Sternengeschichten

Florian Freistetter
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Dec 15, 2023 • 13min

Sternengeschichten Folge 577: Der Krieg zwischen Sonne und Mond und die erste Science-Fiction-Geschichte der Welt

Nehmt euch vor den Weinrebenmädchen in Acht! Sternengeschichten Folge 577: Der Krieg zwischen Sonne und Mond und die erste Science-Fiction-Geschichte der Welt Science Fiction ist keine Wissenschaft, aber sie hat die Wissenschaft immer schon beeinflusst. Lange bevor die ersten Raketen ins Weltall geflogen sind, haben sich Menschen schon vorgestellt, wie es sein könnte, durchs Weltall zu reisen. Mal realistischer, wie zum Beispiel Jules Verne in seinem Roman "Von der Erde zum Mond", mal weniger realistisch, wie Johannes Kepler in seinem Werk "Somnium", von dem ich in Folge 472 der Sternengeschichten ausführlich erzählt habe. H.G. Wells hat sich in "Krieg der Welten" vorgestellt, wie das Leben auf dem Mars aussehen könnte, Arthur C. Clarke hatte die Idee zu geostationären Satelliten und einem Weltraumlift in seinen Büchern entwickelt und zumindest eine davon ist später Realität geworden. Und so weiter - kurz gesagt: Die Science Fiction inspiriert die Wissenschaft dazu, die dort gezeigten Visionen umzusetzen und die Wissenschaft inspiriert die Science Fiction, die Realität kreativ weiterzudenken. Die klassische Science Fiction mit den Werken von H.G. Wells, Jules Verne oder Mary Shelley beginnt im 19. Jahrhundert, die moderne Science Fiction in der Zeit vor dem zweiten Weltkrieg. Aber natürlich haben Menschen auch schon früher entsprechende Ideen gehabt. Die Science Fiction ist ein so vielfältiges Genre, dass sie sich schwer abgrenzen lässt und ebenso schwer ist es, die "erste" Science-Fiction-Geschichte der Welt zu identifizieren. Aber es ist vermutlich nicht völlig falsch, wenn man bei dem Buch "Wahre Geschichten" anfängt. Geschrieben wurde es vor fast 2000 Jahren, im 2. Jahrhundert von Lukian von Samosata. Die Stadt Samosata lag damals in der römischen Provinz Syrien und ihre Ruinen heute unter dem Wasser des Atatürk-Stausees in der östlichen Türkei. Über das Leben von Lukian weiß man nicht sehr viel, aber er hat vermutlich als Redner und Autor gearbeitet und es sind knapp 70 seiner Werke bekannt. Eines davon ist "Wahre Geschichten" und darin findet man die früheste bekannte Darstellung einer Reise durch den Weltraum und von außerirdischen Lebewesen. Lukian wollte aber keine klassische Science Fiction schreiben; so etwas gab es damals in dem Sinne ja auch nicht. Sein Reisebericht ist eher eine Parodie auf die damalige Geschichtschreibung. Und "Geschichtsschreibung" hat damals wenig mit dem zu tun, was wir heute darunter verstehen. Diese Berichte waren im Wesentlichen frei erfundene Geschichten über das, was angeblich tatsächlich in fernen Ländern beziehungsweise der Vergangenheit passiert ist. In seiner Einleitung schreibt Lukian zum Beispiel "So hat Ctesias, Ctesiochus Sohn, aus Cnidus, in seinem Buche über Indien Dinge geschrieben, die er weder selbst gesehen, noch von irgend Jemand erzählen gehört hatte." Und fährt fort: "Viele Andere haben sich, in demselben Geiste, zur Aufgabe gemacht, uns ihre weiten Reisen, ihre Irrfahrten zu beschreiben, und von ungeheuren Bestien, wilden und grausamen Menschen, seltsamen Sitten und Gebräuchen zu erzählen." Auch Lukian will so einen Bericht verfassen und beendet seine Einleitung mit den Worten: "So erkläre ich denn feierlich: 'Ich schreibe von Dingen, die ich weder selbst gesehen, noch erfahren, noch von Andern gehört habe, und die eben so wenig wirklich, als je möglich sind.' Nun glaube sie, wer da Lust hat!" Was sollen wir also glauben, wenn wir Lust dazu haben? Die Reise von Lukian beginnt bei den Säulen des Herakles, also in Gibraltar, wo er mit 50 Kameraden ein Schiff besteigt. Sie segeln hinaus in den Atlantik, um "neue Dinge kennen zu lernen und zu erfahren, wo der Ocean aufhöre, und was wohl das für Leute seyn mögen, die jenseits desselben wohnen". Als erstes finden sie eine Insel, auf der ein Fluss aus Wein fließt. Auch die Fische darin bestehen aus Wein und müssen mit normalen "Wasserfischen" gemischt werden, um beim Essen nicht zu betrunken zu werden. Und Lukian findet auch ganz besondere Weinreben: "Unten am Boden bestanden sie aus einem sehr kräftigen und dicken Stamme, weiter aufwärts aber waren es Mädchen, die bis auf die Hüften herab an allen Theilen vollkommen ausgebildet waren". Diese Wesen, halb Wein, halb Frau haben Haare aus Weinblättern und Weintrauben und sind den Männern anscheinend durchaus freundlich gesinnt. Aber Achtung: "Zwei meiner Gefährten, die sich verführen ließen, konnten sich nicht wieder losmachen, sondern wuchsen und wurzelten dergestalt mit ihnen zu einem Gewächse zusammen". Die restlichen Männer, die den Weinfrauen entkommen sind, besteigen ihr Schiff, das aber sofort von einem Sturm in die Luft gehoben wird. Dort oben segelt es dann weiter, sieben Tage und sieben Nächte. Am achten Tag erreichen sie "eine Art von Erde in der Luft […] gleich einer großen, kugelförmigen, von hellglänzendem Lichte erleuchteten Insel". Als sie dort anlegen, erkennen sie tief unter sich eine andere Erde, die sie als ihre eigene erkennen. Lukian stellt fest, dass er auf dem Mond gelandet ist und dort geht es wild zu. Er wird sofort von einer Truppe Ritter, die auf riesigen Vögeln reiten festgenommen und zum König des Mondes gebracht. Der erklärt, dass er ursprünglich auch von der Erde kommt, jetzt aber gerade Krieg mit den Bewohnern der Sonne führt. Der Mondkönig wollte nämlich den unbewohnten Morgenstern kolonialisieren, was dem Sonnenkönig aber nicht gepasst hat. Es gab Krieg und Lukian ist gerade rechtzeitig zur großen Schlacht gekommen. Dort kämpfen jede Menge seltsame Wesen. Zum Beispiel die "Krautflügler", "eine außerordentlich große Gattung von Vögeln, die, anstatt mit Federn, über und über mit Krautblättern bewachsen sind". Es gab auch "Knoblauchstreiter" und "Hirsenschießer", außerdem auch "Flohspringer", die auf Flöhen reiten die so groß wie zwölf Elephanten sind. Und die "Luftspringer", "die aus der Ferne Rettiche von entsetzlicher Größe auf den Feind schleuderten. Wer von einem solchen Rettiche getroffen ward, starb gleich darauf, indem die Wunde augenblicklich in eine abscheulich riechende Fäulniß übergieng". Trotz all des grässlichen Gemüses gewinnt der Mond die Schlacht. Alle feiern, bis auf einmal die "Wolkenzentauren" auftauchen, gigantische fliegende Wesen halb Mensch, halb Pferd, die für die Sonne kämpfen und zu spät aufgetaucht sind. Jetzt aber greifen sie an, der Krieg bricht erneut aus und die Sonne gewinnt die Oberhand. Eine Mauer wird zwischen Mond und Sonne errichtet, "aus einer gedoppelten Reihe dichter Wolken gebildet, wodurch eine vollkommene Mondsfinsterniß entstand". Der Mondkönig ist gar nicht froh über die Finsternis, aber am Ende gibt es dann doch einen Friedensvertrag. Bevor Lukian wieder weiter reist, verfasst er noch einen kurzen Bericht über die Lebensweise der Mondbewohner. Es sind übrigens wirklich Mondbewohner und nicht auch Mondbewohnerinnen, denn Frauen gibt es dort nicht. Kinder werden dort, wie Lukian schreibt, "von Männern geboren, mit denen man hier in der Ehe lebt, indem jeder bis zum fünf und zwanzigsten Jahre der Geheirathete ist, nach dieser Zeit aber selbst heirathet. Sie tragen die Frucht nicht in der Bauchhöhle, sondern in der Wade: sobald nämlich das Empfängniß geschehen ist, wird die Wade dick und immer dicker; nach einiger Zeit aber schneidet man sie auf und zieht ein todtes Kind heraus, das nun mit offenem Munde dem Winde ausgesetzt und so zum Leben gebracht wird." Es gibt aber auch Baummenschen, deren Entstehung ein bisschen anders läuft. Lukian erklärt: "Man schneidet einem Manne den rechten Hoden ab, und pflanzt ihn in die Erde: aus diesem wächst nun ein ungeheurer, fleischerner Baum, in Gestalt eines Phallus, mit Zweigen und Blättern. Die Frucht, die er trägt, ist eine Art ellenlanger Eicheln, aus welchen, wenn man sie reif werden läßt und sodann auseinander schlägt, die Menschen genommen werden." Nun ja. Lukian weiß auch, was die Mondwesen essen: Den Dampf, der von gebratenen Fröschen aufsteigt. Es gibt am Mond auch Weinreben, die aber keine Weintrauben haben, sondern welche aus Wasser. Lukian vermutet, hier den Ursprung der Hagelkörner gefunden zu haben, die ab und zu auf die Erde fallen. Auf dem Mond gilt man übrigens nur als schön, wenn man eine Glatze hat und die Bewohner können ihre Augen herausnehmen: "Wer also Lust hat, nimmt sie aus und hebt sie auf, bis er etwas zu sehen braucht, alsdann setzt er nur seine Augen wieder ein und sieht." Auf der Rückreise macht Lukian zuerst beim Morgenstern halt, auf dem aber nicht viel los ist. Dann gelangt er zur "Lampenstadt", die "etwas unterhalb des Thierkreises zwischen der Luftregion der Pleiaden und der der Hyaden" liegt, wie Lukian schreibt. Diese Stadt wird tatsächlich ausschließlich von Lampen bewohnt, die in Laternen leben und Lukian trifft sogar seine eigene Hauslampe von der Erde. Auf der landen sie dann auch endlich wieder, werden aber sofort von einem gigantischen Walfisch verschluckt, in dem über tausend Menschen leben und gegeneinander Krieg führen. Nach dem Aufenthalt im Fisch gelangen sie in ein Meer aus Milch und auf eine Insel aus Käse, treffen danach diverse tote Prominente auf der Insel der Seligen, bis sie endlich wieder auf eine größere Landmasse treffen, "von welchem wir vermutheten, daß es der, unserm Erdtheil gegenüber liegende, Continent seyn möchte". Hier endet der Bericht von Lukian und es ist klar, dass das alles erstmal wenig mit Science Fiction der Art zu tun hat, die wir heute gewöhnt sind. Aber es wäre auch höchst überraschend, wenn sich jemand vor 2000 Jahren Raumschiffe mit Laserkanonen oder ähnlicher Technik ausgedacht hätte. Die Fiction in Science Fiction kann nur auf der verfügbaren Science basieren und zu Lukians Zeit wusste man nichts über den Weltraum. Warum sollte der Mond nicht einfach mit einem Schiff erreichbar sein, dass durch die Luft fliegt? Warum sollten dort keine Menschen leben? Natürlich hat Lukian sich einfach irgendeinen lustigen Quatsch ausgedacht, das war ja auch Ziel seines Werks, wie er in der Einleitung geschrieben hat. Aber allein die Tatsache, dass er sich für seine Reise eben nicht eine beliebige Reise ausgedacht hat, sondern eine Reise zum Mond, zur Sonne und zum Morgenstern; eine Reise über die Grenzen der Erde hinaus, zeigt, dass die Menschen auch damals schon darüber nachgedacht haben müssen, wie es denn wäre, auf diesen leuchtenden Himmelskörpern zu leben, die man in der Nacht sehen kann. Wie es sein könnte, zu diesen unerreichbaren Orten zu reisen und was man dort erleben könnte. Lukian hat sich die selben Gedanken gemacht, die sich nach ihm unzählige Menschen gemacht haben und die am Ende dazu geführt haben, dass wir tatsächlich und in echt zum Mond gereist sind. Die "Wahren Geschichten" von Lukian sind eine Parodie die man nur wirklich verstehen kann, wenn man die Zeit versteht in der sie geschrieben wurden und den Zweck kennt, zu dem sie verfasst worden sind. Trotzdem bleibt die Tatsache, dass Lukian in seiner Fantasie durchs Weltall und zu anderen Himmelskörpern gereist ist und man kann sie deswegen durchaus zur Science Fiction zählen. Lukian hätte seine Kritik an den zeitgenössischen Reiseberichten ja auch ebenso gut anbringen können, wenn er von Reisen in ferne Regionen der Erde geschrieben hätte. Hat er aber nicht; er ist zum Mond, zur Sonne und zu den Sternen gereist! Und wer weiß, was er auf dem unbekannten Kontinent alles erlebt hat, mit dessen Entdeckung die "Wahren Geschichten" enden. Der letzte Satz dort lautet: "Was ich nun weiter auf dem festen Lande sah und erlebte, soll in den nächsten Büchern erzählt werden". Leider ein falsches Versprechen; diese Bücher gibt es nicht. Aber wie sonst sollte ein Autor eine Geschichte voller Lügen beenden, als auf diese Weise…
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Dec 13, 2023 • 4min

