Sternengeschichten

Florian Freistetter
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Aug 4, 2023 • 10min

Sternengeschichten Folge 558: Analoge Standorte: Mars und Mond auf der Erde

Nicht ganz so gefährliche Raumfahrt Sternengeschichten Folge 558: Analoge Standorte: Mars und Mond auf der Erde Raumfahrt ist ein großartiges Abenteuer. Egal ob es jetzt um Satelliten geht, die fremde Himmelskörper umkreisen und fantastische Bilder zur Erde schicken. Oder um Rover, die auf der Oberfläche von Mond und Mars herumfahren. Oder um Menschen, die diese fremden Welten tatsächlich betreten. Raumfahrt ist aber nicht nur ein Abenteuer sondern ein gefährliches Abenteuer und vor allem nicht Selbstzweck, sondern Wissenschaft. Wir wollen diese fremden Welten verstehen und wir wollen dabei nicht sterben und auch nicht unnötig viel Geld verschwenden. Auf der Erde kann man in vielen Fällen Dinge einfach ausprobieren und wenn es nicht klappt, dann zieht man hier eine Schraube nach, baut dort ein neues Teil an und versucht es noch einmal. Ok, so einfach ist es nicht immer, aber im Weltall ist es nie einfach. Es ist schon gefährlich und aufwendig, überhaupt einmal dorthin zu kommen. Und wenn man dort ist und etwas nicht funktioniert, dann hat man im besten Fall nur ein teures Gerät kaputt gemacht und im schlimmsten Fall sterben Menschen. Aber wie soll man das Problem lösen? Der Weltraum ist gefährlich, gerade weil es der Weltraum ist und nicht die Erde. Die Bedingungen dort; die Bedingungen auf Mond oder Mars sind völlig anders als auf der Erde. Wie soll man etwas für einen Einsatz im Weltraum oder auf der Oberfläche eines anderen Himmelskörpers testen, wenn man sich nicht dort befindet? Gar nicht, wäre die korrekte Antwort. Zumindest dann nicht, wenn man die Tests unter exakt den gleichen Bedingungen wie beim Einsatz durchführen will. Aber man kann zumindest probieren, näherungsweise hier auf der Erde nach Bedingungen zu suchen, die man auch außerhalb der Erde findet. Orte, an denen das möglich ist nennt man "Analoge Standorte" und die wollen wir uns in dieser Folge ein wenig genauer ansehen. Was genau ein "analoger Standort" ist, hängt davon ab, was man genau untersuchen will. Ein Container der auf irgendeinem Parkplatz rumsteht, kann ein analoger Standort sein, wenn es darum geht herauszufinden, wie Menschen sich verhalten, wenn sie lange Zeit auf engstem Raum eingesperrt sind, so wie sie es wären, wenn sie sich in einem Raumschiff oder einer Raumstation befinden. Aber im allgemeinen sucht man schon nach etwas präziseren Übereinstimmungen. Man kann die Realitätsnähe analoger Standorte grob nach folgenden Kategorien einteilen: Morphologie, Chemie, Biologie und Forschungsbedingungen. Der Container am Parkplatz wäre ein Beispiel für die letzte Kategorie; da geht es ja darum, die Bedingungen nachzustellen, die Menschen bei ihrer Arbeit auf einer Raumstation haben. Genauso dazu gehören Unterwassereinrichtungen wie zum Beispiel die der NASA Extreme Environment Mission Operations oder kurz NEEMO, wo sich Astronautinnen und Astronauten knapp 20 Meter unter dem Meeresspiegel in speziellen Stationen wochenlang von der Außenwelt abschirmen und für ihre Arbeit üben können. Wenn sie dann die Station verlassen und sich im Wasser aufhalten, haben sie zwar keine echte Schwerelosigkeit, aber zumindest ähnliche Bedingungen wie bei einem Einsatz im Weltall und ein Raumanzug, der schon im Wasser Probleme macht, wird vermutlich auch im All nicht sonderlich praktisch sein. Man kann aber auch nach anderen Ähnlichkeiten suchen, zum Beispiel nach geografischen Merkmalen auf der Erde, die denen auf anderen Himmelskörpern ähneln. Ein Rover, der sich über den Boden des Mars bewegen soll, sollte das zumindest in einer ähnlich beschaffenen Landschaft auf der Erde schaffen, sonst braucht er gar nicht erst losfliegen. Als die ersten Astronauten des Apollo-Programms zum Mond geflogen sind, hat man sie vorher an geologischen Expeditionen auf der Erde teilnehmen lassen, damit sie lernen, wie man zum Beispiel Gestein erkennt, das bei Asteroideneinschlägen entstanden ist. Das findet man auch auf der Erde und wenn sie es am Mond finden sollen, müssen sie besser vorher lernen, wie es aussieht. In der Umgebung vieler irdischer Vulkane findet man Terrain, dass dem auf dem Mond ähnlich ist; auf unseren Gletschern kann man zumindest ein Gefühl dafür kriegen, wie es in den Polarregionen des Mars sein muss, und so weiter. Neben diesen morphologischen Ähnlichkeiten, also den Ähnlichkeiten in der Form von geografischen Merkmalen, kann man auch auf die Chemie und die Biologie schauen. Eine Rover, der auf dem Mars bestimmte Gesteinsarten finden und analysieren soll oder gar nach den Spuren von Mikroorganismen sucht, sollte all das auch auf der Erde finden können und idealerweise unter ähnlichen Bedingungen. Und bevor der Rover sich an die Arbeit machen kann, müssen wir überhaupt erst mal verstehen, ob und wie sich Chemie und Biologie auf anderen Himmelskörpern überhaupt verhalten könnten. Wenn wir wissen wollen, ob am Mars etwas lebt oder gelebt haben kann, müssen wir hier auf der Erde nach Orten suchen, wo es zumindest mal ebenso kalt und trocken ist und schauen, was dort leben kann und wie es das tut. Und so weiter. Es gibt jede Menge Fragestellungen, bei denen man schon hier auf der Erde anfangen kann, nach Antworten zu suchen, bevor man sich auf den Weg ins All macht. Und es gibt ebenso viele Orte, an denen man das tun kann. Die können wir uns nicht alle ansehen, aber zumindest ein paar davon schon. Zum Beispiel den Rio Tinto im Südwesten von Spanien. Der Name bedeutet so viel wie "roter Fluss" und genau das ist er auch: Ein Fluss, dessen Wasser deutlich rot gefärbt ist. Grund dafür sind vor allem Pyrit und Chalkopyrit, zwei Eisenverbindungen die verwittern. Das tun sie unter anderem deswegen, weil dort Mikroorganismen leben, die in der Lage sind, einen Teil dieser Verbindungen quasi zu "fressen" und dabei andere Stoffe freisetzen, die dann in den Fluss gelangen. Wegen all dieser Stoffe ist das Wasser des Flusses auch extrem sauer, weswegen dort so gut wie nichts leben kann, nur eben ein paar sehr zähe, sehr extreme Mikroorganismen. Genau deswegen interessiert sich auch die Astrobiologie auch für den Rio Tinto, denn dort kann man lernen, wie es vielleicht auf dem Mars abgelaufen sein könnte. Eisenverbindungen gibt es dort heute noch jede Menge und Wasser gab es früher vielleicht mal sehr viel mehr als jetzt und wenn wir das Leben im Rio Tinto verstehen, kriegen wir einen Eindruck, wie es am Mars gewesen sein könnte. Ein anderer analoger Standort ist Beacon Valley in der Antarktis. Dieser Ort kommt den Bedingungen am Mars vielleicht näher als jeder andere Ort auf der Erde. Dass es in der Antarktis kalt ist, ist keine Überraschung und wenn es dort richtig kalt ist, ist es fast so kalt wie auf dem Mars. Der Mars ist aber nicht nur kalt, sondern auch extrem trocken. Trockenheit erwartet man sich in der Antarktis nicht; immerhin ist da ja alles voll mit gefrorenem Wasser. Aber einerseits ist das Wasser dort eben gefroren und damit trocken und nicht flüssig. Und andererseits gibt es in der Antarktis auch die antarktischen Trockentäler, zu denen auch Beacon Valley gehört. Die Täler sind Teil des transantarktischen Gebirges, das sich einmal quer durch den südlichsten Kontinent zieht. Die Berge dort können bis zu 4500 Meter hoch werden und sie schirmen die Trockentäler vom Eis ab. Die Gletscher aus dem Inneren des Kontinents kommen da nicht drüber und auf der Küstenseite des Gebirges bleiben die Täler eisfrei. Auch der Wind, der vom eisigen Inneren über die Berggipfel zu den Tälern wehen muss, verliert dabei seine Feuchtigkeit. Der Schnee fällt auf das transantarktische Gebirge und übrig bleibt nur ein sehr trockender Fallwind, der von den Bergen in die Täler zum Meer saust und dabei noch die letzten Reste an Feuchtigkeit mitnimmt. Wir haben dort also extrem kalte und trockene Bedingungen, so wie überall auf dem Mars. Auf der Erde sind die antarktischen Trockentäler aber einzigartig und deswegen auch ein einzigartiger analoger Standort wenn man den Mars erforschen will. Dass es auf der Oberfläche des Mars kein Leben zu geben scheint, wissen wir mittlerweile. Und auch in den Trockentäler der Antarktis gibt es an der Oberfläche quasi kein Leben. Aber dort gibt es unterirdische Seen und in einigen hat man schon Mikroorganismen gefunden. Noch haben wir solche Lebensräume auf dem Mars nicht gefunden, aber wenn wir sie einmal finden sollten, dann sicherlich nur, weil wir zuvor auf der Erde entsprechend geübt haben. Wenn man auf der Suche nach einer extrem trockenen Gegend mit sehr dünner Luft ist - der Mars hat ja auch so gut wie keine Atmosphäre - dann wird man in der Atacama-Wüste fündig. Auch hier ist es kalt, im Vergleich zu vielen anderen Wüsten, immerhin liegt die Gegend 3000 Meter über dem Meeresspiegel. Durch die Höhe kriegt man auch sehr viel UV-Strahlung ab, wie man es in der dünnen Atmosphäre des Mars tun würde und Salzbecken mit Perchloraten. Das sind Verbindungen aus Chlor und Sauerstoff, die man auch im Marsstaub nachgewiesen hat. Und die auf der Erde von Mikroorganismen abgebaut werden können. Es ist also kein Wunder, dass auch in der Atacama-Wüste jede Menge weltraumrelevante Forschung durchgeführt worden ist. Es gibt noch viel mehr Orte auf der Erde, wo man zumindest ein Gefühl dafür kriegen kann, wie es draußen im Weltall und auf der Oberfläche anderer Himmelskörper sein könnte. Das ist für die Wissenschaft sehr praktisch - aber uns Menschen reicht das Gefühl alleine nicht. Wir wollen wirklich dort draußen sein. Und wenn wir auf der Erde ausreichend viel geübt und gelernt haben, werden wir das irgendwann auch schaffen.
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Jul 28, 2023 • 11min

Sternengeschichten Folge 557: Das verschwundene Hafnium und die Entstehung der Erde

