Sternengeschichten

Florian Freistetter
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Mar 17, 2023 • 22min

Sternengeschichten Folge 538: Das holografische Universum

Alles nur eine Randerscheinung? Sternengeschichten Folge 538: Das holografische Universum Wir leben vielleicht in einem holografischen Universum! Das hört und liest man immer wieder einmal, in seriösen Medien ebenso wie in den eher dubioseren Ecken des Internets. So oder so klingt das auf jeden Fall spektakulär. Hologramme kennen wir von Geldscheinen oder von irgendwelchen Special Effects. Ein Hologramm ist, vereinfacht gesagt, ein zweidimensionales Bild, das wir trotzdem dreidimensional wahrnehmen können. Und damit ist nicht einfach nur eine 3D-Zeichnung gemeint, sondern ein Bild, das wir tatsächlich auch aus unterschiedlichen Blickwinkeln und von unterschiedlichen Seiten betrachten können, obwohl es eigentlich nur zweidimensional ist. Und wenn wir in einem holografischen Universum leben sollten dann heißt das - ja, was eigentlich? Es klingt so, als wäre unser Kosmos von irgendwem konstruiert worden; als würden wir in einem Computerspiel leben oder wären nur eine Simulation. Auf jeden Fall klingt es enorm abenteuerlich, nach Aliens, nach versteckten Dimensionen, und so weiter. Tatsächlich ist die Sache mit dem holografischen Universum erstens nichts von dem was ich gerade gesagt habe und zweitens ein sehr, sehr kompliziertes mathematisches Phänomen. Es ist daher auch nicht möglich, in einer kurzen Podcastfolge eine komplette Erklärung dazu zu geben. Das übersteigt mein Wissen und auch den Umfang einer Folge bei weitem. Aber wir können uns der Frage zumindest so weit annähern, um eine gute Idee zu bekommen, worum es geht. Vor allem um Quantengravitation. Das ist etwas, das es eigentlich gar nicht gibt, noch nicht zumindest. Mit "Quantengravitation" wird eine physikalische Theorie bezeichnet, die in der Lage ist, die Gravitation als quantenmechanisches Phänomen zu beschreiben. Aktuell ist die beste Theorie zur Beschreibung der Gravitation die allgemeine Relativitätstheorie von Albert Einstein in der die Gravitation als Effekt der Krümmung in der vierdimensionalen Raumzeit beschrieben wird. Das funktioniert absolut hervorragend, passt aber nicht ganz zu der Art und Weise, mit der wir in der Physik die restlichen fundamentalen Kräfte beschreiben. Die elektromagnetische Kraft zum Beispiel wird im Rahmen einer quantenmechanischen Feldtheorie beschrieben (wie das funktioniert habe ich in Folge 247 der Sternengeschichten sehr ausführlich erklärt). Und auch die quantenmechanischen Theorien funktionieren in der Praxis sehr hervorragend. Das Problem daran ist, dass sich die beiden Erklärungsansätze nicht kombinieren lassen. Normalerweise stört das nicht - wenn wir uns mit Gravitation beschäftigen, dann müssen wir so gut wie nie berücksichtigen, was auf der Ebene der Elementarteilchen passiert. Da geht es um große Massen, um Sterne, Planeten, und so weiter. Und wenn wir das Verhalten von Elementarteilchen untersuchen, dann spielt die zwischen diesen winzigen Teilchen wirkende Gravitationskraft so gut wie keine Rolle und kann problemlos ignoriert werden. Aber es gibt Phänomene, wo wir mit dieser Trennung nicht durchkommen. In manchen Fällen haben wir es mit Objekten zu tun, die einerseits eine sehr starke Gravitationskraft ausüben und andererseits so klein sind, dass man sie auch quantenmechanisch betrachten muss. Schwarze Löcher sind so ein Phänomen und einer der Gründe, warum wir immer noch so wenig über sie wissen ist das Fehlen einer Theorie, die Gravitation quantenmechanisch beschreiben kann. Wenn wir so etwas wie ein schwarzes Loch rein gravitativ untersuchen, dann liefert die allgemeine Relativitätstheorie sinnlose Ergebnisse und bei einer rein quantenmechanischen Betrachtung ist es genau so. Es braucht eine Kombination, es braucht die Quantengravitation. Nicht nur wegen der schwarzen Löcher; auch wenn wir den Urknall verstehen wollen, Phänomene wie die dunkle Energie und vermutlich noch jede Menge mehr, von dem wir bis jetzt noch gar nicht wissen. Dazu kommt: Es ist einfach kein Zustand, mit so einer offensichtlichen Lücke im Fundament der physikalischen Theorien zu leben. Deswegen ist es auch kein Wunder, dass Physikerinnen und Physiker seit Jahrzehnten auf der Suche nach einer brauchbaren Theorie der Quantengravitation sind. Mit dem holografischen Universum hat das bis jetzt aber noch nichts zu tun. Das kommt noch, aber zuerst schauen wir noch kurz auf die Information. Und die Entropie. Der Begriff "Entropie" kann zwei unterschiedliche Bedeutungen haben; eine physikalische und eine, eher mathematische. Die physikalische oder besser gesagt thermodynamische Entropie beschreibt, simpel gesagt, wie viele unterschiedliche Zustände die Teilchen eines Systems einnehmen können, ohne dass sich am grundlegenden Zustand etwas ändert. Nehmen wir die Seiten eines Buchs: Da gibt es genau einen Zustand, nämlich den, in dem die Seiten von der ersten bis zur letzen korrekt geordnet sind. Alle anderen Zustände würden das Buch grundlegend ändern. Wenn ich die Seiten des Buchs aber alle raus reiße und wild durcheinander auf einen Haufen werfe, dann kann ich die Seiten auch problemlos anders wild durcheinander auf einen Haufen werfen. Auf welche Weise die Seiten durcheinander sind, ändert nichts am Erscheinungsbild des chaotischen Haufens. Im ersten Fall gibt es also einen möglichen Zustand, im zweiten Fall sehr viele. Im ersten Fall ist die Entropie niedrig, im zweiten ist sie sehr hoch. Die Entropie sagt uns also etwas darüber, wie ungeordnet ein System ist und, das ist ein grundlegendes physikalisches Gesetz, wenn man keine Energie von außen in ein System steckt, dann kann die Entropie nur größer werden, aber nicht kleiner. Vereinfacht gesagt: Alles wird immer unordentlicher, es sei denn man investiert ein wenig Energie. Jetzt müssen wir uns noch die andere Entropie ansehen, die "Shannon-Entropie" genannt wird, nach Claude Shannon, der dieses Konzept in den 1940er Jahren entwickelt hat. Damit wird, wieder vereinfacht gesagt, der Informationsgehalt einer Nachricht gemessen. Und damit ist nicht das gemeint, was konkret in der Nachricht drin steht. Es geht also nicht um eine Formel, die mir sagt, dass die Nachricht "Außerirdisches Leben auf dem Mars entdeckt" mehr Information enthält als "Nachts ist es dunkel". Es geht allein darum, wie viele Bits man braucht, um die Nachricht zu kodieren. Das klingt ein wenig abstrakt. Man kann es auch anders ausdrücken: Die Shannon-Entropie gibt an, wie viel Aufwand nötig ist, um die Nachricht vollständig zu beschreiben. In meinem Beispiel hat der erste Satz "Außerirdisches Leben auf dem Mars entdeckt" 42 Zeichen, die zweite Nachricht "Nachts ist es dunkel" nur 20. Ich brauche also weniger Buchstaben und deswegen ist auch die Shannon-Entropie im zweiten Satz geringer. Tatsächlich ist es ein wenig komplizierter. Ich könnte zum Beispiel die Leerzeichen weglassen und die Nachrichten wären immer noch verständlich. Und so weiter. Man geht bei der Shannon-Entropie davon aus, dass man alles so effizient wie möglich beschreibt und sich erst dann überlegt, wie viel Information braucht, um das ganze zu kodieren. In einem Computer zum Beispiel läuft alles binär, jede Information wird in eine Kette von Zuständen übersetzt, in "Bits" die entweder 0 oder 1 sein können, in virtuelle Schalter, die an oder aus sein können. Auf den ersten Blick handelt es sich bei der Shannon-Entropie und der thermodynamischen Entropie um zwei ganz unterschiedliche Dinge. Interessant ist der zweite Blick. Man kann sich zum Beispiel einen Luftballon vorstellen, der mit Helium gefüllt ist. Die Heliumatome werden, wie der Haufen Buchseiten vorhin, in jeder Menge Zustände im Ballon sein können. Mal so, mal so - solange der Ballon voll mit Helium ist, ändert sich grundlegend nichts. Und mit den entsprechenden Formeln könnte man auch die thermodynamische Entropie des Gases im Ballon berechnen. Man kann aber auch die Shannon-Entropie des Ballons berechnen, wenn man voraussetzt, das man jedes Gasatom als einzelnes Bits einsetzen kann, das verschiedene Zustände haben kann. Tut man das, dann sieht man erstens, dass man mit so einem Luftballon absurd viel Information speichern könnte und das die beiden Entropie-Begriffe das gleiche Ergebnis liefern. Keine Sorge, wir kommen noch zum holografischen Universum. Aber wir müssen trotzdem noch ein wenig mit Entropie weiter machen. Wir sind derzeit weit davon entfernt, einzelne Atome als Bits verwenden zu können. Ein USB-Stick, auf dem man zum Beispiel ein Gigabyte speicher kann, hat eine Shannon-Entropie von gut 10 Milliarden Bits; was viel ist, aber dramatisch viel weniger als die thermodynamische Entropie des USB-Sticks. Ein Transistor auf einem Computerchip kann halt nur an oder aus sein; mehr geht nicht, der hat nur ein Bit. Aber auch wenn die Dinger immer kleiner werden, bestehen sie immer noch aus unzähligen Atomen und Elektronen, die alle irgendwelche Zustände haben können - und damit ist die thermodynamische Entropie zwangsläufig sehr viel größer. Wir werden noch zu den Bits und der Entropie zurück kommen. Zuerst müssen wir aber noch schnell über schwarze Löcher reden. Stellen wir uns vor, wir nehmen unseren Luftballon und werfen in ein schwarzes Loch. Ich will jetzt nicht im Detail erklären, wie das alles mit schwarzen Löchern funktioniert, aber alle werden wissen, dass es da eine Grenze gibt, nämlich den Ereignishorizont. Und wenn man den Ereignishorizont um ein schwarzes Loch überschritten hat, dann ist die Anziehungskraft so groß, dass absolut nichts mehr zurück kann. Von außen betrachtet stellt der Ereignishorizont also eine ultimative Grenze dar und nichts kann je von hinter dem Ereignishorizont zurück kommen. Wenn wir jetzt also den Luftballon über den Ereignishorizont schubsen, was ist dann mit der ganzen schönen Entropie passiert, die im Heliumgas steckt? Sie ist aus dem Universum verschwunden, unrettbar verloren hinter dem Ereignishorizont. Was aber eigentlich nicht sein darf, denn die Entropie kann ja nicht geringer werden und wenn das wirklich so wäre, könnten wir mit schwarzen Löchern Entropie aus dem Universum entfernen. Und tatsächlich ist es auch nicht so, das haben diverse Forscher, unter anderem Stephen Hawking, schon in den 1970er Jahren festgestellt. Ich spare mir die Details, ich habe davon in Folge 383 ausführlicher erzählt. Aber man kann zeigen, dass auch schwarze Löcher selbst eine Entropie besitzen. Die Menge an Entropie ist proportional zur Fläche des Ereignishorizonts. Und, auch das weiß man, wenn man etwas in ein schwarzes Loch wirft, dann erhöht sich seine Masse und auch der Ereignishorizont wird größer. In Wahrheit ist alles sehr viel komplizierter, aber wir können zumindest fürs erste beruhigt sein und festhalten, dass die Fläche des Ereignishorizonts ein Maß dafür ist, wie viel Entropie im vom Ereignishorizont eingeschlossenen Raumvolumen ist. Beziehungsweise viele Information (im Sinne der Shannon-Entropie) darin enthalten ist. Und das ist ein erster, wichtiger Punkt wenn man das mit dem holografischen Universum verstehen will: Die Information über etwas dreidimensionales - die Menge an Entropie in einem Raumvolumen - wird durch etwas zweidimensionales vermittelt - die Fläche des Ereignishorizonts. Das ist bemerkenswert, aber noch nicht der Punkt um den es geht. Dafür müssen wir jetzt wieder zurück zu der Sache mit der Shannon-Entropie; ich hab das ja nicht aus Spaß an der Freude so lang erklärt. Stellen wir uns vor, wir schmeißen jede Menge USB-Sticks auf einen Haufen. Dann hat dieser Haufen einerseits eine Shannon-Entropie, die - vereinfacht gesagt - von der Speicherkapazität der USB-Sticks abhängt. Und auch eine thermodynamische Entropie, die von den Zuständen der ganzen Teilchen abhängt, aus denen die USB-Sticks bestehen. Wenn wir jetzt immer mehr USB-Sticks auf den Haufen werfen, wie schnell wächst dann die gesamte Entropie an? Je mehr Sticks, desto mehr Teilchen, desto mehr thermodynamische Entropie. Und die Anzahl der Sticks wächst parallel mit dem Volumen des Haufens. Aber wenn man einfach immer mehr USB-Sticks auf den Haufen wirft, dann wird die Masse irgendwann zu groß werden und der Haufen kollabiert zu einem schwarzen Loch. Mit einem Ereignishorizont, von dem wir wissen, dass er proportional zur Entropie ist. Wenn wir jetzt noch mehr Sticks dazu werfen, dann verschwinden sie im Loch und der Ereignishorizont vergrößert seine Fläche. Oder anders gesagt: Ein schwarzes Loch stellt die Obergrenze für die Menge an möglicher Entropie bzw. Information dar, die in einem Volumen enthalten sein kann. Dieses Phänomen wurde als "holografisches Prinzip" bezeichnet: Die Informationsmenge eines dreidimensionalen Raums hängt von der Größe der zweidimensionalen Oberfläche ab, die ihn umschließt. So wie bei einem Hologram die Information, die man zur Beschreibung eines dreidimensionalen Bildes braucht in einer zweidimensionalen Fläche gespeichert ist. Schwarze Löcher sind ziemlich verwirrend, das ist keine Neuigkeit. Aber es sind eben schwarze Löcher und nicht das gesamte Universum. Die Sache mit dem holografischen Universum stammt von dem Versuch, das holografische Prinzip auf den Kosmos als Ganzes anzuwenden. Und damit sind wir jetzt wieder bei der Quantengravitation vom Anfang. Wir haben keine Theorie der Quantengravitation aber jede Menge Ansätze und Hypothesen. Die alle aus sehr, sehr viel sehr, sehr komplexer Mathematik bestehen. Deswegen probiert man es oft einfacher und rechnet zuerst mit Modellsystemen. Man probiert also in diesem Fall, eine Theorie der Quantengravitation zu finden, die in einem hypothetischen Universum funktioniert, das nicht unseres ist, aber dafür einfacher. Ein Universum zum Beispiel, das sich nicht ausdehnt. Oder in dem die Materie überall exakt gleichmäßig verteilt ist. Oder in dem es gar keine Materie gibt. Damit lernt man zwar nichts über den realen Kosmos. Aber weil die Mathematik in diesem Modellen nicht so kompliziert ist, kann man vielleicht auf ein paar Sachen draufkommen, mit denen sich die komplizierte Mathematik des realen Universums dann einfacher lösen lässt. Und ein Ding, auf das man bei solchen Versuchen gekommen ist, trägt den schönen Namen AdS/CFT-Korrespondenz. Oder, wenn man es mit vollem Namen nennt: Eine Korrespondenzvermutung zwischen einem Anti-de-Sitter-Raum und der konformen Feldtheorie. Gehen wir es der Reihe nach durch: Ein Anti-de-Sitter-Raum ist genau so ein Modelluniversum von dem ich vorhin erzählt haben. Es lässt sich, so wie unser reales Universum, durch die allgemeine Relativitätstheorie von Einstein beschreiben, hat aber nichts mit unserem Universum zu tun. Ein Anti-de-Sitter-Raum (benannt übrigens nach dem Astronomen Willem de Sitter) sieht überall und auch noch zu jedem Zeitpunkt gleich aus. Der Raum ist negativ gekrümmt; wenn man dort zum Beispiel einen Ball weg werfen würde, dann würde er wieder zu einem zurück kommen. Das gilt egal in welche Richtung man wirft und egal was man wie schnell wirft. Jetzt kommt die konforme Feldtheorie: Das ist eine quantenmechanische Feldtheorie, also eine Theorie mit der man quantenmechanische Teilchen beschreiben kann und die darüber hinaus noch bestimmte mathematische Eigenschaften besitzt. 1997 stellte der Physiker Juan Maldacena die Vermutung auf, dass es zwischen beiden theoretischen Beschreibungen eine Korrespondenz gibt, was später dann auch bestätigt wurde. Und "Korrespondenz" bedeutet in diesem Fall, dass man ein und das selbe physikalische Phänomen durch zwei unterschiedliche Theorien beschreiben kann. Sowas ist unter Umständen ganz praktisch, denn was in der einen Theorie sehr kompliziert sein kann, kann mit der anderen Theorie vielleicht einfach zu lösen sein und umgekehrt. Es schadet definitiv nichts, wenn man mehr als nur ein Werkzeug zur Verfügung hat. In diesem Fall geht es aber um etwas anderes: Einerseits hatte man hier die Gravitationstheorie die im Anti-de-Sitter-Raum funktioniert, der drei Dimensionen hat. Und andererseits die konforme Quantenfeldtheorie, die in diesem Fall auf einer zweidimensionalen Fläche definiert ist; quasi der Oberfläche des dreidimensionalen Raums. Und das, was man in der einen Theorie über Gravitation rechnen kann, kann man mit der anderen Theorie mit Quanten rechnen, und umgekehrt. Das ist es, was AdS/CFT-Korrespondenz meint und es klingt ziemlich beeindruckend. All die vielen Phänomene die man in einem dreidimensionalen Raum wahrnehmen kann, kann man physikalisch auch als zweidimensionale Phänomene auf der Oberfläche dieses Raums beschreiben. So wie das dreidimensional aussehende Hologram aus der auf einer zweidimensionalen Fläche kodierten Information entsteht, kann man sich den dreidimensionalen Raum des Universums aus den Informationen auf seiner zweidimensionalen Oberfläche entstanden denken. Oder nochmal anders gesagt: Wenn es eine totale Korrespondenz zwischen den beiden Theorien gibt, dann kann man eigentlich nicht unterscheiden, ob man jetzt in einem dreidimensionalen Raum lebt oder auf der zweidimensionalen Oberfläche des Raums. Je nachdem, wie und was man denkt (zum Beispiel je nachdem, wie die biologische Evolution das Gehirn entstehen hat lassen), wird man die eine oder die andere Möglichkeit wahrnehmen. Aber. Und jetzt kommen sehr viele Abers! So spektakulär das alles klingt, darf man nicht vergessen, dass wir immer noch nicht vom realen Universum reden. Sondern vom Modellsystem des Anti-de-Sitter-Raums. Wir reden auch nicht von dem, was uns die durch unzählige Experimente bestätigte Quantenmechanik sagt, sondern von hypothetischen Erweiterungen der Quantenmechanik; von Stringtheorie und anderen Hypothesen, die im Rahmen der Quantengravitation entwickelt worden sind. Diese Hypothesen gehen zum Beispiel davon aus, dass die Materie in Wahrheit aus fast unendlich kleinen, eindimensionalen schwingenden "Fäden" besteht; dass unser Universum mehr als die drei für uns wahrnehmbaren sichtbaren Raumdimensionen hat, und so weiter. Trotz jahrzehntelanger Forschung auf diesem Gebiet konnten diese Hypothesen nicht durch Experimente oder Beobachtungen bestätigt werden. Auch nicht widerlegt, immerhin. Aber es muss deutlich werden, dass es sich hier um sehr hypothetische mathematische Beschreibungen handelt, die noch dazu ein Universum beschreiben, das sich massiv von unserem unterscheidet. Es gab entsprechende Berechnungen die darauf hinweisen, dass so etwas wie die AdS/CFT-Korrespondenz vielleicht auch in einem Universum existieren kann, das unserem etwas ähnlicher ist. Aber auch da bleibt erstens das Problem der ganzen hypotetischen Annahmen der Stringtheorie. Und zweitens: Nur weil man etwas mathematisch formulieren kann, folgt daraus nicht, dass es auch in der Realität existiert. Das holografische Prinzip ist eine bemerkenswerte Idee die uns der theoretischen Beschreibung diverser Phänomene - wie zum Beispiel den schwarzen Löchern - durchaus weitergeholfen hat. Die Erweiterung dieses Prinzip auf das gesamte Universum ist dagegen eher eine spannende Spekulation. Es ist nicht unmöglich, dass wir dadurch vielleicht irgendwann auf eine brauchbare Theorie der Quantengravitation stoßen. Und dann werden wir mit Sicherheit auch ein paar neue, fundamentale Dinge über das Universum lernen. Dass wir in Wahrheit in einem Hologramm leben, muss aber eher nicht dazu gehören.
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Mar 10, 2023 • 12min

