SWR Kultur lesenswert - Literatur

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Oct 14, 2025 • 6min

Ein Muss für Pynchon-Fans: Der neue Roman „Schattennummer“

Der erste Satz setzt schon den Ton: Wenn Ärger in die Stadt kommt, nimmt er meist die North-Shore-Linie. Weiter südlich am See, in Chicago, sind die Zeiten hart, der Wind hat gedreht, die Aufhebung der Prohibition steht kurz bevor, Big Al sitzt im Bundesknast in Atlanta, das Syndikat ist sprunghaft und unberechenbar geworden, und wer einen Vorwand braucht, schleunigst zu verschwinden, fährt rauf nach Milwaukee, wo selten was Schlimmeres passiert, als dass einem jemand einen Fisch klaut. Quelle: Thomas Pynchon – Schattennummer Wir befinden uns im Jahr 1932. Big Al ist Al Capone. Und die Bier- und Milchstadt Milwaukee, eine sehr deutsche Mischung, leidet unter dem strikten Alkoholverbot, das man nur mit regester Schmuggeltätigkeit über Kanada umgehen kann. Aber jetzt klingt auch diese Stadt, wie es gleich zu Beginn heißt, langsam wie Chicago. Der, der schleunigst verschwinden muss, ist der Kleinkriminelle und Schmuggler Stuffy Keegan, der beinahe einem Bombenattentat zum Opfer gefallen wäre. Aber wie er verschwindet, ist typisch Thomas Pynchon. Er flüchtet nämlich in einem U-Boot, das in den Großen Seen kreist und auftaucht, eigentlich zum Armeebestand der österreichisch-ungarischen k. und k. Monarchie gehörte und nach dem ersten Weltkrieg hätte verschrottet werden müssen. Spionage- und Detektivgeschichte Detektivgeschichte im Zeitalter der Extreme Der Held des Romans, der Detektiv Hicks McTaggart, versucht, der Geschichte auf den Grund zu gehen, erhält aber dann den sehr viel lukrativeren Auftrag, die Tochter des Käsebarons Bruno Airmont aufzutreiben, die mit dem Klarinettisten einer Swingband durchgebrannt ist. Hört sich wild an, ist aber erst der Anfang. McTaggart findet sich auf einem Schiff wieder, betäubt wie er war, hat er keine Ahnung, wie, und landet in einem aufgeregten, hysterischen Europa Anfang der 1930 Jahre, in denen der Faschismus sein Haupt erhebt und die verschiedensten Geheimdienste der diversen Groß- und Mittelmächte unseren Helden mal überwachen, ihn manipulieren zu versuchen, wenn nichts Schlimmeres, unterstützt von Paraphysikern. Dazu kommt eine Moto Guzzi-fahrenden Agentin, die bei einer wilden Rallye durch ehemalige k. und k. Ländereien mitfährt, eine Alptraumlandschaft, bevölkert von Dracula-Abkömmlingen, die sich als Faschisten entpuppen. Am Ende landet man in Fiume, wo sonst, dem heutigen Rijeka. Dort hatte Italiens Kostümfaschist Nummer 1, der Schriftsteller Gabriele d`Annunzio, nach dem ersten Weltkrieg seine kurzlebige rechte Kommune begründet. Kurz: Pynchon erzählt eine Spionage- und Detektivgeschichte im Zeitalter der Extreme. Explodierende Genreliteratur Wir haben es mit Genreliteratur zu tun – aber im Augenblick ihrer Explosion. Diesem Durcheinander wird kein Ermittler mehr Herr, vor allem wenn ihn doch eher Frauen zu interessieren scheinen als der Fall.  Und wenn man McTaggart mit seiner Geliebten April sprechen hört, dann klingt es manchmal so, als würden Lauren Bacall und Humphrey Bogart sich verliebte Sticheleien zuwerfen. „Du Mistkerl.“„Ach komm, ist doch bloß ein Song.“„Du bist in Schwierigkeiten, Hicks.“„Solange ich sie nur bei dir habe, mein Engel“„Bist in großen Schwierigkeiten und weißt es nicht mal.“„Das musst gerade du sagen.“„Salonlöwen und Ehemänner auf Abwegen, Zuckerbär – vergiß sie, dieses Mal ist es ernst.“„Zur ersten großen Lektion des Lebens: Geld redet, kommt jetzt die zweite: Liebespartner gehen fremd.“ Quelle: Thomas Pynchon – Schattennummer Man merkt, Pynchon ist ein großer Kinofan, wenngleich der Dialog etwas klischeehaft anmutet. Aber die Protagonisten bei Thomas Pynchon hatten immer schon etwas Comic-haftes.  Das hat nie verhindert, dass er die große Weltpolitik, die vielen kleinen persönliche Geschichten und die lapidare Existenzfrage: Hat das denn alles einen Sinn?, sehr lässig unter einen erzählerischen Hut brachte. Seine Helden sind Figuren auf einem Schachbrett, das man nie ganz zu Gesicht bekommt, bis es am Ende zu verschwinden droht. Übrig bleibt ein Wimmelbild von Geheimdienstlern, Strippenziehern, Verfolgten und Verfolgern, die schnell mal die Position wechseln. Unübersichtlichkeit ist Pynchons erzählerische Methode, in jedem Augenblick können die Regeln geändert werden, in jedem Moment ist alles möglich, das nennt man Entropie. Kurz: lose Enden sind erwünscht. Chaos ohne Wahrheit Vielleicht sind es im neuen Roman ein paar zu viele, so schnell wechseln die Szenen und Protagonisten. Die einzelnen Episoden dominieren den Plot. Wobei man sich bei Pynchon als PLOT keine lineare Erzählung vorstellen darf, sondern ein ausgeklügeltes Netzwerk von Verweisen und Verknüpfungen. In „Schattennummer“ scheint es so, als ob es diese erzählerische Tiefenstruktur nicht mehr geben würde, und das hat ganz inhaltliche Gründe, weil die ja die politische Landschaft widerspiegelt mit all den Mächten im Untergrund, dem deep state. Was, wenn die Macht auf die Oberfläche gewechselt ist? Was, wenn sie sich gar nicht mehr verbergen muss? Was, wenn Thomas Pynchon im Scheitern davon erzählt, dass der Faschismus ein System ohne Geheimnis ist? Dass er seine Wahrheiten in die Welt hinausbrüllt, dass er nichts zu verbergen hat, dass er sagt, was er zu tun gedenkt? Schwer für einen Erzähler der Paranoia, der Tiefenstruktur. Schwer auch für einen Ermittler wie Hicks, ein Detektiv ohne Fortune, der durch das offensichtliche Chaos der Fake News stolpert, hinter denen keine Wahrheit steckt. Am Ende reist Bruno Airmont, der Käsebaron, mit dem U-Boot zurück in die USA und erkennt seine Heimat nicht wieder. Die Freiheitsstatue existiert nicht mehr, man sieht „die etliche hundert Meter hohe Statue einer maskierten Frau in nicht so sehr zeremonieller als vielmehr gefechtsmäßiger, militärischer Montur.“ Das ist Pynchons Kommentar zum gegenwärtigen Amerika.
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Oct 14, 2025 • 4min