Forschung mit der radioaktiven Zeitmaschine Sternengeschichten Folge 557: Das verschwundene Hafnium und die Entstehung der Erde Die Astronomie hat es nicht leicht. So gut wie alles, was sie untersucht, ist absurd weit weg. Man kann es nur anschauen, und über die unvorstellbaren Entfernungen im Universum ist das natürlich nicht leicht. Trotzdem haben wir es im Laufe der Zeit geschafft, eine erstaunliche Menge an Wissen zu sammeln. Die Entfernung ist aber nur ein Problem, denn oft hat will man auch Dinge wissen, die prinzipiell nicht beobachtbar sind. Zum Beispiel die Entstehung der Planeten im Sonnensystem. Das ist vor 4,6 Milliarden Jahren passiert und wir haben keine Zeitmaschine, um das live ansehen zu können. Wir können probieren, andere Planetensysteme zu beobachten, die gerade dabei sind zu entstehen und daraus allgemeine Prinzipien abzuleiten. Wir können Computersimulationen erstellen, die in Modellen nachvollziehen, was damals passiert sein könnte. Aber wenn wir trotzdem irgendwas konkretes über die Entstehung eines Himmelskörpers wie der Erde wissen wollen, brauchen wir auch konkrete Daten. Und überraschenderweise geht das: Wenn wir wissen wollen, was bei der Entstehung der Erde passiert ist, müssen wir uns mit Hafnium beschäftigen. Hafnium ist ein chemisches Element und eines von den eher unbekannten. Im Alltag hat man so gut wie nie damit zu tun und man hat es auch vergleichsweise spät entdeckt. 1912 hat man vermutet, dass es da noch ein stabiles chemisches Element geben muss, ein Atom das 72 Protonen im Atomkern haben muss. Immerhin kannte man ja schon die Elemente Lutetium und Tantal, die 71 beziehungsweise 73 Protonen im Atomkern hatten und da wäre es komisch gewesen, wenn es nicht auch eines mit 72 Protonen geben würde. Entdeckt hat man es aber erst 1923, in Kopenhagen und darum heißt es auch so, wie es heißt: Hafnia ist der lateinische Name der dänischen Hauptstadt. Hafnium ist nicht sonderlich häufig und es kommt in der Erdkruste auch nicht in Reinform vor sondern nur in Verbindung mit dem Element Zirconium. Wenn man Hafnium auf chemischen Weg in Reinform gewinnt, dann kriegt man ein silbrig glänzendes Schwermetall, das trotzdem weich und biegsam ist. Weil es so wenig davon gibt und so schwer zu gewinnen ist, kommt man aber selten in die Verlegenheit, es bearbeiten zu müssen. Es wird eigentlich hauptsächlich als Steuerstab in Kernreaktoren verwendet, weil es sehr korrosionsbeständig ist und sehr gut die bei einer Kernspaltung freiwerdenden Neutronen aufnehmen kann. Aber weil es so teuer ist, wird es nur vom Militär verwendet, für Atom-U-Boote oder so; da kann man es sich anscheinend leisten. Wir interessieren uns aber aus einem anderen Grund für Hafnium. So wie fast jedes chemische Element hat es auch Isotope, also Variationen des Atoms, wo der Kern zwar immer noch 72 Protonen hat, aber eine unterschiedliche Anzahl an Neutronen. Am häufigsten ist Hafnium-180, das 108 Neutronen im Kern hat, es gibt aber insgesamt 35 Isotope und manche davon sind radioaktiv; das heißt, sie sind nicht stabil und zerfallen nach einer gewissen Zeit. Insbesonder Hafnium-182 tut das und zwar mit einer Halbwertszeit von circa 9 Millionen Jahren. Soll heißen: Von einer gewissen Menge an Hafnium-182 ist nach 9 Millionen Jahren die Hälfte zerfallen, nach weiteren 9 Millionen Jahre die Hälfte von der verbliebenen Hälfte, und so weiter. Das Element, in das sich Hafnium-182 durch seine Radioaktivität umwandelt ist Wolfram, genauer gesagt das Isotop Wolfram-182 und das zerfällt nicht mehr weiter. Und das ist zwar alles sehr interessant; erklärt aber immer noch nicht, wie wir damit in die Vergangheit zur Entstehung der Erde schauen können. Die Sache wird deutlicher, wenn wir uns klar machen, dass Hafnium-182 auch bei Supernova-Explosionen auf natürlichem Weg erzeugt wird. Das Isotop kann auch in den äußeren Schichten von sterbenden Roten-Riesensternen gebildet werden. So oder so wird das Hafnium dann im All verteilt und gelangt in die Wolken aus Gas und Staub, aus denen neue Sterne und Planeten entstehen. Und wenn diese Stern- und Planetenentstehung nicht allzu lange nach der Explosion der Supernova beziehungsweise dem Tod der Roten Riesen erfolgt, dann haben die entstehenden Planeten auch ein bisschen Hafnium-182 dabei. Also: Gehen wir davon aus, dass in der Nähe der kosmischen Wolke aus der das Sonnensystem entstanden ist, ein paar sterbende Sterne Hafnium-182 verteilt haben. Und dass die Planeten bei ihrer Entstehung auch ein bisschen Hafnium-182 als Baumaterial zur Verfügung hatten. Was hilft uns das jetzt, mehr als 4,5 Milliarden Jahre später? Nach dieser enorm langen Zeit ist definitiv auch das letzte Hafnium-182-Atom längst zerfallen. Das stimmt, aber wir sind ja noch nicht fertig. Hafnium ist ein sogenanntes lithophiles Element. Das heißt, es bleibt eher dort, wo sich Fels und Gestein befinden; siliziumhaltiges Material. Wolfram, das Element in das Hafnium zerfällt ist dagegen ein kleines bisschen siderophil. Das bedeutet "eisenliebend" und deswegen treibt sich Wolfram eher dort herum, wo sich auch das Eisen rumtreibt. Jetzt müssen wir uns noch kurz überlegen, was passiert, wenn ein Planet entsteht. Und keine Sorge: Am Ende wird sich alles wunderbar zusammenfügen. Ein Planet der gerade erst dabei ist, zu entstehen, ist undifferenziert. Das heißt, die ganzen chemischen Elemente aus denen er besteht, sind mehr oder weniger gleichmäßig durchmischt. Ich könnte ein Stückchen von seiner äußersten Schicht nehmen und eines aus dem tiefsten Inneren und beide Stücke würden mehr oder weniger gleich aussehen. Wenn ein Planet groß genug ist, beginnt er irgendwann, sich zu differenzieren. Das heißt, die chemischen Elemente sortieren sich nach ihrem Gewicht. Schweres Zeug, wie Eisen sinkt immer tiefer in den Planeten hinein und das leichte Material, wie Gestein, bleibt außen. Das ist auch bei der Erde passiert und deswegen hat unser Planet ja auch einen Kern, der vor allem aus Eisen besteht mit einer Kruste aus Gestein außen rum. Mit diesen Informationen haben wir jetzt alles beisammen, was wir brauchen, um ein paar Details der Erdentstehung zu erforschen. Denn eine offene Frage lautet ja zum Beispiel: Wie schnell geht das mit der Differenzierung eines Planeten? Entsteht der Kern gleich nachdem der Planet selbst sich gebildet hat oder dauert das länger? Diese Frage lässt sich mit Hilfe des verschwundenen Hafniums beantworten. Stellen wir uns nochmal die gerade erst gebildete Erde vor. Und schauen, was passieren würde, wenn ihr Kern sich schnell bildet. Dann war noch nicht genug Zeit für das Hafnium-182 zu Wolfram-182 zu zerfallen. Und weil das Hafnium eben lithophil ist und gern dort bleibt, wo auch das Gestein bleibt, bleibt es auch außen und sinkt nicht mit dem Eisen in den sich bildenden Kern. Dort, in der Kruste der Erde, zerfällt das Hafnium dann in Wolfram. Wie würde die Sache aussehen, wenn sich der Kern erst spät bildet? Dann ist das Hafnium schon längst zu Wolfram zerfallen, wenn die Differentierung beginnt und dieses Wolfram sinkt, weil es eisenliebend ist, mit dem Eisen in den Kern. Im ersten Fall haben wir einen Planeten mit Wolfram in der Kruste und im zweiten Fall einen Planeten mit Wolfram im Kern. In den Kern der Erde können wir nicht schauen, aber wir können Material aus der Erdkruste analysieren und schauen, wie groß die Menge an Wolfram-182 dort ist. In Wahrheit ist es natürlich wie immer viel komplizierter, denn es gibt auch noch andere Wege, wie Wolfram-182 erzeugt werden kann, zum Beispiel durch die Einwirkung der kosmischen Strahlung. Aber man kann das alles entsprechend analysieren und am Ende aus der Menge an Wolfram-182 rausfinden, wie schnell die Erde ein differenzierter Planet geworden ist. Das Ergebnis: Recht flott! 30 Millionen Jahre nach dem Beginn der Planetenentstehung war die Erde schon quasi fertig. Obwohl es gerade bei der Erde ein wenig knifflig ist, weil da ja noch die gigantische Kollision war, bei der der Mond entstanden ist und die hat alles ein wenig durcheinander gebracht. Aber auch hier hat die Hafnium-Wolfram-Uhr geholfen: Wir können ja auch Mondgestein entsprechend analysieren und daraus das Alter des Mondes bestimmen. Daraus folgt, dass er circa 30 bis 50 Millionen Jahre nach der Entstehung des Sonnensystems entstanden ist. Die Erde war also vermutlich gerade "fertig" mit ihrer Entstehung, als ihr ein anderer, circa marsgroßer Planet in die Quere gekommen ist und bei dieser gewaltigen Kollision ist der Mond entstanden. Apropos Mars: Auch Marsmeteorite wurden ja schon gefunden und wenn wir uns die anschauen, dann zeigt sich, dass unser Nachbarplanet ein wenig älter ist. Er muss schon ungefähr 10 Millionen Jahre nach Beginn der Planetenentstehung fertig geworden sein. Oder vielleicht auch: nicht fertig geworden sein, denn dieses geringe Alter deutet darauf hin, dass er gar nicht den vollen Prozess durchlaufen hat, wie es bei der Erde der Fall war. Er wäre dann quasi ein Planeten-Embryo und es kann gut sein, dass der große und schnell wachsende Jupiter mit seinen gravitativen Störungen in seiner Nähe dafür gesorgt hat, dass Mars nicht genug Baumaterial bekommen hat, um ein ebenso großer Planet wie Erde oder Venus zu werden. Wir können auch andere Meteoriten mit der Hafnium-Wolfram-Methode untersuchen, denn die Meteoriten stammen ja von den Asteroiden, die nichts anderes sind, als der ganze Rest der Planetenentstehung; die Bausteine, die damals übrig geblieben sind. Je nach Art der Meteoriten kriegt man da ein Alter von weniger als einer Million bis zu drei Millionen Jahren. Die Hafnium-Wolfram-Uhr ist keine Zeitmaschine, aber doch eine wunderbar kreative Methode, um in die Vergangenheit des Sonnensystems zu schauen. Und wer weiß, was für Methoden wir noch finden und was wir mit denen dann über unsere Entstehung entdecken werden.
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Jul 21, 2023 • 12min

Sternengeschichten Folge 556: El Nino und die komplexen Oszillationen der Erde

Wasser, Wetter und Wind **Sternengeschichten Folge 556: El Nino und die komplexen Oszillationen der Erde ** In der heutigen Folge der Sternengeschichten reden wir übers Meer. Aber nicht nur über das Meer; wir reden über Strömungen, Wetter, Niederschlag, Wind; über Ozeanografie und über Meteorologie. Und wer sich jetzt fragt, wo in dieser Folge die Sterne sind: Die kommen nicht vor! Wir bleiben auf der Erde, aber es lohnt sich auch mal wieder, einen sehr genauen Blick auf unseren eigenen Planeten zu werfen. Denn wir vergessen gerne, dass das der einzige Planet ist, denn wir wirklich aus der Nähe und im Detail erforschen können. Bei den anderen Planeten des Sonnensystems geht das nicht und schon gar nicht bei den Planeten, die andere Sterne umkreisen. Bei diesen anderen Himmelskörpern neigen wir dazu, sie als Einheit wahrzunehmen. Und sagen dann Sachen wie: Auf der Venus ist extrem heiß. Oder: Der Mars hat so gut wie keine Atmosphäre. Was ja alles richtig ist, aber genau so wenig wie es "die Erde" gibt, gibt es auch nicht "den Mars" und "die Venus". Auf ihre eigene Art sind das ebenso vielfältige und komplexe Welten wie die Erde und für die Planeten anderer Sterne gilt das auch, selbst wenn wir dort bis jetzt noch weniger Informationen haben als über die Planeten des Sonnensystems. Wir sehen die anderen Himmelskörper als einheitliche Objekte, weil wir zu wenig über sie wissen. Und genau deswegen lohnt sich ein Blick auf die Erde, denn sie zeigt uns sehr deutlich, wie enorm komplex so ein Planet in Wahrheit ist. So enorm komplex, dass es nicht möglich ist, "die Erde" in einer kurzen Podcast-Folge zu beschreiben. Und selbst das eine Thema, das ich für dieses Mal ausgesucht habe, lässt sich nicht in allen Details behandeln. Es geht in dieser Folge um El Niño. Das kennt man hierzulande vielleicht aus den Nachrichten, wenn es heißt, dass irgendwo in Südamerika wieder mal ein "El Niño" auftritt und deswegen komische Sachen mit dem Wetter passieren. Aber was genau heißt es eigentlich, wenn es irgendwo "El Niño" gibt? Genaugenommen geht es um ENSO, die El-Niño-Southern Oscillation. Und das wiederum ist der Name für die enorm komplexe Art und Weise, wie Meer und Atmosphäre zusammenhängen können. Fangen wir mal bei der Luft an. In den Tropen, am Äquator, steht die Sonne das ganze Jahr über hoch am Himmel. Deswegen ist es dort auch so warm und deswegen erwärmt sich dort auch die Luft so stark. Und was macht warme Luft? Sie steigt nach oben und strömt dann in Richtung Norden (oder in Richtung Süden, wenn wir uns auf der Südhalbkugel der Erde befinden). Dabei kühlt sie dann wieder ab und sinkt nach unten, ungefähr auf Höhe von Nordafrika, Mexiko und Südchina (bzw. auf Höhe von Australien oder Südafrika auf der Südhalbkugel). Deswegen ist dort dann der Luftdruck höher und die Luft strömt wieder zurück in Richtung Tropen, wo der Luftdruck wegen der aufsteigenden Luft ja tiefer ist. Dieses großräumige Zirkulationsmuster nennt man "Hadley-Zelle". Jetzt dreht sich die Erde aber auch noch um ihre Achse und das führt dazu, dass die Luft nicht einfach schnurgerade vom Äquator Richtung Norden bzw. Süden strömt. Die Erdrehung lenkt die Bewegung der Luft ab und zwar in Richtung Westen. Das führt auf der Nordhalbkugel zu einem Wind, der aus Nordosten weht und einem Südostwind auf der Südhalbkugel. Das sind die berühmten "Passat-Winde", die fast konstant wehen und so wichtig für die Schifffahrt waren und sind, weil man sich immer einigermaßen darauf verlassen konnte, dass im Atlantik bzw. im Pazifik der Wind aus der selben Richtung kommt. Der Passat treibt aber nicht nur Segelschiffe an, sondern schiebt auch das Wasser der Ozeane vor sich her. Wir schauen uns jetzt mal an, wie das im Pazifik auf der Südhalbkugel aussieht. Da weht der Passat ja aus südöstlicher Richtung. Also von der Westküste Südamerikas in Richtung Südostasien und schiebt dabei Wasser vor sich her. Der Passat türmt quasi einen Wasserberg auf und vor der südamerikanischen Küste ist der Meeresspiegel daher circa 60 Zentimeter niedriger als am anderen Ende des Pazifiks bei Indonesien, Malaysien und Co. Wenn vor Südamerika das vergleichsweise warme Wasser von der Oberfläche der Meere durch den Passatwind weggeschoben wird, dann bleibt das nicht ohne Konsequenzen. Kaltes Wasser steigt aus den tieferen Schichten nach oben und wie das genau funktioniert, wäre fast schon wieder eine eigene Podcastfolge wert. Ich spare mir jetzt aber diese Details; wer es wirklich ganz genau wissen will, kann ja mal unter dem Stichwort "Ekman-Transport" nachschlagen. Jedenfalls haben wir jetzt vor Südamerika kaltes Wasser aus den tieferen Schichten des Ozeans, das sich in Richtung Westen bewegt und dabei langsam erwärmt wird. Von der südamerikanischen Küste startet das Wasser mit circa 24 Grad, in Indonesien angekommen sind es dann schon gut 28 Grad. Das warme Wasser verdampft, die warme und feuchte Luft steigt auf, kühlt sich ab und es regnet; so entsteht dort das typische Monsun-Klima, während es an der Westküste von Südamerika eher trocken ist. Das was ich jetzt beschrieben habe, ist in Wahrheit erstens noch viel komplizierter. Und zweitens die sogenannte "Normalphase" der El-Niño-Southern Oscillation. In der Normalphase haben wir in Südostasien wegen der höheren Temperaturen der Luft, die dadurch schneller aufsteigt ein Tiedruckgebiet; bei Südamerika dagegen ein Hochdruckgebiet. Die Luft, die in Südostasien aufsteigt, strömt weiter oben in der Atmosphäre nach Osten und sinkt bei Südamerika wieder ab, aber weil das Wasser ja schon im asiatischen Monsun rausgeregnet ist, ist diese absinkende Luft sehr trocken und sammelt erst wieder Feuchtigkeit, wenn sie über dem Meer zurück nach Westen strömt. Diese großräumige Luftzirkulation nennt man übrigens die "Walker-Zirkulation" und zusammen mit der "Hadley-Zirkulation" die ich vorhin beschrieben habe, bildet sie ein eigentlich sehr stabiles System, bei dem warme Luft und kaltes Wasser von Südamerika nach Südostasien strömt. Und jetzt sind wir beim El Niño angelangt. Der findet statt, wenn sich die Luftdruckverhältnisse umkehren. In Südostasien wird der Luftdruck immer stärker, vor Südamerika immer schwächer und das kann sich sogar komplett umkehren, so dass wir bei Indonesien ein Hochdruckgebiet haben und vor Südamerika ein Tiefdruckgebiet. Das schwächt dann auch die Passatwinde oder kann sie sogar komplett die Richtung ändern lassen. Und dann läuft alles umgekehrt ab: Warmes Wasser von Südostasien strömt Richtung Südamerika und dort gibt es dann auch ungewöhnlich starke Regenfälle. Dort steigt auch kein kaltes Wasser aus den tieferen Ozeanschichten mehr auf. In Südostasien ist dagegen sehr viel trockener als normal. Es gibt übrigens auch noch eine dritte Phase, die "La Niña" genannt wird. Dann verstärkt sich alles, was ich für die Normalphase beschrieben habe; in Indonesien regnet es extrem viel, in Südamerika ist es extrem trocken. Diese drei Phasen, Normalphase, El Niño und La Niña sind die drei Hauptphasen der El-Niño-Southern Oscillation und wechseln sich ab. Man darf sich das aber nicht als regelmäßige Oszillation vorstellen. Manchmal können zwei El-Niño-Phasen aufeinanderfolgen, manchmal gibt es jahrzehntelang nur Normalphase und La Niña-Phasen. El-Niño- und La-Niña-Phasen dauern typischerweise einige Monate bis zu einem Jahr und treten meistens im Winter um Weihnachten herum auf, woher auch der Name "El-Niño" stammt. Der bezieht sich auf "El-Niño de Navidad", also das "Christkind". Zwei Fragen habe ich bis jetzt noch nicht beantwortet: 1) Was ist der Grund dafür, dass sich die Luftdruck- und Windverhältnisse alle paar Jahre umkehren? Und 2): Was für Auswirkungen hat das alles. Die Antwort auf die erste Frage ist einfach: Wissen wir nicht. Der Mechanismus, der der El-Niño-Southern Oscillation zugrunde liegt ist nicht vollständig geklärt. Wir wissen, dass im Pazifik das warme Wasser mal in die eine Richtung strömt und mal in die andere; das sich Luftdruck- und Windverhältnisse entsprechend ändern; das das alles Einfluss darauf hat, wie viel Wasser aus dem Meer verdunstet, wie feucht die Luft ist, wie viel Niederschlag es gibt, und so weiter. Aber wie all diese komplexen Phänomene im Detail zusammenhängen haben wir noch nicht verstanden. Dafür sehen wir aber - leider - sehr gut, welche Auswirkungen das alles hat. Wenn in einer El-Niño-Phase kein kühles Wasser aus den tiefern Meeresschichten vor Südamerika mehr nach oben steigt, dann werden auch weniger Nährstoffe an die Meeresoberfläche transportiert. Dann stirbt das Plankton ab und damit gibt es auch weniger Fische, was nicht nur doof für die Fische selbst ist, sondern auch für die Menschen in Südamerika, die vom Fischfang leben. Wenn die ganze feuchte Luft ihre Feuchtigkeit über den Anden ablädt, anstatt in Südoastien, dann kommt es dort zu ungewöhnlichen und starken Regenfällen, die Hangrutschungen und Überschwemmungen verursachen. Die Auswirkungen von El-Niño betreffen aber nicht nur Südamerika; das Wetter auf fast der ganzen Welt wird dadurch beeinflusst. Im Amazonas auf der anderen Seite von Südamerika herrscht Trockenheit; es gibt Wirbelstürme in Mittelamerika, in Südostasien ist es viel trockener als normal, was Waldbrände wahrscheinlicher macht. Korallen, Vögel, Robben und jede Menge andere Tiere sterben wegen der ungewohnten Temperaturen; in Afrika ändern sich die Wettermuster und wenn man das ganze global betrachtet, dann ist es in einer El-Niño-Phase tendenziell wärmer als als in der Normalphase oder der La-Niña-Phase. Was angesichts der Klimakrise durchaus bedenklich ist: Wir machen die Welt sowieso schon immer wärmer und wenn dann auch noch El-Niño dazu kommt, wird das alles noch verstärkt. Und auch wenn El-Niño irgendwann wieder vorbei ist, können wir in der Zwischenzeit vielleicht den einen oder anderen Kipppunkt im Klimasystem erreicht haben und wie das so ist mit Kipppunkten: Wenn einmal was gekippt ist, kippt es so schnell nicht wieder zurück. Es ist also klar, dass so etwas wie El Niño-Southern Oscillation ein wichtiges Phänomen ist, wenn man wissen will, wie ein Planet wie die Erde funktioniert. Und wie ich anfangs schon gesagt habe: In Wahrheit ist die ganze Sache noch sehr viel komplizierter als in meiner kurzen Darstellung. Und die El Niño-Southern Oscillation ist nur eine von einem ganzen Schwung solcher Oszillationen. Da ist zum Beispiel auch die Nordatlantische Oszillation, die unter anderem Einfluss auf den Golfstrom hat, der die Temperaturen in Europa maßgeblich beeinflusst. Es gibt die Madde-Julian-Oszillation, die Atlantische Multidekaden-Oszillation, und so weiter. Und dann gibt es auch noch die großräumigen Luftströmungen, die da auch noch mit drinhängen und wir haben immer noch nicht das Gebiet der Luft- und Ozeanströmungen verlassen. Es gibt noch so viel mehr, was einen Planeten wie die Erde ausmacht. Geologie, Vulkanismus, Tektonik, die unterschiedlichen Tiere und Pflanzen, Flüsse und Seen, Berge, und so weiter und alles hängt voneinander ab und miteinander zusammen. Ein Planet ist eine unvorstellbar komplexe Welt und das sollte man nie vergessen, wenn man hinauf in den Himmel schaut und die Lichtpunkte betrachtet, die wir zum Beispiel "Mars" oder "Venus" nennen. Planeten sind mehr als nur Lichtpunkte, es sind vollständige Welten, die da draußen im All ihre Runde ziehen und jede für sich auf seine eigene Art so komplex wie die Erde.
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Jul 14, 2023 • 13min

