dem Handel egal.
Sprecher 1
Daraus ergibt sich für den Handelsverband-Sprecher auch:]] Innenstädte ganz ohne Autos sind aber vermutlich nicht die Lösung.
ZSP 38 OT Ohlmann Durchschnitt
Der Autofahrer kann natürlich aufgrund seiner Mobilität, aufgrund des erhöhten Platzangebotes, mehr Sachen mitnehmen und Artikel und der Durchschnittsbon eines Autofahrers ist auf jeden Fall signifikant höher als der zum Beispiel eines Radfahrers oder Fußgängers.
MUSIK: Anhaltende Töne, Wissensmusik
Sprecher 1
Das bestätigt zunächst auch eine Untersuchung der Fachhochschule Erfurt von 2014: Autofahrerinnen und -fahrer geben bei einem Besuch in der Innenstadt mehr Geld aus als Menschen, die zu Fuß, auf dem Rad oder mit Bus und Bahn anreisen – machen quasi einen Großeinkauf. Aber: Dafür kommen die drei anderen Gruppen deutlich öfter in die Stadt. Auf lange Sicht betrachtet kehrt sich das Ergebnis damit um und Autofahrer sind auf einmal die schwächste Kundschaft.
ZSP 39 Atmo TUM
Sprecherin 2
Zurück in der Technischen Universität bei Benedikt Boucsein, dem Urban Design-Professor aus München. Neben ihm am Schreibtisch sitzt Oliver May-Beckmann – beide forschen zusammen an Mobilitätskonzepten. Oliver May-Beckmann sagt: Eine Verkehrsberuhigung muss immer von den richtigen Maßnahmen begleitet sein.
ZSP 40 OT May-Beckmann Kontext
Wie gut ist der ÖPNV angeschlossen? Wie leicht lässt sich von einem Mobilitätsgefäß ins andere umsteigen? Ein zentraler Fahrradparkplatz, Parkraum, Parktiefgarage reicht nicht aus, wenn die Fahrradinfrastruktur drum herum nicht gebaut ist. Dementsprechend hängt es immer davon ab, wie man tatsächlich solche Maßnahmen auch im Gesamtkontext sieht.
Sprecherin 2
[[Je nach Stadt können sich die Maßnahmen unterscheiden, was in einer Stadt funktioniert, kann der falsche Weg für eine andere sein. Doch:]] insgesamt, da sind sich May-Beckmann und Boucsein einig, gilt für eine verkehrsberuhigte Stadt, wenn sie gut geplant ist:
ZSP 41 OT Boucsein positiv
… dass es leicht positive Auswirkungen hat auf den Einzelhandel, aber auch sehr positive Auswirkungen auf Gastronomie und auf die Aufenthaltsqualität allgemein.
Sprecher 1
Inzwischen gibt es in ganz Deutschland Beispiele dafür, dass ein Aufbrechen der autofreundlichen Strukturen einer Stadt gut tut. [[[Und eins der Bespiele ist die Neue Straße im baden-württembergischen Ulm, die nach dem 2. Weltkrieg erstmal sehr autofreundlich gebaut wurde.
ZSP 42 OT Winning autogerecht
[[Die neue Straße ist eine Errungenschaft der Nachkriegszeit der autogerechten Stadt.]] Ulm war ja sehr, sehr zerstört und gerade in dem Bereich zwischen Münster und Rathaus, also der Kernbereich der Altstadt, dort hat man eben einen Baublock nicht wieder aufgebaut, sondern stattdessen dieser Straße Raum gegeben.
Sprecher 1
Erzählt der Ulmer Baubürgermeister Tim von Winning. Damals schlängeln sich stellenweise bis zu sieben Fahrspuren mitten durch die Altstadt. [[Für Passantinnen und Passanten eine riesige Barriere.]] Über die Jahre nimmt der Autoverkehr zu und die Stadtverwaltung merkt: Es muss sich etwas ändern.
ZSP 43 OT Winning Tunnel
Die erste Idee war die, die man in der technikbegeisterten 70er-Jahre-Zeit immer hatte, einen großen Tunnel unter den Bereich zu schlagen, die Autos unter die Erde zu bringen. [[Da war die Verwaltung auch schon sehr weit, es gab fertige Planungen.]]
Sprecher 1
Doch in der Bevölkerung bildet sich Widerstand gegen den teuren Tunnel. Der könnte, so die Befürchtung, nicht für eine Verkehrsberuhigung sorgen, sondern im Gegenteil noch mehr Autos anziehen und ständig verstopft sein. 1990 stimmt die Bevölkerung ab:
ZSP 44 Archiv Bürgerentscheid
Am Sonntag die große Sensation: Das 100-Millionen-Ding wurde per Bürgerentscheid gekippt, zur Freude der Tunnelgegner.