Nationalepos der Philippinen: „Noli Me Tangere“ von José Rizal

Er ist allgegenwärtig auf den Philippinen. Das freundlich forschende Gesicht von José Rizal blickt Besuchern von Büsten, Bildern, Denkmälern und Geldscheinen entgegen. Straßen und Plätze, Krankenhäuser und Schulen sind nach ihm benannt. Der Historiker Ambeth Ocampo, der ein vieldiskutiertes Buch über Rizal geschrieben hat, kann erklären, warum der Schriftsteller so verehrt wird.  Er sagt: „Seine Schriften halfen den Filipinos zu verstehen, wer sie waren und was sie sein sollten. Bevor wir überhaupt eine Nation wurden, hatten wir einen Helden, der sich eine Nation vorstellte. Er erlebte die Freiheit und Unabhängigkeit der Philippinen nicht mehr, aber es sind im Grunde seine Ideen und seine Schriften, die uns zu dem gemacht haben, was wir sind.“  Ein „krebskrankes Land“  José Rizal wurde 1896 von der spanischen Kolonialmacht in Manila hingerichtet. Mit 35 Jahren. Man warf ihm „Anstiftung zur Rebellion“ vor. Die Spanier beriefen sich dabei auf seine Schriften und vor allem auf den Roman, der sein berühmtester ist und Pflichtlektüre an philippinischen Schulen: „Noli Me Tangere“ – „Rühr mich nicht an“. Was im Buch angerührt wird, sind die Gegebenheiten im Land.  Rizal beschreibt die Philippinen unter spanischer Herrschaft als „krebskrank“. Das war das Ketzerische und Gefährliche. Hauptfigur ist der junge, idealistische Ibarra, der nach sieben Jahren in Europa mit großen Plänen in seine Heimat zurückkehrt. Er will seine Jugendliebe Maria Clara heiraten, vor allem aber die einfachen Menschen unterstützen und sein Land voranbringen. Sein Plan ist es, eine Schule zu gründen, in der Bauernkinder mehr lernen als nur Gebete aufzusagen und sich vor dem Rohrstock zu fürchten. Ibarra rechnet nicht mit dem machtvollen, von Priestern angeführten Widerstand. Obwohl er von einem Freund gewarnt wird.  Um dieses Unternehmen durchzuführen, nützen Wollen und Geld allein nichts, in unserem Land erfordert es außerdem Selbstverleugnung, Stehvermögen und Vertrauen. Der Boden ist nicht vorbereitet, es wurde nur Unrat auf ihm gesät. Quelle: José Rizal – Noli Me Tangere  Mord, Betrug und Hinterlist  José Rizal erzählt eine veritable Abenteuergeschichte, mit allem, was dazugehört: Intrigen, Folter, Mord, Betrug und Hinterlist, es gibt Helden und Schurken. Zuweilen wirkt das etwas konstruiert, um die Spannung hochzuhalten, müssen viele Zufälle helfen. Das eigentlich Interessante an dem Roman ist nicht die Story, auf die Rizal, so scheint es, selbst nicht besonders viel Wert gelegt hat. Es sind die einprägsamen, präzise gezeichneten und zuweilen parodistisch überzeichneten Charaktere, für die der Autor zurecht bis heute gefeiert wird. Mächtige, eigensüchtige Patres, korrumpierte Beamte und inkompetente Milizionäre bestimmen nach Gutdünken über die einfachen Menschen im Land. Aber José Rizal ging es nicht nur darum, zynische Eliten und dysfunktionale Machtverhältnisse bloßzustellen. Sein Anspruch, „alles der Wahrheit zu opfern“, reichte weiter.  Das meint auch Ambeth Ocampo: „Wenn man den Roman genauer liest, wird deutlich, dass er zwar vordergründig das Kolonialsystem attackiert. Aber es geht auch um die Kolonialisierten, die nicht befreit werden wollen, deren Denk- und Gefühlswelten kolonialistisch sind. Es ist eine Mentalität, die sich schwer verändern lässt. Rizal zeigt den Menschen im Land: ‚So seid ihr‘.  Und er fragt: ‚Was werdet ihr sein, wenn das Kolonialsystem abgeschafft wird? Werdet ihr so schlecht sein, wie dieses System? Oder werdet ihr etwas Besseres schaffen?‘“  Andauernde Relevanz In seinem berühmten Roman gibt José Rizal darauf keine Antwort. Für Ambeth Ocampo liegt gerade darin das Geheimnis seiner andauernden Relevanz. Amtsmissbrauch, Korruption und Patronage gibt es bis heute auf den Philippinen. Man kann es sich leicht machen und einzig auf die langen Jahre des Kolonialismus verweisen. Im Sinne von José Rizal wäre das sicher nicht.
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Oct 13, 2025 • 4min