Sternengeschichten Folge 555: Die Geschichte des Einsteinrings

Manchmal haben die Spinner doch recht Sternengeschichten Folge 555: Die Geschichte des Einsteinrings Wer an der Universität im Bereich Astronomie, Kosmologie oder theoretische Physik forscht, wird diese Situation kennen: Man bekommt eine Nachricht von einer Person, die selbst nicht in diesen Forschungsbereichen tätig ist, sondern zum Beispiel Ingenieurswissenschaften, Elektrotechnik, etwas ganz anderes oder auch gar nichts studiert hat. Trotzdem ist diese Person der Meinung, sie hätte etwas Bedeutsames entdeckt und bittet nun darum, die eigene Arbeit zu beurteilen und idealerweise auch bei der Veröffentlichung dieser Arbeit zu helfen. Mir jedenfalls ist das sehr oft passiert und auch meinen Kolleginnen und Kollegen. Meistens geht es darum, dass jemand meint, er oder sie hätte die Relativitätstheorie widerlegt, oder eine neue Idee, wie das Universum entstanden ist, woraus die Materie besteht, die Weltformel, die alles erklären kann gefunden, und so weiter. Und in allen Fällen, zumindest denen die ich bisher erlebt habe, handelt es sich um eine Idee, bei der man schnell zeigen kann, dass sie falsch ist. Im Frühjahr 1936 beginnt eine Geschichte, die anfangs genau so aussieht wie das, was ich gerade erzählt habe. Aber ganz anders endet. In diesem Jahr kam Rudi Mandl in das Gebäude der Nationalen Akademie der Wissenschaften in Washington um dort den "Science Service" zu besuchen, eine Institution die sich mit der Popularisierung von Wissenschaft beschäftigt. Mandl wollte Hilfe bei der Publikation einer Idee, die er hatte und die mit Albert Einsteins Relativitätstheorie zu tun hat. Rudi Mandl war allerdings selbst kein Wissenschaftler. Er kam aus Tschechien, hatte in Wien Elektrotechnik studiert, danach aber nicht in der Forschung gearbeitet und wanderte in die USA aus. Das, was er meinte entdeckt zu haben, sah auf den ersten Blick nicht völlig unseriös aus. Deswegen (oder weil sie ihn schnell los werden wollten?) schlugen die Leute vom Science Service vor, dass er seine Idee doch mit dem unbestreitbaren Experten für die Relativitätstheorie besprechen sollte: Albert Einstein selbst. Und sie gaben ihm ein Empfehlungsschreiben und sogar ein bisschen Geld für den Trip nach Princeton, wo Einstein lebte und arbeitete. Bevor wir uns anschauen, wie Einstein darauf reagiert hat, sollten wir uns aber Mandls Idee noch ein wenig genauer ansehen. Die Grundlage der Allgemeinen Relativitätstheorie habe ich ja schon öfter besprochen. Einstein hat festgestellt, dass der Raum nicht einfach nur eine unveränderbare Bühne ist; ein Hintergrund, auf dem sich die Dinge im Universum abspielen. Sondern dass der Raum, beziehungsweise genauer: die Raumzeit, selbst ein Ding ist, mit Eigenschaften die sich verändern können. Insbesondere hat Einstein festgestellt, dass der Raum gekrümmt sein kann und das Objekte bei ihrer Bewegung durch den Raum dieser Krümmung folgen müssen. Gekrümmt werden kann der Raum durch die Anwesenheit von Masse und damit hatte Einstein eine neue Erklärung für das Phänomen der Gravitation gefunden: Masse krümmt den Raum und Objekte die sich in der Nähe einer Masse bewegen, werden durch diese Krümmung bei ihrer Bewegung abgelenkt. Genau so, als würde eine Kraft auf sie wirken; eine Kraft, die man als Gravitationskraft bezeichnet. Das war 1936 alles schon längst durch Beobachtungen bestätigt und Einstein der weltberühmte Wissenschaftler, als den wir ihn heute in Erinnerung haben. Mandl hatte aber eine andere Idee: Wenn Licht der Krümmung des Raums folgt, dann kann der Raum ja quasi wie eine optische Linse aus Glas wirken. Und genau so, wie eine solche Linse das Licht zum Beispiel verstärken kann, oder ein Bild verzerren kann, sollte das auch ein passend gekrümmter Raum können. Was wäre zum Beispiel, wenn man das Licht eines Sterns betrachtet, der von uns aus gesehen genau hinter einem anderen Stern steht? Der vordere Stern krümmt den Raum und damit wird auch das Licht des hinteren Sterns um ihn herum gebogen. Wir sollten also den vorderen Stern sehen, und um ihn herum einen Kreis aus Licht, der das verzerrte Bild des hinteren Sterns ist. Das war Mandls Idee, die er Einstein vorstellen wollte, was er am 17. April 1936 auch getan hat. Einstein hörte sich die Sache freundlich an; sie machten gemeinsam ein paar Berechnungen und dann fuhr Mandl wieder nach Hause. Er schrieb aber weiter an Einstein und drängte ihn, die Sache auch in einer wissenschaftlichen Zeitschrift zu veröffentlich. Wovon Einstein allerdings nicht so begeistert war. Einerseits, weil Mandl nicht einfach nur die Idee zu der ringförmigen Verzerrung des Sternenlichts hatte. Seine Gedanken gingen weit darüber hinaus; er stellte sich zum Beispiel vor, dass solche Raumkrümmungslinsen auch die überall im Weltall befindliche kosmische Strahlung auf die Erde fokusieren könnten, und dass sie das auch in der Vergangenheit immer wieder getan haben. Dabei wären durch die vermehrt auftreffende Strahlung Mutationen in den Lebewesen ausgelöst und die Evolution angetrieben worden. Mandl sah seine Idee als Ausgangspunkt einer umfassenden Neubewertung der Entstehung des Lebens; er war der Meinung, dass seine Lichtringe schon bei diversen astronomischen Beobachtungen gesehen worden wären, nur hätte man das nicht erkannt, und so weiter. Es ist verständlich, dass Einstein da eher skeptisch war. Außerdem, und das war der viel wichtigere Punkt, hatte Einstein bei seinen Rechnungen mit Mandl gezeigt, dass der Effekt quasi unbeobachtbar wäre. Das zu einem Ring verzerrte Licht eines Hintergrundsterns wäre nicht beobachtbare. Der Ring wäre so winzig, dass er mit den Teleskopen der damaligen Zeit nicht gesehen werde könnte und auch nicht mit Teleskopen, die aus damaliger Sicht in absehbarer Zukunft gebaut werden könnten. Mandl hörte aber nicht auf, Einstein um Publikation zu bitten (und gleichzeitig auch jeder Menge anderer Wissenschaftler in der Angelegenheit zu schreiben). Er wandte sich auch wieder an den Science Service der Akademie der Wissenschaft und am Ende gab Einstein nach. Am 4. Dezember 1936 schrieb er eine kurze Notiz in der Fachzeitschrift "Science", mit dem Titel "Lens-like Action of a Star by the Deviation of Light in the Gravitational Field", also "Linsenartige Wirkung eines Sterns durch die Ablenkung von Licht im Gravitationsfeld". Der Text beginnt mit "Vor einiger Zeit besuchte mich R. Mandl und bat mich, die Ergebnisse einer kleinen Berechnung zu publizieren, die ich auf sein Ansuchen hin angestellt habe. Diese Notiz erfüllt seine Bitte". Am Ende der Notiz stellt Einstein allerdings auch noch einmal explizit fest, dass er keine große Chance sieht, diesen Effekt zu beobachten. Für Einstein war die Sache damit erledigt, für den Rest der Wissenschaft aber nicht. Aber bevor wir dazu kommen, schauen wir noch einmal in die Vergangenheit. Mandl war nicht der erste, der die Idee zur Verzerrung von Sternenlicht durch Gravitationslinsen hatte. Die hatte Einstein selbst auch schon gehabt, schon 1912, auch wenn er sie damals nicht publiziert hat. Einstein hat damals recht ähnliche Rechnungen angestellt wie Mandl. Vermutlich war das auch der Grund, warum er sich am Ende doch von der Publikation überzeugen ließ, auch wenn der Effekt seiner Meinung nach unbeobachtbar und damit wertlos für die Wissenschaft war. Es ist sogar ziemlich wahrscheinlich, dass Einstein auch der Lichtring-Effekt bekannt war. Denn im Jahr 1924 veröffentlichte der russische Physiker Orest Danilowitsch Chwolson in der Fachzeitschrift "Astronomische Nachrichten" eine kurze Notiz mit dem Titel "Über eine mögliche Form fiktiver Doppelsterne" in der er auch berechnete, wie das Licht eines Hintergrundsterns durch einen Vordergrundstern abgelenkt werden kann und sogar anmerkt, dass der Vordergrundstern von einem Ring umgeben sein müsste, wenn der Hintergrundstern von der Erde aus gesehen exakt dahinter liegt. Und in der selben Ausgabe der Fachzeitschrift, sogar auf der selben Seite, findet sich auch ein kurzer Artikel von Albert Einstein. Die Idee der Gravitationslinse war jetzt also publiziert und diverse Wissenschaftler reagierten darauf. Unter anderem Fritz Zwicky, den manche vielleicht noch von der "Dunklen Materie" kennen; er war ja derjenige, der diesen Begriff erfunden und auch die ersten Beobachtungsdaten geliefert hat, die auf ihre Existenz hinweisen. Aber das ist eine andere Geschichte; in diesem Fall wies Zwicky darauf hin, dass man diesen Effekt ja nicht nur bei Sternen suchen kann, sondern auch bei Galaxien. Es kann ja auch eine Galaxie im Vordergrund das Licht einer genau dahinter stehenden Galaxie ablenken und dann kriegt man eine Galaxie, die von einem Ring aus Licht umgeben ist. Und dieser Ring wäre deutlich größer als im Fall der Sterne. Es hat allerdings bis 1979 gedauert, bis man tatsächlich das erste Mal beobachten konnte, wie Licht von Galaxien auf diese Weise abgelenkt wird. Da hat man aber "nur" gesehen, wie das Bild von Galaxien verformt wird, der Ring, der Mandl beschäftigt hat, war da nicht zu sehen. Dafür braucht es eben wirklich eine perfekte Ausrichtung und ganz genaue Beobachtungen. Man sah immer wieder unfertige Ringe, also Galaxien, deren Licht zu mehr oder weniger langen Bögen verformt war. Der erste komplette Ring konnte dann aber im Jahr 1987 beobachtet werden. Das Licht der fernen Galaxie mit der Bezeichnung B1938+666 formte einen kompletten Ring um eine nicht ganz so weit entfernte elliptische Galaxie. In den Jahren danach fand man Dutzende weitere solcher "Einsteinringe", wie das Phänomen mittlerweile genannt wurde (obwohl man es genau so gut Chwolson-Ring oder Mandl-Ring nennen könnte). Man hat sogar im Jahr 2008 einen doppelten Ring gefunden: Drei Galaxien standen von uns aus gesehen genau in einer Reihe und die vorderste hat die Bilder der beiden dahinter zu zwei unterschiedlich großen Ringen verformt. Die Entdeckung der Einsteinringe war nicht nur eine weitere Bestätigung der Allgemeinen Relativitätstheorie. Ihre Beobachtung ist mittlerweile auch ein wichtiges Instrument bei der Erforschung des Universums geworden. Die Art und Weise, wie genau das Bild der fernen Galaxien verzerrt wird, sagt uns, wie viel Masse sich zwischen uns und ihnen befindet. Und dabei geht es nicht nur um die sichtbare Masse, sondern die gesamte Masse, also auch die der dunklen Materie, die wir ja anders nicht beobachten oder bestimmen können. Ohne Gravitationslinsen uns Einsteinringe wüssten wir sehr viel weniger über die dunkle Materie als wir es tun und wenn wir in Zukunft noch mehr wissen werden, dann weil wir diesen Effekt noch viel stärker genutzt und noch mehr Einsteinringe im Universum beobachtet haben. Und vielleicht werden Mandl und Chwolson ja doch noch bestätigt und Einsteins Behauptungen, dass man den Lichtring um einen Stern nie beobachten wird können, ist falsch. Denn 2016 fanden ein paar Forscherinnen und Forscher heraus, dass sich Alpha Centauri A, also einer der drei Sterne, die das der Sonne nächstgelegene Sternensystem bilden, im Mai 2028 von uns aus gesehen sehr nah vor einem viel weiter entfernten Stern vorbeibewegen wird. Man kann die Bewegung der Sterne nicht so extrem exakt berechnen, aber die Chancen stehen fast 50:50, dass das Licht des Hintergrundsterns dann einen Einsteinring um Alpha Centauri A bilden wird. Und wenn das so ist, dann wird man das auch mit den Teleskopen auf der Erde beobachten können.
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Jul 7, 2023 • 11min

