Elisabeth von Thadden: Vereinsamen wir unfreiwillig?
Oct 15, 2020
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Elisabeth von Thadden, verantwortliche Redakteurin des Feuilleton der ZEIT, ergründet die berührungslose Gesellschaft und deren Auswirkungen. Sie diskutiert, wie Nähe und Einsamkeit während der Pandemie in einem Spannungsfeld stehen. Besonders spannend ist die Untersuchung von Verletzbarkeit in einer wohlhabenden Gesellschaft und deren Bedeutung für Solidarität. Zudem beleuchtet sie den Einfluss der Digitalisierung auf zwischenmenschliche Beziehungen und die Herausforderung, echte menschliche Nähe in einer technologiegetriebenen Welt zu erhalten.
Berührungen sind essentiell für menschliche Beziehungen, was besonders während der Corona-Pandemie stark bewusst wurde und neu geschätzt wird.
Die Diskussion über freiwillige Berührung spiegelt Machtverhältnisse wider und betont das Recht auf körperliche Autonomie und Integration.
Durch digitale Kommunikation ist es entscheidend, ein Gleichgewicht zwischen online Interaktionen und echtem menschlichen Kontakt zur Förderung emotionaler Bindungen zu finden.
Deep dives
Die Bedeutung von Berührung in der Pandemie
Berührungen sind für die menschliche Existenz fundamental und wurden in der Corona-Pandemie als überlebensnotwendig erkannt. Die Einschränkungen in sozialen Interaktionen haben dazu geführt, dass viele Menschen die Bedeutung von Nähe und Körperkontakt stärker wertschätzen. Gleichzeitig wurde die Verletzlichkeit des menschlichen Körpers und die Intensität der Einsamkeit und sozialen Isolation verdeutlicht. Diese Erkenntnisse weisen darauf hin, wie wichtig es ist, Berührung nicht nur physisch, sondern auch emotional zuzulassen.
Freiwilligkeit und Machtverhältnisse
Die Diskussion über freiwillige Berührung spiegelt die Machtverhältnisse und das Recht des Individuums wider, über seinen eigenen Körper zu entscheiden. Historische Fortschritte, wie die rechtliche Anerkennung des Rechts auf körperliche Integrität, haben das Bewusstsein für ungewollte Berührungen geschärft. Dies führte zu einem gesellschaftlichen Wandel, wo die Freiwilligkeit der Berührung nicht nur akzeptiert, sondern auch gefordert wird. In diesem Kontext ist die Rolle von Frauen und deren Emanzipation von zentraler Bedeutung, da sie oft die Initiatorinnen für den Schutz von körperlicher Autonomie waren.
Gesellschaftliche Veränderungen durch Individualisierung
Die moderne Gesellschaft ist durch eine erhöhte individuelle Bewegungsfreiheit und Privatsphäre gekennzeichnet, die gleichzeitig zu einer geistigen Individualisierung führt. Diese Dynamik kann sowohl zu einer Bereicherung des sozialen Lebens als auch zu einer verstärkten Einsamkeit führen, besonders in urbanen Umgebungen. Das individuelle Bedürfnis nach Abstand muss in eine Balance mit dem Verlangen nach Nähe gebracht werden, um das Wohlbefinden zu fördern. Dieser Zwiespalt offenbart die komplexe Natur zwischenmenschlicher Beziehungen, die sowohl Nähe als auch Distanz erfordert.
Die Fragilität menschlicher Beziehungen
Die Corona-Pandemie hat verdeutlicht, wie fragil menschliche Beziehungen sein können und die intensiven Emotionen, die mit Berührung einhergehen, hervorgerufen. Während einige Menschen in der Isolation eine Rückbesinnung auf die Bedeutung von Nähe erfahren, sind andere in toxischen oder gewalttätigen Beziehungen gefangen. Die gesellschaftlichen Normen dazu, was akzeptabel ist und was nicht, zeigen einen Wandel, jedoch sind nicht alle von dieser Veränderung profitiert. Dieser Kontext verdeutlicht, wie wichtig es ist, die Balance zwischen emotionaler Sicherheit und der Sehnsucht nach Verbindung zu finden.
Zukunft der Beziehungen in einer digitalen Welt
Die Digitalisierung kann sowohl als Fluch als auch als Segen betrachtet werden, insbesondere in den Zeiten von Corona, als digitale Tools es Menschen ermöglichten, weiterhin zu kommunizieren. Doch trotz der Vorteile von Online-Interaktionen bleibt der echte menschliche Kontakt unersetzlich für emotionale Bindungen. Die Herausforderung liegt darin, eine Balance zwischen digitalen und direkter zwischenmenschlicher Kommunikation zu finden, um eine gesunde Gesellschaft zu fördern. Zukünftige Entwicklungen sollten darauf abzielen, die menschliche Berührbarkeit und Resonanz in einer zunehmend digitalen Welt zu bewahren.
► Die berührungslose Gesellschaft von Elisabeth von Thadden. Erschienen 2018 im C.H.Beck Verlag.
► Elisabeth von Thadden ist verantwortliche Redakteurin des Feuilleton der ZEIT und schreibt hier.
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