MUSIK Aufbruch, technisch, spannend
Sprecher 1
Die Stadt fängt also nochmal ganz neu an zu planen, schreibt einen Wettbewerb aus und baut schließlich bis in die Mitte der Nuller-Jahre um. Die Neue Straße hat je Richtung jetzt nur noch eine normale Fahrspur und eine Busspur, außerdem Freiflächen, um den Aufenthalt zu verschönern und unterirdisch eine große, freundliche Tiefgarage für Autos. Insgesamt fahren täglich zwar immer noch 15 bis 17-Tausend Fahrzeuge über die Neue Straße, aber:
ZSP 45 OT Winning Gestaltung
Sie ist, was die gestalterische Umsetzung angeht, extrem zurückgenommen, sodass Autofahrende das Gefühl haben, sie bewegen sich über eine Platzfläche und nicht Fußgängerinnen und Fußgänger das Gefühl haben, sie müssen über eine Straße laufen. Und mit dieser gestalterischen Veränderung ist ein sehr rücksichtsvolles Miteinander zwischen den verschiedenen Verkehrsteilnehmenden erreicht worden.
Sprecher 1
Laut Baubürgermeister von Winning hat die Straße sich so im städtischen Einzelhandel etabliert, verkehrsberuhigt – aber ohne zur Fußgängerzone zu werden.
[[ZSP 46 OT Winning nicht kritisch
Ich bin jetzt seit zehn Jahren hier Bürgermeister in der Stadt und ich habe in der Zeit nicht ein kritisches Wort über die neue Mitte gehört.]]
Sprecher 1
Vielleicht kann der Umbau der Neuen Straße in Ulm also auch als Vorbild dienen für andere – ein gut geplanter Kompromiss für beide Seiten.]]]
Sprecherin 2
Zurück nach Rosenheim:
ZSP 47 Atmo Rosenheim zugehen
Sprecherin 2
Hier kontrolliert Polizistin Tamina Schelter in der Münchener Straße, die erst seit kurzem Fußgängerzone ist. Und hat schon wieder ein Auto angehalten, dass unerlaubt hier lang fährt.
ZSP 48 OT Schelter Konfro
Hallo – Einbahnstraße?
Nein, es ist eine Fußgängerzone, die Sie befahren! – Okay … Und jetzt?
Kostet normalerweise 50 Euro, belassen wirs heute bei ner mündlichen Verwarnung und wir sehen uns hier mit dem Fahrzeug nie wieder.
ZSP 49 Atmo Münchener Straße Kontrolle
Sprecherin 2
Der Mann verspricht, sich daran zu halten. Warum ist er eigentlich durch die Fußgängerzone gefahren?
OT 50 Voxpop Schild nicht gesehen
Im Grunde wie mans kennt, ich hab noch die Poller hier gesehen, dachte mir naja, ist Geschwindigkeitsbegrenzung, dass man langsam fährt, habs Schild nicht gesehen.
ZSP 51 Atmo Rosenheim warten
Sprecherin 2
Gleich mehrere Fahrzeuge erwischen Polizistin Tamina Schelter und ihre Kolleginnen und Kollegen bei der Kontrolle. [[Und immer wieder treffen sie auf Passantinnen und Passanten, die von den Autos in der Stadt genervt sind.
OT 52 Voxpop unverschämt
Es fahren ja alle durch, das ist ja das, und wenn du dann was sagst, dann strecken sie die Zunge raus. Also ich find das unverschämt, weil wenn man schon vorwarnt, dass sie nicht durchfahren können, und dann rasen die hier durch, das ist nicht mehr schön.
Sprecherin 2
Denn die Idee der Fußgängerzone sei genau richtig, erzählt die Frau.]]
MUSIK
Sprecher 1
Der Abschnitt in der Münchener Straße ist auch nicht die erste Fußgängerzone in Rosenheim. Und vielleicht klappt das Miteinander auch hier in Zukunft besser. Die bisherige Lösung ist nämlich ein Provisorium, nach einem Jahr will die Stadt Bilanz ziehen. Erst danach könnte größer umgebaut werden, sodass, ähnlich wie in Ulm, die verkehrsberuhigte Stelle auf den ersten Blick erkennbar ist. Vorher will die Stadt nur Kleinigkeiten ändern, erklärt Oberbürgermeister Andreas März.
OT 53 März Piktogramme
Da müssen wir noch mal nachsteuern mit Piktogrammen auf der Straße, Aufklärung, Kontrollen auch.
Sprecherin 2
Denn grundsätzlich will Rosenheim auch von den Vorteilen einer verkehrsberuhigten Innenstadt profitieren.
OT 54 März spazieren
Wir spazieren durch die Stadt, lassen die Stadt, die Menschen, das Flair so auf uns wirken. Und das funktioniert natürlich auf verkehrsberuhigten Plätzen und Straßen deutlich besser, als wenn man immer aufpassen muss, ob jetzt wieder ein Auto kommt, ein Motorrad kommt.

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Credits Autor dieser Folge: Florian Kummert Regie: Christiane Klenz Es sprachen: Xenia Tiling, Udo Wachtveitl, Jerzy May Technik: Susanne Herzig Redaktion: Thomas Morawetz
Im Interview:Dr. Eugen Trapp, Untere Denkmalschutzbehörde, RegensburgMatthias Rapp, Welterbekoordinator Regensburg
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Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.
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