Sternengeschichten Folge 554: Sternbeben

Kleine Sterne, gewaltige Beben Sternengeschichten Folge 554: Sternbeben Wir alle wissen, was ein Erdbeben ist. So schrecklich die Folgen solcher Naturkatastrophen für uns Menschen sein können, sind Erdbeben trotzdem etwas, was auf einem geologisch aktiven Planeten wie der Erde völlig normal ist. Und wir können froh sein, dass die Erde geologisch aktiv ist, denn ohne Plattentektonik und Vulkanismus wäre der Planet nicht lebensfreundlich. Diese Phänomene sind Teil jeder Menge geologisch-chemisch-biologischer Zyklen, ohne die wir keine lebensfreundliche Atmosphäre hätten. In dieser Folge soll es aber nicht um Erdbeben gehen, sondern um Sternbeben. Und die erste Frage die sich hier stellt lautet: Was soll denn da bitte beben bei einem Stern? Ein Stern ist eine riesige Kugel aus heißem Gas; da ist nichts, was beben kann. Das ist richtig. Aber nicht ganz richtig. Die Bewegung des Materials im Inneren der Erde sorgt dafür, dass ihre Oberfläche manchmal bebt. Und genau so kann die Bewegung des heißen Gases im Inneren eines Sterns dafür sorgen, dass der ganze Stern zu Schwingen beginnt. Ein bisschen so, wie eine Glocke, die man angeschlagen hat. Aber auch das ist nicht das, worum es in dieser Folge gehen soll. Was nicht heißt, dass die Erforschung der Sternschwingungen nicht wichtig ist! Das ist sie sehr wohl und ich habe in Folge 164 ausführlich über die "Asteroseismologie" gesprochen, also die Disziplin, die sich genau damit beschäftigt. Das, wovon ich in dieser Folge sprechen möchte, sind Ereignisse, die nicht bei normalen Sternen vorkommen und der Begriff "Sternbeben" ist daher auch ein wenig missverständlich. Er wird aber trotzdem so verwendet, wie das halt oft ist in der Wissenschaft. Für die Sternbeben, um die es heute gehen soll, müssen wir uns Neutronensterne ansehen. Also das, was von einem großen Stern übrig bleibt, nachdem der mangels Brennstoff die Kernfusion eingestellt hat. So ein Stern schleudert seine äußeren Schichten bei einer großen Explosion hinaus ins All, während gleichzeitig sein inneren Kern extrem kollabiert. Die Materie dort wird so sehr verdichtet, dass am Ende ein Objekt übrig bleibt, das circa so schwer ist wie die Sonne, aber nur noch ein paar Dutzend Kilometer groß. Ein Neutronenstern ist keine Kugel aus Gas mehr. Er besteht überhaupt nicht mehr aus irgendwelchen identifizierbaren chemischen Elementen; die Struktur normaler Atomkerne kann bei der extremen Dichte des Materials eines Neutronensterns nicht mehr aufrecht erhalten werden. Bis auf die äußerste Schicht; die besteht bei einem Neutronenstern aus einer Kruste aus den Kernen von Eisenatomen. Diese Kruste ist aber maximal ein paar Dutzend Meter dick, darunter nimmt der Anteil an Neutronen immer weiter zu. Diese Teilchen sind es ja auch, die dem Objekt seinen Namen gegeben haben. Normalerweise können Neutronen nicht frei existieren; sie müssen zusammen mit den elektrisch positiv geladenen Protonen in einem Atomkern verbunden sein. Ein ungebundenes Neutron ist instabil und wandelt sich schnell in ein Proton und ein Elektron um. Und ein Antineutrino ist bei diesem Prozess auch noch dabei, aber das ist jetzt gerade nicht wichtig. In einem Neutronenstern herrscht aber ein so immenser Druck, dass - vereinfacht gesagt - die Elektronen sofort wieder in die Protonen zurück gequetscht werden. Ein Neutron kann also gar nicht zerfallen. In den inneren Schichten besteht ein Neutronenstern also tatsächlich fast komplett aus Neutronen und was ab einer Tiefe von circa 10 Kilometern, also schon im Kern des Neutronensterns passiert, wissen wir noch nicht exakt. Man vermutet, dass dort vielleicht nicht einmal mehr Neutronen existieren können, sondern dass der Druck so hoch ist, dass dort freie Quarks existieren. Quarks sind die Elementarteilchen, aus denen Protonen und Neutronen bestehen und auch sie können normalerweise nicht alleine vorkommen. Sie müssen immer mit anderen Quarks verbunden sein und eben Neutronen oder Protonen bilden. Aber unter den extremen Bedingungen im Kern eines Neutronensterns könnte es anders sein. Wie es wirklich ist, wissen wir aber noch nicht. Wir können die Bedingungen im Inneren eines Neutronensterns nicht im Labor oder mit Teilchenbeschleunigern nachstellen und wir können auch nicht in einen Neutronenstern hinein schauen. Zumindest nicht direkt und jetzt sind wir bei den Sternbeben angelangt. Genau so wie die Erdbeben ein wichtiges Instrument sind, um die Vorgänge im Inneren der Erde zu verstehen, können die Sternbeben uns helfen, das Innere der Neutronensterne zu erforschen. Dazu müssen wir uns noch einmal klar machen, wie enorm hoch die Dichte dieser Himmelskörper ist. Seine mittlere Dichte beträgt typischerweise 1 Billiarde Gramm pro Kubikzentimeter. Oder anders gesagt: Ein Zuckerwürfelgroßes Stück würde ungefähr eine Billion Kilogramm wiegen, was ungefährt so viel ist wie eine Milliarde Autos. Man kann sich also vorstellen, dass auf der Oberfläche eines Neutronensterns eine enorme Anziehungskraft herrscht. Beziehungsweise kann man es sich vermutlich nicht vorstellen, wie denn auch! Auf der Erde gibt es hohe Berge und tatsächlich sind die Berge bei uns ungefähr so hoch, wie sie theoretisch sein können. Wären sie noch höher, dann würden sie unter ihrem eigenen Gewicht in sich zusammenfallen. Wenn die Erde eine höhere Dichte hätte und damit eine höhere Anziehungskraft, dann wären auch die Berge niedriger. Auf einem Neutronenstern kann es auch Berge geben - die können dann aber maximal ein paar Millimeter hoch sein. Alles andere ist bei der dort herrschenden Anziehungskraft nicht möglich. Was Neutronensterne außerdem tun: Extrem schnell rotieren. Auch das ist ein klassischer Effekt: Wenn eine rotierende Masse komprimiert wird, muss sie sich schneller drehen als vorher. Das liegt an der Drehimpulserhaltung und man kann das leicht im Alltag ausprobieren. Setzt euch auf einen Drehstuhl, dreht euch und streckt dabei die Arme aus. Wenn ihr euch jetzt komprimiert, also die Arme dicht an den Körper führt, dann werdet ihr euch schneller drehen. Bei einem Neutronenstern wurde die ganze Masse eines Sterns auf ein paar Dutzend Kilometer verdichtet und dementsprechend stark hat sich die Rotationsgeschwindigkeit erhöht. So ein Ding kann sich bis zu ein paar 1000 Mal pro Sekunde um seine Achse drehen. Das führt dazu, dass die Form eines Neutronensterns nicht exakt kreisförmig ist. So wie auch die Erde ein wenig abgeplattet ist, weil sie rotiert, ist das auch ein Neutronenstern. Im Laufe der Zeit nimmt die Rotationsgeschwindigkeit eines Neutronensterns aber ab. Das hat unterschiedliche Gründe. Ein Neutronenstern kann auch ein extrem starkes Magnetfeld haben; so wie sich die Rotationsgeschwindigkeit erhöht, wenn der Stern verdichtet wird, verstärkt sich auch das Magnetfeld. Es kann sein, dass die magnetischen Pole dieses Magnetfeldes nicht mit der Ausrichtung der Rotationsachse übereinstimmen. Bei der Erde fallen magnetischer Nord- und Südpol ja auch nicht exakt mit den geografischen Polen zusammen. Wenn das bei einem Neutronenstern der Fall ist, dann erzeugt er sehr starke Strahlung, die er dann entlang seines Magnetfeldes ins All schleudert - wie das genau passiert habe ich ja schon in Folge 142 erklärt. So oder so: Die Energie für diese Strahlung wird aus der Rotationsenergie abgezweigt. Und je langsamer ein Neutronenstern rotiert, desto kreisförmiger will er werden. In seiner Kruste baut sich immer mehr Spannung auf, die sich irgendwann dann explosiv bei einem Sternbeben entlädt, genau so wie es ja auch bei einem Erdbeben ist. Spannungen kann es auch geben, wenn die Kruste unterschiedlich schnell rotiert als die darunter liegenden Schichten. Dann entstehen sehr starke Magnetfelder und durch die unterschiedlichen Rotationsgeschwindigkeiten verzwirbeln die sich immer stärker, bis auch diese Spannungen sich bei einem gewaltigen Sternbeben lösen. Es gibt noch mehr Effekte, die eine Rolle spielen, unter anderem das sogenannte Frame-Dragging, aber dafür müssten wir jetzt auch noch mit der Relativitätstheorie anfangen, und das würde zu weit führen. Jedenfalls: In der Kruste eines Neutronensterns kann es zu Beben kommen. Ein sehr gewaltiges Sternbeben hat man am 27. Dezember 2004 registriert. So stark wie damals war bis dahin kein Sternbeben gewesen; es war die hellste Explosion die man bis dahin außerhalb des Sonnensystems beobachtet hatte. Stattgefunden hat sie bei SGR 1806-20, ein Neutronenstern der sich 42.000 Lichtjahre entfernt befindet, dort am Himmel wo das Sternbild Schütze ist. Innerhalb von winzigen Sekundenbruchteilen ist die Kruste des Objekts explosiv aufgebrochen und eine gewaltige Menge an Strahlung ist dadurch frei geworden. In einer Zehntelsekunde wurde mehr Energie frei, als die gesamte Sonne in 150.000 Jahren abstrahlt. Hätte sich der Neutronenstern innerhalb eines Radius von 10 Lichtjahren von der Erde befunden, hätte diese extreme Strahlungsmenge die Ozonschicht zerstört und unter Umständen ein Massensterben ausgelöst. Das war aber ja nicht der Fall; stattdessen konnte man das Ereignis nutzen, um mehr über den Neutronenstern herauszufinden. Eine genaue Analyse der abgegeben Strahlung zeigt, dass der Stern sehr schnell pulsiert haben muss; er hat geschwungen wie eine angeschlagene Glocke und anhand dieser Schwingungen konnte man zum Beispiel abschätzen, dass die äußere Kruste in diesem Fall knapp 1,5 Kilometer dick sein muss. Nicht jedes Sternbeben ist allerdings so stark wie dieses und die schwächeren Beben die wir registriert haben, haben nicht genug Informationen geliefert, um auch dort mehr über den Aufbau der Neutronensterne zu erfahren. Aber das Mega-Beben aus dem Jahr 2004 wird nicht das letzte gewesen sein. Und je mehr wir davon beobachten, desto eher finden wir heraus, was im Inneren der Neutronensterne passiert. Mit besseren Teleskopen, besseren theoretischen Modellen und ein wenig Glück finden wir vielleicht auch bei einem zukünftigen Beben einen Nachweis für freie Quarks im Kern der Neutronensterne. Das wäre dann eine wirklich tolle Entdeckung, denn mit dem, was wir auf der Erde bauen können, würden wir die für so einen Nachweis nötigen Energien niemals hinkriegen. Dafür müssen wir die viel gewaltigeren natürlichen Labore der Neutronensterne und ihrer Beben nutzen.
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Jun 30, 2023 • 9min

Sternengeschichten Folge 553: Warum ist der Himmel blau?

