Sternengeschichten

Florian Freistetter
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Jan 6, 2023 • 12min

Sternengeschichten Folge 528: P Cygni - Das spontane Auftauchen eines Riesensterns

Kaum da und schon wieder weg Sternengeschichten Folge 528: P Cygni - Das spontane Auftauchen eines Riesensterns Im Sommer ist in Mitteleuropa das Sternbild Schwan schön und deutlich am Himmel zu sehen. Die markante kreuzförmige Konstellation mit dem hellen Deneb als Schwanz ist kaum zu übersehen. Ein bisschen genauer muss man hinsehen, wenn man in der Mitte des Kreuzes den Stern P Cygni erkennen will. Er ist mit freiem Auge durchaus sichtbar, aber kein extrem heller Stern. Trotzdem ist es überraschend, dass man diesen Stern erst am 18. August 1600 entdeckt hat. Der niederländische Astronom und Kartograf Willem Blaeu, ein Schüler des großen Astronoms Tycho Brahe, arbeitete damals an einem Himmelsglobus und bei den dafür nötigen Beobachtungen fand er im Sternbild Schwan einen hellen Stern, den überraschenderweise vorher noch niemand auf irgendwelchen Karten verzeichnet hatte. Schon bald war klar, dass es sich dabei um keinen normalen Stern handeln konnte. Denn er wurde immer dunkler und dunkler und 1626 verschwand er wieder. Mit bloßem Auge konnte er nicht mehr beobachtet werden. Erst 1655 tauchte er, so wie damals 1600, wieder am Himmel auf; nur um 1662 ein weiteres Mal zu verschwinden. Das Versteckspiel ging weiter, aber in den letzten Jahrhunderten blieb er sichtbar und wurde langsam heller und heller. Er ist nicht mehr so hell, wie er damals 1600 bei seinem ersten dokumentierten Auftauchen zu sehen war - aber er ist noch ohne Hilfsmittel sichtbar. Seinen Namen hat der Stern vom Sternbild des Schwans, auf lateinisch "Cygnus" und dem Sternkatalog "Uranometria", den Johann Bayer im Jahr 1603 veröffentlicht hat und in dem die Sterne eines Sternbilds mit griechischen Buchstaben nach Helligkeit sortiert werden beziehungsweise mit lateinischen Buchstaben, wenn die griechischen nicht mehr ausgereicht haben. "P Cygni" also und es lohnt sich, einen genauen Blick auf diesen Stern zu werfen. Was gar nicht so einfach ist, denn wir wissen immer noch nicht exakt, wie weit dieser Stern entfernt ist. Mindestens 5000 Lichtjahre; es können aber auch bis zu 7000 Lichtjahre sein. Dass man einen Stern in dieser Entfernung von der Erde aus überhaupt noch sehen kann, bedeutet, dass es sich um einen extrem hellen Himmelskörper handeln muss. Und tatsächlich ist er mindestens 500.000 mal leuchtkräftiger als die Sonne; vielleicht leuchtet er sogar fast eine Million mal stärker. Dafür muss er natürlich auch sehr heiß sein: P Cygni hat eine Oberflächentemperatur die irgendwo bei 18.000 bis 20.000 Grad liegt; sehr viel mehr als die Sonne mit ihren nur knapp 5500 Grad. Die Masse von P Cygni ist 30 bis 60 Mal größer als die der Sonne und sein Radius ist 76 mal größer. Es handelt sich also um einen gewaltigen Stern, in jeglicher Hinsicht. P Cygni ist das, was man einen "Leuchtkräftigen Blauen Veränderlichen" nennt. Leuchtkräftig und blau ist klar; ein Stern mit so einer großen Masse kann nicht anders als extrem heiß und damit hell zu sein. Die ganze Masse drückt mit enormer Kraft auf das Zentrum des Sterns und entfacht dort ein gewaltiges Kernfusionsfeuer; die Wasserstoffatome in seinem Inneren werden mit enormer Geschwindigkeit fusioniert und gewaltige Mengen an Strahlung bahnen sich ihren Weg nach außen und blähen den Stern dabei auf. Ein so heißer Stern ist auch zwangsläufig blau; es fehlt also noch der Teil mit dem "Veränderlichen". Es gibt zwar durchaus auch jede Menge Sterne, die ihre Helligkeit verändern. Das tun sie aber meistens periodisch; sie werden also in wiederkehrenden zeitlichen Intervallen heller und dunkler und diese Schwankungen sind im Allgemeinen auch deutlich weniger stark als bei P Cygni. Wenn ständig Sterne so hell bzw. dunkel werden, dass sie für unsere Augen vom Himmel verschwinden oder plötzlich auftauchen, dann hätten wir das im Laufe der Zeit ja durchaus bemerkt. Und wenn doch einmal Sterne plötzlich auftauchen, dann handelt es sich um eine "Supernova"-Explosion, also um die letzten Momenten im Leben eines großen Sterns, der explodiert wenn er in seinem Inneren keine Kernfusion mehr durchführen kann, in sich zusammenfällt und dabei explodiert. Diese gewaltige Eruption und ihr Nachleuchten sieht für uns aus wie ein Stern, der plötzlich dort am Himmel auftaucht, wo vorher keiner war. Irgendwann ist die Supernova erloschen und dann sehen wir nichts mehr; zumindest nicht ohne optische Hilfsmittel. Dass aber ein Stern wie P Cygni immer wieder verschwindet und dann doch wieder hell leuchtend an den Himmel zurück kehrt, ist außergewöhnlich. P Cygni ist noch nicht explodiert. Aber seine extremen Helligkeitsschwankungen zeigen, dass er sich definitiv dem Ende seines Lebens nähert. Das aber sowieso nicht lange gedauert haben kann. Sterne, die so viel Masse haben wie P Cygni und dadurch so extrem heiß und hell strahlen, verbrauchen ihren Brennstoff viel schneller als die eher behäbig leuchtenden Sterne wie unsere Sonne. Sie wird es auf eine Lebensdauer von gut 10 Milliarden Jahren bringen; Leuchtkräftige Blaue Veränderliche halten dagegen nur ein paar Millionen Jahre durch. Die enormen Mengen an Strahlung die aus ihrem Inneren nach außen dringen, blähen den Stern nicht nur auf; sie reißen quasi auch Teile seiner selbst hinaus ins All. Anders gesagt: Sie geben einen extrem starken Sternwind ab und dabei kommt es immer wieder zu regelrechten Eruptionen, bei denen sich der Stern in eine von ihm selbst erzeugte Gaswolke hüllt, die sich erst im Laufe der Zeit im All verflüchtigt. Dieses Verhalten kann man auch in einem sehr interessanten Detail sehen, dem "P-Cygni-Profil". Ich habe im Podcast ja schon sehr oft über Spektrallinien gesprochen. Kurz gesagt: Das Material in den äußeren Schichten eines Sterns kann entweder einen bestimmten Teil des Sternenlichts blockieren oder aber durch das Licht des Sterns zum Leuchten angeregt werden. Im ersten Fall fehlt dann ein ganz konkreter Teil des Lichts und man sieht eine sogenannte Absorptionslinie; im zweite Fall kann man eine Emissionslinie beobachten. Nutzt man optische Elemente um das Licht in seine Bestandteile aufzuspalten, kann man genau sehen, aus welchen Farben es zusammengesetzt ist. Verstreut über diesen Regenbogen aller Farben wird man dunkle Absorptionslinien finden können, wo bestimmte Farben fehlen - oder eben helle Linien, die durch zusätzliche Lichtemission erzeugt worden sind. Ein P-Cygni-Profil ist nun eine ganz besondere Kombination aus Absorptions- und Emissionslinie. Wenn wir das genau verstehen wollen, müssen wir uns überlegen, was wir eigentlich sehen, wenn ein Stern wie P Cygni einen Helligkeitsausbruch hat. Es wird dann jede Menge heißes Gas aus den äußeren Schichten der Sternatmosphäre in alle Richtungen des Alls geschleudert. Wenn wir in Richtung des Sterns sehen, dann sehen wir also, wie ein Teil dieses Gases, nämlich der, der sich genau zwischen uns und dem Stern befindet, auf uns zu bewegt. Das Gas, das sich genau auf der gegenüberliegenden Seite des Sterns befindet, entfernt sich dagegen von uns. Ein Teil des Gases, das sich von uns aus gesehen hinter dem Stern befindet, können wir gar nicht sehen; eben weil es vom Stern verdeckt wird. Vereinfacht gesagt, sehen wir also eine bestimmte Menge an Gas, die auf uns zu kommt und eine etwas kleinere Menge an Gas, die sich von uns entfernt. Das gesamte Gas wird aber vom Licht des Sterns angestrahlt und dadurch selbst zum Leuchten angeregt. Nun müssen wir aber noch den Doppler-Effekt berücksichtigen, den ich ja auch schon sehr oft erklärt habe. Licht, das von einer sich bewegenden Lichtquelle ausgesandt wird, erscheint uns unter einer leicht verschobenen Frequenz, genau so wie der Schall einer sich bewegenden Schallwelle - zum Beispiel von der Sirene eines fahrenden Krankenwagens - mal höher und mal tiefer klingt. Das Licht das von dem Teil der Gaswolke kommt, die sich auf uns zu bewegt wird in Richtung des blauen Lichts verschoben; das Licht des Gases das sich von uns entfernt erscheint dagegen rötlicher. Wir sehen aber kein symmetrisches Bild; weil eben ein Teil des Lichtes vom Stern verdeckt wird. Und jetzt kommt auch noch die Absorptionslinie dazu. Denn das Licht kommt ja nicht nur von den äußersten Teilen der Gashülle auf uns zu, sondern auch von den weiter innen gelegenen Teilen. Ein Teil davon wird auf seinem Weg nach außen von den restlichen Gasschichten absorbiert und so entsteht zusätzlich zur asymmetrisch rot- und blauverschobenen Emissionslinie auch noch eine Absorptionslinie, die ebenfalls in Richtung des blauen Lichts verschoben ist, weil sie ja aus dem Teil des Lichts stammt, das sich durch das Gas auf uns zu bewegt. Ohne Bilder ist das alles ein wenig schwer vorstellbar, aber wenn man diese asymmetrischen Absorptions- und Emissionslinien überlagert, bekommt man ein ganz charakteristisches Profil, das man immer dann findet, wenn ein heißer Stern große Mengen an Gas in Form einer sich schnell ausdehnenden Hülle von sich schleudert. Es ist kein Wunder, dass wir noch nicht viele Leuchtkräftige Blaue Veränderliche wie P Cygni beobachtet haben. Sie können nur dort entstehen, wo sehr viel Material für die Entstehung von Sternen vorhanden ist und wenn sie einmal angefangen haben zu leuchten, kann sie nichts mehr vor ihrem schnellen Ende bewahren. Durch ihre extremen Sternwinde schleudern sie jedes Jahr eine Menge an Gas ins All, die das hundertfache der Erdmasse betragen kann. Diese Wolken dehnen sich mit mehreren hundert Kilometern pro Sekunden aus und verflüchtigen sich im Kosmos. In astronomischen Maßstäben haben sie ihren Stern aber kaum verlassen, bevor der nach aus Sicht eines typischen Sternenlebens quasi kurz nach seiner Geburt schon wieder bei einer gewaltigen Supernova sein Leben beendet. Die Liste der Leuchtkräftigen Blauen Veränderlichen ist nicht lang, wenn man sie mit der gesamten Anzahl an Sternen in der Milchstraße vergleicht. Umso außergewöhnlicher ist die Entdeckung von P Cygni, und das noch dazu gerade zu Beginn des 17. Jahrhunderts, als die moderne Astronomie geboren wurden und die Menschen angefangen haben, den Himmel mit Teleskopen zu beobachten. Mit ein bisschen poetischer Freiheit könnte man P Cygni als Stern von Bethlehem bei der Geburt einer neuen Wissenschaft bezeichnen. Aber das wäre dann vielleicht doch ein wenig übertrieben…
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Dec 30, 2022 • 12min