Erschütternde Reportage: „Some People Need Killing“ von Patricia Evangelista

„Ich will Angst verbreiten“, das kündigte Rodrigo Duterte als Bürgermeister der Millionenstadt Davao auf der südlichen philippinischen Insel Mindanao an. Als er 2016 zum Staatspräsidenten gewählt wurde, versprach er noch am selben Tag bei einer Rede in einem Slum von Manila, die „Hurensöhne“ zu töten, die in Drogengeschäfte verwickelt seien. In den folgenden Monaten erschossen Polizisten und sogenannte Todesschwadrone zu Tausenden Drogendealer, Junkies und andere Menschen, deren Leben weniger wert zu sein schien. „Hitler vernichtete drei Millionen Juden“, rechnete Duterte falsch vor. „Hier gibt es drei Millionen Drogenabhängige. Ich werde sie liebend gern abschlachten.“  Die renommierte Reporterin Patricia Evangelista berichtete seit 2016 für das Online-Medium Rappler über den „Drogenkrieg“. Sie war an den Tatorten, hat mit Überlebenden, Hinterbliebenen und Tätern gesprochen. Auf der Grundlage ihrer Recherchen hat sie ein zutiefst erschütterndes Buch über den Horror des „Drogenkriegs“ geschrieben. Darüber, was dieser Krieg mit und aus den Menschen im Land gemacht hat. Und wie ihr selbst die Geschehnisse zusetzen.  Unempfindlich gegenüber dem Grauen  Patricia Evangelista: „Man vergisst nicht, was man gesehen hat. Manchmal verschmilzt ein Tatort mit dem nächsten. Aber man erinnert sich an die Menschen, an die Mütter, die entdecken, dass ihre Söhne verschwunden sind, an die Töchter, die vor einer Treppe knien, denen man gesagt hat, dass es ihre Väter sind, die drinnen schreien und jammern.“  Patricia Evangelista denkt darüber nach, warum ein Land, das 1986 den Diktator Ferdinand Marcos stürzte, nur eine Generation später einen mörderischen Autokraten wählte, warum Rodrigo Duterte so viele begeisterte Anhänger hatte – und noch immer hat –, warum die Menschen jubelten, als er drohte, ihre Mitbürger zu erschießen. Wie es gelang, „eine ganze Bevölkerung unempfindlich gegenüber dem Grauen werden zu lassen“.  Ihre Antwort ist vielschichtig. Sie ergründet, wie Menschen systematisch dehumanisiert wurden. Sie schaut auf die Geschichte des Landes und die ihrer Familie, auf die Sehnsucht nach Helden und Führerfiguren sowie die Neigung, die Vergangenheit schön zu färben. Und sie seziert die perfide Strategie Dutertes.  Eine traumatisierte Gesellschaft  „Rodrigo Duterte erzählte uns allen eine Geschichte. Er sprach die Ängste und Sorgen an, die jahrzehntelange enttäuschte Erwartungen immer weiter geschürt hatten. Und dann gab er dem Feind einen Namen. Er nannte ihn die Plage der illegalen Drogen und sagte, er würde töten, um diese Plage auszurotten", erzählt Patricia Evangelista.  „Er sagte, wer ihm nicht glaube, dass Drogen schrecklich seien, dem würde er diese selbst verabreichen. Man solle sie seinen Kindern geben und zusehen, wie sie zu Monstern würden. Die Filipinos haben für Duterte gestimmt. Sie haben für den Tod gestimmt, weil das sein Versprechen war. Aber viele von ihnen haben auch für die Hoffnung gestimmt, dafür, dass sich unter Duterte vielleicht etwas ändern würde.  Womöglich würden seine Versprechen, auch wenn sie mit Gewalt verbunden waren, die Welt, in der sie lebten, zu einem besseren, sichereren und angenehmeren Ort machen.“  Was bleibt, sind zerschlagene Hoffnungen Was bleibt, sind zerschlagene Hoffnungen und eine traumatisierte Gesellschaft, die sich den Verbrechen und dem Leid des Drogenkrieges kaum stellt. Die Philippinen haben Rodrigo Duterte im März an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ausgeliefert. Immerhin. Doch nur zwei Monate später wählten ihn die Einwohner von Davao mit großer Mehrheit erneut zu ihrem Bürgermeister. Sie glaube nicht daran, dass ihr Buch viele Menschen zum Umdenken bringe, sagt Patricia Evangelista. Sie habe lediglich das Geschehene festhalten wollen. Das ist ihr meisterhaft gelungen. „Some People Need Killing“ ist ein so couragierter wie sprachmächtiger Einspruch gegen das Vergessen.
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Oct 12, 2025 • 4min

