Sternengeschichten

Florian Freistetter
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Oct 13, 2023 • 10min

Sternengeschichten Folge 568: Schnellläufer auf der Flucht aus der Galaxis

Hypergeschwindigkeitssterne Sternengeschichten Folge 568: Schnellläufer auf der Flucht aus der Galaxis In der heutigen Folge der Sternengeschichten geht es um Schnellläufer. Aber wir werden natürlich nicht über Sport reden, sondern über Sterne. Mit dem etwas veralteten Wort "Schnellläufer" bezeichnet man Sterne, die sich sehr schnell bewegen. Und bevor wir anfangen können uns damit zu beschäftigen, müssen wir erstmal klären, was wir mit der Bewegung von Sternen eigentlich meinen. Es geht nicht um die scheinbare Bewegung der Sterne die wir im Lauf einer Nacht am Himmel beobachten können. Die sehen wir ja nur, weil die Erde sich um ihre Achse dreht; die Sterne selbst haben mit dieser Bewegung nichts zu tun. Sie bewegen sich aber und zwar annähernd kreisförmig um das Zentrum unserer Milchstraße. Das darf man sich nicht so vorstellen wie die Planeten, die sich auf elliptischen Bahnen um die Sonne bewegen; so regelmäßig ist die Bewegung der Sterne nicht. Im Gegensatz zum Sonnensystem ist der Großteil der Masse der Milchstraße ja nicht im Zentrum zu finden. Dort ist zwar ein sehr massereiches schwarzes Loch, dass circa vier Millionen mal mehr Masse hat als ein typischer Stern. Aber es gibt eben auch ein paar hundert Milliarden Sterne in der Milchstraße und dazwischen jede Menge kosmisches Gas, Staub und so weiter. Ein Stern spürt auf seinem Weg durch die Milchstraße also auch die Anziehungskräfte all dieser anderen Objekte sehr deutlich und seine Bahn ist daher tendenziell komplex und chaotisch, aber in erster Näherung bewegt er sich um das Zentrum der Milchstraße. Unsere Sonne braucht für eine Runde circa 200 Millionen Jahre, aber wenn ich von "schnellen Sternen" spreche, dann meine ich auch nicht unbedingt diese Art der Bewegung. Je nachdem, ob ein Stern näher am Zentrum ist oder weiter weg, bewegt er sich schneller oder langsamer rundherum; die Schnelligkeit der Schnellläufer hat aber nichts damit zu tun. Es geht um Sterne, die sich prinzipiell sehr schnell durch den Raum bewegen, unabhängig davon, ob sie nahe am Zentrum sind oder nicht. Und was bedeutet nun "schnell" in diesem Zusammenhang? Grob gesagt eine Geschwindigkeit die um 65 bis 100 Kilometer pro Sekunde schneller ist als die Geschwindigkeit, mit der sich die Sterne in der Umgebung bewegen. Ein Beispiel dafür ist Barnards Pfeilstern, von dem ich in Folge 150 mehr erzählt habe. Er bewegt sich in Bezug auf das Sonnensystem mit 140 Kilometer pro Sekunde und das ist schon ziemlich schnell. Wir wollen uns heute aber mit RICHTIG schnellen Sternen beschäftigen, die deswegen auch "hypervelocity stars" also "Hypergeschwindigkeitssterne" genannt werden. In Bezug auf das Zentrum der Milchstraße bewegen sich typische Sterne mit Geschwindigkeiten von ein paar 100 Kilometer pro Sekunde; die Sonne zum Beispiel mit gut 220 Kilometer pro Sekunde. Es gibt aber Sterne, die sich mit mehr als 1000 Kilometer pro Sekunde bewegen und genau um die soll es heute gehen. Dass es solche Sterne geben könnte, hat der amerikanische Astronom Jack Hills 1988 in einem Fachartikel erstmals vermutet. Seine Idee: Die Mehrheit der Sterne zieht nicht allein durch die Milchstraße sondern tut das als Teil eines Doppel- oder Mehrfachsternsystems. In den späten 1980er Jahren hat man schon sehr stark vermutet, dass sich im Zentrum der Milchstraße und den Zentren aller großen Galaxien enorm massereiche schwarze Löcher befinden, wie ich ja in Folge 455 ausführlich erzählt habe. Man war sich nicht absolut sicher, aber WENN da so ein Loch ist, dann kann es passieren, dass ein Doppelsternsystem auf seinem Weg durch die Galaxie in die Nähe dieses Lochs gelangt. Und dann wirkt die Gezeitenkraft: Auf den Stern, der dem schwarzen Loch näher ist, wirkt eine sehr viel stärkere Gravitationskraft als auf den, der ein Stückchen weiter weg ist. Das Paar wird auseinander gerissen, der nähere der beiden wird vom schwarzen Loch quasi eingefangen wird und beginnt, es zu umkreisen. Der andere Stern verliert dann plötzlich seinen Partner und wird hinaus ins All geschleudert. Das ist ein bisschen so wie beim Hammerwerfen: Zuerst drehen sich Mensch und Hammer gemeinsam im Kreis, aber sobald der Hammer losgelassen wird, saust er mit hoher Geschwindigkeit davon. Hill hat das alles durchgerechnet und kam zu dem Schluss, dass - je nach Masse des schwarzen Lochs - Sterne mit bis zu 4000 Kilometer pro Sekunde davon rasen könnten. Und würde man solche hypervelocity stars finden, dann wäre das ein ziemlich guter Beleg dafür, dass da wirklich ein supermassereiches schwarzes Loch im Zentrum unserer Galaxie sitzt. Im Jahr 2005 hat man - belegt durch sehr viele andere Beobachtungsdaten - schon längst keinen Zweifel mehr an der Existenz der supermassereichen schwarzen Löcher gehabt. Aber Jack Hills Vorhersage ist dennoch eingetreten: Warren Brown, Margaret Geller, Scott Kenyon und Michael Kurtz entdeckten einen Stern, der sich in Bezug auf das Zentrum der Milchstraße mit 853 Kilometer pro Sekunde bewegt. Das war zwar weniger als Hill prognostiziert hatte, aber die damals höchste beobachtete Geschwindigkeit für einen Stern in der Milchstraße. Und schnell genug, dass der Stern nicht mehr an die Milchstraße gebunden war. Das ist so wie bei den Raketen und der Erde. Die Gravitationskraft der Erde sorgt dafür, dass alles, was man nach oben wirft, wieder nach unten kommt. Nur wenn es schnell genug ist, kann es der Anziehungskraft der Erde dauerhaft entkommen und bei der Erde ist dafür eine Geschwindigkeit von über 11 Kilometer pro Sekunde nötig. Um der Anziehungskraft der gesamten Milchstraße zu entkommen, braucht man um die 500 Kilometer pro Sekunde. Es hängt natürlich davon ab, ob man sich nahe am Zentrum befindet, wo die meiste Masse ist oder weit außen, wo man nicht mehr so viel Anziehungskraft überwinden muss. Aber bevor es zu kompliziert wird, halten wir fest: Die Geschwindigkeit dieses Sterns war definitiv schnell genug, um sich dauerhaft von der Milchstraße entfernen zu können. Was der Stern mit der Bezeichnung SDSS J090745.0+024507 auch vor hat. Er bewegt sich direkt vom Zentrum der Milchstraße weg und wird diesen Weg auch dauerhaft fortsetzen, bis er irgendwann im intergalaktischen Raum verschwunden ist. Deswegen hat man ihm auch den Spitznamen "Outcast", der Ausgestoßene verpasst. Outcast hat für den Weg vom Zentrum der Milchstraße bis dorthin, wo man ihn entdeckt hat, gute 80 Millionen Jahre gebraucht. Das passt auch gut zu seinem Alter und auch seine chemische Zusammensetzung zeigt, dass er vermutlich vor besagten 80 Millionen Jahren irgendwo in der Nähe des galaktischen Zentrums entstanden sein muss; als Teil eines Doppelsternsystems, wie es Jack Hill vorhergesagt hat. Sein Partner wurde vom schwarzen Loch eingefangen und Outcast auf seinen Weg aus der Galaxis hinaus geschleudert. Diese nahe Begegnung mit einem schwarzen Loch ist der einzige plausible Weg, wie Outcast seine enorme Geschwindigkeit erreicht haben kann. Mittlerweile haben wir auch eine Handvoll andere Hypergeschwindigkeitssterne entdeckt, zum Teil noch schneller unterwegs als Outcast. Zum Beispiel S5-HVS1, der im Jahr 2019 gefunden wurde und sich mit fast 1800 Kilometer pro Sekunde bewegt. Vor circa 5 Millionen Jahren muss auch er seinen Partnerstern bei einer Begegnung mit dem galaktischen schwarzen Loch verloren haben. Mittlerweile befindet er sich fast 29.000 Lichtjahre von der Erde entfernt und damit schon weit von der Zentralregion der Milchstraße weg. Auch er wird den intergalaktischen Raum erreichen und sich zu den vermutlich zahlreichen anderen Sternen gesellen, die dort im Laufe der Zeit gelandet sind. Wie viele es genau sind, ist schwer zu sagen, aber da alle Galaxien durch die beschriebenen Prozesse immer wieder Sterne rauswerfen, wird es eine durchaus relevante Menge sein. In einem typischen Galaxienhaufen könnten die intergalaktischen Sterne zusammen eine Masse habe, die der einer Galaxie gleich kommt. Aber angesichts der Leere die im Raum zwischen den Galaxien herrscht und den enormen Distanzen, ist es so gut wie unmöglich, dass sich zwei davon einmal treffen werden. Übrigens: Falls einer dieser Sterne nach seiner Entstehung auch Planeten gebildet hat, dann ist es definitiv möglich, dass sie immer noch mit ihm unterwegs sind. Sie können auch nach dem Rauswurf durch das schwarze Loch an ihren Stern gebunden bleiben. Und sollte auf so einem Planeten eines intergalaktischen Sterns Leben existieren, dann hat es zwar vermutlich einen ziemlich beeindruckenden Ausblick auf die Galaxien in der Umgebung - wäre ansonsten aber ziemlich einsam.
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Oct 6, 2023 • 10min