Sternengeschichten Folge 527: Orcus und Vanth

Im Reich der Totengötter Sternengeschichten Folge 527: Orcus und Vanth Am 17. Februar 2004 beobachteten die amerikanischen Astronomen Mike Brown, Chad Trujilo und David Rabinowitz mit dem Teleskop der Palomar-Sternwarte in Kalifornien wieder einmal den Weltraum. Sie waren auf der Suche nach transneptunischen Objekten, also Himmelskörpern, die sich außerhalb der Umlaufbahn von Neptun um die Sonne herum bewegen. Das erste dieser Objekte wurde schon 1930 gefunden und als neunter Planet des Sonnensystems mit dem Namen "Pluto" klassifiziert. Danach dauerte es bis in die 1990er Jahre bevor ein weiterer dieser fernen Himmelskörper gefunden werden konnte. Aber Anfang der 2000er Jahre hatte man schon eine Handvoll von ihnen gefunden und man wollte noch weitere entdecken, denn aus ihrer Beobachtung kann man viel über die Geschichte des Sonnensystems lernen. Dort draußen, fern von der Sonne, gibt es sehr viel mehr Asteroiden als im klassischen Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter. Die Objekte bewegen sich alle deulich langsamer als die sonnennäheren Himmelskörper und zwischen ihnen ist viel mehr Platz. Und das ist auch der Grund für die Existenz des Asteroidengürtels hinter der Neptunbahn: In der Entstehungszeit des Sonnensystems, vor 4,5 Milliarden Jahren, ging es dort einfach zu ruhig zu, als das große Planeten entstehen hätten können. Die langsamen und weit voneinander entfernten Objekte kollidierten viel zu selten miteinander um zu großen Himmelkörpern heranwachsen zu können. Und blieben kleine Himmelskörper. Das ist einer der Gründe, der sie interessant macht. Sie bestehen aus einem sehr ursprünglichen Material; aus dem Stoff, aus dem alles andere entstanden ist und aus Material, das kaum durch Kollisionen und andere dramatische Ereignisse verändert worden ist. Ein weiterer Grund der sie für die Forschung so spannend macht, sind ihre Umlaufbahnen. Denn auch wenn es da draußen ruhiger zugeht als in der Nähe der Sonne: Ein bisschen Dynamik existiert schon. In den Folgen 68 und 374 der Sternengeschichten habe ich von der "planetaren Migration" erzählt; also davon, wie die äußeren Planeten des Sonnensystems während und kurz nach ihrer Entstehung sich ein Stück von der Sonne entfernt haben. Sie sind weiter innen im Sonnensystem entstanden als sie sich heute befinden. Bei ihrer Wanderung nach außen haben sie natürlich die Bahnen der fernen Asteroiden gestört und ihnen dynamische Muster aufgeprägt, die wir heute noch erforschen können. Pluto zum Beispiel befindet sich in einer 2:3 Resonanz mit Neptun; macht also zwei Runde um die Sonne in der selben Zeit die Neptun für drei Umrundungen benötigt. So etwas passiert nicht von selbst und ist ein Zeichen dafür, dass Neptun an einem anderen Ort entstanden ist und bei seiner Wanderung Pluto quasi in diesem resonanten Zustand eingefangen hat. Jedenfalls: Man war auch der Suche nach weiteren Objekten hinter der Neptunbahn und am 17. Februar 2004 waren Brown, Trujilo und Rabinowitz ein weiters Mal erfolgreich. Zwei Tage später wurde ihr Fund offiziell bekanntgegeben; der Himmelskörper den sie entdeckt hatten bekam die für Asteroiden typische vorläufige Bezeichnung aus Zahlen und Buchstaben; in diesem Fall "2004 DW". Der Asteroid braucht 246 Jahre für eine Runde um die Sonne und bewegt sich auf einer stark elliptischen Bahn. Am sonnennächsten Punkt der Umlaufbahn ist er 30mal weiter von ihr entfernt als die Erde, am sonnenfernsten Punkt beträgt der Abstand aber das 48fache der Distanz zwischen Erde und Sonne. Wer mit den Zahlen im Sonnensystem vertraut ist, wird vielleicht bemerken, dass die Umlaufzeit dieses Asteroiden ziemlich nahe an der des Pluto liegt. Und tatsächlich befindet er sich - wie Pluto - in einer 2:3 Resonanz mit Neptun. Was aber nicht heißt, dass die beiden sich nahe kommen. Sie befinden sich immer auf unterschiedlichen Seiten der Sonne und aufgrund der resonanten Bahn bleibt diese Konfiguration auch erhalten. 2004 DW war also auf jeden Fall ein spannender Himmelskörper. Und brauchte bald eine bessere Bezeichnung als "2004 DW". Wenn ein Asteroid entdeckt und seine Bahn ausreichend gut bekannt ist, dürfen die, die ihn entdeckt haben, ihm auch einen Namen geben. Mike Brown und seine Kollegen schlugen "Orcus" vor. Das ist, in der römischen Mythologie, einer von mehreren Namen für den Gott der Unterwelt; so wie Pluto. Und wenn da draußen schon Pluto herum fliegt, kann man auch gleich noch einen weiteren Totengott dazu setzen, dachten sich Brown und seine Kollegen. Die Unterwelt ist aber nur eine Verbindung zu Plutos Namen; es gibt auch eine weitere, wenn auch etwas unwissenschaftlichere Parallele. Als damals ein Name für den heute "Pluto" genannten Himmelskörper gesucht wurde, hat man sich natürlich - so wie bei den anderen Planeten - an der griechisch-römischen Mythologie orientiert. Entdeckt hat Pluto zwar der amerikanische Astronom Clyde Tombaugh; er führte damals aber quasi die Arbeit von Percival Lowell weiter. Der war schon im 19. Jahrhundert auf der Suche nach Planeten hinter der Bahn von Neptun und hat für diesen Zweck eine eigene Sternwarte gegründet. Als Tombaugh 1930 den Pluto fand, war Lowell zwar schon über 10 Jahre tot - aber noch lange nicht vergessen. Es war vermutlich nicht der Hauptgrund für die Wahl des Namens, aber dennoch ein schöner Zufall, dass die ersten beiden Buchstaben von Pluto auch die Initialen von Percial Lowell waren. Als man 1978 den großen Mond von Pluto fand, nannten die Entdecker ihn "Charon", nach dem Fährmann, der in der griechischen Mythologie die Toten in das Reich des Totengottes führt. Thematisch absolut passend und schlau vom Entdecker James Christy gewählt, denn die ersten vier Buchstaben von Charon bilden den Spitznamen seiner Frau Charlene. Der Name der Frau von Mike Brown lautet nun zwar Diane, was absolut nichts mit Orcus zu tun hat. Aber Diane lebte während ihrer Jugend auf Orcas Island, vor der Küste von Washington und die beiden verbringen noch heute viel Zeit dort. Die Benennung des Asteroiden nach Orcus war also auch ein kleines Geschenk von Mike Brown an seine Frau. Aber lassen wir mal die Namensgebung und schauen auf Orcus selbst. Neben der Umlaufbahn will man ja vor allem wissen, wie groß so ein Ding ist, wenn man es gerade frisch entdeckt hat. Was schwierig ist, wenn man nur einen schwachen Lichtpunkt auf einem Bild sehen kann. Anhand der ersten Daten schätzte man seinen Durchmesser auf 1600 bis 1800 Kilometer. Das ist ein ordentlicher Brocken und 2004 wäre das - nach Pluto - der größte bekannte Himmelskörper hinter Neptun gewesen. Und da 2004 auch Pluto selbst noch als Planet geführt wurde, hätte man durchaus auch Orcus als Planeten klassifizieren können. Hat man aber nicht, sondern 2006 die Entscheidung getroffen, Pluto aus der Gruppe der Planeten zu entfernen. Was durchaus sinnvoll war, wie ich ja in Folge 90 schon ausführlicher erklärt habe. Aber egal ob Planet oder Asteroid: Auf den wissenschaftlichen Wert der Erforschung von Orcus hat das natürlich keinen Einfluss. Und vermutlich ist er auch nicht so groß, wie anfangs gedacht. Man weiß immer noch nicht exakt, wie groß er ist; die Werte schwanken zwischen knapp 1000 Kilometer und um die 800 Kilometer. Aber die wahrscheinlichste Größe liegt vermutlich bei rund 920 Kilometer Durchmesser. Trotz dieser immer noch ansehlichen Größe ist es schwer, Details über Orcus herauszufinden. Denn der 900 Kilometer große Brocken ist halt immer noch hinter der Neptunbahn. Wir wissen aus der Art wie der das Sonnenlicht reflektiert, dass es dort sehr viel Eis an der Oberfläche geben muss. Nicht nur gefrorenes Wasser, sondern auch Methan- und Ammoniakeis, immerhin liegt die Temperatur dort bei gut -230 Grad Celsius! Da kann auch so etwas wie Ammoniak fest zu Eis gefroren sein. Es ist aber erstaunlich, so etwas auf der Oberfläche eines transneptunischen Objekts zu finden; so etwas findet man dort so gut wie gar nicht. Ebenso wie klassisches Wassereis. Beziehungsweise findet man das natürlich schon, aber meistens nicht in kristalliner Form, so wie wir es auf der Erde gewöhnt sind. Die kleinen Asteroiden haben keine Atmosphäre die kosmische Strahlung abhält und diese Strahlung, die ungehindert auf das Eis trifft, sorgt in ein paar Millionen Jahren dafür, dass es sich in amorphes Eis verwandelt, also Eis, in dem die Wassermoleküle nicht mehr in einer regelmäßigen Struktur angeordnet sind. Wir wissen aber aus der Beobachtung von Orcus, dass es dort kristallines Wassereis gibt. Es ist also möglich, dass es dort Phasen von Kryovulkanismus gibt; dass also frisches Eis aus dem Inneren des Himmelskörperns wie Magma aus der Erdinneren an die Oberfläche tritt. Es ist sogar nicht einmal auszuschließen, dass es unter einer dicken Kruste aus Eis im Inneren von Orcus flüssiges Wasser gibt. Was Orcus darüber hinaus auch noch hat, ist ein Begleiter. 2007 fanden Mike Brown und sein Team einen weiteren Himmelskörper, der sich um Orcus herum bewegt. Dieser Mond hat einen Durchmesser von circa 442 Kilometern und ist damit fast halb so groß wie Orcus selbst. Er befindet sich 9000 Kilometer von Orcus entfernt um braucht 9,5 Tage für eine Runde herum. Auch dieser Himmelskörper hat natürlich einen Namen: Mike Brown forderte die Leserinnen und Leser einer Zeitungskolumne die er schrieb dazu auf, einen Namensvorschlag einzureichen. Gewonnen hat die Einsendung der amerikanischen Schriftstellerin Sonya Taaffe: Vanth. So hieß bei den Etruskern, also quasi den Vorläufern der Römer, die Begleiterin des Totengottes. Vanth war eine Art Dämonin, die den Verstorbenen den Weg ins Jenseits anzeigt. Ein passender Name und einer der, zumindest soweit bekannt, keine irgendwie geartete Beziehung zu Taaffe oder ihrer Familie hat. Über Vanth weiß man, abgesehen von seiner Existenz, noch nicht so viel. Da die beiden sich so nahe sind und beide zusammen der Erde so fern, ist es schwer, Vanth getrennt von Orcus zu beobachten. Beide sind nur winzige Lichtpunkte auf den Aufnahmen selbst der besten Teleskope. Wenn wir mehr wissen wollen, müssen wir hinfliegen und nachsehen. Was sich mit Sicherheit lohnen würde; denn die Gegend hinter der Bahn von Neptun ist noch so gut wie komplett unerforscht. Wir haben eine Raumsonde, die kurz an Pluto vorbei geflogen ist und ein paar detaillierte Bilder gemacht hat. Die gleiche Sonde - New Horizons - hat ein paar Jahre später auch noch den transneptunischen Asteroid Arrokoth aus der Nähe fotografiert. Aber abgesehen davon war bis jetzt nicht viel los dort draußen. Es wartet immer noch eine neuen Welt darauf, entdeckt zu werden, voller faszinierender Himmelskörper wie Orcus und Vanth.
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Dec 23, 2022 • 12min