Ein Jahrhundert philippinische Geschichte - Katrina Tuveras „Die Kollaborateure“

Carlos ist 70 und kriegt einen Stent. An seinem Krankenhausbett in Manila sitzen seine Frau Renata und die Tochter Brynn und giften sich an. Ein Zimmer voller Spannungen. Dennoch hat Carlos Zeit, an sein Leben zurückzudenken: an die Zeit der Besatzung, die er als Kind erlebte.  Da waren erst die Amerikaner, dann die Japaner, dann wieder die Amerikaner. Er denkt auch an die philippinische Unabhängigkeit, die aber – so die These dieses Romans von Katrina Tuvera – bis heute keine ist. Besonders genau erzählt sie von der Ära des Ferdinand Marcos. Ein Diktator von Washingtons Gnaden.  Er mag es nicht, wenn der US-Präsident Johnson ihn seinen ‚rechten Arm‘ in Asien nennt – aber was ist daran so falsch, frage ich dich? Denkt, er, die Leute werden darüber lachen? Ihn als Schoßhund bezeichnen? Quelle: Katrina Tuvera – Die Kollaborateure Antikommunistisches Bollwerk in Asien  Ja. Und zurecht. „Die Kollaborateure“ heißt Katrina Tuveras sehr wacher Roman. Ihre Figuren reden leichthin von Kollaboration, wenn es um den Zweiten Weltkrieg geht. Doch auch danach wird fleißig antichambriert, zeigt dieser Roman, vor allem bei den Amerikanern, für die die Philippinen in den 60ern und 70ern zum antikommunistischen Bollwerk in Asien wurden.  Garant dafür waren Diktator Ferdinand Marcos und seine Frau Imelda. Herzpatient Carlos gehörte einst zu Marcos‘ Entourage. Wie auch die Eltern von Katrina Tuvera selbst.  Katrina Tuvera: Ich wuchs in einer Familie auf, die loyal zu Marcos stand. Erst an der Uni sah ich die dunkle Seite dieser Marcos-Loyalität. Seither bewege ich mich zwischen diesen beiden Weltsichten. Für mich ist das eine Art Schizophrenie. Ich kann diese Perspektiven nicht in Einklang bringen. Deswegen bin ich Schriftstellerin geworden.  Wichtig sind für Tuvera Figuren, die nicht leicht fassbar sind. Carlos etwa erleben wir als fröhlichen Jungen und liebevollen Vater, als widerwärtigen Ehemann und fragwürdigen Politunterhändler. Auch er wird einmal ein Schoßhund genannt.  Carlos ist ein Antiheld  Katrina Tuvera: Carlos ist für mich ein Antiheld. Ich mag Antihelden, weil sie nicht einfach gut oder böse sind. Sie sind beides. Wer von uns könnte sie verurteilen? Für meinen Roman wollte ich Figuren und Erzählstrukturen, die komplexer sind.  Vertrackt sind auch die politischen Verhältnisse, die Katrina Tuvera beschreibt. In der Gegenwart des Romans wird mit Joseph Estrada um die Jahrtausendwende herum wieder mal ein Präsident geschasst. Tuvera erwähnt viele reale Persönlichkeiten der Zeitgeschichte, benennt sie aber nicht konkret.  So steckt ihr Text voller Andeutungen, die deutsche Leser nur schwer verstehen. Das einordnende Nachwort von Annette Hug hilft bei der Lektüre. Auch Carlos Tochter Brynn will begreifen, was in ihrem Land vor sich geht. Zusammen mit Freund Jacob besucht sie eine Ausstellung zur Marcos-Ära.  Aufarbeitung der Marcos-Ära  An einer Wand befinden sich Streifen aus Stacheldraht, die von Quadraten aus Metall unterbrochen werden, auf die Daten geprägt sind. Daneben stehen Zahlen und Beschreibungen, die nicht länger geheim gehalten werden: 70.000 Inhaftierte und 34.000 Gefolterte; über 3.200 außergerichtlich Getötete über einen Zeitraum von neun Jahren, von 1972 bis 1981.  Quelle: Katrina Tuvera – Die Kollaborateure Die Aufarbeitung ist im Gang, will dieser multiperspektivische Roman sagen. Jan Karsten hat ihn zugkräftig übersetzt. Sicherlich eines der klügsten philippinischen Bücher in diesem Herbst. Eine lohnende, aber auch durchaus fordernde Lektüre.
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Oct 10, 2025 • 13min

