

Sternengeschichten
Florian Freistetter
Das Universum ist voll mit Sternen, Galaxien, Planeten und jeder Menge anderer cooler Dinge. Jedes davon hat seine Geschichten und die Sternengeschichten erzählen sie. Jeden Freitag gibt es eine neue Folge - das Universum bietet genug Material für immer neue Geschichten.
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May 26, 2023 • 11min
Sternengeschichten Folge 548: Die Whirlpool-Galaxie
Es wirbelt im Weltall
Sternengeschichten Folge 548: Die Whirlpool-Galaxie
Die Sternengeschichten sind ein Podcast und ein Podcast ist etwas zum Anhören. Ich bemühe mich immer, die Phänomene der Astronomie so zu erklären, dass es reicht, dabei zuzuhören. In diesem Fall möchte ich aber eine Ausnahme machen und die Hörerinnen und Hörer auffordern, sofern möglich, kurz auf Pause zu drücken und im Internet nach einem Bild der Whirlpool-Galaxie zu suchen. Oder dass zumindest zum bestmöglichen Zeitpunkt nach Ende des Podcasts zu machen. Man kann sich diese Folge der Sternengeschichten auch anhören, ohne so ein Bild gesehen zu haben. Aber die Whirlpool-Galaxie ist ein so beeindruckender Anblick, das sollte man nicht verpassen.
Ok - ich hoffe, ihr konntet einen Blick auf M51 bzw. Messier 51 werfen, wie die Whirlpool-Galaxie auch genannt wird. Beziehungsweise NGC 5194 und NGC 5195, je nachdem welche Katalogbezeichnung man verwendet. Letztere, das "NGC", bezieht sich auf den New General Catalogue of Nebulae and Clusters of Stars und die sagt uns gleich etwas sehr wichtiges. Die Whirlpool-Galaxie besteht eigentlich aus zwei einzelnen Galaxien. Sieht man sich ein Bild davon an, erkennt man eine wunderschöne, gewaltige Spiralgalaxie, mit zwei langen, mehrfach gewundenen Spiralarmen und einem hell leuchtenden Zentralbereich. Und am Ende des einen Spiralarms sitzt noch einmal ein hell leuchtender Blob. Die große Spiralgalaxie ist NGC 5194 - und der kleine Blob ist eine Zwerggalaxie mit der Bezeichnung NGC 5195.
Entdeckt wurde die Whirlpool-Galaxie am 13. Oktober 1773 von Charles Messier. Über diesen französischen Astronom habe ich ja schon in Folge 128 ausführlich gesprochen. Beziehungsweise habe ich da über seinen Katalog erzählt. Messier wollte damals alle diffusen, nebelartigen Objekte am Himmel auflisten, die man vielleicht mit einem Kometen verwechseln kann. Um was es sich bei diesen nebligen Dinger handelt, war ihm nicht so wichtig beziehungsweise gab es damals auch noch keine Möglichkeit, dass herauszufinden. Messier wollte es ein bisschen einfacher beim Kometensuchen haben, sein Messier-Katalog ist aber immer noch sehr populär, vor allem in der Hobby-Astronomie. Objekt Nummer 51 in seinem Katalog war jedenfalls das Objekt, dass wir heute die Whirlpool-Galaxie nennen. Obwohl man natürlich lange nicht wusste, dass es sich um eine Galaxie handelt. Das erste vernünftige Bild von ihr gab es Mitte des 19. Jahrhunderts. Der irische Astronom William Parsons, der 3. Earl of Rosse war nicht nur ein begeisterter Astronom, sondern baute sich auch enorm große Teleskope. Sein größtest hatte einen Spiegel mit einem Durchmesser von 1,83 Metern und damit konnte er 1845 die Whirlpool-Galaxie beobachten und machte einige Zeichnungen, die deutlich eine spiralförmige Struktur und den kleinen Blob, der an einem Arm dran hing.
Erst in den 1920er Jahren fanden Edwin Hubble und seine Kollegen heraus, dass viele dieser nebelartigen Strukturen tatsächlich enorm weit entfernte Galaxien sind und heute wissen wir, dass die Whirlpoolgalaxie circa 25 bis 30 Millionen Lichtjahre von uns entfernt ist. Es handelt sich tatsächlich um eine Spiralgalaxie, so wie auch unsere Milchstraße eine ist. Allerdings sind bei ihr die Spiralarme ein wenig ausgeprägter als bei uns. Ihr Durchmesser beträgt circa 80.000 Lichtjahre und sie enthält ungefähr 160 Millionen Sterne. Wer sie selbst beobachten will, muss im Sternbild der Jagdhunde auf die Suche gehen. Ein Stück nördlich der Jagdhunde liegt die sehr viel einfacher zu findende Sternenkonstellation des großen Wagens. Der östlichste Stern davon, Alkaid, also das hintere Ende der Deichsel des Wagens liegt knapp an der Grenze zu den Jagdhunden und M51 findet sich ein bisschen östlich und südlich von Alkaid. Um M51 zu sehen reicht schon ein Fernglas, wenn man aber Details sehen will, sollte man ein etwas größeres Teleskop verwenden.
Mit einem richtigen großen Teleskop kann man auch sehr gut sehen, dass die Sterne in den Spiralarmen von M51 eher bläuchlich leuchten, das Licht der kleineren Galaxie aber insgesamt eher rötlich ist. Daran erkennt man, dass in der großen Galaxie viele junge Sterne existieren, die eben tendenziell heiß und blau-weiß leuchten, während in der Begleitgalaxie eher alte Sterne zu finden sind, die kühler und rötlicher leuchten. Schauen wir uns diese Begleitgalaxie noch einmal genauer an: NGC 5195 ist eine Zwerggalaxie und eher unförmig. Im Röntgenlicht dagegen leuchtet sie extrem hell; schaut man sich die Whirlpool-Galaxie mit einem Röntgenteleskop an, dann sieht man eigentlich nur zwei sehr helle Bereiche. Einer ist der Zentralbereich von M51 und darüber reden wir gleich noch. Der andere ist NGC 5195, die Begleitgalaxie. Die Spiralarme die beide verbinden, sind im Röntgenlicht kaum zu sehen. In der kleinen Galaxie kommt die Röntgenstrahlung von den vielen Sternen, die schon etwas älter sind und dadurch auch viel Röntgenstrahlung produzieren. Aber eher wenig Ultraviolettstrahlung; das machen vor allem junge und heiße Sterne. Mit einem Ultraviolett-Teleskop sind daher auch die Spiralarme von M51 deutlich zu sehen; die Begleitgalaxie dagegen so gut wie gar nicht.
Die Unterschiede zwischen den beiden Galaxien stammen vor allem von der Wechselwirkung zwischen den beiden. Wir wissen ja mittlerweile sehr gut, dass Galaxien einander ständig in die Quere kommen. Unsere Milchstraße wird in ein paar Milliarden Jahren mit der Andromedagalaxien verschmelzen; in der Vergangenheit sind immer wieder kleinere Zwerggalaxien von der Milchstraße verschluckt worden, und so weiter: Wechselwirkungen zwischen Galaxien sind völlig normal und bei der Whirlpool-Galaxien können wir so eine Wechselwirkung wunderbar beobachten. Dass die Spiralarme von M51 so ausgeprägt sind, liegt wahrscheinlich daran, dass NGC 5195 vor ungefähr 500 Millionen Jahren einmal quer durch die Hauptebene der großen Galaxien geflogen ist. Dabei wurde jede Menge Staub und Gas durcheinander gewirbelt und es sind jede Menge Sterne entstanden. Vor circa 100 Millionen Jahren muss die Begleitgalaxie M51 wieder in Gegenrichtung durchquert haben, so dass sie sich jetzt aus unserer Sicht ein kleines Stück hinter M51 befindet. Wenn man mit den richtigen Instrumenten genau hinschaut, dann sieht man noch mehr Spuren dieser Interaktion. Man kann Ströme aus Gas und Sternen erkennen, die aus den Galaxien hinausragen bzw. sich zwischen ihnen erstrecken. Die kleine Galaxie hat sich vermutlich bei ihrem Durchgang aus M51 mit sich gerissen. Am Ende wird das aber nichts nutzen; in ferner Zukunft wird NGC 5195 mit der großen Galaxie verschmelzen und in ihr verschwinden.
Bis dahin dauert es aber noch ein paar Milliarden Jahren und wir haben Zeit, uns den Kern von M51 anzusehen. Der ist nämlich ein aktiver Kern. Soll heißen: Im Zentrum der großen Galaxie gibt es, wie in den Zentren aller großen Galaxien, ein supermassereiches schwarzes Loch. Bei M51 ist das Loch aber von sehr viel Staub umgeben. Die Gravitationskraft des Lochs beschleunigt den Staub, heizt ihn auf und es wird jede Menge Strahlung freigesetzt. Auf den detailiertesten Bildern der Galaxie kann man den hellen Kern erkennen und sogar ein dunkles Band aus Staub, das ihn umgibt.
2020 hat die Whirlpool-Galaxie ein weiteres Mal Schlagzeilen gemacht. Es wurde die Entdeckung des ersten extragalaktischen Planeten verkündet. Also eines Planeten, der sich außerhalb unserer Milchstraße befindet. Bis dahin kannten wir nur Planeten die sich in unserer eigenen Galaxie befinden und so gut wie alle davon waren mehr oder weniger in der Nachbarschaft der Sonne, also höchstens ein paar hundert bis 1000 Lichtjahre weit weg. Es ist immer noch enorm schwer, Planeten zu finden die andere Sterne umkreisen; bei anderen Galaxien erscheint das fast unmöglich. Da können wir ja meistens noch nicht einmal einzelne Sterne sehen; wie sollen wir da Planeten finden, die diese Sterne umkreisen? In diesem Fall hat man ein Röntgenteleskop benutzt. Stellen wir uns einen sogenannten Röntgendoppelstern vor. Damit ist ein System gemeint, wo ein großer Stern ein schwarzes Loch oder einen Neutronenstern umkreist. Masse kann vom Stern zum Loch oder dem Neutronenstern fließen und wenn sie dort auftrift, wird Röntgenstrahlung freigesetzt. So weit, so klar - solche Dinger haben wir in unserer eigenen Galaxie schon entdeckt. Was man 2020 entdeckt hat, war so ein Röntgendoppelstern, bei dem das Röntgenlicht plötzlich sehr viel dunkler wurde. Und dann wieder heller. Beziehungsweise hat man behauptet, es könnte sowas sein. Man hat Röntgenlicht gesehen, dass aus einem Sternhaufen in M51 kommt, wo sich viele junge Sterne befinden. Wenn einer davon so ein Doppelstern ist und der große Stern des Paars von einem Planeten umkreist wird, und dieser Planet von uns aus gesehen genau vor der Röntgenquelle vorüber zieht, dann kann das Röntgenlicht kurzfristig verschwinden. Aber. Und jetzt kommen jede Menge Abers! Aber: so eine Röntgenquelle fluktuiert auch aus jeder Menge anderer Gründe. Aus sich selbst heraus zum Beispiel, weil die Masse halt unregelmäßig vom Stern weg fließt. Oder weil sich irgendwas anderes zwischen uns und die Quelle schiebt. Ein Stern, ein brauner Zwerg; irgendwas was auf der Sichtlinie liegt. Das könnte sogar ein Asteroid in unserem eigenen Sonnensystem sein. Ein extragalaktischer Planet ist nur eine von vielen Möglichkeiten und die Daten reichen nicht aus, um eindeutige Aussagen zu treffen. Natürlich müssen auch die Sterne von M51 von Planeten umkreist werden. Aber aus der einmaligen Beobachtung eines Abfalls des Röntgenlichts einer Quelle in dieser Galaxie kann man noch nicht schließen, dass es sich um so einen Planeten handelt.
So oder so: Wir werden die Whirlpool-Galaxie weiterhin im Blick behalten. Nicht unbedingt, um dort extragalaktische Planeten zu entdecken. Aber es gibt dort noch sehr viel mehr zu erforschen. Und sie schaut einfach so wunderbar hübsch aus!

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May 19, 2023 • 18min
Sternengeschichten Folge 547: Michael Stifel und der Weltuntergang
Besser Stiefel trinken als Stiefel rechnen
Sternengeschichten Folge 547: Michael Stifel und der Weltuntergang
In der heutigen Folge der Sternengeschichten geht es um Mathematik. Und bevor deswegen jemand gleich wieder auf den Ausschaltknopf drücken möchte, sage ich auch gleich dazu, dass wir auch über den Weltuntergang reden werden. Aber anfangen tun wir mit der Mathematik. Es ist keine große Überraschung, wenn ich sage, dass die Mathematik von enormer Bedeutung für die Astronomie ist. Genau so wie sie eine enorme Bedeutung für die gesamte Naturwissenschaft hat, und übrigens nicht nur für die Naturwissenschaft. Mathematik ist die Art und Weise, wie wir probieren, die Zusammenhänge in der Welt in Worte zu fassen. Nur dass diese Worte eben keine Worte in normaler Sprache sind. Sondern Formeln und Symbole. Aber wir brauchen genau diese abstrakte symbolische Sprache, wenn wir verstehen wollen, wie die Welt funktioniert. Ein Beispiel: Niemand kann sich wirklich anschaulich vorstellen, wie eine vierdimensionale Raumzeit aussehen soll; noch weniger kann man sich vorstellen, wie es aussehen soll, wenn etwas vierdimenionsales gekrümmt wird. Trotzdem ist genau das die zentrale Aussage der allgemeinen Relativitätstheorie: Das Universum besteht aus der vierdimensionalen Raumzeit die von den in ihr enthaltenen Massen gekrümmt wird. Wenn die Objekte bei ihrer Bewegung durch den Kosmos dieser Krümmung folgen, sieht das für uns so aus wie die Wirkung einer Kraft, die sie aufeinander ausüben und die wir "Schwerkraft" genannt haben. Wenn wir verstehen wollen, wie Gravitation funktioniert, müssen wir uns mit der vierdimensionalen Raumzeit auseinandersetzen und man kann sich zwar mit diversen Vergleichen und Veranschaulichungen behelfen, wenn man echte Wissenschaft betreiben will, kommt man damit aber nicht weiter. Dafür braucht es die exakte und abstrakte Sprache der Mathematik, in der es überhaupt kein Problem ist, die entsprechenden Beziehungen aufzuschreiben. Man kann sich eine vierdimensionale Raumzeit zwar nicht vorstellen, aber man kann problemlos damit rechnen und darauf kommt es an!
Es gäbe noch jede Menge andere Beispiele, aber ich hoffe, die Bedeutung der Mathematik ist trotzdem klar. Deswegen muss man in der Astronomie nicht nur die für das jeweilige Forschungsgebiet nötige Mathematik beherrschen. Sondern kann sich auch damit beschäftigen, neue mathematische Methoden zu finden. Wenn jemand ein neues Teleskop baut; ein neues Messinstrument, und so weiter: Dann würde niemand bezweifeln, dass man damit einen Beitrag zur Astronomie leistet. Aber mit der Mathematik ist es genau so. Sie ist auch ein Instrument und auch sie muss entwickelt werden.
Ich habe mir deswegen die Mühe mit dieser langen Vorrede gemacht, damit klar wird, dass es nicht um irgendwelche unnötigen oder trivialen Leistungen geht, wenn ich jetzt gleich von der Arbeit des deutschen Mathematikers Michael Stifel erzähle. Wenn ich zum Beispiel erzähle, dass er Rechenregeln für Potenzen gefunden hat oder eine Methoden gefunden hat, mit der man höhere Wurzeln berechnen kann. Aus heutiger Sicht reisst das niemanden vom Hocker. Wenn ich zum Beispiel die dritte Wurzel aus 58 berechnen will, dann tippe ich das einfach in den Taschenrechner und sehe, dass das ein bisschen mehr als 3,87 ist. Aber jetzt stellt euch mal vor, ihr müsst das ohne Taschenrechner machen. Ihr könnt das auch nicht einfach bei Google eintippen oder per Chat schnell euren Freundeskreis fragen. Ihr müsst das im frühen 16. Jahrhundert machen; in einer Welt, in der die meisten Menschen nicht mal gelernt haben, wie man Zahlen multipliziert oder dividiert; wo man eine Rechnung wie "4 + 5 = 9" noch nicht mal einfach so aufschreiben kann, weil erstens sehr viele Menschen nicht schreiben können und sich zweitens Symbole wie "+" oder "=" noch nicht wirklich durchgesetzt haben. Eine Welt, kurzgesagt, in der die Naturwissenschaft erst beginnt, sich zu entwickeln und in der die Mathematik in ihrer modernen Form quasi nicht existiert.