Sternengeschichten Folge 537: Die Helios-Raumsonden

Rekordhalter aus Deutschland Sternengeschichten Folge 537: Die Helios-Raumsonden 1957 flog mit Sputnik der erste künstliche Satellit ins Weltall. Und auch wenn es vermutlich alle wissen sage ich trotzdem noch einmal dazu, dass ein Satellit ein Objekt ist, das die Erde umkreist. Was insofern wichtig ist, weil wir uns in dieser Folge mit Raumsonden beschäftigen wollen. Und ein Satellit ist keine Raumsonde. Eine Raumsonde ist ein Raumfahrzeug, dass das Schwerefeld der Erde verlassen hat. Dazu muss es in Bezug auf die Erde schneller als 11,2 Kilometer pro Sekunde unterwegs sein. Das ist die sogenannte Fluchtgeschwindigkeit, alles was langsamer ist umkreist - wie eben ein Satellit - die Erde, aber kommt nicht weiter weg. Die erste erfolgreiche Raumsonde der Welt war Luna 1, mit der die Sowjetunion den Mond erreichen wollte, aber leider nicht ganz erreicht hat. Aber Luna 1 ist trotzdem am 4. Januar 1959 am Mond vorbeigeflogen und war damit definitiv die erste Raumsonde. Und ebenso definitiv nicht die letzte. Kurz nach Luna 1, im März 1959 waren die USA das erste Mal mit Pioneer 4 erfolgreich und dann folgten jede Menge andere Raumsonden die mal von der Sowjetunion und mal von Amerika gestartet wurden. Vor allem damals zum Mond, aber in den 1960er Jahren auch schon zur Venus und zum Mars. Zu Beginn der 1970er Jahren machte man sich dann auch auf den Weg zu Jupiter und Saturn - aber Raumfahrt und der erfolgreiche Start von Raumsonden war bis dahin eine Sache der beiden Weltmächte USA und UdSSR. Erst 1974 kam ein drittes Land ins Spiel: Die Bundesrepublik Deutschland mit den Helios-Sonden. Schon 1966 haben der damalige westdeutsche Bundeskanzler Ludwig Erhard und der amerikanische Präsident Lyndon B. Johnson vereinbart, dass man gemeinsam eine Mission zur Erforschung des Weltraums starten würde. Auf Seiten der USA sollte natürlich die NASA die entsprechende Planung durchführen; in Deutschland war die erst 1969 gegründete Deutsche Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt (DFVLR) verantwortlich, die Organisation aus der das heutige Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) hervorgegangen ist. Und im Juni 1969 wurde die Zusammenarbeit auch offiziell beschlossen. Zwei Raumsonden sollten gebaut werden, deren Ziel kein Planet war, sondern der damals noch recht unerforschte Weltraum zwischen Sonne und Erde. Man wollte näher an die Sonne fliegen als je zuvor und schauen, was in der Nähe unseres Sterns so alles passiert. Deutschland sollte 70% der Mission übernehmen, unter anderem den kompletten Bau der Raumsonden. Die Raketen würden von der USA kommen, ebenso wie ein Teil der Infrastruktur zur Kommunikation mit den Raumfahrzeugen. Der Name für die Mission wurde passend vom griechischen Sonnengott ausgeliehen: Helios. Auf den ersten Blick waren die beiden Helios-Sonden fast identisch. Helios-A hatte ein Gewicht von 370 Kilogramm, Helios-B war mit 376,5 Kilogramm nur wenig schwerer. Aussehen tun beide wie überdimensionale Garnrollen. Zieht man die Antennen ab, dann waren beide Sonden knapp über 2 Meter hoch und an der dicksten Stelle 2,77 Meter breit. Da das Ziel die Erforschung der Sonne war, musste man natürlich darauf achten, dass die Sonden nicht zu heiß werden. Dazu hat man sie mit spiegelnden Reflektoren bestückt und auch noch Radiatoren eingebaut, die die aufgenommene Wärme möglichst schnell wieder abgeben können. Außerdem sollten die Sonden sich später im All sehr schnell um ihre eigene Achse drehen, mit einer Umdrehung pro Sekunde, damit die Wärme möglichst gleichmäßig aufgenommen und abgegeben werden kann. Aber lassen wir mal die reine Raumfahrttechnik beiseite und schauen auf die Wissenschaft. Denn die beiden Sonden hatten natürlich auch jede Menge wissenschaftliche Instrumente an Bord. Zum Beispiel einen Detektor um Elektronen, Protonen und andere Teilchen zu messen. Damit wollte man mehr über den Sonnenwind rausfinden. Die Sonne gibt ja nicht nur Licht ab, sondern schleudert auch jede Menge Teilchen aus ihren äußeren Gasschichten ins All. Das ist der Sonnenwind und die Helios-Sonden sollten messen, wie viel davon wo zu finden ist. Enstprechende Messungen wurden minütlich gemacht, um ein möglichst detailiertes Bild zu bekommen. Ein Magnetometer war mit dabei, dass die Stärke und Richtung des Sonnenmagnetfeldes gemessen hat; man hatte ein Instrument dabei um die kosmische Strahlung zu detektieren. Die Erforschung von Sonnenwind und des Magnetfeldes im sonnennahen Weltraum waren zwei wichtige Forschungsfelder der Helios-Mission, aber nicht die einzigen. Man war auch am Staub interessiert, der da zwischen Sonne und Erde rumflog. Deswegen war zum Beispiel das "Zodiacal light instrument" an Bord, also ein Instrument das die Helligkeit des Zodiakallichts messen konnte (davon habe ich in Folge 97 mehr erzählt). Der interplanetare Staub reflektiert ja einen Teil des Sonnenlichts und wenn man diese Helligkeit kennt, kann man berechnen, wo und wieviel Staub im Weltraum zu finden ist. Außerdem gab es auch noch ein Gerät an Bord, das direkt vor Ort Mikrometeoriten untersuchen kann. Wenn die winzigen Staubkörner im Weltall auf die Sonde treffen - bzw. auf den Teil der Sonde, wo das entsprechende Instrument sitzt, dann konnte man damit die Masse der Körner bestimmen. Insgesamt waren auf jeder Helios-Sonde zehn wissenschaftliche Instrumente (sieben aus Deutschland und drei aus den USA) und dann gab es noch zwei Experimente, bei denen die Sonden selbst als Instrument verwendet worden sind. Aus der genauen Analyse der Bewegung der Sonden wollte man zum Beispiel die genaue Masse des Merkur bestimmen. Und dann wollte man noch ein bisschen was über die Sonnencorona herausfinden, also die äußerste, extrem dünne und extrem heiße Schicht der Sonnenatmosphäre. Wenn die Helios-Sonden da durch fliegen und ihre üblichen Radiosignale zur Erde schicken, dann sorgt das Material der Sonnencorona für Veränderungen im Signal, die man entsprechend analysieren kann. Soweit die Wissenschaft, aber bevor man irgendwas messen kann, müssen die Sonden ins Weltall. Helios-A startete am 10. Dezember 1974 von Cape Canaveral aus und alles lief super, zumindest größtenteils. Und nach dem Start hat man die Sonden übrigens von A und B auf 1 und 2 umbenannt. Es war also jetzt Helios 1, die auf eine Umlaufbahn um die Sonne geflogen wurde, wo sie für eine Runde 192 Tage brauchte. Dabei kam sie unserem Stern auf 46,5 Millionen Kilometer nahe. Das ist ungefähr der Abstand, den auch der sonnennächste Planet Merkur zur Sonne hat. Man hatte zwar ein paar Probleme mit der Kommunikation, weil eine der beiden Antennen von Helios 1 sich nicht korrekt ausrichten ließ. Aber das bekam man halbwegs in den Griff. Im Februar 1975 kam Helios 1 der Sonne näher als jedes andere Raumfahrzeug zu dieser Zeit, der Abstand betrug nur noch 46,2 Millionen Kilometer. Und man stellte fest: Es wird zwar heiß, aber die Raumsonde wird nicht so enorm heiß, wie man eigentlich gedacht hatte. Das waren gute Nachrichten, besonders für Helios 2. Schlauerweise hat man beide Sonden nicht gleichzeitig gestartet sondern erst einmal abgewartet, was Helios 1 so treibt, bevor man Helios 2 ins All fliegt. Denn jetzt konnte man mit den Erkenntnissen aus der ersten Mission die zweite Sonde ein wenig verbessern. Zum Beispiel hat man noch ein wenig an der Antenne nachgebessert und die Genauigkeit von ein paar Instrumenten erhöht. Und weil Helios 1 kühler geblieben ist als gedacht, hat man sich dafür entschieden, Helios 2 noch ein Stück näher an die Sonne zu fliegen. Start für Nummer 2 war am 10. Januar 1976 und auf ihrer Umlaufbahn kam die Sonde bis auf 43,5 Millionen Kilometer an die Sonne heran. Ursprünglich waren beide Sonden für eine Missionsdauer von 18 Monaten gebaut. Aber sie haben deutlich länger funktioniert. Erst im März 1980, also vier Jahren nach dem Start ist die Kommunikation mit Helios 2 abgebrochen; Helios 1 hat sogar bis 1986 durchgehalten. Und in dieser Zeit haben die Sonden jede Menge herausgefunden. Zum Beispiel, dass da deutlich mehr interplanetarer Staub herumfliegt, als man bisher gedacht hatte. Man konnte zum ersten Mal Helium-Atome im Sonnenwind nachweisen. Man bekam ein deutlich besseres Verständnis für die Sonnenaktivität. Die Sonne schleudert ja nicht immer gleich viel Material ins All; der Sonnenwind ist nicht immer gleich stark. Die Aktivität ändert sich mit einer Periode von circa 11 Jahren und die Helios-Mission überdeckte fast den kompletten Aktivitätszyklus, ausgehend vom Minimum im Jahr 1976. Zwischendurch war auch noch Zeit, ein paar Kometen zu beobachten die 1975, 1976, 1978 und 1979 nahe an der Sonne vorbeigeflogen sind, wobei man zum Beispiel untersuchen konnte, welche Auswirkungen der Sonnenwind auf die Kometenschweife hat. Die erste Raumsondenmission an der nicht ausschließlich die USA oder die UdSSR beteiligt war, war also durchaus erfolgreich. Die Helios-Sonden haben Rekorde gesetzte, die lange Zeit nicht gebrochen wurden. Helios 2 hatte den Rekord für die größte Annäherung an die Sonne bis zum Jahr 2018, da ist dann die Parker Solar Probe der NASA bis auf 43,4 Millionen Kilometer an die Sonne geflogen. Beide Helios-Sonden waren bis 2018 auch die schnellsten Raumsonden, die je durchs All geflogen sind. Im Vergleich zur Sonne waren sie mit 70 Kilometer pro Sekunde unterwegs und auch hier war es die Parker Solar Probe, die diesen Rekord mit 163 Kilometer pro Sekunde gebrochen hat. Es ist übrigens kein Zufall, dass alte und neuer Rekordhalter Sonnenforschungssonden sind. Man muss schnell sein, wenn man sich der Sonne nähert; je näher man ihr kommt, desto stärker ist die Anziehungskraft und desto schneller muss man sein, wenn man sich auf einer Umlaufbahn halten will. Die Helios-Sonden waren nicht so spektakulär wie die Apollo-Flüge zum Mond, die davor stattgefunden haben und angesichts der spektakulären Missionen der Gegenwart mit all ihrem Medienrummel fällt es leicht, die Raumfahrt der 1970er Jahre aus den Augen zu verlieren. An die Helios-Mission kann man sich aber durchaus erinnern. Es war eine wichtige Mission - und auch wenn wir sie nicht mehr erreichen können, fliegen beide Raumsonden auch heute noch um die Sonne herum.
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Mar 3, 2023 • 12min