Hochspannend: Andreas Pflügers Thriller „Kälter“

Andreas Pflüger ist ein vielseitiger Schriftsteller. 27 Drehbücher für den „Tatort“ hat er geschrieben, dazu Theaterstücke und Hörspiele. Berühmt wurde der in Thüringen geborene und in Berlin lebende Autor allerdings mit seinen glänzend recherchierten und hochspannenden Kriminalromanen. Spätestens seit seinem Bestseller „Wie sterben geht“, erschienen 2023, ist Andreas Pflüger ein Star. Sanfter Auftakt auf Amrum Sein neuer Thriller „Kälter“ ist ein Buch mit verwickelter Handlung und spektakulären Actionszenen. Ganz Pflüger-untypisch geht er „Kälter“ aber eher gemächlich an: Herbst 1989. Lucy Morgenroth ist Polizistin auf der Insel Amrum. Dass sie früher einmal ein anderes Leben hatte, ahnen die Einheimischen spätestens seit jenem Tag, an dem Lucy einen Mann ins Krankenhaus brachte, der zuvor seine Frau misshandelt hatte. Ein RAF-Terrorist im Dienst des KGB Doch auch auf der beschaulichen Insel wird Lucy mit ihrer Vergangenheit konfrontiert, in Gestalt von fünf Killern, deren Mission blutig scheitert. Diese Ouvertüre ist der Ausgangspunkt für eine auf verschiedenen Zeitebenen angesiedelte Geschichte, die zwischen Israel, Berlin, Pullach und Wien hin- und herspringt. Lucys sinisterer Gegner ist ein ehemaliger RAF-Terrorist, der nun für den KGB und die Stasi arbeitet. Kontakte zum Geheimdienst Fünf Terroristen wurden im Jahr 1975 nach der Entführung des CDU-Politikers Peter Lorenz nach Aden ausgeflogen. Jener „Babel“, wie sein Deckname in „Kälter“ lautet, ist der sechste Terrorist, den Pflüger sich ausgedacht hat. Dieser Gedanke war der Ausgangspunkt für den Roman. „Bevor ich ein Buch anfange“, sagt Andreas Pflüger, „frage ich mich: Warum will ich genau diese Geschichte schreiben? Was hat sie mit mir zu tun?“ Die RAF-Zeit hat den Autor, Jahrgang 1957, tief geprägt. Im Milieu der Geheimdienste kennt Pflüger sich dank langjähriger Kontakte bestens aus. Verpasster Mauerfall Im Interview erzählt er davon, wie er den Mauerfall in Berlin verpasst hat, von erfundenen und wahren historischen Ereignissen und von kuriosen Schulungsmethoden der Geheimdienste in der Zeit des Kalten Kriegs.
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Oct 10, 2025 • 55min

Mit neuen Büchern von Peter Stamm, Andreas Pflüger, Arundhati Roy und Sibylle Berg

Sibylle Berg beendet ihre Romantrilogie, Andreas Pflüger schreibt seine Thriller weiter und Peter Stamm erweist sich erneut als Meister der kurzen Form.
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Oct 10, 2025 • 6min

Warum der Literaturnobelpreis für László Krasznahorkai eine sehr, sehr gute Entscheidung ist