Sternengeschichten Folge 567: Der Granatstern My Cephei

Rot bis in den Tod Sternengeschichten Folge 567: Der Granatstern My Cephei "Einen sehr ansehnlicher Stern, der nicht von Flamsteed markiert wurde, kann man in der Nähe des Kopfes von Kepheus finden. Er hat eine schöne, tief granatrote Farbe (…) und ist ein äußerst schönes Objekt, ganz besonders wenn man zuvor einige Zeit einen weißen Stern betrachtet, bevor man das Teleskop auf ihn richtet." Das schrieb der Astronom Wilhelm Herschel im Jahr 1783 in einem Aufsatz, in dem er unter anderem Sterne auflistete, die er am Himmel sehen konnte, die aber nicht im Katalog seines Kollegen John Flamsteed zu finden waren. Den Stern, den Herschel da neben vielen anderen erwähnt, bezeichnen wir heute als "My Cephei" oder auch als "Granatstern". Seine rote Farbe ist tatsächlich etwas besonderes; es ist der röteste Stern, den man mit bloßem Auge am Himmel sehen kann. Aber bevor wir uns mit seiner Farbe beschäftigen, klären wir zuerst einmal die grundlegenden Dinge. My Cephei ist, wie der Name sagt, am Himmel im Sternbild Kepheus zu finden, das am Nordhimmel zwischen der Kassiopeia und dem Drachen liegt. Man kann Kepheus und damit auch My Cephei das ganze Jahr über in der Nacht beobachten. Seine Entfernung ist schwer zu bestimmen, liegt aber verMytlich bei circa 3000 Lichtjahren. Die Helligkeit von My Cephei ist veränderlich; sie schwankt zwischen 3,4 und 5 Magnituden. Je nachdem, wann man gerade schaut, kann er also wie ein durchschnittlich heller Stern am Himmel erscheinen oder wie ein sehr schwach leuchtender, den man ohne optische Hilfsmittel gerade noch sehen kann. Die Helligkeitsschwankungen sind dabei komplex und werden von zwei Perioden von 850 beziehungsweise 4400 Tagen dominiert. Und warum verändert der Granatstern seine Helligkeit? Weil es sich dabei um einen roten Überriesen handelt und einen besonders großen noch dazu. Seine Leuchtkraft ist gut 300.000 mal höher als die der Sonne, womit My Cephei zu den hellsten Überriesen der gesamten Milchstraße gehört. Der Stern ist gut 1500 mal größer und 25 mal schwerer als die Sonne, mit einer Oberflächentemperatur von circa 3200 Grad aber ein paar tausend Grad kühler. Man Myss sich nochmal klar machen, wie groß das wirklich ist. Würde man My Cephei ins Zentrum unseres Sonnensystems setzen, würde er weit über die Umlaufbahn des Jupiter und fast bis zum Saturn reichen! So groß sind Sterne normalerweise nicht; so groß werden sie erst gegen Ende ihres Lebens und auch nur, wenn sie schon recht groß angefangen haben. Wir wissen, dass sich auch unsere Sonne ausdehnen wird, wenn sie in ein paar Milliarden Jahren den Wasserstoff in ihrem Zentrum komplett zu Helium fusioniert hat. Dann wird sie anfangen, Helium zu anderen chemischen Elementen zu fusionieren und mehr Energie produzieren als vorher. Sie wird im Kern deutlich heißer werden und auch ihre äußeren Schichten werden wärmer. So warm, dass der Wasserstoff, der sich dort befindet, nun auch fusionieren kann. Die Kernfusion wird dann im Kern und in den äußeren Schichten stattfinden; sehr viel mehr Energie wird aus dem Inneren der Sonne nach außen dringen und der ganze Stern wird sich dadurch stark aufblähen. Die Sonne wird allerdings höchstens bis zur Erdbahn reichen; um ein roter Überriese zu werden, hat sie nicht genügend Masse. My Cephei allerdings schon und dieser Stern hat die Endphase seines Lebens schon erreicht. Er hat dafür auch nur gut 10 Millionen Jahre gebraucht; im Gegensatz zu den circa 10 Milliarden Jahre, die es bei der Sonne insgesamt dauern wird, bis sie den aufgeblähten Zustand erreicht. Aber wir wissen ja, dass die Kernfusion in einem Stern umso heftiger und schneller abläuft, je größer seine Masse ist und My Cephei ist eben ein enorm großer Stern. Rote Überriesen wie My Cephei zeigen auch so gut wie immer Helligkeitsveränderungen. Wie sie genau entstehen, ist immer noch nicht eindeutig geklärt. Aber es hat verMytlich mit ihrer komplexen Struktur zu tun. Eben weil die Kernfusion nicht mehr nur im innersten Kern abläuft sondern auch in den äußeren Schichten, kann sich dadurch die Durchlässigkeit dieser Schichten für Strahlung ändern. Die wird unter anderem davon bestimmt, wie viele freie Elektronen dort existieren. Normalerweise sind die Elektronen ja Teil der Hülle der Atome, aber wenn es heiß genug wird, können sie sich ablösen und verhindern, dass sich die Strahlung, die von weiter innen kommt, ungestört nach außen ausbreiten kann. Sie "staut" sich quasi, heizt den Stern weiter auf, was zu einer zusätzlichen Ausdehung und erhöhter Helligkeit führt. Durch die Ausdehung kühlt die Schicht aber wieder ab, die Durchlässigkeit wird höher und die gestaute Strahlung kann entweichen. Ich hab das in Folge 64 schon mal ein wenig genauer erklärt, als es um den Kappa-MechanisMys gegangen ist und man verMytet, dass so etwas ähnliches auch in den roten Überriesen stattfindet. Ich habe jetzt schon oft erwähnt, dass My Cephei ein roter Überriese ist und auch Wilhelm Herschel hat ja von der granatroten Farbe gesprochen. Man kann die Sache mit der Farbe auch wissenschaftlich angehen, wenn man den sogenannten "Farbindex" berechnet. Dazu misst man die Helligkeit eines Objekts mit unterschiedlichen Farbfiltern und vergleicht die Werte. Sehr gebräuchlich sind Messungen im blauen Licht und im roten Licht und wenn man dann die rote Helligkeit von der blauen Helligkeit abzieht, bekommt man einen Farbindex. Wenn dieser Index nahe beim Wert Null liegt, dann gibt der Stern ähnlich viel blaues wie rotes Licht ab und wird insgesamt eher weißlich erscheinen. Ist der Farbindex negativ, dann überwiegt der blaue Anteil und man wird einen eher bläulich leuchtenden Stern vor sich haben. Ein positiver Farbindex weißt dagegen auf einen rot leuchtenden Stern hin. Und wer jetzt genau aufgepasst hat und sich denkt: Moment Mal - wenn ein Stern im roten Licht heller ist als im blauen Licht und ich die größere rote Helligkeit von der kleineren blauen Helligkeit abziehe - müsste ich dann nicht einen negativen Farbindex bekommen?, hat zwar einerseits recht, andererseits aber nicht. Denn man darf die, zugegebenermaßen etwas komische, Konvention der Astronomie nicht vergessen, nach der die Helligkeit in der Astronomie in der Einheit "Magnituden" gemessen, die so definiert sind, dass Sterne mit hoher Helligkeit eine kleine Magnitude haben und umgekehrt. Aber lassen wir diese Rechnerei beiseite und halten fest: Je größer der Farbindex, desto röter der Stern. Der Granatstern hat einen Farbindex von gut 2,4 Magnituden, was ihn von allen Sternen die man mit bloßen Auge sehen kann, zum rötesten Stern macht. Aber bevor sich jetzt alle begeistert aufmachen um ihn am Himmel zu suchen, Myss ich noch zwei Dinge anmerken. Erstens ist der Granatstern zwar tatsächlich rot, aber ein Teil seiner roten Farbe ist nicht auf ihn selbst zurückzuführen, sondern auf den interstellaren Staub, der sich zwischen uns und ihm befindet. Licht, dass durch diesen Staub dringt, erscheint uns auch röter und weil der Granatstern so weit weg ist, ist da viel Staub in der Sichtlinie. Ohne den Staub wäre er zwar immer noch rot, aber der Farbindex wäre geringer. Zweitens, und das ist der wichtigere Punkt: Wer den Stern am Nachthimmel findet, wird mit großer Wahrscheinlichkeit kein rotes oder rötliches Objekt sehen. Es kann sein, dass er rötlich erscheint, aber das liegt dann daran, dass bei der Beobachtung gerade starke Luftunruhen herrschen. Die stören die Ausbreitung des Sternenlichts durch die Atmosphäre, was auch der Grund ist, warum Sterne oft zu flackern scheinen; sie stören aber Licht unterschiedlicher Farbe unterschiedlich stark und es kann sein, dass deswegen gerade mehr rotes Licht unser Auge erreicht als normal. Bei ruhiger Atmosphäre oder beim Blick mit Fernglas oder Teleskop wird der Stern eher orange-gelblich erscheinen, vielleicht mit einem Stich ins rötlich-bräunliche. Herschels Bezeichnung als "granatrot" war ein wenig klein wenig unglücklich; beziehungsweise war es vor allem meine Übersetzung. Im englischen Original sagt Herschel, dass er einen Stern gesehen hat mit "a very fine deep garnet colour". Das Wort "garnet" entspricht zwar dem deutschen "Granat" und bezieht sich zwar auf das entsprechende Mineral, dass tatsächlich sehr oft rot ist, aber nicht rot sein Myss und durchaus auch andere Farben haben kann. Wilhelm Herschel hat keine Fotos gemacht; wir wissen auch nicht, ob er den Stern mit freiem Auge angesehen hat oder mit einem Teleskop und welche optischen Fehler dieses Teleskop gehabt haben könnte, die den Farbeindruck beeinflussen. Aber am Ende ist das ja auch egal. Es kann jeder und jede selbst zum Himmel schauen und eine eigene Vorstellung der Farbe des Granatsterns bekommen. Dass es ein roter Überriesenstern ist, ist ebenso klar und damit auch, wie es um die Zukunft seiner Farbigkeit bestellt ist. Nicht gut nämlich, Sterne mit so großer Masse wie My Cephei werden am Ende ihres Lebens bei einer gewaltigen Supernova explodieren. Übrig bleibt dann nur ein schwarzes Loch und dann hat sich die Sache mit der Farbe von selbst erledigt.
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Sep 29, 2023 • 10min

Sternengeschichten Folge 566: Ist das Universum eine Simulation?

Stecken wir in der Matrix? Sternengeschichten Folge 566: Ist das Universum eine Simulation? „Einst träumte Dschuang Dschou, dass er ein Schmetterling sei, ein flatternder Schmetterling, der sich wohl und glücklich fühlte und nichts wußte von Dschuang Dschou. Plötzlich wachte er auf: da war er wieder wirklich und wahrhaftig Dschuang Dschou. Nun weiß ich nicht, ob Dschuang Dschou geträumt hat, dass er ein Schmetterling sei, oder ob der Schmetterling geträumt hat, dass er Dschuang Dschou sei, obwohl doch zwischen Dschuang Dschou und dem Schmetterling sicher ein Unterschied ist." Das hat vor gut 2300 Jahren der chinesische Philosoph und Dichter Zhuāngzǐ geschrieben. Er war sicherlich nicht der erste Mensch, der sich darüber Gedanken gemacht hat, was die eigentliche Natur der Realität ist; diese Frage hat man sich in der Philosophie, der Kunst, der Literatur, der Religion, und so weiter immer wieder gestellt und tut das bis heute. Mittlerweile ist allerdings auch die Naturwissenschaft dazu gekommen und stellt die Frage, ob unser gesamtes Universum vielleicht eine Simulation ist. Spätestens seit dem Kinofilm "Matrix" aus dem Jahr 1999 können so gut wie alle etwas mit dieser doch etwas seltsamen Idee anfangen. Im Film geht es ja darum, dass die Maschinen die Welt beherrschen und die Menschen in großen Lagern gefangen gehalten werden, ohne Bewusstsein. Ihnen wird allerdings eine künstliche Realität vorgespielt; sie leben ein Leben, dass ihnen völlig normal erscheint, obwohl es nur eine riesige Simulation ist. Dass die Science Fiction so etwas aufgreift, ist nicht überraschend (und "Matrix" war auch nicht das erste Werk, in dem es um dieses Thema ging). Wenn aber die seriöse Wissenschaft auch darüber nachdenkt, ob alles was wir als "real" wahrnehmen vielleicht nur eine Simulation ist, dann sieht das schon ein wenig anders aus. Schauen wir also mal, was das alles soll mit der Simulation des Universums. Die Grundidee geht ungefähr so: Unsere Computertechnik macht immer größere Fortschritte. Wenn wir unsere heutige Technik mit dem vergleichen, was vor ein paar Jahrzehnten möglich war, dann ist der Unterschied enorm. Und wer weiß, wie es in ein paar Jahrhunderten oder Jahrtausenden sein wird? Vielleicht sind wir dann in der Lage, eine so exakte Simulation der Welt in einem Computer zu erstellen, dass sie nicht von der Realität zu unterscheiden ist? Vielleicht können wir ja auch ein menschliches Bewusstsein so exakt simulieren, dass es nicht von einem echten Bewusstsein zu unterscheiden ist. Auch die Entwicklung künstlicher Intelligenz macht ja immer größere Fortschritte. Vielleicht sind wir also irgendwann in der Lage, Millionen, Milliarden oder noch viel mehr simulierte Menschen in einer simulierten Welt zu erschaffen, die dort ihr simuliertes Leben leben ohne zu merken, dass es nur eine Simulation ist. Und wenn das alles so sein könnte: Was spricht dann dagegen, dass das nicht alles längst schon passiert ist und WIR die simulierten Menschen in der simulierten Welt sind? Die moderne Version dieser "Simulationshypothese" stammt vom schwedischen Philosophen Nick Bostrom, der 2003 den Artikel "Are you living in a computer simulation?" veröffentlicht hat. Er geht darin von drei Annahmen aus, und behauptet, dass sie alle mehr oder weniger gleich wahrscheinlich beziehungsweise unwahrscheinlich sind, und mindestens eine davon wahr sein muss. Diese drei Annahmen lauten so: 1) Wir Menschen schaffen es nicht, uns so weit zu entwickeln, um die nötige Technik zu erreichen, eine entsprechende Simulation durchzuführen. 2) Wenn es Zivilisationen gibt, die technisch in der Lage sind, solche Simulationen durchzuführen, dann hat so gut wie keine davon auch ein Interesse daran, die Simulation auch praktisch durchzuführen. Und 3) Wir leben in einer Computersimulation. Man kann noch nachvollziehen, dass zumindest eine der Möglichkeiten zutreffen muss. Entweder wir leben in einer Simulation, das ist Variante 3. Oder es gibt niemanden, der in der Lage ist oder Lust dazu hat, eine Simulation durchzuführen. Das sind Varianten 1 und 2. Wir können aber nicht entscheiden, welche der drei Möglichkeiten zutrifft. Bostrom meint, wir könnten hoffen, dass Variante 3 richtig ist, denn das würde es unwahrscheinlicher machen, dass Variante 1 zutrifft, dass wir uns also irgendwann in Zukunft selbst auslöschen, bevor wir in der Lage sind, eine technisch hochstehende Zivilisation zu errichten. Das klingt jetzt alles noch nicht sonderlich naturwissenschaftlich. Man kann aber zumindest mal überlegen, wie wahrscheinlich Varianten 1 und 2 sind. Gibt es etwas, dass rein prinzipiell dagegen spricht, dass wir die technischen Fertigkeiten entwickeln, eine Computersimulation zu entwickeln, die ein Universum simulieren kann? Die Anhänger der Simulationshypothese sagen "Nein". Denn, so das Argument, wenn wir uns anschauen, wie sich die Rechenleistung der Computer im Laufe der Zeit entwickelt hat, sehen wir ein stetiges Wachstum. Und es spricht nichts dagegen, dass das auch in Zukunft so weiter geht. Das mag sein, aber es gibt tatsächlich keinen Beleg dafür, dass es WIRKLICH immer so weiter geht. Vor allem, und das ist der wichtigste Punkt, wissen wir nicht, wie wir ein echtes "künstliches" Bewusstsein schaffen können. Wir können das jetzt jedenfalls definitiv nicht. Gut, vielleicht kriegt es jemand in der Zukunft hin. Vielleicht aber auch nicht. Wir wissen derzeit noch nicht einmal, wie ein Bewusstsein im Gehirn überhaupt entsteht. Und deswegen können wir auch nicht wissen, ob das ein Vorgang ist, der sich maschinell reproduzieren lässt. Oder, wenn sich so etwas irgendwie machen lässt, ob das was, das dabei entsteht, mit dem vergleichbar ist, was wir "Bewusstsein" nennen. Und weil wir das nicht wissen, können wir auch nicht sagen, ob die Simulationshypothese überhaupt funktioniert. Das muss man vielleicht noch einmal wiederholen, weil wir dazu neigen, es zu vergessen, angesichts all der Entwicklungen in der Computertechnik, bei der künstlichen Intelligenz, und so weiter. Wir wissen nicht, wie das Bewusstsein funktioniert. Wir können zwar daran glauben, dass zukünftige Technik in der Lage ist, ein Bewusstsein zu simulieren. Aber wir können es nicht wissen. Das liegt nicht nur daran, dass uns das notwendige medizinische Wissen über das Gehirn und so weiter fehlt. Wir wissen zum Beispiel auch noch zu wenig über die Grundlagen der Quantenmechanik, den fundamentalen Aufbau der Materie; wir wissen nicht, ob die Elementarteilchen in Wahrheit aus irgendwas anderem bestehen, den Strings der Stringtheorie, und so weiter. Das müssen wir aber wissen, weil all das eine Rolle spielt, wenn wir auch das Bewusstsein fundamental verstehen wollen und auch, wenn wir Computer bauen wollen, die ausreichend viel Rechenleistung haben für so eine Simulation. Mit konventionellen Geräten ist das mit Sicherheit nicht möglich; wenn, dann braucht man irgendeine Weiterentwicklung von Quantencomputern, die auf völlig anderen Prinzipien beruhen. Aber lassen wir all das mal beiseite. Und behaupten einfach "Wir leben in einer Simulation". Was hätte das für Konsequenzen? Können wir das zum Beispiel irgendwie feststellen? Auch das ist knifflig. Wenn wir simuliert sind, dann kann man uns ja auch so simulieren, dass wir nicht in der Lage sind, die Simulation zu erkennen. Aber trotzdem hat sich die Wissenschaft auch damit beschäftigt. Die Details würden jetzt zu weit führen, aber es gibt bestimmte quantenmechanische Experimente, die zumindest theoretisch in der Lage wäre, eine Simulation zu erkennen. Sie beruhen auf einem Effekt, den man auch von den Computerspielen kennt, die wir jetzt benutzen: Da wird nie die komplette Welt simuliert, sondern nur der Teil, der gerade relevant ist und unter Beobachtung steht. Und weil es in der Quantenmechanik ja durchaus darauf ankommt, ob ein Vorgang beobachtet wird oder nicht, kann man daraus entsprechende Experimente konstruieren, die uns sagen könnten ob wir in einer Simulation leben oder nicht. Aber solche Experimente sind in der Praxis kaum umzusetzen und am Ende stehen wir wieder vor dem Problem, dass wir 1) nicht wissen, ob wir die Quantenmechanik gut genug verstehen, um solche Aussagen machen zu können und wir 2) nicht wissen, ob die Simulation nicht ganz anders läuft als wir uns jetzt vorstellen, wie so eine Simulation laufen könnte. Und 3) ist es vielleicht keine gute Idee, die Existenz der Simulation nachzuweisen. Denn wer weiß, ob es denen, die die Simulation laufen lassen, gefällt, dass wir das tun. Vielleicht drehen sie den Computer auch einfach ab, wenn wir drauf kommen, dass es die Simulation gibt? Die hypothetischen Simulierer könnten aber übrigens in einer ähnlichen Situation sein. Denn WENN wir nur simuliert sind, wäre es seltsam, wenn wir die einzigen wären. Wir denken ja auch darüber nach, wie wir eine Welt simulieren können. Und wenn wir es können, dann tun wir es vermutlich auch. Und wenn es solche Simulationen tatsächlich gibt, dann spricht zumindest theoretisch nichts dagegen, dass eine simulierte Welt selbst wieder eine Welt simuliert. Und so weiter. Wenn es möglich ist, ein Universum zu simulieren, dann sind vermutlich die überwiegende Mehrheit der existierenden Bewusstseine simuliert und nur eine Minderheit davon ist echt. Am Ende ist die Sache mit dem simulierten Universum aber vor allem nur eine interessante Idee, über die man durchaus nachdenken kann. Aber auch wenn es eine interessante Idee ist, auch wenn es spannend ist, sich das vorzustellen und sich mit den Science-Fiction-Geschichten zu beschäftigen, die das getan haben: Es gibt keine wissenschaftlich seriösen Argumente, aus denen man ableiten könnte, dass es wahrscheinlich ist, dass wir in einer Simulation leben. Die philosophische Gedanken über die Natur der Realität in eine naturwissenschaftliche Hypothese umdeuten zu wollen, nach der das Universum ein Computerprogramm ist und wir nur Simulationen sind: Das ist eigentlich schon nah an der Pseudowissenschaft. Aber gut, es kann natürlich sein, dass da nur die Simulation aus mir spricht…
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Sep 22, 2023 • 11min