Sternengeschichten Folge 536: Der Komet Shoemaker-Levy 9

Einschlag der Perlenkette **Sternengeschichten Folge 536: Der Komet Shoemaker-Levy 9 ** Am 23. März 1993 beobachtete das Ehepaar Carolyn und Eugene Shoemaker gemeinsam mit ihrem Kollegen David Levy von der Mount Palomar Sternwarte aus den Himmel. Sie arbeiteten am damals kleinsten der vier dortigen Teleskope, einem kleinen Spiegelteleskop, das aber ein sehr großes Gesichtsfeld hat, was ideal ist, wenn man einen großen Bereich des Himmels auf einmal sehen möchte. Das Wetter in dieser Nacht war nicht optimal für Beobachtungen; es war stürmisch und Wolken zogen auf. Aber ein Teil des Himmels war noch wolkenfrei; der, wo sich auch Jupiter damals gerade befand. Die drei machten ein paar Aufnahmen; damals noch digital auf Film, bevor auch hier die Wolken eine weitere Beobachtung unmöglich machten. Die Shoemakers und Levy waren auf der Suche nach Asteroiden und Kometen. Wenn man die finden will, muss man die selbe Region des Himmels zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten beobachten und die Bilder dann vergleichen. Ein Komet oder Asteroid bewegt sich im Vergleich zu den fernen Sternen auch in ein paar Stunden schon meßbar und wenn man einen Lichtpunkt findet, der seine Position von einem Bild zum nächsten verändert hat, hat man eine gute Chance, dass es sich um einen Asteroid oder Kometen handelt. Carolyn Shoemaker kam aber erst zwei Tage später dazu, die Bilder zu sichten. Dann wurde sie aber fündig. Mit dem Satz "Ich weiß nicht, was es ist, aber es sieht aus wie ein zerquetschter Komet." hat sie ihre Entdeckung verkündet. Kometen sind ja eigentlich recht kleine Objekte. Sie bestehen aus einer Mischung von Eis und Gestein und sind höchstens ein paar Kilometer groß und normalerweise würde man so winzige Dinger so gut wie gar nicht entdecken können. Aber wenn ein Komet der Sonne nahe genug kommt, dann erwärmt er sich, ein Teil des Eises wird gasförmig, dehnt sich aus und entweicht ins All. Dabei wird auch Gesteinsstaub mitgerissen, der eine Hülle um das Objekt herum bildet. Diese Hülle, die "Koma", kann sehr, sehr groß werden, viele tausend Kilometer groß. Und weil der Staub das Sonnenlicht reflektiert, ist ein Komet - oder besser gesagt die Koma des Kometen - sehr gut zu sehen. Außerdem wird ein Teil des Staubs durch den Sonnenwind davon gerissen und bildet den noch längeren Kometenschweif. In diesem Fall sah Carolyn Shoemaker aber nicht eine Koma und einen Schweif, sondern eine komische Mischung aus einander überlappenden Komas und Schweifen. Der neu entdeckte Komet war definitiv einen zweiten Blick wert. Zuerst aber wurde der Fund offiziell bekannt gegeben und der Himmelskörper bekam seinen offiziellen Namen. Wie bei Kometen üblich, wird der Name aus den Nachnamen der Personen gebildet, die ihn entdeckt haben. In diesem Fall Shoemaker-Levy 9 - weil die Shoemakers und David Levy sehr gut darin waren, Kometen zu entdecken und gemeinsam zuvor schon acht andere gefunden hatten. Aber keiner war so außergewöhnlich wie Nummer 9. Zuerst einmal stellte man fest, dass Shoemaker-Levy 9 die Sonne gar nicht direkt umrundet. Der Komet befindet sich in einer Umlaufbahn um den Planeten Jupiter, wie ein kleiner Mond. Berechnungen seiner Bahn haben außerdem gezeigt, dass der Komet im Jahr zuvor, am 7. Juli 1992 in nur knapp 40.000 Kilometer Abstand an Jupiters Wolkendecke vorbei geflogen ist. Dabei müssen enorme Gezeitenkräfte auf den Kometen gewirkt haben, die den Kern in mehrere Stücke auseinander gerissen haben. So ist der "zerquetschte Komet" entstanden, den Carolyn Shoemaker auf ihrer Fotografie beobachtet hatte. Ein Komet, der Jupiter umkreist und das durch die Gezeitenkraft des Riesenplaneten nicht mehr am Stück sondern als Trümmerhaufen: Das alleine wäre schon außergewöhnlich. Aber das war noch nicht alles! Zwei Monate nach der Entdeckung, am 22. Mai 1993, schickte Brian Marsden vom Minor Planet Center der Internationalen Astronomischen Union eine seiner üblichen Kurzmitteilungen in die Welt hinaus. Das Minor Planet Center ist die offizielle Anlaufstelle für alles was mit Kometen und Asteroiden zu tun hat. Dort werden alle Beobachtungsdaten gesammelt; dort werden Entdeckungen bestätigt, von dort aus wird mitgeteilt, welche Objekte noch ein paar mehr Beobachtungsdaten vertragen könnten, um ihre Bahn genauer zu bestimmen, und so weiter. In diesem Fall begann die Mitteilung mit der Feststellung, dass man in den letzten 2 Monaten schon knapp 200 Beobachtungen von Shoemaker-Levy-9 gesammelt hatte. Dann wurde noch einmal bestätigt, dass der Komet im Juli 1992 extrem knapp an Jupiter vorbei geflogen ist. Und dass es eine weitere sehr nahe Begegnung im Juli 1994 geben wird. Der Abstand zum Mittelpunkt von Jupiter wird dabei knapp 45.000 Kilometer betragen. Der Planet hat allerdings einen Radius von knapp 70.000 Kilometer. Oder anderes gesagt: Der Komet Shoemaker-Levy-9 wird mit Jupiter kollidieren. Und DAS war eine wirkliche Sensation. Wir wissen natürlich, dass immer wieder Asteroiden und Kometen mit anderen Himmelskörpern kollidieren. Das wusste man auch schon 1993. Aber einerseits war dieses Wissen noch vergleichsweise neu. Erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts und unter anderem maßgeblich durch die Arbeit von Eugene Shoemaker setzte sich damals die Erkenntnis durch, dass große Einschläge nichts sind, was nur in der fernen Vergangenheit des Sonnensystems passiert ist, sondern heute immer noch stattfinden kann. Und zweitens konnte man bis damals noch nie live zusehen, wie zwei Himmelskörper kollidieren. Und was genau passiert wenn ein Komet in die gewaltigen Gasmassen eines Riesenplaneten wie Jupiter eindringt, wusste damals auch niemand genau. Es könnte sein, dass das Ding einfach durch die atmosphärischen Schichten des Jupiters rauscht und quasi spurlos verschluckt wird. Oder aber es wird, zumindest kurzfristig, ein Loch in die Atmosphäre des Planeten gerissen und wenn der Komet dann unter dem Druck der tiefer liegenden Gasschichten zerissen wird und explodiert, wird jede Menge Gas hinaus ins All geschleudert. Das Problem: Anfangs sah es so aus, als würden wir nichts davon mitbekommen, egal was passiert. Denn die Berechnungen zeigten, dass der Einschlag am 16. Juli 1994 mitten auf der erdabgewandten Seite des Jupiters passieren sollte. Und man konnte in der kurzen Zeit nicht mal eben ein Teleskop hinter den Jupiter fliegen. Immerhin: Die Raumsonde Galileo war damals gerade schon auf dem Weg zum Jupiter und hatte von ihrer damaligen Position im Asteroidengürtel freie Sicht auf das Spektakel. Zuerst passierte aber noch etwas anderes: Der zerquetschte Komet verwandelte sich in eine Perlenkette. Die Brocken im zertrümmerten Kern des Kometen bewegten sich zwar alle in die selbe Richtung. Aber bei der Annäherung an Jupiter wirkten wieder die Gezeitenkräfte. Die Trümmer, die ein bisschen näher an Jupiter waren, spürten eine stärkere Anziehungskraft als die, die weiter weg waren. Der Trümmerkern zog sich immer weiter auseinander, bis die Stücke wie an einer Kette aufgereiht durchs All Richtung Jupiter flogen. Es würde also nicht nur eine Kollision geben, sonderen mehrere, über mehrere Tage hinweg. Und dann zeigten neue Berechnungen, dass die ersten Treffer zwar immer noch auf der erdabgewandten Seite stattfinden würden. Aber immerhin an einer Stelle, die durch die Rotation des Jupiter schnell in unser Sichtfeld gedreht werden würde. Den Impakt selbst würde man also nicht direkt sehen können, aber wir würden sehr schnell sehen, welche Spuren der Komet hinterlassen hat. Das erste Fragment von Shoemaker-Levy 9 traf am Abend des 16. Juli 1994 mit einer Geschwindigkeit von 60 Kilometer pro Sekunde auf den Jupiter. Die Raumsonde Galileo konnte einen Feuerball beobachten, der eine Temperatur von fast 24.000 Grad Celsius hatte und sich fast 3000 Kilometer über die Wolkendecke von Jupiter erhob. Fast alle großen Teleskope auf der Erde und auch das Hubble-Weltraumteleskop waren auf den Jupiter gerichtet. Als dann endlich der Einschlagsort ins Bild kam, sah man einen dunklen Fleck in der Atmosphäre des Riesenplanet. Einen Fleck, der größer als die Erde war. Das war natürlich kein Einschlagskrater, so etwas gibt es bei einem Gasplaneten nicht. Was man stattdessen gesehen hatte, war Gas aus den tieferen Schichten des Jupiters, das durch den Einschlag an die Oberfläche gelangt ist. Vor allem Schwefel und Schwefelkohlenstoff. Auch die anderen Kometentrümmer, die in den nächsten Tagen einschlugen, hinterließen Spuren - die man teilweise noch viel länger beobachten konnte. Und sogar 2010, fast 20 Jahre nach dem Einschlag, konnten Astronominnen und Astronomen noch Spuren des Einschlags nachweisen. Damals wurde das Herschel-Weltraumteleskop benutzt um den Jupiter zu beobachten. Herschel ist ein Infrarotteleskop und in der Lage, die Existenz von bestimmten Molekülen nachzuweisen, zum Beispiel Wasser. Das fand man bei Jupiter, aber es war auf eine Weise in seinen äußeren Atmosphärenschichten verteilt, die sehr ungewöhnlich war, wenn man davon ausgeht, dass es sich um Wasser handelt, das immer schon Teil von Jupiters Atmosphäre war. Viel besser ließen sich die Beobachtungen erklären wenn man davon ausgeht, dass es Wasser ist, das aus dem Kometenkern von Shoemaker-Levy 9 stammt. 1994 war das erste Mal, dass wir einen Kometeneinschlag beobachten konnten. Aber es war nicht das letzte Mal. Im Juli 2009 beobachtete man einen dunklen Fleck auf Jupiter, genau so wie damals die Spuren von Shoemaker-Levy 9. Den Einschlag selbst hat offensichtlich niemand mitbekommen, aber es muss ein kleiner Asteroid oder Komet gewesen sein, der da ein weiteres Mal auf Jupiter gefallen ist. Mittlerweile sind viel mehr Raumsonden unterwegs und auch viel mehr Teleskope auf der Erde und im Weltraum auf den Himmel gerichtet und deswegen bekommen wir auch mehr solcher Ereignisse mit. Aus den vorhandenen Daten schätzt man, dass es zwischen 10 und 65 Einschläge kleinerer Objekte auf Jupiter pro Jahr gibt, also Asteroiden die zwischen 5 und 20 Meter groß sind. Die größeren Objekte, die sichtbare Spuren in der Atmosphäre hinterlassen, treffen den Jupiter alle 2 bis 12 Jahre. So große Dinger wie Shoemaker-Levy 9 treffen den Jupiter aber nur einmal in ein paar Jahrzehnten oder Jahrhunderten. Wir haben großes Glück gehabt, dass wir damals live dabei zusehen konnte - noch dazu aus sicherer Entfernung!
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Feb 24, 2023 • 19min