Im Jahr 1993 ging der erste Preis der SWR Bestenliste an den 1954 geborenen Ungarn für den Roman „Melancholie des Widerstands“. Frank Hertweck erinnert sich an die Preisverleihung in Baden-Baden, bei der der stille und eher zurückhaltende Krasznahorkai fast ein wenig eingeschüchtert gewirkt habe. Der Nobelpreis für Krasznahorkai sei eine „sehr sehr gute Wahl“, so Hertweck. Mechanismen von Populismus Er hob zwei Bücher hervor, die bei ihm besonderen Eindruck hinterlassen haben: Zum einen den Roman Baron Wenckheims Rückkehr, ein Buch in der Tradition Gogols, das zum einen mit viel Humor arbeite, zum anderen aber auch die Mechanismen von Populismus herausarbeite und Krasznahorkai damit auch als politischen Autor kennzeichne. Bach gegen Rechtsextremismus Zum anderen empfahl Hertweck Krasznahorkais letzten Roman „Herscht 07769“, ein kunstvolles Werk, das nur aus einem einzigen Satz besteht und in einer thüringischen Kleinstadt spielt. Darin wird eine leicht melancholische Figur von Rechtsextremen infiltriert. Ein Mann, der zum Apokalyptischen neige und zugleich ein großer Bewunderer des Komponisten Johann Sebastian Bachs sei. Viel Sarkasmus, viel dunkler Humor und formal komplexe Gegenwartsbeschreibung: „Es macht viel Spaß, das zu lesen“, so Hertweck.
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Oct 8, 2025 • 7min

Anarchie hat viele Regeln: Sibylle Bergs „PNR: La Bella Vita“

Italien hat eine neue Hymne, gewählt vom Volk, via App. So läuft es nun in der neuen Welt: Die wichtigen Entscheidungen, etwa die Verteilung von Wohnraum, die fällen die Menschen gemeinschaftlich oder per Los, alles verfügbar in der RCE-App. Ein post-revolutionäres Europa beschreibt Sibylle Berg in „PNR: La Bella Vita“, dem letzten Teil ihrer Trilogie. In den Vorgängerromanen „GRM“ (etwa 700 Seiten) und „RCE“ (um die 800 Seiten) entwarf Berg – Achtung, Kurzfassung – eine kaputte, spätkapitalistische und düstere Technokratie, die nur durch Neustart gerettet werden kann. Die Welt lag also im Argen – zumindest für alle, die nicht über millionenschweres Vermögen verfügen. In „RCE“ arbeitet eine Gruppe Hacker im Verborgenen gegen das System, am Master-Code. Die Attacke gelingt. Nur ein bisschen Spaß an schlechter Laune Und nun also „PNR: La Bella Vita“: Der letzte Teil der Reihe widmet sich dem Leben nach der Remote Code Execution, nach dem großen Hack. Ein beinahe schlanker Roman mit knapp 400 Seiten. Weil Sibylle Berg mehr Spaß am Schreiben von Weltuntergangsfantasien hat? „Nee, ich lieb den Untergang gar nicht. Ich hatte wahnsinnige Freude daran, einmal zu schreiben, also das zu beschreiben, wo die meisten kapitalismuskritischen Bücher enden. Also das stimmt einfach nicht, dass ich Spaß an schlechter Laune habe. Na ja, ein bisschen schon.“ Eine neue Verfassung Und was braucht eine neue Welt? Neue Regeln. Die stellen die Menschen, klar, selbst auf. Die Verfassung, die wir gerade sammeln, wird irgendwann fertig sein. Im Moment filtert eine von unseren Nerds programmierte KI die sechs Millionen Verfassungstext-Vorschläge von BürgerInnen. Quelle: Sibylle Berg – PNR: La Bella Vita Anarchie ist direkte Demokratie Das Europa, das Berg in „PNR“ entwirft, ist befreit vom Kapitalismus, von faschistischen Regierungen, von Parteien, von Regierungen überhaupt. Haupthandlungsort des Romans ist Italien. Die Gesellschaft dort ist selbstorganisiert, frei, eben anarchisch. „Anarchism is democracy without the government. Most people love democracy; most people don’t like the government very much, “das sagte Kulturanthropologe David Graeber einmal in einem