Weltpremiere: Sternengeschichten Live am 28. März 2024

Kommt nach Herten zur Sternengeschichten-Liveshow! Weltpremiere: Sternengeschichten Live am 28. März 2024 Hier gibts Karten zur Show: https://schwarzkaue-herten.de/veranstaltung/sternengeschichten-die-live-premiere-in-unserem-spiralarm-der-milchstrasse/ Hallo liebe Hörerinnen und Hörer der Sternengeschichten. Ich melde mich wieder einmal außertourlich bei euch; Ankündigungen dieser Art mache ich ja nicht in den Folgen selbst, damit sie euch nicht beim Hören stören. Und ich hoffe, ihr hört euch das hier trotzdem an, weil es vielleicht den einen oder die andere von euch interessieren wird. Die Sternengeschichten gibt es jetzt seit über 11 Jahren und fast 600 Folgen. Jede Woche erzähle ich euch was und ihr hört es euch an. Das freut mich und das werde ich natürlich auch weiter genau so machen. Aber es wäre nett, auch mal die Menschen zu sehen, die das hier hören. Und vielleicht wollt ihr auch zur Abwechslung mal was sehen und nicht nur zuhören. Deswegen habe ich mich jetzt endlich entschlossen, aus dem Sternengeschichten-Podcast auch eine Show für die Bühne zu machen. Die Premiere - die Weltpremiere! - von "Sternengeschichten Live" wird am 28. März 2024 in der Schwarzkaue in Herten im Ruhrgebiet stattfinden. Und dort wird natürlich mehr passieren, als das ich einfach nur 10 Minuten lang etwas über das Universum erzähle. Es wird ein ganzer Abend voller Sternengeschichten werden; Sternengeschichten die es im Podcast bis jetzt noch nicht zu hören gegeben hat und vor allem auch nicht nur Geschichten, sondern auch ein wenig Action. Ich werde euch das eine oder andere Experiment zeigen; es wird Bilder zu sehen geben und wenn alle brav sind, werden wir das eine oder andere Experiment am Ende gemeinsam konsumieren können. Ich will nicht zuviel verraten - aber ihr könnt euch jetzt schon Tickets dafür besorgen, wenn ihr wollt; den Link dazu findet ihr in den Shownotes. Und ich weiß, dass viele jetzt vielleicht enttäuscht sind, weil die Veranstaltung in Herten stattfindet und nicht näher bei euch. Aber irgendwo muss die erste Show ja stattfinden. Und ich habe nichts dagegen, die Sternengeschichten-Liveshow auch ein zweites, drittes und viertes Mal aufzuführen. Und noch viel öfter danach. Ob das passieren wird, hängt natürlich davon ab, wie gut die Premiere läuft. Und davon, ob Menschen oder Organisationen, die solche Events veranstalten Interesse an dem haben, was ich tue, und mich für weitere Vorstellungen einladen. Aber keine Sorge: Sobald es weitere Vorstellungen geben wird, werde ich das hier bekannt gegeben und überall sonst, wo ich Dinge im Internet bekannt geben kann. Ich würde mich freuen, wenn wir uns im März in Herten sehen. Und ich freue mich natürlich vor allem, wenn ihr euch die zukünftigen Folgen der Sternengeschichten genau so gerne anhört, wie ihr sie bisher gehört habt. Und weil ich schon mal dabei bin: Wenn ihr gern noch mehr über Astronomie hören wollt, dann könnt ihr gerne auch mal den Podcast "Das Universum" ausprobieren, den ich gemeinsam mit meiner Kollegin Ruth aufnehme - und von dem es im März übrigens auch eine Live-Show anlässlich unserer 100. Folge geben wird. Ihr könnte euch auch den Podcast "Das Klima" anhören, den ich mit Claudia gemeinsam aufnehme und wenn ihr die Sternengeschichten unterstützen wollt, findet ihr die Infos dazu auch in den Shownotes. Ich wünsche euch allen frohe Feiertage! Erholt euch gut, ruht euch aus und habt auch weiterhin viel Spaß mit den Sternengeschichten! Hier gibts Karten zur Show: https://schwarzkaue-herten.de/veranstaltung/sternengeschichten-die-live-premiere-in-unserem-spiralarm-der-milchstrasse/ Hier geht es zum Podcast "Das Universum": https://dasuniversum.podigee.io/ Und hier zu "Das Klima": https://dasklima.podigee.io/ Wer die Sternengeschichten finanziell unterstützen möchte, kann das hier tun: Mit PayPal (https://www.paypal.me/florianfreistetter ), Patreon (https://www.patreon.com/sternengeschichten) oder Steady (https://steadyhq.com/sternengeschichten)
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Dec 8, 2023 • 11min

Sternengeschichten Folge 576: Der Helium-Blitz

Augen zu und durch Sternengeschichten Folge 576: Der Helium-Blitz Heute geht es um den Helium-Blitz. Das klingt gefährlich und wenn man so will, ist es das auch. Aber keine Sorge: Niemand läuft Gefahr, von einem Helium-Blitz erwischt zu werden. Dort, wo der stattfindet kommt kein Mensch jemals hin. Es geht um einen Vorgang der tief im Inneren eines Sterns stattfindet, und uns aber trotzdem etwas über das gesamte Universum verraten kann. Aber so weit sind wir noch nicht. Bevor wir überhaupt beim Helium-Blitz ankommen, müssen wir uns ein wenig damit beschäftigen, was ein Stern so treibt. Nämlich Kernfusion! Im Inneren eines Sterns wird Wasserstoff zu Helium fusioniert und die dabei freigesetzte Energie strahlt nach außen. Das ist noch simpel; davon habe ich auch schon in sehr vielen Sternengeschichten erzählt. Damit diese Kernfusion stattfinden kann, muss es heiß genug sein und der Druck ausreichend hoch. Das ist üblicherweise nur in den innersten Bereichen eines Sterns der Fall weswegen die Fusion wenig überraschend auch nur dort stattfindet. Und auch wenn Sterne sehr groß sind, ist der Wasserstoff im Kern irgendwann verbraucht. Und bevor er verbraucht ist, wird er natürlich immer weniger. Wenn ein Stern ein gewisses Alter erreicht, dann sinkt also auch das Ausmaß an Strahlung, dass er durch Wasserstofffusion in seinem Kern produziert. Wenn weniger Strahlung nach außen kommt, gerät der Stern aus dem Gleichgewicht. Bisher hat die stetige Strahlung der Gravitationskraft entgegen gewirkt, die die großen Mengen an Gas ausüben und die den Stern dazu bringt, in sich zusammen zu fallen. Wenn aber der Wasserstoff zur Neige geht, dadurch weniger Kernfusion stattfindet und die Strahlungsmenge sinkt: Dann wird auch der Gravitationskraft weniger entgegen gesetzt und der Stern beginnt, ein wenig in sich zusammen zu fallen. Sein Inneres verdichtet sich und das führt erstens einmal dazu, dass jetzt auch der Wasserstoff in den noch unverbrauchten Schichten weiter außen um den Kern herum heiß genug wird, um fusionieren zu können. Vereinfacht gesagt können wir uns den Stern also jetzt so vorstellen: Im Kern ist Helium, das aber nicht viel tut, weil die Temperatur dort nur ausreichend hoch ist, um Wasserstoff zu fusionieren - der aber nicht mehr da ist - und nicht hoch genug ist, um auch Heliumatome fusionieren zu lassen. Um diesen Heliumkern herum sind Schichten aus Wasserstoff, der sehr wohl fusioniert und dabei jede Menge neues Helium produziert. Helium, dass dann aber auch wieder nur rumliegt und nichts tut. Außer natürlich, den Heliumkern immer dichter und dichter zu machen. Solange aus dem Kern keine Strahlung kommt, die durch Fusion erzeugt wird, kann er ja nicht anders, als unter seinem eigenen Gewicht in sich zusammen zu fallen und genau das macht der Heliumkern. Irgendwann passiert aber etwas besonders: Der Kern entartet. Das klingt seltsam, aber mit "Entartung" ist ein quantenmechanisches Phänomen gemeint. Es geht vor allem um das sogenannte "Pauli-Prinzip", das ich aber jetzt nicht im Detail erklären will. Aber es besagt, dass zwei Teilchen, wie zum Beispiel zwei Elektronen, niemals einen identischen Quantenzustand haben können. Der Quantenzustand wird von den sogenannten Quantenzahlen bestimmt, aber auch das würde jetzt zu weit führen. Im Wesentlichen geht es um die Energie, die die Teilchen haben können und die hängt zum Beispiel davon ab, wo genau sich die Elektronen in der Hülle eines Atoms befinden. In der Praxis bedeutet das alles folgendes: Wenn die Dichte im Heliumkern immer weiter steigt, dann werden die Teilchen immer weiter zusammengequetscht. Eine der Haupterkenntnisse der Quantenmechanik ist aber nun gerade, dass Teilchen wie Elektronen nicht einfach "irgendeinen" Zustand haben können, sondern das Eigenschaften wie die Energie die sie haben können, quantisiert sind. Insbesondere gibt es einen niedrigstmöglichen Zustand und niedriger geht es nicht. Wenn die Materie im Kern also immer weiter zusammengedrückt wird, sind die Teilchen dort irgendwann so nahe aneinander gepackt, dass alle verfügbaren Energielevels besetzt sind. Das erzeugt eine Art von Druck, den sogenannten Entartungsdruck. Der wirkt jetzt der Gravitationskraft entgegen, aber dieser Druck hängt nicht beziehungsweise so gut wie gar nicht von der Temperatur ab. Wenn der Kern noch weiter komprimiert wird, hat das kaum Einfluss auf die Bewegungsenergie der Teilchen. Es gibt, sehr vereinfacht gesagt, keine verfügbaren Energiezustände mehr. Die Teilchen haben eh schon die höchstmöglichen Energielevel erreicht (und alle darunter auch besetzt). Mehr Energie ändert nichts an der Dichte. Denn normalerweise ist es ja genau das, was passiert: Wenn man Energie in einen Haufen Teilchen steckt, zum Beispiel in dem man sie komprimiert und dadurch erwärmt, bewegen sie sich schneller und diese Bewegung übt einen Druck aus (was man zum Beispiel gut daran sehen kann, dass die Luft sich in einer Luftmatratze ausdehnt, wenn sie in der prallen Sonne liegt und die Matratze ebenfalls viel praller macht als wenn sie im Schatten liegen würde). Die entartete Materie im Heliumkern dehnt sich aber nicht aus, wenn sie heißer wird. Der Kern bleibt also dicht, und weil von außen immer weiter neues Helium aus der Wasserstofffusion nachgeliefert wird, steigt die Temperatur immer weiter an. Irgendwann erreicht sie ungefähr 100 Millionen Grad und das ist der Zeitpunkt, an dem der Helium-Blitz stattfindet. Ja, ich weiß, das war jetzt sehr viel Quantenmechanik. Aber manchmal ist es eben auch in der Astronomie nötig, sich mit dem Verhalten der kleinsten Teilchen zu beschäftigen, wenn man verstehen will, wie die wirklich großen Dinge funktionieren. Jetzt aber zurück zum Helium-Blitz. Bei Temperaturen von mehr als 100 Millionen Grad können die Helium-Atome endlich fusionieren. Die Temperatur im Kern steigt schlagartig enorm stark an, aber - wie ich vorhin erklärt habe - an der Dichte ändert sich dadurch nichts. Je höher aber die Temperatur ist, desto effektiver kann das Helium fusionieren. Wir kriegen also einen sich selbst verstärkenden Prozess: Die Heliumfusion erhöht die Temperatur und die erhöhte Temperatur erhöht die Heliumfusion - und so weiter. Und weil die Kernmaterie immer noch entartet ist und ihr Volumen nicht ändert, kann sich dadurch auch kein Gegendruck aufbauen; sie kann sich nicht ausdehnen, abkühlen und dadurch den Prozess stabilisieren. Das Resultat: In extrem kurzer Zeit wird im Kern des Sterns eine enorm große Menge an Strahlung freigesetzt. Und "extrem kurz" heißt hier auch sehr kurz. Gerade weil so viel Helium fusioniert wird, ist es auch schnell wieder verbraucht und die enormen Mengen an Strahlung sorgen dafür, dass die entartete Materie wieder "normal" wird. Das ganze ist nach ein paar Minuten bis Stunden vorbei. Also nicht die komplette Phase der Helium-Fusion, die dauert viel länger, die fängt jetzt quasi erst an. Erst nach dem Helium-Blitz kann der Stern das restliche Helium (und das, was von der Wasserstofffusion in den äußeren Schichten nachgeliefert wird) kontrolliert fusionieren; erst jetzt stellt sich wieder ein Gleichgewicht aus Gravitationskraft und dem Druck der nach außen dringenden Strahlung ein. Und jetzt wollen natürlich alle gerne wissen, wie so ein Helium-Blitz aussieht, oder? Er sieht leider gar nicht aus. Man kann davon tatsächlich nichts sehen. Fast die ganze Energie wird durch die Ausdehnung des Kerns aufgebraucht, sobald der Zustand der Entartung aufgehoben ist und das was übrig bleibt, wird von den weiter außen liegenden Schichten des Sterns absorbiert. Von außen sieht man also tatsächlich nichts - aber wir wissen, dass so ein Blitz stattfinden muss, weil das direkt aus den Eigenschaften des Sterns und den quantenmechanischen Eigenschaften der Materie folgen muss. Wir wissen auch, dass das nur Sterne können, die nicht zu viel Masse haben. Schwere Sterne haben ausreichend viel Masse, um die für eine Heliumfusion nötige Temperatur in ihrem Kern zu erreichen, ohne dass die Materie dort entarten muss. Da fängt also einfach die Heliumfusion an, ohne Helium-Blitz. Und bei Sternen, die zu wenig Masse haben, wird es nie heiß genug für eine Heliumfusion. Nur bei einer Masse, die circa zwischen der halben und der zweieinhalbfachen Sonnenmasse liegt, kriegt man einen Helium-Blitz. Was gleichzeitig auch bedeutet, dass unsere Sonne genau so ein blitzender Stern sein wird. Aber erst weit in der Zukunft; diese Phase erreicht sie erst in 5 bis 6 Milliarden Jahren. Der Helium-Blitz ist aber nicht nur eine spannende Phase in der Entwicklung eines Sterns. Er ist auch recht praktisch. So ein Helium-Blitz passiert ja immer unter den gleichen Bedingungen, das liegt an all der Quantenmechanik von der wir vorhin gesprochen haben. Das heißt, die Sterne, die so einen Blitz durchlaufen, tun das alle auch zum mehr oder weniger selben Zeitpunkt ihrer Entwicklung und haben deswegen auch eine mehr oder weniger identische Helligkeit. Zumindest wenn man sie im Infrarotlicht betrachtet - aber jetzt sind wir eigentlich schon bei einem neuen Phänomen angelangt. Es nennt sich die "Spitze des Roten Riesenastes" oder auf englisch "Tip of the Red Giant Branch" und ist ein Thema für eine andere Folge der Sternengeschichten. Aber eben genau weil Sterne in ihrer Entwicklung zum Zeitpunkt des Helium-Blitzes circa gleich hell sind und weil nach dem Helium-Blitz mit der stabilen Heliumfusion eine grundlegend andere Phase in ihrer Entwicklung stattfindet, kann man das nutzen, um ihre Entfernung zu bestimmen. Man muss nur einen Haufen Sterne beobachten, die alle mehr oder weniger gleich weit von uns entfernt sind, also zum Beispiel Teil eines Kugelsternhaufens oder einer Galaxie. Wenn ich dann deren Temperatur und Leuchtkraft bestimme, kann ich daraus erkennen, in welcher Phase ihrer Entwicklung sie sich befinden und die identifizieren, die gerade mit der Heliumfusion begonnen haben. Und weil wir wissen, wie hell sie zum Zeitpunkt des kurz davor stattgefundenen Helium-Blitzes gewesen sind, können wir diese Helligkeit mit der vergleichen, die wir tatsächlich beobachten und die umso geringer sein wird, je weiter der Stern von uns entfernt ist. Anders gesagt: Dank des Helium-Blitzes wissen wir, wie hell der Stern sein sollte. Weil er aber in einer bestimmten Entfernung von uns ist, erscheint er uns weniger hell und aus dem Ausmaß dieser Abschwächung folgt direkt die Entfernung. Das, was eigentlich unsichtbar im Kern eines Sterns stattfindet, erlaubt es uns also, herauszufinden, wie weit Galaxien von uns entfernt sind. Da soll noch mal jemand sagen, die Astronomie wäre keine kreative Wissenschaft!
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Dec 1, 2023 • 11min