Sternengeschichten Folge 535: Maßeinheiten und das Système International

Es muss mehr gemessen werden! Sternengeschichten Folge 535: Maßeinheiten und das Système International Heute müssen wir in den Sternengeschichten ein wenig fundamental werden. Bei all den Geschichten aus der Wissenschaft von denen ich in den letzten paar hundert Folgen erzählt habe, vergisst man vielleicht, dass es eben nicht nur Geschichten sind. Sondern Geschichten, die unser reales Universum beschreiben. Es sind wissenschaftliche Geschichten, deren Grundlage die Realität ist. Beziehungsweise die bestmögliche Annäherung an die Realität. Aber wir wollen nicht zu philosophisch werden, ganz im Gegenteil. Um die reale Welt dort draußen zu verstehen, müssen wir messen. Wir müssen beobachten, wir müssen Experimente anstellen, wir müssen Vermutungen anstellen und sie durch Daten überprüfen. Und damit das funktioniert, müssen wir uns darüber einig sein, was wir messen, wie wir es tun und vor allem wie wir die Ergebnisse der Messung darstellen. Und damit sind wir bei der Metrologie angelangt. Nicht "Meteorologie", die Wissenschaft vom Wetter, sondern Metrologie, die Wissenschaft des Messens. Das ist komplizierter als man denken würde und das gilt insbesondere für die Festlegung von Maßeinheiten. Zumindest wenn man es vernünftig machen möchte. Natürlich kann man einfach irgendeine Einheit festlegen, sagen wir, für die Länge. Ich kann hier und jetzt definieren, dass eine "Florianlänge" exakt der Distanz zwischen meinem Schreibtisch und der Bürotür entspricht. Die Naturwissenschaft würde mit dieser Längeneinheit genau so funktionieren wie bisher. Ich könnte die Entfernung zum Mond in Florianlängen beschreiben, die Geschwindigkeit der Erde in Florianlängen pro Sekunde, und so weiter. Aber aus wissenschaftlicher Sicht ist das Quatsch. Erstens würde niemand außer mir wissen, wie lang eine Florianlänge eigentlich ist. Es könnte vor allem niemand unabängig überprüfen, ohne zu Besuch in mein Büro zu kommen. Und wenn ich, so wie jetzt gerade, aus Versehen gegen den Schreibtisch stoße, dann hat sich der Wert der Florianlänge verändert, wenn auch nur um ein paar Millimeter. Das war jetzt natürlich ein sehr absurdes Beispiel und es ist klar, dass niemand auf die Idee kommen würde, auf diese Weise eine Längeneinheit zu definieren. Wenn man sich aber anschaut, wie es früher so lief auf der Welt, dann war das gar nicht so weit von meinem Beispiel entfernt. Jedes Land, jede Region, oft sogar jede Stadt hatte ihre eigenen Einheiten für Länge, Gewicht, und so weiter. Im 19. Jahrhundert konnte man Entfernungen in Bayern zum Beispiel in Klaftern messen, wobei ein Klafter ungefähr 180 Zentimetern entspricht. Oder in Ruthen, was etwa 3 Meter waren. Oder in "Wegstunden", was ein bisschen so wie "Lichtjahre" zu verstehen ist, also die Entfernung, die man in einer Stunde zurück legen kann, und in Bayern damals ungefähr 4,4 Kilometer entsprochen hat. Wer dagegen in Österreich eine Rute abgemessen hat, hat 3,16 Meter zurück gelegt. Und wer ein Maß einer Flüssigkeit bestellt hat, bekam in Österreich 1,417 Liter, in Bayern dagegen 1,5 Liter. Und so weiter. Das ganze Durcheinander bestand nicht nur zwischen Österreich und Bayern, sondern zwischen überall und überall anders und auch bei Flächenmaßen, Gewichten, und so weiter. Das war alles damals schon nicht unproblematisch, für den Alltag und für die Forschung. Wenn jemand zum Beispiel irgendwelche Messungen angestellt und Distanzen in Meilen angegeben hat, dann war bei weitem nicht klar, dass alle anderen gewusst haben, um welche Distanz es wirklich geht. Wenn jemand anderes anderswo ein Experiment wiederholt hat, war nicht immer leicht herauszufinden, ob die Ergebnissen übereinstimmen oder nicht. Und als die Welt dann immer weiter zusammengewachsen ist, ist das alles zu einem richtigen Problem geworden. Für den Handel, die Politik und insbesondere für die Wissenschaft. Eine komplette Geschichte der Maßeinheiten würde den Rahmen sprengen, also springen wir gleich in das Jahr 1790 und mitten in die französische Revolution. Die französische Akademie der Wissenschaft hat damals den Auftrag bekommen, ein einheitliches System für Maße und Gewichte zu entwerfen. Und das sollte bitteschön nicht irgendwie willkürlich sein, sondern nach Möglichkeit aus natürlichen Größen abgeleitet werden. Längeneinheiten sollten nicht mehr auf irgendwelchen Körperteilen basieren, wie bei Fuß oder Elle, und der ganze Wildwuchs der Umrechnungen musste beseitigt werden. Schauen wir uns das am Beispiel der Längeneinheiten an. Hier hat man sich die Erde als Basis gesucht. Und sich gesagt: Wir messen die Distanz vom Nordpol bis zum Äquator, das ist definitiv eine von der Natur vorgegebene Größe. Und dann teilen wir diese Distanz durch 10 Millionen. Das Ergebnis nennen wir "Einen Meter" und ist die Grundlage für die Länge. Will man kleinere Einheiten haben, dann teilt man den Meter einfach wiederholt durch 100 und bekommt so Zentimeter, Millimeter und so weiter oder multipliziert mit hundert, dann kriegt man Kilometer, etc. Und wenn wir mal so eine natürliche Länge haben, können wir damit exakt einen Kubikdezimeter Wasser abmessen und sein Gewicht als Grundlage für die Gewichtseinheit nehmen. Und so weiter. Das ist in der Praxis natürlich nicht so einfach wie es klingt. Ich habe in Folge 232 der Sternengeschichten ja schon erzählt, wie schwierig es war, die Messungen durchzuführen, um den Meter zu definieren. Und die ersten Definitionen die im 18. und 19. Jahrhundert gemacht wurden, waren auch nicht unbedingt die optimale Wahl, zummindest aus heutiger Sicht. Wir wissen zum Beispiel, dass die Erde keine perfekte Kugel ist und es einen Unterschied macht, wo genau man vom Norpdol zum Äquator misst. Also wurden im Laufe der Zeit immer wieder neue Definitionen vorgeschlagen, um die Grundlage des Einheitensystems so unabhängig von menschlichen Vorstellungen und Konventionen zu machen, wie es nur geht. Die meisten Staaten der Welt sind heute Mitglied der sogenannten "Meterkonvention" beziehungsweise assoziert oder halten sich einfach so daran, was dort beschlossen wurde. Die Internationale Meterkonvention ist ein Vertrag, der am 20. Mai 1875 zuerst von 17 Staaten geschlossen wurde, darunter auch Deutschland, die Schweiz und Österreich. Aber auch die USA, Argentienen oder Russland waren dabei. Ziel war es, Institutionen zu gründen die sich um international gültige Einheiten kümmern. Dafür gibt es die Generalkonferenz für Maß und Gewicht, die alle paar Jahre stattfindet, das Internationales Komitee für Maß und Gewicht das alles verwaltet und das Internationale Büro für Maß und Gewicht, wo dann tatsächlich die entsprechenden Einheiten diskutiert, definiert und zur Verfügung gestellt werden. Die erste Generalkonferenz für Maß und Gewicht fand 1875 statt, dort wurden Definitionen für Länge, Gewicht und Zeit festgelegt. Später kamen andere Basiseinheiten dazu, weil man auch so etwas wie elektrischen Strom vernünftig und einheitlich messen können wollte. Dieses internationale Einheitensystem bekam bei der 11. Generalkonferenz für Maß und Gewicht im Jahr 1960 den Namen "Système International d’Unités", was so viel wie "Internationales Einheitensystem" bedeutet, aber trotzdem immer noch als SI, für "Système International" abgekürzt wird. Es gab immer wieder diverse Reformen und Neudefinitionen. Aber am Ende hat man sich auf sieben Basiseinheiten geeinigt. Man könnte über jede dieser Einheiten mehrere Podcastfolgen machen; ihre Definitionen und die damit verbundene Wissenschaft sind voll mit spannenden Geschichten. Aber vorerst beschränke ich mich darauf, sie einfach mal aufzulisten. Wir fangen mit der Zeit an. Die zugehörige Einheit ist die Sekunde und die ist heute definiert als "das 9.192.631.770-fache der Periodendauer der Strahlung, die dem Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustandes von Atomen des Nuklids Cäsium-133 entspricht". Und damit wird vielleicht auch klar, warum wir bei der sehr genauen Zeitmessung "Atomuhren" verwenden. Das sind keine Uhren, die mit Atomkraft angetrieben werden. Sondern Instrumente, in denen Atome, in dem Fall spezielle Cäsiumatome, von einem Energiezustand in einen anderen wechseln und dabei elektromagnetische Strahlung aussenden. Diese Strahlung hat eine Schwingungsperiode und wenn man die misst und mit 9.192.631.770 multipliziert, ist das genau eine Sekunde. Die Einheit der Basisgröße Länge ist der Meter und ein Meter ist definiert als als die Strecke, die das Licht im Vakuum in einer Zeit von 1 / 299 792 458 Sekunden zurücklegt. Daraus folgt übrigens sofort, dass die Lichtgeschwindkeit in SI-Einheiten EXAKT 299.792.458 Meter pro Sekunde beträgt. Nicht mehr, nicht weniger sondern exakt diese Geschwindigkeit. Bei der Einheit für die Masse war die Lage lange Zeit ein wenig knifflig. Tatsächlich hatte man noch im 19. Jahrhundert ein sogenanntes "Urkilogramm" gebaut. Das war, vereinfacht gesagt, einfach ein Stück Metall das in Frankreich aufbewahrt wurde ein Kilogramm war per Defintion die Masse von genau diesem Ding. Das ist natürlich unbefriedigend, und selbst wenn man sich sehr viel Mühe gibt, verändert so ein Objekt im Laufe der Zeit seine Masse, wird ein paar Mikrogramm leichter, weil es Abrieb gibt, und so weiter. In diesem Fall aren es nur circa 50 Mikrogramm in 100 Jahren, aber für die offizielle Basis einer Einheit ist das kein Zustand. Deswegen gibt es seit 2019 eine neue Definition. Ein Kilogramm ist definiert, indem für die Planck-Konstante h der Zahlenwert 6,62607015 × 10 hoch –34 festgelegt wird, ausgedrückt in der Einheit J s, die gleich kg m^2 s^–1 ist, wobei der Meter und die Sekunde mittels c und ΔνCs definiert sind. Das klingt verwirrend und das habe ich mir nicht selbst so ausgedacht, dass ist der offizielle Text der Definition. Bedeuten soll das ganze folgendes: Die Planck-Konstante ist eine fundamentale physikalische Konstante und beschreibt das Verhältnis von Energie und Frequenz eines Lichtteilchens. Man gibt es in Einheiten von Energie mal Zeit an; Energie ist aber keine Basiseinheit, sondern kann durch eine Kombination von Masse, Länge und Zeit angegeben werden. Am Ende jedenfalls kommt man zu dem Ergebnis, dass die Planck-Konstante in SI-Einheiten in Kilogramm mal Quadratmeter pro Sekunde angegeben werden muss. Man kann ihren Wert messen; in der neuen Definition hat man ihren Wert aber einfach per Definition auf 6,62607015 × 10 hoch –34 Kilogramm mal Quadratmeter pro Sekunde festgelegt. Und weil auch Sekunde und Meter exakt festgelegt sind, kann man daraus berechnen, wie viel Masse etwas haben muss, das genau ein Kilogramm schwer ist. Zumindest in der Theorie, in der Praxis ist es ein wenig schwerer. Die Details verschiebe ich auf eine spätere Folge; man braucht dazu zum Beispiel eine Watt-Waage, aber uns fehlen ja noch ein paar Basiseinheiten und das würde jetzt zu weit führen. Länge, Masse und Zeit kann man sich noch recht gut vorstellen und verstehen, dass man dafür Einheiten braucht. Aber da fehlt noch einiges. Die Temperatur zum Beispiel. Die wird in Kelvin gemessen und ein Kelvin ist diejenige Änderung der thermodynamischen Temperatur T, die einer Änderung der thermischen Energie um exakt 1.380649 x 10 hoch 23 Joule entspricht. Auch dafür hat man eine Naturkonstante, in diesem Fall die Boltzmann-Konstante, auf einen exakten Wert festlegen müssen. Anschaulich ist das Kelvin eine absolute Temperaturskala und wurde ursprünglich einmal eingeführt als die Temperaturskala, deren Nullpunkt nicht unterschritten werden kann. Es kann also nichts im Universum kälter als 0 Kelvin werden. Was aber eh kalt genug ist, das entspricht -273,15 Grad Celsius. Was fehlt uns noch? Die elektrische Stromstärke! Die hat die Einheit "Ampere" und ist definiert als eine Ladungsmenge die der Ladung von 6 Trillionen 241 Billiarden 509 Billionen 074 Milliarden Elektronen entspricht, die in einer Sekunde an einem konkreten Punkt vorbei fließt. Diese Zahl stammt aus einer Neudefinition der Elementarladung, also der elektrischen Ladung eines einzelnen Elektrons. Was wir auch noch messen müssen, gerade in der Astronomie, ist die Lichtstärke. Wie viel Licht gibt etwas ab? Von dieser Grundeinheit haben viele vielleicht noch nie gehört. Lichtstärke misst man in "Candela" und hier wird die Definition langsam ein wenig unübersichtlich. Aber so ist das halt, wenn man so exakt wie möglich sein will. Also probieren wir es: Wir haben Strahlung mit einer Frequenz von exakt 540 mal 10 hoch 12 Hertz. Diese Strahlung hat ein sogenanntes "Photometrisches Strahlungsäquivalent". Vereinfacht gesagt: Je größer das photometrische Strahlungsäquivalent, desto heller können wir eine Lichtquelle bei vorgegebener Strahlungsleistung sehen. Für die offizielle Defintion des Candela wird das photometrische Strahlungsäquivalent der Strahlung bei 540 mal 10 hoch 12 Hertz auf exakt 683 festgelegt, vorausgesetzt wir messen das ganze in Candela pro Kilogram, pro Quadratmeter, pro Sekunde hoch drei pro Raumwinkel. Und weil die ganzen anderen Einheiten ja schon fix definiert sind, kriegen wir über die Festlegung der Konstanten auch die Definition des Candela. "Candela" ist übrigens das lateinische Wort für Kerze und man hat das ganze ursprünglich so gewählt, damit eine normale Kerze eine Lichtstärke von etwa einem Candela hat. Ich weiß, es wird langsam wirklich verwirrend, aber wir sind gleich durch. Wir müssen nur noch die siebte und letzte Einheit definieren und das ist die für die Stoffmenge. Und damit sind keine Stoffe gemeint, aus denen man Kleidung macht. Sondern ganz allgemein "Stoff", also quasi Zeug. Man kann irgendwas nehmen: Eine Haufen Atome. Einen Haufen Moleküle, was auch immer. Aber wenn man genau 602 Trilliarden 214 Trillionen 076 Billiarden von den Dingern auf einen Haufen packt, dann hat man exakt ein Mol davon. Denn "Mol" ist die Einheit der Stoffmenge und man kann sich fragen, wozu man das braucht? Weil man eben manchmal nicht nur wissen muss, wie viel Masse etwas hat, sondern auch, wie viele Teilchen es sind, die diese Masse haben. Das ist vor allem in der Chemie sehr wichtig und deswegen braucht es auch da eine verbindlich definierte Einheit um das angeben zu können. Das sind die sieben Basiseinheiten des Système Internationale: Meter, Kilogramm, Sekunde, Kelvin, Ampere, Candela und Mol. Und wer nicht alle Definitionen verstanden hat, muss sich nicht ärgern. Es geht bei der Festlegung der fundamentalen Größen nicht unbedingt um Anschaulichkeit. Es geht einzig darum, dass alles so einheitlich, verbindlich und exakt wie möglich ist. Und am Ende reicht es ja zu wissen, DAS es eine Definition gibt, an die sich alle halten. Es müssen nicht alle auch jedes letzte Detail der Definition verstehen. Vielleicht fragt sich nun der eine oder die andere, was denn mit solchen Einheiten ist wie Volt, für die elektrische Spannung. Oder Newton, für die Kraft. Oder Joule, für die Energie? Das sind keine Basiseinheiten, sondern abgeleitete Einheiten. Das soll heißen, dass man sie alle als Kombination der sieben Basiseinheiten darstellen kann. Ein Volt ist zum Beispiel ein Watt pro Ampere. Und ein Watt ist ein Joule pro Sekunde. Und ein Joule ist ein Newton mal Meter. Newton ist die Einheit der Kraft, Kraft ist Masse mal Beschleunigung und wird daher in Kilogramm mal Meter pro Sekunde zum Quadrat gemessen. Und das sind wieder Basiseinheiten. Alle in der Naturwissenschaft verwendeten Einheiten kann man mit den Basiseinheiten beschreiben. Es gibt auch noch andere Einheitensysteme, zum Beispiel das Anglo-Amerikanische System wo man zum Beispiel Längen in Meilen misst und eine Meile 1,609344 Kilometer lang ist. Oder eine Gallone gleich 4,54609 Liter. Oder ein Stone gleich 6,35 Kilogramm. Und so weiter. Die werden aber vor allem in den USA und Großbritannien verwendet und dort auch vor allem im Alltag. In der Wissenschaft wird auch dort das Système International genutzt. Denn am Ende funktioniert die Wissenschaft nur, wenn alle sich einig sind, was wie gemessen wird. Die Metrologie mag zwar ein wenig trocken und kompliziert sein. Aber sie ist die Grundlage all der spannenden Entdeckungen die wir dort draußen im Universum machen.
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Feb 17, 2023 • 12min

Sternengeschichten Folge 534: Quaoar, ein besonderer Asteroid

Kein 10. Planet aber trotzdem cool Sternengeschichten Folge 534: Quaoar, ein besonderer Asteroid Im Jahr 2002 konnte man in einigen Medien lesen, dass der "zehnte Planet" unseres Sonnensystems entdeckt worden ist. Zur Erinnerung: Damals galt auch Pluto noch als Planet, nämlich als Planet Nummer Neun. Erst 2006 war die Astronomie so weit, die fehlerhafte Klassifikation von Pluto als Planet zu korrigieren. Aber damals hatte das Sonnensystem ganz offiziell noch 9 Planeten und - zumindest den Schlagzeilen im Jahr 2002 zufolge - vielleicht bald 10. Die amerikanischen Astronomen Chad Trujilo und Mike Brown hatten am 4. Juni 2002 Beobachtungen am Palomar-Observatorium in Kalifornien angestellt. Sie waren auf der Suche nach noch unbekannten Asteroiden im äußeren Sonnensystem. Und wurden an diesem Abend fündig. Das merkten sie aber erst 2 Tage später, als sie die Bilder am Computer auswerteten. Im Sternbild Schlangenträger bewegte sich ein Himmelskörper um die Sonne, der bisher noch unbekannt war. Die ersten Daten zeigten, dass er noch weiter entfernt von der Sonne ist als Pluto. Zumindest teilweise, denn Plutos Umlaufbahn ist sehr langgestreckt. Am sonnennächsten Punkt ist Pluto knapp 30 mal weiter von der Sonne entfernt als die Erde, am sonnenfernsten Punkt ist es der 50fache Erdabstand. Der neu entdeckte Himmelskörper hat eine mehr kreisförmige Bahn und die Extreme ändern sich nicht so stark. Er kommt der Sonne nie näher als die 41fache Distanz zwischen Erde und Sonne und am fernsten Punkt ist er gut 45mal so weit entfernt wie die Erde. Übrigens: Die Bestimmung der Bahn gelang nicht allein mit den Bildern die am 4. Juni 2002 aufgenommen wurden. Je mehr Bilder man hat und je größer der Zeitraum zwischen den Aufnahmen ist, desto genauer kann man die Bahn bestimmen. Trujilo und Brown haben sich also sofort auf die Suche nach sogenannten "precoveries" gemacht. Sie haben abgeschätzt, wo sich der Himmelskörper in der Vergangenheit befunden haben könnte und dann in den Archiven nach Aufnahmen von diesen Himmelsregionen gesucht. Und dort dann nachgesehen, ob sie das neu entdeckte Objekt finden können. Das kommt öfter vor als man denken würde. Denn ist natürlich nicht möglich, bei jeder astronomischen Aufnahmen jeden einzelnen Lichtpunkt zu identifizieren. Meistens ist man ja nur an einem bestimmten Stern oder anderem Objekt interessiert und macht sich nicht die Mühe, all die anderen Objekte auf dem Bild auch noch im Detail zu untersuchen. Aber wenn man weiß, wonach man sucht, wird man in den alten Daten oft fündig. In dem Fall gleich mehrfach; die ältesten Bilder die das neu entdeckte Objekt zeigten waren aus dem 1983 und noch auf klassischen Fotoplatten. Auf jeden Fall war mit diesen precoveries eine genaue Bestimmung der Bahn und des Abstands zur Erde möglich. Wie jeder andere neu entdeckte Asteroid bekam auch dieser vorerst eine sogenannte "provisorische Bezeichnung" aus Zahlen und Buchstaben, mit denen der Zeitpunkt der Entdeckung kodiert wird: 2002 LM60. Es war auch ziemlich bald klar, dass es sich um ein vergleichsweise großes Objekt handeln muss. 2002 LM60 war recht hell und angesichts seiner großen Entfernung von der Sonne muss er auch recht groß sein. Man schätzte den Durchmesser auf 1300 Kilometer. Damit wäre er immerhin halb so groß wie Pluto gewesen und das größte Objekt, das man seit Plutos Entdeckung 1930 im Sonnensystem bis dahin gefunden hätte. Und egal ob Planet oder nicht - so ein großes Ding braucht natürlich auch einen Namen. Die Entdecker suchten in der Mythologie der amerikanischen Ureinwohner, insbesondere von denen, die in der Nähe der Palomar-Sternwarte lebten, nach Ideen. Ihr Vorschlag: Quaoar, nach der Schöpfergottheit der Tongva, die früher dort lebten, wo sich heute Los Angeles befindet. Der Name wurde bekannt gegeben, noch bevor die Internationale Astronomische Union, die eigentlich für solche Benennungen zuständig ist, sich dazu äußern konnte. Denn normalerweise läuft es so, dass ein Asteroid nach seiner Entdeckung eine provisorische Bezeichnung bekommt und dann, wenn seine Bahn ausreichen gut bestimmt worden ist, eine offizielle Nummer. Und erst dann wird ein echter Name gesucht und vergeben. In diesem Fall war der Name vor der Nummer da, aber die IAU war nicht böse. Im Gegenteil, sie gab Quaoar die Nummer 50.000, um die Tatsache hervorzuheben, dass es sich wegen seiner Größe um ein besonderes Objekt handelt. Normalerweise werden die Asteroiden ja einfach in der Reihenfolge ihrer Entdeckungen durchnummeriert, aber für Quaoar hat man eine Ausnahme gemacht und ihn mit der schönen, runden Nummer 50.000 einsortiert. Mittlerweile wissen wir, dass die ersten Schätzungen über die Größe von Quaoar etwas zu groß war. Der Asteroid hat einen Durchmesser von gut 1100 Kilometern, was aber immer noch sehr groß ist. Und besonders ist Quaoar auf jeden Fall. Wie alle größeren Objekte in der Region hinter der Umlaufbahn von Neptun ist auch Quaoar ein eisiger Himmelskörper. Seine Oberfläche ist mit gefrorenem Methan, Ethan, Ammoniak und Stickstoff bedeckt. Man hat aber auch Wassereis gefunden und Hinweise darauf, dass das Innere von Quaoar ein wenig wärmer ist. So warm, dass dort Wasser vielleicht auch flüssig sein kann und durch Spalten an die Oberfläche dringt. So einen "Eisvulkanismus" kennen wir auch von anderen Himmelskörpern, aber auch der ferne Quaoar zeigt, dass das Phänomen vielleicht häufiger ist, als man dachte. 2007 gab es dann die nächste Entdeckung bei Quaoar. Mike Brown hatte sich noch einmal die Bilder angesehen, die im Jahr zuvor mit dem Hubble-Weltraumteleskop gemacht wurden. Damals wollte man eigentlich nur möglichst gute Daten des neu entdeckten Objekts sammeln und Quaoar war tatsächlich auch der erste Asteroid hinter der Neptunbahn der mit Hubble untersucht wurde. Auf den Bildern war aber bei genauerer Betrachtung noch mehr zu erkennen: Nämlich ein kleiner Mond, der um Quaoar kreist. Diesmal fragte Mike Brown gleich direkt bei den Tongva selbst nach einem Namen für das Objekt und die Wahl fiel auf Weywot, den Himmelsgott und Sohn von Quaoar in der Mythologie der Ureinwohner. Weywot hat einen Durchmesser von circa 170 Kilometern und umkreist den Asteroid in einem Abstand von 14.500 Kilometer. Das Asteroiden Monde haben beziehungsweise es Doppelasteroide gibt ist nicht ungewöhnlich. Man hat schon einige davon gefunden und meistens entsteht so etwas bei Kollisionen, wo Bruchstücke des größeren Objekts dann in einer Umlaufbahn landen. Vermutlich war das auch bei Quaoar der Fall, der in der Vergangenheit mit einem anderen großen Asteroid zusammengestoßen sein muss. Damit ist die Geschichte über den besonderen Asteroid aber noch nicht zu Ende. Im Februar 2023 gab die Europäische Weltraumagentur die Ergebnisse bekannt, die bei der Beobachtung von Quaoar durch CHEOPS gewonnen wurden. CHEOPS ist ein kleines Weltraumteleskop und der Name steht für "CHaracterising ExOPlanet Satellite". Und wie dieser Name sagt, ist es der eigentliche Job dieses Instruments, sich die Planeten anderer Sterne genauer anzusehen. Das tut das Teleskop, in dem es die Helligkeit von Sternen sehr genau misst und nach Verdunkelungem sucht, die durch vorbeiziehende Planeten verursacht werden. Aber mit der Helligkeitsmessungen von Sternen kann man auch andere Dinge herausfinden. Es kommt immer wieder mal vor, dass ein Asteroid des Sonnensystems von uns aus gesehen genau vor einem Stern vorüber zieht. Der Asteroid ist zwar sehr viel kleiner als so ein Stern aber natürlich auch sehr, sehr viel näher. Deswegen kann er das Licht des nur punktförmig erscheinenden Sterns verdunkeln. Das dauert meist nur sehr kurz, aber wenn man vorher darüber Bescheid weiß, kann man im richtigen Moment hinschauen. Und wenn man weiß, wie schnell sich der Asteroid bewegt kann man aus der Dauer der Verdunkelung seine Größe sehr viel exakter bestimmen als mit anderen Methoden. Genau deswegen haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das "Lucky Star project" gestartet und probiert, Sternbedeckungen durch Asteroiden vorherzusagen und zu beobachten. Dazu muss man natürlich die Position der Sterne möglichst gut kennen und ein wenig Glück braucht man auch noch. Das hatte man in diesem Fall und konnte zwischen 2018 und 2021 beobachten, wie mehrere Sterne von Quaoar bedeckt wurden. Normalerweise würde man erwarten, dass das Licht des Sterns in dem Moment verschwindet, in dem sich der Asteroid von uns aus gesehen vor ihn schiebt und dann wieder zu sehen ist, wenn er vorbei gezogen ist. Licht an, Licht aus, quasi. Nur war das hier nicht so. Der Stern flackerte zuerst ein wenig, bevor er nicht mehr zu sehen war und er flackerte ein wenig, bevor er wieder komplett sichtbar wurde. Hätte man die Beobachtung mit einem Teleskop von der Erde aus gemacht, dann wäre das wenig überraschend gewesen. Die Störungen durch die Erdatmosphäre können genau so einen Effekt erzeugen. Aber CHEOPS ist ein Weltraumeteleskop und deswegen blieb nur eine Möglichkeit, die Daten zu erklären: Quaoar ist von einigen dünnen Ringen umgeben! Im Gegensatz zur Entdeckung des Asteroiden-Mondes Waywot ist ein Asteroiden-Ring durchaus überraschend. Wir kennen zwar andere Asteroiden die Ringe haben, aber sehr, sehr viel weniger als Asteroiden mit Monden. Und vor allem hat Quaoar Ringe, die er eigentlich gar nicht haben dürfte. Es gibt mehrere Möglichkeiten, wie ein Himmelskörper zu Ringen kommen kann. Es kann sich zum Beispiel um die Reste einer Kollision haben. Oder um Material, das von Eisvulkanismus stammt. Asteroideneinschläge auf Monden können Staub ins All schleudern, der einen Ring bildet. Und so weiter. Aber solche Ringe sollten sich eigentlich innerhalb der sogenannten "Roche-Grenze" befinden. Das ist, vereinfacht gesagt, der Abstand zu einem großen Himmelskörper, innerhalb dessen sich keine Monde befinden können. Kommt ein Mond zum Beispiel einem Planeten näher als das Roche-Limit, dann wird er durch dessen Gezeitenkräfte zerstört - und es entsteht ein Ring aus Trümmern. Gibt es irgendwelche Trümmer außerhalb der Roche-Grenze, dann sollten die sich im Laufe der Zeit zu einem Mond zusammenballen. Alle bekannten Ringe von Asteroiden befinden sich innerhalb der Roche-Grenze. Aber der Ring von Quaor nicht. Der Grund dafür könnten die extrem tiefen Temperaturen sein, die verhindern das die Eisteilchen aus denen die Ringe bestehen, zusammenhalten. Aber um das Rätsel der Ringe von Quaoar zu lösen, wird man noch sehr viel genauer hinschauen müssen. Noch ist keine Raumsonde in der Nähe von Quaoar vorbeigeflogen. Aber es gibt Konzepte für die Erforschung dieses fernen Himmelskörpers. Wenn eine entsprechende Sonde gebaut wird, wird es aber auf jeden Fall bis zur Mitte des Jahrhunderts dauern, bis sie gestartet und bei Quaoar angekommen ist. Aber wer weiß, was wir dort dann zu sehen kriegen!
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Feb 10, 2023 • 16min