Sternengeschichten Folge 565: Regolith - Der Boden über unseren Füßen

Staub ist mehr als nur Dreck Sternengeschichten Folge 565: Regolith - Der Boden über unseren Füßen "Erinnert euch daran, nach oben zu den Sternen zu blicken – und nicht nach unten auf eure Füße" - das hat Stephen Hawking in seiner letzten Videobotschaft, kurz vor seinem Tod im März 2018 gesagt. Und diesem Zitat kann ich natürlich nur zustimmen. Allerdings kann es sich durchaus auch lohnen nach unten auf die Füße zu sehen. Ganz besonders dann, wenn diese Füße nicht auf der Erde stehen, sondern auf dem Boden eines anderen Himmelskörpers. Und genau das ist das Thema dieser Folge der Sternengeschichten. Es geht um den Boden über unseren Füßen; den Boden anderer Himmelskörper und insbesondere den Boden des Mond. Dort sind ja tatsächlich schon menschliche Füße gestanden. Und vielleicht fragt sich jetzt der eine oder die andere: Ok, schön und gut - aber was soll man da groß erzählen können? Boden ist Boden, egal ob auf der Erde, dem Mond oder dem Mars. Am Mond ist der Boden halt grau und ohne Pflanzen und man braucht einen Raumanzug, wenn man darauf rumlaufen will. Aber was soll da eine ganze Podcastfolge füllen? Nun, so einfach ist die Sache nicht. Nehmen wir den Mond: Als in den 1960er Jahren die ersten Versuche gemacht wurden, dort zu landen - zuerst mit Raumsonden und später dann auch mit Raumkapseln aus denen Menschen aussteigen sollten - da war man sich nicht wirklich sicher, was einen dort erwartet. Man befürchtete zum Beispiel, dass das Apollo-11-Raumschiff nicht landen, sondern einfach in einer meterdicken Schicht aus lockerem Staub versinken könnte. Das klingt komisch, aber wir müssen uns nur einmal überlegen, was "Boden" eigentlich sein soll. Wenn man das genau wissen will, dann ist das eine ziemlich komplexe Angelegenheit. Auf der Erde ist da zuerst mal die Gesteinskruste des Planeten, aber als "Boden" bezeichnet man eigentlich nur die oberste Schicht dieser Kruste. Und wie die beschaffen ist, hängt ganz deutlich von den Eigenschaften des Planeten selbst ab. Lassen wir mal die Stellen beiseite, an denen die Erdoberfläche tatsächlich aus nacktem Gestein besteht; Gebirge, und so weiter. Dann ist die Beschaffenheit des restlichen Bodens, vereinfacht gesagt, durch die Anwesenheit von Leben, Wasser und Wetter geprägt. Wind und Wetter erodieren das Gestein, zerbröckeln es, Flüsse transportieren diese Stücke durch die Gegend und wir kriegen zum Beispiel Boden der aus Sand besteht. Oder wir kriegen die Art von Boden, die wir "Erde" nennen, wenn Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen darin leben und mit ihrem Stoffwechsel das Gestein langsam aber sicher zu Erdboden machen. Aber auf dem Mond gibt es kein Wetter, es gibt kein fließendes Wasser und es gibt keine Lebewesen. Wieso sollte man dort etwas anderes finden, als Gestein? Man kann ja auch schon mit kleinen Teleskopen sehen, dass dort überall Krater sind. Und in meterdicken Staubschichten kriegt man keine Krater. Aber wie ich schon gesagt habe: So einfach ist es nicht. Ja, am Mond sind Krater. Aber genau diese Krater sagen uns, dass auf dem Mond im Laufe der Zeit jede Menge Asteroiden eingeschlagen haben. Mehr noch: Wir wissen, dass der Mond keine Atmosphäre hat, so wie die Erde. Die Erdatmosphäre sorgt dafür, dass nur die sehr großen Felsbrocken aus dem All auf dem Erdboden einschlagen können. Die kleineren brechen in der Atmosphäre auseinander. Auf dem Mond findet das nicht statt; alles, was aus dem All kommt, kommt auch bis zur Mondoberfläche durch und trifft dort mit Geschwindigkeiten bis zu 25 Kilometer pro Sekunde auf. Große Asteroiden, die große Krater schlagen ebenso wie winzige interplanetare Gesteinsbrocken die nur ein paar Zentimeter oder Millimeter groß sind. Und auch die verursachen Krater. Kleine Krater, aber eben trotzdem Krater, weil nichts da ist, was sie bremmst. Und dann gibt es auch noch die kosmische Strahlung, also vor allem die geladenen Teilchen die die Sonne aus ihren äußersten Schichten hinaus ins All schleudert. Auch davor schützt uns auf der Erde die Erdatmosphäre; der Mond wird dagegen voll davon getroffen. Und auch diese kosmische Strahlung kann das Gestein der Mondoberfläche verwittern. Wir haben also den Mond, mit einer felsigen Oberfläche und ohne schützende Atmosphäre. Die Mondoberfläche ist seit 4,5 Milliarden Jahren dem Bombardement von Asteroiden und kosmischer Strahlung ausgesetzt. Was passiert mit Felsen, wenn man sie ein paar Milliarden Jahre lang mit großen und kleinen Hämmern bearbeitet? Sie werden zu Staub! Die Frage, die man sich in den 1960er Jahren gestellt hat, war die nach der Dicke dieser Staubschicht. Es war klar, dass der Mond nicht komplett mit Staub bedeckt ist; es gab auch Regionen mit festerem Gestein; voller Krater und übersäht mit riesigen Felsbrocken - das konnte man ja von der Erde aus sehen. Aber das waren genau die Gegenden, in denen man eigentlich nicht landen wollte. Man wollte eine Region in der möglichst nichts war, was die Landung behindern könnte. Und das waren genau die Ebenen, auf denen unter Umständen dicke Staubschichten ein Raumschiff verschlucken könnten. Ob das wirklich passieren würde oder nicht, hängt unter anderem auch davon ab, wie "fluffig" der Staub ist, also wie gut die Staubkörner zusammenhalten - oder eben nicht. Aber das wusste man damals nicht. Die ersten Raumsonden, die in den 1960er Jahren auf dem Mond landeten, lieferten gute Hinweise, dass die Staubschicht nur ein paar Zentimeter dick ist, aber man konnte nicht ausschließen, dass es in anderen Gegenden vielleicht anders ist. Und wenn man sich die Landestützen der Apollo-Raumschiffe ansieht, dann erkennt man auch, dass man diese Gefahr nicht ganz abgeschrieben hatte. Die Landebeine hatten unten große Scheiben montiert mit einem Durchmesser von jeweils fast einem Meter. Ihr Zweck: Zu verhindern, dass die Landefähre zu sehr in der Staubschicht einsinkt. Ist sie dann aber ja nicht. Wir wissen heute, dass die Staubschicht auf dem Mond tatsächlich nur ein paar Zentimeter dick ist. Beziehungsweise ist sie durchaus deutlich dicker, so wie man es nach Milliarden von Jahren an mechanischer Einwirkung erwarten würde. Aber man sinkt eben nur ein paar Zentimeter ein. Und es wird langsam Zeit, diese Staubschicht bei ihrem korrekten Namen zu nennen: Regolith. Der Regolith auf dem Mond war aber auch nach der erfolgreichen Landung nicht unproblematisch. Man war natürlich zuerst einmal wissenschaftlich daran interessiert und tatsächlich bestand einer der ersten Aktionen, die Neil Armstrong nach seinem Ausstieg aus der Landefähre durchgeführt hat, darin, ein bisschen Mondstaub in einen Beutel zu füllen und in seiner Tasche zu verstauen. Selbst wenn man jetzt aus irgendwelchen Gründen sofort wieder starten würde müssen, hätte man zumindest irgendwas vom Mond mitgebracht. Am Ende hat man ja sehr viel mehr zur Erde transportiert; nicht nur Felsbrocken sondern auch Staub. Zum Teil hat man den Staub absichtlich gesammelt, zum Teil aber unabsichtlich mitgenommen. Wenn man sich die Bilder der Apollo-Astronauten ansieht, dann erkennt man deutlich, wie schmutzig ihre weißen Raumanzüge sind. Das liegt daran, dass der feine Regolith elektrostatisch geladen ist und deswegen extrem gut an der Kleidung haftet. Deswegen wissen wir auch, wie Mondstaub riecht: Als sich die Astronauten nach ihrem Einsatz umgezogen haben, konnten sie den Geruch an ihren Raumanzügen feststellen und waren einhellig der Meinung, es würde nach abgebrannten Schwarzpulver riechen, also ein wenig so wie nach einem Feuerwerk. Staub, der überall haften bleibt ist allerdings auch ein Problem; nicht nur wenn man hier auf der Erde eine saubere Wohnung haben will. Im Weltraum kann es wirklich schwierig werden, zum Beispiel weil helle Oberfläche durch den Staub dunkel werden, wodurch sie sich dann stärker aufheizen, als sie es tun sollten. Die Staubkörner werden auch nicht durch Wind und Wetter abgeschliffen und sind zum Teil recht kantig, und deswegen besonders gut darin, Oberflächen und andere Komponenten durch Abrieb zu schädigen. Ebenso wie die Lungen und den Rest des Körpers der Menschen, die diesen Staub einatmen. Das ist bei Mondstaub noch gefährlicher als bei irdischem Staub. Eben weil die Körnchen so kantig sind, haben sie eine größere Oberfläche als runde Staubkörner und können deswegen besser chemisch reagieren. Die gesundheitlichen Folgen sind also tendenziell größer als bei Staub von der Erde. Neben diesen negativen Auswirkungen ist der Mondstaub aber auch etwas, mit dem wir uns auseinander setzen können beziehungsweise müssen, wenn wir in Zukunft vielleicht dauerhafte Siedlungen auf dem Mond errichten wollen. Dafür brauchen wir Baumaterial und es wäre besser, wir finden es vor Ort als das wir es von der Erde ins All fliegen müssen. Ein Vorschlag ist "Mondbeton" oder "Lunarcrete" bzw. "Mooncrete, so wie Beton auf der Erde, nur mit Regolith. Entsprechende Experimente wurden mit - sehr geringen Mengen - an echtem Mondstaub gemacht und waren recht erfolgreich. Dieses Material ist hitzbeständig und kann die Temperaturextreme auf dem Mond aushalten; es kann die radioaktive Strahlung aus dem Weltall abwehren - ist aber nicht luftdicht. Ob wir in Zukunft wirklich in Häusern aus Mondbeton wohnen, wird sich erst zeigen müssen. Aber wenn, dann wollen wir auf dem Mond vielleicht auch Pflanzen züchten. Das geht in irdischem Boden vergleichsweise einfach, weil die Mikroorganismen ihn ausreichend mit Nährstoffen angereichert haben. Beim Mondstaub muss man die extra hinzufügen, aber wenn man das macht, dann können dort tatsächlich Pflanzen wachsen, wie ein Experiment 2022 erstmals gezeigt hat. Es gäbe noch viel mehr über den Boden des Mondes zu erzählen und noch viel mehr über den Boden des Mars. Dort waren zwar noch keine Menschen unterwegs, aber das kommt ja vielleicht noch. Auch dort ist alles voll mit Regolith, aus fast den selben Gründen wie beim Mond. Wir wissen, dass wir nicht darin versinken würden. Aber wenn wir irgendwann dauerhaft auf dem Mars leben wollen, dann müssen wir auch hier überlegen, wie wir aus dem Regolith einen echten Erdboden machen können, der Pflanzen ernähert und dort wachsen lässt. Die Sterne sind wichtig. Aber der Boden eben auch. Im Sinne von Stephen Hawking beende ich diese Folge also mit: "Erinnert euch daran, nach oben zu den Sternen zu blicken – und auf den Boden über euren Füßen".
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Sep 15, 2023 • 12min