Sternengeschichten Folge 575: Omega Centauri

Das Ding aus einer anderen Galaxie Sternengeschichten Folge 575: Omega Centauri Betrachtet man das Sternbild des Zentauren, dann sieht man an seinem Rücken einen sehr schwach leuchtenden nebligen Fleck. Und wenn man diesen Fleck wirklich betrachten will, dann sollte man auch wissen, dass das Sternbild von Mitteleuropa aus so gut wie gar nicht sichtbar ist; am besten ist es also, man befindet sich auf der Südhalbkugel. Idealerweise hat man auch eine Sternkarte mit dabei, damit man in den vielen Sternen die Figur des mythologischen Wesens, halb Mensch, halb Pferd erkennen kann und weiß, wo der Rücken ist. Und ein Fernglas schadet auch nicht, denn der schwach leuchtende neblige Fleck leuchtet wirklich nur sehr schwach, wenn man ohne Hilfsmittel hinsieht. Aber wenn dann alles klappt, kann man sich darüber freuen, den Kugelsternhaufen Omega Centauri gesehen zu haben! Ich habe ihn schon in den Folgen 444 und 516 kurz erwähnt, aber weil es ein wirklich spannendes Himmelsobjekt ist, lohnt es sich, auch einmal länger darüber zu reden und genau das werde ich jetzt tun. Das Sternbild des Zentauren kannte man schon in der Antike und der griechische Astronom Ptolemäus hat in seinem Werk "Almagest" schon vor fast 2000 Jahren darauf hingewiesen, dass da über der Schulter des Wesens ein leuchtender Punkt ist. Im 17. Jahrhundert bekam das Objekt dann vom deutschen Astronom Johann Bayer die Bezeichnung "Omega Centauri", was eigentlich eine Bezeichnung für einen Stern ist. Aber Bayer hatte für seine Arbeit auch noch kein Teleskop zur Verfügung - der englische Astronom Edmond Halley ein paar Jahrzehnte später aber schon. Und er stellte korrekt fest, dass es sich bei Omega Centauri nicht um einen Stern handelt, als er das Objekt im Jahr 1677 bei seinen Beobachtungen von der Südhalbkugel aus beobachtet hat. Im 18. Jahrhundert wurde es dann als "Nebel" in den entsprechenden astronomischen Listen geführt und erst 1826 wurde Omega Centauri als das bezeichnet, was er wirklich ist: Nämlich ein Kugelsternhaufen. Der schottische Astronom James Dunlop schrieb in seiner Arbeit "Ein Katalog von Nebeln und Haufen in der südlichen Hemisphäre", dass es sich dabei um eine "wunderschöne Kugel aus Sternen" handelt, die zur Mitte hin immer dichter werden. Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, wie ein Kugelsternhaufen aussieht. Der Name ist definitiv nicht falsch gewählt: Es ist eine kugelförmige Ansammlung von Sternen. In der Mitte stehen sie sehr dicht beeinander, zum Rand hin werden es immer weniger. Alle Sterne eines Haufens sind durch ihre wechselseitigen Gravitationskräfte aneinander gebunden und man findet diese Objekte meistens in den äußersten Bereichen einer Galaxie. Sie und die Sterne aus denen sie bestehen sind typischerweise sehr alt und ebenso typischerweise findet man in so einem Haufen ein paar hunderttausend Sterne. Omega Centauri ist aber alles andere als typisch. Dieser Haufen hat einen Durchmesser von 150 Lichtjahren und besteht aus gut 10 Millionen Sternen. Damit ist er der größte Kugelsternhaufen in unserer Milchstraße und auch der hellste, den wir am Nachthimmel sehen können und das, obwohl er gut 16.000 Lichtjahre von uns entfernt ist. 10 Millionen Sterne in einer Kugel von 150 Lichtjahren Durchmesser: Das ist schon einiges. In der Zentralregion von Omega Centauri stehen die Sterne wirklich dicht an dicht. Der durchschnittliche Abstand zwischen zwei Sternen dort liegt bei circa einem Zehntel Lichtjahr. Der Abstand der Sonne von ihrem nächsten Nachbarstern beträgt 4 Lichtjahre. Wir wissen noch nicht genau, wie Kugelsternhaufen entstehen. Aber wir gehen davon aus, dass die Sterne dort alle mehr oder weniger zur gleichen Zeit aus der selben riesigen kosmischen Gaswolke entstanden sind. Das passt auch zu den Beobachtungen, die zeigen, dass die Sterne in den meisten Kugelsternhaufen alle mehr oder weniger gleich alt sind. Und wieder zeigt sich, dass Omega Centauri alles andere als typisch ist. Hier gibt es Sterne diverser Generationen und das sagt uns, dass Omega Centauri vielleicht gar kein Kugelsternhaufen ist, sondern nur so aussieht als wäre er einer. Wir wissen ja auch, dass die Milchstraße in der Vergangenheit immer wieder kleinere Galaxien verschluckt hat. In der Umgebung großer Galaxien gibt es jede Menge kleinere Zwerggalaxien. Wenn die sich zu nahe kommen, kann die größere Galaxie die kleineren Sternensysteme mit ihrer Gravitationskraft regelrecht auseinander reißen. Ich habe in Folge 177 ausführlich über diese Prozesse gesprochen - aber am Ende so eines Vorgangs verteilen sich die Sterne der Zwerggalaxie in der Milchstraße und es bleiben kaum Spuren zurück. Wir können aber mit etwas Glück noch "Sternströme" beobachten, also quasi lange Ketten aus Sternen, die sich um und durch die Milchstraße winden und die die letzten Überbleibsel sich auflösenden Zwerggalaxien sind. Wenn so eine Zwerggalaxie aber einen sehr dicht mit Sternen besiedelten Zentralbereich hat, kann der die Auflösung vielleicht überleben. Eben weil die Sterne dort so dicht an dicht stehen, halten sie sich durch ihre Gravitationskraft quasi gegenseitig fest. Die weiter außen liegenden Sterne der Zwerggalaxie werden im Laufe der Zeit abgelöst und verteilen sich, aber der Zentralbereich bleibt übrig und sieht dann aus wie - ja, eine große Kugel aus Sternen. Genau so also, wie Omega Centauri. Und weil es eben kein Kugelsternhaufen ist, sondern die zentrale Region einer ehemaligen Galaxie, findet man in Omega Centauri nicht nur mehr Sterne als erwartet sondern auch Sterne mit unterschiedlichem Alter. Im Jahr 2019 wurde dann tatsächlich auch ein Sternstrom entdeckt, der sich ganz in der Nähe von Omega Centauri befindet. Die Sterne, die diesen Strom bilden haben ein ähnliches Alter wie die in Omega Centauri und Computersimulationen der Bewegung der Sterne haben gezeigt, dass dieser Strom tatsächlich seinen Ursprung in Omega Centauri hat. Der Sternstrom hat den Namen "Fimbulthul" bekommen, nach einem Fluss aus der nordischen Mythologie und mit dieser Entdeckung ist ziemlich klar, dass Omega Centauri wirklich der letzte überlebende Rest einer ehemaligen Galaxie ist. Und wenn das so ist: Sollte man dort nicht noch etwas anderes finden? In den Zentren der großen Galaxien befindet sich ja ein supermassereiches schwarzes Loch. Steckt in Omega Centauri also auch eines drin? Na ja - das ist schwer zu sagen. Wir wissen, dass supermassereiche schwarze Löcher in den Zentren der GROSSEN Galaxien sind, also in Galaxien wie der Milchstraße oder der Andromedagalaxie. Bei Zwerggalaxien ist das nicht so klar. Wenn, dann sind es auf jeden Fall schwarze Löcher, die deutlich weniger Masse haben. Nicht ein paar Millionen oder Milliarden mal so viel Masse wie die Sonne, sondern vielleicht nur ein paar zehntausend mal so viel. Im Jahr 2008 hat man sich die Bewegung der Sterne im innersten Bereich von Omega Centauri ganz genau angesehen. Wie schnell sich Sterne in so einem Haufen bewegen hängt ja unter anderem von der Gesamtmasse des Haufens ab. Die Beobachtungen haben aber gezeigt, dass sich die Sterne in Omega Centauri schneller bewegen als sie es sollten, wenn da wirklich nur die Menge an Sternen drin ist, die wir sehen können und sonst nichts. Um die Bewegung der Sterne zu erklären fehlen noch circa 40.000 Sonnenmassen, die sich im Zentrum des Haufens befinden müssen. Oder anders gesagt: Im Zentrum von Omega Centauri befindet sich ein schwarzes Loch mit der 40.000fachen Masse der Sonne. Solche Objekte nennt man "intermediäre schwarze Löcher" oder "mittelgroße schwarze Löcher" um sie von den stellaren schwarzen Löcher zu unterscheiden, die beim Tod eines großen Sterns entstehen und von den supermassereichen schwarzen Löcher in den Zentren der großen Galaxien abzugrenzen. Wir haben bis jetzt noch nicht so viele von diesen mittleren schwarzen Löchern entdeckt, was schade ist. Denn wir wissen ja immer noch nicht genau, wie die supermassereichen schwarzen Löcher entstehen. Aber wenn wir wüssten, dass es in großen Kugelsternhaufen häufiger solche mittleren schwarzen Löcher gibt, wäre das eine spannende Information. Denn es ist klar, dass die supermassereichen schwarzen Löcher nicht direkt entstehen können. Nach allem was wir wissen ist es nicht möglich, dass da irgendwas ist, was in sich zusammenfällt und am Ende ein schwarzes Loch mit der millionen- oder milliardenfachen Sonnenmasse bildet. Andererseits dauert es auch wirklich lange, bis ausreichend viele kleine schwarze Löcher miteinander kollidieren, um so ein supergroßes Ding zu formen. Wenn es aber eine große Anzahl mittlerer schwarzer Löcher gibt, könnten die vielleicht der Ausgangspunkt für die Entstehung der supermassereichen schwarzen Löcher sein. Das mittelgroße Loch von Omega Centauri würde jedenfalls gut ins Bild passen; es hätte genau die Masse, die man für eine Zwerggalaxie erwartet. Allerdings haben spätere Arbeiten gezeigt, dass Omega Centauri vielleicht doch kein schwarzes Loch hat. Das liegt daran, dass man nicht exakt bestimmen kann, wo sich das Zentrum des Haufens tatsächlich befindet. Und je nachdem ändern sich auch die Berechnungen der Sternbewegungen um das Zentrum herum. Vielleicht passt mit der Bewegung also eh alles und es braucht kein schwarzes Loch im Zentrum. Oder es gibt doch eines, aber mit weniger Masse als gedacht. Klar ist auf jeden Fall: Omega Centauri ist ein äußerst spannendes Objekt, egal ob da jetzt ein schwarzes Loch drin ist oder nicht. Es ist der letzte Rest einer fremden Galaxie, der sich mitten in unserer eigenen Milchstraße befindet - da lohnt es sich, genauer hinzusehen.
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Nov 24, 2023 • 12min