Sternengeschichten Folge 526: Das Deep Space Network

Wir lauschem dem Flüstern im All Sternengeschichten Folge 526: Das Deep Space Network Weltraumteleskope die fantastische Bilder des Kosmos machen. Raumsonden, die zu fernen Himmelskörpern fliegen. Rover, die die Oberfläche des Mars erforschen; Menschen, die auf dem Mond spazieren gehen. Die Raumfahrt ist ein großes wissenschaftliches Abenteuer. Aber Abenteuer funktionieren nur in Büchern und Filmen ohne Vorbereitungen. In der Realität muss man sich auch bei so spektakulären Vorhaben wie der Raumfahrt um jede Menge recht unspektakuläre Dinge kümmern, wenn das Abenteuer nicht im Chaos enden soll. Und in der Raumfahrt ist vor allem eine Sache von enormer Bedeutung: Kommunikation. Nehmen wir mal ein Weltraumteleskop; sowas wie Hubble oder James-Webb. Diese Geräte machen fantastische Aufnahmen und liefern extrem wertvolle wissenschaftliche Daten. Aber irgendwie müssen diese Daten ja zu uns auf die Erde gelangen. Irgendwie müssen wir hier auf der Erde den Teleskopen sagen, was sie wann und wo und wie beobachten sollen. Vor dem Beginn der Raumfahrt gab es Teleskope nur auf der Erde und Menschen, die diese Teleskope bedient haben. Die Daten waren Fotoplatten, die direkt aus den Kameras an den Teleskopen geholt wurden. Aber es sitzt ja niemand im Hubble-Weltraumteleskop und drückt dort irgendwelche Knöpfe. Die Datenübertragung muss hier also anders funktionieren. Übrigens: Die allerersten Bilder aus dem Weltall wurden tatsächlich noch ganz klassisch mit analogen Fotoapparaten gemacht. Man schoß Raketen hinaus ins All, machte Fotos und dann stürzten die Satelliten wieder auf die Erde. Und wenn die Landung nicht zu heftig war, konnte man die Filme bergen und entwicklen. Aber das ist natürlich keine Methode für ernsthafte wissenschaftliche Forschung. Hier muss man die Daten digital übertragen, die Bilder also in elektronische Daten umwandeln, sie per Funk zur Erde schicken und dort wieder in normale Bilder übersetzen. Für uns heute ist das völlig normal; wir schicken ständig Daten übers Internet durch die Gegend und um die ganze Welt. Aber wie schaut es mit dem Internet außerhalb der Erde aus? Wenn man sich nicht zu weit von unserem Planeten entfernt, dann kommt man noch halbwegs gut klar. Aber auch hier muss man sich ein paar Gedanken machen. Will man zum Beispiel mit der International Raumstation Kontakt aufnehmen, dann muss man berücksichtigen, dass sich die Raumstation zwar nur in 400 Kilometer Höhe befindet, aber sehr schnell um die Erde herum bewegt. Sie umkreist den Planeten einmal in 90 Minuten. Es bringt also gar nichts, wenn ich einfach nur an einem Ort eine Antenne aufstelle. Dann kann man zwar mit der Raumstation reden. Aber nur kurz und nur einmal alle 90 Minuten. Will man dauerhaften Kontakt sicherstellen - und das will man auf jeden Fall! - dann muss man entsprechende Bodenstationen um die ganze Erde herum verteilen, so dass immer eine davon gerade so positioniert ist um die Signale von der Raumstation zu empfangen. Und wenn man es mit weiter entfernten Raumfahrzeugen zu tun hat, muss man ein wenig mehr Aufwand treiben. Womit wir jetzt beim Deep Space Network der NASA angelangt sind. "Deep Space" klingt nach sehr weit entfernt; nach Science Fiction; nach Kommunikation über Lichtjahre hinweg. Tatsächlich meint "Deep Space" im Zusammenhang mit der Kommunikation im All alles, was weiter als 2 Millionen Kilometer von der Erde entfernt ist. Das ist enorm weit; das ist deutlich weiter weg als der Mond, der ja nur gut 400.000 Kilometer weit weg ist. Aber es geht trotzdem vor allem um Kommunikation innerhalb des Sonnensystems. Wie so oft ist diese Definition übrigens nicht allgemeingültig: Für die NASA ist zum Beispiel schon alles ab 16.000 Kilometer Entfernung der "Deep Space". Aber lassen wir mal die Definitionen beiseite. Es geht auf jeden Fall um die Kommunikation mit Raumsonden, die den Mars erforschen, oder die Venus. Die zu Jupiter und Saturn fliegen, oder noch weiter hinaus, wie es die Voyager 1 und 2 Sonden getan haben. All diese Sonden, Rover und Satelliten sind ja tatsächlich dort draußen und erledigen ihre Arbeit. Genau so wie das James-Webb-Teleskop, an seinem Beobachtungspunkt in 1,5 Millionen Kilometer Entfernung. Und damit diese ganzen Instrumente tun können, was sie tun, müssen wir Kontakt mit ihnen haben. Genau das ist die Aufgabe des "Deep Space Network". Man darf sich so eine Kommunikationsanlage nicht als simple Antenne vorstellen, wie wir sie vielleicht zuhause auf dem Dach haben, um Satellitenfernsehen zu empfangen. Theoretisch könnte man mit sowas natürlich auch Kontakt zu Raumfahrzeugen herstellen. Aber je weiter sie entfernt sind, desto schwächer wird das Signal. Je schneller die Kommunikation erfolgen soll, desto stärker muss das Signal sein und desto besser muss es auch empfangen werden können. Was an den Stationen des Deep Space Networks steht, sind also keine simplen Satellitenschüssel, sondern riesige Radioantennen. Ich komme gleich noch zu den Details; schauen wir zuerst noch einmal kurz, wo man solche Dinger am besten hinstellt. Idealerweise und im Gegensatz zu astronomischen Teleskopen stellt man so eine Antenne nicht hoch oben auf einen Berg, sondern in eine Talmulde oder ähnliches, damit möglichst wenig störende Signale von irdischen Radioquellen empfangen werden. Deswegen stellt man so ein Ding auch nicht mitten in eine Stadt oder unter stark genutze Flugrouten, wo einem dauernd Flugzeuge dazwischen funken. Das Wetter sollte auch halbwegs brauchbar sein; man kann zwar auch bei Regen Signale empfangen, aber wenns ständig extrem stürmt, oder sich Eis an den Antennen anlagert, dann ist das auch nicht unbedingt optimal. Es gibt noch mehr Standortfaktoren - aber das waren die wichtigsten. Will man dauerhaft Kontakt mit einem fernen Raumfahrzeug haben, dann braucht man mindestens drei Stationen auf der Erde. Die müssen halbwegs gleichmäßig über die Erde verteilt sein; also drei nebeneinander im gleichen Land bringt auch nichts. Mindestens eine Station muss immer Kontakt zu Raumfahrzeug haben können, aber praktischerweise macht man das dann so, dass sich die Stationen überschneiden. Wenn also an einer Station das Raumfahrzeug wegen der Erdrehung immer weiter Richtung Horizont sinkt sollte eine andere Station das Raumfahrzeug gerade über dem Horizont "aufgehen" sehen, sodass theoretisch beide Kontakt aufnehmen können. Und erst dann wird die Kommunikation von einer Station zur nächsten übergeben. Das Deep Space Network der NASA besteht aus drei Standorten. Dem Goldstone Deep Space Communications Complex in der Mojave-Wüste in Kalifornien, dem Madrid Deep Space Communications Complex, circa 55 Kilometer außerhalb von Madrid in Spanien und dem Canberra Deep Space Communication Complex am Rand eines Naturschutzgebietes in der Umgebung der australischen Hauptstadt Canberra. Früher hat die NASA auch noch Stationen in West Virginia oder Südafrika genutzt; die werden aber mittlerweile für andere Zwecke verwendet. In den 1960er Jahren war der Goldstone-Komplex mit drei 26m-Antennen und einer 64m-Antenne ausgestattet; in Madrid und Australien konnte man je eine 26m-Antenne nutzen. Das war für die Mondmissionen und den Rest der damaligen Arbeit der NASA ausreichend, aber als man weitere Missionen startete, die weiter hinaus ins All flogen, brauchte man bessere Kommunikation. In den 1970er-Jahren bekamen sowohl Madrid als auch Canberra eine weitere 26m-Antenne dazu und außerdem je eine große 64m-Antenne. Als dann Ende der 1970er Jahre die Voyager-Sonden ins All flogen und erstmals Daten von den äußeren Planeten des Sonnensystems schicken sollten, war ein weiteres Update nötig. Neue 34m-Antennen wurden gebaut; einige 26m-Antennen wurden auf 34m erweitert. Im neuen Jahrtausend wurden die Anlagen dann noch mal erweitert; die Technik macht ja auch immer Fortschritte und irgendwann braucht man nicht nur größere Antennen, sondern auch neuere. In Goldstone waren seit den späten 1990er Jahren vier 34m-Antennen aktiv und eine 70m-Antenne; in Madrid und Canberra ebenfalls; dort steht auch das 64m große Parkes-Radioteleskop, das aber nur bei Bedarf dem Netzwerk hinzugeschaltet wird. Das klappt auch mit anderen Stationen; die NASA ist ja nicht die einzige Organisation, die Raumfahrt betreibt. Die Europäische Weltraumagentur ESA hat natürlich auch ein eigenes Netzwerk für die Kommunikation mit fernen Raumsonden, die "ESA tracking stations" oder ESTRACK. Die stehen in Argentinien, Französisch-Guayana, den Azoren, Spanien, Belgien, Schweden und Australien und ein Teil davon kann ebenfalls mit dem Deep Space Network der NASA zusammengeschaltet werden. Die chinesische Raumfahrtagentur hat jede Menge Antennen in China stehen, was aber nicht zur dauerhaften Kommunikation ausreicht. Deswegen betreibt man dort auch Schiffe, die passend auf dem Meer platziert werden können und spezielle Satelliten im All, die Signale weiterleiten können, auch wenn das Raumfahrzeug gerade nicht von China aus erreicht werden kann. 2010 hat China aber auch eine Anlage in Argentinien erreicht und in Namibia betreibt man ebenfalls eine Trackinstation. Aber auch China kooperiert immer wieder mit der ESA und greift auf die Stationen von ESTRACK zurück, genau so wie andere Raumfahrtnationen wie Indien oder Japan. Eine 30 Meter große Antenne betreibt übrigens auch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt in der Nähe von Weilheim in Oberbayern. Von dort werden die Satelliten der Bundeswehr gesteuert; die Antenne kann aber auch in das ESTRACK-Netzwerk der ESA integriert werden. All diese riesigen Antennen klingen nach ziemlich viel Aufwand für ein bisschen Kommunikation. Aber Kommunikation ist eben quasi fast alles in der Raumfahrt. Wir MÜSSEN mit den Raumfahrzeugen reden können; ansonsten bräuchten wir uns gar nicht erst die Mühe machen, sie ins All zu schicken. Und wenn man sich überlegt, wie schwach die Signale oft sind um die es hier geht, erscheinen die Antennen auf einmal gar nicht mehr so groß. Nehmen wir die Voyager-Sonden. Die haben Sender mit einer Leistung von 23 Watt und eine Antenne mit 3,7 Meter Durchmesser. 23 Watt ist nicht so wahnsinnig viel; ok, mehr als Handy an Sendeleistung hat; das liegt bei irgendwas zwischen einem halben und 3 Watt. Aber diese 23 Watt senden die Voyager-Sonden eben mittlerweile aus einer Entfernung von mehr als 22 Milliarden Kilometern. Ein Signal der Sonden ist gut 20 Stunden unterwegs, bis es überhaupt auf der Erde eintrifft. Und dort natürlich sehr viel schwächer als die ursprünglichen 23 Watt. Wenn man nicht ganz genau wüsste, wann und aus welcher Richtung und auf welcher Frequenz das Signal kommt, hätte man keine Chance es zu empfangen. Das Signal, dass auf der Erde empfangen werden muss, ist nur noch 10 hoch -18 Watt stark; also ein Trillionstel Watt. Es ist schwer, irgendeinen vernünftigen Vergleich für so eine winzige Leistung zu finden. Selbst der Energieumsatz in einer einzigen menschlichen Zelle ist größer als ein Trillionstel Watt. Wenn wir mit unseren Raumsonden im All kommunizieren wollen, dann hat das nichts mit der Kommunikation hier unten auf der Erde zu tun. Wir müssen mit unseren gigantischen Antennen auf ein fast unhörbar leises Flüstern im Weltraum hören.
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Dec 16, 2022 • 11min