Sternengeschichten Folge 564: Ariane 5 - Die europäische Rakete

trois – deux - top Sternengeschichten Folge 564: Ariane 5 - Die europäische Rakete In der Nacht von 5. auf 6. Juli 2023 gab es vermutlich jede Menge Jubel beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. Die Ariane-5-Rakete, die den Kommunikationssatelliten "Heinrich Hertz" ins Weltall bringen sollte, hob pünktlich um Mitternacht ab. Der Start verlief ohne Probleme und der Satellit konnte seinen Weg in eine geostationäre Umlaufbahn antreten. Es war ein besonderer Start - nicht wegen des Kommunikationssatelliten (obwohl das DLR ihn vermutlich sehr besonders findet, immerhin sollen damit einige neue Techniken der Kommunikation im und mit dem Weltraum getestet werden). Es war der letzte Start der Ariane 5, einer der erfolgreichsten und zuverlässigsten Raketen, die Europa je gebaut hat. 27 Jahre früher war die Stimmung am Raketenstartplatz nicht ganz so gelöst. Ganz im Gegenteil, man war ziemlich am Boden zerstört, genau so wie die Ariane-5-Rakete, die am 4. Juni 1996 eigentlich das erste Mal ins Weltall fliegen sollte. Der Ariane-Flug V88 sollte vier Cluster-Satelliten ins Weltall bringen, die von der europäischen Weltraumagentur ESA und der NASA gebaut wurden, um das Magnetfeld der Erde zu untersuchen. Die Rakete schaffte es aber nicht annähernd in den Weltraum; knapp 40 Sekunden nach dem Start began sie, auseinander zu brechen und wurde schließlich gesprengt. Sie war vom Kurs abgewichen und der Grund dafür waren Fehler in der Software, die den Flug steuern sollte. Das war ein großer Rückschlag, den man hatte große Hoffnungen in diese neue Rakete gesetzt. Eigentlich ein ziemlich schlechtes Vorzeichen, und glücklicherweise absolut nicht repräsentativ dafür, wie die Ariane 5 in den kommenden Jahrzehnten gearbeitet hat. Schauen wir zuerst aber noch ein wenig in die Vergangenheit. Die ersten Länder, die Raketen gebaut haben, die Satelliten und später auch Menschen ins All bringen konnten, waren die USA und die Sowjetunion. Europa und damals vor allem Frankreich wollten aber verständlicherweise einen eigenen Zugang zum All haben; unabhängig von den beiden Supermächten. 1962 wurde deswegen die European Launcher Development Organisation (ELDO) gegründet, um genau dieses Ziel durch eine Entwicklung einer eigenen Rakete zu erreichen. Gründungsmitglieder der ELDO waren Deutschland, Belgien, Frankreich, das vereinigte Königreich, Italien, die Niederlande und Australien. Ja, Australien gehört nicht zu Europa, aber dort gab es einen Startplatz für Raketen, den man verwenden wollte. Die Rakete, die man dort ins All schicken wollte, trug den passenden Namen "Europa", hat es aber nie geschafft, den Weltraum zu erreichen. Alle Teststarts von Europa 1 und Europa 2 (insgesamt sowieso nur vier, die zwischen 1964 und 1971 stattgefunden haben) sind gescheitert, aber das ganze Projekt war von Anfang an eher wenig erfolgreich. Italien hat schon 1969 aufgehört, die Beiträge zu zahlen; 1973 haben auch Deutschland, Frankreich und Großbritannien aufgehört, zu zahlen. 1973 hat man die ELDO komplett aufgelöst; den Job eine funktionierende Rakete zu bauen, hatte von da an die European Space Research Organisation (ESRO), eine weitere europäische Weltraumorganisation aus Europa, die vor allem Satelliten gebaut hat, die von den USA ins All gebracht wurden. Aus der ESRO ist 1975 die heute noch bestehenden Europäische Weltraumagentur ESA geworden; eine eigene Rakete hatte Europa aber immer noch nicht. Insbesondere Frankreich wollte so eine Rakete aber unbedingt und auf Anregung von Frankreich wurde das Ariane-Programm ins Leben gerufen. Die dabei entwickelte Rakete trug den Namen Ariane, der französische Name der griechischen Fruchtbarkeitsgöttin Ariadne. Diese Rakete war erfolgreicher als die Europa-Rakete; der erste Start der Ariane erfolgte am 24. Dezember 1979 und war erfolgreich. Wenig später wurde die multinationale Firma Arianespace gegründet, die den Betrieb und die Vermarktung der Raketen übernehmen sollte; etwas, was eine Organisation wie die ESA nicht so gut kann. Die ganzen wirtschaftlichen Details will ich jetzt nicht erklären, aber kurz gesagt: Arianespace ist dafür zuständig dass die Raketen gebaut werden und kümmert sich um die Kommerzialisierung; bietet also Transportkapazitäten für alle möglichen Satelliten an. Die ESA ist der Hauptvertragspartner von Arianespace und beauftragt den Bau der Raketen. Auf das Modell Ariane-1 sind - wenig überraschend die Modelle Ariane 2, Ariane 3 und Ariane 4 gefolgt. Neben diversen kommerziellen und militärischen Kommunikationssatelliten haben diese Raketen auch immer wieder wissenschaftliche Instrumente ins All gebracht. Am 2. Juli 1985 ist zum Beispiel die Sonde Giotto gestartet worden, die den Halleyschen Kometen besucht hat. Insgesamt gab es aber nur 11 Starts der Ariane 1, nur 6 der Ariane 2 und ebenfalls 11 der Ariane 3 Rakete. Die Ariane 4 dagegen war wesentlich langlebiger. Zwischen 1999 und 2003 gab es 116 Starts von denen 113 erfolgreich waren. Zu den bedeutenen wissenschaftlichen Instrumenten die damit ins All geflogen sind, gehören zum Beispiel der Hipparcos-Satellit, von dem ich in Folge 87 mehr erzählt habe und das Infrarot-Weltraumteleskop ISO. Aber auch die erfolgreiche Ariane 4 war, vereinfacht gesagt, nur eine Verbesserung der Vorläufermodelle. Eine richtig neue Rakete sollte erst die Ariane 5 werden. Man wollte sehr viel mehr Nutzlast ins All bringen können und das bei sehr viel geringeren Kosten. Mittlerweile waren die Kommunikationssatelliten deutlich größer und schwerer geworden und wenn man im Geschäft bleiben wollte, dann brauchte Europa ein eigene Schwerlastrakete. Außerdem wollte man den Raumgleiter "Hermes" ins All bringen können. Das wäre ein Raumschiff gewesen, das ähnlich wie das Space Shuttle mit einer Rakete startet, aber von alleine landen kann. Es sollte bis zu drei Menschen ins All bringen und ich sage deswegen "wäre" und "sollte", weil das Hermes-Projekt am Ende nie umgesetzt worden ist. Die neue Schwerlastrakete Ariane 5 aber sehr wohl! Ohne auf sämtliche Details des Raketenbaus einzugehen, besteht diese Rakete aus einer großen Hauptstufe und zwei zusätzlichen Feststoffboostern. Diese Komponenten geben der Ariane 5 auch ihr typisches Aussehen: In der Mitte die klassische Rakete und auf der Seite "kleben" noch zwei kleinere Raketen dran, vereinfacht gesagt. Wenn die Ariane 5 startet, dann zündet zuerst nur das Haupttriebwerk. Die Hauptstufe ist knapp 30 Meter hoch (die gesamte Rakete übrigens knapp 55 Meter), mit einem Durchmesser von 5,4 Metern. Es passen fast 180 Tonnen Treibstoff hinein und die müssen auch drin sein, denn das Material aus dem sie besteht ist so dünn und leicht, dass die Hauptstufe unter ihrem eigenen Gewicht kollabieren würde, wenn sie nicht vom Treibstoff stabilisiert wird. Wenn die Hauptstufe korrekt zündet und alles perfekt läuft, werden ein paar Sekunden später die Booster gezündet. In jeden von ihnen passen 270 Tonnen Treibstoff, also ingesamt deutlich mehr als in der Hauptstufe. Die Booster sind es deswegen auch, die so gut wie den gesamten Schub beim Start liefern; erst wenn sie ausgebrannt sind - circa 2 Minuten nach dem Start - werden sie abgeworfen und das Haupttriebwerk übernimmt den Rest des Fluges. Im Laufe der Zeit sind verschiedene Versionen der Ariane 5 gebaut wurden. Die, die 1996 beim ersten Start überhaupt gleich explodiert ist, war eine Ariane 5G und es war gleichzeitig auch der letzte Fehlschlag. Bei zwei weiteren Missionen wurde nicht die nötige Höhe erreicht um die Kommunikationssatelliten optimal einzusetzen. Aber die restlichen Flüge sind erfolgreich verlaufen. Die verbesserte Ariane 5G+ flog im Jahr 2004 zwar nur dreimal, aber dreimal erfolgreich. Zwischen 2005 und 2009 gab es 6 fehlerfreie Flüge der Ariane 5GS, die im Vergleich zu den beiden Vorgängermodellen eine höhere maximale Nutzlast ins All bringen konnte. Die Ariane 5ES, die zwischen 2008 und 2018 8 mal erfolgreich gestartet ist, konnte die Nutzlast nochmal erhöhen. Am häufigsten eingesetzt wurde aber die Ariane 5 ECA. Ihr erster Start war am 11. Dezember 2002 und auch das war ein Fehlschlag. Die Rakete ist abgestürzt und es war das letzte Mal, dass eine Ariane-5-Rakete explodiert ist. Das wusste man damals aber noch nicht, deswegen hat man die Entwicklung der leistungsstarken ECA ein wenig pausiert und sich alles nochmal angesehen. Was dazu geführt hat, dass eine der großen wissenschaftlichen Missionen der ESA ebenfalls verschoben werden musste. Die Raumsonde Rosetta, die auf einem Kometen landen sollte, hätte eigentlich schon am 13. Januar 2003 mit einer ECA starten sollen, konnte aber erst am 4. März 2004 mit einem anderen Raketentyp fliegen und musste deswegen auch einen anderen Kometen ansteuern als ursprünglich geplant. Die restlichen Flüge der ECA - insgesamt waren es 82 - verliefen dann aber alle erfolgreich, nur einmal konnten zwei Kommunikationssatelliten nicht exakt an den gewünschten Ort gebracht werden. Bis zum 5. Juli 2023 sind von der Ariane 5 ECA jede Menge Satelliten ins All gebracht und vor allem auch jede Menge wissenschaftliche Instrumente. Zum Beispiel das Weltraumteleskop Herschel und Planck, die Sonde zur Messung der kosmischen Hintergrundstrahlung, die 2009 gestartet wurden. Oder Bepi-Columbo, die Raumsonde zur Erforschung des Merkus, die 2018 losgeflogen ist. Und natürlich das James-Webb-Weltraumteleskop, das am 25. Dezember 2021 von einer Ariane 5 ECA erfolgreich ins All gebracht wurde. Dieser Flug war sogar so erfolgreich und das Teleskop wurde so exakt in den Weltraum gebracht, dass man sich jede Menge Treibstoff gespart hat und die Missionsdauer des Teleskops sogar verdoppeln konnte. Der vorletzte Flug der Ariane 5 hat die Raumsonde JUICE auf den Weg zur Erforschung der Jupitermonde gebracht, bevor dann der Kommunikationssatellit Heinrich Hertz den letzten Flug begleitet hat. Die Ariane 5 war ein höchst erfolgreiche und zuverlässige Rakete. Und sie wird nicht die letzte Ariane gewesen sein, die ins All geflogen ist. Immerhin gibt es noch jede Menge Zahlen hinter der 5.
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Sep 8, 2023 • 13min