Das ist die Welt von Michael Stifel, vermutlich irgendwann um 1487 in Esslingen am Neckar geboren. Seine Eltern waren wohlhabend; Michael konnte zur Schule gehen und trat danach ins Augustinerkloster in Esslingen ein. Dort wurde er 1511 auch zum Priester geweiht, sein Leben war aber alles andere als das ruhige Leben, dass man sich vielleicht von einem Mönch in einem Kloster erwartet. Das frühe 16. Jahrhundert war nicht nur aber vor allem aus religiöser Sicht ziemlich chaotisch. 1517 veröffentlichte Martin Luther (der später noch wichtig für Stifel werden wird) seine berühmten 95 Thesen und spaltete die christliche Kirche. Stifel selbst war auch eher dem Protestantismus zugeneigt und mit der katholischen Kirche immer wieder uneins. Deswegen musste er Esslingen auch verlassen und bekam durch Luthers Vermittlung eine Stellung als evangelischer Prediger in Mansfeld. In dieser Position began er auch, sich mit Mathematik zu beschäftigen. Allerdings nicht so, wie man sich das heute vorstellt, wenn jemand anfängt, Mathematik zu lernen. Es war ein eher mystisches Interesse, dass Stifel dazu trieb, sich mit den Eigenschaften von Zahlen zu beschäftigen. Er betrieb das, was man "Wortrechnung" nennt und heute definitiv in den Bereich der Esoterik gehört, damals aber durchaus eine weitverbreitete Methode war, um zum Beispiel die Bibel zu interpretieren. Dabei werden den Buchstaben Zahlen zugeordnet und die Manipulation dieser Zahlen und ihre Rückwandlung in Buchstaben soll Botschaften offenlegen, die zuvor nicht erkennbar waren. Ein Beispiel: 1521 starb der damalige Papst Leo X. Das kann man auf Latein als "LEO DECIMUS" schreiben. L, D, C, I, M und V (das V hat man im Latein als U verwendet) sind gleichzeitig aber auch römische Zahlen. Und wenn man ein wenig mit diesen Zahlen herumspielt, kommt man zu dem Ergebnis, dass der Name des Papstes der Zahl 666 entspricht. Die gilt laut Bibel als Symbol des Antichristen womit laut Stifel klar war, dass der Papst in Wahrheit das absolut Böse ist. Ok, wenn ein Protestant in der damaligen aufgeheizten Stimmung so etwas dem katholischen Oberhaupt vorwirft, ist das eher wenig überraschend. Aber es zeigt, wie und auf welche Art auch ein Theologe wie Stifel Interesse an der Mathematik finden kann.
Stifels Biografie blieb weiter unruhig. 1524 schickte ihn Luther nach Grieskirchen in Oberösterreich, wo er der erste evangelische Prediger Österreichs wurde, aber dann wegen Kriegsgefahr 1527 wieder zurück nach Deutschland musste, diesmal nach Wittenberg, wo er bei Luther wohnte und sich weiter mit Religion und Mathematik beschäftigt hat. In der Nähe von Wittenberg, dem heutigen Annaburg, erhielt Stifel eine Stelle als Priester und dort veröffentlichte er 1532 auch ein Buch mit dem Titel "Ein Rechen Büchlin Vom EndChrist", in dem er seine mathematischen Erkenntnisse aus der Bibel darlegt. Das erste Kapitel trägt den Titel "Wie man ein jedes Wort inn dieser Rechnung zur Zal machen möge" und beschreibt genau das, was ich vorhin anhand des Namens des Papstes erklärt habe. Die Details lasse ich jetzt auch, aber im Laufe seiner Untersuchung stellte Stifel fest, dass der Untergang der Welt kurz bevor stehen würde. Er bezog auf eine Stelle im Johannes-Evangelium, Kapitel 19, Vers 37: "Und ein anderes Schriftwort sagt: Sie werden auf den blicken, den sie durchbohrt haben." Vermutlich hatte Stifel Gründe, warum er gerade diese Stelle ausgewählt hat, auf jeden Fall kann man das wieder auf Latein übersetzen, die Buchstaben raussuchen die auch römische Zahlen sind, ein bisschen damit rumspielen und kommt dann zur Zahl 1533. In diesem Jahr musste die Welt untergehen, und zwar genau um 8 Uhr morgens des 19. Oktober. Luther war nicht sehr begeistert davon, dass sein Freund den Weltuntergang vorhersagen wollte, was Stifel aber nicht abhielt.
Die Menschen der Stadt glaubten Stifel, viele Menschen verschenkten ihr Hab und Gut, die Bauern stellten die Arbeit ein, diverse Leute pilgerten extra zum 19. Oktober nach Annaburg nur um zuzusehen, wie die Welt doch nicht unterging. Dementsprechend wenig erfreut waren sie und Stifel musste in Schutzhaft genommen werden, um ihn vor dem Zorn der erbosten Menschen zu schützen. Weltuntergangspropheten gab es damals wie heute und damals noch viel mehr. In der religiös und politisch chaotischen Zeit des frühen 16. Jahrhunderts waren Untergangsfantasien fast schon normal und Stifel definitiv nicht der einzige, der vom baldigen Ende ausging. Und ich habe diese Epsiode vor allem deswegen erzählt, weil Stifels Karriere damit nicht zu Ende war. Sie fing erst so richtig an. Stifel wollte sich weiterhin mit Mathematik beschäftigen, aber ein wenig ernüchtert über seine peinliche Fehlprognose, ließ er die Wortrechnung in der Bibel bleiben und widmete sich der reinen Mathematik. Er besorgte sich die Standardwerke der damaligen Zeit und brachte sich selbst alles bei, was es zu wissen gab. Er übersetzte wichtige Bücher ins Deutsche wie zum Beispiel die des antiken Mathematikers Euklid und verfasste auch selbst Bücher über das Rechnen und das Lösen von Gleichungen. Das wichtigste davon ist "Arithemtica integra", 1544 erschienen und eine Zusammenfassung von allem, was damals über Arithmetik und Algebra bekannt war. Arithmetik ist das, was man üblicherweise mit "Rechnen" meint und war damals die Beschäftigung mit den Grundrechenarten. Algebra ist das Rechnen mit Unbekannten, also das Lösen von Gleichungen. Das Buch wurde enorm bekannt und damit nicht nur der Inhalt sondern auch die Art und Weise, in der dieser Inhalt präsentiert wurde. Im Mittelalter hatte man sich noch längst nicht auf eine einheitliche mathematische Symbolik geeinigt, das hat bis weit ins 19. Jahrhundert hinein gedauert. Damals verwendete man zwar schon die heute noch üblichen arabischen Zahlen, aber jede Menge unterschiedliche Symbole. Das uns so vertraute Gleichheitszeichen etwa wurde erst 1557 das erste Mal in einem Buch verwendet. Davor schrieb man alles mögliche, zum Beispiel die Phrase "est egale", was auf Latein so viel wie "ist gleich" heißt, wenn man das aussagen wollte, was wir heute mit dem Gleichheitszeichen tun. Bei den anderen Symbolen war es genau so. Die einen schrieben so, die anderen so und mal wurden dieses Symbol verwendet und mal jenes. Aber wenn sich ein Buch wie das von Stifel so enorm durchsetzt, dann gilt das auch für die dort verwendeten Symbole. Stifel hat die heute verwendeten Zeichen für + und - zwar nicht selbst erfunden. Aber mit seiner Arbeit eben dafür gesorgt, dass sich sich durchgesetzt haben. Gleiches gilt für das Wurzelzeichen und das Wort "Exponent" hat er tatsächlich als erster verwendet.
Womit wir bei seinen wichtigsten Beiträgen zur Mathematik wären. Stifel hat sich ausführlich mit dem beschäftigt, was wir heute als Potenzrechnung bezeichnen. Wenn wir so etwas rechnen wollen wie a hoch x mal a hoch y, dann wissen wir, dass das Ergebnis a hoch x+y lautet. Warum man das so machen kann, hat Stifel in seinem Buch gezeigt. Er hat Tabellen mit den von ihm berechneten Werten für diverse Potenzen veröffentlicht, was sehr praktisch ist, denn genau das wäre die Antwort auf die Frage vom Beginn: Wie führt man eine komplexe Rechnung aus, wenn man keinen Taschenrechner hat? Gar nicht, man schlägt die Antwort in einer Tabelle nach! Genau so hat man es damals gemacht und das war in vielen Fällen noch bis ins 20. Jahrhundert so (Taschenrechner gibt es ja noch nicht sooo lange). Irgendwer muss diese Tabellen zwar berechnen, aber genau das war der Job von Leuten wie Stifel. In der Astronomie müssen heute alle wissen, wie man ein Teleskop benutzt. Es reicht aber, wenn nur wenige Menschen auch wissen, wie man die Dinger konkret baut. In der Mathematik war es genau so: Wenn ein paar Leute gute Tabellen herstellen, kann der Rest sie einfach benutzen. Ganz besonders praktisch waren die Tabellen in Stifels Buch, die wir heute als Logarithmentafeln bezeichnen würden. Der Logarithmus ist quasi die Umkehrfunktion beim Potenzieren, aber darüber hinaus auch anderweitig enorm praktisch. Ein Beispiel: Was kommt raus, wenn man 17 mal 28 rechnet? Gut, auch das ist ein Fall für den Taschenrechner, aber man kann es zur Not auch im Kopf rechnen und das Ergebnis ist 476. Aber was, wenn die Zahlen größer sind? Dann rechnet es sich im Kopf nicht mehr so gut und auch auf dem Papier ist man eine Weile beschäftigt. Besser wäre es, man könnte sich das mühsame Multiplizieren sparen. Und genau das erlaubt der Logarithmus. Statt 17 mal 28 kann ich auch rechnen "Logarithmus von 17 PLUS Logarithmus von 28". Was hilft das? Erklärt ich gleich, schauen wir zuerst mal, was der Logarithmus von 17 eigentlich sein soll. Der Taschenrechner sagt, dass das 1,23… ist. Was nichts anderes bedeutet, dass 10 hoch 1,23… gleich 17 ist. Der Logarithmus einer Zahl sagt mir, mit welchem Exponenten ich die Basis - in diesem Fall die 10 - potenzieren muss, um die Ausgangszahl zu kriegen. 10 hoch 1,23… ist 17. Der Logarithmus von 17 ist 1,23…
So wie für die Potenzen gibt es auch für den Logaritmus Rechenregeln und die wichtigste davon sagt, dass der Logarithmus von x PLUS dem Logarithmus von y gleich dem Logarithmus von x MAL y ist. Anders gesagt: wenn ich "Logarithmus von 17 PLUS Logarithmus von 28" berechnen, dann ist das Ergebnis eine Zahl, in dem Fall 2,6776… Und ich weiß, dass der Logarithmus von x mal y auch gleich dieser Zahl ist. Ich muss jetzt also nur noch 10 hoch 2,6776… rechnen und komme zum Ergebnis 476. Das klingt immer noch nach viel Rechnerei; das ist auch viel Rechnerei. Aber mit den richtigen Tabellen ist es ganz einfach. Ich muss dort nur nachschlagen, welcher Eintrag bei der 17 steht und was bei der 28. Diese beiden Zahlen addiere ich und suche dann in der Tabelle nach einer Zahl, wo der Eintrag zu meinem Ergebnis der Addition passt. Da muss man vielleicht ein wenig blättern, aber am Ende kann man auch eine sehr komplizierte Multiplikation durch eine sehr simple Addition zweier Zahlen lösen. Und es geht übrigens genau so bei der Division, die man mit Logarithmen zu einer Subtraktion vereinfachen kann. Um das zu beherrschen, muss man auch gar nichts von Logarithmen und Exponenten wissen; es reicht wenn man weiß, wie man die Tabelle benutzt. Die Person, die die Tabellen erstellt, muss allerdings sehr wohl über all das Bescheid wissen. Michael Stifel hat das Rechnen mit Logarithmen und die Logarithmentafeln nicht erfunden, aber seine Arbeit hat einen enorm wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass sich diese Rechenart entwickeln konnte.
Man kann sich das heute kaum noch vorstellen, aber noch weit bis ins 20. Jahrhundert hinein war das eine absolut übliche Methode die überall in der Naturwissenschaft verwendet wurde. Vielleicht hat jemand schon mal von "Rechenschiebern" gehört, die man benutzt hat, bevor es Taschenrechner gab. Das waren nichts anderes, als mechanische Geräte, bei denen ein paar Skalen gegeneinander verschoben werden konnten, so dass man wie in einer Tabelle die entsprechenden Logarithmenwerte nachschlagen konnte. Und vor den Rechenschiebern bzw. parallel dazu, gab es an allen Unis dicke Bücher mit den Tabellen. Wer vor circa 1970 in der Naturwissenschaft gearbeitet hat, kennt diese Logarithmentafeln vielleicht sogar noch aus eigener Anschauung… Die Berechnung dieser Tabellen war eine fundamental wichtige Aufgabe der Mathematik und Michael Stifel hat einen wichtigen Beitrag dazu geleistet. Er hat auch Methoden entwickelt, um Wurzeln zu berechnen oder quadratische Gleichungen zu lösen. Er hat dazu beigetragen, die negativen Zahlen in die moderne Mathematik einzuführen und es war absolut keine Überraschung, dass er 1559 der erste Professor für Mathematik an der damals neu gegründeten Universität Jena wurde.
Stifels Weg zur Mathematik war ungewöhnlich und mit seiner Weltuntergangsrechnung ist er auch mal ein wenig falsch abgebogen. Aber er hat die richtige Richtung wiedergefunden und gehört zu den wichtigsten Vertretern der spätmittelalterlichen Mathematik. Er hat viel von dem vorbereitet, was später in der Mathematik wichtig wurde. Und die Universität Jena hat keine falsche Wahl getroffen, als sie 2015 ein neuens Zentrum für Daten- und simulationsbasierte Wissenschaft gegründet und es das "Michael Stifel Center Jena for Data-Driven & Simulation Science" genannt hat.

May 12, 2023 • 11min
Sternengeschichten Folge 546: Hyperkompakte Sternensysteme
Extrem dicht und ganz allein
Sternengeschichten Folge 546: Hyperkompakte Sternensysteme
Das Wort "Sternsystem" ist ein wenig schwierig in der Astronomie. Es ist nicht immer klar, was damit gemeint ist. Beim Wort "Sonnensystem" ist es klar; das ist all das, was gravitativ an die Sonne gebunden ist. Also die Sonne, die acht Planeten, all die Monde, Asteroiden und so weiter. Und man könnte meinen, dass - weil die Sonne ja ein Stern ist - mit "Sternsystem" einfach ganz allgemein ein System aus einem Stern und all dessen, was ihn umkreist gemeint ist. Tatsächlich kann das eine Bedeutung des Wortes sein. Aber wenn, dann wird das Wort auf diese Weise eher außerhalb der Wissenschaft verwendet; in der Wissenschaft eher nicht. Da redet man sowieso auch englisch und wenn man von einem "stellar system" oder "star system" spricht, meint man im allgemeinen einen Doppel- oder Mehrfachstern. Also ein System aus zwei oder mehr Sternen, die sich gegenseitig umkreisen. Man kann den Begriff aber auch weiter fassen, und mit "Sternsystem" das meinen, was wir ansonsten "Sternhaufen" nennen würden. Also ein paar tausend bis Millionen Sterne, die durch ihre Gravitation in einem Haufen gebunden sind. Manchmal wird es auch als Begriff für eine Galaxie aus Milliarden von Sternen verwendet.
Ich diskutiere das deswegen so ausführlich, weil ich in dieser Folge etwas über "hyperkompakte Sternensysteme" erzählen will. Und ich bin mir nicht sicher, ob es dieses Wort auf deutsch eigentlich gibt. Also schon, ich habe es ja gerade verwendet. Dabei aber nur den englischen Fachbegriff übersetzt und der lautet "hypercompact stellar system" oder kurz "HCSS". Und bevor sich jemand unter meiner Übersetzung von "stellar system" etwas falsches vorstellt, wollte ich die sprachlichen Probleme gleich zu Beginn klären. Andererseits wäre es auch überraschend, wenn jemand der oder die sich nicht beruflich damit beschäftigt, unter einem "hypercompact stellar system" überhaupt etwas vorstellen kann.