Sternengeschichten Folge 574: Extreme transneptunische Objekte

Fossilien aus der Geschichte des Sonnensystems Sternengeschichten Folge 574: Extreme transneptunische Objekte In der heutigen Folge der Sternengeschichten geht es um extreme transneptunische Objekte. Das sind Objekte, die sich hinter der Umlaufbahn des Neptun befinden, aber das extrem! Aber natürlich wollen wir uns das genauer ansehen, also: Die Objekte um die es geht, sind Asteroiden. Das sich davon hinter der Umlaufbahn des Neptuns jede Menge befinden, wissen wir. Pluto ist das prominenteste Mitglied - er befindet sich im Kuiper-Asteroidengürtel, von dem schon die komplette Folge 174 gehandelt hat. Der Kuipergürtel beginnt bei circa 30 Astronomischen Einheiten, als dem 30fachen Abstand zwischen Erde und Sonne. 30 Astronomische Einheiten ist auch der mittlere Abstand des Neptun von der Sonne; seine Umlaufbahn ist also die innere Grenze des Kuipergürtels. Die äußere Grenze befindet sich circa 50 Astronomische Einheiten von der Sonne entfernt. Hinter dem Kuipergürtel geht es aber noch weiter. Es folgt die "gestreute Scheibe" von der ich in Folge 320 mehr erzählt habe und irgendwann die Oortsche Wolke, die das Thema von Folge 321 war. Dahinter ist dann aber wirklich Schluss. Wenn es also heute um extreme transneptunische Objekte geht, dann ist auf jeden Fall mal klar, dass wir von Asteroiden sprechen, die sich hinter der Umlaufbahn des Neptun befinden. Und es ist klar, dass wir es nicht mit dem Kuipergürtel zu tun haben, denn wir wollen von Objekten sprechen, die sich extrem weit von der Sonne entfernt befinden. Ihr mittlerer Abstand von der Sonne liegt bei mindestens 150 Astronomischen Einheiten, was aber nicht heißt, dass sie immer so weit entfernt sind. Viele Asteroiden und insbesondere die extremen transneptunischen Objekte befinden sich auf stark elliptischen Umlaufbahnen. Das heißt, dass sie am sonnenfernsten Punkt ihrer Umlaufbahn extrem weit von der Sonne entfernt sind; am sonnennächsten Punkt aber sehr viel näher sein können. Den sonnennächsten Punkt nennt man "Perihel" und das Perihel kann man auch benutzen, um die extremen transneptunischen Objekte einzuteilen. Wenn sie ein Perihel haben, das zwischen 38 und 45 Astronomischen Einheiten liegt, nennt man sie ESDOs. Das steht für "extrem scattered disc objects" oder "extreme Objekte der gestreuten Scheibe". Sie befinden sich vermutlich deswegen dort wo sie sich befinden, weil sie von der Gravitationskraft des Neptuns dorthin geschleudert worden sind. Sie haben sich also früher sehr viel näher an der Sonne befinden; dort wo sich heute auch noch die ganzen Asteroiden des Kuipergürtels befinden. Irgendwann sind sie aber ein bisschen zu nahe an Neptun geraten und dessen Gravitationskraft hat ihre Umlaufbahn gestört. Von ihren ursprünglich kreisförmigen Bahnen sind sie auf stark elliptische Bahnen geraten, die sie nun weit aus dem äußeren Sonnensystem hinaus führen. Weil sie aber am Perihel immer noch vergleichsweise nahe an Neptun herankommen, ist ihre Bahn immer noch ein wenig unter dem Einfluss des Gasriesen. Die Asteroiden, deren Perihel weiter von der Sonne entfernt ist als 45 Astronomische Einheiten, nennt man EDDOs, was für "extreme detached disc objects" oder "extrem losgelöste Scheibenobjekte" steht. Sie sind kaum noch von Neptun beeinflusst und wenn das Perihel der Asteroiden größer als 50 bis 60 Astronomische Einheiten ist, dann kann Neptun überhaupt keinen Einfluss mehr auf ihre Umlaufbahn nehmen und man nennt diese Gruppe die "Sednoiden", nach dem Asteroid Sedna, den wir uns gleich noch ein wenig genauer ansehen werden. Sedna gehört mit einem Durchmesser von gut 1000 Kilometern zu den größten bekannten extremen transneptunischen Objekten. Der Asteroid hat einen mittleren Abstand zur Sonne von 540 Astronomischen Einheiten. Sein Perihel liegt bei 76 Astronomischen Einheiten und das Aphel, also der sonnenfernste Punkt der Umlaufbahn bei über 1000 Astronomischen Einheiten! Das ist schon ziemlich extrem, es geht aber noch extremer. Da ist zum Beispiel der Asteroid mit dem schönen Namen Leleākūhonua. Er wurde am 13. Oktober 2015 entdeckt, hat einen mittleren Abstand von der Sonne von 1100 Astronomischen Einheiten und entfernt sich auf seiner Bahn bis zu 2000 Astronomischen Einheiten von ihr. Mit einem Durchmesser von circa 300 Kilometern ist er nicht so groß wie Sedna, aber auch kein kleiner Felsbrocken mehr. Es gibt auch Asteroiden, die sich noch weiter von der Sonne entfernen; zum Beispiel 2019 EU5 mit einem Aphel von knapp 2400 Astronomischen Einheiten oder 2014 FE72 mit einem Aphel, dass bei über 3000 Astronomischen Einheiten liegt. Beide werden aber nicht zu den Sednoiden gezählt, weil ihr Perihel zu nahe an Neptun liegt - was gleichzeitig auch bedeutet, dass diese beiden Brocken wirklich sehr extrem langgestreckte Umlaufbahnen haben. Aber lassen wir die Himmelsmechanik mal beiseite. Ich habe vorhin schon erklärt, dass die ESDOs und EDDOs, also diejenigen extremen transneptunischen Objekte die noch so nahe an Neptun herankommen, um von ihm beeinflusst zu werden, ihren Ursprung aller Wahrscheinlichkeit nach im Kuipergürtel haben, aus dem sie eben durch den Einfluss von Neptun hinausgeschleudert worden sind. Bei den Sednoiden ist die Sache nicht ganz so klar. Sie sind so weit entfernt, dass es schwer ist, ihre Existenz und die Form ihrer Umlaufbahnen durch den Einfluss von Neptun oder den anderen Planeten des Sonnensystems zu erklären. Auch die Sednoiden haben im Allgemeinen sehr stark elliptische Umlaufbahnen und das kann nicht von Anfang an so gewesen sein. Normalerweise entstehen Himmelskörper auf näherungsweise kreisförmigen Bahnen und wenn sie die heute nicht mehr haben, hat etwas dazu geführt, dass das so ist. Bei den Sednoiden werden drei unterschiedliche Hypothesen diskutiert. Es könnte zum Beispiel sein, dass früher ein anderer Stern vergleichsweise nahe an der Sonne vorbeigeflogen ist. Solche Begegnungen gibt es immer wieder mal; mal mehr und mal weniger nahe. Obwohl "immer wieder" und "mehr" und "weniger nahe" hier nach astronomischen Maßstäben zu verstehen ist. Solche Vorbeiflüge anderer Sterne passieren nicht alle paar Jahre, sondern eher alle paar Millionen Jahre. Und "nahe" heißt nicht, dass sie bis ins innere oder auch ins äußere Sonnensystem vordringen - dann wären die Planeten schon längst von ihren stabilen Umlaufbahnen gestört worden und es würde uns nicht mehr geben. "Nahe" heißt, dass ein anderer Stern vielleicht im Abstand von einem Lichtjahr oder auch einem halben Lichtjahr vorbei fliegt. Nahe genug, um Einfluss auf die Asteroiden in den äußersten Bereichen zu nehmen, aber nicht so nahe, um die Bahnen der Planeten durcheinander zu bringen. In der Frühzeit des Sonnensystems könnten solche Vorbeiflüge besonders häufig gewesen sein, denn die Sonne ist ja vermutlich nicht alleine entstanden sondern als Teil eines Sternhaufens, der aus dutzenden oder hunderten Sternen bestand. Damals waren die Sterne alle noch nahe beieinander; erst später haben sie sich überall in der Milchstraße verteilt. Ein nahe Begegnung zwischen der jungen Sonne und einem ihrer Geschwistersterne könnte die Sednoiden auf ihre heutige stark elliptische Bahn gebracht haben. Es könnte aber auch sein, dass die Sednoiden gar nicht im Sonnensystem entstanden sind, sondern bei einem anderen Stern. Und bei einer nahen Begegnung hat die Sonne einfach ein paar seiner Asteroiden eingefangen. Oder es gibt hinter der Umlaufbahn des Neptun nicht nur jede Menge Asteroiden sondern auch mindestens einen Himmelskörper, der so groß ist, dass man ihn als Planet bezeichnen kann. Dieser Planet könnte mit seinem gravitativen Einfluss dafür gesorgt haben, dass die Sednoiden ihre heutige Umlaufbahn bekommen haben. Alle drei Hypothesen sind nicht unplausibel. Die letzte der drei hat im Jahr 2016 jede Menge Aufmerksamkeit bekommen, als die Analyse der Umlaufbahnen der bekannten extremen transneptunischen Objekte Hinweise auf genau so eine Störung durch einen Planeten geliefert hat. Ich habe von diesem hypothetischen "Planet Neun" in Folge 322 ausführlich erzählt. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass in der chaotischen Zeit der Planetenentstehung ein großer Himmelskörper, der eigentlich viel näher an der Sonne entstanden ist, weit hinaus ins äußere Sonnensystem geschleudert worden ist und seitdem dort die Bahnen der fernen Asteroiden durcheinander bringt. Aber solange man so einen Planeten nicht direkt beobachten und seine Existenz damit zweifelsfrei belegen kann, bleiben uns nur indirekte Hinweise. Und die kriegen wir nur, wenn wir noch mehr extreme transneptunische Asteroiden und vor allem noch mehr Sednoiden entdecken. Was nicht einfach ist! Wir haben nur dann eine Chance, wenn sich so ein Asteroid gerade in den sonnennahen Bereichen seiner Umlaufbahn befindet. Ein Felsbrocken, selbst wenn er ein paar hundert Kilometer groß ist, ist für uns auf der Erde quasi unsichtbar, wenn er sich ein paar hundert oder gar tausend Astronomische Einheiten entfernt befindet. Und leider - das bestimmen die Gesetze der Himmelsmechanik - bewegt sich ein Objekt umso schneller, je näher es der Sonne kommt. Anders gesagt: Ein Asteroid auf einer extrem langgestreckten Bahn verbringt sehr viel Zeit dort, wo wir ihn nicht entdecken können und nur sehr wenig in den Bereichen, wo wir eine Chance haben, ihn zu finden. Aber wir werden natürlich auch immer besser bei der Beobachtung der fernen Himmelkörper. Wenn wir eine ausreichend große Menge gefunden haben, können wir ihre Umlaufbahnen untersuchen. Und glücklicherweise sagen die drei Hypothesen zur Entstehung der Sednoiden unterschiedliche Eigenschaften der Bahnen voraus. Wenn ein Planet Neun für ihre Bahnen verantwortlich ist, sollten sie alle ähnliche Werte für ihr Perihel haben. Wenn sie von einem anderen Stern stammen, sollten wir das an ihrer Bahnneigung erkennen können und wenn es die Störung eines anderen Sterns war, dann sollte sich gar keine Gemeinsamkeiten bei den Umlaufbahnen der Sednoiden zeigen. Auf jeden Fall ist eines klar: Die Erforschung der extremen transneptunischen Objekte kann uns einiges über die Frühzeit unseres Sonnensystems verraten. Mike Brown, einer der Entdecker von Sedna hat deswegen auch gesagt: "Sedna ist ein Fossil aus der Frühzeit des Sonnensystems". Und je mehr solcher Fossilien wir finden, desto besser werden wir die Vergangenheit verstehen!
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Nov 17, 2023 • 14min