Sternengeschichten Folge 525: Pflanzen im Weltall

Die Folge mit dem grünen Daumen Sternengeschichten Folge 525: Pflanzen im Weltall In Folge 336 der Sternengeschichten habe ich von all den Tieren erzählt, die schon ins Weltall geflogen sind. Aber es gibt ja nicht nur Tiere sondern auch Pflanzen und die sind mindestens ebenso wichtig. Auch wenn es um die Raumfahrt und die Astronomie geht. Also schauen wir uns heute mal die Pflanzen im Weltall an. Beziehungsweise die Pflanzen, die wir Menschen ins All gebracht haben. Denn Pflanzen die ohne unser zutun außerhalb der Erde wachsen, haben wir bis jetzt noch nicht entdeckt. Man hat früher zwar mal geglaubt, dass auf dem Mars, der Venus, dem Mond und diversen anderen Himmelskörper Pflanzen wachsen würden; hat sogar geglaubt, zu sehen, wie sie dort wachsen. Aber das hat sich alles als Einbildung, optische Täuschung oder Beobachtungsfehler herausgestellt. Nach allem, was wir bis jetzt wissen, wächst im Sonnensystem nirgendwo was, mit Ausnahme der Erdoberfläche. Vielleicht taucht irgendwo noch die eine oder andere Alge auf und das wäre eine große Sensation. Vielleicht finden wir bei unseren Beobachtungen der Planeten anderer Sterne irgendwo Hinweise auf die Existenz extraterrestrischer Pflanzen und das wäre eine noch größere Entdeckung. Aber bis es so weit ist, müssen wir uns mit irdischen Pflanzen begnügen, die wir mit Raketen ins All gebracht oder dort wachsen haben lassen. Aber auch das ist eine wichtige Sache. Ohne Pflanzen wären wir nicht überlebensfähig. Hier auf der Erde sind wir es auf keinen Fall. Wir brauchen die Pflanzen als Nahrungsgrundlage; sie produzieren den Sauerstoff den wir atmen und halten die diversen Ökosysteme im Gleichgewicht. Und das ist nur der Anfang; der Anblick der Pflanzen hilft uns auch, unser psychisches Gleichgewicht zu halten; Pflanzen sind Teil aller möglichen kulturellen Praktiken, wir verbringen unsere Freizeit in Wäldern und auf Wiesen, und so weiter. Ohne Pflanzen gäbe es uns nicht. Wenn wir, so wie jetzt, für vergleichsweise kurze Zeit ins All fliegen, dann kommen wir theoretisch auch ohne Pflanzen aus. Die Nahrung können wir von der Erde aus mit in die Raketen oder Raumstationen nehmen. Ebenso den Sauerstoff. Und wenn es nicht zu lange dauert, dann halten wir es auch seelisch eine Zeit lang aus, nur in einer künstlichen Umgebung ohne natürliche Pflanzen zu leben. Aber für einen längeren Zeitraum oder gar dauerhaft ist das keine Option. Würden wir zum Beispiel eine ständig besetzte Basis auf dem Mond oder dem Mars schaffen wollen oder mit einem Raumschiff Monate oder gar Jahre lang zu weit entfernten Himmelskörpern reisen, dann müssen wir einen Weg finden, wie uns die Pflanzen begleiten können. Wir brauchen Gärten in unseren Raumfahrzeugen, die uns mit Nahrung und Sauerstoff versorgen. Die für unsere psychische Gesundheit sorgen und all die anderen Dinge tun, wofür wir sie brauchen. Es ist daher kein Wunder, dass die Pflanzenforschung von Anfang an Teil der Raumfahrt war. Schon 1946 wurden die ersten Samen mit umgebauten V2-Raketen ins All geschossen. Die USA hat die von Deutschland im zweiten Weltkrieg erbeuteten Kriegswaffen genutzt, um erste Versuche in der Raumfahrt zu unternehmen. Damals wusste man noch nicht, ob man überhaupt Menschen ins All bringen kann und wenn ja, ob sie dort überleben können. Um die Auswirkungen der kosmischen Strahlung auf Lebewesen zu untersuchen, hat man daher mit Pflanzen und Tieren entsprechende Tests durchgeführt. Die ersten Samenkörner flogen 134 Kilometer hoch; die Rakete konnte aber nach der Landung auf der Erde nicht mehr geborgen werden. Erst ein ähnlicher Versuch ein paar Tage später, am 30. Juli 1946 lieferte Maiskörner, die sich zumindest für kurze Zeit außerhalb der Erdatmosphäre befunden haben. Es folgen andere Samen, die - zurück auf der Erde - eingepflanzt wurden um zu sehen, ob der Aufenthalt im All irgendwelche negativen Folge hatte. Eher nicht, Experimente aus der Sowjetunion legten sogar nahe, dass sie besser wachsen also die, die auf der Erde geblieben sind. Es würde zu weit führen, alle Pflanzenexperimente im All aufzuzählen. Später jedenfalls ist man dazu übergegangen, das Wachstum der Pflanzen direkt im All zu untersuchen. Denn genau darum geht es ja: Man will sie auf einer Raumstation wachsen lassen oder in einem Raumschiff. Und die Frage die sich da sofort stellt, ist: Geht das? Hier auf der Erde wachsen Pflanzen nach oben; die Wurzeln graben sich nach unten in die Erde. Aber im All gibt es kein "oben" und "unten": Wissen die Pflanzen da überhaupt, wie sie wachsen sollen? Auf der Erde richten sich die Pflanzen oft nach der Sonne aus und orientieren ihren Stoffwechsel am Tag-Nacht-Rhythmus. Auch der fehlt im Weltall. Welche Nährstoffe brauchen sie und in welcher Erde müssen sie wachsen? Und so weiter. Auch hier würde es viel zu weit führen, alle Aspekte der Astrobotanik zu erklären. Aber schauen wir vielleicht auf den sogenannten "Gravitropismus". Als "Tropismus" wird in der Botanik ganz allgemein eine "Reizrichtungsreaktion" bezeichnet. Ein bestimmter Reiz bestimmt also wie und in welche Richtung sich eine Pflanze oder Teile von ihr bewegen. Wenn eine Pflanze auf Licht reagiert, sich also etwa Sprossen zum Licht hin bewegen und Wurzeln vom Licht weg, dann ist das ein "Phototropismus". Eine Reaktion auf Wärme ist ein Thermotropismus, reagiert die Pflanzen auf bestimmte Nährstoffe, handelt es sich um Chemotropismus, und so weiter. Es gibt jede Menge Tropismen und beim Gravitropismus ist der Reiz auf den reagiert wird die Gravitation. Wenn eine Pflanze zum Beispiel auf einem steilen Berghang trotzdem gerade nach oben und nicht einfach irgendwie schräge aus dem Hang wächst, dann kann sie das deswegen, weil sie in der Lage ist, ihr Wachstum an der zum Erdmittelpunkt gerichteten Gravitationskraft zu orientieren. Viele Pflanzen sind darauf angewiesen, dass ihre Teile zum richtigen Zeitpunkt nach oben, nach unten oder sonst irgendie korrekt ausgerichtet sind. Wie sie das können? Mit Statolithen - das sind winzige Körnchen aus festem Material, die sich im Inneren bestimmter Zellen befinden. Bewegt sich die Zelle, dann sorgt die Trägheit der Statolithen dafür, dass sie diese Bewegung zumindest kurzfristig nicht mitmachen und an bestimmten Stellen gegen die Zellwand drücken. Dieser Reiz kann registriert werden und der Pflanze sagen, wohin die Gravitation gerade wirkt. Übrigens benutzen nicht nur Pflanzen solche Statolithen, sondern auch jede Menge ander Lebewesen, aber das ist eine andere Geschichte. Bei den Pflanten spielen Amyloplasten die Rolle der Schwerkraftanzeiger; das sind bestimmte Zellbestandteile die eigentlich zur Speicherung von Stärke dienen, aber auch in der Lage sind, wie Statolithen zu wirken. Wie Pflanzen die Gravitation spüren können, wissen wir also. Und was machen sie mit dieser Fähigkeit? Das erforscht die "Gravitationsbiologie" und nein, den Begriff habe ich mir nicht ausgedacht. Die Untersuchung von Pflanzen macht aber nur einen kleinen Teil dieser Wissenschaft aus; viel öfter interessiert man sich für die Auswirkungen der Gravitation oder ihrem Fehlen auf Menschen. Die Anfänge dieser Disziplin gehen bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts zurück und damals hat man tatsächlich Pflanzen untersucht und sie auf einer Art Drehgestell wachsen lassen um zu schauen, was passiert und zu sehen, ob sie trotzdem noch wissen, in welche Richtung sie wachsen sollen. Später konnte man die Pflanzen dann aber auch direkt im All erforschen, zum Beispiel auf der Internationalen Raumstation. Dort hat man herausgefunden, dass Pflanzen auch in der Lage sind, die extrem geringe Mikrogravitation zu spüren, die dort herrscht und ihr Wachstum entsprechend auszurichten. Es ist also durchaus möglich, Pflanzen im All wachsen zu lassen; sogar welche, mit denen wir Menschen etwas anfangen können. Das hat zum Beispiel das Experiment mit dem schönen Namen "Veggie" gezeigt. 2014 flog diese kleine Kammer in der Pflanzen wachsen können zur Raumstation und man began dort Römersalat anzubauen. Im ersten Durchlauf ließ man die Pflanzen 33 Tage lang wachsen bevor sie geerntet, eingefroren und zur Analyse zurück zur Erde geschickt wurden. Beim zweiten Durchlauf im Jahr 2015 wuchs der Salat ebenfalls 33 Tage, aber dann konnten sich die für das Experiment zuständigen Astronauten Scott Kelly und Kjell Lindgren offensichtlich nicht mehr zurück halten und verputzten die Hälfte der Ernte selbst. Mit Balsamico-Essig und Oliven-Öl, wie die NASA verlautbart hat und Kjell Lindgren hat sich damit seinen Cheesburger verfeinert. Es hat ihnen offensichtlich nicht geschadet, ebenso wie die kulinarischen Resulate der weiteren Salat-Experimente und das hat die Wissenschaft mittlerweile auch offiziell festgestellt. Der Nährstoffgehalt des Weltraumsalats ist dem des auf der Erde gewachsenen Gemüses sehr ähnlich. Man findet im Salat der Raumstation allerdings mehr Mikroorganismen, was vermutlich an den speziellen hygienischen Bedingungen auf der ISS liegt. Gefährlich war aber keiner dieser Keime für Menschen. Nur grüner Salat wird aber ein wenig langweilig. Zum Glück macht die Wissenschaft Fortschritte: 2020 wurden die ersten 20 Radieschen auf der ISS gezüchtet und 2021 wurden die ersten Paprika geerntet. Langsam kommt ein vernünftiges Menü zusammen, aber bis sich die Menschen auf der Raumstation selbst versorgen können wird es noch ein weiter Weg sein. Ganz besonders dann, wenn sie nicht mehr mit von der Erde mitgebrachten Boden arbeiten können, sondern zum Beispiel Pflanzen im Mars- oder Mondboden wachsen lassen wollen. Dort fehlen nämlich - nach allem was wir bis jetzt wissen - die Mikroorganismen die überall auf der Erde zu finden sind. Und die sind dringend nötig, damit im Boden all die Nährstoffe enthalten sein können, die Pflanzen brauchen. Die Zeit, in der nur Testpiloten und Kampfflieger ins All gereist sind, sind schon lange vorbei. Heute sollte man auf jeden Fall auch immer ein paar Leute dabei haben, die sich mit Botanik und Gartenarbeit auskennen!
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Dec 9, 2022 • 10min