Fangen wir also am Anfang an und das sind in diesem Fall supermassereiche schwarze Löcher. Die waren ja schon oft das Thema in den Sternengeschichten. Es geht um schwarze Löcher, die die millionfache oder viele hundert milliardenfache Masse unserer Sonne haben. Wir finden solche gewaltigen Objekte in den Zentren der Galaxien; auch im Zentrum unserer eigenen Milchstraße. Wir wissen noch nicht genau, wie diese enormen Himmelskörper entstehen. Ein kleines schwarzes Loch entsteht, wenn ein großer Stern am Ende seines Lebens unter seinem eigenen Gewicht kollabiert und immer dichter wird; so dicht, bis irgendwann so viel Masse auf so kleinem Raum zusammengedrängt ist, dass sich darum ein Ereignishorizont bildet. Bzw. nicht bildet, denn ein Ereignishorizont ist ja kein reales Ding, sondern einfach nur der Abstand zu einer Masse, bei dem die Anziehungskraft so groß geworden ist, dass man schneller als das Licht sein müsste, um sich wieder zu entfernen. Einem normalen Objekt, wie einem Stern, kann man gar nicht so nahe kommen, aber wenn die Masse enorm verdichtet wird, wird es möglich.
Ein Stern KANN unter seiner eigenen Schwerkraft ausreichend stark verdichtet werden, sofern er groß genug ist. Es gibt aber nichts, was groß genug wäre, um zu einem supermassereichen schwarzen Loch zu kollabieren. Zumindest nichts, was wir kennen oder uns im Rahmen des derzeitigen Wissens über das Universum vorstellen können. Deswegen ist es ziemlich klar, dass bei der Entstehung der supermassereichen schwarzen Löcher Verschmelzungen eine Rolle spielen müssen. Wir wissen, dass Galaxien ständig wechselwirken. Sie ziehen einander an, sie kollidieren miteinander, sie verschmelzen zu neuen, größeren Galaxien und irgendwann kollidieren dann auch die jeweiligen supermassereichen schwarzen Löcher aus ihren Zentren. Wie das ganze angefangen hat und ob die gigantischen schwarzen Löcher wirklich durch zahllose Verschmelzungen kleinerer schwarzer Löcher entstanden sind, wissen wir nicht. Aber für diese Geschichte reicht es zu wissen, dass supermassereiche Löcher miteinander kollidieren.
Wenn sie das tun, dann entstehen dabei Gravitationswellen. Darüber habe ich in Folge 184 genauer gesprochen, aber sehr vereinfacht gesagt: Wenn zwei Objekte mit Masse einander umkreisen, dann wird dabei die Raumzeit zum Wackeln gebracht. Die Objekte verlieren dabei Energie und kommen einander näher, bis sie irgendwann miteinander zusammenstoßen. Das gilt prinzipiell für alle Objekte, auch für mich, wenn ich jetzt aufstehen und um meinen Schreibtisch laufen würde. Aber die Gravitationswellen wären in dem Fall absurd winzig und ebenso mein Energieverlust. Seit 2015 können wir Gravitationswellen nachweisen, aber nur dann, wenn es sich um sehr massereiche Objekte handelt, die einander enorm schnell umkreisen, also bei schwarzen Löchern und Neutronensternen in den letzten Phasen ihrer Verschmelzung. Wenn zwei schwarze Löcher verschmelzen, dann gibt es sehr starke Gravitationswellen und am Ende bleibt ein neues schwarzes Loch mit größere Masse übrig.
Es kann jetzt aber passieren, dass dieses schwarze Loch plötzlich mit enormer Geschwindigkeit davon saust. Das klingt seltsam und das würde eigentlich auch dem dritten Newtonschen Gesetz widersprechen. Das besagt ja, dass es für jede Kraft eine gleich große, entgegengesetzte Kraft geben müssen. Oder anders gesagt: Ein schwarzes Loch kann nicht einfach so aus dem Nichts losfliegen. Was in diesem Fall aber auch nicht passiert. Die Details sind ein wenig kompliziert, aber es läuft daraus hinaus, dass Gravitationswellen nicht unbedingt gleichmäßig in alle Richtungen abgegeben werden müssen. Und wenn das der Fall ist, dann kann eine Art Rückstoß entstehen, der das schwarze Loch, das sich bei der Verschmelzung gebildet hat, mit hoher Geschwindigkeit davon schleudert. Und "hoch" meint hier wirklich hoch: das Ding kann mit bis zu 5000 Kilometer pro Sekunde davon sausen, eventuell sogar noch schneller. Das ist auf jeden Fall schnell genug, um die Anziehungskraft der gesamten Masse der Galaxie zu überwinden, in der es sich befindet.
Ein supermassereiches schwarzes Loch, das bei einer Verschmelzung entsteht, kann dabei also aus seiner Galaxie geworfen werden. Diesen Weg muss es dann aber nicht alleine gehen. Denn es war ja zuvor im Zentrum und da ist ja meistens sehr viel los. Das gilt auch bei Galaxien; hier stehen die Sterne sehr viel dichter als in den äußeren Bereichen und diese Sterne sausen mit hoher Geschwindigkeit um das schwarze Loch herum. Man kann sich das ein bisschen wie bei einem Stern vorstellen, der von seinen Planeten umkreist wird. Aber wirklich nur ein bisschen, denn so ein supermassereiches schwarzes Loch im Zentrum einer Galaxie wird unter Umständen von ein paar hunderttausend bis zu ein paar Millionen Sternen umkreist. Und von denen wird es viele auf seinem Weg hinaus aus der Galaxie mitnehmen. Nicht alle, aber alle, die sich gerade noch schnell genug um das Loch herum bewegen, um durch den Rückstoß nicht zurück gelassen zu werden.
Wir haben jetzt also ein supermassereiche schwarzes Loch, das von tausenden Sternen umkreist wird und sich nicht innerhalb einer Galaxie sondern außerhalb davon befindet. Genau das ist ein "hyperkompaktes Sternensystem". Sternensystem, weil es - so wie ein Sternhaufen - ein System von Sternen ist, die eine Gruppe bilden. Und hyperkompakt, weil diese System sehr viel kompakter sind als solche Sternhaufen es typischerweise sind. Was wenig überraschend ist, denn hier sitzt ja auch ein schwarzes Loch mit gewaltiger Masse im Zentrum und zwingt die Sterne auf enge Umlaufbahnen. Die größten hyperkompakten Sternensysteme können circa 20 Parsec durchmessen, was circa 65 Lichtjahre sind und der Größe eines normalen Kugelsternhaufens entspricht. Die kleinsten wären nur so groß wie das Sonnensystem, nur eben mit sehr, sehr viel mehr Sternen.
Das klingt alles sehr spannend und vermutlich wartet ihr darauf, dass ich euch jetzt erzähle, wo und wann man diese hyperkompakten Sternensysteme schon überall entdeckt hat. Die Antworten lauten: Nirgendwo und noch nicht. Ausgehend von theoretischen Überlegungen zum Gravitationswellenrückstoß hat man 2009 vorgeschlagen, dass es solche Systeme geben könnte. Aber sie sind nicht so einfach nachweisbar. Das schwarze Loch im Zentrum ist ja im wesentlichen unsichtbar und von außen sieht so ein hyperkompaktes Sternensystem aus wie ein normaler Sternhaufen; vielleicht etwas schwächer leuchtend. Um nachzuweisen, dass es sich um ein HCSS handelt, müsste man die Geschwindigkeit messen, mit der sich die Sterne um das Zentrum des Haufens bewegen und das ist zwar prinzipiell möglich. Aber es ist viel Arbeit und klappt auch nur bei ausreichend nahen Sternhaufen. Und bei denen wäre es uns aufgefallen, wenn in der Mitte ein Ding sitzt, dass ein paar millionen Mal so viel Masse hat wie die Sonne. Wir müssen die HCSS in fernen Galaxienhaufen suchen und schauen, ob da irgendwo zwischen den Galaxien ein kleiner Sternhaufen sitzt, der eigentlich kein echter Sternhaufen ist.
Und WENN wir diesen Nachweis einmal schaffen, hätten wir damit auch gleich nachgewiesen, dass der Gravitationswellenrückstoß nicht nur eine theoretische Überlegung ist, sondern in der Realität auch wirklich vorkommt. Wir hätten gezeigt, dass supermassereiche schwarze Löcher nicht ausschließlich in den Zentren von Galaxien vorkommen können. Und wüssten einiges mehr, was die Entwicklung supermassereicher schwarzer Löcher und ihrer Galaxien angeht. Man kann also davon ausgehen, dass wir die Suche nach den hyperkompakten Sternensystemen nicht so schnell aufgeben.

May 5, 2023 • 13min
Sternengeschichten Folge 545: Die Magnetfelder der inneren Planeten
Der Dynamo muss laufen
Sternengeschichten Folge 545: Die Magnetfelder der inneren Planeten
Ich habe in den Sternengeschichten schon oft über Magnetismus und Magnetfelder gesprochen. Das ist wenig überraschend; immerhin ist der Elektromagnetismus ja eine der vier fundamentalen Grundkräfte des Universums. Es wäre eher überraschend, wenn Magnetfelder keine Rolle in der Astronomie spielen würden. Das tun sie aber; zum Beispiel wenn es darum geht zu verstehen, wie die Sonne funktioniert. Oder wenn wir verstehen wollen, was einen Planeten lebensfreundlich macht. Magnetfelder verraten uns was bei schwarzen Löchern passiert, welche Eigenschaften die Sterne haben, und so weiter. In der heutigen Folge wollen wir uns aber die Magnetfelder der Himmelskörper im Sonnensystem anschauen.
Eigentlich müssten wir dazu mit der Sonne anfangen. Sie hat ein enormes Magnetfeld das sich weit über die Ausdehnung unseres Sterns hinaus erstreckt. Auch die Erde liegt noch im Magnetfeld der Sonne - aber dieses interplanetare Magnetfeld und die diversen elektromagnetischen Effekte die die Sonne verursacht wären zu umfangreich; das braucht irgendwann mal eine eigene Folge. Schauen wir uns stattdessen zuerst die Magnetfelder der Planeten an und als erstes das der Erde. Immerhin ist das der Himmelskörper, den wir am besten kennen.
In erster Näherung kann man sich das Erdmagnetfeld so vorstellen wie das Magnetfeld, das ein ganz normaler Stabmagnet verursacht. Also so ein Ding, dass man sicherlich auch im Schulunterricht schon gesehen hat; ein magnetisches Stück Metall, mit einem Nordpol und einem Südpol. Die Linien des Magnetfeldes laufen vom Nordpol zum Südpol (oder umgekehrt, je nachdem wie man es sehen will). An diesen Magnetfeldlinien richtet sich zum Beispiel auch die Nadel eines Kompass aus, was der Grund dafür ist, dass man so ein Ding benutzen kann, um heraus zu finden, wo Norden ist.
Jetzt steckt im Inneren der Erde aber natürlich kein gigantischer Stabmagnet. Dafür aber eine gigantische Kugel aus Eisen. Unser Planet hat einen Kern aus Eisen mit einem Durchmesser von 7000 Kilometern - was übrigens deutlich größer ist als unser Mond! Im Kern der Erde ist es heiß; so heiß, dass das Eisen flüssig ist. Noch weiter innen ist es zwar noch heißer; dort ist aber auch der Druck sehr viel höher und das Eisen ist deswegen fest. Dieser Unterschied ist wichtig, denn nur weil der äußere Erdkern flüssig ist, hat die Erde das Magnetfeld, dass sie hat. Der äußere Kern ist aber nicht nur flüssig, sondern auch in Bewegung. Natürlich dreht sich sowieso alles im Kreis, weil die Erde sich um ihre Achse dreht. Das flüssige Eisen wabert aber auch vor sich, so wie Wasser in einem Kochtopf. Nah am inneren, festen Kern ist das flüssige Eisen am heißesten und hat dadurch auch eine geringere Dichte als das kühlere Eisen das darüber liegt. Das heiße Eisen steigt also auf, kühlt dabei ab, wird dichter und fängt wieder an, nach unten zu sinken. Es sind also Temperatur- und Dichteunterschiede die diese "Konvektion" verursachen. Verstärkt wird der Effekt, weil der Erdkern insgesamt im Laufe der Zeit abkühlt. Es wird also immer ein bisschen des flüssigen Eisens fest; es kristallisiert aus, wenn es auf den festen, inneren Kern trifft. Der innere Kern wird also immer größer und gleichzeitig wird bei der Kristallisation von flüssigem zu festen Eisen auch ein wenig Wärme frei. Diese Wärme treibt die vorhin beschriebene Konvektion zusätzlich an. Genau genommen ist die Sache noch ein wenig komplizierter. Der Kern der Erde besteht zwar hauptsächlich, aber nicht komplett aus Eisen. Aus dem festen inneren Kern können sich chemische Elemente wie Sauerstoff oder Schwefel lösen, die leichter sind als das Eisen und dann ebenfalls nach oben durch den flüssigen Kern steigen.
Dass der Kern der Erde nach den 4,5 Milliarden Jahren die seit der Entstehung unseres Planeten schon vergangen sind, noch nicht komplett ausgekühlt ist, liegt unter anderem an den radioaktiven Elementen, die sich auch im Erdinneren befinden und die bei ihrem Zerfall ebenfalls Wärme freisetzen, wie ich schon in Folge 143 ein wenig ausführlicher erklärt habe.
Und ich habe deswegen jetzt so ausführlich erklärt, wie und warum sich das Eisen im Kern der Erde bewegt, weil das zentral für die Entstehung planetarer Magnetfelder ist. Der äußere Kern der Erde ist eine elektrisch leitende Flüssigkeit die in ständiger Bewegung ist. Eine Bewegung, die übrigens noch sehr viel komplexer ist, als ich es vorhin erklärt habe. Das flüssige Eisen steigt nicht nur einfach nach oben und sinkt wieder nach unten. Durch die Drehung der Erde um ihre Achse wird das ganze noch quasi verzwirbelt, die Ströme aus Eisen werden verdreht und sehen eher aus wie Schraubenlinien und dann kommt noch ein Haufen chaotischer Effekte dazu.
Und wie kriegt die Erde jetzt ihr Magnetfeld? Am Anfang, als die Erde entstanden ist, muss sie schon irgendeine Art von Magnetfeld gehabt haben. Nicht so stark wie heute; auch nicht so umfassend wie jetzt. Vielleicht gab es nur kleine magnetische Regionen im Erdinnern, aus Material das noch von der Entstehungsphase her magnetisiert war, durch das Magnetfeld der Sonne oder sonst irgendwie. So oder so: Im Inneren der Erde gab es flüssiges Eisen, das sich bewegt hat. Ein elektrischer Leiter, was die Flüssigkeit ja ist, der sich durch ein Magnetfeld bewegt, erzeugt einen elektrischen Strom. Und Strom erzeugt ein Magnetfeld - Magnetismus und Elektrizität sind ja nur zwei Arten, wie man das selbe Phänomen - den Elektromagnetismus - betrachten kann. Wenn alles vernünftig zusammenpasst, dann kann sich das anfangs kleine Magnetfeld auf diese Weise selbst verstärken, immer stärker werden und am Ende ein stabiles, sich selbst aufrechterhaltendes Magnetfeld entstehen. Das nennt sich "Geodynamo" und ist das gleiche grundlegende Prinzip mit dem auch ein Fahrraddynamo Strom erzeugt.
Bei der Erde funktioniert das recht gut, wie wir wissen, und es gut, dass es gut funktioniert, denn das Magnetfeld schützt uns vor der kosmischen Strahlung aus dem Weltall. Aber wie sieht es mit den anderen Planeten im Sonnensystem aus? Fangen wir ganz innen an, beim Merkur. Der kleinste Planet besitzt ebenfalls ein Magnetfeld, auch wenn es nur sehr schwach ist; 150 mal schwächer als das der Erde. Eigentlich hat auch der Merkur einen Kern aus Eisen mit einem Mantel aus Gestein, der darüber liegt. Und auch dort sollte - vereinfacht gesagt - der selbe Prozess ablaufen, der das Magnetfeld der Erde erzeugt. Warum das Magnetfeld des Merkurs trotzdem so schwach ist, ist noch nicht restlos geklärt. Es könnte mit seiner Nähe zur Sonne zu tun haben. Die Sonne schleudert ja ständig geladene Teilchen aus ihren äußeren Schichten hinaus ins All. Dieser "Sonnenwind" transportiert auch einen Teil des Sonnenmagnetfeldes weit hinaus ins All. Merkur sitzt da quasi mittendrin und die Wechselwirkung zwischen dem Sonnenwind und dem Magnetfeld des Merkur könnte elektrische Ströme in seinem Kern erzeugen, die dort den Dynamoprozess abschwächen.
Der nächste Planet ist die Venus. Sie wird oft als Zwilling der Erde bezeichnet, weil sie ungefähr gleich groß und schwer ist. Aber sie hat kein eigenes Magnetfeld. Grund dafür ist vermutlich die extrem langsame Rotation des Planeten. Die Erde schafft eine Drehung um ihre Achse in 24 Stunden, die Venus braucht dafür 243 Tage. Das ist zu langsam, um das flüssige Innere ihres Kerns vernünftig zum Strömen zu bekommen. Die Venus hat allerdings ein - sehr schwaches - externes Magnetfeld. Auch hier ist der Sonnenwind verantwortlich: In der äußeren Schicht der Venusatmosphäre befinden sich jede Menge elektrisch geladene Teilchen. Wenn die ebenfalls elektrisch geladenen Teilchen des Sonnenwinds darauf treffen, entsteht ein Magnetfeld, dass den ganzen Planeten umgibt.