Sternengeschichten Folge 573: Die ewige Inflation

Das Universum ist nicht alleine... Sternengeschichten Folge 573: Die ewige Inflation Ewige Inflation! Das klingt nach einem sehr deprimierenden Konzept der Wirtschaftswissenschaft. Ist es aber natürlich nicht - es geht um Kosmologie. Wir werden heute beim Urknall anfangen und am Ende feststellen, dass der Urknall vielleicht gar nicht der Anfang war sondern immer noch stattfindet und unser Universum nicht das einzige sein könnte, das existiert. Und wie immer, wenn es um Kosmologie geht, wird die Angelegenheit ein wenig verwirrend werden. Aber keine Sorge, wir kommen da schon gut durch. Bis zum Ende. Oder zum Anfang, je nachdem. Schauen wir uns zuerst mal das an, was in der Kosmologie als "Inflation" bezeichnet wird. Ich habe darüber schon ausführlich in den Folgen 69 und 70 gesprochen. Aber das ist lange her, deswegen lohnt sich vielleicht ein kurzer Rückblick. Seit den Arbeiten von Albert Einstein, Edwin Hubble und ihren Kolleginnen und Kollegen zu Beginn des 20. Jahrhunderts war klar, das Universum expandiert. Es dehnt sich aus und war demnach in der Vergangenheit kleiner als heute. Und irgendwann in der Vergangenheit gab es einen Punkt, an dem es ein Punkt war. Oder anders gesagt: Das Universum hat einen Anfang in der Zeit. Vor 13,8 Milliarden Jahren war alles was wir heute sehen in einem extrem kleinen Raum verdichtet; alle Orte waren ein Ort und ausgehend von diesem extrem dichten und heißen Zustand hat sich das Universum zu dem Kosmos ausgedehnt, den wir jetzt sehen können. Es gibt sehr viele Beobachtungsdaten, die diesen Befund stützen und ich habe darüber schon in vergangenen Folgen gesprochen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat man aber festgestellt, dass diese Urknalltheorie auch ein paar Probleme hat. Wir sehen zum Beispiel auf großen kosmologischen Skalen keinerlei Raumkrümmung. Das Universum erscheint uns völlig flach - was zwar nicht unmöglich ist, aber sehr unwahrscheinlich. Die, wenn man so viel, Form des Universums, wird einerseits durch die Menge an Materie und Energie bestimmt, die es enthält, denn die sorgt ja dafür, dass der Raum sich krümmt. Andererseits aber auch durch die Geschwindigkeit der Expansion. Und um ein Universum zu kriegen, das flach ist und nicht in die eine oder andere Richtung gekrümmt, müssten die Anfangsbedingungen beim Urknall enorm exakt aufeinander abgestimmt gewesen sein. Es gibt noch ein paar andere ähnliche Probleme, aber die lasse ich jetzt mal weg, bevor es zu kompliziert wird. In den späten 1970er und frühen 1980er Jahren hat man dann eine Lösung für diese Probleme gefunden. Der sowjetische Kosmologe Alexei Starobinsky und vor allem und unabhängig davon der Amerikaner Alan Guth hatten die Idee der kosmologischen Inflation. Und natürlich waren noch viele andere Forscherinnen und Forscher beteiligt, aber ein historischer Überblick über diese Forschung muss auf eine andere Folge der Sternengeschichten warten. Die Grundidee ist eigentlich ganz simpel: Kurz nach dem Urknall hat sich das Universum für eine sehr kurze Phase unvorstellbar schnell ausgedehnt. Warum löst das das Problem, das ich eben beschrieben habe? Wenn ein Raum gekrümmt, aber absurd groß ist, dann merkt man nichts von der Krümmung. Man kann das an der Erdoberfläche sehen: Die ist definitiv gekrümmt, aber weil die Erde im Vergleich zu uns Menschen so groß ist, erscheint sie uns flach. Und weil das Universum sich eben in seiner inflationären Phase so absurd stark ausgedehnt hat, spielt es keine Rolle, wie stark oder schwach die Krümmung davor war. Danach war es auf jeden Fall groß genug, so dass es uns heute als flach erscheint. Die ganze Angelegenheit ist natürlich deutlich komplexer als "Das Universum hat sich in sehr kurzer Zeit sehr schnell ausgedehnt". Das fängt schon bei "sehr kurz" und "sehr schnell" an. Die Phase der Inflation hat 10 hoch minus 35 Sekunden nach dem Urknall begonnen. Darunter kann man sich nichts vorstellen. 0,000… insgesamt 34 Nullen und dann 1 Sekunden nach dem Urknall. Und gedauert hat die Phase bis ungefähr 10 hoch minus 33 oder 10 hoch minus 30 Sekunden nach dem Urknall. Kann man sich auch nicht vorstellen. In dieser absurd kurzen Zeit ist das Universum um das 10 hoch 26fache größer geworden. Also 100 Quadrillionen mal größer, als es vorher war - was sich aber auch niemand vorstellen kann. Deswegen also: in sehr kurzer Zeit sehr schnell ausgedehnt". So weit, so gut. Aber es bleiben trotzdem auf jeden Fall noch mindestens zwei Fragen offen. Erstens: Warum hat das Universum angefangen, sich inflationär auszudehnen? Und zweitens: Warum hat es dann wieder damit aufgehört? Damit sind wir genau bei den zentralen Punkten für diese Folge. Punkte, für die man leider sehr viel sehr komplexe Mathematik benötigen würde, um sie wirklich detailliert zu erklären. Ich probiere es also jetzt mal in einer sehr, sehr vereinfachten Form. Wir müssen dafür mit dem Begriff des "falschen Vakuums" anfangen. Wir wissen aus der Quantenmechanik, dass ein Vakuum ja nie wirklich leer ist. Aufgrund der Quantenfluktuationen steckt immer ein bisschen Energie im Vakuum, denn auch wenn dort absolut nichts drin ist, gibt es immer noch die diversen Quantenfelder, die ja quasi immer da sind. Das sind die Dinger, die ich schon in Folge 247 genauer erklärt habe; die Grundlage der Materie, vereinfacht gesagt. Wenn ausreichend viel Energie in ein Quantenfeld gesteckt wird, kann ein Teilchen entstehen. Wenn nicht, dann nicht - aber sie sind immer da. Jetzt kann so ein Vakuum theoretisch verschiedene mögliche Energiezustände haben. Das "wahre Vakuum" wäre eines, das sich im niedrigstmöglichen Zustand befindet. Und ein falsches Vakuum ist dann logischerweise in einem Zustand, in dem die Energie höher ist. Man kann das mit einem Ball vergleichen. Der will auch immer einen Zustand mit möglichst wenig Energie einnehmen oder anders gesagt: Wenn er kann, dann rollt der Ball nach unten. Stellen wir uns jetzt einen Berg vor, der auf halben Weg nach unten eine kleine Grube hat. Wenn der Ball am Gipfel liegt und einen kleinen Schubs bekommt, wird er nach unten rollen. Wenn er dabei in die Grube fällt, wird er dort bleiben, auch wenn er den Zustand mit der niedrigstmöglichen Energie noch nicht erreicht hat. Man muss ihn nochmal anschubsen, damit er aus der Grube rauskommt und bis ganz nach unten ins Tal rollt. So ähnlich ist es auch mit dem Vakuum, auch wenn es schwer ist sich vorzustellen, wie man ein Vakuum aus einer Grube schubsen kann… Man geht bei der Theorie der Inflation jedenfalls davon aus, dass es ein spezielles Feld gegeben hat bzw. gibt, das Inflatonfeld. Je nachdem wie dieses Feld sich verändert, kann es dazu führen, dass sich das Universum ausdehnt oder nicht beziehungsweise absurd schnell ausdehnt. Der Zustand des Feldes hängt, sehr vereinfacht gesagt, von der Temperatur ab und den energetisch günstigstens Zustand des Feldes nennt man das "wahre Vakuum". Wenn man jetzt davon ausgeht, dass dieses Inflatonfeld kurz nach dem Urknall in einem falschen Vakuum war, dann könnten zufällige Quantenfluktuationen dafür gesorgt haben, dass es in ein wahres Vakuum oder ein anderes falsches Vakuum mit niedriger Energie als zuvor gewechselt ist. Dadurch hat sich der Zustand des Feldes so weit geändert, dass eine exponentielle Expansion des Universums ausgelöst worden ist: In diesem Moment ist die Inflationsphase gestartet. Bei diesem Übergang von einem Vakuumzustand in den anderen hat das Inflationfeld Energie abgegeben und zwar in Form von Strahlung und Materie. Und diese Materie, die jetzt im Universum vorhanden war, hat die Inflation wieder eingebremst und beendet, so dass der Kosmos ab da wieder "normal" expandiert hat, also nicht mehr exponentiell schnell. Wie gesagt: Das war eine sehr stark vereinfachte Erklärung der Inflation. In Wahrheit hat man sehr lange gebraucht um zu verstehen, was da passiert und musste unterwegs mehrere Probleme lösen. Die allererste Idee zur Inflation hat zum Beispiel keinen vernünftigen Mechanismus gehabt, um die Inflation nach dem Start wieder zu beenden. Erst später fand man einen Weg, wie man das hinbekommt und als man sich diese "neue Inflation", wie die Theorie mittlerweile genannt hat, genauer angesehen hat, ist man auf ein spannendes Phänomen gestoßen. Die Inflation muss nämlich nicht überall zu Ende gehen. Es können sich - wieder sehr vereinfacht gesagt - durch die zufälligen Quantenfluktuationen quasi einzelne "Blasen" bilden, in denen das Inflatonfeld gerade den passenden Wert hat, um die Inflation zu beenden. Anderswo geht sie aber ungehemmt weiter. Das, was wir "unser Universum" nennen, wäre dann eben nur eine dieser Blasen, in denen die Inflation geendet hat und dadurch Strahlung, Materie und all das andere produziert hat. In der langsamer expandierenden Blase konnte sich dann der Kosmos entwicklen, den wir heute sehen und auf die Weise entwickeln, die wir durch unser Urknallmodell beschreiben. Aber wenn das alles wirklich so ist, dann ist unsere Blase definitiv nicht die einzige. Es muss durch die Quantenfluktuationen immer und immer wieder dazu gekommen sein, dass sich aus dem übergeordneten inflationär expandierenden Raum Blasen abgespalten haben, in denen die Inflation stoppt. Und das muss auch passiert sein, bevor unsere Universumsblase sich gebildet hat. Das, was wir "Urknall" nennen, wäre demnach nicht der Anfang von allem, sondern nur der Anfang des Endes der Inflation in der Blase, die unser Universum darstellt. Tatsächlich gibt es keinen "Anfang von Allem", sondern nur die ewige Inflation, aus der sich immer wieder neue Universumsblasen abspalten. Es besteht natürlich keinerlei Chance, diese anderen Universen zu beobachten oder irgendwie in Kontakt mit ihnen zu treten. Wir sind von ihnen durch den seit ewig inflationär expandierenden Raum getrennt. Diese anderen Universen sind so unerreichbar für uns, dass wir auch behaupten könnten, sie würden gar nicht existieren. Aber wenn das mit der ewigen Inflation stimmt, dann muss es sie geben. Dann leben wir in einem Raum, der noch viel unvorstellbar viel größer ist als das eh schon unvorstellbar große Universum, das wir beobachten können. Wir leben in einer kleinen Blase die vor 14 Milliarden Jahren in diesem Raum aufgepoppt ist; in einem Raum, in dem immer wieder neue Universen auftauchen - und übrigens auch wieder verschwinden können. Es ist sogar möglich, dass jedes dieser Universen andere Naturgesetze hat. Ob das aber wirklich so ist, wissen wir nicht. Wir gehen davon aus, dass so etwas wie die inflationäre Phase existiert haben muss. Nur dann machen unsere Beobachtungen des Universums Sinn und alles was wir bis jetzt beobachtet haben, stimmt gut mit dem Konzept einer inflationären Phase überein. Und wenn die Inflation so abgelaufen ist, wie wir es uns derzeit vorstellen, dann stehen die Chancen gut, dass es eine ewige Inflation gewesen ist. Aber natürlich kann es auch sein, dass die Inflation anders funktioniert als wir es uns vorstellen und es gibt durchaus Forscherinnen und Forscher die Modelle der Inflation entwickelt haben, die ohne ewige Inflation auskommen; Stephen Hawking zum Beispiel. Manche dieser Modelle kann man unter Umständen auch durch Beobachtungen überprüfen oder widerlegen. Ohne in die Details gehen zu wollen: Wir könnten Spuren der Inflation in der kosmischen Hintergrundstrahlung sehen; also der Strahlung, die gut 400.000 Jahre nach dem Urknall entstanden ist, die immer noch im Universum registrierbar ist und in der sich der Zustand des Kosmos unmittelbar nach dem Urknall quasi eingebrannt hat. Bis jetzt haben wir in der kosmischen Hintergrundstrahlung nichts gesehen, dass unseren Inflationsmodellen widerspricht. Aber leider auch noch nichts, was uns eindeutig sagt, dass sie stattgefunden hat, das es sich um eine ewige Inflation handelt - oder eben nicht. So oder so: Irgendwann werden wir vielleicht mehr wissen. Und bis dahin bleibt es ein faszinierender Gedanke, dass selbst so etwas gewaltiges wie unser Universum nur eine kleine Blase in einem viel größeren Raum ist, in dem unzählige andere Universum aufploppen und verschwinden wie der Seifenschaum in der Badewanne.
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Nov 10, 2023 • 11min