Interview. Anarchie, das sei eine direkte Demokratie, eine Demokratie ohne Regierung, so definierte er dieses Gesellschaftsmodell. Berg formuliert die Anarchie aus, hat die alte Ordnung aufgelöst. Dafür recherchierte die Dramatikerin, wie auch schon bei ihren Vorgängerromanen, intensiv: „Die neue Gesellschaftsordnung, die ich mir ausgedacht habe, basiert auf sehr, sehr vielen bereits vorhandenen wissenschaftlichen Denkexperimenten. Also von David Graeber über wirklich Wissenschaftlerinnen, die neue Ernährungsformen, neue Formen des Zusammenlebens der Ökologie erforscht haben. Ich habe wieder ganz, ganz viele Sachen gelernt und sehr wenig Fakten verwendet. Also das ist alles faktenbasiert, das kann man auch dann nachlesen, wenn man richtig Spaß dran hat.“ 93 Vorschläge für das neue Zusammenleben formuliert Berg aus ihren Recherchen, die strukturieren den Roman, etwa: Es gibt keine Normalität Quelle: Sibylle Berg – PNR: La Bella Vita und Keine Herrschaft, keine Eigentumstitel, nur geteilte Verantwortung Quelle: Sibylle Berg – PNR: La Bella Vita oder Und nun gelten sie wieder: Die Menschenrechte Quelle: Sibylle Berg – PNR: La Bella Vita Erzählt im typischen Berg-Ton Don, die Ich-Erzählerin in „PNR“, macht Berg zur Chronistin dieser Zeit des Umbruchs. Don, Karen, Pjotr, der Hacker Ben – die Figuren, einst Jugendliche aus dem englischen Rochdale, wo „GRM“ spielt, bleiben Bergs Medium, um vom Neuaufbau zu erzählen. Don erinnert sich oft zurück, an die Zeit vor dem Hack. Vieles kennt man daher schon aus „RCE“ und wiederholt sich. Stilistisch ist das aber typisch Berg, da lässt sich ein Auge zudrücken. Es gibt Einschübe und Wiederholungen, der Roman ist collageartig gebaut, wenig Plot, viel Inhalt. Sprachlich humorvoll, aber immer scharfzüngig. Ja, vielleicht sogar ein wenig zynisch? „Ich wehre mich auch vehement gegen den falsch verwendeten Begriff des Zynismus“, meint die Autorin bestimmt. „Ich denke immer, dass die meisten meiner Bücher und Stücke eher realistisch sind. Zynisch hat eine große Verzweiflung und einen sich lustig machen. Davon bin ich weit entfernt.“ „Ich bin überhaupt nicht pessimistisch“ 2019 erschien „GRM“, sechs Jahre sind seither vergangen, eine Zeit geprägt von Kriegen, Krieg in Europa, rasend schneller technologischer Entwicklung, Pandemie. Da erstaunt es doch, dass vor diesem Hintergrund Bergs Erzählung beinahe zuversichtlicher wird? Oder? „Ich bin überhaupt nicht pessimistisch. Die Welt dreht sich, die gibt es, ob mit Menschen oder ohne Menschen. Aber auch die Menschen sind erstaunlich anpassungsfähig und zäh. Und wir wissen überhaupt nicht, wie es weitergeht. Wir wissen ja noch nicht mal, wie unser Leben in einem Jahr aussehen wird. Wir können Pläne machen, die meistens scheitern“, erzählt Berg. „Es gibt immer wieder komplette Überraschungen. Wie gesagt, es gibt Revolutionen oder gab es. Es gibt Zusammenbrüche von Systemen von innen heraus. Es gibt auf einmal Grenzöffnungen. Es gibt Städte, die auf einmal begrünt werden und sich vom Asphalt befreien. Alles ist möglich. Es kann alles im Desaster enden für einige Teile der Welt oder auch in einem besseren Leben für die Menschen. Also von daher ist es spannend.“ Mit „PNR: La Bella Vita“ wagt Sibylle Berg etwas: Ihre Anarchie ist keine naive Utopie, sondern ein Versuch, konkrete Vorschläge aus Theorie und Wissenschaft literarisch zu verarbeiten. Wer bereit ist, sich darauf einzulassen, bekommt ein radikales und erstaunlich hoffnungsvolles Finale einer kompromisslosen Trilogie.
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Oct 8, 2025 • 4min