Über die Erde haben wir schon gesprochen; als nächstes kommt der Mars an die Reihe. Auch er hat kein Magnetfeld und der Hauptgrund dafür ist seine Größe. Der Mars ist sehr viel kleiner als die Erde. Er hat zwar einen Kern aus flüssigem Eisen und auch dort hat anfangs der Dynamoeffekt ein Magnetfeld erzeugt. Wir wissen, dass der Mars früher ein vergleichsweise starkes Magnetfeld gehabt hat. Der Mars ist aber zu klein, um einen festen Eisenkern zu haben; der Druck reicht dafür nicht aus. Und weil der Mars kleiner ist, hat er auch nicht so viele radioaktive Elemente, die Wärme liefern können und ist schneller ausgekühlt. Es war dann umgekehrt wie bei der Erde: Beim Mars ist der äußere Kern fest geworden und der innere blieb flüssig. Auf diese Weise können die für einen Dynamo nötigen Konvektionsströmungen aber nicht weiterlaufen und das Magnetfeld ist verschwunden. Und mit ihm dann auch die Atmosphäre, weil die jetzt nicht mehr vor dem Sonnenwind geschützt war. Die geladenen Teilchen der Sonne haben die Moleküle der Marsatmosphäre quasi vom Planeten weggeschubst und deswegen ist der Mars heute so lebensfeindlich, wie er ist. Ein bisschen Magnetfeld gibt es dort auch noch, aber das entsteht wieder extern, so wie bei der Venus, wenn der Sonnenwind mit dem kleinen Rest an Atmosphäre wechselwirkt, die der Mars noch hat.
Damit haben wir die inneren Planeten durch; die großen Gasplaneten des Sonnensystems haben allesamt starke Magnetfelder. Sie entstehen aber ein wenig anders als das der Erde und es gibt jede Menge interessante Phänomene, die wir bei den inneren Planeten nicht finden. Die Magnetfelder der äußeren Planeten schauen wir uns in einer anderen Folge an, aber wir werfen zum Abschluss noch einen kurzen Blick auf die Monde. Der Erdmond hat heute kein eigenes Magnetfeld. Sein früher flüssiger Kern ist schon längst ausgekühlt und fest geworden. Wie es früher war, können wir noch nicht abschließend sagen. Es kann sein, dass er für kurze Zeit ein eigenes Magnetfeld gehabt hat. Darauf weisen magnetische Spuren hin, die wir im Mondgestein gefunden haben. Aber es gibt auch Mondgestein, das diese Spuren nicht aufweist. Vielleicht war der Mond also auch nur zum Teil mit Magnetfeldern ausgestattet, die externe Ursachen hatten. Einschläge von Meteoriten können zum Beispiel Gestein pulverisieren und ionisieren, wodurch lokale Magnetfelder entstehen können.
Bleibt noch ein weiterer großer Himmelskörper mit Magnetfeld: Der Jupitermond Ganymed; der größte Mond des Sonnensystems, größer als Merkur und sehr viel größer als der Erdmond. Über ihn habe ich in Folge 541 ausführlich gesprochen. Sein Magnetfeld wurde 1996 durch die Raumsonde Galileo entdeckt. Wie genau es entsteht, wissen wir noch nicht. Sein Kern ist auf jeden Fall klein und man rechnet dort eher nicht mit flüssigem Eisen. Aber vielleicht ist da ja doch noch ein bisschen was; auf jeden Fall aber gibt es unter seiner gefrorenen Oberfläche einen Ozean aus flüssigem Wasser. Salzwasser, das ebenfalls eine elektrisch leitfähige Flüssigkeit ist. Und dann bewegt sich Ganymed ja mitten durch das extrem starke Magnetfeld des Jupiter, was definitiv einen Einfluss hat. Aber über die magnetischen Phänomene der Gasplaneten wollte ich ja in einer anderen Folge sprechen.
Lassen wir den Jupitermond also beiseite und halten wir fest: Die Erde ist ein ganz besonderer Ort, auf jeden Fall in unserem Sonnensystem. Sie ist der einzige Planet mit fester Oberfläche und einem starken Magnetfeld. Und sie ist der einzige Planet, auf dem Leben existieren kann. Das die beiden Phänomene zusammenhängen, sollte nach dieser Folge keine Überraschung mehr sein.

Apr 28, 2023 • 14min
Sternengeschichten Folge 544: Dunkle Supernova
Explosive Dunkelheit
Sternengeschichten Folge 544: Dunkle Supernova
Wenn ein großer Stern am Ende seines Lebens explodiert, dann nennt man das "Supernova". Solche Ereignisse gehören zu den gewaltigsten Explosionen die das Universum zu bieten hat. So gewaltig, dass so ein sterbender Stern für kurze Zeit die Leuchtkraft einer ganzen Galaxie voll mit hunderten Milliarden Sternen übertreffen kann. So hell, dass wir eine Supernova noch in Millionen Lichtjahren Entfernung sehen können. Schon der Name sagt, dass es sich um etwas extrem Helles handeln muss: "Nova" heißt "neu" und als man das erste Mal eine Supernova gesehen hat, dachte man, es handelt sich um einen neuen Stern. Verständlicherweise, denn wenn eine Supernova ausreichend nahe stattfindet, dann sieht es wirklich so aus, als würde plötzlich ein neuer Stern am Himmel aufleuchten. Heute wissen wir, dass es sich nicht um die Geburt eines Sterns handelt, sondern um seinen Tod. Und vielleicht gibt es auch dunkle Supernova-Explosionen.
Das klingt seltsam. Ich habe ja gerade erklärt, dass so eine Supernova extrem hell ist. Und jetzt rede ich auf einmal vom Gegenteil, einer "dunklen Supernova". Um zu verstehen, was damit gemeint ist, müssen wir uns zuerst mal ein wenig im Detail ansehen, was bei einer Supernova überhaupt passiert. Warum explodiert ein Stern einfach, wenn er am Ende seines Lebens angelangt ist? Was heißt das eigentlich: "am Ende seines Lebens"? Natürlich sind Sterne nicht lebendig, das ist klar. Aber die Metapher von Geburt, Leben und Tod passt recht gut zu dem, was im Laufe der Zeit mit einem Stern passiert. Ich werde jetzt nicht alle Prozesse durchgehen, von der Sternentstehung, über die Sternentwicklung und so weiter - das habe ich in anderen Folgen schon ausführlich getan. Für jetzt reicht es zu wissen, dass im Inneren eines Sterns so extreme Temperaturen und Dichten herrschen, dass dort Wasserstoffatome zu Heliumatomen fusioniert werden. Bei diesen Kernreaktionen wird Energie frei und die bringt den Stern zum Leuchten. Nicht nur das, die aus dem Kern des Sterns nach außen strahlenden Lichtteilchen üben auch einen Druck auf die Materie des Sterns aus, der der Gravitationskraft entgegenwirkt, unter der der Stern eigentlich in sich zusammen fallen will. Auch das hab ich schon oft erzählt. Irgendwann hat der Stern aber keine Atome mehr im Kern, die er fusionieren kann. Dann fällt er unter seinem eigenen Gewicht in sich zusammen. Bei diesem Kollaps finden weitere Kernreaktionen statt, bei denen Neutrinos entstehen.
Neutrinos entstehen auch so, als Nebenprodukt der normalen Kernfusion. Und weil diese Elementarteilchen so gut wie gar nicht mit andere Materie wechselwirken, können sie normalerweise auch einfach so aus dem Inneren eines Sterns ins All hinaus sausen. Unsere Sonne produziert in jeder Sekunde unzählige Neutrinos, die mit annähernd Lichtgeschwindigkeit durch das Sonnensystem fliegen und dabei zum Beispiel auch mitten durch die Erde hindurch - oder uns Menschen hindurch sausen. Wir sind für die Neutrinos quasi gar nicht da, wir sind weniger als Luft für sie. Wie gesagt, so ist es normalerweise. Wenn jetzt aber ein Stern kollabiert, weil die Fusion in seinem Innerem zum Erliegen gekommen ist, dann ändert sich die Lage. Zuerst einmal werden bei den Kernreaktionen die während des Kollaps stattfinden, sehr viel mehr Neutrinos erzeugt. Und dann wird das Innere des Sterns durch den Kollaps auch sehr viel dichter. Das bedeutet, dass die Neutrinos nicht mehr ganz so einfach nach draußen kommen. Sie wechselwirken zwar so gut wie gar nicht mit anderer Materie, aber ein klein wenig eben schon. Und wenn sie sich irgendwo aufhalten, wo die Materie wirklich extrem dicht ist, spüren das auch die Neutrinos. Irgendwann wird die Dichte so groß, dass die Neutrinos mehr oder weniger gefangen sind. Und irgendwann wird auch der Kollaps langsamer, weil die Dichte zu groß wird. Die nach innen fallenden Schichten des Sterns prallen auf den dichten Kern, der schon so dicht ist, wie es nur geht und es entsteht eine Druckwelle, die am Kern wieder nach außen reflektiert wird. Das ist jetzt der Moment, den man als Start der Supernova-Explosion bezeichnen kann. Die nach außen rasende Druckwelle komprimiert und erhitzt die Gasschichten des Sterns und die Neutrinos, die jetzt ebenfalls nach außen gelangen können, sorgen bei der Wechselwirkung mit dem dichten Material für eine zusätzliche Erhitzung und Beschleunigung der Expansion des Sterns. Oder anders gesagt: Der Stern explodiert.
Das, was danach übrig bleibt ist nur der extrem dichte Rest des Sternenkerns, je nach Masse ein Neutronenstern oder schwarzes Loch.
Das war jetzt natürlich eine sehr stark vereinfachte Beschreibung der Vorgänge. Das alles läuft auch extrem schnell ab, der Kollaps des Kerns dauert nur Sekundenbruchteile. Aber das ist, mehr oder weniger, dass, was die Astronomie unter einer "Kernkollapsupernova" versteht. Nicht jeder Stern endet so; er muss dafür ausreichend viel Masse haben. Nur wenn beim Kollaps von außen ausreichend viel Masse nach innen fällt und den Kern ausreichend stark verdichtet, reicht es für eine Supernovaexplosion. Mindestens die achtfache Masse der Sonne sollte ein Stern haben, wenn eine Supernova daraus werden soll.
Unsere Sonne wird am Ende ihres Lebens zu einem roten Riesen. Die massereicheren Sterne werden Rote Überriesen. In beiden Fällen bedeutet das vorerst, dass ein Stern in den letzten Phasen seines Lebens immer heißer wird. Das liegt daran, dass am Schluss nicht mehr Wasserstoff zu Helium fusioniert wird, sondern Helium und andere Atome den Brennstoff für die Fusion stellen und dabei mehr Energie freigesetzt wird, die dafür sorgt, dass sich der Stern aufbläht. Bei der Sonne werden die äußeren Schichten hinaus ins All gepustet, bis nur noch der innere Kern übrig bleibt, ein weißer Zwergstern, der dann nur noch abkühlt. Bei massereicheren Sternen ist die Ausdehnung sehr viel größer. Würde man einen roten Überriesen dorthin setzen, wo sich die Sonne befindet, dann würde alles bis circa inklusive der Umlaufbahn des Jupiters darin verschwinden. Diese roten Überriesen sind es dann, deren Kern kollabiert und die zu einer Supernova werden.
Es gibt da allerdings ein Problem. Das sogenannte "Rote Überriesen Problem". Wenn man schaut, welche Sterne zu Supernovae werden, dann sind das vor allem die, die eine Masse vom 8 bis zum 17fachen der Sonnenmasse haben. Aber was ist mit den noch größeren Sternen? Die sollten ja noch größere rote Überriesen werden und damit noch besser zu sehen sein. Aber bei den Supernova-Explosionen die wir bisher beobachtet haben, findet man so gut wie keine Vorläufersterne, die mehr als das 17fache der Sonnenmasse haben. Was passiert hier? Die Vermutung: Solche Sterne beenden ihr Leben nicht bei einer Supernova, sondern einer "fehlgeschlagenen Supernova", wahlweise auch "Un-Nova" oder "dunkle Supernova" genannt.
Vereinfacht gesagt: Ein Stern implodiert einfach; er fällt in sich zusammen und kollabiert direkt zu einem schwarzen Loch, ohne große Explosion, die wochenlang extrem hell leuchtet und von uns beobachtet werden kann. Das kann man natürlich jetzt mal so vermuten - aber warum sollten manche Sterne explodieren und andere implodieren? Für eine mögliche Erklärung müssen wir wieder auf die Kernreaktionen im Inneren des Sterns schauen. Im Normalzustand wird Wasserstoff zu Helium fusioniert, das habe ich schon erwähnt. Wenn der Wasserstoff im Kern alle ist, dann kann ein Stern auch Heliumatome miteinander verschmelzen und dabei entstehen Kohlenstoff- und Sauerstoffatome. Bei kleinen Sternen wie unserer Sonne ist dann Schluss, größere Sterne können noch mehr Druck auf ihren Kern aufbauen; noch höhere Temperaturen erzeugen und dann auch noch die Kohlenstoff- und Sauerstoffatome fusionieren lassen. Dabei entstehen dann Atome wie Magnesium, Neon oder Natrium.
Wir konzentrieren uns auf den Kohlenstoff: Der fusioniert bei so hohen Temperaturen, dass die bei der Fusion erzeugten Photonen auch eine enorm hohe Energie haben. So hoch, dass sie diese Energie spontan in Paare von Elektronen und Positronen umwandeln können. Ein Positron ist das Antiteilchen des Elektrons und Materie und Antimaterie löschen sich natürlich sofort wieder gegenseitig aus. Dabei entstehen wieder hochenergetische Photonen, aber auch Neutrinos und Antineutrinos, die - wie vorhin beschrieben - aus dem Stern hinaus sausen, und dabei auch Energie nach außen transportieren. Diese Energie fehlt dem Stern und er hält typischerweise nur noch ein paar tausend Jahre durch, bevor der Kernkollaps einsetzt.
Jetzt wird es interessant: Wie lange die Phase der Kohlenstofffusion dauert, hängt von der Masse des Sterns ab. Bei Sternen mit geringerer Masse findet die Fusion konvektiv statt. Das heißt, dass der Kohlenstoff im Kern sich ständig durchmischt. So wie kochendes Wasser im Topf brodelt: Heißes Wasser steigt von unten auf, dafür sinkt kühleres von oben nach unten. Durch die Konvektion kommt frischer Kohlenstoff von außen nach innen und der Stern kann mehr Kohlenstoff fusionieren. Aber dadurch entstehen auch mehr Neutrinos, die Energie nach außen transportieren. Wegen dieses Energieverlusts fällt der Kern des Sterns immer weiter in sich zusammen und wird sehr kompakt. Danach setzen die Prozesse ein, die ich vorhin beschrieben habe: Es gibt eine Schockwelle, der Stern expandiert explosiv und es gibt eine Supernova.
Wenn jetzt aber ein Stern eine größere Masse hat, dann findet die Kohlenstofffusion nicht konvektiv statt. Es kommt weniger frischer Kohlenstoff von außen in den Kern; die Fusion endet früher und es gibt weniger Verluste durch die Neutrinos. Der Kern ist nicht so kompakt; ist größer als im anderen Fall und außen um diesen Kern sind noch dichte Schichten aus Kohlenstoff und anderen Atomen. Wenn der Kern jetzt kollabiert, dann wird die Schockwelle - sehr vereinfacht - von diesen Schichten um den Kern herum aufgefangen. Das ganze Gas fällt nach innen, auf den sowieso schon dichten Kern. Es gibt keine Supernovaexplosion und der übergroße Kern hat eine so hohe Dichte erreicht, dass er sofort zu einem schwarzen Loch kollabiert. Man kann ausrechnen, wo die Grenze der Ausgangsmasse liegt, bei der so etwas passiert: Circa 19 Sonnenmassen, was einigermaßen gut zu dem passt, was man beim "Roten Überriesen Problem" beobachtet hat.
Fassen wir alles noch einmal zusammen: Sterne mit ausreichend großer Masse - mindestens dem achtfachen der Sonnenmasse - beenden ihr Leben mit einer Supernova-Explosion. Wenn ein Stern aber zu viel Masse hat - circa das 17 bis 19fache der Sonnenmasse - dann sorgen die Kernreaktionen in der Endphase seines Lebens dafür, dass er nicht explodiert, sondern implodiert und direkt zu einem schwarzen Loch wird. Dabei wird keine oder höchstens sehr wenig Strahlung frei und wir sehen keine extrem helle Supernova-Explosion sondern - ja: Nichts. Eine dunkle Supernova eben.