Sternengeschichten Folge 572: Terraforming auf der Venus

Von Hölle zu Himmel Sternengeschichten Folge 572: Terraforming auf der Venus Können Menschen auf der Venus leben? Ganz klar: Nein! Ende der Folge. Aber damit ich doch noch etwas zu erzählen habe, stelle ich die Frage lieber anders. Nämlich so: Könnten wir die Venus lebensfreundlich machen? Und da lautet die Antwort: Na ja… vielleicht! In der heutigen Folge der Sternengeschichten geht es um Terraforming. So bezeichnet man, wie ich schon in Folge 414 erzählt habe, die absichtliche Umwandlung eines für Menschen unbewohnbaren Himmelskörpers so dass Menschen dort leben können. In der damaligen Folge habe ich allerdings über den Mars gesprochen und über Methoden wie wir diesen Planeten für uns Menschen lebensfreundlich machen könnten. Heute wollen wir uns die Venus ansehen. Die Venus lebensfreundlich machen: Das könnte man für eine ziemlich aussichtslose Idee halten. Immerhin kennen wir kaum einen Planeten, der so unfreundlich für uns ist wie die Venus. Die Temperatur auf unserem Nachbarplaneten liegt bei 460 Grad Celsius. Die Atmosphäre ist so dicht, dass auf der Oberfläche der 90fache Druck herrscht, den wir hier auf der Erde spüren. Und die Atmosphäre besteht noch dazu fast komplett aus Kohlendioxid. Auf der Venusoberfläche zu stehen wäre etwa so, also würden wir uns hier auf der Erde in über 900 Meter Meerestiefe aufhalten. In einem Meer allerdings, dass fast 500 Grad heiß ist und in dem Blei schmelzen würde. Wie um Himmels Willen soll man so eine höllische Welt lebensfreundlich machen? Und warum überhaupt? Das Warum ist eine gute Frage; denn natürlich muss man sich schon fragen, wieso wir einen zweiten Planeten brauchen. Und ob es ethisch vertretbar ist, einen kompletten Planeten umzuformen und quasi seinen Originalzustand zu zerstören, nur für uns Menschen. Darüber will ich heute aber nicht reden (obwohl ich der Meinung bin, dass man Planeten wie Mars und Venus in Ruhe lassen und erforschen aber nicht verändern soll). Sondern über die Frage, wie man es anstellen würde, wenn man sich dazu entschieden hat. Und wenn wir einen anderen Planeten terraformen wollen, ist die Venus gar keine so schlechte Wahl. In Größe und Masse ist sie fast ein Zwilling der Erde, ganz im Gegensatz zum Mars, der viel kleiner ist. Die Anziehungskraft die man auf der Venusoberfläche spürt ist fast identisch mit der auf der Erde und würden wir dort leben können, hätten wir keine Probleme mit Muskelschwund wegen der geringen Gravitationskraft wie wir es auf dem Mars hätten. Und wenn man mal vom Mond absieht, kommt kein anderer großer Himmelskörper des Sonnensystems der Erde so nahe wie die Venus. Man könnte vergleichsweise leicht, regelmäßig und schnell von einem Planeten zum anderen fliegen, was durchaus von Vorteil ist, wenn beide Welten von Menschen bewohnt sind. Aber bevor es so weit ist, müssen wir die Venus erst mal lebensfreundlich kriegen. Und das ist, wie man sich denken kann, definitiv nicht so einfach. Sieht man von diversen Science-Fiction-Büchern ab, dann war der erste, der sich darüber Gedanken gemacht hat, der amerikanische Astronom Carl Sagan. In einer Arbeit aus dem Jahr 1961 schlug er vor, das man Mikroorganismen auf der Venus aussetzen könnte, die Fotosynthese betreiben. Sie würden so das Kohlendioxid in der Atmosphäre in Sauerstoff umwandeln. Denn genau das ist das Hauptproblem beim Venus-Terraforming: Wir müssen irgendwie die enorm dichte CO2-Atmosphäre loswerden. Sie sorgt dafür, dass dort ein so extremer Treibhauseffekt existiert und die Temperaturen so absurd hoch sind. Sagans Idee war prinzipiell gut, aber damals wusste man noch nicht, dass der Druck auf der Venusoberfläche so extrem hoch ist. Bei den Werten die dort herrschen, funktioniert das Prinzip nicht. Man wusste auch nicht, dass in der Atmosphäre Schwefeldioxid enthalten ist und das es so gut wie kein Wasser auf der Venus gibt. Das alles zusammen führt dazu, dass Mikroorganismen dort nicht viel ausrichten können. Man bräuchte auch Wasserstoff, damit die Mikroorganismen den Kohlenstoff aus dem CO2 irgendwie in andere Moleküle umwandeln können und den findet man auf der Venus auch kaum. Aber Kohlenstoff und CO2 kann man auch anders loswerden. Auf der Erde ist viel CO2 im Gestein gebunden. Man könnte probieren, jede Menge Magnesium und Kalzium auf die Venus zu bringen. Die könnte CO2 binden und aus der Atmosphäre entfernen. Allerdings braucht man dafür eine wirklich große Menge. Ungefähr so viel, wie der Asteroid Vesta wiegt und der hat immerhin einen Durchmesser von über 500 Kilometern. Gut, man könnte das Zeug vielleicht irgendwo vom Merkur zur Venus rüber schaffen, denn der Merkur enthält sehr viele passende Mineralien. Aber leicht ist das nicht und definitiv außerhalb unserer aktuellen und vermutlich auch zukünftigen Fähigkeiten. Aber kann man die Atmosphäre nicht einfach direkt loswerden? Jetzt nicht irgendwie absaugen, aber wenn zum Beispiel ein großer Asteroid auf einem Planeten einschlägt, kann dadurch auch ein Teil der Atmosphäre ins All geschleudert werden. Die Venus hat aber eine recht große Masse und dementsprechend groß muss auch ein Asteroid sein, um das zu erreichen. Wenn der Einschlag nicht mit ausreichend Wumms erfolgt, dann werden die Moleküle der Atmosphäre nicht ausreichend stark beschleunigt, um ins Weltall entkommen zu können. Man bräuchte ein paar tausend Einschläge von Brocken, die circa 700 Kilometer groß sind. Und abgesehen davon, dass wir die aus dem äußeren Sonnensystem zur Venus schaffen müssten, weil es so viele davon in der Nähe gar nicht gibt, wäre es vermutlich auch einfacher, die Sache mit dem Magnesium vom Merkur durchzuziehen. Also sollte man vielleicht einen ganz anderen Ansatz probieren? Ein Vorschlag des britischen Wissenschaftlers Paul Birch sieht vor, einen riesigen Spiegel im All zu installieren, der das Sonnenlicht von der Venus abhält. Das entfernt zwar die Atmosphäre nicht, würde aber die Temperatur deutlich senken. Und wenn es mal ein wenig kühler ist, kann man es vielleicht wieder mit den Mikroorganismen probieren. Heutzutage ist es ja auch kein großes Problem mehr, die per Gentechnik an etwaige Widrigkeiten auf der Venus anzupassen. So ein Spiegel müsste zwischen Venus und Sonne platziert werden, am besten im Lagrange-Punkt L1, also an einem der Punkte, an denen sich die von Venus und Sonne wirkenden Gravitationskräfte aufheben. Und so ein Spiegel müsste einen Durchmesser haben, der vier mal so groß ist wie der Durchmesser der Venus. Nicht einfach zu bauen also, ganz im Gegenteil. Und wenn wir so ein gigantisches reflektierendes Dings im All hätten, würde es nicht lange an Position bleiben. Der Druck des Sonnenlichts würde den Spiegel langsam aber sicher verschieben. Wir müssen also entweder einen Antrieb einbauen, der jede Menge Energie braucht. Oder bauen einen schlaueren Spiegel: Am besten eine Flotte aus vielen kleinen Spiegel, die so positioniert werden, dass sie einen Teil des Sonnenlichts so auf die Nachbarspiegel umleiten, dass dieses Licht genau den Druck des restlichen Sonnenlichts ausgleicht und alle in Position bleiben. Theoretisch ist das möglich, praktisch aber nicht einfach umsetzbar. Wenn wir aber so eine Spiegelflotte hinkriegen, könnten wir die Venus damit weit unter den Gefrierpunkt von Wasser kühlen. So weit, dass das Kohlendioxid in der Atmosphäre zuerst flüssig und dann fest wird. Dazu sind mindestens gut -60 Grad Celsius nötig und dann hätte die Venus keine dichte CO2-Atmosphäre mehr. Das ganze Kohlendioxid würde in Form von Trockeneis auf ihrer Oberfläche liegen und dann müsste man es irgendwie einsammeln und wegschaffen - zum Beispiel zum Mars, wo man Treibhausgase gut brauchen kann, wenn man auch diesen Planeten aufwärmen und terraformen will. Alles nicht einfach, aber zumindest nicht unmöglich. Wenn wir es also irgendwie geschafft haben sollten, eine Venus zu bauen, die eine vernünftige Temperatur und keine dicke CO2-Atmosphäre hat, sind wir aber noch lange nicht fertig. Denn es fehlt uns Wasser. Das müssten wir hinbringen; wir könnten zum Beispiel einen der kleineren Monde von Jupiter und Saturn schnappen, die fast komplett aus Wassereis bestehen. So ein Mond wie Enceladus zum Beispiel, mit gut 250 km Durchmesser. Denn schmeißen wir auf die Venus und haben Wasser. Ganz fertig wären wir dann aber immer noch nicht. Die Venus rotiert extrem langsam um ihre eigene Achse. Auf der Erde dauert so eine Rotation 24 Stunden und so lange dauert auch ein Tag hier bei uns. Ein Venustag dauert dagegen gut 117 Erdtage. Es ist also extrem lange hell - und dann extrem lange dunkel. Das müsste man auch irgendwie korrigieren. Den Planeten schneller rotieren lassen ist keine Option; dafür wäre so absurd viel Energie nötig, dass das kaum zu schaffen ist. Besser wäre es, man installiert wieder ein paar Spiegel in einer Umlaufbahn um die Venus die - je nachdem - ein bisschen Licht der Sonne blockieren oder Sonnenlicht zur Oberfläche umlenken, so dass man dann Tag und Nacht vernünftig regulieren kann. Was der Venus dann trotz allem noch fehlt, ist ein Magnetfeld, das leider auch recht wichtig ist, wenn wir Menschen dort leben wollen. Ohne Magnetfeld schützt uns nichts vor der kosmischen Strahlung. Wie wir ein planetares Magnetfeld bauen können, ist aber völlig ungeklärt. Man könnte gigantische Ringe aus supraleitenden Material um den Planeten legen, durch die Strom fließt und dabei ein Magnetfeld erzeugt. Aber auch wenn das theoretisch nicht unmöglich ist, ist es das vermutlich in der Praxis. Wir können am Ende also drei Dinge festhalten: Erstens ist es zumindest in der Theorie machbar, die Venus in einen lebensfreundlichen Planeten zu transformieren. Zweitens haben sich erstaunliche viele Forscherinnen und Forscher mit dieser Frage beschäftigt. Und drittens zeigt uns der absurde Aufwand, den wir dafür treiben müssten, ein weiteres Mal, was für ein einzigartiger Planet unsere Erde ist. Schauen wir besser darauf, dass sie lebensfreundlich bleibt; dann können wir uns in der Zukunft immer noch um die anderen Planeten kümmern.
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Nov 3, 2023 • 10min