Sternengeschichten Folge 563: Miranda, der seltsame Mond des Uranus

Blick von der höchsten Klippe des Sonnensystems Sternengeschichten Folge 563: Miranda, der seltsame Mond des Uranus Das Sonnensystem ist voller Welten. Von der Erde aus sehen wir davon leider entweder gar nichts oder höchstens ein paar Lichtpunkte am Himmel. Und die Welt um die es heute geht, ist ohne optische Hilfsmittel komplett unsichtbar für uns. Sie befindet sich bei Uranus, den man zwar theoretisch mit freiem Auge sehen könnte, aber in der Praxis eigentlich so gut wie nie ohne optische Hilfsmittel sehen kann. Der ferne Planet wird von einem Haufen Monde umkreist, von denen ich in Folge 409 der Sternengeschichten schon erzählt habe. Heute geht es aber nur um einen dieser Monde, nämlich Miranda. Sein Durchmesser beträgt nur circa 470 Kilometer und so ein kleiner Himmelskörper ist in der enormen Entfernung von der Erde natürlich nicht mit freiem Auge zu sehen. Es wäre aber cool, wenn man es könnte. Denn Miranda ist ein höchst seltsames Objekt. Der Mond sieht komplett durcheinander aus; irgendwie zusammengestückelt, so als wären da ein Haufen unterschiedlichster Felsbrocken wahllos ineinander gekracht. In der Mitte eine Region, die tatsächlich ein bisschen so aussieht wie wir es von unserem Erdmond kennen; darunter aber eine komische rechteckige Struktur mit hellen Gräben; am Rand lange, dunkle Furchen die sich über den halben Monbd ziehen und darunter sieht es so aus, als wäre ein kleines Stück aus Miranda herausgebrochen. So eine komplexe Oberfläche würde man sich bei so einem winzigen Objekt wie Miranda definitiv nicht erwarten. Aber da ist dieser Mond nunmal, knapp 130.000 Kilometer von Uranus entfernt auf einer kreisförmigen Umlaufbahn, die ihn alle 1,4 Tage einmal um den fernen Eisriesen-Planet bringt. Von seiner Existenz wissen wir seit dem 16. Februar 1948 als der Astronom Gerard Kuiper ihn mit dem Teleskop der McDonald-Sternwarte in Texas entdeckt hat. Miranda befindet sich außerhalb des Ringsystems von Uranus auf einer, wie gesagt, fast perfekt kreisförmigen Bahn. Diese Bahn ist aber um mehr als 4 Grad gegenüber der Äquatorebene von Uranus geneigt und das ist außergewöhnlich. Was das zu bedeuten hat, schauen wir uns später noch genauer an. Bleiben wir zuerst noch kurz bei Uranus selbst. Über diesen Planeten gäbe es auch jede Menge zu erzählen; für diese Geschichte hier ist aber die Art und Weise interessant, wie Uranus um die Sonne kreist. Das tut er mit einer Umlaufzeit von knapp 84 Jahren. Die Achse, um die Uranus selbst alle gut 17 Stunden rotiert ist aber um 97 Grad gegenüber der Ebene geneigt, in der er sich um die Sonne bewegt. Oder anders gesagt: Uranus "rollt" quasi um die Sonne. Ein halbes Uranus-Jahr lang ist sein Nordpol fast direkt auf die die Sonne gerichtet; die andere Hälfte zeigt der Südpol zur Sonne. Das bedeutet, dass eine Hälfte des Uranus 42 Jahre lang dunkel ist, worauf dann ein 42 Jahre langer heller "Tag" folgt (ein bisschen so wie bei den Polartagen und Polarnächten in Arktis und Antarktis auf der Erde). Und was für Uranus gilt, gilt auch für Miranda, der den Planeten ja nahezu in dessen Äquatoreben umkreist. 42 Jahre lang ist die eine Hälfte des Mondes hell und die andere dunkel und dann ist es 42 Jahre lang umgekehrt. Das ist aber bei weitem noch nicht alles, was Miranda so außergewöhnlich macht. Schauen wir uns an, was es dort alles zu sehen gibt. Zum Beispiel die Coronae. Das ist lateinisch für Krone beziehungsweise Kranz und genau so sehen die Dinger auch aus: runde oder ovale Strukturen, die keine Krater sind. Wir kennen so etwas von der Venus: Dort entstehen die Coronae, wenn Magma aus dem Planeteninneren aufsteigt und dabei die Kruste nach oben drückt. Dann bricht die Kruste auf und das geschmolzene Material fließt an den Rändern nach oben. Die Struktur die dabei entsteht ist das, was wir heute Corona nennen. Bei einem heißen Planeten wie der Venus ist das plausibel. Aber nicht bei einem winzigen Mond wie Miranda, der noch dazu eiskalt ist. Die mittlere Dichte von Miranda liegt nur wenig über einem Gramm pro Kubikzentimeter, was bedeutet, das er fast vollständig aus Wassereis bestehen muss. Fast 80 Prozent des Mondes sind Eis, der Rest sind ein bisschen Gestein und gefrorene Gase wie Methan. Mit heißem Magma ist im Inneren von Miranda eher nicht zu rechnen. Aber wir kommen später auf dieses Thema und die Entstehung der Coronae auf Miranda zurück. Schauen wir uns zuerst eine davon etwas genauer an: Inverness Corona. Auf einem Bild von Miranda ist sie leicht zu erkennen, denn sie ist fast schon rechteckig statt oval oder kreisförmig. Es handelt sich um eine gewaltige Senke in dem sie umgebenden Hochland, mit einer Ausdehnung von mehr als 230 Kilometer. Man erkennt jede Menge Furchen und deutliche Helligkeitsunterschiede in der Oberfläche. Allgemein ist Miranda ein eher heller Himmelskörper. Er reflektiert im Mittel gut 32 Prozent des einfallenden Sonnenlichts, mehr als doppelt so viel wie der Erdmond reflektiert. Innerhalb von Inverness Corona variiert die reflektierte Lichtmenge aber zwischen 20 und 40 Prozent; sehr helle Regionen wechseln sich dort mit sehr dunklen Bereichen ab. Neben Inverness Corona befindet sich Elsinore Corona, eine noch ausgedehntere Region aus parallel verlaufenden Gräben die bis zu 320 Kilometer lang sind. Wirklich beeindruckend auf Miranda sind allerdings die Rupes. So werden die Klippen auf Miranda genannt und nirgendwo gibt es höhere als dort. Wenn man auf der Erde möglichst tief nach unten fallen will, ohne in ein Flugzeug zu steigen, dann muss man auf die Insel Baffin Island in Kanada reisen. Dort steht der Mount Thor, mit einer Steilwand, von der aus es 1250 Meter senkrecht nach unten geht (und es hat zwar nichts mit dem Thema zu tun, aber der erste, der diesen Berg bestiegen hat war der Astronom Lyman Spitzer, über den ich in Folge 362 mehr erzählt habe). Das ist aber nichts gegen die Verona Rupes auf Miranda. Von dieser Klippe geht es 20 Kilometer tief nach unten. 20 Kilometer! Würde man von Mount Thor fallen, braucht man circa 20 Sekunden bis man unten ankommt. Von der Spitze der Verona Rupes würde man mehr als 12 Minuten lang fallen. Das liegt nicht nur allein an der Höhe, sondern natürlich auch an der enorm geringen Schwerkraft die auf dem kleinen Mond herrscht. Trotzdem sollte man diesen Sprung nicht ausprobieren: Auch in der geringen Schwerkraft von Miranda erreicht man am Ende eine hohe Geschwindigkeit und würde mit gut 200 Kilometer pro Stunde am Boden der gewaltigen Klippe aufprallen. Es ist schon ein wenig überraschend: Warum finden wir die größte bekannte Klippe des Sonnensystems gerade auf diesem kleinen Uranusmond? Und wieso hat dieser Mond überhaupt so viele geologische komplexe Strukturen? Was ist da los, wie ist dieser Mond entstanden, dass er heute so aussieht, wie er aussieht? Lauter gute Fragen und leider gibt es darauf nicht ganz so viele gute Antworten. Früher dachte man, dass der Mond nach seiner Entstehung durch eine Kollision mit einem anderen Himmelskörper quasi komplett zerbrochen ist und die Bruchstücke sich dann wieder auf die chaotische Weise zusammengesetzt haben, die wir heute sehen. Das klingt prinzipiell plausibel; so etwas kann passieren - aber je genauer man sich Miranda angesehen hat, desto weniger Hinweise hat man für diese Hypothese gefunden. Heute geht man von einer anderen Situation aus. Miranda ist ja nicht der einzige Mond des Uranus; da sind noch mehr als zwei Dutzend andere. Zum Beispiel Ariel und Umbriel; beide deutlich größer als Miranda. Computersimulationen zeigen, dass Miranda nach seiner Entstehung in einer Bahnresonanz mit einem beziehungsweise beiden dieser anderen Monde befunden haben könnte. Das heißt, dass die Umlaufbahnen um Uranus der Monde in einem ganzzahligen Verhältnis zueinander gestanden sind. Während Ariel einmal um den Uranus läuft, macht Miranda genau drei Umläufe: das wäre zum Beispiel eine 3:1 Resonanz. Heute ist Miranda in keiner Bahnresonanz, aber früher könnte der Mond eben in genau so einer 3:1 Resonanz mit Ariel und einer 5:3 Resonanz mit Umbriel gewesen sein. In solchen Resonanzzuständen können sich die gravitativen Wirkungen der Monde aufeinander verstärken, weil sie eben nach regelmäßigen Zeiten die gleichen relativen Abstände haben wie zuvor. Ariel beziehungsweise Umbriel haben also - vereinfacht gesagt - immer wieder mit ihrer Gravitation an Miranda geschubst und das hat Konsequenzen. Zuerst wurde die Umlaufbahn von Miranda dadurch exzentrisch, ist also stark von einer Kreisbahn abgewichen. Das hat die Gezeitenwirkungen verstärkt, die Uranus auf Miranda ausübt und diese starke Gezeitenkraft hat den Mond verformt und dadurch aufgeheizt. Wärmeres Wassereis aus seinem Inneren konnte an die Oberfläche steigen, so wie geschmolzenes Gestein im Inneren der Erde nach oben steigt. Dadurch können auch auf Miranda tektonische Prozesse ablaufen, die dann zum Beispiel die Coronae entstehen lassen; die Gebirge auffalten, die Klippen bilden, und so weiter. Die Resonanz hat aber nicht ewig gedauert; irgendwann war die Bahn von Miranda so weit gestört, dass sie nicht mehr in Resonanz mit Ariel oder Umbriel war. Ich will nicht auf die ganzen himmelsmechanischen Details eingehen, aber am Ende führt das dazu, dass die Bahn wieder sehr kreisförmig wird, aber die Bahnneigung sich erhöht, genau so wie wir es heute beobachten. Womit wir beim letzten Problem wären, was Miranda angeht. Wenn ich sage, "wie wir es heute beobachten", dann ist damit eigentlich gemeint: Wie die Raumsonde Voyager 2 es im Jahr 1986 beobachtet hat, als sie an Uranus vorbei geflogen ist und dabei auch ein paar Bilder von Miranda machen konnte. Dass die Sonde gerade an Miranda vorbei geflogen ist - in einem Abstand von knapp 30.000 Kilometer war reiner Zufall; Voyager 2 war auf dem Weg zum Neptun und das war eben die Bahn, die für diesen Flug nötig war. Damals hat niemand damit gerechnet, dass dieser kleine Mond so ein extrem spannendes Objekt sein könnte. Aber das zeigt eben auch wieder, dass man NIE genau sagen kann, was man finden wird, bevor man nicht nachsieht. Wer weiß, was die anderen Monde des Uranus noch für unerwartete Eigenschaften zeigen. Oder die Monde des Neptun; des Jupiters, des Saturns und all die anderen Kometen, Asteroiden und restlichen Himmelskörper, die wir noch gar nicht oder nur extrem lückenhaft im Detail beobachtet haben. Und auch bei Miranda wäre noch viel zu beobachten. All das, was ich bis jetzt erzählt habe, von Inverness Corona, von den Verona Rupes, und so weiter, spielt sich nur auf einer Hälfte des Mondes ab. Was auf der anderen Hälfte noch alles zu sehen wäre, wissen wir nicht. Denn die hat Voyager 2 nicht fotografiert. Vielleicht ist Miranda ja noch viel außergewöhnlicher als wir bisher glauben!
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Sep 1, 2023 • 11min

Sternengeschichten Folge 562: Die ursprüngliche Massefunktion

Weißt du wieviel Sternlein wiegen? Sternengeschichten Folge 562: Die ursprüngliche Massefunktion Es gibt viele offene Fragen in der Astronomie. Zum Beispiel wenn es um die Natur der dunklen Materie geht oder die der dunklen Energie. Wir wissen nicht, was im Inneren von schwarzen Löchern wirklich passiert. Und wir haben keine Ahnung, was vor dem Urknall war. Bei solchen Fragen muss man auch nicht viel erklären um zu verstehen, warum es sich lohnen würde, eine Antwort darauf zu haben. Es gibt aber auch ungelöste Probleme, die auf den ersten Blick deutlich unspektakulärer aussehen - auf den zweiten Blick aber von enormer Bedeutung sind. "Wie hat das alles angefangen?" ist eine der Fragen, die sich vermutlich alle Menschen irgendwann mal gestellt haben. Religion, Philosophie und mittlerweile auch die Naturwissenschaft versuchen sich an Antworten und das ist gut so. Aber wer hat sich schon mal die Frage nach der "ursprünglichen Massefunktion" gestellt? Vermutlich niemand außerhalb der Astronomie und weder Philosophie noch Religion scheinen eine Meinung dazu zu haben. Und auch wenn der Begriff ein wenig sperrig klingt, lohnt es sich, wenig genauer hinzusehen. Es geht vielleicht nicht um den fundamentalen Anfang von Allem und die ultimative Antwort auf das Leben, das Universum und den ganzen Rest. Aber es geht AUCH um Anfänge und es geht vor allem um den Weg, um an verlässliche Antworten auf Fragen zu kommen. Bei der ursprünglichen Massefunktion, die in der Fachsprache Englisch auch die "Initial Mass Function" heißt und deswegen oft mit "IMF" abgekürzt wird, geht es um Sterne. Ich habe schon oft genug erzählt, wie Sterne entstehen und will das hier nicht im Detail wiederholen. Auf jeden Fall aber fängt alles mit einer Wolke aus Gas an, die unter ihrem eigenen Gewicht kollabiert, bis die Gasmassen am Ende so dicht zusammengepresst sind, dass in ihrem Inneren die Kernfusion einsetzen kann und ein Stern entstanden ist. Die Details sind bekanntlich deutlich komplizierter aber es gibt einen Punkt, den wir uns auf jeden Fall genauer ansehen müssen. Die simple Erklärung "Eine Gaswolke kollabiert und es entsteht ein Stern" ist insofern falsch, als dass aus einer Gaswolke nicht EIN Stern entsteht. Die kosmischen Wolken aus denen die Sterne entstehen, sind enorm groß. Sie können hunderte Lichtjahre groß sein und die millionfache Masse der Sonne haben. Wenn so eine Wolke in sich zusammenfällt, dann entsteht daraus nicht ein Stern, sondern hunderte bis tausende auf einmal. Wir wissen außerdem, dass Sterne gibt, die sehr viel weniger Masse haben als unsere Sonne. Und Sterne, die sehr viel mehr Masse haben. Wie viel Masse ein Stern hat, hängt selbstverständlich von seiner Entstehung ab. Wenn eine große Gaswolke kollabiert, dann fragmentiert sie dabei auch. Das soll heißen: Die ganze Masse der Wolke fällt nicht auf einen Punkt zu; fällt nicht in ein einziges Zentrum zusammen. Sondern es bilden sich darin jede Menge Klumpen, die alle für sich in sich zusammenfallen bis eben ein ganzer Haufen Sterne entstanden sind. Sterne, deren Masse davon abhängt, wie groß der jeweilige Klumpen war, aus dem sie sich gebildet haben. Und die Frage um die es jetzt geht lautet: Wenn so eine Gaswolke kollabiert, wie viele Sterne mit welcher Masse werden dabei gebildet? Die Beziehung, die das angibt; also die Anzahl der Sterne innerhalb eines bestimmten Massebereichs: Das ist die ursprüngliche Massefunktion. Mit so einer Beziehung kann man dann zum Beispiel berechnen, dass so und so viele Sterne die doppelte Sonnenmasse habe; so und so viele Sterne die halbe Sonnenmasse, und so weiter. Nur: Wie findet man diese Funktion? Der erste, der das versucht hat, war der Astronom Edwin Salpeter. In Österreich geboren, dann nach dem Anschluss Österreichs ans Deutsche Reich nach Australien geflohen und später nach Amerika ausgewandert, hat er sich in seiner wissenschaftlichen Arbeit mit Quantenmechanik und der Entwicklung von Sternen beschäftigt. Und 1955 die erste Ursprüngliche Massenfunktion aufgestellt. Sein Ansatz war empirisch, das heißt, er hat probiert das Problem durch Beobachtungen zu lösen. Man kann ja einfach die Sterne beobachten, die da sind; ihre Massen bestimmen und dann schauen, wie viele Sterne mit bestimmten Massen es gibt. Dann sucht man eine mathematische Funktion, die diesen Zusammenhang beschreibt und: Fertig! Das klingt einfach, ist es aber natürlich nicht. Damit das wirklich funktioniert, müsste man ALLE Sterne beobachten die es gibt; idealerweise müsste man über alle Sterne Bescheid wissen, die es jemals gegeben hat. Das geht nicht und das wusste Salpeter auch. Aber irgendwo muss man ja anfangen, also hat er die diversen Beobachtungsdaten zusammengetragen und eine entsprechende Funktion aufgestellt. Aus mathematischer Sicht war diese Formel recht simpel, wenn man wissen will, wie viele Sterne einer bestimmten Masse es gibt, muss man einfach den Wert dieser Masse nehmen und das dann hoch -2,35 nehmen. Aber auf die mathematischen Details kommt es gar nicht an, sondern auf die Tatsache, dass es sehr überraschend wäre, wenn man so etwas die ursprüngliche Massefunktion durch so ein simples Potenzgesetz beschreiben könnte. Der Kollaps einer Gaswolke ist ein höchst chaotischer Prozess, der von vielen Faktoren abhängt. Von den Eigenschaften der Atome selbst bis hin zu externen Einflüssen wie der Strahlung von Sternen in der Umgebung, und so weiter. Aber wie gesagt: Irgendwo muss man mal anfangen und eine simple Näherung ist besser als gar nichts. Und besser als eine simple Näherung ist natürlich eine genauere Näherung. Dazu braucht man mehr Beobachtungsdaten und da wird es schon wieder schwierig. Große Sterne, mit viel Masse, leuchten hell und heiß und sind daher sehr gut zu beobachten, auch wenn sie weit entfernt sind. Sterne mit geringer Masse, zum Beispiel rote Zwergsterne, sind logischerweise weniger heiß, weniger hell und damit auch schlechter zu sehen. Der sonnennächste Stern - Proxima Centauri - ist zum Beispiel genau so ein roter Zwerg und wir haben ihn erst 1917 entdeckt, wie ich in Folge 114 der Sternengeschichten erzählt habe. Wir wissen außerdem, ganz unabhängig von der ursprünglichen Massefunktion, dass es sehr viel mehr kleine Sterne gibt als große Sterne. Ungefähr drei Viertel aller Sterne im Universum sind rote Zwergsterne; Sterne von ungefähr der Masse unserer Sonne sind sehr viel seltener und machen nur circa 6 Prozent aller Sterne aus. Salpeter hatte sich damals bei seiner Arbeit auf die sonnenähnlichen Sterne konzentriert, die leichter zu beobachten sind als die leuchtschwachen roten Zwerge. Aber wenn man allgemeine Prinzipien über alle Sterne aus einer kleinen, nicht repräsentativen Untergruppe ableiten will, schafft das eben Probleme. Salpeters Ansatz ist im Laufe der Zeit verbessert worden, mit immer besseren Beobachtungsdaten. Aus der simplen mathematischen Formel sind komplexere Formeln geworden, bei der man verschiedene mathematische Gleichungen verwenden muss, je nachdem ob man es mit kleinen, mittleren oder großen Sternen zu tun hat. Aber das fundamentale Problem bleibt: Wir haben zu wenig Daten, sowohl was die sehr großen als auch die sehr kleinen Sterne angeht. Große Sterne mit viel Masse sind sehr heiß und deswegen läuft die Kernfusion dort sehr schnell ab. Sie haben ihren Treibstoff schnell aufgebraucht; explodieren bei Supernovas und deswegen sehen wir nicht so viele davon. Kleine Sterne wären zahlreich vorhanden, sind aber schwer zu beobachten. Uns fehlen also die Daten, um eine verlässliche ursprüngliche Massenfunktion aufzustellen. Und wir haben auch keine Theorie, die so exakt beschreiben kann, was beim chaotischen Kollaps einer Gaswolke passiert, um auf diesem Weg eine Massenfunktion ableiten zu können. Dazu kommen noch ein paar grundlegendere Probleme: Wer sagt denn, dass es so eine Funktion überhaupt geben muss? Also es gibt sie natürlich in dem Sinn, als dass man die Massenverteilung einer Sternenpopulation immer mit einer mathematischen Formel beschreiben kann. Aber es wäre eigentlich höchst überraschend, wenn es eine "universale" Funktion geben würde, die immer und überall für alle Arten der Sternentstehung gilt. Die Bedingungen die in der Milchstraße für die Sternentstehung herrschen sind anders, als in anderen Galaxien. Und die Bedingungen die JETZT in der Milchstraße herrschen, sind anders, als sie vor ein paar Milliarden Jahren waren. Selbst innerhalb der Milchstraße gibt es unterschiedlichste Sternentstehungsregionen mit unterschiedlichen Bedingungen. Wenn überhaupt, dann müsste eine ursprüngliche Massefunktion jede Menge Parameter haben, mit der man sie an die verschiedenen Orte und Zeiten anpassen kann, für die sie verwendet werden soll. So oder so brauchen wir in der Astronomie ein möglichst gutes Verständnis über die Entstehung der Sterne. Denn davon hängt alles andere ab! Wenn wir ein paar der fundamentalen Fragen beantworten wollen, die ich zu Beginn gestellt habe; Fragen über dunkle Materie, dunkle Energie, den Urknall, und so weiter: Dann können wir auf naturwissenschaftliche Weise nur dann Antworten finden, wenn diese auf Beobachtungsdaten basieren. Und all diese Beobachtungen haben auf die eine oder andere Art mit Sternen zu tun. Beziehungsweise: Mit dem Licht der Sterne. In der Astronomie können wir, mit wenigen Ausnahmen, NUR das Licht der Sterne beobachten und müssen daraus alles andere ableiten. Eigenschaften wie das Alter der Sterne, ihre Temperatur oder eben ihre Masse sind einer direkten Beobachtung nicht zugänglich. Wir müssen das Verhalten von Sternen so gut wie nur irgendwie möglich verstehen, wenn wir solche Eigenschaften indirekt aus der Beobachtung des Lichts bestimmen wollen. Und zum Verhalten von Sternen gehört zuallerst natürlich auch ihre Entstehung und damit das, was durch eine ursprüngliche Massenfunktion beschrieben wird. Und erst wenn wir ausreichend viele Eigenschaften von ausreichend vielen Sternen bestimmt haben, können wir diese Daten nutzen, um damit zum Beispiel die Dynamik einer Galaxie zu untersuchen. Die unser wiederum Information über die dunkle Materie liefern kann. Und so weiter: Egal ob es um den Urknall geht, um erdähnliche Exoplaneten oder was auch immer sonst wir über das Universum wissen wollen: Wir müssen die Sterne verstehen, wenn wir Antworten haben wollen. Und deswegen ist Suche nach der ursprünglichen Massefunktion so wichtig.
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Aug 25, 2023 • 15min

