Stefanie Binder: "Wenn es einem nicht gut geht, reagiert man auch als Chefin nicht gut"
Jul 11, 2023
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Stefanie Binder, Pflegedienstleiterin in einer Augustinum-Seniorenresidenz, teilt ihre Erfahrungen aus dem stressigen Pflegealltag. Sie spricht über die Herausforderungen, die körperliche und mentale Belastungen mit sich bringen. Außerdem gibt sie Einblicke, wie sie Stress bewältigt und ihre Mitarbeitenden unterstützt. Kommunikation, Humor und persönliche Rituale spielen eine zentrale Rolle in ihrer Führungsstrategie. Besonders betont sie die Wichtigkeit, die eigene Gesundheit zu berücksichtigen, um ein empathisches und effektives Team zu führen.
Stefanie Binder hebt hervor, dass eine bessere Bezahlung und Ausstattung für Pflegekräfte langfristig notwendig ist, um deren Wertschätzung zu gewährleisten.
Die Verantwortung für das Wohlbefinden ihrer Mitarbeitenden und Bewohner belastet Binder mental und erfordert ständige Anpassungen in der Pflegeorganisation.
Eine offene Kommunikationskultur im Team ist entscheidend, um Überlastung frühzeitig zu erkennen und gegenseitige Unterstützung zu fördern.
Deep dives
Wertschätzung in der Pflege
Während der Corona-Pandemie erhielt das Pflegepersonal auf den Balkonen öffentliche Wertschätzung durch das Klatschen der Menschen. Stefanie Binder, die Leiterin eines ambulanten Pflegedienstes, äußert, dass sie die Geste als angenehm empfand, auch wenn sie eine tiefere Wertschätzung in Form von besserer Bezahlung und Ausstattung bevorzugt hätte. Diese Anerkennung lenkt den Fokus auf die Herausforderungen, mit denen das Pflegepersonal täglich konfrontiert ist, sowohl physisch als auch psychisch. Der Moment der Wertschätzung zeigt die gesellschaftliche Bedeutung des Pflegeberufs, ist jedoch nur eine temporäre Lösung für die langfristigen Probleme in diesem Bereich.
Mentale Gesundheit von Führungskräften
Stefanie Binder spricht offen über die mentale Belastung, die sie als Führungskraft erlebt. Sie betont, dass ihre Verantwortung nicht nur die Gesundheit der Bewohner, sondern auch das Wohlbefinden ihrer 35 Mitarbeitenden umfasst. Stresssituationen sind in ihrem Arbeitsalltag präsent, insbesondere durch die Koordination von Pflegeleistungen, die oft improvisiert werden müssen. Ihr Umgang damit ist durch Flexibilität und Humor geprägt, was ihr hilft, auch in stressreichen Momenten den Überblick zu bewahren.
Herausforderungen in der Pflegearbeit
Die Leistungsplanung stellt eine große Herausforderung für Binder dar, da unvorhergesehene Ereignisse, wie Stürze von Bewohnern oder plötzlicher Pflegebedarf, häufig auftreten. Dies erfordert, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schnell zwischen verschiedenen Bewohnern wechseln müssen, was zusätzliche Stressfaktoren schafft. Sie selbst springt bei Bedarf ein, um sicherzustellen, dass die Versorgung der Bewohner gewährleistet bleibt. Diese Dynamik zeigt die komplexe Realität der Altenpflege und die ständigen Anstrengungen, um den Bedürfnissen der Bewohner gerecht zu werden.
Strategien zur Stressbewältigung
Frau Binder berichtet von ihrer persönlichen Stressbewältigung seit sie die Leitung des Pflegedienstes übernommen hat. Anfänglich kam sie an ihre Grenzen, war überlastet und fand sich oft im Grübeln über den Dienstplan wieder, auch im Urlaub. Um ihren stressigen Alltag zu bewältigen, habe sie einen Plan mit ihrem Team entwickelt und begonnen, Verantwortung zu delegieren. Diese Veränderungen halfen ihr, einmal wieder Stabilität zu finden und sich besser um ihre mentale Gesundheit zu kümmern, indem sie eine Balance zwischen Job und Privatleben suchte.
Die Rolle der Kommunikation
Binder betont die Bedeutung der Kommunikation innerhalb des Teams, um Überlastung frühzeitig zu erkennen und Gegenstrategien zu entwickeln. Sie fördert eine Unternehmenskultur, in der Mitarbeiter offen über ihre Bedürfnisse und Belastungen sprechen können, was eine wertvolle Unterstützung für alle darstellt. Diese Transparenz hilft, Missverständnisse auszuräumen und ein starkes Miteinander zu schaffen, in dem jeder Erleichterungen ansprechen kann. Die Führungskraft sieht es als ihre Aufgabe an, eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen, in der die Mitarbeitenden sich sicher fühlen, wenn sie ihre Belastungen mitteilen.
Wie geht man als Chefin mit der eigenen Überlastung um? Wie erkennt man, wie es um die mentale Gesundheit von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bestellt ist? Stefanie Binder leitet als Pflegedienstleiterin in einer Augustinum-Seniorenresidenz in der Nähe von Hamburg ein Team von 35 Mitarbeitenden. Tagtäglich ist sie mit physisch und psychisch herausfordernden Situationen konfrontiert – bei den Bewohnern, den Mitarbeitenden, aber auch bei sich selbst. Nachdem sie zu Beginn ihrer Laufbahn einmal am Rande eines Burnouts war, hat sie Strategien im Umgang mit Stress entwickelt. Für die Mitarbeitenden – und für sich selbst.
Stefanie Binder sagt: "Wenn es einem nicht gut geht, reagiert man als Chefin auch nicht gut". In der neuen Folge des Podcasts Was Chefinnen wirklich denken sprechen die Hosts Moritz Müller-Wirth und Leonie Seifert mit Binder darüber, wie sie Mitarbeitenden anmerkt, dass sie unter Überlastung leiden, ob man Krankmeldungen immer glauben muss – und darüber, wer für sie größere Stressfaktoren sind: die Residenzbewohner oder deren Angehörige?
Sie erreichen das Podcastteam unter chefinnen@zeit.de.