Und: Warum ist der Himmel manchmal nicht blau? Sternengeschichten Folge 553: Warum ist der Himmel blau? In dieser Folge der Sternengeschichten geht es um die Lichtstreuung. Wenn man noch nie davon gehört hat, dann klingt das Wort ziemlich harmlos. In der Physik meint man mit "Streuung" ganz allgemein einen Vorgang, bei dem ein Objekt durch die Wechselwirkung mit einem anderen Objekt abgelenkt wird. Wenn beim Fußball jemand eine Flanke annimmt und den Ball ins Tor kickt, dann ist das in gewissen Sinne auch nichts anderes als eine Streuung, in dem Fall eben die Streuung des Balls am Fuß. Aber um Fußball soll es heute nicht gehen und wir bleiben auch beim speziellen Fall, in dem Licht gestreut wird. Und keine Sorge, das reicht vollkommen um eine Folge der Sternengeschichten zu füllen. Licht kann an so gut wie allem gestreut werden und je nachdem, was ihm genau in die Quere kommt, können ganz unterschiedliche Phänomene entstehen. Fangen wir mit dem an, was wir in unserem Alltag quasi täglich sehen können, nämlich den Auswirkungen der sogenannten Rayleigh-Streuung. Formal handelt es sich dabei um die elastische Streuung elektromagnetischer Wellen an Teilchen, deren Durchmesser im Vergleich zur Wellenlänge der Strahlung klein ist. In der Praxis ist die Rayleigh-Streuung der Grund, warum der Himmel blau ist. Klären wir aber vorher nochmal das mit der "elastischen Streuung". Wenn ein Streuungsvorgang elastisch ist, dann ist die Bewegungsenergie vor dem Stoß genau so groß wie danach. Im Gegensatz zum "inelastischen Stoß" beziehungsweise der inelastischen Streuung, wo beim Streuungs- oder Stoßvorgang ein Teil der Bewegungsenergie in andere Energieformen umgewandelt werden kann, zum Beispiel in Wärme- oder Deformationsenergie. Wenn zum Beispiel ein Auto frontal gegen eine Mauer fährt, handelt es sich definitiv um einen inelastischen Stoß. Vor der Kollision hat das Auto eine gewisse Bewegungsenergie, die Mauer nicht. Danach stehen sowohl Auto als auch Mauer; die Summe der Bewegungsenergien hat sich also auf jeden Fall verändert. Man sieht aber auch sehr gut, wohin die Bewegungsenergie des Autos verschwunden ist: Sie hat dazu geführt, dass das Auto massiv verformt wurde und jetzt nur noch ein Schrotthaufen ist. In der Alltagswelt ist jeder Stoß ein inelastischer Stoß, aber wenn es um Atome und Elementarteilchen geht, dann gibt es dort durchaus auch elastische Stoßvorgänge, da eine bestimmte Mindestenergie benötigt wird, wenn man ein Atom anregen, also quasi aufwärmen will. Das liegt an der Quantenmechanik, die Energie nur in bestimmten Mengen zulässt, aber so weit ins Detail müssen wir jetzt gar nicht gehen. Bei der Rayleigh-Streuung haben wir es auf jeden Fall mit kleinen Teilchen zu tun; zum Beispiel mit den Atomen und Molekülen in der Luft. Die sind definitiv kleiner als die Wellenlänge von für unsere Augen sichtbarer elektromagnetischer Strahlung, also dem, was wir normalerweise als "Licht" bezeichnen. Es geht also um die Frage, was passiert, wenn Licht sich durch die Erdatmosphäre bewegt. Licht ist Energie und zwar um so mehr, je kleiner die Wellenlänge ist. Rotes Licht enthält also weniger Energie als das blaue Licht mit seiner kürzeren Wellenlänge. Mit dieser Energie kann das Licht nun die Elektronen anregen, die sich in den Hüllen der Atome der Luftmoleküle befinden. Wenn das passiert, dann verändert sich die Verteilung der Elektronen und damit auch ihre Position. Die Details würden jetzt zu weit führen, aber die schwingende Lichtwelle bringt, vereinfacht gesagt, auch die Elektronen der Moleküle zum Schwingen und damit dazu, selbst Strahlung auszusenden. Und es ist diese Strahlung, die wir dann als das gestreute Licht wahrnehmen. Wie das genau und in welchen Ausmaß das passiert, hängt vom sogenannten "Wirkungsquerschnitt" ab; vereinfacht gesagt ist das ein Maß für die Wahrscheinlichkeit der Wechselwirkung zwischen dem Licht und einem Teilchen. Bei der Rayleigh-Streuung hängt der Wirkungsquerschnitt von der Wellenlänge ab. Je kürzer die Wellenlänge, desto stärker die Streuung. Oder anders gesagt: Blaues Licht wird circa 16 mal stärker gestreut als rotes Licht. Das ist der Grund für den blauen Himmel: Hätte wir keine Atmosphäre, wäre der Himmel immer schwarz, so wie in der Nacht. Dann würde das weiße Sonnenlicht einfach ungehindert auf die Erde fallen und wir würden zwar die helle Sonne am Himmel sehen, aber dort wo die Sonne nicht ist, wäre es einfach nur schwarz. Aber weil wir eine Atmosphäre haben, wird das Sonnenlicht gestreut, sobald sie darauf trifft. Untertags steht sie, zumindest in den meisten Gegenden der Welt, hoch am Himmel. Der Weg des Lichts durch die Atmosphäre ist also vergleichsweise kurz und es bleibt nicht so viel Zeit für das Licht, an den Molekülen der Luft gestreut zu werden. Deswegen wird vor allem der Anteil des Sonnenlichts gestreut, bei dem der Wirkungsquerschnitt groß ist: Das blaue Licht. Es breitet sich also durch die Streuung in alle Richtungen aus und wir sehen den gesamten Himmel bläulich eingefärbt. Anders ist es, wenn die Sonne sehr tief steht, also in der Morgen- oder Abenddämmerung. Jetzt muss das Licht einen langen Weg durch die Atmosphäre zurücklegen. Jetzt wird sehr viel Licht gestreut und wieder sehr viel blaues Licht. So viel, dass der blaue Anteil des Sonnenlichts zu einem großen Teil seitlich wegstreut ist, bevor der Rest in unseren Augen ankommt. Dieser Rest besteht dann vor allem aus den rötlichen/gelblichen Anteilen und sorgt für die schönen Sonnenauf- und untergänge. Jetzt wird der eine oder die andere einwerfen wollen, dass der Himmel doch bitte nicht immer blau ist. Manchmal schaut man aus dem Fenster und sieht nur eine trübe, grau-weißliche Suppe und keinen klaren, blauen Himmel. Das stimmt, und dafür ist ein anderer Streuungs-Vorgang verantwortlich, nämlich die sogenannte "Mie-Streuung". Die findet statt, wenn die Teilchen an denen das Licht gestreut wird, keine kleinen Moleküle oder Atome sind, sondern größer - ungefähr so groß wie die Wellenlänge des Lichts selbst. Das können zum Beispiel kleine, feine Wasserströpfchen sein. Oder Staub- und Rußpartikel. In diesem Fall hängt das Ausmaß der Streuung kaum von der Wellenlänge des Lichts ab. Alle Farben werden annähernd gleich stark gestreut und das weißliche Sonnenlicht verteilt sich ebenso weißlich über den ganzen Himmel. Das ist auch der Grund, warum Wolken weiß erscheinen, denn die sind ja nichts anderes, als große Ansammlungen feiner Wassertropfen, die über den Himmel schweben. Und wenn die Luft sehr feucht ist, ist der ganze Himmel trüb. Die Mie-Streuung kann man auch nachts beobachten, wenn sich um den hell leuchtenden Mond herum ein nebelartiger Lichthof bildet. Auch das liegt am Wasser in der Luft und ein Mond mit Hof ist daher ein Anzeichen für nahendes Schlechtwetter. Etwas erfreulicher ist die Mie-Streuung zu sehen, wenn man es mit dem Tyndall-Effekt zu tun hat. Man kennt das: Man spaziert zum Beispiel durch den Wald und das Sonnenlicht bildete wunderschöne Strahlen, die durch das Blätterdach fallen. Auch hier ist der Grund die Streuung des Lichts an Staub- oder Wasserpartikeln. Ein Teil des Sonnenlichts wird dadurch seitlich aus dem Strahl heraus gestreut, weswegen wir ihn auch von der Seite aus sehen können. Es gibt noch jede Menge andere Arten der Lichtstreuung. Zum Beispiel all die Fälle, wo Licht nicht an Atomen, Molekülen oder Partikeln gestreut wird, sondern an Elementarteilchen wie Elektronen. Und es muss ja auch nicht immer nur für unsere Augen sichtbares Licht sein; gestreut werden kann jede Art der elektromagnetischen Strahlung, auch Röntgenstrahlung, Radiostrahlung, und so weiter. Es ist sogar möglich, dass Licht an Licht gestreut wird. Das klingt seltsam, denn was soll da der Grund sein? Der Grund ist in dem Fall die Quantenmechanik und die Tatsache, dass es Quantenfluktuationen gibt, die kurzfristig Teilchen hervorbringen, die dann aber gleich wieder verschwinden. Die spielen in der Alltagswelt keine Rolle, sorgen aber dafür, dass Licht sogar an Licht gestreut werden. Diese Art der Streuung spielt sogar eine Rolle in der Astronomie - aber das ist eine so lange Geschichte, dass ich sie mir lieber für eine andere Folge aufhebe. Lichtstreuung ist eben tatsächlich ein sehr vielfältiges Problem und es kann sehr viel passieren, wenn man dem Licht in die Quere kommt.
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Jun 23, 2023 • 11min