Sternengeschichten Folge 561: Die Entstehung des Universums aus dem Nichts

Warum gibt es etwas und nicht Nichts? Sternengeschichten Folge 561: Die Entstehung des Universums aus dem Nichts "Das Universum ist eines der Dinge, die von Zeit zu Zeit einfach passieren". Je nachdem, wie lange man über diesen Satz nachdenkt, ist er entweder eine flapsige Bemerkung oder eine sehr tiefgründige Aussage. Tatsächlich stammt der Satz aus einer wissenschaftlichen Arbeit, die im Jahr 1973 veröffentlicht worden ist und zwar von Edward Tryon. Ein Name, den kaum jemand kennt; selbst innerhalb der Wissenschaft nicht und das obwohl Tryon der erste war, der sich ernsthaft wissenschaftliche Gedanken über die Entstehung des Universums gemacht hat. Bevor wir aber zu Tryon kommen und zu seiner Arbeit, müssen wir zuerst ein paar mögliche Missverständnisse aus dem Weg schaffen. Denn vielleicht denkt jetzt der eine oder die andere: Moment mal, die Urknalltheorie ist doch viel älter als 1973! Das stimmt, aber das, was landläufig als "Urknalltheorie" bekannt ist und wissenschaftlich korrekt als Lambda-CDM-Modell bezeichnet werden muss, ist eine kosmologisches Modell, das die ENTWICKLUNG des Universums beschreibt. Es geht darin um die Entstehung der ersten Elementarteilchen; darum, wie sich aus diesen Teilchen die ersten Atome entwickelt haben, daraus die ersten Sterne, und so weiter. Es geht um die fundamentalen physikalischen Kräfte und wie die sich unter den extrem Bedingungen im sehr, sehr frühen Universum verhalten haben. Das Urknallmodell ist sehr gut darin zu beschreiben, wie sich unser heutiges Universum aus einem extrem dichten, extrem heißen Anfangszustand vor 13,8 Milliarden Jahren entwickelt hat. Es macht aber keine Aussagen darüber, wie das Universum selbst entstanden ist! Und das ist ja eine ziemlich fundamentale Frage: Warum gibt es das Universum überhaupt? Dass es da ist, ist offensichtlich und Astronomie und Kosmologie sind recht gut darin, zu beschreiben wie es funktioniert und was darin alles passiert. Aber warum ist es da? Warum gibt es etwas und nicht einfach nur nichts? Das ist natürlich eine zutiefst philosophische Frage; es ist eine Frage mit der sich alle Religionen der Welt auf die eine oder andere Weise beschäftigt haben. Und es ist eine Frage, die von der Wissenschaft die längste Zeit über ignoriert worden ist. Beziehungsweise ist "ignoriert" vielleicht der falsche Begriff. Man hat festgestellt, dass die Wissenschaft nicht in der Lage ist, darüber irgendwelche sinnvollen Aussagen zu treffen und deswegen darauf verzichtet, das zu tun. Aber prinzipiell gibt es keinen Grund, nicht doch auch auf wissenschaftliche Weise über Fragen dieser Art nachzudenken. Ansonsten würde man ja in der Forschung nie zu etwas kommen. Womit wir bei Edward Tryon wären. Geboren wurde er am 4. September 1940 in Terre Haute, in den USA und studierte an der Cornell Universtät Physik. Später machte er sein Doktorat in Berkeley an der Uni von Kalifornien wobei er vom Nobelpreisträger Steve Weinberg betreut wurde. Weinberg war nicht nur einer der Mitbegründer des Standardmodells der Teilchenphysik sondern hat sich auch mit Kosmologie beschäftigt. Es ist also nicht verwunderlich, wenn auch Tryon über die Verbindungen zwischen den ganzen großen und den ganz kleinen Dingen nachgedacht hat. Denn das ist genau das, was man braucht, wenn man es mit der Entstehung und Entwicklung des Universums zu tun hat. Das Universum ist heute groß; war aber früher klein. Und irgendwann kleiner als die kleinsten Objekte die wir uns vorstellen können. Wenn wir irgendwas über seine Entstehung herausfinden wollen, müssen wir uns zwangsläufig mit den Phänomenen der Teilchenphysik und der Quantenmechanik beschäftigen. Wenn es um so etwas höchst abstrakes wie die Entstehung des Universums selbst geht, gibt es - neben allen anderen Problemen - zwei grundlegende Probleme. Zuerst wäre da einmal die fundamentale Energieerhaltung. Wieso kann "etwas" einfach aus dem "nichts" heraus entstehen? Alle bekannten Gesetze der Naturwissenschaft sagen uns, dass es nicht möglich ist, dass irgendwas "einfach so" zu existieren beginnt. Und zweitens: Wenn da einfach nur nichts ist, welchen Grund; welche Ursache sollte es geben, damit aus dem Nichts ein "etwas" wird? Wir haben also Probleme mit der Kausalität, also den Beziehungen zwischen Ursache und Wirkung und mit den Erhaltungssätzen, wenn wir erklären wollen, wie das Universum entstanden ist. Und jetzt sind wir bei Vakuumfluktuationen. Das war auch das Wort, mit dem Edward Tryon zuerst für Gelächter und erst sehr viel später für Aufmerksamkeit gesorgt hat. Bei einem Vortrag des britischen Kosmologen Dennis Sciama hat Tryon in einer Pause die Bemerkung gemacht, dass das Universum vielleicht eine Vakuumfluktuation sein könnte. Damals hielten das alle für einen Witz; erst später wurde klar, dass Tryon das durchaus ernst gemeint hatte. Und zwar 1973, als sein Aufsatz mit dem Titel "Ist das Universum eine Vakuumfluktuation?" in der Fachzeitschrift "Nature" veröffentlich wurde. Der berühmte Kosmologe Alan Guth, der maßgeblich zum Verständnis der allerersten Vorgänge im Universum beigetragen hat, hat Tryons Bemerkung und späteren Aufsatz als "wahrscheinlich erste wissenschaftliche Idee über die Herkunft des Universums "bezeichnet und wenn wir verstehen wollen, um was es dabei geht, müssen wir die Sache mit den Vakuumfluktuationen ein wenig genauer ansehen. Was soll das sein; ein Vakuum ist ja nichts und wie soll das Nichts fluktuieren; sich also verändern? Klingt alles sehr paradox, aber wenn man es mit der Quantenmechanik zu tun hat, dann kommt man um solche paradox erscheinenden Phänomene nicht umhin. Ich habe vorhin erwähnt, dass nicht einfach irgendwas aus dem Nichts entstehen kann. Nur dass das in der Quantenmechanik unter Umständen durchaus möglich ist. Tryon schreibt in seiner Arbeit "In der Quantenelektrodynamik ist es zum Beispiel möglich, dass ein Elektron, ein Positron und ein Photon spontan aus dem Vakuum entstehen. Wenn das passiert, existieren die drei Teilchen für einige Zeit, bevor sie sich gegenseitig auslöschen und keine Spur zurück lassen. Das spontane, zeitlich begrenzte Auftauchen von Teilchen aus einem Vakuum wird Vakuumfluktuation genannt und ist ein völlig normales Phänomen in der Quantenfeldtheorie." Soweit Tryon im Jahr 1973; und bevor ich weiter erzähle, möchte ich noch anmerken, dass die Sache mit den Vakuumfluktuationen WIRKLICH knifflig ist. Das, was Tryon da beschreibt ist nicht exakt das, was man heute unter Vakuumfluktuationen versteht; da geht es um virtuelle Teilchen und eigentlich geht es um sehr viel Mathematik, die man mit der Existenz realer oder virtueller Teilchen veranschaulichen kann aber nicht unbedingt muss und vielleicht auch nicht in allen Fällen veranschaulichen sollte. Ich beschränke mich jetzt auf die eher allgemeine Beschreibung, dass laut dem, was wir durch die Quantenmechanik wissen, durchaus Teilchen "einfach so" entstehen können. In der Quantenmechanik geht es um Statistik und Wahrscheinlichkeiten; man kann zum Beispiel nicht exakt sagen, wo sich ein Teilchen zu einem bestimmten Zeitpunkt befindet, sondern nur eine Wahrscheinlichkeit angeben, mit der es sich an einem bestimmten Ort befinden könnte. Und auch das mit dem Vakuum ist nicht so einfach. Das ist nicht einfach leer, sondern voll mit Quantenfeldern, die zwar nicht nichts sind, aber eigentlich auch nicht etwas, sondern eher das Potenzial für etwas. Was aber genaugenommen eine enorm und zu sehr vereinfachende Beschreibung ist; aber egal - Quantenfelder sind etwas, aus dem Teilchen spontan entstehen können. Wir haben aber immer noch ein Problem mit der Energieerhaltung. Das Universum ist voll mit Energie (und Masse, was aber ja eigentlich das selbe ist). Die kann nicht aus dem Nichts kommen, soweit wir wissen. Aber auch das hat sich Tryon überlegt. Die ganze Masse, all die Sterne, die Galaxien und alles andere im Universum stellen eine enorme Menge an Energie dar, das stimmt. Aber die Gravitationskraft, die zwischen all diesen Objekten wirkt, kann man in diesem Zusammenhang als eine Art von negativer Energie interpretieren. Das kann man sich vielleicht mit diesem Vergleich besser vorstellen: Wenn ich einen schweren Stein in den 20. Stock eines Hochhauses trage, dann muss ich dafür Energie aufwenden, weil ich ihn durch das Gravitationsfeld der Erde bewege und diese Gravitation den Stein eigentlich am Boden liegen lassen möchte. Der Stein im 20. Stock hat jetzt eine sogenannte "potentielle" Energie und was für ein Potenzial das ist, kann man beobachten, wenn man den Stein von dort zu Boden fallen lässt. Der Stein gewinnt an Energie, wenn er fällt. Oder anders gesagt: Ein Stein hoch oben hat eine größere potenzielle Energie als einer der Boden liegt. Der am Boden hat eine potenzielle Energie gleich Null; was man auch daran merkt, dass so ein Stein wenig macht; der liegt nur rum und wenn man will, dass er was tut, muss man Energie zuführen. Ich könnte jetzt auch ein Loch buddeln, und einen Stein, den ich dort hineinwerfe, hätte dann eine negative potenzielle Energie, denn ich muss Energie aufwenden, um ihn wieder auf das Nullniveau, das heißt die Erdoberfläche zu heben. Das gilt jetzt aber nur für die Erdoberfläche, weil wir in diesem Beispiel das Nullniveau eben genau auf dort festgelegt haben. Man kann sich aber auch überlegen, wo die Gravitationskraft zwischen zwei Objekten tatsächlich gleich Null ist: Nämlich dann, wenn sie unendlich weit voneinander entfernt sind. Das eigentliche Nullniveau für die Gravitationsenergie liegt also vereinfacht gesagt unendlich weit über unseren Köpfen. Und auf diese Weise interpretiert haben alle Objekte eine negative potenzielle Gravitationsenergie. Oder noch einmal anders gesagt: Die Gravitation kann als negative Energie betrachtet werden und Tryon hat sich überlegt, dass diese negative Energie ja vielleicht genau die positive Energie der Masse im Universum ausgleichen könnte. Insgesamt betrachtet wäre das Universum dann also etwas, was eine Energie von Null hätte und wenn so etwas dann einach spontan aus dem Vakuum ploppt, sollte das kein Problem mehr sein. Jetzt ist die Sache natürlich sehr viel komplexer; das, was ich bis jetzt erklärt habe, ist sehr stark vereinfacht und dazu kommt, dass man seit 1973 auch ein paar neue Dinge herausgefunden hat. Man hat die Quantenmechanik besser verstanden; hat Phänomene wie die dunkle Energie entdeckt, die ja auch so eine Art Gegenkraft zur Gravitation ist, und so weiter. Aber der prinzipielle Befund von Tryon bleibt - mit diversen Modifikationen - immer noch bestehen. Das Universum könnte eine Vakuumfluktuation sein. Es könnte "einfach so", aus dem Nichts heraus entstanden sein. Gelöst ist die Sache damit aber immer noch nicht. Natürlich nicht! Wenn das Universum einfach "nur" eine Fluktuation im Vakuum ist, dann muss man als nächestes nämlich fragen: Was für ein Vakuum soll das denn sein? Tryon schreibt in seiner Arbeit vom "Vakuum eines größeren Raums", in den das Universum eingebettet ist. Und der muss ja am Ende auch wieder irgendwo her kommen… Trotzdem: Tryons Idee war die erste, mit der man auf einer halbwegs seriösen wissenschaftlichen Basis darüber nachdenken konnte, wie so etwas wie das Universum selbst ENTSTEHEN kann. Und wenn wir irgendwann herausfinden sollten, dass es wirklich so war; das wir wirklich spontan aus dem Nichts entstanden sind, dann ist das definitiv ein Fortschritt in der Erkenntnis, selbst wenn wir dann noch klären müssen, in welchem übergeordneten Raum dieses Nichts sich befindet. Aber so wird es immer sein: Egal welche Art von Anfang wir für unsere Existenz finden; wir werden und müssen uns immer fragen, was denn DAVOR war. Und da hilft es auch nichts, wenn man einfach behauptet, das es kein "davor" gibt oder dass es keinen Anfang gibt. Wir können uns nicht vorstellen, dass es etwas gibt, was kein "davor" hat. Egal ob das jetzt eine quasi wissenschaftliche Behauptung ist, wie früher, als man dachte, das Universum hat immer schon existiert und würde bis in die Unendlichkeit weiter existieren. Oder ob man aus der Religion irgendeinen "Gott" einführt, der angeblich "davor" war und aus irgendwelchen Gründen aber selbst kein "davor" braucht: Es ist unbefriedigend. Es kann gut sein, dass unser Gehirn schlicht und einfach nicht in der Lage ist, auf eine Weise zu denken, die diesen Zwiespalt auflöst. Aber wir werden nicht aufhören, darüber nachzudenken. Tryon selbst hat das mit dem Satz kommentiert, den ich zu Beginn erwähnt habe. In seinem Artikel schreibt er: "Bezüglich der Frage, warum so etwas passiert, biete ich den bescheidenen Gedanken an, dass unser Universum einfach eines der Dinge ist, die eben von Zeit zu Zeit passieren". Tryon selbst hat seine Pioneerleistung nicht viel gebracht; seine Arbeit wurde lange Zeit ignoriert; erst später, als man ein besseres mathematisches Verständnis für all diese Phänomene entwickelt hat, hat man die Sache mit der Entstehung aus den Vakuumfluktuationen ernster genommen. Bekannt ist sein Name trotzdem nicht geworden, obwohl er es verdient hätte. Tryon ist am 11. Dezember 2019 gestorben und sein Nachruf in der New York Times weiß auch nicht viel mehr zu berichten als über seine akademische Ausbildung und seine Arbeit aus dem Jahr 1973. Aber immerhin wird dort erwähnt, dass er Katzen mochte und in seinen letzten Jahren immer wieder Streuner aufgenommen hat. Für eine Katze, die sich nicht in seine Wohnung getraut hat, hat er sogar eine beheizte Unterkunft gebaut.
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Aug 18, 2023 • 13min