Sternengeschichten Folge 533: Die Bauernastronomen der frühen Neuzeit

Feldforschung aus Sachsen und Tirol Sternengeschichten Folge 533: Die Bauernastronomen der frühen Neuzeit Wer Astronomie betreiben will, muss dafür an der Universität studieren. Das ist richtig, denn immerhin ist die Astronomie eine ausgewachsene Naturwissenschaft. Man muss jede Menge mathematische und physikalische Grundlagen lernen; man muss all das verstehen lernen, was die Forscherinnen und Forscher in den letzten Jahrhunderten rausgefunden haben und erst dann kann man anfangen, eigene Beiträge zum astronomischen Wissen zu leisten. Aber die Astronomie ist eine spezielle Wissenschaft. Man kann den Himmel auch völlig ohne wissenschaftlichen Anspruch beobachten, einfach nur weil es Spaß macht. Und dabei, trotz allem, ab und zu auch der wissenschaftlichen Forschung helfen. Zum Beispiel wenn es darum geht, die Bahnen von Himmelskörpern wie Asteroiden und Kometen zu bestimmen. Je mehr Beobachtungen man hat, desto genauer ist die Bahnbestimmung und man braucht zwar schon ein wenig Ahnung und entsprechende Instrumente, kann aber Asteroiden und Kometen auch beobachten, ohne zuvor an der Uni studiert zu haben. Dass man Wissenschaft überhaupt als echten Beruf betreiben kann, ist eine vergleichsweise neue Sache. Vor ein-, zweihundert Jahren war das nur etwas für Leute, sich keine Sorgen darum machen mussten, wie sie ihr Geld verdienen. Weil man entweder zum Beispiel sowieso in einem Kloster gelebt und keinen Bedarf an Geld gehabt hat. Oder weil man anderweitig reich genug war. Man konnte studieren und man konnte danach an einer Universität arbeiten. Aber die Forschungsinfrastruktur die wir heute haben, war früher in der Form nicht vorhanden. Und deswegen gab es auch sehr unkonventionelle Wege zur Astronomie. Zum Beispiel die der sogenannten "Bauernastronomen". So wird eine Gruppe von Menschen genannt, die im 17. und 18. Jahrhundert astronomische Arbeit geleistet haben, obwohl sie Bauern waren. Natürlich ist man nicht prinzipiell unfähig, den Himmel zu erforschen, nur weil man als Landwirt arbeitet. Aber im 17. und 18. Jahrhundert war es nicht immer einfach, an Bildung zu kommen. Wer nicht lesen oder schreiben konnte; wer nicht das Geld oder die entsprechenden Bekannten hatte, hatte wenig Chancen auf ein Studium und eine Karriere an der Universität. Und wer aus einer Bauernfamilie stammte, wurde im Allgemeinen selbst ein Bauer und kein Astronom. Um so spannender sind die Lebensläufe der "Bauernastronomen". Der erste, der so genannt wurde, ist Nikolaus Schmidt. Obwohl man darüber streiten kann, ob er wirklich "Bauernastronom" genannt werden sollte. Schmidt wurde 1606 im heutigen Thüringen in Deutschland geboren, also zu einer Zeit, als die moderne Wissenschaft und die moderne Astronomie gerade erst entstanden. Johannes Kepler sollte sein berühmtes Werk "Astronomia Nova" erst 1609 veröffentlichen; die revolutionären Arbeiten von Galileo Galilei und Isaac Newton waren ebenfalls noch nicht erschienen. Teleskope zur Himmelsbeobachtung waren noch unbekannt. Und die Grenzen zwischen Astronomie und Astrologie damals sehr fließend. Nikolaus Schmidt jedenfalls war das Kind einer Bauernfamilie und hatte keine Möglichkeit, eine Schule zu besuchen. Ein Knecht auf dem Hof konnte aber lesen und schreiben und von ihm lernte Nikolaus - als Teenager - nicht nur ebenfalls lesen und schreiben sondern schnell auch Latein aus der Bibel. Durch seinen Onkel, der Schreiber war, kam er mit weiteren Büchern in anderen Sprachen in Kontakt, die er ebenfalls schnell lernte. Der junge Schmidt legte sich eine große Büchersammlung zu und war insbesondere von der Astronomie fasziniert. Sterne und Planeten konnte er ja auch selbst beobachten, was er auch tat und darüber Aufzeichnungen anfertigte, wie über das Wetter. 1633 wurde der Herzog im nahen Weimar auf Schmidt aufmerksam und dadurch Fürsten, Geistliche und andere einflussreiche und gelehrte Menschen. Sein im Selbststudium angesammeltes Wissen verwendete Schmidt vor allem um Kalender zu verfassen. Das mag aus heutiger Sicht nicht sonderlich wichtig klingen. Aber die Astronomie IST die Grundlage des Kalenders und im 17. Jahrhundert musste man die entsprechenden Daten mit dem nötigen astronomischen und mathematischen Wissen berechnen. So ein Kalender war auch mehr als nur eine Auflistung der Tage eines Jahrs. Er enthielt Daten über Auf- und Untergang des Mondes, die Mondphasen, die Länge des Tages, und so weiter - all das musste berechnet werden und das war die Arbeit eines Kalenderastronomen wie Schmidt. Und natürlich gab es dazu damals immer auch noch jede Menge astrologische Daten, Berechnungen und Prognosen. Jedes Jahr veröffentlichte Schmidt einen neuen Kalender und nach seinem Tod veröffentlichte sie sein Sohn weiter, bis weit in das 18. Jahrhundert hinein. Schmidt starb 1671 - da war Christoph Arnold schon 21 Jahre alt. Auch er war der Sohn einer Bauernfamilie aus Sommerfeld bei Leipzig. Und so wie Schmidt war auch Arnold ein sehr wissbegieriges Kind, dass schon früh und schnell lesen und schreiben lernte. Seine Schulbildung war kurz, sein Selbststudium dafür umso intensiver. Den Sternenhimmel konnte er bei seiner Arbeit auf den Feldern und Weiden gut beobachten. Bücher fand er im nahegelegenen Leipzig und dort lernte er auch Gottfried Kirch kennen, einen der führenden deutschen Astronomen der damaligen Zeit. Von ihm lernte Arnold jede Menge, vor allem über Kometen. 1680 war einer davon hell am Himmel über Deutschland zu sehen; entdeckte hatte ihn Gottfried Kirch, aber auch Arnold beobachtete ihn von seiner kleinen Sternwarte, die er sich am elterlichen Hof eingerichtet hatte. Und nur wenig später, am 15. August 1682 entdeckte Arnold selbst einen Kometen. Acht Tage später wurde er auch vom berühmten Astronom Johannes Hevelius beobachtet und dass der Amateur Arnold früher dran war, hat die Aufmerksamkeit der damaligen Fachwelt auf ihn gelenkt. Arnold veröffentlichte seine Beobachtungen des Kometen und auch wenn sich dann herausstellte, dass er doch nicht der erste war, der ihn gefunden hatte, war es sein Einstieg in die offizielle Welt der Astronomie. Und 1686 fand er dann - diesmal wirklich als erster in Europa - einen weiteren Kometen. Arnold beobachtete die Verfinsterungen der Jupitermonde, Doppelsterne, den Merkurdurchgang und als er 1695 mit nur 45 Jahren starb, war er ein durchaus angesehener Astronom. Wir werden uns den Kometen aus dem Jahr 1682, über den Arnold seine erste Arbeit geschrieben hat, noch genauer ansehen. Aber zuerst gehen wir ins Jahr 1715 in die Nähe von Dresden. Dort, im Dorf Cossebaude, wurde Johann Ludewig geboren. Auch er war der Sohn einer Bauernfamilie, auch er war schon als Kind wißbegierung und "empfand einen großen Appetit zum Bücherlesen", wie er selbst schrieb. Zuerst war er aber noch mit lesen beschäftigt und Ludewig las alles, was er kriegen konnte. Religiöse Bücher, aber auch welche über Astronomie und Philosophie. Und vor allem Mathe-Bücher. Denn Ludewig arbeitete nicht nur als Bauer, sondern auch als Steuereintreiber. Und damit er sich nicht dauernd zu seinen Ungunsten verrechnete, brachte er sich im Selbststudium neben seiner Arbeit auch noch die Mathematik bei: "Ich habe diese Lektionen unter all grobe Bauernarbeit einmischen müssen und nur hin und wieder eine Stunde oder etliche dazu anwenden können", schreibt Ludewig. Neben der Astronomie und Mathematik interessierte er sich auf für Philosophie und Logik und entwickelte daraus seine eigenen Gedanken über den Aufbau der Welt. 1753 lernte er den Finanzbeamten und Privatgelehrten Christian Gotthold Hoffmann kennen, der so beeindruckt von Ludewigs Wissen war, dass er ihn dazu ermuntert hat, ein Buch über sein Leben zu schreiben. Das tat Ludewig und er schrieb außerdem noch eine mathematisch-astronomische Analyse der Sonnenfinsternis die am 26. Oktober 1753 stattfand. Später schrieb er noch eine Abhandlung mit dem schönen Titel "Versuch, ob man behaupten könne, daß zu einer wahren Gelehrsamkeit viel Bücherlesen eben nicht nötig sey" in der er zu dem Schluss kam, dass man nicht unbedingt viele Bücher lesen muss, solange man die richtigen Bücher nur ordentlich genug liest. Alle drei Werke wurden 1756 unter dem Titel "Der gelehrte Bauer" zusammengefasst und als Buch veröffentlicht. Dieses Buch über den außerordentlich gebildeten Bauer aus dem Dresdner Umland verbreitete sich in ganz Europa. In Österreich las es der damalige Direktor der Universitätssternwarte Wien: Maximilian Hell - der nicht nur Astronom war, sondern auch Jesuit. Und als Katholik war es ihm gar nicht so recht, dass da ein sächsischer Bauer so prominent dargestellt wurde. Denn Ludewig kam aus einer protestantischen Gegend und wenn jemand von der Überlegenheit der katholischen Bildung überzeugt war, dann die Jesuiten. Also veröffentlichte Hell selbst ein kurzes Werk in seinem astronomischen Jahrbuch um auf die wissenschaftliche Leistung eines österreichischen Bauern hinzuweisen, der aus dem eindeutig katholischen Tirol stammte. Das war Peter Anich, geboren am 22. Februar 1723 in Oberperfuss in der Nähe von Innsbruck. Wie die bisher beschriebenen Bauernsöhne bekam auch Anich wenig organisierte Bildung. Aber er lernte ein bisschen was vom örtlichen Pfarrer, er war fasziniert von den Sternen und von seinem Vater bekam er diverse handwerkliche Kenntnisse vermittelt. Im Selbstudium brachte er sich bei, wie man eine Sonnenuhr baut und die entsprechenden mathematischen Berechnungen dafür durchführt. Solche Uhren waren auch im 18. Jahrhundert noch relevant, denn es gab zwar Kirchturmuhren, die aber regelmäßig neu justiert werden musste und dafür brauchte man eine möglichst genaue Sonnenuhr als Basis. 1751 wollte Anich es dann genau wissen und ging nach Innsbruck zu Ignaz Weinhart, Jesuit und damals Professor für Mathematik und Physik an der Universität. Weinhart gab Anich Privatunterricht für den der Bauer an seinen freien Tagen zu Fuß nach Innsbruck gehen musste; ein mehrstündiger Marsch in jede Richtung. Am Ende seiner Ausbildung sollte Anich für Weinhart einen Himmelsglobus bauen. Mit seinem astronomisch-mathematisch Wissen führte Anich die nötigen Berechnungen durch um insgesamt 1827 Sterne korrekt darstellen zu können. Dank seinem Wissen über Uhren und Mechanik konnte er ein Uhrwerk einbauen, dass den Globus analog zum realen Himmel drehen ließ und das von seinem Vater erlernte Drechslerhandwerk war die Grundlage für den Bau des Globus aus Holz. Das Stück erregte Aufmerksamkeit; Anich baute weitere Globen und Messinstrumente und begann auch sich mit Kartografie zu beschäftigen. Professor Weinhart regte beim kaiserlichen Hof an, dass man Anich mit der Erstellung einer Karte von Tirol beauftragen sollte. Was auch geschah und fünf Jahre lang zog Anich durch das ganze Land um alles genau zu vermessen. Er entwickelte die damaligen kartografischen Verfahren weiter und da er als Bauer auch einen guten Kontakt zu den Menschen hatte, konnte er jede Menge Namen von Bergen, Dörfern, und anderen geografischen Objekten in seine Karte aufnehmen, die bis dahin noch nicht offiziell erfasst worden waren. Der "Atlas Tyrolensis" wurde erst 1770, vier Jahre nach Anichs Tod veröffentlicht, mit Hilfe von Anichs Schüler und Nachfolger Blasius Hueber, ebenfalls Kind einer Bauernfamilie. Der Atlas von Tirol galt damals als die "bedeutendste angesehene und international bekannteste österreichische Karte". Sie ist fast fünf Quadratmeter groß, im Maßstab 1: 103.800. Sie ist heute noch von Bedeutung, zum Beispiel für die Gletscherforschung, da Anich die Ausdehnung der Gletscher sehr genau eingezeichnet hat, aber auch für die Erforschung historischer Ortsnamen. Gehen wir wieder zurück nach Sachsen. Dort wurde, in Tolkewitz bei Dresden, im Jahr 1705 Christian Gärtner geboren. Er war kein Bauer, sondern Sohn eines Zwirnhändlers; ein Beruf in dem er später selbst arbeitete. Dabei kam er immer wieder auch nach Leipzig, wo er Buchhändler, Studenten und vor allem Mechaniker traf. Von ihnen lernte er das Schleifen von Linsen und konnte jetzt endlich selbst Fernrohre bauen und der Leidenschaft nachgehen, die ihn seit seiner Kindheit fasziniert hatte: Die Beobachtung des Himmels. Er machte sich einen Namen als jemand, der Teleskope bauen konnte und Ahnung vom Himmel hatte; baute sich seine eigenen Sternwarte und wurde vom Fürsten in Dresden gebeten, eine Sternwarte zu bauen. Und vor allem war er Lehrer und Förderer von Johann Georg Palitzsch. Der war wieder ein Sohn aus einer Bauernfamilie und wurde ebenfalls in der Nähe von Dresden geboren. Und so wie alle anderen die bisher erwähnt wurden, als Kind an der Wissenschaft interessiert. Astronomie und Physik brachte er sich selbst bei; bis er Christian Gärtner kennenlernte. Dort konnte er das erste Mal durch ein Teleskop schauen; bei ihm fand er auch die Kontakte zur Dresdner Gelehrtenwelt. Palitzsch war oft zu Gast im "Mathematisch-Physikalischen-Salon", traf andere Forscher und erfuhr dort auch von der Arbeit des Engländers Edmond Halley. Der Zeitgenosse und Freund von Isaac Newton nutzte dessen neue Theorie der Gravitation um diverse Kometenbeobachtungen zu untersuchen. Und fand dabei heraus, dass viele Kometen, die man für unterschiedlich hielt, in Wahrheit wiederholte Sichtungen von dem selben Objekt sind, dass sich auf einer regelmäßigen Umlaufbahn um die Sonne befindet. Das letzte Mal war dieser Komet 1682 in der Nähe der Erde, es war genau das Objekt, dass damals Christian Arnold beobachtet hatte. Und Halley sagte die Wiederkehr dieses Kometen für das Jahr 1758 voraus. Halley selbst starb schon 1742, aber die Welt der Astronomie war gespannt: Würde der Komet wirklich zum vorhergesagten Zeitpunkt kommen? Und vor allem: Wer würde ihn als erster sehen? Es war keiner der professionellen Astronomen an den großen Sternwarten der Welt. Sondern der sächsische Bauernastronom Johann Georg Palitzsch, der mit dieser Beobachtung in ganz Europa berühmt wurde. Die Geschichten dieser Astronomen zeigen vor allem eines: Wenn man wirklich von den Sternen fasziniert ist, dann findet man auch einen Weg, sich damit zu beschäftigen. Wenn man aus einem bildungsfernen Umfeld stammt, ist es zwar ein wenig schwerer. Am Ende findet man seinen Weg zu den Sternen.
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Feb 3, 2023 • 11min