Sternengeschichten Folge 552: Der Stickstoff der Erdatmosphäre

Kein Sauerstoff aber trotzdem wichtig Sternengeschichten Folge 552: Der Stickstoff der Erdatmosphäre Die Atmosphäre der Erde besteht fast komplett aus Stickstoff und Sauerstoff. Stickstoff macht dabei die überwiegende Mehrheit aus; 78 Prozent der Luft bestehen aus diesem Element. 21 Prozent sind Sauerstoff und dann ist da noch ein bisschen Argon, Kohlendioxid und andere Gase in sehr geringen Mengen. Den Sauerstoff brauchen wir dringend zum Überleben, aber auch der Stickstoff ist wichtig. Und die Frage seiner Herkunft ist durchaus spannend. Wie ist die Erde eigentlich dazu gekommen, von einer Atmosphäre mit so viel Stickstoff umgeben zu sein? Während die Erde entstanden ist, vor circa 4,6 Milliarden Jahren, hatte sie noch keine Atmosphäre im eigentlich Sinn. Sie ist, so wie die anderen Planeten, aus einer großen kosmischen Wolke voll Gas und Staub entstanden. Beziehungsweise: Die Sonne ist aus so einer Wolke entstanden und die Planeten aus dem Zeug, dass dann noch übrig war. So oder so: Diese kosmischen Wolken bestehen fast völlig aus den beiden häufigsten Elementen im Universum, aus Wasserstoff und Helium. Und das waren auch die beiden Gase, die die noch in Entstehung begriffene Erde in ihrer Uratmosphäre gehabt habt. Diese Wasserstoff-Helium-Atmosphäre hat sie aber nicht festhalten können. Einerseits, weil diese beiden Atome die leichtesten chemischen Elemente und daher auch sehr flüchtig sind. Es braucht mehr Masse und mehr Anziehungskraft als die Erde hat, um sie dauerhaft halten zu können. Und andererseits war die junge Sonne noch sehr hell, heiß und aktiv und mit ihrer starken Strahlung und ihren starken Sternwinden hat sie die Uratmosphäre der Erde wie ein Sandstrahler abgetragen und wieder ins All gepustet. Die junge Erde war auch extrem heiß, quasi komplett aufgeschmolzen und es hat ein wenig gedauert, bis sie einigermaßen fest geworden ist. Ihre nächste Atmosphäre hat sie aus den Gasen bekommen, die durch Vulkanismus und andere geologische Vorgänge aus ihrem Inneren ausgegast sind. Das war vor allem sehr viel Kohlendioxid, aber auch Methan, Stickstoff und Wasserdampf. Es hat über eine Milliarde Jahre gedauert, bis die Erde so weit abgekühlt war, dass flüssiges Wasser dauerhaft auf ihrer Oberfläche existieren konnte. Und dann hat es erst mal geregnet; der ganze Wasserdampf aus der Atmosphäre regnet runter und regnet und regnet und regnet - ein paar Millionen Jahre lang. Dieser Regen hat das meiste Kohlendioxid aus der Atmosphäre entfernt und auch die meisten anderen Gase, bis auf den Stickstoff. Der ist nämlich ein sogenanntes "Inertgas", also ein Gas, das sich nur sehr widerwillig an chemischen Reaktionen beteiligt. Er hat also so gut wie kaum an irgendwelchen chemischen Reaktionen in der Atmosphäre teilgenommen und ist daher auch zum größten Teil dort geblieben. Stickstoff hat außerdem keine große Lust, ins Gestein der Erde eingebunden zu werden, im Gegensatz beispielsweise zu Sauerstoff. Der Stickstoff bleibt also einfach in der Atmosphäre und sammelt sich dort an. Genau deswegen haben wir so viel davon und dass wir neben dem Stickstoff auch noch einen relevanten Anteil an Sauerstoff in der Atmosphäre haben, liegt am Leben auf der Erde. Ich habe davon ja schon in Folge 171 erzählt: Vor circa 3,5 Milliarden Jahren haben ein paar der damals existierenden Mikroorganismen angefangen, Photosynthese zu betreiben und dabei Sauerstoff zu produzieren. Das Gas hat sich immer weiter angereichert, zuerst im Meer und dann in der Atmosphäre. So ist im Laufe der Zeit die Luft entstanden, die wir heute atmen: Hauptsächlich Stickstoff und ein bisschen Sauerstoff. Was aber immer noch nicht erklärt, wo der Stickstoff ursprünglich hergekommen ist. Dazu müssen wir noch mal zurück in die Zeit, als die Planeten entstanden sind. Beziehungsweise noch ein wenig weiter zurück. Beim Urknall selbst, vor 13,8 Milliarden Jahren, gab es noch keinen Stickstoff; damals entstanden nur Wasserstoff und Helium. Aber Stickstoff gehört zu den chemischen Elementen, die durch Kernfusionsprozesse im Inneren von Sternen entstehen können. Als die ersten Sterne des Universums ihr Leben beendet haben, haben sie ihre Innereien bei Supernova-Explosionen im All verteilt und in den kosmischen Wolken, die zuvor nur aus Wasserstoff und Helium bestanden haben, haben sich nun langsam auch andere Elemente angereichert. Die Wolke, aus der sich die Sonne gebildet hat, hat also schon Stickstoff, Sauerstoff und jede Menge andere Atomsorten enthalten. Immer noch sehr, sehr wenig im Vergleich zur Menge von Wasserstoff und Helium, aber immerhin. Dann ist die Sonne entstanden und aus dem übrig gebliebenen Material hat sich eine Scheibe aus Gas und Staub um sie herum gebildet. In dieser Scheibe hat sich das ganze Zeug immer weiter zusammengeklumpt; es sind Felsbrocken entstanden, die immer größer geworden sind und irgendwann haben sich aus all diesen Brocken die Planeten gebildet. Der Stickstoff war Teil dieser Brocken und ist so auch auf die Erde gekommen. Von den ersten Sternen in die kosmische Wolke aus der sich die Sonne gebildet hat, von dort ins Baumaterial der Erde und dann aus ihrem Inneren hinaus in die Atmosphäre: Das ist der Weg des Stickstoffs, aber die Sache ist natürlich ein wenig komplizierter als diese kurze Beschreibung. Vor allem beschäftigt die Forschung die Frage, aus welchen Regionen des sehr jungen Sonnensystems die Erde ihren Stickstoff bekommen hat. Fangen wir mal mit der trivialen Feststellung an, dass es näher an der Sonne wärmer ist als weiter von ihr entfernt. Flüchtige Stoffe, wie Wasserstoff, Sauerstoff, oder eben auch Stickstoff können in dieser Umgebung nur in Form von Gas existieren und nicht kondensieren, also Feststoffe bilden bzw. Teil von Feststoffen sein. Das geht nur weiter draußen im Sonnensystem, ungefähr hinter der Bahn des Jupiters. Dort ist es kühl genug. In der Nähe der Sonne gibts also jede Menge Staub mit nur sehr wenigen flüchtige Gasen wie Stickstoff. Weiter draußen dagegen gibt es sehr viel mehr. Sonnennahe Planeten wie die Erde haben sich also aus Brocken gebildet, die kaum Stickstoff enthalten, was bedeutet, dass der Stickstoff erst später dazu gekommen sein muss; durch Asteroiden und Kometen die im äußeren Sonnensystem entstanden und dann auf der Erde eingeschlagen sind. Das jedenfalls war das Bild, dass man lange Zeit von der Situation gehabt hat. Im Jahr 2021 fand man dann aber heraus, dass alles noch ein wenig komplizierter ist. Wenn man sich den Stickstoff ansieht, den man in Meteoriten findet, ist es nämlich nicht immer die selbe Art. Atome können in unterschiedlichen Varianten existieren; je nachdem wie viele Neutronen sie in ihrem Kern haben. Der Atomkern eines Stickstoffatoms muss immer sieben Protonen haben, sonst ist es kein Stickstoff. Die Zahl der elektrisch ungeladenen Neutronen kann aber variieren. In 99 von 100 Fällen sind es sieben Neutronen, es können aber auch acht sein (und theoretisch auch andere Variationen, aber die sind nicht stabil und spielen für unsere Überlegungen jetzt keine Rolle). Die normale Varianten von Stickstoff mit je sieben Protonen und Neutronen nennt man Stickstoff-14 und es ist klar, dass dieses Atom ein bisschen leichter als der Stickstoff-15, der ein Neutron mehr im Kern hat. Dadurch kann man die beiden unterscheiden und man hat herausgefunden, dass Meteoriten die aus dem inneren Sonnensystem stammen nicht nur generell sehr viel weniger Stickstoff enthalten als die aus dem äußeren Sonnensystem, sondern im Vergleich zum Stickstoff-14 auch weniger Stickstoff-15. Oder anders gesagt: Das Verhältnis von Stickstoff-14 zu Stickstoff-15 unterscheidet sich, je nachdem ob die Meteoriten nahe an der Sonne entstanden sind oder weiter weg. Jetzt könnte man sich das entsprechende Verhältnis beim Stickstoff auf der Erde ansehen und würde eigentlich erwarten, dass es dem Verhältnis entspricht, das wir von den Objekten im äußeren Sonnensystem kennen. Denn von dort stammen ja, wie ich gerade erklärt habe, die Himmelskörper, die den Stickstoff auf die Erde gebracht haben. Die Daten haben gezeigt, dass das nicht so ist. Die Erde muss ihren Stickstoff sowohl von sonnennahen als auch von sonnenfernen Objekten bekommen. Es lief also vermutlich so ab: Im inneren Sonnensystem konnte sich der Stickstoff in Form diverser organischer Verbindungen halten und wurde Teil des Baumaterials der Planeten. Der Sonnenwind, also das Material, das die Sonne aus ihren äußeren Schichten ins All schleudert, enthält ebenfalls kleine Mengen an Stickstoff, aber mit einem geringen Anteil an Stickstoff-15. Das führt dazu, dass sich nahe an der Sonne Objekte bilden, die arm an Stickstoff-15 sind im Vergleich zum äußeren Sonnensystem. Wir bekommen also eine Zweiteilung, was das Baumaterial angeht und erst später hat sich das alles ein wenig vermischt, als durch die gravitativen Störungen des Jupiters immer mehr Asteroiden und Kometen aus dem äußeren Sonnensystem ins innere Sonnensystem gelangt sind. Die Erde hat sich bei ihrer Enstehung aus dem sonnennahen Reservoir bedient, das arm an Stickstoff-15 ist und später kam dann das Stickstoff-15-reiche Material aus dem äußeren Sonnensystem dazu. Die Erkenntnis, dass auch nahe an einem Stern zumindest gewisse Mengen Stickstoff im Baumaterial für Planeten existieren, ist interessant. Denn nicht jedes Planetensystem hat einen großen Jupiter in der Mitte sitzen, der durch seine Gravitation Material von außen nach innen transportiert. Aber, wie wir jetzt wissen, auch wenn ein Planet nur aus sternnahen Material entsteht, ist Stickstoff vorhanden. Was sehr praktisch ist, wenn wir auf der Suche nach lebensfreundlichen Planeten sind. Denn Stickstoff ist enorm wichtig für das Leben auf der Erde. Er ist Bestandteil der Proteine, also den Moleküle, aus denen wir Lebewesen quasi bestehen. Wir müssen, so wie alle anderen Lebewesen auch, Stickstoff mit unserer Nahrung aufnehmen und es braucht einen komplette Stickstoffkreislauf, damit Leben auf der Erde existieren kann. Aber das ist eigentlich schon wieder eine ganz andere Geschichte…
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Jun 16, 2023 • 14min