Ob das wirklich so ist, wissen wir noch nicht. Supernova-Explosionen sind leicht zu beobachten. Aber dunkle Supernovae eben leider nicht. Es gab schon Fälle, wo man einen roten Überriesen verschwinden sehen hat. Auf der einen Aufnahme war er noch zu sehen; auf einer anderen, die später gemacht wurde, war er weg. Spuren von einer Supernova waren nicht zu finden - aber ein Beweis ist das leider noch nicht. Vielleicht haben wir die Supernova einfach übersehen; es wird ja nicht jeder Bereich des Himmels ständig fotografiert. Wir brauchen mehr Daten; müssen mehr rote Riesensterne finden, die einfach so vom Himmel verschwinden bevor wir uns sicher sein können, dass dunkle Supernovae wirklich existieren.
Aber es ist auf jeden Fall eine faszinierende Vorstellung: Die größten und hellsten Sterne des Universums, in deren Inneren am Ende ihres Lebens unvorstellbare Energien frei werden, verschwinden einfach so. So, als würde einfach jemand das Licht ausmachen…

Apr 21, 2023 • 13min
Sternengeschichten Folge 543: Die Ringe des Uranus
Der andere Herr der Ringe
Sternengeschichten Folge 543: Die Ringe des Uranus
Wenn man an die Ringe eines Planeten denkt, kann man kaum anders, als sich Saturn mit seinem gewaltige Ringsystem vorzustellen. Schon in vergleichsweise kleinen Teleskopen man die Ringe erkennen und spätestens seit die Raumsonde Cassini im Jahr 2004 im Saturnsystem angekommen ist und es in den folgenden Jahren intensiv erforscht hat, haben wir spektakuläre Nahaufnahmen der unzähligen Ringe. Saturn ist der "Herr der Ringe", wir können dort eine faszinierend komplexe Dynamik zwischen Ringen, Monden und Planet beobachten. Aber so spannend Saturn ist - auch andere Planeten haben Ringe. Ich habe in Folge 36 einen kurzen Überblick über die planetaren Ringe gegeben und erwähnt, dass alle vier Gasplaneten solche Ringsysteme besitzen. Keines davon ist so enorm wie das von Saturn. Jupiter und Neptun haben zwar Ringe, aber die sind eher unscheinbar und rudimentär. Die Ringe des Uranus dagegen sind deutlich komplizierter. Wir finden dort nicht die Komplexität wie bei Saturn, aber es passiert sehr viel mehr als bei den wenigen und dünnen Ringen von Jupiter und Neptun. Also werfen wir heute einen Blick auf das Ringsystem des Uranus.
Entdeckt hat den Planeten bekanntlich der britische Astronom Wilhelm Herschel im Jahr 1781. Es war das erste Mal überhaupt, dass ein Mensch einen neuen Planeten des Sonnensystems entdeckt hat. Herschel war ein großartiger Beobachter und seine selbstgebauten Teleskope waren die größten und besten ihrer Zeit. Und natürlich hat Herschel den Uranus weiterhin beobachtet. Er hat dort Monde gefunden - und vielleicht auch als erster die Ringe gesehen.
Bis vor einiger Zeit hat man die Entdeckung der Uranusringe ins Jahr 1977 gelegt - davon erzähle ich später noch mehr. Aber auch früher war schon bekannt, dass Herschel am 22. Februar 1789 folgenden Satz in sein Beobachtungsbuch geschrieben hat: "Verdacht auf einen Ring". Der verdächtige Planet war Uranus; Herschel hat auch noch eine Zeichnung hinzugefügt und angemerkt, dass der Ring ein wenig rötlich ausgesehen habe. Die Beobachtung wurde 1797 auch in einer Fachzeitschrift veröffentlicht, aber in den folgenden Jahren und Jahrzehnten nicht sonderlich ernst genommen. Man war skeptisch, ob Herschel wirklich in der Lage gewesen ist, Ringe bei Uranus zu beobachten und vor allem verwundert darüber, dass niemand anderes seine Beobachtung bestätigt hat.
Deswegen galt der 10. März 1977 als offizielle Entdeckung der Uranusringe. Damals nutzten die Astronomen James Elliot, Edward Dunham und Douglas Mink das "Kuiper Airbone Observatory"; ein Teleskop, das in einem Flugzeug montiert war und mit dem man hoch hinauf und weit über einen großen Teil der störenden Erdatmosphäre fliegen konnte. Die drei waren daran interessiert eine andere Atmosphäre zu beobachten, nämlich die des Uranus. Sie wussten, dass an diesem Tag der Stern SAO 158687 von Uranus bedeckt wird. In dem kurzen Moment, bevor sich Uranus vor den Stern schiebt, leuchtet ein bisschen Sternenlicht durch die äußeren Schichten der Atmosphäre hindurch und die Analyse dieses Lichts erlaubt es, ein paar Eigenschaften wie die Zusammensetzung der Atmosphäre zu bestimmen. Bei der Beobachtung machten die drei Astronomen allerdings eine überraschende Entdeckung: Kurz bevor es zur Bedeckung kam, verschwand der Stern für einen winzigen Augenblick. Danach nochmal. Und nochmal. Insgesamt fünfmal ist der Stern verschwunden und wieder aufgetaucht bevor er vom Planeten endgültig bedeckt wurde. Und nach Ende der Bedeckung fand das gleiche Spiel nochmal statt: Fünfmal ein kurzes Blinken, bevor alles wieder normal war.
Die Schlussfolgerung war klar: Uranus ist von mindestens fünf Ringen umgeben, und jeder davon hat einmal kurz den Stern verdeckt, bevor sich der ganze Uranus vor ihn geschoben hat. Die Ringe wurde den mit griechischen Buchstaben α, β, γ, δ und ε bezeichnet und so heißen sie heute auch noch.
Wieder zurück zu Herschel: 2007 nahm man sich seine Aufzeichnungen nochmal genau vor. Man konnte zeigen, dass ein Ring des Uranus damals tatsächlich genau so zu sehen war, wie Herschel ihn gezeichnet hatte. Und man wusste mittlerweile auch, dass dieser Ring leicht rötlich leuchtet. Es ist also nicht unmöglich, dass Herschel im Jahr 1789 wirklich als erste einen Uranus-Ring gesehen hat. Aber warum gerade er und danach niemand mehr bis 1977? Das weiß man nicht, aber manche vermuten, dass die gerade einsetzende industrielle Revolution die Luft immer mehr verschmutzt hat, so dass der sowieso schon kaum sichtbare Ring gar nicht mehr zu sehen war.
So oder so: Mittlerweile wissen wir, dass der Uranus Ringe hat und das ohne jeden Zweifel. Wir wissen auch, dass es mehr als die fünf Ringe sind, die 1977 entdeckt worden sind. Wenn man sie nach ihrem Abstand vom Planeten aus ordnet, angefangen beim planetennächsten Ring, dann heißen sie: 1986U2R/ζ, 6, 5, 4, α, β, η, γ, δ, λ, ε, ν und μ. Das klingt ein wenig durcheinander, aber das hat mit den weiteren Entdeckungen zu tun. Elliot, Dunham und Mink, die die ersten fünf Ringe fanden, haben danach noch vier weitere entdeckt. Einer lag zwischen den Ringen Beta und Gamma und wurde Eta genannt und drei lagen noch innerhalb des Alpha-Rings und wurden mit den Zahlen 4, 5 und 6 bezeichnet. Was daran lag, dass man wieder Sternbedeckungen beobachtete und die potenziellen Bedeckungen des Sterns durch Ringe mit Zahlen nummeriert hat. Aber nur die Ereignisse mit den Nummern 4, 5 und 6 stellten sich tatsächlich als durch Ringe verursacht heraus. Im Jahr 1986 kam dann die Raumsonde Voyager 2 als erste Raumsonde am Uranus vorbei und machte nicht nur die ersten Bilder der Ringe, sondern entdeckte auch zwei neue, die mit Lambda und mit 1986U2R/ζ bezeichnet wurden. Diesen komischen Namen hat der Ring, weil der von Voyager entdeckte Ring 1986U2R genannt wurde. Später wurde bei Beobachtungen von der Erde aus ein weiterer Ring gefunden, den man Zeta-Ring nannte und vorerst für einen eigenständigen Ring gehalten hat. Erst später hat man dann gemerkt, dass es eigentlich zweimal derselbe Ringe war. Und dann war da noch das Hubble-Weltraumteleskop, dass 2003 und 2005 noch zwei Ringe gefunden hat, außerhalb all der anderen Ringe und die haben die Bezeichnungen Nu und Mu bekommen.
Na ja - man kann darüber streiten, ob man die Namen der Ringe nicht ein bisschen vernünftiger sortieren hätte können. Aber so heißen nun eben jetzt und wir schauen ein wenig, was da eigentlich passiert in diesen 13 Ringen. Man kann sie grob in drei Gruppen teilen: Die neun Ringe 6, 5, 4, α, β, η, γ, δ, ε werden als die "Hauptringe" bezeichnet. Sie sind sehr schmal und nur ein paar Kilometer breit. Der hellste und breiteste ist der Epsilon-Ring. Von ihm kommen alleine schon zwei Drittel des Lichts, das das gesamte Ringsystem reflektiert. Die Helligkeit des Rings schwankt allerdings, was daran liegt, dass der Ring nicht überall gleich breit ist - die Ringweite schwankt zwischen 20 und fast 100 Kilometer. Seine Dicke ist aber höchstens 150 Meter. Die Teilchen aus denen der Epsilon-Ring - und die anderen Hauptringe bestehen - sind sehr dunkel und wir wissen tatsächlich noch nicht, woraus sie genau bestehen. Nicht aus reinem Eis, wie es beim Saturn im Allgemeinen der Fall ist. Vermutlich bestehen sie aus einer Mischung von Eis und anderem Zeug, aber was das genau ist, wissen wir nicht. Vermutlich Moleküle die aus der Atmosphäre des Uranus stammen.
Der Delta-, der Gamma-, der Eta-, der Alpha- und der Beta-Ring sind nur weniger als ca 10 Kilometer breit und die innersten Hauptringe 6, 5 und 4 sind noch schmaler. Zwischen den Ringteilchen der Hauptringe gibt es auch mal mehr und mal weniger Staubteilchen, aber nicht so viele wie im Lambda und im 1986U2R/ζ-Ring. Sie bilden die zweite Ringruppe, die "Staubringe". Sie bestehen vor allem aus Staub mit einer Größe von ein paar Mikrometern. Gruppe Nummer 3 wird von Mu und Nu gebildet, die "Außenringe". Im Vergleich zu den inneren Ringen sind sie enorm breit, zwischen 17.000 und 3.800 Kilometer. Sie bestehen vermutlich fast vollständig aus Staubteilchen, was auch ihre rote Färbung erklärt.
Jetzt wäre es natürlich noch interessant zu wissen, wie diese Ringe entstanden sind. Aber auch da wissen wir noch viel zu wenig. Wir wissen, dass sie vergleichsweise jung sind. Und eigentlich sollten sie gar nicht da sein. Denn normalerweise sollten sich Ringe dieser Art im Laufe der Zeit einfach verflüchtigen. Die kleinen Teilchen verteilen sich immer weiter, die Ringe werden breiter und dünner und sind irgendwann weg. Es muss einen Mechanismus geben, der dafür sorgt dass das nicht geschieht. Beim Saturn ist das zum Beispiel der Einfluss der vielen Saturnmonde, die mit ihrer Gravitationskraft dafür sorgen, dass die Ringe da bleiben wo sie sind. Solche "Schäfermonde", die die Ringteilchen an der Ausbreitung hindern, sollte auch der Uranus haben. Und er hat ja auch Monde, aber keine, die an der richtigen Position sind. Oder besser gesagt: Fast keine. 1986 hat man die kleinen Monde Cordelia und Ophelia entdeckt, die den hellen Epsilon-Ring quasi bewachen. Die Details des Mechanismus überspringe ich jetzt, aber es geht um die Übertragung von Drehimpuls von den Monden auf die Ringteilchen, was dafür sorgt, dass der Ring stabil bleibt, die beiden Monde aber immer weiter auseinander wandern. Aus dem aktuellen Abstand der Monde kann man also abschätzen, wie alt die Ringe circa sind: 600 Millionen Jahre höchstens, was wenig ist angesichts des Alters des Sonnensystems von 4,5 Milliarden Jahren.
Bei den anderen Ringen hat man keine Schäfermonde gefunden; wir wissen auch noch nicht, wie sie genau entstanden sind. Es liegt nahe, dass die Teilchen von zerbrochenen Monden stammen, die dem Uranus zu nahe gekommen sind und Kollisionen zwischen Bruchstücken immer kleinere Teilchen erzeugt haben. Die Staubringe stammen von Zusammenstößen zwischen größeren Ringteilchen und von den Trümmern die bei Einschlägen von Meteoriten auf den Uranusmonden entstehen. Aber was die Hauptringe in Position hält und wo sie ihren Ursprung haben, wird wohl ungeklärt bleiben, bis irgendwann wieder einmal eine Raumsonde dem fernen Uranus einen Besuch abstattet. Irgendwo müssen sich dort noch ein paar Monde verstecken; vielleicht gibt es auch noch mehr Ringe die wir bis jetzt übersehen haben. Oder irgendetwas ganz anderes, das es nur bei Uranus gibt und wir deswegen noch nicht verstanden haben. Das Universum ist so groß und wir wissen immer noch viel zu wenig.

Apr 14, 2023 • 12min
Sternengeschichten Folge 542: 40 Eridani und Mr. Spock
Auf der Suche nach Vulkan
Sternengeschichten Folge 542: 40 Eridani und Mr. Spock
Wenn im Winter das Sternbild Orion nachts gut sichtbar am Himmel steht, kann man probieren ein Stück westlich seines hellen Fußsterns Rigel den nicht ganz so hellen Stern 40 Eridani zu finden. Er ist durchaus zu sehen, auch ohne optische Hilfsmittel, auf jeden Fall dort, wo die Nacht noch dunkel genug ist. Was man ohne Teleskop aber nicht erkennen kann, sind die spannenden Details. Zum Beispiel dass es sich bei diesem Stern eigentlich um drei Sterne handelt. Und auch um die Frage nach dem Heimatplaneten von Mr. Spock aus der Science-Fiction-Serie "Star Trek" zu klären, braucht man mehr als nur die eigenen Augen.
Aber fangen wir mal mit dem an, was man auf den ersten Blick erkennen kann. 40 Eridani leuchtet orange-geblich und ist Teil des Sternbilds Eridanus. Der Name stammt aus dem Katalog von John Flamsteed, der im frühen 18. Jahrhundert die Sterne katalogisiert und nach Sternbildern sortiert hat. Jeder Stern bekam dabei eine fortlaufende Nummer, die seine Position im Sternbild beschreibt. 40 Eridani ist der gebräuchlichste Name, es gibt aber auch noch andere, zum Beispiel "Omicron 2 Eridani", nach der Bayer-Bezeichung, wo die Sterne nach Helligkeit in ihrem Sternbild mit griechischen Buchstaben sortiert werden. Der traditionelle Name stammt, wie so oft in der Astronomie, aus dem arabischen und lauten "Keid", was so viel heißt wie "Eierschale" und sich auf den Nachbarstern "Beid" bezieht, was "Ei" bedeutet. Im Jahr 2016 hat die Internationale Astronomische Union diesen traditionellen Namen auch als offizielle Bezeichnung von 40 Eridani festgelegt, der nun also eben auch offiziell "Keid" heißt. Ich werde aber trotzdem vorerst bei der Bezeichnung "40 Eridani" bleiben, damit es nicht verwirrend wird.
Denn es besteht Potenzial für Verwirrung, wie wir gleich sehen werden. 1738 hat der britische Astronom William Herschel den Stern beobachtet und festgestellt, dass es sich eigentlich um einen Doppelstern handelt. Und 1851 hat der deutsche Astronom Otto Wilhelm von Struve noch genauer hingesehen und bemerkt, dass auch der von Herschel entdeckte zweite Stern in Wahrheit ein Doppelstern ist.