Karsten Rudolph – Sendestörung

Karsten Rudolphs kleine Studie „Sendestörung“ ist zuallererst: bündig und profund. Das Versprechen, das der Untertitel gibt, wird seriös eingelöst. Das knapp 250 Seiten schmale Buch liefert eine prägnante Darstellung von „Aufstieg und Krise des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“. Prägnant bedeutet auch, dass sich Rudolph jeglicher feuilletonistischer Pointiertheit enthält. Es handelt sich um eine wohlstrukturierte und leider auch etwas trockene Aufbereitung der Geschichte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Rudolph zeichnet die historischen Linien grob nach, konzentriert sich dabei aber auf wesentliche Strukturen, wichtige Richtungsentscheidungen und Brüche dieser „einzigartigen Institution“,  die die Bundesrepublik über Jahrzehnte geprägt hat und nunmehr in einer veritablen Bestandskrise steckt. Quelle: Karsten Rudolph – Sendestörung Ein föderales Rundfunksystem zur freien Meinungsbildung, frei von Vereinnahmung  Wenn Rudolph von einer „einzigartigen“ Einrichtung spricht, muss allerdings mitbedacht werden, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk durch die westlichen Alliierten installiert und geprägt wurde. Vor allem das Modell der britischen BBC setzte sich als Vorbild durch. Ziel war es schon kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs, ein föderales Rundfunksystem zu schaffen, das einerseits zur freien Meinungsbildung beitragen sollte und nicht mehr instrumentalisiert werden konnte wie unter den Nationalsozialisten. Und das zudem weder von der Politik noch der Privatwirtschaft vereinnahmt werden sollte. Dass die verschiedenen Interessen in der mehr als 75-jährigen Geschichte immer wieder für Diskussionen, Einflussnahmen und Krisen sorgten, das zieht sich als roter Faden durch die Jahrzehnte und durch Rudolphs Buch. Die Einlassungen des Bundesverfassungsgerichts mussten immer wieder für Klarheit sorgen. Rudolph führt uns durch verschiedene Phasen und Themenkomplexe: In den 50er Jahren ging es um den Ausbau der Anstalten, um ein neues journalistisches Verständnis in den 60er Jahren, die Entstehung des ZDF, Politisierung bestimmte die 70er, die Kommerzialisierung durch die medienpolitische Wende und die Einführung des Privatfernsehens die 80er und die Neuformatierung die Jahre nach der Wiedervereinigung. Und auch wenn es in diesen Aufstiegsjahren immer mal kriselte – so viel Krise wie im letzten Jahrzehnt war nie.   Heute ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk ernsthaft gefährdet – und das liegt nicht allein an der digitalen Transformation, die die Grenzen des traditionellen Radiohörens und Fernsehens überwand und die Mediengeschichte neu schreibt. Er ist gefährdet, weil er umstrittener ist denn je. Quelle: Karsten Rudolph – Sendestörung Die Vorwürfe, die im Raum stehen, seien auch in früheren Zeiten zuweilen aufgetaucht: Missmanagement, die Höhe des Rundfunkbeitrags, Kritik am Programm, mangelnder Reformwille, lückenhafte Gremienaufsicht, eine Überdehnung des öffentlich-rechtlichen Funktionsauftrags.   Wie dem Relevanzverlust entgegensteuern?  Neu aber sei, dass der Rundfunk seine Gemeinnützigkeit heute immer weniger verständlich machen könne. Das Kapitel, in dem die gegenwärtigen Probleme behandelt werden, ist sicherlich das wichtigste – und fällt doch leider relativ kurz aus. Hier wird Bekanntes zusammengetragen, eine tiefergehende Analyse auch der gesellschaftspolitischen Veränderungen der letzten Jahre sucht man vergebens. Und auch die Lösungsansätze des Historikers und WDR-Verwaltungsratsmitglieds sind eher bescheiden und allgemein. Dem Relevanzverlust müsse durch Verschlankung, die Stärkung von Live-Momenten, die interaktive Nutzung des digitalen Kommunikationsraums und die selbstbewusste, anspruchsvolle Ausführung des Programmauftrags entgegengetreten werden. Ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk (…) wieder zurück in die Zukunft findet, ist offen. Eine Renaissance ist möglich, wenn es ihm gelingt, seine gesellschaftlichen Bindungen wieder zu stärken. Nicht auszuschließen ist, dass ihm dies misslingt.  Quelle: Karsten Rudolph – Sendestörung Weniger Verwaltung, mehr Inhalt  Das hat etwas von einer gut gemeinten Sonntagsrede mit einem Hauch Defätismus. Wichtig aber wäre es, dass Mitglieder demokratischer Parteien dem ÖRR nicht immer wieder in den Rücken fallen und Quoten- und Klickzahlen nicht zum dominierenden Motiv für Reformen werden. Redaktionen und Inhalte stärken, statt den Verwaltungsapparat aufzublähen: Vielleicht wäre das eine bedenkenswerte Strategie.
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Oct 8, 2025 • 8min

"Ich habe meine Figuren nicht im Griff": Peter Stamms neuer Erzählband "Auf ganz dünnem Eis"

Peter Stamm ist ein Star der Gegenwartsliteratur. Sein Debütroman „Agnes“ war für einige Jahre Schullektüre in Baden-Württemberg. In Weinfelden in der Schweiz gibt es sogar bereits einen Peter-Stamm-Weg. In bester Regelmäßigkeit veröffentlicht Stamm Romane und Erzählungsbände. In seinem neuen Buch „Auf ganz dünnem Eis“ sind neun Erzählungen versammelt. Menschliche Abgründe An der Leseoberfläche beinahe einladend, führen dieses Erzählungen in menschliche Abgründe, Versuchungen, Fluchtsehnsüchte hinein. In der Titelgeschichte verschwimmt die Lebensrealität einer wenig erfolgreichen Schauspielerin zunehmend mit deren Rollen. In einer anderen baut ein junger Mann sich im Keller seines Elternhauses eine Weltraumsimulation zusammen und probt dort über Monate unter Realbedingungen einen Marsflug. „Mach das jetzt bitte nicht!" Ja, sagt Peter Stamm, oft seien seine Figuren ihm selbst unheimlich. Und manchmal denke er während des Schreibens: „Nein, mach das jetzt bitte nicht." Er traue sich heute, im Alter von 62 Jahren, möglicherweise kühnere Konstruktionen zu als in seinen Anfangszeiten. Sein Erzählen, so Stamm, sei möglicherweise eine Spur disparater, weniger gradlinig geworden. Für seine zahlreichen Leserinnen und Leser ein dunkles Vergnügen.

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