Sternengeschichten Folge 560: Quasi-Sterne

Kosmische Überraschungseier ohne Schokolade aber mit schwarzem Loch Sternengeschichten Folge 560: Quasi-Sterne In der heutigen Folge der Sternengeschichten geht es um Quasi-Sterne. Und damit sind nicht die "quasi stellar objects" gemeint, beziehungsweise die "Quasare"; also die aktiven Zentren von fernen Galaxien, von denen ich in Folge 52 schon ausführlich erzählt habe. Die Quasi-Sterne um die es jetzt geht sind, sind wie normale Sterne, nur nicht so ganz. Quasi Sterne eben. Es sind Objekte, die von außen so aussehen wie normale Sterne, in deren Inneren sich aber eine Überraschung verbirgt. Diese kosmischen Überraschungseier sollte man aber eher geschlossen halten, denn in ihnen gibt es nichts zum Spielen und auch keine Schokolade. Sie sind allerdings äußerst spannend und um zu verstehen, warum das so ist, müssen wir bei einem ganz anderen Problem anfangen. Und brauchen dafür jetzt doch noch einmal kurz die Quasare, die ich zu Beginn erwähnt habe. Wir wissen, dass sich in den Zentren aller großen Galaxien gigantische schwarze Löcher befinden, deren Masse das Millionen- bis Milliardenfache der Sonnenmasse betragen kann. Solche supermassereichen schwarzen Löcher können ruhig sein oder aktiv, je nachdem was sich in ihrer Umgebung befindet. In jungen Galaxien gibt es jede Menge Gas und Staub und all das wirbelt um das zentrale schwarze Loch herum, bevor es hineinfällt. Bei diesem Wirbeln wird elektromagnetische Strahlung freigesetzt und deswegen leuchtet die Umgebung dieser aktiven schwarzen Löcher enorm hell. So hell, dass man das auch noch in großer Entfernung beobachten kann. Diese aktiven Zentren ferner Galaxien nennt man auch "Quasare"; die Zentren von alten Galaxien wie unserer Milchstraße sind dagegen ruhiger. Dort ist nur noch sehr wenig Staub und Gas und diese supermassereichen schwarzen Löcher bringen ihre Umgebung deswegen deutlich weniger stark zum Leuchten. Dass es supermassereiche Löcher in den Zentren der Galaxien gibt, weiß man schon lange (darüber habe ich in Folge 455 mehr erzählt) und spätestens als wir 2019 das erste Bild so eines supermassereichen schwarzen Lochs gemacht haben, besteht darüber kein Zweifel mehr. Was wir dagegen nicht gut verstehen, ist die Entstehung dieser Objekte. Wir wissen, wie normale schwarze Löcher entstehen, also schwarze Löcher die bis zu ein paar Dutzend Mal schwerer sind als die Sonne. So etwas bildet sich, wenn ein großer Stern am Ende seines Leben keine Kernfusion mehr durchführen kann und unter seinem eigenen Gewicht immer weiter in sich zusammenfällt. Es gibt aber keine Sterne, die so groß sind, dass sie zu einem schwarzen Loch kollabieren, dass ein paar Millionen Sonnenmassen hat. Kein Problem, könnte man denken: Dann entstehen diese gewaltigen schwarzen Löcher halt in dem viele kleine miteinander verschmelzen. Das ist prinzipiell zwar möglich. Aber es braucht Zeit und wir haben mittlerweile aktive Galaxien entdeckt, die nur ein paar hundert Millionen Jahre nach dem Urknall existieren - und das ist zu kurz, als dass ein supermassereiches schwarzes Loch aus vielen kleinen entstehen kann. Es muss also einen anderen Mechanismus geben; einen Mechanismus, der schwarze Löcher produziert, die deutlich größer sind als sie normalerweise aus dem Kollaps eines Sterns entstehen würden. Die Quasi-Sterne sind genau so ein Mechanismus. Und zwar ein hypothetischer, das sage ich am besten gleich dazu. Wir wissen nicht, ob es solche Objekte gibt, aber wenn, dann wären sie enorm faszinierend. Simpel gesagt handelt es sich um einen Stern, in dessen Inneren ein schwarzes Loch sitzt. Nur dass es eben kein echter Stern sein kann; in normalen Sternen findet im Zentrum Kernfusion statt und die sorgt dafür, dass so ein Stern überhaupt so funktionieren kann, wie ein Stern. Die großen Mengen an Gas aus denen ein Stern besteht, wollen unter ihrer eigenen Schwerkraft immer stärker in sich zusammenfallen; die bei der Kernfusion freiwerdende Strahlung dagegen bewegt sich vom Kern nach außen und wirkt diesem Kollaps entgegen. Deswegen bleibt ein Stern stabil und es klingt ein wenig seltsam, wenn man behauptet, dass im Kern eines Sterns auch ein schwarzes Loch sein kann. Das schwarze Loch zieht einfach alles an, verschluckt die Gasmassen des Sterns und fertig. Am Ende kriegen wir ein schwarzes Loch und es bleibt weder ein Stern übrig, noch ein Quasi-Stern. Das ist im Prinzip richtig. Aber in Warheit auch ein wenig komplizierter. Gehen wir zurück in die Frühzeit des Universums, als es noch keine Sterne gab. Nur sehr viel Wasserstoff und Helium; die anderen chemischen Elemente gab es damals noch nicht, denn die müssen ja erst durch die nuklearen Prozesse in den Sternen produziert werden. Die gigantischen Gaswolken aus Wasserstoff und Helium kollabieren und bilden nun genau diese ersten Sterne. Es kann aber auch sein, dass die Gaswolke so enorm viel Masse hat, dass sie gleich direkt zu einem schwarzen Loch kollabiert. Und es kann sein, dass da noch viel mehr Masse ist. Dann kriegen wir ein schwarzes Loch mit einer Hülle aus Wasserstoff und Helium. Und warum fällt dieses ganze Zeug nicht auch einfach ins schwarze Loch? Weil schwarze Löcher eben nicht einfach nur Löcher sind, in das Zeug kommentarlos hineinfällt. Ich hab das zu Beginn schon erwähnt: Material in der Nähe eines schwarzen Lochs fällt nicht auf direktem Weg hinein, so wie ein Stein, den man in ein Loch im Boden wirft. Es wird beschleunigt; es wirbelt auf spiralförmigen Umlaufbahnen um das Loch herum, bis es irgendwann am Ende dabei so nahe gekommen ist, dass es der Anziehungskraft nicht mehr entkommen kann. Und bei dieser enorm schnellen Bewegung wird das Material so stark aufgeheizt, dass es Strahlung abgibt. Diese Strahlung kann so stark sein, dass sie das verbliebene Material in der Umgebung des schwarzen Lochs regelrecht davon pustet und deswegen kann ein schwarzes Loch auch nicht so einfach beliebig stark anwachsen. Man nennt das das "Eddington-Limit": Wenn ein schwarzes Loch zu viel Zeug verschluckt, entsteht dabei so viel Strahlung, dass der Rest weit hinaus ins All gedrückt wird und nicht mehr ins Loch fallen kann. Das Wachstum des schwarzen Lochs hat also eine eingebaute Grenze und das ist ein Problem, wenn wir auf der Suche nach einem Mechanismus sind, der überdurchschnittlich große schwarze Löcher produziert. Es ist allerdings nur auf den ersten Blick ein Problem. Auf den zweiten Blick sieht die Situation nämlich so ähnlich aus, wie ich es vorhin kurz bei den normalen Sternen erzählt habe. Die Gravitation will den Stern kollabieren lassen; der Strahlungsdruck der Kernfusion wirkt dem entgegen und es entsteht ein Gleichgewicht, dass den Stern stabil hält. Jetzt haben wir eine sehr große Menge an Gas, die kollabiert. Ein schwarzes Loch entsteht; verschluckt noch mehr Material und dabei wird Strahlung frei, die nach außen drängt. Wenn die Gashülle um das schwarze Loch aber aussreichend viel Masse hat, dann kann sie durch diese Strahlung NICHT weggedrückt werden. Wir kriegen ein Gleichgewicht, zwischen der Strahlung die aus der Umgebung des schwarzen Lochs frei wird und der Gravitationskraft der Gashülle. Und auch hier kann am Ende eine Art von Gleichgewicht entstehen. Kein dauerhaftes natürlich. Die Strahlung die aus der Umgebung des schwarzen Lochs kommt, reicht nicht, um die äußere Gashülle davon zu pusten. Sie kann sie aber auch nicht dauerhaft auf Abstand zum schwarzen Loch halten. Das heißt, es fällt weiterhin ständig Material aus der Hülle ins Loch; das Loch wächst - langsam - immer weiter, bis die Gashülle irgendwann komplett weg ist. Es dauert circa 7 Millionen Jahre, bis alles verschluckt ist, aber während dieses Vorgangs würde das Objekt von außen so aussehen, wie ein großer, heißer Stern, obwohl er alles andere ist als ein normaler Stern. "Groß" heißt hier wirklich groß: Ein solcher Quasi-Stern hätte eine Masse von circa 10 Millionen Sonnenmassen; so viel wie manche sehr kleine Galaxien. Und der Quasi-Stern ist zwar groß, aber definitiv kleiner als eine Galaxie, weil eben ein großer Teil der Masse im schwarzen Loch in seinem Inneren sitzt. Die äußersten Schichten der Gashülle, die das Loch umgeben hätten eine Temperatur von circa 10.000 Grad, was circa doppelt so viel ist als bei der Sonne, aber nicht unbedingt untypisch für Sterne. Wichtig ist aber, was am Ende passiert: Nachdem das schwarze Loch die gesamten Gasmassen verschluckt hat, hat es eine Masse von ein paar tausend Sonnenmassen und das ist deutlich mehr, als es normalerweise haben könnte. Denn normalerweise würde eben das Eddington-Limit verhindern, dass ein schwarzes Loch zu stark wächst. Weil wir bei einem Quasi-Stern aber genau die richtigen Bedingungen haben; weil die Masse der Gashülle genau groß genug ist, um NICHT durch die Strahlung davon gepustet zu werden; weil wir hier das schwarze Loch quasi langsam genug füttern: Deswegen kann es über sein normales Limit hinaus wachsen. Und wenn so etwas oft genug vorkommt und es ausreichend viele solcher schwarzen Löcher gibt, die aus Quasi-Sternen entstanden sind, und DIE miteinander verschmelzen, dann könnte das schnell genug passieren, um zu erklären, wie die supermassereichen schwarzen Löcher entstanden sind, die wir heute beobachten. Die ganze Sache klingt plausibel; ist aber eben nur eine Hypothese. Und eine, die schwer zu überprüfen ist. Quasi-Sterne kann es nur im frühen Universum gegeben haben. Sie können nur aus Gaswolken entstehen, die aus Wasserstoff und Helium bestehen. Beziehungsweise: Sie können nur aus Gaswolken entstehen, in denen außer Wasserstoff und Helium sonst keine anderen Elemente enthalten sind. Warum das so ist, ist fast schon wieder ein Thema für eine eigene Sternengeschichte. Aber ganz kurz erklärt: Wie groß eine Gaswolke beziehungsweise ein Protostern werden kann, hängt unter anderem auch von der Fähigkeit des Gases ab, sich selbst zu kühlen. Ansonsten landen wir wieder beim Eddington-Limit: Wenn die Gasmassen zu heiß werden, dann können sie nicht mehr zu einem kompakteren Objekt wie einem Stern kollabieren sondern fliegen auseinander. Aus diversen Gründen, auf die ich hier jetzt nicht eingehen möchte, läuft der Kühlungsprozess effizienter, wenn in einer Gaswolke nicht nur Wasserstoff und Helium vorhanden sind, sondern auch andere chemische Elemente. Die gab es aber im frühen Universum nicht; und deswegen waren damals sehr, sehr große Gaswolken nötig, mit ausreichend viel Masse, um die ersten Sterne entstehen zu lassen. Nur solche großen Massen konnten ausreichend viel Gravitationskraft aufbringen, um trotz der schlechteren Kühlung zu Sternen zu kollabieren. Deswegen waren die erste Sterne im Universum so viel größer als die Nachfolgegenerationen, denen dann ja schon die chemischen Elemente zur Verfügung standen, die diese ersten Sterne bei der Kernfusion erzeugt haben. Für einen Quasi-Stern braucht man aber noch viel mehr kollabierende Masse und wenn man das mit einer "modernen" Gaswolke aus dem heutigen Universum versuchen würde, würde das nicht klappen. Es kann sie nur im frühen Universum gegeben haben und ein paar Millionen Jahre später waren sie schon wieder verschwunden und zu großen schwarzen Löchern geworden. Irgendwie müssen die supermassereichen schwarzen Löcher entstanden sein; immerhin wissen wir ja, dass sie da sind. Vielleicht waren die Quasi-Sterne im frühen Universum ihr Ursprung. Und vielleicht finden wir irgendwann auch noch einen Weg, das zweifelsfrei nachzuweisen. Bis dahin bleibt es weiter spannend; ganz ohne Schokolode.
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Aug 11, 2023 • 11min