Gehen wir die Himmelskörper also mal der Reihe nach durch. Da ist zuerst 40 Eridani A, der Stern, der immer schon zu sehen war und der offiziell "Keid" heißt. Seine Masse ist ein bisschen geringer als die der Sonne; er leuchtet aber nur halb so hell. Der Stern ist vermutlich ein wenig älter als die Sonne, so genau weiß man das aber nicht. Man macht aber auf jeden Fall nichts falsch, wenn man sagt, dass die Sonne und 40 Eridani A in etwa gleich alt sind. Die beiden anderen Sterne sind circa 400 Astronomische Einheiten weit weg; das entspricht circa dem 10fachen Abstand zwischen Sonne und Pluto. Dieses Sternenpaar ist deutlich lichtschwächer; man braucht schon ein vernünftiges Teleskop um sie zu sehen.
40 Eridani B ist ein weißer Zwerg und 40 Eridani C ein roter Zwerg. Das bedeutet, dass B sein Sternenleben schon hinter sich hat. Als das Sternensystem entstanden ist, war er vermutlich von allen drei der Stern mit der größten Masse, weswegen er seinen Brennstoff am schnellsten durch Fusion aufgebraucht hat und zu einem weißen Zwerg geworden ist. Er hat in der letzten Phase seines Lebens einen großen Teil seiner äußeren Schichten abgestoßen und jetzt ist nur noch der heiße, innere Kern übrig, in dem keine Fusion mehr stattfindet. Der rote Zwerg dagegen ist ein typischer Stern; die Mehrheit der Sterne im Universum sind solche roten Zwerge, die alle sehr viel weniger Masse haben als die Sonne und sehr viel schwächer leuchten. Dafür halten sie aber auch sehr viel länger durch und können Billionen von Jahren leuchten.
Das was ich gerade erzählt habe, ist der aktuelle Stand unseres Wissens. Dass es sich bei 40 Eridani B um einen weißen Zwerg handelt, hat man erst Anfang des 20 Jahrhunderts entdeckt. Genau genommen ist B damit der erste weiße Zwerg, den wir überhaupt gefunden haben. Wir haben es nur nicht gemerkt, weswegen heute üblicherweise Sirius B als erster bekannter weißer Zwerg gilt. B und C umkreisen einander mit 35 Astronomischen Einheiten Abstand, also circa die Distanz zwischen Sonne und Neptun und brauchen für einen Umlauf ungefähr 252 Jahre. Beide zusammen umkreisen 40 Eridani A, was ungefähr 7200 Jahre dauert.
Als so komplexes Dreifachsternsystem wäre 40 Eridani an sich schon interessant. Es gibt aber zwei Dinge, die alles noch ein wenig spannender machen. Zum ersten wäre da "Star Trek". Als diese Science-Fiction-Serie 1966 startete, war an Bord des Raumschiffs Enterprise auch ein Außerirdischer, nämlich Mr. Spock, der neben Captain Kirk und dem Rest der Crew durchs All flog. Spock war ein Vulkanier vom Planeten Vulkan. Wo dieser Planet sich genau befindet, wurde in der Serie und den Kinofilmen nie genau erklärt. 1991 erklärte aber Gene Roddenberry, der Erfinder von Star Trek, anlässlich des 25jährigen Jubiläums der Serie, dass es sich bei Vulkan um den Stern 40 Eridani A handelt. Und später wurde in der Serie die Entfernung zwischen der Erde und Vulkan mit 16 Lichtjahren angegeben, was tatsächlich auch der Entfernung von 40 Eridani A entspricht.
Man kann sich also vorstellen, dass Science-Fiction-Fans und Medien sehr aufgeregt waren, als Astronominnen und Astronomen im Jahr 2018 verkündeten, dass man tatsächlich einen Planeten entdeckt hat, der 40 Eridani A umkreist. Und das ist das zweite spannende Ding. Natürlich ist niemand davon ausgegangen, dass da draußen wirklich ein Planet ist, auf dem Außerirdische leben, die spitze Ohren und einen Hang zur Logik haben. Aber es war schon ein netter Zufall, dass der Stern, der laut Star Trek das Heimatsystem von Mr. Spock ist, tatsächlich auch einen Planeten besitzt. Noch dazu einen Planeten, der sich in der habitablen Zone von 40 Eridani A befindet, also dem Bereich um den Stern herum, wo prinzipiell lebensfreundliche Bedingungen auf einem Planeten herrschen können. Ob der neu entdeckte Planet tatsächlich auch lebensfreundlich ist, ist eine ganz andere Frage. Man hat eine Masse von 8,5 Erdmassen bestimmt und wie Leben auf so einer "Supererde" funktioniern könnte, wissen wir nicht. Die Schwerkraft wäre dort auf jeden Fall höher als auf der Erde; circa doppelt so hoch. Lebewesen dort müssen also ein wenig stärker sein; was Mr. Spock ja bekanntlich ist. Er müsste dann aber auch deutlich dickere Beine haben, wenn er tatsächlich von der Supererde bei 40 Eridani A kommt.
Aber bevor wir zu viel spekulieren, schauen wir lieber wieder auf die echte Astronomie. Für einen Umlauf um den Stern würde der potenzielle Vulkan knapp 42 Tage brauchen. Was ein wenig seltsam ist, denn genau das ist auch die Periode, mit der sich der Stern um seine Achse dreht. Sowas kann natürlich sein, aber solche Zufälle sind immer ein wenig komisch. Vor allem, wenn man sich die Methode ansieht, mit der der Planet gefunden wurde. Das war die "Radialgeschwindigkeitsmethode": Vereinfacht gesagt analysiert man das Licht, dass vom Stern zur Erde kommt. Wenn ein Planet den Stern umkreist, dann wird der Stern dadurch ein wenig zum Wackeln gebracht. Mal wackelt der Stern also ein wenig in unsere Richtung; mal von uns weg. Diese Verschiebung kann man im Licht des Sterns erkennen und aus der Art und Weise des Wackelns kann man auf die Eigenschaften des Planeten schließen. Ein Planet ist aber nicht das einzige Phänomen, dass ein Signal im Licht des Sterns hinterlassen kann. Unsere Sonne zum Beispiel hat Sonnenflecken, also Bereiche, wo - sehr vereinfacht gesagt - das Gas aus dem sie besteht besonders wild von den elektrischen und magnetischen Feldern in ihrem Inneren durcheinander geschüttelt wird. Diese Flecken sind ein wenig dunkler und kühler als der Rest der Sonnenoberfläche und diese Flecken bewegen sich mit der Rotation der Sonne. Mal sehen wir die Flecken, mal sehen wir sie nicht und bei anderen Sternen kann es natürlich auch Flecken geben. Auch das beeinflusst das Licht, das von einem Stern zu uns gelangt und auf den ersten Blick kann das genau so aussehen, wie das Signal eines Planeten. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir ja eigentlich gar nichts sehen: Wir sehen einen Lichtpunkt; wir sehen die Planeten nicht direkt, wir sehen die Sternflecken nicht direkt, wir haben nur das Licht. Das müssen wir sorgfältig analysieren und können daraus indirekt auf die Existenz von Planeten - oder Sternflecken - schließen.
Den Astronominnen und Astronomen, die damals die Entdeckung von "Vulkan" verkündet haben, haben natürlich auch gemerkt, dass die Umlaufperiode des Planeten mit der Rotationsperiode des Sterns fast übereinstimmt. Und angemerkt, dass das auch heißen kann, dass da gar kein Planet ist, sondern man einfach die Aktivität des Sterns selbst sieht. Aber sind am Ende ihrer Arbeit zu dem Schluss gekommen, dass es vermutlich doch ein Planet ist. Im Jahr 2023 haben andere Forscherinnen und Forscher nochmal genauer hingesehen. Und festgestellt: Nein, das ist doch ziemlich sicher nur der Effekt von Sternaktivität und Sternrotation und kein Planet.
Tja, nichts mit Vulkan. Was aber nicht heißen muss, dass es keine Planeten gibt, die 40 Eridani A umkreisen. Theoretisch können auch Planeten um 40 Eridani B oder C kreisen; aber die wären dann eher nicht lebensfreundlich. Als B zu einem weißen Zwerg geworden ist, hat er alle eventuell vorhandenen Planeten zerstört oder lebensfeindlich gemacht. Und C ist ein sehr aktiver Stern, der ständig jede Menge schädliche Strahlung ins All schleudert. Wenn, dann bleibt A als Stern für lebensfreundliche Planeten. Und wenn es so einen Planeten gibt, dann wäre das definitiv eine science-fiction-würdige Umgebung. Der Stern würde dort sehr viel größer am Himmel erscheinen als die Sonne und in der Nacht würde man ein extrem helles Sternenpaar - weiß und orange-rötlich leuchtend - am Himmel sehen.
Aber vielleicht ist dort ja auch wirklich kein Planet und auch das wäre irgendwie passend. Denn auch der fiktive Vulkan ist ja mittlerweile aus der Welt von Star Trek verschwunden…

Apr 7, 2023 • 12min
Sternengeschichten Folge 541: Der Jupitermond Ganymed
Der echte Supermond
Sternengeschichten Folge 541: Der Jupitermond Ganymed
Das Inventar unseres Sonnensystems ist groß. Neben der Sonne selbst und den acht Planeten gibt es ja noch ein paar hundert Monde - und von den Billionen Asteroiden und Kometen fange ich gar nicht erst an. Die meisten Monde finden sich bei den beiden größten Planeten Jupiter und Saturn. Und der größte Planet beherbergt auch den größten Mond des Sonnensystems: Ganymed.
Sein Durchmesser beträgt 5262 Kilometer. Damit ist er deutlich größer als der Mond der Erde, der es nur auf einen Durchmesser von 3476 Kilometer bringt. Ganymed ist sogar noch größer als Merkur, der einen Durchmesser von 4880 Kilometer hat. Würde Ganymed nicht den Jupiter umkreisen sondern alleine seine Runden um die Sonne ziehen, würde niemand auf die Idee kommen, ihn nicht als Planet zu bezeichnen. So aber ist er ein Mond, deswegen aber nicht weniger spannend.
Entdeckt wurde Ganymed im Jahr 1610 von Galileo Galilei, zusammen mit Kallisto, Europa und Io, den restlichen großen Monden des Jupiter, die wir heute deswegen auch die "galileischen Monde" nennen. Unabhängig und fast zeitgleich wurden die Monde auch vom deutschen Astronom Simon Marius gefunden und von Marius stammen auch die Namen. "Ganymed" ist eine Figur aus der griechischen Mythologie; er war ein Hirtenjunge, der von Zeus in den Olymp entführt wurde, wo er ewig leben und den Göttern dienen sollte; und als Geliebter von Zeus. Ganymed ist übrigens auch der einzige Jupitermond, der nach einem Mann benannt worden ist, aber wir wollen uns diesmal nicht mit Mythologie und Geschichte aufhalten, sondern lieber mit der faszinierenden astronomischen Forschung zu Ganymend weitermachen.
Fangen wir mit der Bewegung an. Ganymed umkreist den Jupiter in einem Abstand von etwas mehr als einer Million Kilometer auf einer fast kreisförmigen Bahn die auch so gut wie nicht gegenüber der Äquatorebene des Jupiter geneigt ist. Geht man von Jupiter nach außen, dann ist Ganymed der dritte der vier galileischen Monde. Dem Jupiter am nächsten ist Io, dann kommt Europa, dann Ganymed und außen befindet sich noch Kallisto. Interessant ist der Vergleich der Umlaufzeiten der drei inneren Monde: Io braucht für eine Runde um Jupiter nur gut 1,77 Tage; Europa schafft einen Umlauf in knapp 3,55 Tagen und Ganymed macht eine Runde in circa 7,16 Tagen. Oder anders gesagt: Während Ganymed einen Umlauf um Jupiter macht, macht Europa genau zwei Runden und Io legt vier Runden zurück. Die drei Monde befinden sich also in einer "Resonanz der mittleren Bewegung" wie es offiziell heißt. Wie es genau dazu gekommen ist, ist noch unklar. Wir wissen, dass solche Resonanzen sehr stabil sein können; wenn sich Himmelskörper einmal so arrangiert haben, dann neigen sie dazu, auch in so einer Konfiguration zu bleiben. Vielleicht hat alles mit Io, dem innersten großen Mond angefangen, der - so wie unser Mond bei der Erde - Gezeiten auf Jupiter verursacht. Das führt, wieder so wie auch beim Mond der Erde, dazu, dass sich Io ein wenig von Jupiter entfernt hat (das liegt an der Drehimpulserhaltung, aber das will ich jetzt nicht im Detail erklären). Irgendwann hat der Abstand genau gepasst, so dass Io in einer 2:1 Resonanz mit Europa gelandet ist. Ab diesem Zeitpunkt haben sich beide Umlaufbahnen gemeinsam vergrößert, bis sie in der oben beschriebenen Resonanz mit Ganymed gelandet sind.
Aber lassen wir die Bewegung mal beiseite und schauen uns an, wie Ganymed aussieht. Auf den ersten Blick ein wenig wie unser Mond: Voll mit Kratern und größeren dunklen Regionen. Im Gegensatz zum Erdmond, der mit einer dicken Schicht aus Staub bedeckt ist und eine felsige Oberfläche hat, finden wir auf Ganymed vor allem Eis. Mit dem beschäftigen wir uns später noch; jetzt schauen wir kurz auf die Krater. In den dunklen Regionen finden wir sehr viele Krater, was darauf hinweist, dass sie sehr alt sind. In den helleren Regionen sind weniger Krater zu finden; sie müssen daher jünger sein. Was es auf Ganymed auch gibt oder zumindest in der Vergangenheit gegeben hat, ist Tektonik. Der Mond hat zwar nicht so viele Kontinentalplatten wie die Erde, aber auf jeden Fall zwei davon und an ihren Rändern kann man so etwas ähnliches wie Gebirge sehen. Und wo Tektonik ist, muss es auch Vulkanismus geben und auch davon finden wir Spuren auf Ganymed. Allerdings keine Vulkane wie auf der Erde, sondern Eisvulkane. Aber wie gesagt, zum Eis kommen wir noch.
Was beim Anblick von Ganymed sofort auffällt, ist eine sehr große dunkle Region die fast ein Drittel der jupiterabgewandten Hälfte des Mondes bedeckt. Und ja, Ganymed hat eine Hälfte, die immer in Richtung Jupiter zeigt und eine von der aus man Jupiter nie sehen kann. So wie beim Erdmond haben sich auch hier Umlaufzeit und die Drehung von Ganymed um seine Achse durch die Gezeitenkräfte so aufeinander abgestimmt, dass eine "gebundene Rotation" entstanden ist. Würde man von Jupiter aus zu Ganymed schauen, würde man immer die selbe Seite sehen und niemals auf die Rückseite blicken können. Was schade ist, denn genau da befindet sich "Galileo Regio", die riesige dunkle Region von der ich vorhin gesprochen habe. Sie hat einen Durchmesser von 3200 Kilometer und ist vermutlich der älteste Teil der Oberfläche Ganymeds.
Aber jetzt schauen wir aufs Eis. Kalt genug dafür ist es auf jeden Fall; die Durchschnittstemperatur auf Ganymeds Oberfläche beträgt circa -160 Grad Celsius. Wir wissen, dass ein Großteil der Oberfläche mit Eis bedeckt ist. Und das Innere ist ebenso voll damit. Ganymed ist in der Hinsicht ein typischer Himmelskörper des äußeren Sonnensystems. Er besteht aus einer dicken Eiskruste, die über einem Mantel aus Gestein liegt. Im Gegensatz zu den kleineren Monden ist er aber groß genug um auch noch einen Kern aus Eisen zu besitzen. Dank der extrem tiefen Temperaturen ist die äußerste Eiskruste so hart gefroren wie Gestein. Aber darunter befindet sich flüssiges Wasser. Und nicht nur ein paar Pfützen sondern ein mondumspannender, extrem tiefer Ozean in dem insgesamt mehr Wasser zu finden ist als in allen Meeren der Erde.
Aber woher will man das wissen!? Wir können ja nicht durchs Eis schauen? Das nicht, aber wir können Spuren des Wassers sehen. Ich habe vorhin von Vulkanismus gesprochen und so wie auf der Erde ab und zu ein bisschen geschmolzenes Material aus ihrem Inneren an die Oberfläche gelangt, passiert das auch auf Ganymed. Nur dass dieses geschmolzene Material eben keine Lava ist, also flüssiges Gestein, sondern geschmolzenes Eis. Die Astronomie hat aber auch noch andere Methoden, um in das Innere eines Himmelskörpers zu schauen. Man kann zum Beispiel das Hubble-Weltraumteleskop nehmen und damit die Nordlichter des Ganymed beobachten. Und ja, sowas hat dieser Mond auch. Um zu verstehen, wie das funktioniert, müssen wir uns noch ein paar andere Eigenschaften anschauen.