Sternengeschichten Folge 524: Das Geheimnis der Barium-Sterne

Gibt's nicht gibt's nicht. Sternengeschichten Folge 524: Das Geheimnis der Barium-Sterne Im Sternbild Steinbock findet man einen durchschnittlich hellen Stern; mit bloßem Auge kann man ihn halbwegs gut sehen. Er ist 386 Lichtjahre weit weg und trägt die offizielle Bezeichnung "Zeta Capricorni". 1897 hat die Astronomin Antonia Maury dort die Existenz des chemischen Elements Barium nachgewiesen. Das ist an sich erstmal nicht außergewöhnlich; so wie die meisten anderen chemischen Elemente wird auch Barium in Sternen produziert. In diesem Fall nicht durch die normale Kernfusion, durch die zum Beispiel im Inneren der Sterne Wasserstoff zu Helium wird, sondern durch den sogenannten s-Prozess. Davon habe ich in Folge 412 ausführlich erzählt; es geht dabei um Vorgänge, die in Sternen ablaufen, die sich schon dem Ende ihres Lebens nähern. Diese alten Sterne haben den Wasserstoff in ihrem Kern schon verbraucht. Sie fusionieren dann das Helium, das sich dort angesammelt hat, wodurch es ein wenig heißer wird. Das führt dazu, dass nun auch in den äußeren Schichten des Sterns, wo noch genug Wasserstoff vorhanden ist, die nötigen Temperaturen für eine Kernfusion erreicht werden. Diesen Vorgang nennt man "Schalenbrennen", weil sich im Laufe der Zeit quasi unterschiedliche Fusionsprozesse in Schalen um den Kern anordnen. Ist nämlich das Helium im Kern auch verbraucht, setzten weitere Fusionsprozesse ein, die die bei der Heliumfusion entstandenen Elemente nutzen, und zum Beispiel Kohlenstoff oder Sauerstoff fusionieren. Wodurch es nochmal heißer wird und das Helium in den äußeren Schichten fusionieren kann und der Wasserstoff in den noch weiter liegenden Schichten. Und so weiter - am Ende kriegt man einen Stern, bei dem in jeder Schicht unterschiedliche Fusionsreaktionen ablaufen; je nach Temperatur die erreicht werden kann und die hängt davon ab, welche Masse der Stern hat - je mehr Masse, desto heißer. Für den s-Prozess ist aber nur wichtig, dass bei vielen dieser Reaktionen Neutronen entstehen. Das sind die elektrisch ungeladenen Bauteile des Atomkerns und die können nun auf die Atomkerne treffen, die sonst noch so im Stern rumliegen. Wenn sich aber zu viele Neutronen an einen Atomkern anlagern, dann wird er instabil. Er zerfällt und bei diesem Zerfall können wieder neue Elemente entstehen; Elemente wie Barium die bei den normalen Kernfusionsprozessen nicht gebildet werden können. Soweit, so klar. Wenn Zeta Capricorni Barium enthält, dann muss es sich um einen ausreichend großen Stern am Ende seines Lebens handeln, wo genau dieser s-Prozess abläuft. Aber wenn das so wäre, dann würde ich mich ja nicht damit aufhalten, eine Sternengeschichten-Folge dazu aufzunehmen. Zeta Capricorni ist tatsächlich ein großer Stern, aber keiner, der sich schon so weit dem Ende seines Leben genähert hätte, dass dort der s-Prozess ablaufen könnte. Eigentlich dürfte es dort also kein Barium geben. Der Natur ist es aber ziemlich egal, was wir glauben, dass dort passieren dürfte. Dort passiert, was passiert und wenn wir etwas beobachten von dem wir denken, dass es nicht beobachtbar sein dürfte, dann heißt das nur, dass wir etwas falsch verstanden haben. Dass Zeta Capricorni kein seltsamer Einzelfall ist, haben die beiden amerikanischen Astronomen William Bidelman und Philip Keenan im Jahr 1951 erkannt. In einer Arbeit mit dem etwas technischen Titel "Die Ba II Sterne" haben sie eine ganze Gruppe von Sternen identifiziert, die vergleichsweise viel Barium enthalten, aber aufgrund ihrer Entwicklung eigentlich nicht enthalten sollten. Sie waren aber nicht in der Lage zu erklären, was der Grund für die Existenz dieser Barium-Sterne ist. Man brauchte mehr Daten und die wurden im Laufe der Zeit auch gesammelt. Schauen wir wieder auf Zeta Capricorni: Im Jahr 1980 fand die in Deutschland geborene amerikanische Astronomin Erika Böhm-Vitense heraus, dass Zeta Capricorni einen Partner hat. Eine weißen Zwerg, ungefähr so schwer wie die Sonne und beide kreisen mit einer Periode von 6,5 Jahren umeinander. Auch das ist an sich noch nicht besonders; interessant wurde es aber, als man rausfand, dass alle Barium-Sterne Teil eines Doppelsternsystems sind, sehr oft mit einem weißen Zwerg als Partner wie bei Zeta Capricorni und das kann eigentlich kein Zufall sein. Ein weißer Zwerg ist ein Stern, der sein Leben schon beendet hat. Soll heißen: Ein Stern, bei dem die Fusionsprozesse aufgehört haben und der in den letzen Phasen seines Lebens seine äußeren Schichten ins All gepustet hat, so dass nur noch der heiße und extrem dichte Kern übrig geblieben ist. Oder anders gesagt: Der weiße Zwerg hat die Phase mit dem Schalenbrennen und dem s-Prozess schon hinter sich. Er hatte also die nötige Zeit, um Elemente wie Barium zu produzieren. Die behält er aber nicht einfach so für sich. Ich hab vorhin gesagt, dass ein weißer Zwerg seine äußeren Schichten ins All gepustet hat. In diese Phase müssen wir jetzt nochmal genau schauen. Beim Schalenbrennen werden ja diese äußeren Schichten deutlich heißer als sie es vorher waren. Der Stern dehnt sich also massiv aus. Er wird zu einem roten Riesenstern und wenn er allein im All ist, passiert erstmal nichts weiter. Irgendwann kann er seine äußeren Schichten mit seiner eigenen Gravitationskraft nicht mehr festhalten und das ganze Zeug verflüchtigt sich in den Weltraum hinaus. Ist aber ein zweiter Stern ausreichend nahe, dann kann ein Teil des Materials von ihm angezogen und eingefangen werden. Oder andes gesagt: Der noch aktive Stern schnappt sich ein paar der chemischen Elemente, die er eigentlich noch gar nicht besitzen dürfte. Barium-Sterne wie Zeta Capricorni machen sich also quasi älter, als sie es sind und sie erreichen das, weil sie chemische Elemente von ihrem sterbenden Partner bekommen, die sie selbst noch nicht produzieren können. Es ist auch kein Wunder, dass sie uns erst so spät aufgefallen sind und wir nicht so viele von ihnen kennen. Zuerst einmal braucht man zwei Sterne, die nicht nur ausreichend nahe beieinander liegen, sondern auch jeweils die richtige Masse haben müssen. Der eine gerade so viel mehr als der andere, dass er erstens sehr viel früher mit dem s-Prozess anfangen kann und zweitens auch so viel, dass er das überhaupt kann (nicht alle Sterne entwickeln sich auf diese Weise). Der Zeitraum, in dem ein Stern Elemente wie Barium produziert ist, im Vergleich mit einem Sternenleben auch recht kurz und wenn der zweite Stern nicht ausreichend viel länger lebt als der erste, dann kriegen wir von dem Transfer auch gar nichts mit; dann sehen wir nur zwei weiße Zwerge, die einander umkreisen. Wenn überhaupt, denn wir müssen unter all den Sternen da draußen ja noch die richtigen finden. Der Stern muss hell und/oder nahe genug sein, dass wir überhaupt messen können, dass das Barium drin ist, das nicht drin sein sollte. Und so weiter: Es gibt wenig Barium-Sterne und sie sind schwer zu finden. Aber wenn man sie gefunden hat und wenn man sie untersuchen kann, dann sind sie äußerst lohnende Beobachtungsziele. Man kann von ihnen einiges über die Entwicklung von Sternen und der gesamten Milchstraße lernen. Zum Beispiel: Damit das im Inneren des Sterns erzeugte Barium überhaupt zum anderen Stern kommen kann, muss es ja zuerst einmal irgendwie an dessen Oberfläche gelangen. Die Details sind komplex, aber aus den Beobachtungsdaten der Bariumsterne und theoretischen Modellen zum s-Prozess und der Sternentwicklung kann man berechnen, wie sich das Material im Inneren des sterbenden Sterns durchmischt und wie stark der Sternwind ist, mit dem er das Zeug hinaus ins All pustet. Diese Sternwinde haben aber natürlich alle Sterne, die sich am Ende ihres Lebens ausdehnen; sie sind eine wichtige Quelle für die sogenannte interstellare Materie, also das Material das sich zwischen den Sternen befindet. Das ist zwar nicht viel, gar nicht viel, genau genommen, aber ein bisschen was ist schon da und das würde man gerne verstehen. Die Barium-Sterne erlauben uns, die Prozesse zu studieren, die dazu führen, dass sterbende Sterne Material hinaus ins All schleudern und damit wissen wir auch mehr über die interstellare Materie. Und mit ausreichend Daten kann man noch mehr Details rauskriegen. Bei Zeta Capricorni hat man zum Beispiel nicht nur Barium gefunden, sondern auch das Element Niob. Das ist aus einem radioaktiven Isotop von Zirkonium entstanden, das wiederum aus den s-Prozessen des ehemaligen Sterns kommt. Weiß man, wie viel Niob heute noch da ist und kennt man die Rate, mit der das radioaktive Zirkonium zu Niob zerfällt, kann man ungefähr abschätzen, wann der Massentransfer zwischen den beiden Sternen stattgefunden hat. Das Resultat: Zeta Capricorni ist erst vor gut 3 Millionen Jahren zum Barium-Stern geworden. Also quasi erst gestern, nach astronomischen Maßstäben. Ein Glück, das wir rechtzeitig schlau genug geworden sind, ihn zu verstehen.
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Dec 2, 2022 • 12min