Sternengeschichten Folge 551: Marietta Blau und die Zertrümmerungssterne

Revolutionäre Forschung ohne Anerkennung Sternengeschichten Folge 551: Marietta Blau und die Zertrümmerungssterne In der heutigen Folge geht es unter anderem um "Zertrümmerungssterne". Das klingt astronomisch, immerhin kommt das Wort "Sterne" darin vor. Und es hat auch mit Astronomie zu tun, nur etwas anders als man denkt. Wir fangen aber nicht mit Sternen an, sondern mit Marietta Blau. Sie wurde am 29. April 1894 in Wien geboren. Sie wuchs in einer wohlhabenden und gebildeten Familie auf, ihr Vater war Jurist und Musikverleger, und Marietta konnte die Matura abschließen und ab 1914 an der Universität Wien ein Studium beginnen. Sie entschied sich für Physik und Mathematik und schloss 1919 ihre Doktorarbeit am Institut für Radiumforschung ab. Da wurde nicht nur Radium erforscht; es war eine Forschungseinrichtung zur Untersuchung der Radioaktivität - die erste der Welt übrigens. Radioaktivität wurde erst 1896 entdeckt; das Element Radium entdeckten Marie und Pierre Curie erst 1898 und dieses neue physikalische Phänomen hat damals die Welt der Wissenschaft enorm interessiert. So sehr, dass man in Wien 1910 ein eigenes Institut gegründet hat und der erste Leiter diese Instituts für Radiumforschung in Wien war der Physiker Stefan Meyer. Er war Assistent von Victor Franz Hess und wer sich noch an Folge 317 erinnert, wird wissen, dass Hess die kosmische Strahlung entdeckt hat. Dazu kommen wir aber später noch einmal. Marietta Blau jedenfalls hat sich auch für Radioaktivität interessiert und unter der Betreuung von Stefan Meyer eine Dissertation mit dem Titel "Über die Absorption divergenter Gammastrahlung" geschrieben; sich also mit der hochenergetischen radioaktiven Strahlung beschäftigt. Ihr Doktoratsstudium konnte sie beenden; immerhin. Das war damals für Frauen nicht normal und dass Frauen überhaupt erst zum Studium zugelassen waren, war zu Blaus Zeiten noch nicht so lange her. Und dass eine Frau nach ihrem Studium an einer Universität forscht, war in Österreich damals auch nicht vorgesehen. Blau konnte also keine akademische Laufbahn einschlagen und ging nach Berlin, um dort in einer Fabrik für Röntgenröhren zu arbeiten. 1921 bekam sie eine Anstellung als Assistentin an der Universität in Frankfurt am Main, wo sie den Ärzten die physikalischen Grundlagen der Radiologie beigebracht hat; ihnen also erklärt hat, wie Röntgenstrahlung funktioniert und wie man sie für medizinische Zwecke einsetzen kann. Dieser Schritt war wichtig für ihre Karriere, denn dort musste sie sich nicht nur mit der Physik der Radioaktivität beschäftigen, sondern auch mit Fotografie. In der Medizin geht es ja darum, Röntgenbilder zu machen und das ging damals selbstverständlich noch analog. Man hatte also Photoplatten, die mit bestimmten chemischen Substanzen bestrichen waren, die auf Licht oder eben auf radioaktive Strahlung reagieren und so ein Bild erzeugen können. Als 1923 die Mutter von Marietta Blau sehr krank wurde, ging sie wieder zurück nach Wien und nahm eine unbezahlte Arbeitsstelle am Institut für Radiumforschung an. Für ihren Lebensunterhalt musste sie selbst sorgen, was sie aber nicht davon abhielt, ihrer Forschung nachzugehen. Marietta Blau hat damals probiert, die Photoplatten als Nachweismethode für atomare und subatomare Teilchen zu nutzen. Wenn man damals Radioaktivität nachweisen wollte, dann hat man meistens sogenannte "Szintillationszähler" benutzt. Der funktioniert, vereinfacht gesagt, mit einem Stück Material, dass einen kleinen Lichtblitz erzeugt, wenn energiereiche Strahlung darauf trifft. Diese sehr schwachen Blitze konnte man dann zählen und aus ihrer Häufigkeit auf die Art der eintreffenden Strahlung schließen beziehungsweise auf die Existenz der Teilchen, die die Strahlung erzeugt haben. Das war mühsam und fehleranfällig. Eine andere Methode ist die "Nebelkammer", von der ich in Folge 510 ausführlich erzählt habe. Hier beobachtet man winzige, künstliche Wolken, die in einer speziellen Umgebung in einem Messgerät erzeugt werden, wenn radioaktive Strahlung oder entsprechende Teilchen durchsausen. Auch das war nicht einfach, vor allem, wenn man dauerhafte Aufzeichnungen haben wollte. Marietta Blau hat deswegen begonnen, mit Photoemulsionen zu experimentieren. Gemeinsam mit ihrer Assistentin Hertha Wambacher testete sie verschiedene chemische Substanzen, tauschte sich mit den Firmen aus, die fotografische Filme hergestellt haben, hat an der Zusammensetzung, der Dicke der Schichten, und so weiter gefeilt bis sie am Ende eine Methode hatte, bei der man mit den Photoplatten tatsächlich die Spuren von Teilchen "sehen" konnte. Die chemische Schicht, die Emulsion, muss dabei besonders gleichmäßig sein, nicht zu dick und nicht zu dünn, aber wenn alles passt, dann kann man dort die Spuren von Teilchen sehen, die zum Beispiel bei radioaktiven Zerfallsprozessen erzeugt werden. Wenn diese Teilchen auf die Photoplatten treffen, erzeugen sie dort eine chemische Reaktion und entsprechende Spuren, die - wie ein normales Foto - entwickelt und fixiert werden können. Aus der Länge, der Dicke und der Form der Spuren kann man rekonstruieren, um welches Teilchen es sich gehandelt hat. Blau und Wambacher konnten so die Spuren von Alpha-Teilchen identifizieren, also der niederenergetischen radioaktiven Strahlung; sie konnten Protonen finden, die Bausteine der Atomkerne, und sogar die elektrisch ungeladenen Neutronen nachweisen. Diese Teilchen wurden erst 1932 entdeckt und nur ein paar Monate nachdem die Entdeckung bekannt gegeben wurde, konnten Blau und Wambacher die Neutronen auch mit ihrer Methode finden. Dass es sich bei dieser Arbeit nicht einfach nur um eine Spielerei handelt, zeigt die Verleihung des Haitinger-Preises den die Akademie der Wissenschaft im Jahr 1936 an die beiden Frauen verlieh. 1937 wurde es dann richtig spannend. Blau und Wambacher platzierten ihre Photoplatten am Hafelekar in Tirol. 2300 Meter über dem Meer; hoch über Innsbruck, platzierten sie ihre Platten um damit die kosmische Strahlung nachzuweisen. Jetzt sind wir wieder bei Victor Hess. Der hat 1912 entdeckt, dass aus dem Weltall ständig jede Menge radioaktive Strahlung auf die Erde trifft. Diese kosmische Strahlung wird von der Sonne, aber auch von allen anderen Sternen und diversen anderen Prozessen im All erzeugt. Zum Glück schützt uns die Atmosphäre der Erde und auch das Magnetfeld vor dem Großteil der Strahlung. Aber je höher man sich befindet, desto mehr kommt noch durch. Tatsächlich konnten Blau und Wambacher die kosmische Strahlung mit ihrer Methode sehen: Sie sahen "Zertrümmerungsterne". Also Spuren auf ihren Platten, bei der von einem Punkt sternförmig jede Menge Linie ausgingen. Damit so etwas entstehen kann, muss ein sehr hochenergetisches Teilchen kommen, auf die Photoplatte treffen, wo es dann eines der Atome der chemischen Emulsion "zertrümmert", also Protonen und Neutronen aus dem Atomkern rausschlägt, die dann selbst wieder neue Kernreaktionen auslösen können. So kriegt man die sternförmigen Spuren und der "Zertrümmerungsstern" war ein Beleg für die durch die kosmische Strahlung ausgelösten Kernreaktionen; das, was man heute mit dem Fachbegriff "Spallation" bezeichnet. Die Spallation durch kosmische Strahlung ist ein spannender und wichtiger Prozess; sie ist zum Beispiel der einzige Weg, wie das chemische Element Bor entstehen kann. Durch Kernfusion, also die Verschmelzung von kleineren Atomkernen zu größeren beziehungsweise durch Kernspaltung größerer Kerne in kleinere geht das nicht; dafür hat Bor nicht die passende Anzahl an Protonen im Kern. Aber wenn kosmische Strahlung auf die richtigen Materialien trifft, kann sie genau die richtigen Atomkernbausteine raushauen, damit am Ende Bor-Atome übrig bleiben. Bor ist ein wichtiges Element für uns Menschen; wir brauchen es für unsere Knochen und die Funktion des Gehirns. Nicht viel, aber wenn es nicht da ist, dann fehlt es uns. Und der Prozess, der dieses Element erzeugt, ist genau der, den Blau und ihre Assistentin Wambacher nachweisen konnten. Mit diesen Forschungsergebnissen wäre es normalerweise kein Problem gewesen, eine Professur und eine fixe Stelle an einer Universität zu bekommen. Aber nicht im Jahr 1937; nicht in Österreich und nicht wenn man eine Frau ist und noch dazu aus einer jüdischen Familie kommt. Blau und Wambacher bekamen noch den Lieben-Preis der Akademie der Wissenschaften verliehen und ein Jahr später musste Blau das Land verlassen (Wambacher übrigens konnte bleiben; sie war keine Jüdin und hatte sich mit den Nationalsozialisten arrangiert). Nach einem kurzen Zwischenstopp in Oslo landete sie in Mexiko, wo sie durch Vermittlung von Albert Einstein einen Job als Lehrerin an einer höheren Schule für Ingenieure bekam. Nebenbei forschte sie noch ein wenig; bastelte sich selbst Messgeräte, nutzte dann aber die erste Gelegenheit, um in die USA zu übersiedeln. 1944 bekam sie dort einen Job in der Wirtschaft, später dann endlich wieder eine wissenschaftliche Stelle an der Columbia University in New York. Ab 1948 beschäftigte sie sich dort mit der Datenauswertung von Teilchenbeschleunigern; wurde 1950 auch amerikanische Staatsbürgerin. 1950 schließlich wurde der Nobelpreis für Physik verliehen und zwar "für die Entwicklung der photografischen Methode zur Untersuchung von nuklearen Prozessen". Allerdings nicht an Marietta Blau, sondern an den britischen Physiker Cecil Powell. Er hat die Methode von Blau und Wambacher für seine Forschung genutzt und damit ein paar Teilchen nachweisen können, die bis dahin noch nicht nachweisbar waren. Den Nobelpreis bekam er auch für diesen Nachweis, aber eben auch explizit für die Entwicklung der Methode mit den Photoplatten. Dass Blau den Nobelpreis nicht erhalten hat, ist einer der großen Fehler des Nobelpreiskomitees. Blau (und Wambacher) wurden sogar von Erwin Schrödinger für den Nobelpreis vorgeschlagen; der Preis wurde aber trotzdem nur an Cecil Powell verliehen und der hat es geschafft, in seiner Nobelpreisrede kein einziges Mal den Namen "Marietta Blau" zu erwähnen. Marietta Blau bekam 1956 eine Stelle als Professorin an der Universität von Miami, kehrte aber dennoch 1960 nach Österreich zurück (Wambacher starb schon 1950). Sie begann dort wieder am Institut für Radiumforschung zu arbeiten; sie leitete eine Arbeitsgruppe an der Daten des europäischen Kernforschungszentrums CERN ausgewertet wurden und betreute Doktorarbeiten. Aber, hat sich das Institut wohl gedacht, wir haben die Frau nicht bezahlt als sie vor dem Krieg hier gearbeitet hat, warum also sollen wir sie jetzt bezahlen? Die Stelle von Blau war unbezahlt und die Akademie der Wissenschaft verlieh ihr 1962 zwar einen weiteren Preis - den Erwin Schrödinger-Preis für ihr Lebenswerk - ging aber nicht so weit, sie in die Akademie aufzunehmen. Mariette Blau starb im Jahr 1970 in Wien, an Krebs und völlig verarmt. Keine wissenschaftliche Zeitschrift hielt es damals für notwendig, einen Nachruf auf sie zu verfassen. Und selbst heute ist ihr Name nicht so bekannt, wie er es sein sollte. Noch im Jahr 2012 ist, anlässlich des hundertsten Jubiläums der Entdeckung der kosmischen Strahlung, eine lange Arbeit erschienen, in der die Entwicklung der entsprechenden Forschung von damals bis heute dargestellt wurde, allerdings ebenfalls unter Auslassung des Beitrags von Blau und Wambacher. Immerhin: Im Jahr 2004 hat die Stadt Wien eine Straße nach ihr benannt; in ihrer ehemaligen Schule hängt eine Gedenktafel und ein Hörsaal der Universität Wien trägt ihren Namen. Angesichts dessen, was sie in der Wissenschaft geleistet hat, ist das aber ohne jeden Zweifel viel zu wenig.
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Jun 9, 2023 • 12min

Sternengeschichten 550: Kugelblitz - Ein schwarzes Loch aus Licht

Science-Fiction trifft Wissenschaft Sternengeschichten 550: Kugelblitz - Ein schwarzes Loch aus Licht Wenn ich in dieser Folge der Sternengeschichten über "Kugelblitze" rede, dann meine ich nicht das, was man vielleicht normalerweise darunter versteht (sofern man darunter überhaupt etwas versteht). Ich meine also nicht die kugelförmigen Leuchterscheinungen, die Menschen immer wieder in der Nähe von Gewittern sehen und bei denen man noch nicht letztgültig weiß, um was es sich handelt beziehungsweise ob sie überhaupt existieren oder nur eine Sinnestäuschung sind. Die Kugelblitze von denen ich heute erzählen möchte, sind etwas völlig anderes. Es geht um Quantenmechanik und um Relativitätstheorie und das erste Mal, dass der Begriff "Kugelblitz" in diesem Zusammenhang aufgetaucht ist, war vermutlich in einer wissenschaftlichen Arbeit aus dem Jahr 1954. Autor war der amerikanische Physiker John Wheeler, einer der Pioniere bei der Erforschung schwarzer Löcher. Und damit stecken wir auch schon mitten im Thema. Oder vielleicht sollte man besser sagen: Die schwarzen Löcher stecken mitten in den Kugeblitzen. Aber bevor es zu verwirrend wird, fangen wir mit etwas anderem an. Und zwar mit einem "Geon". Das war auch der Titel der Arbeit von John Wheeler aus dem Jahr 1954: "Geon". Dieses Wort ist eine Abkürzung für "gravitational-electromagnetic entity". Also frei übersetzt, ein gravitativ-elektromagnetisches Dingens. Was Wheeler mit "Geon" genau meint, ist ohne den Einsatz von sehr viel theoretischer Physik und Mathematik schwer zu beschreiben. Aber vereinfacht gesagt geht es um folgendes. Wenn man eine elektromagnetische Welle hat, dann steckt darin ja eine gewisse Menge an Energie. Und, das wissen wir dank Albert Einstein, Energie und Masse sind äquivalent, dass heißt, beides sind nur zwei unterschiedliche Ausprägungen des selben Phänomens und man kann das eine in das andere umwandeln. Insbesondere wissen wir aber auch, dass Masse die Raumzeit krümmt. Das war ja die große und geniale Erkenntnis die zu Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie geführt hat. Wenn Objekte bei ihrem Weg durch die Raumzeit ihrer Krümmung folgen, dann sieht das für uns so aus, als würde eine Kraft auf sie wirken und zwar genau die Kraft, die wir als Gravitation beschreiben. Oder kurz gesagt: Masse krümmt den Raum und deswegen hat jede Masse eine gewissen gravitative Anziehungskraft. Aber wenn Energie und Masse quasi das selbe sind, dann sollte Energie doch genau so die Raumzeit krümmen wie das eine Masse tut? Richtig, sagt Wheeler. Und wenn genug Energie in so einer elektromagnetischen Welle steckt, dann krümmt sie dadurch die Raumzeit vielleicht so, dass sie dadurch zusammengehalten wird. Es ist schwer, das genau zu beschreiben, aber die Energie die im elektromagnetischen Feld steckt, kann vielleicht so stark sein, dass die elektromagnetische Energie quasi in einem Stück Raum gefangen ist, weil sie durch die von ihr selbst erzeugte Gravitationskraft fest- oder zusammengehalten wird. Wenn das passiert, dann hat man genau so ein "gravitativ-elektromagnetisches Dingens", das Wheeler als "Geon" bezeichnet hat. In der Einleitung seiner Arbeit schreibt er auch, dass er sich das Wort ausgedacht hat, um den Begriff "Kugelblitz" zu ersetzen, der früher verwendet worden ist. Das mit dem Ersetzen hat nicht geklappt, aber heute wird "Kugelblitz" meistens für einen Spezifalfall eines Geons verwendet. Denn wir wissen ja, was passiert, wenn man ausreichend viel Masse auf ausreichend kleinem Raum packt: Dann wird die Anziehungskraft in der Umgebung der Masse so groß und die Raumzeit so stark gekrümmt, dass ein schwarzes Loch mit einem Ereignishorizont entsteht. Nähert man sich dieser Masse dann über den Ereignishorizont hinaus, bleibt man für immer dahinter gefangen. Wir können uns jetzt die gleiche Frage stellen wie vorhin: Wenn Masse und Energie das selbe sind, kann man dann nicht einfach auch sehr viel Energie in einem gewissen Raumbereich konzentrieren, um ein schwarzes Loch zu erzeugen? Genau das ist ein Kugelblitz! Wenn Strahlung - also Licht, Wärme oder was auch immer sonst - ausreichend stark konzentriert wird, dann krümmt die in dieser Strahlung enthaltene Energie die Raumzeit so stark, dass man ein schwarzes Loch bekommt. Die Strahlung ist dann in dem von ihr selbst geschaffenen Loch gefangen. Von außen betrachtet merkt man dann auch keinen Unterschied mehr; es spielt keine Rolle, ob das schwarze Loch aus einer Konzentration von Masse oder von Energie entstanden ist. Von außen ist alles hinter dem Ereignishorizont sowieso nicht zugänglich. Ein schwarzes Loch ist eine extreme Krümmung der Raumzeit und es ist egal, was der Ursprung dieser Krümmung ist. Jetzt stellt sich natürlich die Frage, warum uns dann so etwas wie ein Kugelblitz überhaupt interessiert. Wir können schwarze Löcher ja sowieso nur von außen untersuchen. Und wenn wir nicht erkennen können, ob es aus konzentrierter Strahlung oder konzentrierter Masse entstanden ist, dann kann es uns ja auch eigentlich wurscht sein. Das ist im Prinzip richtig - aber auch nicht ganz. Wheeler war unter anderem an dem Konzept interessiert, weil man damit zum Beispiel Elementarteilchen konstruieren könnte. Schwarze Löcher müssen ja keine gigantischen Massenmonster sein, wie die, die wir in den Zentren von Galaxien finden und die Millionen oder Milliarden mal schwerer sind als die Sonne. Es kommt nicht auf den absoluten Wert der Masse an (oder der Energie) sondern auf die Konzentration. Wenn man wenig Masse auf sehr, sehr, sehr kleinem Raum konzentriert, kriegt man genau so ein schwarzes Loch. Ich habe in Folge 471 ja schon von den winzigen primordialen schwarzen Löchern erzählt; schwarze Löcher, die kleiner als Atome sind. Sofern es sie gibt, denn das wissen wir noch nicht. Aber wenn es solche oder andere winzige schwarze Löcher gibt, dann schauen die für uns auf den ersten Blick wie Teilchen aus: Winzige Konzentrationen von Masse und Wheeler hat spekuliert, ob man nicht vielleicht die bekannten Elementarteilchen auf diese Weise erklären kann. Oder sogar Rückschlüsse auf noch unbekannte Teilchen ziehen kann. Ganz so einfach ist die Sache dann aber auch wieder nicht. Seit der Arbeit von Stephen Hawking wissen wir ja, dass schwarze Löcher nicht stabil sind. Sie erzeugen Hawking-Strahlung und wie das geht, habe ich in Folge 238 ausführlich erklärt. Auf jeden Fall verlieren sie dadurch im Laufe der Zeit Energie und Masse und haben sich irgendwann komplett aufgelöst. Die schwarzen Löcher, die wir kennen, also die, die aus sterbenden Sternen entstehen oder die, die sich in den Zentren von Galaxien befinden, brauchen dafür unvorstellbar lange. Aber kleine schwarze Löcher lösen sich sehr, sehr viel schneller auf. Ein kleines schwarzes Loch; ein kleiner Kugelblitz ist also ein Objekt, das sehr viel Energie abgibt, über einen mehr oder weniger langen Zeitraum, je nach seiner Masse. Womit wir bei einem weiteren Punkt sind, in dem die Kugelblitze die Fantasie der Forschung angeregt haben. Und nicht nur die der Forschung. Vielleicht erinnert sich jemand an die Folge von "Star Trek: Das nächste Jahrhundert" mit dem Titel "Gefangen in einem temporären Fragment"; die im Original nicht ganz so holprig "Timescape" heißt. Dabei treffen Captain Picard und seine Crew auf die Enterprise, die im Kampf mit einem romulanischen Schiff in der Zeit eingefroren zu sein scheint. Bei der Untersuchung des Vorfalls entdecken sie auch die Energiequelle des Romulaner-Raumschiffs: eine "künstliche Quantensingularität". Das klingt ein wenig technischer und realistischer als "winziges, selbst erzeugtes schwarzes Loch" oder "Mini-Kugelblitz", aber im Prinzip handelt es sich genau darum. Und auch die echte Forschung hat sich - zumindest theoretisch - überlegt, ob man einen Kugelblitz nicht als Antrieb für Raumschiffe verwenden kann. Dazu muss man so einen Kugelblitz natürlich erst mal herstellen. Oder nachweisen, dass es die Dinger überhaupt geben kann. Das wissen wir nämlich nicht. Man kann natürlich ausrechnen, wie viel Energie man braucht. Wenig überraschend: Sehr viel. Wenn man die dann entsprechend konzentriert, erzeugt man einen winzigen Bereich im Raum, in dem die Temperatur so absurd hoch ist, dass wir gar nicht wissen, ob es so eine hohe Tempertur überhaupt geben kann. Sie ist auf jeden Fall höher als die Temperaturen, die mit den derzeitigen wissenschaftlichen Theorien sinnvoll beschrieben werden können. Wir bräuchten eine Quantentheorie der Gravitation um korrekt zu beschreiben, was bei so absurd hohen Temperaturen wirklich passiert. Aber so eine Theorie haben wir nicht; wir können Gravitation nicht auf Elementarteilchenebene beschreiben und umgekehrt. Aber tun wir mal so, als könnte es solche Mini-Kugeblitze wirklich geben. Wie mini müssten sie sein, damit man sie für ein Raumschiff nutzen kann? Nicht zu klein, denn dann hätten sie sich durch die Hawking-Strahlung zu schnell aufgelöst. Und nicht zu groß, denn dann kann man im Raumschiff nichts damit anfangen und zu wenig Strahlung geben sie auch ab. Ein passender Kugelblitz wäre auf jeden Fall sehr viel kleiner als ein Proton, als einer der Atomkernbausteine. Hätte aber immer noch eine Masse von mehr als einer halben Million Tonnen und würde etwa 5 Jahre lang brauchen, bis es sich aufgelöst hat. So ein Kugelblitz würde eine Energie von 129 Petawatt abstrahlen, mehr als das 7000fache des jährlichen Energieverbrauchs der ganzen Menschheit. So ein Ding kann man jetzt natürlich nicht einfach irgendwo in ein Batteriefach stecken. Man muss die Strahlung die aus dem Kugelblitz kommt, irgendwie auffangen und nutzen. Die Strahlung ist hochenergetische Gammastrahlung und würde eine massive Platte aus Titan schmelzen, selbst wenn die noch gut 30 Kilometer entfernt ist. Um ein Raumschiff mit einem Kugelblitz betreiben zu können, müsste man also eine ausreichend dicke und große Absorperplatte in ausreichend großem Abstand platzieren, so dass sie von der Strahlung nicht zerstört, sondern quasi angeschoben wird. Oder man kann die Energie irgendwie anders auffangen und nutzen. Wenn man die Energie aus so einem Mini-Kugelblitz zu 100 Prozent nutzen könnte, könnte man selbst ein sehr großes Raumschiff in den 5 Jahren die der Kugelblitz existiert auf die Hälfte oder drei Viertel der Lichtgeschwindigkeit beschleunigen, je nachdem wie groß das Schiff tatsächlich ist. So oder so ist das aber alles mehr Science Fiction als Wissenschaft. Zumindest was die Raumschiffe angeht. Kugelblitze und Geonen sind Teil der theoretischen Physik und werden dort untersucht. Vielleicht finden wir irgendwann einmal raus, ob solche seltsamen Objekte im realen Universum tatsächlich existieren. Ob wir damit aber auch Raumschiffe antreiben werden oder nicht, bleibt wahrscheinlich noch etwas länger der eigenen Fantasie überlassen.
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Jun 2, 2023 • 10min

