Europe Calling #206 “Migration auf Nordisch - Was macht eine restriktive Einwanderungspolitik mit der Gesellschaft?”
Nov 5, 2024
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In dieser Diskussion sind Dr. Jakob Schwörer, Politikwissenschaftler und Experte für Nordeuropa, Judith Kohlenberger, Kulturwissenschaftlerin und Migrationsforscherin, Nursemin Sönmez, Geschäftsführerin eines postmigrantischen Netzwerks, und Hakan Demir, Mitglied des Bundestages. Sie sprechen über die restriktive Migrationspolitik in Dänemark und deren gesellschaftliche Auswirkungen. Es wird die Rolle der Zivilgesellschaft hervorgehoben, und der Einfluss rechtsextremer Ideologien auf die politische Mitte wird kritisch beleuchtet. Die Notwendigkeit einer menschenrechtsbasierten Migrationspolitik wird betont.
Die restriktive dänische Migrationspolitik hat zu einer erhöhten Unsicherheit und psychischen Belastung unter Geflüchteten geführt.
Besonders geflüchtete Frauen sind in ihrer Vulnerabilität betroffen, da sie häufig vom Aufenthaltsstatus ihrer Partner abhängig sind.
Durch migrationskritische Positionen der Mitteparteien wird das politische Gleichgewicht in Dänemark gefährdet und der gesellschaftliche Zusammenhalt geschwächt.
Die Zivilgesellschaft spielt eine zentrale Rolle bei der Verteidigung von Menschenrechten und der Unterstützung der Integration von Geflüchteten.
Deep dives
Restriktive Migrationspolitik in Dänemark
Die dänische Migrationspolitik hat sich seit 2019 stark verschärft, mit dem Ziel, die Zahl der Asylbewerber drastisch zu reduzieren. Ein zentraler Aspekt ist die Einführung temporärer Schutzstatus, der maximal zwei Jahre gilt und jederzeit entzogen werden kann, wenn die Lage im Herkunftsland als verbessert wahrgenommen wird. Diese Reform hat die Unsicherheit für Geflüchtete erhöht, da selbst Integrationsleistungen nicht mehr zur Bewertung des Aufenthaltsstatus beitragen. Die Veränderungen haben zu einem Gefühl der Ohnmacht unter den Schutzsuchenden geführt, was psychische Belastungen und Resignation zur Folge hat.
Psychische und soziale Folgen für Geflüchtete
Die restriktiven Maßnahmen der dänischen Migrationspolitik haben tiefgreifende psychische und soziale Auswirkungen auf die betroffenen Personen. Geflüchtete Frauen sind besonders verletzlich, da sie oft vom Aufenthaltsstatus ihrer Partner abhängig sind und sich aus Angst vor einer Gefährdung des Status nicht von gewalttätigen Partnern trennen. Die Unsicherheiten führen zu einem Anstieg von Selbstmordversuchen und psychischen Erkrankungen unter der Geflüchtetenpopulation. Der fehlende Zugang zu sozialen und integrativen Ressourcen trägt zur Marginalisierung und Isolation von Migranten bei.
Änderungen im dänischen Parteiensystem
Die Politik der restriktiven Migrationsgesetze hat auch das Parteiensystem in Dänemark beeinflusst, insbesondere die Positionen der Mitteparteien. Es wird argumentiert, dass demokratische Parteien, indem sie migrationskritische Stimmungen übernehmen, versuchen, Wähler der rechtsextremen Dänischen Volkspartei zu gewinnen, was jedoch nicht immer gelingt. Die Präsenz neuer rechtsextremer Gruppen zeigt, dass die Normalisierung extremistischer Ansichten weiterhin eine Herausforderung darstellt. Diese Dynamik könnte langfristig die Stabilität der politischen Landschaft gefährden und den gesellschaftlichen Zusammenhalt schwächen.
Der Trend zur europäischen Abschreckungsmentalität
Über Dänemark hinaus zeichnet sich in Europa ein allgemeiner Trend der Abschreckung gegenüber Migranten ab. Länder wie Ungarn und Griechenland haben bereits weitreichende Maßnahmen ergriffen, die grundlegende Menschenrechte verletzen und das Asylrecht untergraben. Dies führt zu einer Verlagerung der Migrationsströme innerhalb Europas und erhöht den Druck auf Nachbarländer, die sich an menschenrechtliche Standards halten. Die mangelnde Solidarität zwischen den europäischen Staaten verschärft die Situation für Geflüchtete und führt zu einer Ungerechtigkeit in der Verteilung von Asylanträgen.
Rolle der Zivilgesellschaft und der Kirchen
Die Zivilgesellschaft spielt eine entscheidende Rolle im Widerstand gegen die restriktive Migrationspolitik in Dänemark und anderen europäischen Ländern. Organisationen und Kirchen engagieren sich, um die Stimme der Geflüchteten zu stärken und auf Missstände aufmerksam zu machen. Trotz ihrer Bemühungen sehen sich diese Akteure oftmals dem Vorwurf der Überfremdung und weiteren gesellschaftlichen Spannungen ausgesetzt. Deshalb ist es wichtig, dass die Zivilgesellschaft weiterhin Druck auf politische Entscheidungsträger ausübt und die Notwendigkeit von Menschenrechten und sozialer Gerechtigkeit in der Migrationsdebatte betont.
Wirtschaftliche Argumente für Migration
Ein wichtiger Punkt in der Debatte über Migration ist die wirtschaftliche Perspektive, die oft vernachlässigt wird. Viele europäische Länder werden in naher Zukunft mit einem Fachkräftemangel konfrontiert sein, was Migration als Lösung wichtiger denn je macht. Bei der Diskussion um Migration sollten nicht nur die Gefahren beleuchtet, sondern auch die Vorteile, die Fachkräfte aus dem Ausland mitbringen. Ein Umdenken in der Gesellschaft könnte dazu beitragen, negative Narrative zu entschärfen und eine positivere Einschätzung von Migranten zu fördern.
Der Begriff der Sündenbock-Politik
Migration wird häufig als Sündenbock für gesellschaftliche Probleme herangezogen, was negative Einstellungen gegenüber Geflüchteten und Migranten verstärkt. Um das zu ändern, ist es wichtig, schützende Narrative zu schärfen, die den gesellschaftlichen Nutzen von Migration betonen. Eine solche Umdeutung könnte durch Zusammenarbeit zwischen zivilgesellschaftlichen Organisationen, Kirchen und politischen Akteuren gefördert werden. Es ist essenziell, dass diese Gruppen gemeinsam eine starke Stimme bilden, um die Anerkennung für die Leistungen und den Wert von Migranten in der Gesellschaft zu steigern.