Sternengeschichten Folge 571 - Die Dunkelwolke Barnard 68

In der Dunkelheit entsteht das Licht Sternengeschichten Folge 571 - Die Dunkelwolke Barnard 68 Die Astronomie ist oft sehr direkt, wenn es darum geht, Dinge zu benennen. Wenn es also in der heutigen Folge um "Dunkelwolken" geht, dann ist es also auch wenig überraschend, wenn ich erkläre, dass eine "Dunkelwolke" eine dunkle Wolke ist. Aber ein bisschen komplexer ist es natürlich schon. Es geht nicht um Wolken, wie wir sie bei uns am Himmel finden, dunkel oder nicht. Die astronomischen Dunkelwolken sind deutlich größer; die können einige Lichtjahre groß sein. Sie bestehen vor allem aus Wasserstoff, enthalten aber auch jede Menge andere Moleküle; das, was man üblicherweise als "kosmischen Staub" bezeichnet. Die typische Dichte einer Dunkelwolke liegt bei 100 bis 300 Molekülen pro Kubikzentimeter. In einem Labor auf der Erde wäre das ein ziemlich perfektes Vakuum; im noch viel leereren Weltraum ist das aber eine ganze Menge; vor allem wenn man all die Kubikzentimeter zusammenzählt, die in einen Durchmesser von ein paar Lichtjahren passen. Eine Dunkelwolke ist also eine enorm große Ansammlung von Gas und Staub, die sich zwischen den Sternen befindet. Und sie ist deswegen dunkel, weil der ganze Staub das Licht der Sterne blockiert, die sich von uns aus gesehen hinter der Wolke befinden. Eine Dunkelwolke sieht also für uns tatsächlich wie ein dunkler Fleck aus, der sich am ansonsten von Sternen übersääten Himmel befindet; fast so wie ein Loch im Universum. Die uns nächstgelegene Dunkelwolke ist - vermutlich - diejenige mit der Bezeichnung "Barnard 68". Die trägt sie deswegen, weil der amerikanische Astronom Edward Emerson Barnard 1927 einen Katalog voller Dunkelwolken publiziert hat, in dem diese Wolke Nummer 68 war. Sie schaut aus wie ein typischer formloser Blob, sofern es so etwas wie einen "typischen formlosen Blob" überhaupt geben kann. Aber es ist halt nicht jede Dunkelwolke so formschön wie etwa der Pferdekopfnebel, den ich in Folge 425 der Sternengeschichten ausführlich vorgestellt habe. Aber Barnard 68 mangelnde Formgebung wird durch seine Nähe zu Erde auf jeden Fall wettgemacht. Die Distanz liegt bei circa 500 Lichtjahren und weil diese Wolke eben eine deutlich höhere Dichte hat als das umgebende Weltall und uns so nahe ist, können wir sie besonders gut beobachten. Und wir wollen sie besonders gut beobachten! Denn diese Wolken sind genau die Objekte, aus denen später einmal Sterne entstehen. Wenn die Wolke unter ihrem eigenen Gewicht in sich zusammenfällt, ist das Resultat ein Stern. Beziehungsweise meistens mehrere Sterne. Aber bei Barnard 68 ist das noch passiert und deswegen ist diese Dunkelwolke ein super Forschungsobjekt, wenn wir verstehen wollen, wie Sterne entstehen. Fangen wir damit an, was wir wissen. Barnard 68 hat einen Durchmesser von circa einem halben Lichtjahr. Die Masse der Wolke ist größtenteils Wasserstoff, was blöd ist, weil sich der so schlecht beobachten lässt. Zumindest wenn er so kalt ist wie der Wasserstoff in solchen Wolken üblicherweise ist, nämlich circa -264 Grad Celsius; nur knapp 10 Grad über dem absoluten Nullpunkt. Wir wissen aber auch, dass da jede Menge Staub drin ist; diverse komplexere Molekül-Ansammlungen die ein paar Mikrometer groß sind. Diese Teilchen haben die Angewohnheit, Lichtwellen zu blockieren und zwar umso stärker, je kürzer die Wellenlänge des Lichts ist. Deswegen erscheinen sie uns ja auch dunkel, wenn wir mit normalen Teleskopen hinschauen. Das Licht der dahinter liegenden Sterne wird vom Staub blockiert und wir können nix sehen. Aber wenn wir langwelligeres Licht beobachten, sieht die Sache ganz anders aus. Infarotstrahlung zum Beispiel. Die können unsere Augen nicht sehen, aber mit den passenden Teleskopen ist es überhaupt kein Problem. Und die langwellige Infrarotstrahlung wird von der Wolke sehr viel weniger oder gar nicht blockiert. Anders gesagt: Für ein Infrarotteleskop wird die Wolke durchsichtig und wir können das Licht der Sterne sehen, die hinter der Wolke liegen. Man wird natürlich immer noch eine Abschwächung des Lichts beobachten. Vor allem in der zentralen Region der Wolke, wo der Staub am dichtesten ist und das Licht der Hintergrundsterne die größte Strecke durch den Staub zurücklegen muss. Aber genau das hilft uns dabei, die Struktur von Barnard 68 zu verstehen. Die Details sind kompliziert: Aber wenn man sich ansieht, wie sich das Licht der Sterne verändert hat, die man durch die Wolke hindurch beobachtet hat, kann man daraus berechnen, wie viel Staub dieses Licht durchquert hat. Und bekommt so eine Ahnung von der Staubverteilung innerhalb der Wolke. Durch den Vergleich der Daten mit anderen Beobachtungen und diverser komplexer Berechnungen kann man aus der Menge an Staub auch auf die Menge an Wasserstoffgas in der Wolke schließen und bekommt so eine Gesamtmasse. Bei Barnard 68 liegt sie bei circa der dreifachen Sonnenmasse und nur ein Hundertstel davon ist der Staub, der das Licht blockiert. Das ist aber erst der Anfang. Diese Beobachtungen von Barnard 68 haben auch gezeigt, wie stark das Licht abgeschwächt wird. Um 35 Größenklassen, was echt sehr, sehr viel ist. Zum Vergleich: Würden wir das Licht der Sonne so sehr abschwächen, dann wäre es auf der Erde stockfinster. Wir könnten die Sonne nicht mal mehr mit freiem Auge wahrnehmen und bräuchten ein vergleichsweise gutes Teleskop, um sie sehen zu können. Kurzer Einschub: Wenn eine Wolke das Licht so stark verfinstern kann. Und wenn diese Wolken überall da draußen in der Milchstraße sind. Und wenn sich Sterne und Wolken durch die Milchstraße bewegen: Kann es da nicht sein, dass so eine Wolke mal mit dem Sonnensystem kollidiert? Oder besser gesagt: Kann es sein, dass die Sonne auf ihrem Weg durch die Galaxis mal durch so eine Wolke durchfliegt und dann alles auf einmal finster wird? Nun ja - unmöglich ist es nicht. Wir würden dann zuerst bemerken, dass das Licht der Sterne sehr viel weniger hell leuchtet als früher. Es würde vermutlich wenig von dem Staub und Gas der Wolke in das innere Sonnensystem gelangen; da schützt uns die Heliosphäre der Sonne. Also der Bereich, in dem der Sonnenwind noch vergleichsweise stark ist. Die Teilchen, die die Sonne ständig hinaus ins All bläst halten die Teilchen der Wolke davon ab, zu tief ins Sonnensystem einzudringen. Aber wenn die Wolke dicht genug ist, könnte trotzdem was davon bis zu uns gelangen. Dann würde es zwar nicht stockfinster, aber es könnte schon ein wenig dunkler werden auf der Erde, mit entsprechenden Auswirkungen auf die Temperatur oder die Photosynthese der Pflanzen. Es gibt Hypothesen, die vergangene Massensterben und Eiszeiten auf den Durchgang des Sonnensystems durch eine Dunkelwolke zurückführen. Aber es gibt keine wirklich guten Belege dafür, dass das wirklich so war. Bleiben wir bei dem, was wir tatsächlich wissen und bei Barnard 68. Die Daten zeigen aber auch, dass Barnard 68 gerade in einer ganz besonderen Phase sein muss. Es dauert typischerweise nur ein paar 100.000 Jahre bis so eine Wolke zu einem Stern kollabiert. Das ist aus astronomischer Sicht ein sehr kurzer Zeitraum und Barnard 68 kann auf diesem Weg noch nicht sehr weit gekommen sein. Wäre der Kollaps der Wolke schon wesentlich voran geschritten, dann wäre der Staub in ihrem Zentrum schon so dicht, dass wir auch mit Infrarotteleskopen nicht mehr durchsehen könnten. Barnard 68 muss sich also tatsächlich in den allerersten Phasen des Prozesses befinden, bei dem am Ende ein Stern entsteht. Deswegen ist ihr Inneres, wie die Messungen zeigen, auch vergleichsweise homogen - es gibt dort keine Klumpen, wie man es gegen Ende der Sternentstehung erwarten würde. Barnard 68 befindet sich also noch in einem einigermaßen guten Gleichgewicht. Die Teilchen in der Wolke bewegen sich; nicht viel, weil es ja so kalt dort ist. Aber ein bisschen Bewegung ist vorhanden und die erzeugt einen nach außen gerichteten Druck, der der nach innen gerichteten Kraft entgegen wirkt, die von der Gravitation der Masse der Wolke stammt. Weil die Wolke so ausgedehnt ist, also vergleichsweise wenig Masse auf vergleichsweise viel Raum verteilt, ist die Gravitationskraft, die sie auf sich selbst ausübt und die zu einem Kollaps führen kann, ziemlich schwach. Und der Druck der Teilchen reicht aus, um den Kollaps zu verhinden. Noch jedenfalls. Die Wolke verhält sich aktuell so wie eine Seifenblase, die zwar ein bisschen vor sich hin wobbelt, aber nicht dauerhaft größer oder kleiner wird. Nur wenn die Gravitationskraft in Barnard 68 ausreichend lange die Oberhand gewinnt, kann die Wolke kollabieren und zu einem Stern werden. Wann das passiert, wissen wir nicht. Aber wir wissen, dass wir hier eine wirklich gut Gelegenheit haben, die allerersten Schritte zu beobachten, die gegangen werden müssen, wenn ein großer Haufen Wasserstoff und Staub ein Stern werden möchte. Und deswegen werden wir diesen dunklen Fleck im Universum auch weiterhin sehr genau im Blick behalten.
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Oct 27, 2023 • 10min

Sternengeschichten Folge 570: Auf der Suche nach außerirdischen Bäumen

Ein extrasolarer Waldspaziergang Sternengeschichten Folge 570: Auf der Suche nach außerirdischen Bäumen Heute geht es um außerirdische Bäume. Und ja, wir werden über Wissenschaft reden und nicht über Science Fiction. Es geht tatsächlich um Bäume, die auf anderen Planeten wachsen. Nicht das wir so etwas schon entdeckt hätten. Aber theoretisch wären wir vielleicht in der Lage, genau das zu tun. Das klingt auf den ersten Blick absurd. Es ist ja schon schwer genug, überhaupt Planeten zu finden, die andere Sterne umkreisen. Wie um Himmels Willen sollen wir da jetzt herausfinden, ob auf diesen Planeten Bäume wachsen oder nicht? Ja, es ist schwierig, die Planeten anderer Sterne zu entdecken. Das ist das erste Mal 1995 gelungen und in den ersten 30 Jahren danach haben wir ein paar tausend weitere gefunden. Die allermeisten davon haben wir nur indirekt nachgewiesen, aber nicht direkt gesehen. Soll heißen: Wir haben die Auswirkungen der Planeten auf ihre Sterne beobachtet, weil die Planeten mit ihrer Gravitationskraft den Stern zum Wackeln bringen oder einen Teil seines Lichts verdecken. Nur in einer Handvoll Fällen haben wir den Planet tatsächlich gesehen. Und "gesehen" heißt hier, dass wir das Licht, das der Planet von seinem Stern reflektiert, im Teleskop auffangen konnten. Wir haben einen kleinen Lichtpunkt gesehen; keine aufgelöste Planetenscheibe und schon gar kein Bild, das detailliert genug wäre, um so etwas wie Bäume zu sehen. Das wird auch in Zukunft nicht möglich sein, solange wir nicht den interstellaren Raum durchqueren und dorthin fliegen. Aber in Zukunft werden mit besseren Teleskopen immer mehr Planeten direkt beobachtet werden können; wir werden also immer öfter in der Lage sein, Licht zu messen, dass die Planeten anderer Sterne zu uns reflektieren. In Folge 464 der Sternengeschichten habe ich über die "Biosignaturen" gesprochen. Damit sind Signale gemeint, die darauf hinweisen, dass auf einem Planeten Leben existiert. Und mit "Leben" ist vor allem einfaches Leben gemeint. Mikroorganismen; Algen, und andere Einzeller. Die Art von Leben, die auch Milliarden Jahre lang die dominante Form des Lebens auf der Erde war, bevor sich das mehrzellige Leben entwickelt hat. Aber auch das einfache Leben hat einen Stoffwechsel. Und produziert dabei zum Beispiel Gase wie Methan oder Sauerstoff, die sich in der Atmosphäre anreichern können. Das Licht, das von einem Planeten reflektiert wird, bewegt sich durch diese Atmosphäre hindurch und wird dabei ein wenig verändert. Ein Teil des Lichts wird blockiert, je nachdem welche Gase sich in der Atmosphäre befinden. Mit entsprechenden Messinstrumenten können wir das messen; genau so stellen wir ja auch schon seit längere Zeit fest, woraus Sterne bestehen oder erforschen die Planeten des Sonnensystems. Licht, das von den Planeten anderer Sterne zu uns kommt, könnte genau solche Biosignaturen enthalten und wir könnten sie finden. So eine Biosignatur würde uns aber nicht unbedingt sagen, mit welcher Art von Leben wir es zu tun haben. Nehmen wir zum Beispiel die "red edge", die "rote Kante". Pflanzen auf der Erde betreiben Fotosynthese; sie nutzen Sonnenlicht als Energiequelle. Sie nutzen aber nur einen Teil davon; den grünen Anteil des Lichts und auch den Infrarotanteil reflektieren sie. Wenn wir das von der Erde reflektierte Sonnenlicht vom All aus betrachten - was wir mit Raumsonden schon getan haben - dann sehen wir, dass ein Teil davon quasi fehlt, nämlich der Teil, der von den Pflanzen absorbiert wird. Der Rest wird reflektiert und wenn wir die jeweilige Menge auftragen, sehen wir eine starken Sprung zwischen roten und infraroten Anteil des Lichts. Das nennt sich die "rote Kante" und ist Zeichen dafür, dass auf der Erde Leben existiert, das Fotosynthese betreibt. Würden wir anderswo bei einem anderen Planeten auch so eine rote Kante beobachten, wäre das ein ziemlich guter Hinweis, dass diese Art von Leben auch dort existiert. Wir könnten daraus aber nicht ablesen, ob es sich um einzelliges oder mehrzelliges Leben handelt. Mikroorganismen wie die einzelligen Algen in den Ozeanen der Erde betreiben genau so Fotosynthese wie riesige Mammutbäume. Und es wäre eigentlich recht cool zu wissen, ob Leben das anderswo existiert ist, einzellig ist oder nicht. Auf der Erde hat es, wie gesagt, enorm lange gedauert, bis sich komplexe, mehrzellige Lebewesen entwickelt haben. Milliarden Jahre lang gab es nur Mikroorganismen und erst vor vergleichsweise kurzer Zeit haben sich die komplexeren Lebewesen entwickelt, die großen Pflanzen, die Bäume, die Tiere, und so weiter. Warum hat das so lange gedauert? War das nur ein Zufall? Wie wahrscheinlich ist es, dass sich komplexes Leben entwickelt? Auf all diese Fragen haben wir keine Antwort und es wäre enorm hilfreich, wenn wir Informationen über das Leben auf anderen Planeten kriegen könnten. Deswegen haben sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler tatsächlich Gedanken über den Nachweis von mehrzelligen Lebewesen auf anderen Planeten gemacht und dafür die Bäume ausgesucht. Einerseits, weil die Struktur in der Bäume wachsen etwas sehr grundlegendes zu sein scheint; etwas, was pflanzliches Leben quasi von selbst tut, wenn es komplexer wird. Und andererseits, weil damit die Methode funktioniert, die sie sich ausgedacht haben. Stellen wir uns einen Wald vor. Je nachdem, wie wir den betrachten, wird er uns unterschiedlich hell erscheinen. Es kann sein, dass wir die Sonne genau im Rücken haben. Die Schatten, die die Bäume dann werfen, zeigen von uns weg. Haben wir die Sonne jedoch genau gegenüber, dann fallen die Schatten in unsere Beobachtungsrichtung. Oder anders gesagt: Die Menge an Sonnenlicht, die ein Wald in unsere Richtung reflektiert, hängt davon ab, wie die Sonne gerade am Himmel steht. Das kann man auf Satellitenbilder der Erde gut beobachtet; je nach relativer Stellung von Erde, Sonne und Satellit sind die Wälder mal heller und mal dunkler. Bei den Planeten anderer Sterne sehen wir aber nicht nur keine Bäume, wir sehen auch keine Wälder. Nicht mal Kontinente und Ozeane. Wir sehen gar nichts, aus einem Lichtpunkt. Aber das würde schon reichen. Nehmen wir an, wir haben ein Weltraumteleskop, das fast genau in Richtung der Ebene blickt, in der der Planet seinen Stern umkreist. Dann können wir die Menge an Licht messen, die der Planet reflektiert, wenn der Stern von uns aus gesehen vor dem Teleskop ist und mit der Lichtmenge vergleichen, die reflektiert wird, wenn der Planeten an einem anderen Punkt seiner Umlaufbahn ist. So wie bei meinem Beispiel der Waldbeobachtung vorhin wird sich auch die Lichtmenge verändern, weil die Bäume mal mehr und mal weniger Licht in unsere Richtung reflektieren. Natürlich ändert sich die Lichtmenge die ein Planet in unsere Richtung reflektiert auch ganz einfach dadurch, dass er sich um seinen Stern bewegt. Aber wenn auf dem Planeten Wälder stehen, gäbe des eine zusätzliche Veränderung in der Lichtmenge, die, wie die Berechnungen zeigen, durchaus groß genug sein könnte, um sie zu messen. Wenn das Leben auf dem anderen Planeten nur aus Einzellern besteht, die gleichmäßig über die Meere und Kontinente verteilt sind, würden wir diese zusätzliche Veränderung nicht beobachten; besteht das Leben aber aus Bäumen und Wäldern, würden wir es merken. Nun ja, zumindest theoretisch. Es gibt natürlich schon noch ein paar Probleme. Zum Beispiel die Wolken. Ein lebensfreundlicher Planet, mit Kontinenten und Meeren und Wäldern auf dem es keine Wolken gibt, ist schwer vorstellbar. Und Wolken haben einen sehr viel größeren Einfluss auf die Menge an reflektierten Licht als Bäume. Aber, und das ist die gute Nachricht, Wolken und Bäumen reflektieren Licht unterschiedlich und vor allem erhöht sich die Menge an reflektierten Licht unterschiedlich schnell, je nachdem ob Wolken oder Bäume beteiligt sind. Mit ausreichend langen Beobachtungsreihen und jeder Menge Datenanalyse kann man also rausfinden, ob man es mit Wolken zu tun hat oder ob zwischendurch mal Phasen waren, in denen keine Wolken am außerirdischen Himmel standen und das Licht des Sterns von Bäumen reflektiert wurde. Es gibt noch weitere Komplikationen; Gebirge, etc und andere Strukturen, die Einfluss auf das reflektierte Licht haben. Aber rein prinzipiell kann man festhalten: Es werden nicht die Fähigkeiten der Astronomie sein, die uns daran hindern, außerirdische Bäume zu entdecken. Wenn sie da draußen irgendwo in großer Menge wachsen, haben wir eine Chance, sie irgendwann auch zu finden. Das eigentliche Problem ist das "wenn" aus meinem vorigen Satz. Auf der Erde wachsen jede Menge Bäume. Aber wir haben keine Ahnung, ob es erstens überhaupt irgendwo außerirdisches Leben gibt und ob es zweitens, sollte es existieren, so etwas ähnliches wie Bäume bildet die annähernd so funktionieren wie wir es von der Erde kennen. Aber was sollen wir sonst tun? Leben, das "irgendwie" anders ist, können wir nicht erforschen, weil wir ja nicht wissen, was dieses "irgendwie" sein soll. Wir müssen zwangsläufig mit dem arbeiten, was wir verstehen. Trotzdem ist es gut zu wissen, dass wir zumindest vorbereitet sind. Wenn es tatsächlich außerirdische Bäume gibt, werden wir sie nicht übersehen.
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Oct 20, 2023 • 9min