Sternengeschichten Folge 549: Der Asteroid Interamnia

Warum wissen wir nix darüber! Sternengeschichten Folge 549: Der Asteroid Interamnia Die heutige Folge der Sternengeschichte könnte ein wenig kürzer werden als üblich. Denn es geht um einen Himmelskörper, über den erstaunlich wenig bekannt ist, obwohl es eigentlich viel gäbe, was man darüber wissen wollen würde. Fangen wir also am besten mal mit etwas an, was wir wissen. Dem Geburtstag von Vincenzo Cerulli zum Beispiel. Der italienische Astronom wurde am 20. April 1859 geboren. Er baute sich seine eigene Sternwarte, 150 Kilometer von Rom entfernt, in Teramo. Dort beobachtete er unter anderem dem Mars und kam zu dem Schluss, dass die Marskanäle, über die zu der Zeit alle diskutierten, nur eine optische Täuschung sind. Was auch richtig war: Wie ich in Folge 404 der Sternengeschichten schon erzählt habe, gab es nie irgendwelche Bewässerungskanäle auf unserem Nachbarplaneten, die von Marsbewohnern angelegt wurden, auch wenn diverse prominente Astronomen des 19. Jahrhunderts behauptet haben, so etwas gesehen zu haben. Bei seinen Beobachtungen ging Cerulli aber auch etwas anderes ins telekopische Netz: Ein Asteroid. Die waren an der Wende zum 20. Jahrhundert keine große Sensation mehr. Man hatte schon ein paar hundert davon gefunden seit der erste von ihnen im Jahr 1801 entdeckt wurde (übrigens auch von einem Italiener). Dieser erste bekannte Asteroid war Ceres, der gleichzeitig auch der größte Asteroid im Hauptasteroidengürtel zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter ist. Ceres hat immerhin einen Durchmesser von 940 Kilometern. Im Jahr danach fand man den Asteroid Pallas, immerhin noch 511 Kilometer im Durchmesser; die in den folgenden Jahren entdeckten Asteroiden Juno und Vesta waren 254 und 525 Kilometer groß. Es kamen noch weitere dazu, alle um die 200 Kilometer groß; erst 1849 kam wieder ein größere Brocken: der Asteroid Hygiea mit 430 Kilometer Durchmesser. Heute sieht der Stand der Dinge so aus: Die vier größten Asteroiden sind Ceres, Vesta, Pallas und Hygiea. Dann kommt ein großer Haufen an Asteroiden, die einen Durchmesser zwischen 100 und 300 Kilometer haben. Aber dazwischen ist ist irgendwie eine Lücke. Es gibt nur zwei bekannte Asteroiden im Hauptgürtel mit einem Durchmesser zwischen 300 und 400 Kilometer. Der eine davon heißt "Europa", so wie der Jupitermond und der Kontinent und damit wir nicht durcheinander kommen, lassen wir den heute mal außen vor. Der andere ist mit einem Durchmesser von 322 Kilometer sowieso noch ein kleines Stück größer und der fünftgrößte Asteroid im Hauptgürtel. Es ist genau der Asteroid, der am 2. Oktober 1910 von Vincenzo Cerulli entdeckt wurde und wenn ich jetzt fragen würde, könnte vermutlich kaum jemand spontan seinen Namen nennen, oder? Beziehungsweise schon, weil ich den Namen ja schon in den Titel der Folge geschrieben habe: Es handelt sich um den Asteroid Interamnia, was der lateinische Name für die Stadt Teramo ist, wo Cerulli seine Sternwarte gebaut hat. Interamnia ist nicht nur der fünftgrößte sondern vermutlich auch der fünftmassereichste Asteroid des Hauptgürtels. Ceres ist auch hier an der Spitze, seine Masse macht ganze 39 Prozent der Masse aller Asteroiden dort aus. Dann kommt Vesta mit 11% der Masse des gesamten Asteroidengürtels. Pallas schafft noch 8,5 Prozent, Hygiea hat 3,6 Prozent und Interamnia immerhin noch 1,5 Prozent der Gesamtmasse des Asteroidengürtels. Es handelt sich also um einen durchaus relevanten Himmelskörper. Umso überraschender ist es, dass man so wenig von ihm hört. Zu Ceres und Vesta sind schon Raumsonden geflogen; wir haben die beiden großen Asteroiden aus der Nähe gesehen; sie umkreist, kartografiert, und so weiter. Pallas wurde ausführlich erforscht und selbst über Hygiea gibt es genug Wissen, um damit locker eine Folge der Sternengeschichten füllen zu können; Folge 387 wenn nochmal jemand nachhören möchte. Aber Interamnia? Es ist erstaunlich, wie wenig wir über diesen Asteroid wissen. Aber zumindest wissen wir ein bisschen was. Interamnia ist ein Asteroid vom F-Typ. Dabei geht es um eine Klassifikation von Asteroiden anhand ihrer spektralen Eigenschaften. Man beobachtet also das Licht, dass die Objekte von der Sonne reflektieren und spaltet es dann in seine Bestandteile auf. Je nach Material aus dem die Asteroiden bestehen, wird man dann sehen, dass bestimmte Farben fehlen. Je nachdem, ob da jetzt mehr rotes Licht reflektiert oder mehr blaues Licht, und so weiter, kann man herausfinden, woraus die Asteroiden bestehen und sie klassifizieren. Es gibt drei Obergruppen, die C-Typ-, die S-Typ- und die X-Typ-Asteroiden. C-Typ-Asteroiden sind am häufigsten, sie sind eher dunkle Objekte die aus kohlenstoffreichen Gestein bestehen. Circa drei Viertel aller Asteroiden lassen sich hier einordnen; S-Typ-Asteroiden sind mit einem Anteil von 17 Prozent am zweithäufigsten. Sie sind ein wenig heller und bestehen aus Silikaten. X-Typ-Asteroiden sind, vereinfacht gesagt, alle anderen die nicht in die beiden ersten Gruppen passen. Aber natürlich gibt es jede Menge Untergruppen. F-Typ-Asteroiden sind eine Untergruppe vom C-Typ; sie sind eher selten und Iteramnia ist der größte von ihnen. Der Asteroid hat einen mittleren Abstand zur Sonne von 3 Astronomischen Einheiten, ist also im Mittel dreimal weiter von der Sonne entfernt als die Erde. Seine Bahn weicht deutlich von einer Kreisbahn ab, am sonnennächsten Punkt kommt er unserem Stern auf bis zu 2,6 Astronomischen Einheiten nahe, am sonnenfernsten Punkt sind es 3,5 Astronomische Einheiten. Die Bahn ist außerdem um 17 Grad gegenüber der Erdbahn geneigt. Für eine Runde um die Sonne braucht der Asteroid 5 Jahre und 129 Tage und er rotiert außerdem mit einer Periode von 8 Stunden und 44 Minuten um seine eigene Achse. Wir haben Interamnia bis jetzt noch nicht aus der Nähe gesehen, die besten Aufnahmen stammen vom Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte. 2019 gab es ausführliche Beobachtungen damit, bei denen auch der Durchmesser auf 332 Kilometer festgelegt werden konnte. Die Dichte die aus den Daten bestimmt werden konnte, liegt bei 1,98 Gramm pro Kubikzentimeter. Das ist ein ähnlicher Wert wie bei Ceres und deutet darauf hin, dass Interamnia zu einen guten Teil aus Eis besteht. Die Bilder die man machen konnte, sind zwar nicht sonderlich detailreich, aber man erkennt zumindest keine Spuren irgendwelcher größere Krater oder Oberflächenstrukturen, was ebenfalls auf Eis hinweist. In Gestein überleben Krater wesentlich länger als auf einer Oberfläche aus Eis. Der Asteroid scheint auch eine sehr regelmäßige Form zu haben; er ist im wesentlichen ein Ellipsoid im hydrostatischen Gleichgewicht. Das soll folgendes heißen: Die Erde zum Beispiel ist ja nicht deswegen rund, weil sie exakt so entstanden ist. Sondern weil das eben die Form ist, die man kriegt, wenn man ausreichend viel Masse auf einen Haufen wirft. Wenn die Gravitationskraft dieser Masse groß genug ist, dann zieht sie sich unter ihrer eigenen Schwerkraft zu einer Form zusammen, die man in erster Näherung als Kugel beschreiben kann. Wenn diese Kugel dann auch noch um ihre eigene Achse rotiert, dann wird die Form ein wenig abgeplattet, um so stärker, je schneller sie rotiert. Nur kleine Objekte, die nicht genug Eigengravitation haben, können irreguläre Formen haben. Je nach Material kann man die Mindestgröße für das hydrostatische Gleichgewicht bei ein paar hundert Kilometer Durchmesser ansetzen; Interamnia zeigt, dass sie in diesem Fall aber unter 300 Kilometer liegen muss. Denn der Asteroid hat genau die Form, die ein Objekt mit einer Dichte von knapp 2 Gramm pro Kubikzentimeter haben sollte, wenn es sich unter seiner eigenen Schwerkraft verformt. Interamnia ist also nicht nur ein Asteroid, der von der Größe und der Masse her genau im Übergangsbereich zwischen den großen und den kleinen Asteroiden im Hauptgürtel steht. Sondern auch ein Objekt, dass genau im Übergangsbereich zwischen den eher größeren, sphärischen Himmelskörpern steht; den Planeten und Zwergplaneten wie Ceres und den irregulären kleinen Objekten; den typischen Asteroidenfelsbrocken mit ein paar Dutzend Kilometern Größe und irgendwelchen chaotischen Formen. Mit dieser Erkenntnis ist das Wissen über Interamnia im Wesentlichen auch schon wieder erschöpft. Wir wissen, dass es sich um einen faszinierenden Himmelskörper handeln muss, von dem wir viel über die Entstehung des Sonnensystems und die Beziehungen zwischen den verschiedenen Arten der großen und kleinen Objekte im Weltall lernen können. Aber uns fehlen mehr Daten. Das ist einerseits frustrierend. Andererseits ist es aber auch gut zu wissen, dass da draußen noch so viele tolle Forschungsobjekte existieren.

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