Sternengeschichten Folge 532: Wie man das Leben auf der Erde ausrotten kann

Kampf den Bärtierchen! Sternengeschichten Folge 532: Wie man das Leben auf der Erde ausrotten kann Ok, ich gebe zu, dass der Titel dieser Folge etwas pessimistisch klingt. Was ist das für ein komisches Thema; warum sollte man sich damit beschäftigen, wie man das Leben auslöschen kann? So was kommt in irgendwelchen Comics vor, wo Superbösewichte alles zerstören wollen. Aber die Wissenschaft hat doch hoffentlich besseres zu tun, als den Untergang der Welt zu planen? Hat sie natürlich, zum Beispiel die Suche nach Leben auf anderen Himmelskörpern. Aber genau deswegen muss man sich auch mit der Auslöschung des Lebens beschäftigen. Das Problem bei der Suche nach außerirdischem Leben ist ja, dass wir keine Ahnung haben, wie vielversprechend die ganze Angelegenheit ist. Wir kennen genau einen Himmelskörper im Universum, auf dem definitiv Leben entstanden ist und das ist die Erde. Wir wissen zwar mittlerweile halbwegs gut, wie sich das Leben in den letzten paar Milliarden Jahren entwickelt hat. Wir haben aber immer noch kaum eine Ahnung, was dazu geführt hat, DASS das Leben entstanden ist. Wir kennen nicht alle Voraussetzungen, die nötig sind, damit aus unbelebter Chemie lebendige Biologie entstehen kann. Was nichts anderes bedeutet: Wir können nicht sagen, wie wahrscheinlich es ist, dass irgendwo Leben entsteht. Was aber eine durchaus relevante Information wäre! Ebenso relevant ist aber auch das Gegenteil davon: Um zu wissen, wie wahrscheinlich es ist, dass man irgendwo Leben finden kann, müssen wir nicht nur wissen, wie wahrscheinlich es ist, dass es entsteht, sondern auch, wie wahrscheinlich Leben wieder ausgelöscht wird. Ich sage es zur Sicherheit noch einmal dazu: Es geht hier nicht um irgendwelche Science-Fiction-Szenarien. Ich rede nicht von intelligenten Aliens, die sich vielleicht durch irgendeinen Alien-Atomkrieg selbst auslöschen oder so. Es geht ganz allgemein um Leben. Um irgendwelche Pflanzen, Mikroorganismen, und so weiter. Die führen natürlich keinen Atomkrieg und man muss sich andere Ursachen anschauen, wenn man wissen will, was sie auslöschen könnte. Menschen sind nicht sehr widerstandsfähig, zumindest wenn man sie mit anderen Lebewesen vergleicht. Ein paar Minuten ohne Sauerstoff; ein paar Minuten in kochendem Wasser; ein bisschen zu viel Druck und wir sind tot. Andere Tiere halten da wesentlich mehr aus. Zum Beispiel die Bärtierchen - das sind keine Bären, sondern winzige Lebewesen, die höchsten 1,5 Millimeter groß werden. Sie leben quasi überall wo es Wasser gibt oder es feucht genug ist. In den Meeren, in den Flüssen und Seen, im Moos, auf Pflanzen, im Boden, und so weiter. Und sie sind zäh! Man kann sie auf -272 Grad abkühlen, also fast auf den absoluten Nullpunkt oder auf 150 Grad aufheizen und sie halten trotzdem noch durch, zumindest ein paar Minuten. Und wenn die Temperaturen nicht so extrem sind, dann tangiert sie das quasi gar nicht. Man kann sie dem extremen Druck am tiefsten Punkt des Ozeans aussetzen und sie kommen damit klar; ebenso wie den Bedingungen im Weltraum (zumindest einige Zeit lang). Man kann sie einer radioaktiven Strahlung aussetzen, die tausend mal stärker ist als die für Menschen tödliche Dosis und sie halten das locker aus. Kurz gesagt: Wenn wir einen Weg finden, die Bärtierchen auszurotten, dann haben wir mit ziemlicher Sicherheit auch einen Großteil des restlichen Lebens auf der Erde ausgelöscht. Im Prinzip gibt es drei Phänomene, die ausreichend mächtig wären, um das zu bewerkstelligen: Asteroideneinschläge, Supernova-Explosionen und Gammablitze. Fangen wir mit den Asteroideneinschlägen an: Da reicht natürlich nicht irgendein Asteroid. Dass die durchaus in der Lage sein können, ein Massensterben zu verursachen, haben wir ja in der Vergangenheit oft genug gesehen. Die Dinosaurier sind die prominentesten Opfer, aber bei weitem nicht die einzigen. Aber selbst bei diesem Ereignis vor 65 Millionen Jahren haben die meisten Fische im Meer überlebt. Und die Bärtierchen haben damals vermutlich nicht mal mit der Wimper gezuckt (wenn sie denn Wimpern gehabt hätten). Man müsste schon den gesamten Ozean zum Kochen bringen um sie in Bedrängnis zu bringen. Aber das würde man prinzipiell hinkriegen können. Um die Temperatur der Meere um 1 Grad zu erhöhen, muss man gut 6 x 10 hoch 24 Joule in sie hineinstecken. Das ist sehr viel Energie; ungefähr ein 1/70 der Energie die unsere Sonne pro Sekunde erzeugt oder 11 mal so viel Energie wie der Einschlag des Asteroids freigesetzt hat, der damals die Dinos ausgerottet hat. Aber selbst dann hat man die Temperatur nur um ein Grad erhöht. Wir brauchen hundert mal so viel! Man kann leicht ausrechnen, wie viel Masse ein Himmelskörper haben muss, damit seine Bewegungsenergie beim Einschlag ausreichend viel Wärmeenergie freisetzt um die Ozeane zum Kochen zu bringen: circa 2 Trillionen Kilogramm. Das klingt viel und ist auch viel. Aber wenn wir uns mal die Asteroiden im Asteroidengürtel zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter anschauen, dann finden wir einige, die das hinkriegen. Ceres, der größte Asteroid dort, hat zum Beispiel eine fast 500 mal größere Masse. Vesta und Pallas, die nächstgrößeren Asteroiden haben immer noch weit mehr als das hundertfache der Masse, die man braucht um die Ozeane zu verkochen. Insgesamt sind es gut 30 Asteroiden im Sonnensystem, die die Bedingung erfüllen. Dazu kämen dann natürlich noch ein Schwung großer Monde der Planeten und die Planeten selbst. Aber es ist definitiv nicht damit zu rechnen, dass ein anderer Planet auf der Erde einschlägt; genauso wenig wird ein Mond seinen Planeten verlassen und mit uns kollidieren. Und auch die ausreichend großen Asteroiden bewegen sich alle auf stabilen Bahnen und sind für uns nicht gefährlich. Wäre es anderes, dann wären solche Kollisionen in den vergangenen Milliarden Jahren ja schon passiert. Aber wir sehen, dass es zumindest prinzipiell möglich ist: Es gibt Asteroiden, die ausreichend viel Masse haben, um bei einer Kollision die Bärtierchen und alle anderen Tiere auszulöschen. Sehr wahrscheinlich ist es allerdings nicht. Über die gesamte typische Lebensdauer eines Planeten gerechnet, liegt die Wahrscheinlichkeit für so ein Ereignis bei unter einem Hunderttausendstel. Aber wie schaut es mit Gammablitzen und Supernova-Explosionen aus? In beiden Fällen handelt es sich um das, was passiert wenn große Sterne am Ende ihres Lebens explodieren. Dabei wird sehr viel potenziell gefährliche kosmische Strahlung frei und ganz besonders viel, wenn der explodierende Stern sehr groß ist, weswegen man dann nicht mehr von einer Supernova, sondern einem Gammablitz spricht. Wenn diese Strahlung auf die Erde trifft, dann kann sie einerseits die Ozonschicht schädigen, was zu noch mehr Strahlung auf der Erde führt, da diese Schicht eine Art Schutzschild vor der kosmischen Strahlung bildet. Gammablitze und Supernova-Explosionen können aber auch direkt Energie in die Ozeane übertragen und sie erwärmen. Wasser bildet allerdings auch einen Schutz vor kosmischer Strahlung und man kann sie ausrechnen, wie viel Strahlung in einer gewissen Tiefe noch übrig bleibt. Dann sieht man: Wenn man ausreichend viel Strahlung hat, um Bärtierchen in einer bestimmten Meerestiefe durch diese Strahlung zu töten, dann muss die so energiereich sein, dass der Ozean darüber allein dadurch darüber schon weggekocht ist. Es reicht also, sich auch hier auf den Temperaturanstieg zu konzentrieren. Eine Supernova, die ausreichend mächtig ist um die Ozeane zum Kochen zu bringen, müsste auf jeden Fall näher als 0,13 Lichtjahre sein. Das wäre quasi noch in unserem Sonnensystem; das entspricht der 8250fachen Distanz zwischen Sonne und Erde. Gut, es wäre in den äußersten Bereichen des Sonnensystems, aber es wäre enorm nahe und wir wissen, dass da bei uns kein großer Stern rumhängt. Der uns nächstgelegene Stern ist Proxima Centauri, in 4 Lichtjahren Entfernung und der ist erstens viel zu klein, um als Supernova zu enden. Und selbst wenn Proxima ein größerer Stern wäre, würde eine Supernova in dieser Entfernung bei uns gerade mal zu einem Temperaturanstiegt von 0,1 Grad in den Ozeanen führen. Gammablitze sind deutlich energiereicher und wenn wir den schlechtesten Fall annehmen, also davon ausgehen, dass die gesamte Energie so einer Mega-Explosion in Richtung Erde strahlt, dann reicht schon ein Abstand von gut 45 Lichtjahren um die Meere zum Kochen zu bringen. Es wird aber nicht jeder Stern am Ende seines Lebens einen Gammablitz erzeugen; das tun wirklich nur die, die sehr, sehr groß sind. Und von denen gibt es nicht sehr viele. Die Wahrscheinlichkeit, dass so ein Gammablitz ausreichend nahe stattfindet und dabei die ganze Strahlung in Richtung der Erde gelangt ist enorm gering und liegt bei einem 10 Milliardstel. Es ist also durchaus schwer, das ganze Leben auf einem Planeten auszulöschen. Und genaugenommen haben wir ja auch nicht vom gesamten Leben gesprochen, sondern nur vom tierischen Leben. Ok, die Pflanzen würden die beschriebenen Ereignisse auch nicht überleben. Aber die Welt ist ja voll mit Mikroorganismen; mit Bakterien und so weiter und die können durchaus noch zäher sein als die Bärtierchen. Es gibt Mikroorganismen, die kilometertief im Gestein leben und vermutlich nicht mal dann Probleme kriegen, wenn man die gesamte Erdkruste aufschmelzen würde. Es würde dann vermutlich wieder ein paar Milliarden Jahre dauern, bis sich aus diesen Überlebenden neue Tiere und Pflanzen entwickelt hätten. Aber sofern ma den Planeten nicht komplett zerstört und quasi zerbröselt, wird man die Mikroorganismen nur schwer los werden. Um Tiere und Pflanzen auszurotten muss man sich dafür vermutlich nicht ganz so anstrengen. Ein gewaltiger Asteroid oder ein Gammablitz vor der Haustür schaffen den Job zwar auf jeden Fall. Aber wenn man sich ein bisschen Zeit nimmt, dann geht es auch mit weniger Energie. Durch den menschengemachten Klimawandel sind wir ja gerade dabei, die Temperatur der Meere und der Atmosphäre zu erhöhen. Wir werden es natürlich nicht schaffen, die Meere zum Kochen zu bringen. Aber es reicht auch schon ein deutlich geringerer Anstieg, um die komplexen ökologischen Netzwerke und Nahrungsketten durcheinander zu bringen. Und wenn das Bärtierchen nix mehr zum Fressen findet, dann nutzt ihm seine Zähigkeit auch nichts. Wir können diese Folge also mit einem gemischten Fazit beenden. Es ist einerseits sehr unwahrscheinlich, dass ein einziges Ereignis das Leben auf der Erde auslöscht. Wir sollten aber trotzdem sehr gut darüber nachdenken, wie wir mit der Welt umgehen. Denn zumindest wir Menschen sind nicht so unverwundbar wie das Bärtierchen. Ich würde mich freuen, wenn ihr den Podcast für den Ö3-Podcast-Award nominiert: https://oe3.orf.at/podcastaward/stories/3030108/
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Jan 27, 2023 • 12min

Sternengeschichten Folge 531: Wer ist zuständig wenn die Aliens kommen?