Sternengeschichten Folge 569: Galaktische Gezeiten

Ebbe und Flut aus Sternen Sternengeschichten Folge 569: Galaktische Gezeiten Wenn man von Gezeiten spricht, denkt man zuerst an den Mond. Kein Wunder, denn die Gezeiten, die wir hier auf der Erde erleben sind ja auch höchst beeindruckend. Ebbe und Flut an den Küsten der Meere haben im Laufe der Geschichte großen Einfluss auf unsere Kultur gehabt, auf den Handel, die Schifffahrt, und so weiter. Und diese Gezeiten werden vom Mond verursacht. Oder besser gesagt: Sie werden auch vom Mond verursacht. Für ein Drittel der Gezeitenwirkung die wir beobachten, ist die Sonne verantwortlich. Denn die Gezeiten sind nichts, was speziell mit dem Mond zu tun hat. Gezeitenkräfte sind ein viel umfassenderes Phänomen. Gezeiten sind eine spezielle Auswirkung der Gravitationskraft. Jeder Körper mit Masse übt eine Gravitationskraft auf jeden anderen Körper mit Masse aus und zwar umso stärker, je größer die beteiligten Massen sind und je geringer der Abstand zwischen ihnen ist. Bei den Gezeiten kommt es aber nicht auf die Stärke der Gravitationskraft an, sondern auf den Unterschied zwischen Gravitationskräften. Das bedeutet, dass es um einen Gradient in der Gravitationskraft geht und DAS bedeutet, dass die Gezeiten etwas sind, was entsteht, wenn an unterschiedlichen Orten unterschiedlich starke Gravitationskräfte wirken. Ich habe in Folge 161 der Sternengeschichten schon sehr ausführlich erklärt, wie die Gezeiten auf der Erde verursacht werden und wir haben festgestellt, dass das im Detail eine ziemlich knifflige Angelegenheit ist. Aber die Grundlage des Phänomens besteht darin, dass unterschiedliche Orte der Erdoberfläche unterschiedlich weit vom Mond entfernt sind. Und weil die Stärke der Gravitationskraft eben auch vom Abstand abhängt, ist auch die Gravitationskraft, die der Mond auf diese unterschiedlichen Orte ausübt, unterschiedlich stark - selbst wenn es nur um ein paar tausend Kilometer Unterschied im Abstand zum Mond geht. Diese Unterschiede sind natürlich trotzdem gering, aber sie können sich in den Ozeanen der Erde so auswirken und verstärken, dass am Ende Ebbe und Flut entstehen. Dass der Mond für den Großteil der Gezeitenwirkung verantwortlich ist, liegt nur daran, dass er der Erde so nahe ist. Die Sonne ist deutlich weiter entfernt, hat aber auch eine viel größere Masse. Insgesamt reich das aus, dass auch sie noch eine relevante Gezeitenkraft ausüben kann, weil eben auch unterschiedliche Orte der Erde unterschiedlich weit von der Sonne entfernt sind. Sie sind auch unterschiedlich weit von der Venus weg, dem Mars, und so weiter. Aber abseits von Sonne und Mond sind alle anderen Himmelskörper des Sonnensystems entweder zu klein, zu weit entfernt oder beides, so dass die von ihnen ausgeübte Gezeitenkraft vernachlässigbar gering ist. Aber wir müssen im Sonnensystem ja nicht halt machen. Wie gesagt: Gezeiten sind ein ganz allgemeines Phänomen. Womit wir jetzt bei den galaktischen Gezeiten sind. Wenn wir eine Galaxie wie unsere Milchstraße in ihrer Gesamtheit betrachten, dann übt sie natürlich ebenfalls eine Gravitationskraft aus. All die Sterne, die Gaswolken, die dunkle Materie und der Rest aus dem sie besteht hat Masse und mit dieser Masse erzeugt sie eine Gravitationskraft mit der sie zum Beispiel andere Galaxien in ihrer Umgebung beeinflusst. Die Masse in der Galaxis ist aber nicht gleichmäßig verteilt. Im Zentralbereich der Milchstraße sind die Sterne dicht gedrängt; dort finden sich auch sehr viel mehr Sterne als weiter außen und auch das supermassereiche schwarze Loch sitzt dort. Im Gegensatz zu den dünn besiedelten äußeren Regionen der Milchstraße übt die Zentralregion also eine starke Gravitationskraft aus. Unser Sonnensystem liegt ungefähr 25.000 Lichtjahre von dieser Zentralregion entfernt. Wenn wir jetzt also eine Linie durch die Sonne zum Zentrum der Milchstraße ziehen, dann wird die Gravitationskraft entlang dieser Linie in Richtung Zentrum immer stärker und in die andere Richtung immer schwächer. Stellen wir uns vor, dass die Erde auf ihrer Bahn um die Sonne gerade an dem Punkt angelangt ist, der dem galaktischen Zentrum am nächsten ist. Dann wird sie eine stärkere Gravitationskraft spüren als wenn sie sich auf dem genau gegenüberliegenden Punkt befindet. Sie ist also Gezeitenkräften ausgesetzt, die vom Zentrum der Galaxis ausgeübt werden. Hat das irgendwelche Auswirkungen und wenn ja, welche? Nun: Der Abstand zwischen Erde und Sonne beträgt 150 Millionen Kilometer. Der Abstand zwischen zwei einander gegenüberliegenden Punkten ihrer Bahn beträgt das doppelte, also 300 Millionen Kilometer. Das ist nichts im Vergleich zu den 25.000 Lichtjahren Abstand zum galaktischen Zentrum. Das ist 800 Millionen mal weiter entfernt! Die Gravitationskraft der nahen Sonne ist der absolut dominierende Einfluss auf die Erde; ob sie 300 Millionen Kilometer näher oder weiter weg vom galaktischen Zentrum ist, spielt für sie absolut keine Rolle. Die galaktischen Gezeiten sind für die Erde irrelevant. Aber das bedeutet nicht, dass man diese galaktischen Gezeiten komplett ignorieren könnte. Bleiben wir noch ein wenig im Sonnensystem. Die Erde ist der Sonne relativ nahe, aber es gibt auch Himmelskörper, die weiter entfernt sind. Die Asteroiden im Kuipergürtel hinter der Neptunbahn zum Beispiel. Oder die noch weiter entfernten Objekte in der Oortschen Wolke. Da kann der Abstand zur Sonne bis zu einem Lichtjahr betragen und das ist eine ganz andere Situation. In diesen fernen Regionen ist die Gravitationskraft der Sonne so schwach, dass die Kometen und Asteroiden der äußeren Oortschen Wolke ebenfalls nur extrem schwach an die Sonne gebunden sind. Sie bewegen sich nahe der Grenze, an der es überhaupt keine Bindung mehr gibt und der gravitative Einfluss der anderen Sterne in der Nachbarschaft überwiegt. Das ist das Konzept der Hill-Sphäre das ich in Folge 257 der Sternengeschichten schon ausführlich erklärt habe. Die Hill-Sphäre um einen Körper herum ist der Bereich, in dem seine eigene Gravitation dominiert. Der Mond befindet sich zum Beispiel in der Hill-Sphäre der Erde; wäre er weiter weg, würde er sich unabhängig von uns um die Sonne bewegen und nicht noch zusätzlich um die Erde kreisen. Und die Objekte in der Oortschen-Wolke sind eben gerade noch so innerhalb der Hill-Sphäre der Sonne. Das bedeutet, dass schon geringste Störungen reichen können, um sie der Sonne zu entreißen. Und die galaktischen Gezeiten können genau so eine geringe Störung sein. Wie genau der Einfluss der galaktischen Gezeiten auf die Oortsche Wolke des Sonnensystem ist, wissen wir allerdings nicht. Wir können das in Computersimulationen untersuchen und wissen daher, dass es möglich ist. Wir gehen davon aus, dass die Störungen durch die galaktischen Gezeiten einer der Prozesse ist, durch den es dort draußen immer wieder mal unruhig wird und wodurch dann zum Beispiel auch Kometen ins innere Sonnensystem abgelenkt werden. Aber beobachten können wir das natürlich nicht; dafür ist die Oortsche Wolke viel zu weit entfernt. Wir wissen aber, dass die galaktischen Gezeiten auch anderswo Einfluss haben. Es gibt zum Beispiel Doppelsterne, wo die beiden Sterne sehr weit voneinander entfernt sind; bis zu 10.000 mal weiter entfernt als die Erde von der Sonne. Galaktische Gezeiten können dazu führen, dass diese Systeme instabil werden. Und es gibt auch Planeten, die andere Sterne in enorm großer Entfernung umkreisen. Auch hier können die galaktischen Gezeiten dafür sorgen, dass solche Planetensysteme instabil werden. Auch auf noch größerer Ebene zeigt sich der Einfluss: Wenn sich zwei Galaxien nahe kommen, dann sorgen die Gezeitenkräfte, die sie aufeinander ausüben, für enorme Verformungen. Galaxien können so ihre Spiralarme verlieren; interstellare Gaswolken können so durcheinander gewirbelt werden, das auf einen Schlag jede Menge neue Sterne entstehen, und so weiter. Und vielleicht sind die galaktischen Gezeiten am Ende sogar für das Leben auf der Erde verantwortlich. Gut, das ist ein wenig weit hergeholt. Aber wir wissen, dass die chemischen Bausteine aus denen sich das Leben auf der Erde entwickelt hat, vermutlich durch die Einschläge von Asteroiden und Kometen gekommen sind. Einschlagen tun diese Objekte auch ohne galaktische Gezeiten - aber es gibt auch die Panspermie-Hypothese, von der ich in Folge 123 erzählt habe: Die Bausteine oder vielleicht sogar primitive Mikroorganismen selbst könnten anderswo im Weltall entstanden und mit Asteroiden und Kometen von Stern zu Stern gereist sein. Das ist, wie gesagt, eher unwahrscheinlich aber es ist nicht unmöglich. Und ein Mechanismus, der dafür sorgen kann, dass ein Stern Kometen und Asteroiden verliert, so dass sie sich auf den Weg zu anderen Sternen machen können, sind die galaktischen Gezeiten. Vielleicht verdanken wir unsere Existenz also einer großen kosmischen Abfolge von Ebbe und Flut.

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