Zum Beispiel das Magnetfeld, denn neben der Erde und dem Merkur ist Ganymed der einzige feste Himmelskörper, der ein nennenswertes eigenes Magnetfeld besitzt. Die Gesamtsituation ist trotzdem ein wenig anders, weil Jupiter zwar kein fester Himmelskörper ist sondern ein Gasplanet, aber trotzdem natürlich auch ein Magnetfeld hat, ein enorm starkes sogar, das so ausgedehnt ist, dass sich Ganymed mitten hindurch bewegt. Die beiden Magnetfelder wechselwirken also miteinander; es bildet sich ein Strahlungsgürtel um Ganymed, also ein Bereich aus magnetischen Feldlinien, in dem geladene Teilchen eingefangen werden können. Solche geladenen Teilchen können aus Jupiters Atmosphäre stammen, von der Sonne aber vor allem auch von Ganymed selbst. Denn der Mond hat eine Atmosphäre; zumindest so etwas ähnliches. Wenn zum Beispiel die Sonnenstrahlung - und da vor allem der hochenergetische Ultraviolet-Anteil - auf das Eis der Mondoberfläche fällt, dann können elektrisch geladene Sauerstoffatome aus dem Eis geschlagen werden, die sich dann in einer sehr, sehr dünnen Atmosphäre ansammeln und von dort in den Strahlungsgürtel entkommen können.
So oder so, wir haben also geladene Teilchen die im Magnetfeld von Ganymed gefangen sind und dort können die Teilchen Strahlung abgeben, die man als Polarlichter sehen kann. Beziehungswiese die das Hubble-Weltraumteleskop 2015 beobachten konnte. Obwohl Polarlichter oder Nordlichter in diesem Fall eigentlich schlechte Begriffe sind, denn im Gegensatz zur Erde ist die Aurora - wie das korrekte Wort heißt - nicht an den Polen zu sehen, sondern in zwei Bändern, die den Mond nördlich und südlich des Äquators umgeben. Die Position der Bänder ist nicht fix, sondern verändert sich, je nachdem wie sich das Magnetfeld des Jupiters gerade ändert. Was aber passiert, wenn Ganymed einen Wasserozean hat; einen Salzwasserozean um genau zu sein? Dann würde das Magnetfeld des Jupiter in dieser elektrisch leitenden Flüssigkeit ein zusätzliches Magnetfeld erzeugen, dass dem des Jupiters entgegen wirkt und die Veränderung der Aurorabänder merklich reduzieren. Und genau das hat Hubble beobachtet: Die Aurora auf Ganymed verändert sich viel weniger stark als man es erwarten würde; sie verändert sich dagegen genau so, wie sie es tun würde, wenn da ein riesiger unterirdischer Ozean existiert. Ungefähr 100 Kilometer tief, bedeckt von einer circa 150 Kilometer dicken Eisschicht.
Es ist erstaunlich, was wir schon alles über Ganymed wissen. Immerhin ist der Mond nicht gerade in der Nähe. 1973 und 1974 flogen das erste Mal Raumsonden vorbei, nämlich Pioneer 10 und 11. 1979 haben dann Voyager 1 und 2 ebenfalls bei einem Vorbeiflug Daten gesammelt. Erst 1995 haben wir Ganymed aber so wirklich erforschen können, als die Galileo-Raumsonde NICHT an Jupiter vorbei geflogen, sondern dort geblieben ist und acht Jahre lang den Planeten und seine Monde untersucht hat. Aber das ist auch schon wieder lange her und es wird Zeit, dass wir Jupiter und seinen Monden wieder mal einen Besuch abstatten. Zum Glück hat sich im April 2023 die Raumsonde JUICE genau mit diesem Ziel auf den Weg gemacht. Und wer weiß, was wir dann auf diesem faszinierenden Himmelskörper noch alles entdecken werden…

Mar 31, 2023 • 13min
Sternengeschichten Folge 540: Das Tychonische Weltmodell
Das beste aus beiden Welten
Sternengeschichten Folge 540: Das Tychonische Weltmodell
Wir wissen heute, dass sich die Erde in einer Umlaufbahn um die Sonne bewegt, genau so wie die anderen Planeten des Sonnensystems. Früher dachten die Menschen, es wäre umgekehrt: Die Erde wäre das Zentrum des Universums und Sonne und die anderen Himmelskörper würden sich um sie herum drehen. Den Wechsel von diesem geozentrischen Weltbild zum modernen heliozentrischen Bild haben wir der Arbeit von Nikolaus Kopernikus, Galileo Galilei und Johannes Kepler zu verdanken.
Das ist alles richtig - aber es ist nicht die komplette Geschichte. Es gab auch lange vor Nikolaus Kopernikus schon Menschen, die davon überzeugt waren, dass sich die Erde um die Sonne bewegt (zum Beispiel in der griechischen Antike). Kopernikus Modell des Sonnensystems war zwar revolutionär, hat die Beobachtungsdaten aber nicht dramatisch besser erklärt als das alte geozentrische Weltbild. Das lag daran, dass Kopernikus immer noch davon ausging, dass sich die Planeten auf Kreisbahnen bewegen und erst durch die Arbeit von Kepler und Newton bekam man ein realistisches Bild der Planetenbewegung. Aber davon habe ich ersten schon in früheren Sternengeschichten erzählt und zweitens soll es heute um etwas anderes gehen: Das Tychonische Weltmodell.
Benannt ist es nach dem dänischen Astronom Tycho Brahe, von dessen aufregenden Leben ich schon in Folge 167 ausführlich erzählt haben. Er lebte im 16. Jahrhundert und war der letzte große Astronom, der noch ohne Teleskop gearbeitet hat. Seine Beobachtungen haben es seinem Schüler Johannes Kepler ermöglicht, sein revolutionäres Werk "Astronomia Nova" zu verfassen und die Bewegung der Planeten zu erklären. Brahe hat Kometen beobachtet und gezeigt, dass sie sich weit außerhalb der Umlaufbahn des Mondes befinden, was damals eine durchaus bemerkenswerte Erkenntnis war. Damals gingen immer noch die meisten Menschen von der antiken Vorstellung aus, dass die Planeten an kristallenen Sphären montiert sind, die sich um die Erde drehen. Tycho Brahe konnte zeigen, dass Kometen sich durch diese Sphären hindurch bewegen müssen; dass diese Sphäre also nicht existieren können.
Diese Arbeit und andere Beobachtungen brachten Brahe dazu, das geozentrische Weltbild im Laufe der Zeit immer kritischer zu sehen. Andererseits wollte er sich aber auch nicht von der Vorstellung der Erde als Mittelpunkt lösen. Deswegen entwickelte er etwas, das man als eine Art Kompromiss verstehen kann: Ein geo-heliozentrisches Weltsystem, in der sich die Planeten zwar um die Sonne bewegen, die Erde aber trotzdem das Zentrum ist.
Im Detail sieht das so aus: Die Erde ist der Mittelpunkt und der Mond bewegt sich um die Erde herum. Ebenfalls um die Erde bewegt sich die Sonne, so wie im geozentrischen System. Aber wie im heliozentrischen System bewegen sich Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn um die Sonne. Anders gesagt: Die Sonne, mitsamt den Planeten umkreist die Erde, die sich selbst nicht bewegt.
Das klingt zuerst einmal unnötig kompliziert. Die Erde in der Mitte oder auch die Sonne in der Mitte und alles andere bewegt sich rundherum: Das hat eine gewisse Eleganz. Aber quasi zwei Mittelpunkte - das klingt verwirrend. Aber die Idee von Tycho Brahe ist nicht so seltsam, wie sie auf den ersten Blick aussieht. Und es war übrigens auch keine Idee, die nur Tycho Brahe hatte. Im 16. Jahrhundert gab es mehrere Menschen, die sich so ein Mischsystem vorgestellt haben. Zum Beispiel Nicolaus Reimers; der Vorgänger von Tycho Brahe als kaiserlicher Hofmathematiker in Prag, der auch Kopernikus Werk ins Deutsche übersetzt hat. Reimers Modell unterschied sich ein wenig von Brahes; bei Brahe stand die Erde zum Beispiel still, bei Reimers drehte sie sich um ihre Achse. Reimers hat Brahe aber auf jeden Fall vorgeworfen, die Idee von ihm geklaut zu haben, was der selbstverständlich bestritt. Schon lange vor den beiden, im 6. Jahrhundert, hat der römische Gelehrte Martianus Capella ein Weltmodell vorgestellt in dem sich Venus und Merkur um die Sonne bewegen, die Sonne und der Rest der Planeten aber die Erde. Im frühen 16. Jahrhundert hat der indische Astronom Nilakantha Somayaji ebenfalls ein Modell entwickelt, dass dem Tychonischen Weltmodell entspricht.
Aber lassen wir jetzt mal die Streitigkeiten über Prioritäten und die diversen Variationen und Vorläufer weg und bleiben bei Tycho Brahes Weltmodell. Wenn man sich das ein wenig genauer anschaut, dann ist es nämlich gar nicht so dumm, wie man denken würde. Man muss es sich aber mit den Augen der Menschen aus dem 17. Jahrhundert anschauen. Oder besser gesagt: Mit den Teleskopen des 17. Jahrhunderts. Die waren damals ja noch neu; Anfang des 17. Jahrhunderts war Galileo Galilei der erste, der so ein Gerät an den Himmel gerichtet und damit Planeten und Sterne beobachtet hat. Dabei hat Galilei natürlich auch jede Menge Sterne gesehen. Aber nicht als die Lichtpunkte, die man bei der Beobachtung mit freiem Auge gewöhnt war. Die Sterne zeigten sich in Galileis Teleskop als kleine Scheibchen; unterschiedlich hell und unterschiedlich groß. Galileo Galilei ging davon aus, dass er hier die tatsächliche Form der Sterne sah. Und es eben große Sterne gab, kleine Sterne, in unterschiedlichen Entfernungen und deswegen auch unterschiedlich hell. Eine prinzipiell vernünftige Annahme, nur leider eine, von der wir heute wissen, dass sie falsch ist.
Die Sterne sind so weit entfernt, dass wir auch in sehr großen Teleskopen nicht mehr sehen als Punkte. Und erst recht gilt das für das Teleskop, das Galilei damals benutzt hat. Dass er trotzdem Scheibchen gesehen hat, lag an diversen optischen Effekten. Ich hab das ausführlich in Folge 309 erklärt, als ich von den Airy-Scheiben gesprochen habe.
Was man damals auch beobachten konnte: Die Himmelskörper scheinen sich definitiv um die Erde herum zu bewegen. Aber nicht so, wie sie es tun sollten, wenn die Erde im Mittelpunkt ist und alle anderen sich um sie drehen. Immer wieder hat man Planeten beobachtet, die "rückläufig" sind. Das soll folgendes bedeuten: Schaut man sich zum Beispiel an, wo sich der Mars Nacht für Nacht am Himmel befindet, dann sieht man, wie er sich immer in die selbe Richtung bewegt. Irgendwann scheint er aber stehen zu bleiben und wandert dann für einige Zeit sogar rückwärts, bis er wieder die übliche Richtung aufnimmt. Die Vertreter des geozentrischen Weltbildes haben dieses Verhalten durch Epizykel erklärt. Also angenommen, dass sich die Planeten nicht auf einer Kreisbahn um die Erde herum bewegen, sondern auf einer Kreisbahn, deren Mittelpunkt sich auf einer Kreisbahn um die Erde bewegt. In so einem Fall würde ein Planet tatsächlich immer wieder scheinbar vor- und rückwärts am Himmel wandern.
Das Tychonische Weltbild hat diese Epizykel quasi gleich fix eingebaut. Die Planeten bewegen sich um die Sonne. Und die Sonne um die Erde herum. Auch hier findet man immer wieder rückläufige Bahnen.
Wo stehen wir jetzt, aus Sicht des 17. Jahrhunderts? Wir haben beobachtet, dass die Planeten sich rückläufig bewegen können. Wir haben beobachtet, dass das Universum voller Sterne ist, in unterschiedlichen Entfernungen. Die erste Beobachtung legt nahe, dass sich Sonne mit den Planeten um die Erde herum bewegt. So wie es im tychonischen Weltbild beschrieben ist. Aber was ist mit der zweiten Beobachtung? Hier wird es ein wenig kompliziert.
Der Hauptunterschied zwischen dem heliozentrischen System und dem tychonischen Weltbild ist die Position der Erde. Im ersten Fall bewegt sich die Erde um die Sonne; im zweiten Fall ruht sie im Zentrum des Universums und dreht sich höchstens um ihre eigene Achse. Das hab ich jetzt schon oft gesagt, aber dieser Unterschied ist wichtig, denn auch den Menschen damals war klar, was daraus folgt. Wäre die Erde im Zentrum, dann würden sich die Sterne entweder auch um die Erde herum bewegen. Oder aber die Sterne wären irgendwo fix und würden sich nur scheinbar bewegen, weil die Erde sich dreht. Am Ende ist der Effekt der selbe; wenn die Erde sich aber um die Sonne bewegt, dann bedeutet das, das wir im Laufe eines Umlaufs, also eines Jahrs, aus unterschiedlichen Blickrichtungen auf die Sterne schauen. Und sich die scheinbare Position der näheren Sterne vor dem Hintergrund der ferneren Sterne ändern würde. Je nachdem von wo wir gerade schauen, sehen wir sie mal vor dem einen und mal dem anderen Hintergrund. Dieses Phänomen nennt man "Parallaxe" und auch darüber habe ich schon oft in den Sternengeschichten gesprochen.
Der relevante Punkt ist: Je weiter entfernt ein Stern ist, desto kleiner ist die scheinbare Bewegung. Wie gesagt, all das war den Menschen damals bekannt. Wenn man also keine Parallaxe bei den Sternen beobachten kann, dann bedeutet das entweder, dass die Sterne sehr, sehr weit entfernt und die scheinbare Bewegung zu klein ist, um sie beobachten zu können. Oder aber es heißt, dass es keine Parallaxe GIBT, weil die Erde sich nicht um die Sonne bewegt. Galileo Galilei war vom ersten Fall überzeugt: Die Sterne sind alle weit weg und deswegen sehen wir keine Parallaxe; es gibt also keinen Widerspruch zum heliozentrischen Weltbild.
Ein Zeitgenosse von Galilei war der deutsche Astronom Simon Marius, von dem ich in Folge 131 schon mehr erzählt habe. Er hat sich immer wieder Mal mit Galilei gestritten; unter anderem darüber, wer die Jupitermonde als erster entdeckt hat. Heute wissen wir, dass es Galilei war; Marius war aber nur kurz dahinter und die Mondes des größten Planeten unabhängig von seinem italienischen Kollegen gefunden. Auch Marius hat die Sterne beobachtet; auch Marius hat die Scheibchen gesehen - kam aber zu ganz anderen Schlüssen als Galilei. Marius war der Meinung, dass die Sterne vergleichsweise nahe sein müssen, wenn man sie als Scheibchen im Teleskop sehen kann. Außerdem sah er, dass nicht alle Himmelskörper sich direkt um die Sonne bewegen müssen; die Jupitermonde kreisen um Jupiter und mit ihm gemeinsam um die Sonne. Wenn die Sterne also nahe sind, dann müsste man eine Parallaxe sehen können, wenn sich tatsächlich die Erde um die Sonne herum bewegt. Wir sehen aber keine Parallaxe; wir sehen stattdessen, dass es auch Bewegungen gibt, bei denen nicht die Erde im Mittelpunkt ist. Die naheliegende Schlussfolgerung: Die Planeten bewegen sich um die Sonne und die Sonne um die Erde herum.
Aus Sicht des frühen 17. Jahrhunderts war das tychonische Weltbild also eine durchaus plausible Angelegenheit. Simon Marius hat mit seiner Argumentation genaugenommen Recht gehabt, wenn auch aus den falschen Gründen. Und auch Galilei hatte Recht, ebenfalls aus den falschen Gründen. Beiden fehlte das nötige Wissen zur Optik, um zu verstehen, warum Sterne in einem Teleskop als Scheibchen zu sehen sind und zu verstehen, dass das nichts mit dem Abstand oder dem realen Aussehen der Sterne zu tun haben, sondern einfach mit den optischen Eigenschaften eines Teleskops.
Erst die Arbeit von Johannes Kepler und Isaac Newton hat gezeigt, wie man das heliozentrische Modell brauchbar verwenden kann, um die Bewegung der Planeten zu verstehen. Und genaugenommen hat erst der Astronom Friedrich Wilhelm Bessel jeden Zweifel beseitigt, als es ihm 1838 als erstem gelungen ist, die Parallaxe eines Sterns und damit seine Entfernung zu messen. Die Sterne waren tatsächlich weit entfernt; viel weiter als man dachte und es war daher auch keine Überraschung, dass Galilei und seine Zeitgenossen keine Chance hatten, diese Parallaxe zu beobachten.
