Herzl und Lueger, Zionismus und Antisemitismus – #468
Feb 20, 2021
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Doron Rabinovici ist ein renommierter Historiker und Autor, der sich intensiv mit dem Zionismus und Antisemitismus auseinandersetzt. Im Gespräch beleuchtet er die turbulente Gesellschaft Wiens um 1900, geprägt von Nationalitätenkonflikten und antisemitischen Ideologien. Besonders spannend ist die Analyse von Karl Luegers Einfluss und seine antisemitische Politik. Zudem erklärt Rabinovici Herzls Vision für einen jüdischen Staat und diskutiert die Unterschiede zwischen damaligen und heutigen Realitäten. Die konträren Ansichten von Lueger und Herzl bieten einen fesselnden historischen Kontext.
Wien um 1900 war ein Schmelztiegel von Nationalitäten, der sowohl Modernität als auch soziale Spannungen hervorrief.
Theodor Herzl gründete den politischen Zionismus als Antwort auf den Antisemitismus und strebte einen säkularen jüdischen Staat an.
Deep dives
Wien um 1900: Ein Zentrum der Multikulturalität
Wien um 1900 war ein Schmelztiegel verschiedener Nationalitäten und ein bedeutender Ort politischer Auseinandersetzungen, die das 20. Jahrhundert prägen sollten. In einer Zeit, in der sich die Stadt rasch veränderte und viele Einwanderer anlockte, gab es Herausforderungen im Umgang mit diesen Transformationen. Dieser Multikulturalismus war sowohl Quelle der Moderne als auch jener der Antimoderne, was bedeutete, dass Wien ein Doppelleben führte. Die Stadt war bekannt für ihre Urbanität und industrielle Revolution, aber auch für die sozialen Spannungen, die durch den raschen Wandel verstärkt wurden.
Theodor Herzl und der politische Zionismus
Theodor Herzl, ein einflussreicher Journalist jener Zeit, gründete als Reaktion auf den weit verbreiteten Judenhass den politischen Zionismus. Er betrachtete die Gründung eines jüdischen Staates als Antwort auf den Antisemitismus und die Notwendigkeit, Juden eine eigene Identität und Sicherheit zu geben. Dabei war Herzl nicht an religiösen Anknüpfungspunkten interessiert, sondern trat für einen säkularen Staat ein, in dem Freiheit und Gleichheit für alle Bürger gelten sollten. Sein Einfluss erstreckte sich bis in die Gegenwart und führte zu kontroversen Debatten über die Identität und Stellung des modernen Staates Israel.
Karl Lueger: Antisemitismus und politische Taktik
Karl Lueger, der Bürgermeister von Wien, ist bekannt für seine populistische Politik und den offenen Antisemitismus, der in der bürgerlichen Gesellschaft seinerzeit weit verbreitet war. Er verstand es, den Antisemitismus für politische Zwecke zu instrumentalisieren und so eine Massenbasis zu mobilisieren, was ihm politische Macht verschaffte. Luegers Slogans und Äußerungen zeigen eine gefährliche Verbindung zwischen politischem Opportunismus und einer rassistischen Ideologie, die bis in die Zeit des Nationalsozialismus nachwirkte. Seine Politik stellte einen markanten Wendepunkt dar, der den Antisemitismus in die Mitte der Wiener Gesellschaft brachte.
Die Erinnerung und das Erbe jüdischer Kultur
Die jüdische Gemeinschaft in Wien wuchs im 19. und frühen 20. Jahrhundert exponentiell und spielte eine zentrale Rolle in der kulturellen Entwicklung der Stadt. Nach dem Ersten Weltkrieg lebten in Wien etwa 200.000 Juden, die eine Vielzahl an Vereinen und Organisationen gründeten, was zur Entstehung einer lebendigen jüdischen Kultur beitrug. Trotz dieser Blütezeit war die jüdische Gemeinschaft ununterbrochen mit Antisemitismus und Verfolgung konfrontiert, was die Geschichte ihrer Identität prägte. Das Erbe dieser Kultur bleibt bis heute von Bedeutung und ist Teil des kollektiven Gedächtnisses der Stadt.
Wien um 1900 war ein Schmelztiegel von Nationalitäten und ein Ort der Auseinandersetzung politischer Kräfte. Bürgermeister war Karl Lueger, der Erfinder des antisemitischen, christlichsozialen Populismus. Zu den Zeitgenossen zählte der Journalist Theodor Herzl, der als Reaktion auf den Judenhass Europas den politischen Zionismus begründet hat.
Um Zionismus und Antisemitismus geht es in diesem Vortrag des Historikers und Autors Doron Rabinovici. Diese Episode ist der Mitschnitt einer Onlineveranstaltung der Jüdischen österreichischen HochschülerInnen vom 11. Februar 2021
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