Sternengeschichten Folge 523: Fledermausmenschen auf dem Mond: Der große Moon-Hoax

Fledermausmenschen oder Ente? Sternengeschichten Folge 523: Fledermausmenschen auf dem Mond: Der große Moon-Hoax "Neueste Berichte vom Cap der guten Hoffnung über Sir John Herschel’s höchst merkwürdige astronomische Entdeckungen, den Mond und seine Bewohner betreffend." Das war die Überschrift einer Artikelserie die ab dem 26. August 1835 in der amerikanischen Zeitung "New York Sun" erschienen ist. Und der Titel war nicht übertrieben: Die Entdeckungen von John Herschel waren allerdings höchst merkwürdig. John Herschel war einer der bedeutendsten Astronomen seiner Zeit; Sohn des noch viel bedeutenderen Astronom Wilhelm Herschel, der den Planeten Uranus entdeckt hat. John Herschel war einer der Pioniere der frühen Fotografie, auf ihn geht sogar das Wort "Photographie" zurück und zu seinen vielen astronomischen Arbeiten gehörte auch ein Katalog von Himmelskörpern, den er während seines 5jährigen Aufenthalts am Kap der guten Hoffnung in Südafrika angefertigt hatte. Dort war er zwischen 1833 und 1838 und mitten in diesem Zeitraum erschien der Artikel in der New York Sun. Die Informationen auf denen dieser Text basiert stammen von Andrew Grant, der in der Einleitung so beschrieben wird: "Unsere zeitige und beinahe ausschließliche Kenntniß all dieser Umstände verdanken wir der intimen Freundschaft des Herrn Andrew Grant, Pflegesohnes des ältern und seit mehreren Jahren unzertrennlichen Gehülfen des jüngern Herschel. Als Secretär des letztern auf dem Vorgebirge der guten Hoffnung und unermüdlicher Aufseher des großen Teleskopes war er im Stande, uns wenigstens eben so wichtige und werthvolle Mittheilungen zu machen, als diejenigen sind, welche Dr. Herschel selbst der Königlichen Astronomischen Societät übersandt hat. Auch versichert uns unser Berichterstatter, daß die voluminösen Documente, welche jetzt einem Ausschusse jener Gesellschaft vorliegen, wenig mehr enthalten, als Einzelnheiten und mathematische Erläuterungen derjenigen Thatsachen, welche er in seiner eignen weitläuftigen Correspondenz uns mitgetheilt hat." Oder, ein bisschen weniger umständlich ausgedrückt: Grant ist ein enger Mitarbeiter von Herschel und darf deswegen dessen Forschungsergebnisse schon vorab in der Zeitung veröffentlichen; Ergebnisse, die in ein paar Wochen dann auch offiziell wissenschaftlich publiziert werden. Es folgt eine lange Abhandlung über das Teleskop, mit dem Herschel gearbeitet hat. Schon Herschels Vater war ja als bester Teleskopbauer seiner Zeit bekannt; Wilhelm Herschel baute 1789 das größte Teleskop der Welt, mit einem 1,2 Meter großen Spiegel und dank seiner hervorragenden optischen Instrumente war er auch in der Lage, als erster Mensch überhaupt einen neuen Planeten, den Uranus, zu entdecken. Und Sohn John war, so der Bericht in der New York Sun, ebenfalls ein hervorragender Teleskopbauer. Grant erzählt begeistert vom über sieben Meter großen Spiegel, der ein Gewicht von mehr als 7 Tonnen hat und Objekte um das 42.000fache vergrößern kann. Damit kann man Objekte auf dem Mond erkennen, die nur 45 Zentimeter groß sind. Und mit genau diesem Wunderwerk der Technik machten sich Grant und Herschel nun an die Beobachtung des Mondes, am 10. Januar, gegen halb 10 am Abends, wie im Zeitungsartikel vermerkt ist. Zuerst sehen sie nur ein Gebirge, aber dann wird es interessant. Denn ein paar Steinen, die wie umgestürzte Säulen aussehen, sind "mit einer dunkelrothen, dem Papaver Rhoeas, oder der Klatschrose unserer sublunarischen Kornfelder, vollkommen ähnlichen Blumengattung über und über bedeckt: dem ersten organischen Naturproducte einer andern Welt, welches dem menschlichen Auge enthüllt worden ist." Klatschmohnfelder auf dem Mond? Langsam kann man wohl ein wenig skeptisch werden, was den Wahrheitsgehalt des Berichts angeht… Aber schauen wir trotzdem mal weiter auf die spektakulären Entdeckungen. Als nächstes sehen die beiden Forscher einen "Mondwald", "ein Gehölz von so schönen, so unverkennbaren Tannen, wie ich sie nur je im Schooße meiner heimathlichen Gebirge emporsprossen sah". In dieser ersten Nacht finden sie noch diverse andere Pflanzen, so richtig spannend wird es aber in den kommenden Beobachtungsnächten. Grant berichtet: "Im Schatten der Bäume an der Südostseite sahen wir zahlreiche Heerden brauner Vierfüßler, die dem Aeussern nach vollkommen den Bisonochsen glichen, aber etwas kleiner waren, als irgend eine Gattung (…) unserer Naturgeschichte. Ihr Schwanz war dem unsers [Yak] ganz ähnlich; aber hinsichtlich ihrer halbmondförmig gekrümmten Hörner, des Buckels auf dem Rücken, der größe der Wampe, und der Länge ihres zottigen Haares, glichen sie vollkommen der Gattung, womit ich sie zuerst verglich; doch war die Bildung ihres Vorkopfes sehr unterscheidend (eine Bildung, die wir späterhin bei allen Thieren, welche wir noch entdeckten, vorfanden): diese bestand nämlich in einem großen fleischigen Wulst oberhalb der Augen, der sich quer über die Stirn bis zu den Ohren erstreckte." Und die Mondbisons waren erst der Anfang. Als nächstes kommt quasi ein Einhorn: "Es war bläulich bleifarben, von der Größe einer Ziege, mit Kopf und Bart wie diese, und einem einzigen, ein wenig nach vorn gekrümmten Horne." Die Entdeckung des Tierlebens auf dem Mond geht weiter, neun verschiedene Säugetiere und fünf Vogelarten finden die beiden. Und dann, endlich die Sensation: fliegende Mondmenschen! "Sie waren ungefähr 4 Fuß hoch, waren, mit Ausnahme des Gesichts, mit kurzen, glatten, kupferfarbigen Haaren bedeckt, und hatten Flügel, welche aus einer dünnen elastischen Haut ohne Haaren bestanden, die hinten zusammengerollt von der Schulterspitze bis zu den Waden lag. Das Gesicht, welches von gelblicher Fleischfarbe war, zeigte eine kleine Veredlung gegen das des großen Orangutangs, da es offener und klüger aussah und eine weit größere Ausdehnung des Vorkopfes zeigte. Indeß war der Mund sehr hervorstehend, obgleich dies etwas durch einen dicken Bart auf dem untern Kinnbacken und durch Lippen von weit menschlicherer Form als diejenigen irgend einer Species des Affengeschlechts verdeckt wurde. (…) Wir benannten die Classe dieser Geschöpfe mit dem wissenschaftlichen Namen „Vespertilio-homo“ oder „Fledermausmensch,“ und es sind ohne Zweifel unschuldige glückliche Creaturen, obgleich einige ihrer Vergnügungen sich nur schlecht mit unsern irdischen Ansichten vom Decorum vertragen würden." Grant und Herschel beobachten die Fledermausmenschen bei ihrem Treiben, ihren Unterhaltungen und ihrem Herumgefliege über den Mond. Und finden dann sogar noch einen mysteriösen Tempel! "Es war ein gleichförmig dreieckiger Tempel, aus polirtem Saphir oder sonst einem ähnlichen, glänzenden, blauen Steine erbaut, der Myriaden goldener Lichtfunken zeigte, welche in den Sonnenstrahlen schimmerten und funkelten." Das Dach bestand aus Metall, in Form von Flammen und durch "einige wenige Oeffnungen in diesen metallenen Flammen bemerkten wir eine große Kugel von einer dunkleren Gattung Metall, fast von einer trüben Kupferfarbe, welche sie einschlossen und scheinbar um sie herumragten, wie um sie hieroglyphisch zu verzehren. " Alles sehr geheimnisvoll und ebenso mysteriös endet auch der Text: "Was meinten die erfindungsreichen Erbauer unter dem Globus von Flammen umgeben? Gedachten sie dabei irgend eines früheren Mißgeschicks ihrer Welt, oder sagten sie damit irgend eine zukünftige für die unsrige voraus?" Ja, was wissen die Fledermausmenschen auf dem Mond, was wir nicht wissen! Was hält Herschel geheim? Denn Grant merkt im Bericht auch an, dass bestimmte Entdeckungen aus nicht näher genannten Gründen noch nicht öffentlich gemacht werden dürfen. Und dann ist da noch eine viel wichtigere Frage: Was soll der ganze Quatsch?! Denn natürlich wissen wir heute, dass das alles Quatsch ist. John Herschel hat kein Superteleskop gehabt mit dem man Mondmenschen von der Erde beobachten kann. Das war mit der damaligen Technik unmöglich und selbst heute kriegen wir das nicht hin. Wenn wir solche Details auf der Mondoberfläche sehen wollen, müssen wir hinfliegen, von der Erde aus geht das nicht. Und wir waren ja auch schon am Mond und können mit Sicherheit sagen, dass sich dort keine Bisons, Einhörner oder Fledermausmenschen herumtreiben. Aus damaliger Sicht war die Sache aber längst nicht so klar. Was irgendein Astronom in Südafrika trieb oder nicht, ließ sich Mitte des 19. Jahrhunderts nicht so schnell überprüfen wie heute. Und die Vorstellung, dass auf dem Mond und den anderen Himmelskörpern des Sonnensystems Leben und vielleicht sogar intelligente Lebwesen existieren, war ebenfalls nicht so absurd wie uns das heute vorkommt. Man hatte damals kaum Möglichkeiten, konkret zu messen oder zu beobachten, wie heiß oder kalt es zum Beispiel auf dem Mond oder dem Mars ist. Oder ob es dort eine Atmosphäre gibt. Aus diversen ideologischen und religiösen Gründen erschien es den Menschen auch absolut plausibel, dass auf JEDEM Himmelskörper Leben existiert; warum sonst sollte es so viele Planeten geben, wenn dort niemand lebt? Wilhelm Herschel selbst, der Vater von John, war der Meinung, dass sogar auf der Sonne Lebewesen wohnen, wie ich in Folge 333 der Sternengeschichten erzählt habe. Im 18. und 19. Jahrhundert gab es diverse Astronomen die entsprechende Vermutungen zum Leben auf anderen Himmelskörpern geäußert hatten. Teilweise sehr konkret, so wie der Pfarrer und Hobby-Astronom Thomas Dick, der die Bevölkerungsdichte Englands auf andere Himmelskörper übertrug und so ausgerechnet hatte, dass 1) auf dem Mond circa 4,2 Milliarden Mondmenschen leben und das ganze Sonnensystem mehr als 22 Billionen Einwohner hat. Die Menschen, die 1835 in der New York Sun über die Beobachtungen eines durchaus bekannten Astronomen lasen, haben das also vermutlich nicht alle für komplett absurd gehalten. Andere Wissenschaftler, wie der Astronom und Mathematiker Carl Friedrich Gauß waren da schon deutlich skeptischer. Aber lange konnte sich die Geschichte trotzdem nicht halten. Fledermausmenschen auf dem Mond waren vermutlich doch ein bisschen zu viel; andere Journalisten recherchierten die Story nach und stellten fest, dass Herschel keine Ahnung von den Entdeckungen hatte, die er angeblich gemacht haben soll und auch keinen Mitarbeiter namens Andrew Grant hatte. Tatsächlich verfasst hat die Artikelserie der Reporter Richard Adams Locke, ein Mitarbeiter der New York Post, mit dem profanen Ziel, die Auflage der Zeitung zu steigern. Was ihm auch definitiv gelungen ist. Und was er später auch bereitwillig zugegeben hat. Tja. Dass Zeitungen Sachen schreiben, die nicht so ganz richtig sind, um mehr Exemplare verkaufen zu können, soll ja auch heute noch ab und zu mal vorkommen. Fake News im Ausmaß der Geschichte über die Fledermausmenschen vom Mond sind aber heutzutage nicht mehr denkbar. Hoffentlich…
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Nov 25, 2022 • 10min