Bringt uns zu eurem Anführer! Sternengeschichten Folge 531: Wer ist zuständig wenn die Aliens kommen? In den Science-Fiction-Filmen ist die Sache immer recht klar: Wenn dort jemand außerirdisches Leben entdeckt, dann landet die Sache sehr schnell auf dem Schreibtisch des amerikanischen Präsidenten. Und dort wird zusammen mit Militär und Geheimdiensten beschlossen, wie man weiter vorgehen muss und ob die Bevölkerung informiert werden soll. Nur ist das eben Science Fiction. Wie sieht es in der Realität aus? Dort ist die Sache, wenig überraschend, nicht ganz so eindeutig. Das fängt schon mal damit an, dass Wissenschaft im Allgemeinen nicht im Geheimen stattfindet. Vor allem nicht die Astronomie. Sternwarten stehen überall auf der ganzen Welt und die Menschen die dort forschen und arbeiten sind nicht alle beim Geheimdienst angestellt. Sondern ganz normale Menschen. Und dann sind da noch all die vielen Leute, die den Himmel Nacht für Nacht als Hobby beobachten. Mit der Geheimhaltung wird es da also schwer. Gut, wenn jetzt irgendwelche gigantischen Alien-Raumschiffe am helllichten Tag mitten in einer Stadt landen, dann ist die Sache sowieso klar. Aber lassen wir diesen doch eher unrealistischen Fall mal beiseite und schauen wir uns an, was in der Praxis passieren würde, wenn irgendwo jemand Anzeichen für die Existenz eines außerirdischen Raumschiffs entdecken würde, dass durchs Sonnensystem fliegt. Zuerst einmal kann man davon ausgehen, dass da nicht ein Astronom oder eine Astronomin steht und tatsächlich mit eigenen Augen durch ein Teleskop schaut und dort plötzlich ein Ding wie das Raumschiff Enterprise sieht. Vor allem, weil man in der Astronomie so gut wie gar nicht mit eigenen Augen durch Teleskope schaut. Das machen Kameras und man untersucht die Bilder die sie machen, später auf einem Computer. Vermutlich würde man also zuerst etwas sehen, das wie die typische Entdeckung eines Asteroiden oder Kometen aussieht. Also einen Lichtpunkt an einer Position, wo kein Stern ist und wo zuvor auch kein Lichtpunkt war. Solche Entdeckungen sind mittlerweile Standard und passieren fast in jeder Nacht. Man muss dann natürlich auch mehr Aufnahmen machen, am besten über mehrere Nächte hinweg. Und würde dann sehen, dass sich der Punkt bewegt; was aber noch immer nichts mit Raumschiffen zu tun hat. Denn Asteroiden bewegen sich ja auch. Erst eine längere und genauere Analyse würde dann eventuell zeigen, dass sich der Punkt nicht so bewegt wie ein natürlicher Himmelskörper. Also nicht nur allein durch den Einfluss der Gravitation der Sonne, sondern unter seiner eigenen Kraft, mit einem Antrieb. Und sobald das geklärt ist, greift man zum Telefon und wählt die Nummer des Präsidenten? Natürlich nicht. Abgesehen davon, dass die wenigstens Astronominnen und Astronomen die Nummer des Präsidenten haben, egal obs der amerikanische ist oder das Oberhaupt irgend eines anderen Landes: So schnell läuft das mit Entdeckungen nicht. Man muss zuerst mal ausschließen, irgendeinen Fehler gemacht zu haben. Deswegen wird man erst mal die Kolleginnen und Kollegen anderer Sternwarten bitten, die Beobachtung zu überprüfen. Was man vermutlich sowieso schon früher gemacht hat, als man noch dachte es mit einem Asteroid zu tun zu haben. Denn man hat ja nicht immer gutes Wetter um beobachten zu können. Andere wollen das Teleskop für ihre eigenen Zwecke benutzen. Und so weiter: Genau aus diesem Grund arbeiten die Forscherinnen und Forscher zusammen um ein einmal entdecktes Objekt nicht wieder zu verlieren. Außerdem hat man die Entdeckung sowieso schon an die entsprechenden Stellen gemeldet, man möchte ja klar machen, wer den Asteroid zuerst gefunden hat. Und die entsprechende Stelle ist in diesem Fall das "Minor Planet Center" der Internationalen Astronomischen Union. Also keine Regierungsbehörde, sondern eine wissenschaftliche Organisation. Halten wir also fest: Lange bevor klar ist, dass da ein Raumschiff durch die Gegend fliegt, wissen schon jede Menge Forscherinnen und Forscher auf der ganzen Welt darüber Bescheid, dass da ein potenziell interessanter Himmelskörper aufgetaucht ist. Und da die ganzen Daten öffentlich zugänglich sind, kann das im Prinzip auch der Rest der Welt wissen. Und innerhalb der Forschungsgemeinschaft wird diskutiert werden, ob man die komische Bewegung des "Asteroids" irgendwie anders erklären kann oder ob man es wirklich mit Aliens zu tun hat. Und, so wie in der Wissenschaft üblich, wird diese Diskussion eher auch nicht geheim stattfinden. Die Leute werden Fachartikel schreiben, sie veröffentlichen, und so weiter. Aber tun wir mal so, als hätte man wirklich einwandfrei ein außerirdisches Raumschiff identifiziert. Und bis auf eine Handvoll Kolleginnen und Kollegen weiß niemand davon. Sollte man jetzt das Staatsoberhaupt kontaktieren? Die Polizei anrufen? Kann man alles machen. Kann man auch nicht machen. Man kann auch irgendwen anderen anrufen oder niemanden. Denn es gibt keinen offiziellen Plan, an den man sich in so einem Fall halten müsste. Es gibt keine Gesetze, die diesen Fall abdecken. Zumindest nicht so detailliert, wie man es sich wünschen würde. Die in den Vereinten Nationen organisierten Länder haben schon ein paar völkerrechtliche Gesetze über den Weltraum geschlossen, die aber alle weitestgehend mit Menschen zu tun haben. Da wird zum Beispiel geregelt, wie der Weltraum und andere Himmelskörper erforscht werden (und das zum Beispiel kein Land Anspruch auf den Mond erheben kann). Oder wie man sich bei Notfällen im All gegenseitig zu helfen hat; wer verantwortlich ist, wenn Weltraumschrott auf die Erde fällt, und so weiter. Aber da steht nirgendwo drin, was zu passieren hat, wenn die Aliens kommen. Was nicht heißt, dass sich darüber niemand Gedanken gemacht hat. Insbesondere die Forscherinnen und Forscher, die im Bereich von SETI arbeiten haben das sehr ausführlich getan. "SETI" steht für "Search for Extraterrestrial Intelligence" und beschäftigt sich mit der Suche nach Spuren intelligenter außerirdischer Wesen; vor allem die Suche nach Signalen, die irgendwelche Alien-Zivilisationen vielleicht ins All geschickt haben. Da stellt sich ja die gleiche Frage: Wenn man irgendwann mal zweifelsfrei eine Botschaft aus dem All empfangen hat, die von Aliens abgeschickt worden ist, was macht man dann? Wer wird informiert und wann? Wer antwortet auf die Botschaft und wie? Im Laufe der Zeit sind da jede Menge Vorschläge gemacht worden. Zum Beispiel, dass man am besten schon vorher eine entspreche Antwort verfasst, weil vermutlich alles ziemlich konfus und hektisch wird, wenn man die Botschaft erst mal empfangen hat. Was prinzipiell sinnvoll klingt, aber in der Praxis auch eher komisch ist. Denn so eine vorbereitete Antwort kann notwendigerweise nicht auf das eingehen, was in der Alien-Botschaft drin steht. Und wer weiß, was die sich denken, wenn sie bei uns anrufen und dann quasi nur der Anrufbeantworter dran geht… Man sollte sich vor einer Antwort schon damit beschäftigen, was in der Botschaft steht. Das muss man natürlich erst mal rauskriegen und das wird unter Umständen nicht so einfach sein und kann länger dauern. Es braucht, so lauten viele Vorschläge, eine Art Komitee, eine offizielle Behörde oder irgendwas in der Art, die vor allem aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern besteht und sich mit der Antwort beschäftigt. Und die kann und soll man dann am besten wirklich schon gründen, bevor es soweit ist. Bei der Kommunikation mit der Öffentlichkeit könnte man sich - auch das ein Vorschlag - an der Kommunikation von Nuklearunfällen orientieren. Wenn man sich allerdings ansieht, wie das in der Vergangenheit in der Realität abgelaufen ist, ist das eventuell auch keine so gute Idee. Natürlich besteht immer die Gefahr, dass ein einziges Land die Information für sich behalten will. Da Wissenschaft aber eigentlich fast nur noch international funktioniert, wird das schwierig. Aber sicherheitshalber sollte so ein Komitee oder so eine Behörde natürlich übernational organisiert sein. Und, auch das wurde in einem wissenschaftlichen Artikel so ausgeführt, wenn einmal die Aliens da sind, ist das mit den Streitigkeiten der Länder vermutlich eh bald vorbei. Weltmächte wie die USA oder Russland wären dann angesichts der Aliens nur mehr so wichtig wie es heute Andorra, Monaco oder San Marino sind. Das offizielleste was es an Plänen für den Erstkontakt gibt, sind auf jeden Fall die Richtlinien, die die SETI-Forschung 1990 veröffentlicht und 2010 aktualisiert hat. Da drin steht, dass man zuerst natürlich einmal so gut wie nur irgendwie möglich sicher stellen muss, dass man es wirklich mit einer Alien-Botschaft zu tun hat. Und dann soll alles was man darüber weiß komplett der Öffentlichkeit, der restlichen wissenschaftlichen Gemeinschaft und der UNO bekannt gegeben werden. Genauer gesagt: Der UN-Generalsekretärin bzw. dem UN-Generalsekretär. Was übrigens auch der einzige Punkt ist, der tatsächlich so in einem völkerrechtlichen Vertrag steht. Seit dem 10. Oktober 1967 gibt es den Weltraumvertrag, bzw. den Vertrag über die Grundsätze zur Regelung der Tätigkeiten von Staaten bei der Erforschung und Nutzung des Weltraums einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper wie es offiziell heißt. Dort kann man in Artikel XI lesen "Um die internationale Zusammenarbeit bei der friedlichen Erforschung und Nutzung des Weltraums zu fördern, unterrichten die Vertragsstaaten, die im Weltraum einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper tätig sind, den Generalsekretär der Vereinten Nationen sowie die Öffentlichkeit und die wissenschaftliche Welt in größtmöglichem Umfang, soweit irgend tunlich, von der Art, der Durchführung, den Orten und den Ergebnissen dieser Tätigkeiten. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen ist gehalten, diese Informationen unmittelbar nach ihrem Eingang wirksam weiterzuverbreiten" Ok, das ist sehr allgemein und von Aliens steht da nichts. Aber immerhin werden die Vereinten Nationen als offizielle Ansprechpartner für Forschungsergebnisse im All genannt. Ob man dann aber wirklich bei der UNO anruft, wenn man Aliens entdeckt hat, bleibt offen. Deutschland zumindest hat keinen offiziellen Plan, und das ist offiziell. Am 7. August 2018 gab Ulrich Nußbaum, damals Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie die Antwort auf eine Frage des Bundestagsabgeordneten Dieter Janecek von den Grünen. Die Frage lautete: "Welche Vorkehrungen, Protokolle oder Pläne für einen möglichen Erstkontakt mit außerirdischem Leben gibt es auf Seiten der Bundesregierung und der ihr unterstellten Behörden, und in welchen konkreten Fällen war die Möglichkeit eines solchen Kontaktes Gegenstand eines bi- oder multilateralen Gesprächs mit anderen Staaten?". Die Antwort: "Für einen möglichen Erstkontakt mit außerirdischem Leben gibt es keine Protokolle oder Pläne, da die Bundesregierung einen Erstkontakt auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland nach heutigem wissenschaftlichem Kenntnisstand für äußerst unwahrscheinlich hält" In Österreich ist die rechtliche Lage übrigens ein wenig anders. Denn im Gegensatz zu Deutschland gehört Österreich zu den wenigen Ländern, die den sogenannten "Mondvertrag" der Vereinten Nationen ratifiziert haben. Offiziell heißt es "Übereinkommen zur Regelung der Tätigkeiten von Staaten auf dem Mond und anderen Himmelskörpern" und war als Erweiterung des Weltraumvertrags von 1967 gedacht. Das haben aber nur 18 Staaten ratifiziert, unter anderem eben Österreich. In Artikel 5, Absatz 3 dieses Vertrags kann man aber lesen: "Bei der Ausübung ihrer Aktivitäten sollen die Staaten unverzüglich den UN-Generalsekretär, sowie die Öffentlichkeit und die internationale wissenschaftliche Gemeinschaft von allen Phänomenen informieren, die sie im Weltraum, inklusive dem Mond, entdecken und die eine Gefahr für das Leben und die Gesundheit der Menschheit oder irgendwelche Anzeichen von organischem Leben darstellen". Sollte also in Zukunft eine österreichische Weltraummission auf dem Mond oder irgendwo sonst im All auf die Spuren von Aliens treffen, dann wird die UNO einen Anruf aus Wien bekommen müssen.
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Jan 20, 2023 • 13min