Das Tychonische Weltbild mag auf den ersten Blick absurd erscheinen; als eine unnötig komplizierte Konstruktion, die nur geschaffen wurde, weil ein paar halstarrige alte Astronomen den Fortschritt nicht akzeptieren wollten. Aber diese Ansicht verkennt, dass man die Dinge immer Licht ihrer Zeit betrachten muss. Und wenn es nachdem geht, was die Menschen damals mit den vorhandenen technischen Mitteln herausfinden konnten, dann war das Tychonische Modell eine gute Beschreibung der Realität und, wenn man so will, fast besser als das heliozentrische Weltbild. Dass wir heute mehr wissen als in der Vergangenheit kann man den Leuten im 17. Jahrhundert nicht vorwerfen.

Mar 24, 2023 • 19min
Sternengeschichten Folge 539: Der Transit der Venus
Das Maß aller Dinge
Sternengeschichten Folge 539: Der Transit der Venus
Ich erinnere mich noch sehr gut an den 8. Juni 2004. Vor allem deswegen, weil am nächsten Tag meine Defensio stattgefunden hat, also der Vortrag, bei dem ich die Ergebnisse meiner Doktorarbeit präsentieren musste und je nachdem wie diese Ergebnisse von meinen Kolleginnen und Kollegen beurteilt würden, würde ich mein Studium erfolgreich abschließen oder nicht. Ich war also entsprechend nervös und hatte gar nicht so viel Zeit, mich dem seltenen astronomischen Ereignis zu widmen, das an diesem Tag stattfand: Dem Transit der Venus vor der Scheibe der Sonne. Von der Erde aus gesehen ist die Venus am 8. Juni 2004 genau vor der Sonne vorbei gezogen. Wenn man die Sonne - natürlich nur mit entsprechenden Filtern - mit einem Teleskop beobachtet hat, hat man einen kleinen dunklen Punkt gesehen, der schnurgerade seinem Weg über ihre helle Oberfläche folgt. Etwas besser erinnere ich mich an den 6. Juni 2012, als der nächste Venustransit stattgefunden hat. Ich weiß nicht, ob und an welche Transits sich die Hörerinnen und Hörer dieses Podcasts erinnern, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es nur die Transits am 8. Juni 2004 und am 6. Juni 2012 gewesen sein können. Denn der letzte Transit vor 2004 fand im Jahr 1882 statt. Und auch wenn dieser Podcast noch sehr lange im Internet verfügbar sein sollte, wäre ich doch überrascht, wenn hier jetzt jemand mithört, der oder die den Transit gesehen hat, der auf das Ereignis im Jahr 2012 gefolgt ist. Das wäre nämlich der 11. Dezember 2117 und falls es doch so sein sollte: Hallo Zukunft, viele Grüße aus dem frühen 21. Jahrhundert!
Aber was ist so besonders, wenn die Venus vor der Sonne vorrüber zieht? Und warum passiert so etwas zweimal im Abstand von knapp 8 Jahren und über hundert Jahre davor und danach nicht? Die Antwort auf beide Fragen ist faszinierend und deswegen soll es in dieser Folge genau darum gehen. Die Antwort auf die erste Frage habe ich zum Teil schon in Folge 263 gegeben. Da ging es um die Längeneinheiten in der Astronomie und eine die sehr weit verbreitet ist, ist die Astronomische Einheit. Eine Astronomische Einheit ist genau 149 Millionen 597 870,7 Kilometer lang. Heute ist der Wert einfach so festgelegt, aber ursprünglich war die Astronomische Einheit als der mittlere Abstand zwischen Erde und Sonne definiert. Und der Abstand zwischen Sonne und Erde ist ja durchaus eine fundamentale Größe. Es ist absolut wichtig zu wissen, wie weit unser Planet von der Sonne entfernt ist beziehungsweise überhaupt zu wissen, wie weit irgendwas von irgendwas anderem im Sonnensystem entfernt ist. Aber wie hat man das rausgefunden? Die komplette Geschichte dieser Forschung würde mehr als nur eine Podcastfolge füllen, aber die kurze Version geht so:
Die relativen Abstände zwischen den Himmelskörpern lassen sich recht einfach herausfinden. Seit den grundlegenden Arbeiten von Johannes Kepler und Isaac Newton im 17. Jahrhundert wissen wir im Grunde darüber Bescheid, wie sich die Planeten um die Sonne bewegen. Wir wissen, dass sie sich schneller oder langsamer bewegen, je nachdem wie weit sie von der Sonne entfernt sind. Das dritte Keplersche Gesetzt sagt uns sogar direkt, wie die Umlaufzeiten der Planeten und ihre mittleren Abstände zur Sonne zusammenhängen. Mit diesem Wissen kann man zum Beispiel herausfinden, dass der Mars im Mittel 1,5 mal weiter von der Sonne entfernt ist als die Erde. Und dass der Jupiter gut 5 mal weiter von der Sonne weg ist als die Erde. Aber das sind eben relative Abstände. Wenn wir absolute Zahlen haben wollen, also zum Beispiel wissen wollen, wie viele Kilometer es von der Sonne bis zum Jupiter sind, dann müssen wir auch den Abstand zwischen Erde und Sonne in absoluten Zahlen kennen. Wie misst man das? Man kann ja nicht einfach hinfliegen und dann auf den Tacho schauen; schon gar nicht im 17. Jahrhundert. Aber es geht, wenn man einen Venustransit beobachtet. Die Idee dazu nennt sich Parallaxe und darüber habe ich ja schon öfter gesprochen. Wenn ich ein und das selbe Objekt aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachte, dann scheint es sich gegenüber dem Hintergrund zu bewegen. Wie stark diese scheinbare Bewegung ausfällt, hängt davon ab, wie weit die unterschiedlichen Beobachtungspositionen auseinander sind.
Das ist auch so, wenn man von der Erde aus die Venus beobachtet. Je nachdem, von welchem Ort aus man die Beobachtung anstellt, wird man die Venus vor einem leicht anderen Hintergrund sehen. Das ist immer so, aber es ist besonders gut zu beobachten, wenn die Venus gerade direkt vor der Sonne zu sehen ist. Schaut man zum Beispiel von einem Punkt weit im Norden aus dem Transit zu, dann wird man die Venus näher am Mittelpunkt der Sonne vorbei ziehen sehen als von einem Beobachtungspunkt im Süden, wo die scheinbare Bahn der Venus weiter auf der Sonnenscheibe hinauf rutscht. Von Süden aus gesehen verbringt die Venus als weniger Zeit direkt vor der Sonne, weil ihr Weg vor der Sonnenscheibe näher am Rand der Sonne stattfindet und damit kürzer als als der Weg, den man von Norden sieht. Es gibt noch ein paar mehr Effekte die man berücksichtigen muss, aber das ist das Prinzip. Man stellt unterschiedliche Beobachtungen von unterschiedlichen Orten der Erde während eines Venustransits an. Und misst so genau wie möglich die Zeit, die die Venus braucht um von einem Rand der Sonne zum anderen zu gelangen. Der Unterschied in den Messungen hängt davon ab, wie weit die Beobachtungsposten auseinander sind, und vom Abstand zwischen Erde und Venus. Die Distanz zwischen den Beobachtungsstationen auf der Erde kann man messen. Die Dauer des Transits ebenso. Und damit hat man alle Informationen die man braucht um die Distanz zwischen Erde und Venus in absoluten Zahlen zu berechnen, womit dann auch der Abstand zwischen Erde und Sonne berechnet werden kann und alle anderen Abstände im Sonnensystem.
Diese Methode war insofern enorm praktisch, weil man nicht, wie sonst bei der Parallaxe, den Winkel messen muss, um den sich ein Objekt scheinbar vor dem Hintergrund bewegt. Das ist sehr aufwendig und schwer exakt zu bewerkstelligen. Bei einem Venustransit reicht es aber, die Dauer zu messen, die die Venus vor der Sonne verbringt. Und Zeitmessung war auch im 18. Jahrhundert schon einigermaßen genau möglich. Also zu der Zeit, als Edmond Halley im Jahr 1716 als erster die Idee hatte, den Abstand zwischen Erde und Sonne auf diese Weise zu berechnen. Blöd nur, dass damals kein Venustransit in Reichweite war. Der letzte fand im Jahr 1639 statt und war überhaupt der erste, der nachweislich beobachtet worden ist (so etwas sieht man ja nicht mit freiem Auge und man muss vorher genau berechnen, wann so ein Ereignis stattfindet, wenn man es sehen will). Halley konnte rechnen und wusste, dass der nächste Transit am 6. Juni 1761 stattfinden würde. Der damals 60jährige Astronom konnte sich denken, dass er dieses Ereignis nicht mehr erleben würde, hat aber seine jüngeren Kollegen aufgefordert, sich diese Gelegenheit gefälligst nicht entgehen zu lassen. Was diese auch nicht getan haben. Überall auf der Welt versuchte man im Jahr 1761 die nötigen Messungen anzustellen und das gleiche ist auch noch acht Jahre später passiert, als 1769 der nächste Transit stattgefunden hat. Es gab jede Menge Schwierigkeiten, Abenteuer und man kann wunderbare Geschichten über dieses quasi erste weltweite Forschungsprojekt erzählen. Was ich aber ein anderes Mal tun werde. Am Ende jedenfalls hatte man ein Ergebnis, das aber nicht so genau war, wie gehofft. Die Messungen waren schwieriger als gedacht; 1769 lief es dann schon ein wenig besser und man kam auf einen Abstand zwischen Erde und Sonne von 153 Millionen Kilometer. Schon recht nahe am richtigen Wert, noch besser war es dann beim Transit von 1882. Auch acht Jahre davor gab es einen Transit, aber 1874 war der Transit von fast ganz Europa aus unsichtbar, was eine wirklich genaue Messung behindert hat. Aber 1882 lief es ein wenig besser und man konnte den Wert der Astronomischen Einheit ein wenig genauer bestimmen.
Und vielleicht ist dem einen oder der anderen etwas aufgefallen. Es gab zwei Transits in den Jahren 2004 und 2012. Und zwei in den Jahren 1761 und 1769. Und zwei in den Jahren 1874 und 1882. Mal abgesehen von den langen Zeiträumen dazwischen finden Venustransits offensichtlich immer gleich doppelt stand, mit einem zeitlichen Abstand von acht Jahren. Das kann doch kein Zufall sein? Ist es natürlich auch nicht, sondern wunderbare Himmelsmechanik. Wenn die Venus von der Erde aus gesehen vor der Sonne steht, nennt man das eine "untere Konjunktion" und sie findet alle 583,92 Tage statt. Warum? Weil die Erde für eine Runde um die Sonne 365,256 Tage braucht. Ein Umlauf in 365,256 Tagen, das entspricht einer Geschwindigkeit von 0,0027 Umläufen pro Tag, was zugegebenermaßen eine etwas komische Weise ist eine Geschwindigkeit anzugeben, aber absolut ausreichend für unsere Zwecke. Die Venus bewegt sich mit 0,00445 Umlaufen pro Tag und der Unterschied zwischen beiden Geschwindigkeiten beträgt 0,00171 Umläufe pro Tag. Oder ein kompletter Umlauf um die Sonne alle 583,92 Tage. Anders gesagt: Alle 583,92 Tage steht die Venus wieder in einer unteren Konjunktion. Jetzt gibt es aber nicht alle 583,92 Tage einen Venustransit.
Das liegt darin, dass die Venusbahn ein bisschen in Bezug auf die Erdbahn geneigt ist. Die Linie an der sich die Ebene der Venusbahn und die Ebene der Erdbahn schneiden nennt man die Knotenlinie und diese Linie hat zwei Knotenpunkte, nämlich dort wo sich die Venusbahn mit der Knotenlinie schneidet. Einmal kommt die Venus quasi von oben nach unten durch die Ebene der Erdbahn und einmal von unten nach oben. Und nur wenn die Venus während einer unteren Konjunktion genau in einem Knotenpunkt steht, gibt es einen Venustransit. Wenn wir mal davon ausgehen, dass das zu einem bestimmten Zeitpunkt so ist - wann passiert das das nächste Mal? Nicht nach 583,92 Tagen, dann steht die Venus von der Erde aus gesehen zwar wieder vor der Sonne, aber nicht auf der Knotenlinie sondern irgendwo anders und damit von der Erde aus gesehen ein Stück über oder unter der Sonne. Wir wollen jetzt wissen, wann sich eine untere Konjunktion wiederholt, in der die Venus auf der Knotenlinie steht. Ich spare mir jetzt ein wenig Mathematik und komme gleich zum Ergebnis, nämlich der Tatsache, dass die Erde für acht Umläufe um die Sonne fast genau so lange braucht wie die Venus für 13 Runden. Im ersten Fall sind es 2922,048 Tage, im zweiten Fall 2921,113 Tage. Das nennt sich eine 8:13 Resonanz und heißt: Nach acht Jahren stehen Erde und Venus also in Bezug auf die Sonne wieder so wie zuvor. Wenn die Venus heute auf der Knotenlinie steht, dann wird sie das in acht Jahren wieder tun. Und jetzt schauen wir noch mal auf die 583,92 Tage von vorhin, also die Periode mit der sich eine untere Konjunktion wiederholt. Wenn wir das mit 5 multiplizieren, dann landen wir bei 2919,6 Tagen. Was sehr nahe an den 2922 bzw 2921 Tagen liegt, die wir für die 8:13 Resonanz berechnet haben. Während der acht Jahre, die vergangen sind, seit die Venus das letzte Mal auf der Knotenlinie gestanden ist, haben fünf untere Konjunktionen stattgefunden und die letzte davon zufällig wieder fast genau zu dem Zeitpunkt, an dem die Venus das nächste mal auf der Knotenlinie stand. Und das "fast" ist es, dass die Sache noch ein wenig komplizierter macht. Denn wir haben jetzt rausgefunden, warum sich Venustransits nach acht Jahren wiederholen. Aber noch nicht, warum sie sich nicht ALLE acht Jahre wiederholen. Das liegt an den knapp 2,5 Tagen Unterschied zwischen den beiden Perioden, also der 8:13 Resonanz und der 5fachen Periode der unteren Konjunktion. Ich spare mir wieder die entsprechende Rechnerei, aber wegen dieser Differenz ist die Venus nach acht Jahren 2,5 Tage früher vor Ort als die Erde. Während der 2,5 Tage die die Erde braucht um den Punkt zu erreichen, von dem aus ein Venustransit zu sehen ist, bewegt sich natürlich auch die Venus weiter. Ein Stück von der Knotenlinie weg und damit auch ein Stück nach oben oder unten in Bezug auf die Erdbahn. Um circa 269.000 Kilometer, was einem Winkel von 0,36 Grad entspricht. Der Winkel, den die Sonne von der Erde aus gesehen überdeckt ist aber nur 0,5 Grad groß. Wenn die Venus als zum Beispiel beim ersten Transit gerade am unteren Rand der Sonnenscheibe zu sehen war, dann wird sie beim nächsten Transit acht Jahre später 0,36 Grad weiter oben stehen. Und nochmal acht Jahre später wieder 0,36 Grad weiter oben und damit schon über der Sonne. Es ist kein Transit mehr zu sehen, für lange Zeit. Wie lange?
Das sehen wir, wenn wir uns die Umlaufzeiten noch ein wenig genauer anschauen. Die 8:13 Resonanz von vorhin war zwar halbwegs exakt, aber nicht ganz. Sehr viel exakter ist die Übereinstimmung zwischen 243 Erdjahren, 395 Umläufen der Venus und 152 Wiederholungen der unteren Konjunktion (das dürfen jetzt alle selbst nachrechnen). Nur alle 243 Jahre wiederholt sich die Situation eines Venustransits also wirklich exakt. Und da es ja zwei Knotenpunkt gibt, kriegen wir alle 243 geteilt durch 2 Jahre, also alle 121,5 Jahre einen Transit. Das Transitpaar, das in den Jahren 2117 und 2125 stattfinden wird (oder stattgefunden hat; nochmal Hallo an die Zukunft!) ist die Wiederholung des Transitpaares, das 243 Jahre zuvor in den Jahren 1874 und 1882 stattgefunden hat. Die Transits aus den Jahren 2004 und 2012 sind die Wiederholung der Transits von 1761 und 1769.
Ich weiß, das waren viele Zahlen in dieser Folge. Aber so ist die Astronomie eben auch. Und ich finde es ziemlich erstaunlich, dass man mit gar nicht so komplizierter Mathematik so fundamentale Rechnungen anstellen kann. Wir haben ja wirklich nicht mehr als die Grundrechenarten benötigt und ein bisschen simple Geometrie. Und am Ende konnten wir damit die Ausmaße des Sonnensystems bestimmen und die Abstände zu den Planeten, lange bevor wir in der Lage waren, dorthin zu fliegen.