Sternengeschichten Folge 522: Das atmosphärische Fenster

Die Fenster bitte offen lassen Sternengeschichten Folge 522: Das atmosphärische Fenster In der heutigen Folge geht es um das atmosphärische Fenster. Und da kann man sich gleich mal fragen, was das sein soll. Unsere Atmosphäre ist ja schon durchsichtig, wozu braucht die noch ein Fenster? Und es stimmt ja: Wenn nicht gerade Wolken den Blick verdecken, dann kann man durch die Atmosphäre hindurch ganz wunderbar in den Weltraum hinaus schauen. Vor allem, wenn es dunkel genug ist und die Lichter der Zivilisation nicht alles überstrahlen. Dann sieht man den Sternenhimmel in all seiner funkelnden Pracht. Und so beeindruckend dieser Anblick auch ist: Tatsächlich ist der Ausdruck "in all seiner Pracht" nicht ganz richtig. Es gibt sehr viel, was wir nicht sehen können und der Grund dafür sind die Atmosphäre und ihre Fenster. Dazu müssen wir uns zuerst ansehen, was es überhaupt zu sehen gibt und dann einen genaueren Blick auf die Atmosphäre der Erde werfen. Zu sehen gibt es vom Weltraum vor allem elektromagnetische Strahlung. Genaugenommen gibt es für uns Menschen sowieso nix anderes zu sehen als elektromagnetische Strahlung; unsere Augen können nichts anderes sehen als das. "Sehen" ist die Wahrnehmung elektromagnetischer Strahlung. Aber ich sage nicht umsonst so oft "elektromagnetische Strahlung" und nicht einfach nur Licht. Denn das, was wir im Alltag als Licht bezeichnen, ist zwar elektromagnetische Strahlung. Aber nur ein winziger Teil davon. Das Licht, das wir mit unseren Augen sehen können, hat eine Wellenlänge zwischen circa 400 und 700 Nanometern, reicht also von violett, über blaues Licht, grünes Licht, gelb und bis hin zu rotem Licht. Aber was passiert dort, wo die Wellenlänge kleiner als 400 Nanometer oder größer als 700 Nanometer ist? Jede Menge! Wir sehen halt nur nichts davon. Wird die Wellenlänge der elektromagnetischen Strahlung größer als circa 690 Nanometer, dann nennt man diese Art des Licht "Infrarotstrahlung". Das kennen wir natürlich auch; diese Strahlung spüren wir auch, in Form von Wärme - aber wir sehen sie eben nicht mit unseren Augen. Ebenso wenig wie die Mikrowellenstrahlung, die Wellenlängen zwischen einem Millimeter und 10 Zentimetern hat. Wären unsere Augen in der Lage, Strahlung mit einer Wellenlänge im Zentimeterbereich wahrzunehmen, dann würden wir das Innere eines Mikrowellenherds hell strahlen sehen, denn genau diese Art des Lichts wird dort erzeugt und genutzt, um das Essen zu erwärmen. Könnten wir auch Strahlung mit Wellenlängen im Meter oder Kilometerbereich sehen, würden wir uns über das helle Leuchten der Lang- und Kurzwellensender wundern, die Radiowellen mit diesen Wellenlängen aussenden. Im kurzwelligen Bereich geht es genau so weiter. Hinter dem sichtbaren violetten Teil der Strahlung kommt das für uns unsichtbare Ultraviolett, das viele Insekten mit ihre Augen aber ganz wunderbar wahrnehmen können. Für sie leuchten die Blumen in Farben, die wir uns nicht vorstellen können. Und wenn die Wellenlänge nur noch wenige Nanometer beträgt, dann landen wir beim Röntgenteil der elektromagnetischen Strahlung. Die Röntgenstrahlung nutzen wir in der Medizin und wir sehen das Resultat der Untersuchung - aber nicht die Strahlung selbst, wie sie unseren Körper durchdringt. Kurz gesagt: Es gibt da draußen jede Menge Licht, das unsere Augen nicht wahrnehmen können. Und die Himmelskörper im All leuchten in all diesen Farben, nicht nur in denen, die unsere Augen sehen können. Die aktiven Zentren von Galaxien senden Radiostrahlung aus, Supernova-Explosionen erzeugen Röntgenstrahlung, die interstellaren Gaswolken leuchten im Infrarotlicht, und so weiter. Wenn wir das Universum verstehen wollen, müssen wir alles sehen, was es zu sehen gibt. Na und, könnte man jetzt sagen? Dann bauen wir uns halt entsprechende Detektoren dafür! Genau, und das macht die Wissenschaft auch schon lange. Es bleibt aber trotzdem noch ein Problem und das ist die Atmosphäre der Erde. Die besteht aus einem Gemisch verschiedenster Gase: Sauerstoff, Stickstoff, Kohlendioxid, Wasserdampf, Ozon, und so weiter. Das ist gut, weil wir einen Teil dieser Gase brauchen um atmen und leben zu können. Es ist aber auch schlecht, zumindest für die Astronomie, denn manche dieser Gase wechselwirken auf für uns sehr unangenehme Weise mit elektromagnetischer Strahlung. Bestimmte Moleküle können einen Teil der elektromagnetischen Strahlung absorbieren oder ablenken. Oder anders gesagt: Nicht alles, was vom Weltall kommend auf die Erdatmosphäre trifft, kommt bis zum Erdboden durch. Nehmen wir zum Beispiel die kurzwellige Ultraviolett-Strahlung: Die trifft schon ziemlich bald, in 15 bis 30 Kilometer Höhe über dem Boden auf die Ozonschicht. Ozon ist ein Molekül das aus drei Sauerstoffatomen besteht und das UV-Licht hat genau die richtige Wellenlänge, um von ihm absorbiert zu werden, Die zusätzliche Energie die das Molekül dadurch aufnimmt sorgt dafür, dass es ein Sauerstoffatom abspaltet, dass sich in Folge wieder mit anderen Sauerstoffatomen zu Ozon verbindet. Das bedeutet aber auch, dass dieser Teil der elektromagentischen Strahlung nicht bis zum Erdboden gelangen kann. Was in diesem Fall durchaus ok ist, denn die UV-Strahlung ist schädlich für uns Menschen und es ist gut, dass die Ozonschicht sie für uns abhält. Für die Astronomie ist es aber trotzdem nervig, denn das bedeutet, dass wir vom Boden aus nichts davon sehen können. Wir können nichts von der UV-Strahlung beobachten, die etwa das interstellare Medium aussendet oder der Sonnenwind; nichts von den heißen jungen Sterne, die mit diesem Licht die kosmischen Wolken in ihrer Umgebung beeinflussen, und so weiter. Ob elektromagnetische Strahlung absorbiert oder gestreut wird und welcher Teil davon es ist, hängt von den jeweiligen Molekülen ab. Wasserdampf zum Beispiel blockiert einen großen Teil der Infrarotstrahlung, ein anderer Teil wird vom Kohlendioxid absorbiert. Fasst man alles zusammen, dann kommt man zu dem etwas deprimierenden Ergebnis, dass es in unserer Atmosphäre eigentlich nur zwei Fenster gibt. Durch eines gelangt das "normale" für unsere Augen sichtbare Licht auf den Erdboden und ein kleiner Teil der Infrarotstrahlung. Und das andere lässt Radiowellen durch. Und deswegen haben wir hier unten auf der Erde optische Teleskope stehen und auch Radioteleskope. Aber keine Infrarotteleskope, Röntgenteleskope oder UV-Teleskope. Die müssen wir ins All schicken und das ist teuer und aufwendig. Aber immerhin haben wir ein paar Fenster. Die sind wichtig für uns, nicht nur für die Astronomie. Die Sonne leuchtet zwar auch in allen Teilen des elektromagnetischen Spektrums, das Maximum ihrer Strahlung liegt aber dort, wo wir das grüne Licht sehen können, also genau in der Mitte des für unsere Augen sichtbaren Teils. Das ist auch der Grund, warum wir unseren Stern als weiß-gelblich wahrnehmen: Alle Farben des Regenbogens mischen sich und das Resultat ist weiß. Dieser Teil des Lichts ist es auch, den die Pflanzen und Algen für ihre Photosynthese nutzen. Ohne das optische Fenster wäre das Leben auf der Erde in dieser Form nicht möglich. Problematisch für das Leben ist dagegen ein anderes Fenster. Oder besser gesagt: Das, was wir damit machen. Ich habe gerade gesagt, dass die Sonne den Großteil ihrer Energie im sichtbaren Teil des Spektrums abgibt. Was super ist, denn dieses Fenster ist ja offen und dadurch kommt diese ganze Energie auch zu uns auf den Erdboden. Sie bleibt aber nicht dort, sondern wird zumindest zum Teil wieder ins All reflektiert. Jetzt ist die Erde aber kein Spiegel und das, was reflektiert wird, ist nicht das ursprüngliche Sonnenlicht. Die Erde wärmt sich durch die Sonnenenergie auf und sie gibt einen Teil der Wärme in Form von Wärme- also Infrarotstrahlung ab. Die Erde leuchtet also im Infrarotlicht und zum Glück gibt es auch ein kleines Infrarotfenster in der Atmosphäre. Ein großer Teil der Infrarotstrahlung kommt nicht durch, aber ein Teil schon und das ist wichtig. Denn nur weil die Erde in der Lage ist, ein bisschen was von der aufgenommenen Wärme wieder ins All hinaus abzugeben, wird es bei uns nicht zu heiß. Wäre das Infrarotfenster geschlossen, dann würden wir bald lebensfeindlich hohe Temperaturen haben. Und leider sind wir gerade dabei, genau das zu tun. Wir setzen immer mehr Treibhausgase frei, also Gase wie Methan oder Kohlendioxid, die genau die Art von Molekülen sind, die Infrarotstrahlung absorbieren. Wir hängen also quasi eine Decke vor unser Fenster und das Resultat ist die deutlich messbare Erwärmung der Erde. Die Atmosphäre hat sowieso schon so wenig Fenster. Das meiste von dem, was draußem im All passiert, können wir von hier unten nicht sehen. Allein deswegen und nicht nur wegen der Klimakrise sollten wir die Fenster so gut wie möglich offen halten.
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Nov 25, 2022 • 5min