Sternengeschichten Folge 559: Der Rechenfehler und die Supernova

Auf der Suche nach dem verlorenen Stern Sternengeschichten Folge 559: Der Rechenfehler und die Supernova John Flamsteed wurde 1675 der erste königliche Astronom in England, er gründete die Königliche Sternwarte in Greenwich, er stritt sich heftig mit Isaac Newton - aber all diese Geschichten habe ich schon in anderen Folgen der Sternengeschichten erzählt. Heute geht es um den Himmelsatlas Historia coelestis Britannica, das Lebenswerk von Flammsteed. Genauer gesagt: Es geht um einen ganz besonderen Stern, der in diesem Katalog aufgeführt ist. Einen Stern, den es gar nicht gibt. Flamsteeds Katalog enthielt die Positionen von 2935 Sternen. Er hat sie alle beobachtet, die Beobachtungsdaten in mühsamer und komplizierter Arbeit in Koordinaten umgerechnet; entsprechende Karten dazu gezeichnet, und so weiter. Warum? Weil das, und fast nur das, damals die Arbeit der Astronomie war! Man konnte ja nicht mehr tun, als die Positionen der Sterne zu messen, und noch ihre Helligkeit. Aber mehr war da nicht; all das, was wir heute über den Aufbau, die Entwicklung der Sterne, über die Galaxien, und so weiter bekannt ist, war damals nicht nur unbekannt, es war für die Menschen auch unmöglich, das mit ihren Methoden herausfinden zu können. Darüber hinaus hat Flamsteed auch ein ganz praktisches Ziel verfolgt; sein Atlas sollte ein fundamentaler Teil einer neuen Methode sein, wie Schiffe auf hoher See ihre Position bestimmen können, aber das hab ich ja in Folge 148 schon genau erklärt. Flamsteed hat jedenfalls sehr viele Sterne beobachtet. Er konnte dabei natürlich auch keine fotografischen Methoden nutzen; er konnte nur schauen und mit seinen Messgeräten probieren, die Position zu genau wie möglich zu bestimmen. Bilder, die er auch später in Ruhe nochmal nachträglich vermessen konnte, gab es nicht. Es ist also verständlich, wenn man davon ausgeht, dass Flamsteed ab und zu mal Fehler gemacht hat. Wir alle machen Fehler und bei fast 3000 Sternen wäre es überraschend, wenn da jede einzelne Position perfekt passt. Flamsteed hat die endgültige Veröffentlichung seines Werks auch nicht mehr erlebt; es wurde nach seinem Tod herausgegeben und auch danach haben andere Forscherinnen und Forscher nochmal alles genau angesehen und probiert, Fehler zu korrigieren. Eine dieser Forscherinnen war Caroline Herschel, die Schwester des Astronomen Wilhelm Herschel, der den Uranus entdeckt hat. Caroline war aber nicht nur die Schwester, sondern selbst auch Astronomin die ihrer eigenen Forschung nachging. Und bei ihrer ausführlichen Kontrolle von Flamsteeds Katalog ist ihr der Stern mit der Bezeichnung "3 Cassiopeia" aufgefallen. Da, wo der laut Flamsteed sein sollte, war am Himmel nichts zu finden. Knapp daneben war ein anderer Stern, und Herschel ging davon aus, dass Flamsteed sich bei der Positionsbestimmung ein klein wenig verrechnet hatte und eigentlich diesen Stern gemeint hatte. Sie fand auch keine Aufzeichnungen von Flamsteed zur genaue Rechnung und strich den aus ihrer Sicht nicht existenten Stern aus dem Katalog und setzte stattdessen den anderen ein. Auch der Astronom Francis Baily beschäftigte sich mit der Korrektur von Flamsteeds Arbeit. Und auch er stolperte über 3 Cassiopiea. Der Fehler, den Flamsteed gemacht haben musste, um die Position des Sterns so falsch zu berechnen, war eigentlich untypisch groß für Flamsteed, der sonst immer extrem genau gearbeitet hat. Auch er konnte nicht herausfinden, was Flamsteed da beobachtet hatte; warum er einen Stern gesehen haben sollte, der nicht da ist. Aber gut - Fehler passieren eben nun mal. Und wenn ein Katalogeintrag unter tausenden ein wenig komisch ist, dann muss man daraus kein großes Drama machen. 3 Cassiopeia wurde gestrichen und die Sache war vorerst erledigt. Aber so ganz ist der mysteriöse Rechenfehler-Stern nicht aus der Astronomie verschwunden. Und tatsächlich haben wir das Rätsel mittlerweile vielleicht gelöst. Wir springen ein wenig in die Zukunft; aus dem 17. Jahrhundert in die Mitte des 20. Jahrhunderts. 1948 veröffentlichten die britischen Astronomen Martin Ryle und Francis Graham-Smith Ergebnisse aus ihren Beobachtungen auf dem damals noch sehr neuen Forschungsfeld der Radioastronomie. Im Sternbild Cassiopeia fanden sie dabei eine extrem starke Radioquelle, also irgendein Objekt oder Phänomen, bei dem enorme Mengen an elektromagnetischer Strahlung im langwelligen Radiobereich freigesetzt werden. Das Ding hat heute die Bezeichnung "Cassiopeia A" und ist eine der stärksten Radioquelle außerhalb des Sonnensystems, die wir am Himmel beobachten können. Um was es sich dabei genau handelt, wussten Ryle und Smith damals noch nicht. Erst ein paar Jahre später konnte man Cassiopeia A auch mit normalen Teleskopen beobachten. Und je genauer man hinsehen konnte, desto klarer wurde die Lage. Das Objekt dehnte sich aus; sehr schnell sogar. Man beobachtete also offensichtlich eine Art Explosion. Mittlerweile haben wir sehr detaillierte Bilder, die unter anderem von Weltraumteleskopen gemacht worden sind und die zeigen sehr eindeutig, dass Cassiopeia A der Überrest einer Supernova-Explosion ist. Ein gewaltiger Roter Riesenstern muss hier unter seinem eigenen Gewicht kollabiert sein, als er keinen Treibstoff mehr für die Kernfusion in seinem Inneren hatte. Wir sehen leuchtende Gasmassen, die sich annähernd kugelförmig um ein Zentrum verteilen. Was wir nicht direkt sehen, aber messen können, ist die Geschwindigkeit mit der sich diese Gasschalen ausdehnen. Sie tun das mit bis zu 6000 Kilometer pro Sekunde und das ganze Material ist so heiß, dass es jede Menge Strahlung abgibt, unter anderem eben auch die Radiostrahlung, die Ryle und Smith damals gemessen haben. Im Zentrum der sich ausbreitenden Gasmassen befindet sich vermutlich ein Neutronenstern, also der letzte, extrem verdichtete Rest des Kerns, der vom ehemaligen Riesenstern noch übrig geblieben ist, bevor er damals bei der gewaltigen Explosion seine äußeren Schichten im All verteilt hat. Aber: Wann war dieses "damals" eigentlich? Das kann man berechnen, wenn man schaut, wie schnell sich das Gas ausbreitet und welche Strecke es schon zurück gelegt hat. Dann kann man zurückrechnen auf den Zeitpunkt, als alles in der Mitte vereint war; der Stern also noch ganz war. Tut man das, dann kommt man ungefähr auf das Jahr 1680. Und 1680, im August um genau zu sein, hat Flamsteed auch die Beobachtungen gemacht, bei der er den mysteriösen Stern 3 Cassiopeia gesehen haben will. Es ist natürlich auch kein Zufall, dass sowohl Flamsteeds Stern als auch der Supernova-Überrest das "Cassiopeia" im Namen haben. Beide Objekte befinden sich in der gleichen Gegend am Himmel, dort wo das Sternbild Cassiopeia ist. Tatsächlich liegen die Positionen des Supernova-Überrests und von Flamsteeds Sterns sehr nahe beieinander. Hat Flamsteed also tatsächlich gesehen, wie der Rote Riesenstern explodiert ist? Cassiopiea A ist circa 11.000 Lichtjahre von der Erde entfernt. Es ist kein Wunder, dass dort niemand einen Stern gesehen hat; mit den damaligen Teleskopen kann man das in so einer Entfernung nicht sehen. Wenn der Stern aber zur Supernova wird, wird er so hell, dass er sichtbar ist. Wenn es aber eine wirklich helle Supernova gewesen wäre, dann wäre es komisch gewesen, wenn außer Flamsteed niemand etwas gesehen hätte. Untersuchungen haben aber gezeigt, dass die Helligkeit in diesem Fall gerade an der Grenze gewesen sein könnte, wo man ein Teleskop braucht, um das Ding zusehen. Wer also einfach nur so zum Himmel schaut, sieht nichts. Nur wer ein Teleskop an die richtige Stelle des Himmels richtet, sieht den Lichtpunkt, der allerdings ohne weitere Analyse auch nicht anders aussieht, als ein Stern. Es ist also möglich, dass Flamsteed zufällig Glück hatte und die Supernova bei seiner Katalogarbeit entdeckt und für einen Stern gehalten hat. So eine Supernova verblasst aber im Lauf der Zeit; nach ein paar Monaten oder Jahren ist nix mehr zu sein, zumindest nicht in so einem Teleskop wie es Flamsteed damals hatte. Und dann wundern sich Leute wie Herschel oder Baily, warum da ein Stern im Katalog steht, der gar nicht mehr am Himmel ist. Tatsächlich hat man später auch die Aufzeichnungen gefunden, in denen Flamsteed seine Messungen und Berechnungen aufgeschrieben hat. Und festgestellt, dass er nicht einfach die Position eines Sterns falsch bestimmt hat. Flamsteed hat 3 Cassipoeia beobachtet und er hat auch Beobachtungsdaten für den Stern, von dem Caroline Herschel dachte, es wäre der Stern mit dem Flamsteed 3 Cassiopiea verwechselt hat. Oder anders gesagt: Es ist kaum möglich, dass es diese Verwechslung gegeben hat. Da war wirklich ein Stern am Himmel, den Flamsteed beobachtet hat und der später nicht mehr zu finden war. Ist der Fall damit also gelöst? Es wäre schön, aber so eindeutig ist es selten, wenn man es mit der Geschichte zu tun hat. Wir wissen schlicht und einfach nicht, was Flamsteed damals gemacht hat. Der Unterschied in der Position von 3 Cassiopiea und Cassipoeia A ist klein, aber doch größer, als die Fehler, die Flamsteed üblicherweise bei seinen Positionsbestimmungen gemacht hat. Aber es gibt so viel, was bei Beobachtungen schief gehen kann; wer weiß schon, was da wirklich passiert ist. Aber es ist zumindest durchaus plausibel, dass John Flamsteed im Sommer 1680 tatsächlich als einziger Mensch die Supernovaexplosion eines 11.000 Lichtjahre entfernten Riesensterns gesehen hat. Und weil er nicht gewusst hat und auch nicht wissen konnte, mit was er zu tun hat, ist dieses gewaltige kosmische Ereignis nur zu einem weiteren Katalogeintrag und dann als vermeintlicher Rechenfehler ganz gestrichen worden…

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