Sternengeschichten Folge 530: Die Vatikanische Sternwarte

Die Kirche schaut in den Himmel Sternengeschichten Folge 530: Die Vatikanische Sternwarte Heute geht es um die Sternwarte des Vatikan. Und vielleicht fragt sich jetzt der eine oder die andere, wieso der Papst ein eigenes Observatorium braucht? Was hat die katholische Kirche mit einer wissenschaftlichen Forschungseinrichtung am Hut? Und was wird da überhaupt erforscht? Ok - die ersten beiden Fragen sind recht einfach zu beantworten. Ich habe in den vergangenen Folgen immer wieder Mal über Zeitrechnung und Zeitmessung erzählt. Das erscheint uns heute, wo es überall Uhren und Kalender gibt, sehr trivial. Aber früher war es nicht so einfach, einen exakten Überblick über die Uhrzeit oder den Jahreslauf zu haben. Im Alltag war das auch nicht unbedingt dramatisch wichtig. Man ist aufgestanden, wenn es hell wurde und wenns dunkel geworden ist, ging man halt wieder ins Bett. Die Menschen haben keine Terminkalender gehabt, die Minute für Minute durchgeplant war; wenn man verreist ist, war man sowieso ein paar Tage oder Wochen unterwegs und ob man da jetzt ein paar Stunden früher oder später ankommt, war egal. Aber ein paar Situationen gab es dann schon, wo es wichtig war, die genaue Zeit zu kennen. Die Landwirtschaft musste halbwegs genau darüber Bescheid wissen, wann der Frühling anfängt, der Herbst beginnt, und so weiter, um alles entsprechend zu organisieren. Und die Kirche musste wissen, wann die religiösen Feste gefeiert werden müssen. Gerade beim wichtigsten Fest der Christen - Ostern - ist das gar nicht so einfach zu bestimmen; es ist ein bewegliches Fest, das jedes Jahr an einem anderen Tag gefeiert wird und dessen genaues Datum von den Mondphasen, dem Lauf der Sonne, und ein paar anderen Details abhängt. Kurz gesagt: Wer genau wissen will, wie spät es ist und genau wissen will, wie der Kalender läuft, konnte das früher nur durch entsprechende und langwierige astronomische Beobachtungen herausfinden. Um die Verbindung zwischen Kirche und Astronomie zu sehen, müssen wir ja nur schauen, welchen Kalender wir heute immer noch benutzen. Es ist der sogenannte Gregorianische Kalender und der heißt deswegen so, weil seine Einführung 1582 von Papst Gregor XIII. verordnet worden ist. Der alte, noch aus der Antike stammende julianische Kalender war viel zu ungenau und deswegen brauchte es eine Reform. Und die notwendigen astronomischen Beobachtungen und Berechnungen für einen besseren Kalender. Das dafür eingerichtete Institut, das 1578 auch eine eigene Sternwarte bekam, war der Ursprung der heutigen Vatikansternwarte. Geleitet wurde und wird die Einrichtungen von Mitgliedern des Jesuitenordens. Nach seiner Gründung im Jahr 1534 hat sich dieser Orden auf die Bildung konzentriert, um die Mitarbeiter der Kirche besser ausbilden zu können. Die Jesuiten haben dabei nicht nur auf religiöses Wissen gesetzt, sondern auch die klassischen Wissensdisziplinen des Mittelalters unterricht, zu denen auch Mathematik, Geometrie und Astronomie gehören. Es ist deswegen nicht überraschend, dass sich unter ihnen auch jede Menge Astronomen finden, die wichtige Beiträge zur Forschung geleistet haben. Zum Beispiel Christoph Clavius, der erste Leiter der Sternwarte der auch die Arbeiten zur Kalenderreform durchgeführt hat. Er war und blieb zwar ein Anhänger des geozentrischen Weltbilds, stellte mit seinen Beobachtungen aber fest, dass die alte Sicht des Universums, nach der der Himmel auf ewig unveränderlich sein muss, nicht stimmen konnte. Sein Nachfolger als Leiter der Sternwarte war Christoph Grienberger. Er war ein Freund von Galileo Galilei und hat dessen Entdeckungen auch privat zugestimmt. Als Vertreter der Kirche schrieb er beim Prozess zu Galileis angeblicher Ketzerei zwar ein eher wohlwollendes Gutachten, das aber dann doch zu zurückhaltend war, um ihn vor der Verurteilung zu schützen. Er war auch an der Erfindung der parallaktischen Montierung beteiligt, eine heute weit verbreitete Art, ein Teleskop zu montieren, so dass man es leicht mit der scheinbaren Bewegung der Sterne mitführen kann. 1850 hat Angelo Secchi die Leitung der Sternwarte übernommen, der sich dort mit der damals gerade in Entstehung begriffenen Spektroskopie beschäftigt hat. Er gehörte zu den ersten, die das Sternenlicht mit optischen Instrumenten in seine Bestandteile aufspaltete. Heute ist das eine der wichtigsten Methoden in der modernen Astronomie, wenn man herausfinden will, woraus ein Stern besteht. Damals war es komplettes Neuland; Secchi fand aber bei seiner Forschung immerhin ein paar markante Unterschiede die er für eine erste Einteilung der Sterne anhand ihrer Spektralklassen nutzte. Sie wurde zur Grundlage der heute immer noch verwendeten Harvard-Klassifikation, bei der die Sterne in die Spektralklassen O, B, A, F, G, K und M unterteilt werden, wie ich in Folge 132 ja schon ausführlich erklärt habe. Neben den fernen Sternen hat sich Secchi auch mit der Sonne beschäftigt und bei der Sonnenfinsternis im Jahr 1860 das erste Foto der Sonnenkorona gemacht, also der äußersten Schicht der Sonnenatmosphäre die normalerweise zu schwach leuchtet, um beobachtet zu werden. Ein paar Jahre nach Secchis Tod musste die Sternwarte übersiedeln; der alte Kirchenstaat wurde vom 1870 neu entstandenen Königreich Italien aufgelöst und musste große Bereichen seiner ehemaligen Fläche abgeben. Dazu hat auch das Gelände der Sternwarte gehört, weswegen der damalige Papst Leo XIII einen Neubau angeordnet hat. Zuerst noch innerhalb von Rom, Anfang des 20. Jahrhunderts ist man dann aber ins Castel Gandolfo übersiedelt, wo sich die Sommerresidenz des Papstes befindet, die ebenfalls und heute immer noch Eigentum des Vatikans ist, obwohl sich das Gebiet 25 Kilometer außerhalb von Rom befindet. So wie anderswo auf der Welt in den großen Städten war es auch in Rom längst nicht mehr möglich, wirklich gute astronomische Beobachtungen anzustellen; dafür war es dort mittlerweile viel zu hell. Draußen auf dem Land aber war es noch dunkel und die Forscher an der Vatikansternwarte wollten gute Daten haben, um sich am internationalen Projekt der "Carte du Ciel" beteiligen zu können. Ich habe davon in Folge 301 mehr erzählt; es war eines der ersten wirklich großen, internationalen Vorhaben in der Astronomie. Ziel war es, den gesamten Himmel mit fotografischen Aufnahmen zu katalogisieren, mit einheitlichen Methoden und Instrumenten. Um den kompletten Himmel abzudecken, waren Sternwarten auf der ganzen Welt nötig und die Vatikansternwarte war eine davon. Die unzähligen Aufnahmen zu vermessen und die Daten zu berechnen war natürlich auch jede Menge Arbeit. Heute würde man so etwas mit Computern erledigen und damals hat man das auch getan. Nur das mit dem Wort "Computer" keine Maschinen bezeichnet worden sind, sondern Menschen, die für die Rechenarbeit zuständig waren. Und sehr oft waren diese Menschen Frauen. Vor allem und leider deswegen, weil man ihnen damals deutlich weniger Gehalt bezahlen musste als Männern und so die viele Arbeit billiger erledigen konnte. Diese Frauen waren aber nicht nur mechanische Rechnerinnen; sie machten sich durchaus auch Gedanken über das, was sie da taten und wir verdanken ihnen jede Menge wichtige Entdeckungen. An der Harvard-Sternwarte in den USA gab es eine ganze Gruppe von ihnen, unter anderem Henrietta Swan Leavitt, die heraus fand, wie man die Entfernung zu bestimmten Sternen messen kann und damit die Grundlage legte, um zum Beispiel die Expansion des Universums entdecken zu können oder die Messung der Distanz zu anderen Galaxien. Im Vatikan musste man sich nicht so viele Gedanken über die Bezahlung der Mitarbeiter machen, aber auch hier setzte man Frauen ein, um die aufwendigen Rechenarbeiten zu erledigen. Vier Nonnen wurden rekrutiert, um die hunderttausenden Sterne aus den Carte-du-Ciel-Fotografien zu vermessen. Insgesamt waren es 481.215 Sterne und es war ein wenig peinlich, dass man zwar diese Zahl kannte, aber lange Zeit nicht die Namen dieser Frauen. Erst 2016 fand Sabino Maffeo, damals immerhin schon 93 Jahre alt, beim Ordnen von Unterlagen in der Vatikansternwarte ein paar alte Dokumente und darin die ganze Geschichte. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde der österreichische Jesuit und Astronom Johann Hagen Direktor der Sternwarte. Er war zwar ein guter Astronom, aber nicht so gut beim Rechnen und Auswerten der Daten. Also schrieb er an diverse Nonnenklöster und fragte dort nach Frauen, die ein gutes Sehvermögen, Geduld und einen Hang zu methodischer Arbeit hatten. Die Klöster waren davon nicht so begeistert, denn astronomische Arbeit gehörte nicht zu ihrem Aufgabengebiet und man wollte die Nonnen lieber für anderes einsetzen. Ein Kloster aber schickte zwei Schwestern und dann später zwei weitere und diese vier Frauen arbeiteten 11 Jahre lang an der Vatikansternwarte bei der Auswerung der Daten. Dafür bekamen sie 1920 sogar eine Privataudienz beim Papst und einen goldenen Kelch als Dank. Dann sind ihre Namen aber in Vergessenheit geraten und erst 2016 dank der Entdeckung von Sabino Maffeo wieder bekannt: Emilia Ponzoni, Regina Colombo, Concetta Finardi und Luigia Panceri. Die Vatikansternwarte ist heute ein sehr moderne Einrichtung die nicht nur von Italien aus arbeitet. Seit 1993 betreibt sie am Mount Graham in Arizona gemeinsam mit der dortigen Universität das Vatican Advanced Technology Telescope (VATT), das immerhin einen 1,8m großen Spiegel hat. An der Vatikansternwarte werden alle modernen astronomischen Themen erforscht, von Asteroiden über Galaxien bis hin zu dunkler Materie, Exoplaneten und Kosmologie. Es mag immer noch seltsam erscheinen, dass die katholische Kirche eine solche Forschungseinrichtung betreibt. Immerhin kann man definitiv nicht leugnen, dass sich die Kirche immer wieder dem wissenschaftlichen Fortschritt in den Weg gestellt hat. Aber ebenso wenig kann man die wissenschaftliche Arbeit der diversen Angehörigen der Kirche in den letzten Jahrhunderten leugnen. Die Welt ist halt nicht so schwarz/weiß wie wir uns das oft vorstellen. José Gabriel Funes, der bis 2015 Direkter der Sternwarte war, hat in einem Interview einmal gesagt: "Wir leben in einem Universum von 100 Milliarden Galaxien. Schon das ist ja eigentlich nicht mehr zu glauben. Da ist es eine sehr menschliche und tiefe Frage: warum gibt es so viele Galaxien und nicht einfach Nichts? Als Wissenschaftler können wir den Ursprung der Galaxien untersuchen und erklären, wie sie sich geformt haben. Wie es zu Sternen und Planeten kam. Ich habe keine Antwort, wie es zu diesem wundervollen Universum kam. Doch vor allem erzählt und spiegelt für mich die Schönheit des Universums die Schönheit des Schöpfers." An einen Schöpfer und dessen Schönheit kann man glauben. Oder nicht. Aber dass auch die Kirche von der Schönheit des Universums beeindruckt ist und sich damit beschäftigen will, ist absolut verständlich.
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Jan 13, 2023 • 11min

Sternengeschichten Folge 529: Das galaktische Antizentrum

Raus aufs Land Sternengeschichten Folge 529: Das galaktische Antizentrum Im Zentrum unserer Galaxie ist jede Menge los. In einer Kugel mit circa 3 Lichtjahren Durchmesser rund um das Zentrum drängen sich 10 Millionen Sterne - und dass das sehr viele Sterne sind, sieht man schnell, wenn man sich überlegt, dass zwischen unserer Sonne und dem ihr nächstgelegenen Stern ein Abstand von vier Lichtjahren ist. Inmitten dieses Sterngewusels im Zentrum der Milchstraße sitzt ein gewaltiges schwarzes Loch das vier Millionen mal mehr Masse hat als unsere Sonne. Seine Schwerkraft schleudert die Sterne mit enormen Geschwindigkeiten herum; die Bewegung der Sterne im Zentrum ist generell eher chaotisch und die ganze Gegend nicht sonderlich lebensfreundlich. Wenn einer der Sterne als Supernova explodiert, dann werden seine vielen nahen Nachbarn dadurch ebenfalls beeinflusst und die gesamte kosmische Strahlung all dieser dicht an dicht stehenden Sterne wäre für die Existenz von Leben ebenfalls nicht sehr zuträglich. Wir können froh sein, dass wir gut 25.000 Lichtjahre vom Zentrum entfernt sind, in den äußeren Bereichen der Milchstraße geht es ein wenig beschaulicher zu. Wäre unsere Galaxie eine Stadt, dann würden wir in Vororten leben, quasi im Speckgürtel der Milchstraße. Aus unserer Sicht ist es spannend, auf das Zentrum zu blicken; gerade weil dort so viel passiert. Genau so spannend kann es aber auch sein, in die entgegengesetzte Richtung zu blicken. Also, um im Bild zu bleiben, nicht hinein ins wuselnde Stadtzentrum sondern hinaus, aufs platte Land, dort wo wirklich gar nichts mehr los ist. Zumindest scheinbar, denn wenn es um die Milchstraße geht, kann man aus der Beobachtung des galaktischen Antizentrums überraschend viel lernen. Und dazu sollten wir vielleicht klären, was mit einem "Antizentrum" überhaupt gemeint ist. Das Zentrum ist klar; dass ist die Mitte und bei einer im Wesentlichen scheibenförmigen Struktur wie unserer Milchstraße ist das auch einigermaßen leicht zu definieren. Da kann es nur ein Zentrum geben - aber was ist das Gegenteil der Mitte? Der Rand? Ja, und Nein. In der Astronomie wird als "galaktisches Antizentrum" einfach der Punkt bezeichnet, der von uns aus gesehen dem galaktischen Zentrum genau gegenüberliegt. Wir können dafür wieder auf das praktische Bild der Himmelskugel zurückgreifen. Wir tun so, als wären wir in der Mitte des Universums und sehen alle Sterne und andere Himmelskörper wie auf einer großen Kugelschale um uns herum. So schaut es ja auch tatsächlich aus, wenn wir zum Himmel blicken und lange Zeit hat man auch geglaubt, dass die Welt exakt so organisiert ist und die Sterne wirklich nur Lichter sind, die auf irgendeiner fernen Kristallsphäre montiert sind. Die Realität ist natürlich eine andere, aber es ist in manchen Fällen praktisch, so zu tun, als würde es die Himmelskugel tatsächlich geben. Auf dieser fiktiven Sphäre sehen wir das Zentrum der Milchstraße auf jeden Fall dort, wo sich das Sternbild Schütze am Himmel befindet. Und wenn wir uns jetzt einmal um 180 Grad drehen, dann schauen wir auf die Sternbilder Fuhrmann und Stier. Genau an der Grenze zwischen ihnen findet wir den Stern Elnath, der zu den 50 hellsten Sternen des Himmels gehört und daher gut zu sehen ist. Wenn wir auf diesen Stern schauen, dann schauen wir fast genau auf das galaktische Antizentrum. Schön und gut - aber warum sollte uns das interessieren? Dort sitzt kein schwarzes Loch um das sich alles dreht; dort sausen keine Sterne wild herum. Dort ist, wie es sich für ein Antizentrum gehört - nicht viel los. Aber genau das ist auch der Grund, warum diese Gegend für die Forschung interessant ist. Wir können ein weiteres Mal den Vergleich zwischen Stadt und Land verwenden. In der Stadt und vor allem im Stadtzentrum passiert jede Menge. Da geschehen neue Dinge; es eröffnen neue Geschäfte; es schließen Geschäfte, die neuen Filme und Theaterstücke werden dort als erstes aufgeführt, und so weiter. Es ist alles sehr lebendig und die Dinge ändern sich schnell. Draußen am Land läuft alles ein wenig langsamer ab. Es gibt weniger Veränderung und manchmal kommt es einem so vor, als wäre die Zeit dort stehen geblieben. Das ist, wenn es um den Vergleich von Stadt und Land geht, natürlich ein wenig übertrieben. Aber auch nicht völlig falsch und beim galaktischen Antizentrum definitiv korrekt. Die Sterne, die sich dort draußen, am Rand der Milchstraße befinden, bewegen sich viel langsamer als die, die weiter drinnen ihre Runden ziehen. Die Abstände zwischen den Sternen sind viel, viel größer und damit auch die gravitativen Störungen, die sie aufeinander ausüben. Das bedeutet, dass wir dort auch die Vergangenheit der Milchstraße besonders gut erforschen können. Unsere Galaxis war ja nicht immer genau so, wie wir sie heute sehen. Es würde zu weit führen, jetzt die gesamte Geschichte einer Galaxie zu erzählen. Die Milchstraße ist alt, fast so alt wie das Universum selbst. Aber bei ihrer Entstehung war sie - so wie alle anderen Galaxien - noch nicht so groß wie heute sondern eine vergleichsweise kleine Gruppe von Sternen. Sie ist durch die Verschmelzung mit anderen kleinen Galaxien gewachsen und dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen. Wie ich in Folge 418 erzählt habe, wird sie in ein paar Milliarden Jahren mit der Andromedagalaxie verschmelzen und eine noch größere Galaxie werden. Es ist schwer, heute noch Spuren dieser vergangenen Wachstumsschritte zu finden. Die Sterne haben sich im Laufe der Zeit miteinander vermischt und wenn wir ins hektische Zentrum der Milchstraße schauen, finden wir gar keine Spuren mehr von dem, was früher vielleicht war. In den Außenbereichen läuft es aber - wie gesagt - ein wenig langsamer ab. Unterschiede zwischen verschiedenen Sternengruppen können dort unter Umständen immer noch beobachtet werden; es war noch zu wenig Zeit, als dass sich auch dort alles vermischt hat. Störungen wirken sich nur langsam aus und die aus der Verschmelzung zweier Galaxien entstandenen Besonderheiten bleiben länger bestehen. Beim Blick nach außen können wir auch nicht nur die Außenbereiche der galaktischen Scheibe beobachten sondern gleichzeitig auch den Halo, also die große kugelförmige Region um die Scheibe der Milchstraße herum. Dort befinden sich jede Menge alte Kugelsternhaufen, Gaswolken und alte Einzelsterne und auch die Sternströme, von denen ich in Folge 177 erzählt habe und die die letzten Überreste von fremden Galaxien sind, die die Milchstraße früher mal verschluckt hat. Dazu kommt: Der Blick ins Zentrum der Milchstraße ist uns fast komplett durch Staubwolken verstellt und wir brauchen Radio- und Infrarotteleskope, um dort etwas zu sehen. In Richtung Antizentrum ist naturgemäß weniger los und wir können sehr viel besser und genauer beobachten, was dort passiert. Zum Beispiel mit dem GAIA-Weltraumteleskop, dass bei seiner exakte Vermessung von knapp 2 Milliarden Sternen der Milchstraße natürlich auch das galaktische Antizentrum untersucht hat. Wir wissen jetzt, wie schnell und in welche Richtung sich die Sterne dort bewegen und die Daten sind äußerst interessant. Ich spare mir die mathematisch-wissenschaftlichen Details dieser Analyse - aber ein Ergebnis besteht zum Beispiel in der Erkenntnis, dass die Scheibe der alten, quasi ursprünglichen Scheibe der Milchstraße sehr viel kleiner ist als die heutige. Die Sterne, die aus der Verschmelzung der Milchstraße mit der Gaia-Enceladus-Galaxie vor gut 9 Milliarden Jahren stammen, reichen weit über diese ursprüngliche Scheibe hinaus (davon habe ich im Detail in Folge 480 gesprochen). Man hat auch entdeckt, dass die Scheibe der heutigen Milchstraße in den Außenbereichen ein wenig verbogen ist und hat auch diverse andere Hinweise auf gravitative Störungen und Einflüsse entdeckt. Worin sie genau bestehen, ist noch nicht eindeutig bekannt. Aber auch hier wird die weitere Erforschung des Antizentrums neue Erkenntnisse bringen. Es ist wirklich ein ganz besonderer Ort. Wenn es um das Verständnis von Galaxien an sich geht, haben wir ja enorm viel aus der Beobachtung anderer Galaxien gelernt. Lange bevor wir wussten, welche Form unsere eigene Milchstraße hat, haben wir die vielen unterschiedlichen Möglichkeiten bei anderen, weit entfernten Sternensystemen gesehen. Wir sitzen ja mitten in der Galaxis und so wie man mitten im Wald vor lauter Bäumen kaum etwas über die Form des Waldes sagen kann, ist es schwer, die Milchstraße von innen heraus zu verstehen. Aber wenn es um die Außenbereiche einer Galaxie geht, hilft uns die Beobachtung ferner Objekte nicht viel. Denn dort befinden sich nunmal wenig Sterne und es ist schon schwer genug, weit entfernte Galaxien zu beobachten, weil von da nur so wenig Licht zu uns kommt. Die noch viel lichtschwächeren Außenbereiche dieser Galaxien sind im Detail so gut wie gar nicht zu untersuchen. Bei unserer Milchstraße klappt das aber recht gut; wir sitzen ja quasi auf halben Weg zwischen Zentrum und Rand. Und wenn wir den Blick vom Trubel in der Mitte abwenden und auch ab und zu mal in die scheinbar langweiligen Regionen draußen am galaktischen "Land" werfen, können wir dort Dinge lernen, die wir nirgendwo anders herausfinden können.

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