10 Jahre Sternengeschichten: Treffen mit der Hörerschaft und anderes

Wien, Graz, Bremen und das Ruhrgebiet: Kommt uns besuchen! Kurz vor dem 10. Geburtstag dieses Podcasts melde ich mich noch einmal mit einer außertourlichen Folge zwischendurch. Keine Sorge, dauert nicht lange - ich habe nur ein paar Ankündigen, die Hörertreffen und ähnliches angehen. Am 30. November 2012 ist die allererste Folge der Sternengeschichten erschienen - was heißt, dass der Podcast am 30. November 2022 seinen 10. Geburtstag feiern wird. Eine spezielle Aktion dazu wird es - leider - nicht geben. Aber rund um dieses Datum herum gibt es ein paar nette Veranstaltungen, zu denen ich euch gerne einladen will. Zum Beispiel am 11. Dezember 2022 nach Herten im Ruhrgebiet! Dort wird es die große Premiere der Bühnenshow zum Podcast "Das Universum" geben; der Podcast, den ich mit meiner Kollegin Ruth Grützbauch betreibe. Es wird ein paar coole Experimente geben, eine Live-On-Stage Galaxienkollision; wir werden zeigen wie man das Unsichtbare sieht, so wie im Podcast ein paar coole Geschichten über das Universum erzählen und am Ende die Welt durch kollektives Gin-trinken retten. Kommt vorbei, es wird super werden! Tickets und Infos dazu gibt's hier Und wer zur Universums-Show nach Bremen kommen will: Hier ist der Link, dort dann am Kalender auf den 17. Januar 2023 klicken und dann kommt man zum Kartenkauf. Am 18. Dezember 2022 wird es eine Veranstaltung in Wien geben. Unser Schwesterpodcast "Cosmic Latte - Kaffehausgespräche über Astronomie" hat zu einem Hörertreffen eingeladen und dem schließen wir uns gerne an. Es wird die Möglichkeit geben, die Meteoritensammlung des Naturhistorischen Museums in Wien bei einer Privatführung zu erkunden. Das ist immerhin die größte Schausammlung dieser Art auf der Welt. Treffpunkt dafür ist um 14.30 vor dem Naturhistorischen Museum, die Führung geht um 15 Uhr los. Die Kosten dafür betragen circa 20 Euro und die Plätze sind begrenzt. Wenn ihr kommen wollt, dann meldet euch bitte also unter kontakt@cosmiclatte.at an. Nach der Führung, so zwischen 16 und 17 Uhr werden wir das Hörertreffen dann gleich nebenan am Weihnachtsmarkt im Museumsquartier Wien fortsetzen, ein bisschen plaudern und Punsch trinken. Da könnt ihr natürlich jederzeit und ohne Anmeldung dazu kommen. Tickets und Infos dazu gibt's hier Und weil ich schon dabei bin, Dinge anzukündigen: Wer Ruth und mich live sehen möchte, aber nicht am 11. Dezember ins Ruhrgebiet kommen kann: Am 27.12 und 30.12 werden wir in Graz und in Wien gemeinsam mit Martin Puntigam eine Special-Silvester-Wissenschaftsshow aufführen. Tickets und Infos daszu gibt's hier Das wars auch schon wieder! Alle Infos und Links zu den Veranstaltungen in Herten und Wien und den anderen Terminen, auch denen im nächsten Jahr, findet ihr in den Shownotes. Ich würde mich freuen, euch irgendwo mal treffen zu können! Und nächsten Freitag geht es dann wie immer mit einer neuen Folge der Sternengeschichten weiter! Alle Infos unter florian-freistetter.at und sciencebusters.at
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Nov 18, 2022 • 13min

Sternengeschichten Folge 521: Der Muonionalusta-Meteorit

Ein Archiv unseres Ursprungs Sternengeschichten Folge 521: Der Muonionalusta-Meteorit Das heutige Thema der Sternengeschichten ist circa 230 Kilogramm schwer, besteht fast komplett aus Eisen und Nickel und ist im Sommer 1906 das erste Mal aufgetaucht. Damals trieben sich die junge Schwedin Amalia Carlsson und ihr zehnjähriger Bruder Viktor im Wald herum, wo sie auf das Vieh ihrer Familie aufpassen sollten. Viktor war ein wenig langweilig, und er vertrieb sich die Zeit damit, herumliegende Steine mit dem Fuß durch die Gegend zu kicken. Einer davon war deutlich schwerer als die anderen und sah auch sehr anders aus. Also nahmen sie ihn mit in ihr Dorf. Von dort gelangte er in die Hände von Hjalmar Lundbohm, einem Geologen aus Kiruna und der stellte fest, dass es sich um einen Meteoriten handelte. Benannt ist er nach dem Ort, an dem er ursprünglich gefunden wurde, der finnischen Dorf Muonio, das 200 Kilometer nördlich des Polarkreises liegt und unmittelbar an der Grenze zu Schweden. Was auch erklärt, wieso er von den Geschwistern Carlsson aus dem schwedischen Dorf Kitkiöjärvi gefunden wurde. Auf jeden Fall lag der Stein aus dem All, "flussabwärts von Muonio", was auf finnisch so viel wie Muonionalusta heißt. Dieser erste Fund war nur gut 7,5 Kilogramm schwer, aber 1946 wurde beim Bau eines Hauses in Kitkiöjärvi ein zweites Stück des Meteoriten gefunden, mit einem Gewicht von 15 Kilogramm. Ein drittes Stück mit einem Gewicht von 6,2 Kilogramm fand man 1963, beim Bau einer Straße in Kitkiöjärvi. Mittlerweile hat man ein paar Dutzend weitere Stücke gefunden, die insgesamt gut 230 Kilogramm wiegen. Jetzt ist es natürlich immer aufregend, ein Objekt hier unten auf der Erde zu finden, das aus dem Weltall stammt. Aber Meteoriten kann man sich in jedem Naturmuseum ansehen; man kann sie sogar auf Mineralienbörsen und ähnlichen Einrichtungen kaufen; so enorm selten sind sie auch nicht. Warum also eine eigene Folge über einen ganz bestimmten Meteorit, noch dazu einem der einen so komplizierten Namen hat, wie Muonionalusta? Weil Muonionalusta eben nicht einfach nur irgendein Meteorit ist. Kein Meteorit ist einfach nur irgendein Meteorit, jeder davon erzählt eine ganz eigene Geschichte und die des Muonionalusta ist heute an der Reihe. Dass die ganzen einzelnen Stücke tatsächlich zusammengehören, kann anhand ihrer chemischen Zusammensetzung bestimmen. Es handelt sich dabei um Eisenmeteorite der Klasse IVA, sogenannte "feine Oktaedrite". Und das wiederum sind Eisenmeteorite, die aus den Mineralien Kamacit und Taenit bestehen. Ich will jetzt gar nicht auf die mineralogischen und geologischen Details eingehen. Es handelt sich dabei jedenfalls um unterschiedliche Arten, wie Eisen kristallisieren kann, beziehungsweise Mischungen aus Eisen und Nickel. Unterteilt werden die Oktaedrite nach ihrem Nickelgehalt und der Art und Weise, wie groß die Kristallstrukturen sind. Und das ist mehr als nur der übliche Ordnungssinn der Wissenschaft, die alles einteilt und unterteilt und nach diesem und jenem sortiert. Im Falle von Meteoriten sind die Details der mineralischen Struktur durchaus relevant. Sie sagen uns etwas über die Umstände, unter denen die Metallbrocken entstanden sind. Sie müssen zum Beispiel irgendwann bei ihrer Entstehung mal Temperaturen ausgesetzt gewesen sein, die auf jeden Fall höher als 800 Grad waren. Wie die unterschiedlichen Kristalle sich aus der ursprünglichen gleichmäßig verteilten Eisen-Nickel-Mischung herausbilden, hängt von der genauen chemischen Zusammensetzung und der Temperatur ab. Je höher der Nickelgehalt ist, desto geringer kann die Temperatur sein, bei der sich das Kamacit noch vom Taenit abspaltet. Das geht dann aber langsamer und deswegen werden die Kristallstrukturen schmaler und feiner. Es ist als durchaus wichtig zu wissen, ob man es mit einem "feinen" oder einem "groben" Oktaedrit zu tun hat (oder etwas dazwischen). Aber da hört die Analyse noch längst nicht auf. 2003 fand man im Muonionalusta das Mineral Stishovit; es war das erste Mal, dass man so etwas in einem Eisenmeteoriten gefunden hatte. Wissenschaftlich gesehen handelt es sich um eine sogenannte "Hochdruck-Modifikation von Quarz". Oder etwas simpler ausgedrückt: Stishovit kann nur entstehen, wenn irgendwo ein sehr hoher Druck herrscht. Gut, wenn ein Meteorit mit einer Geschwindigkeit von ein paar Dutzend Kilometern pro Sekunde auf die Erde prallt, dann herrscht in dem Moment definitiv ein hoher Druck. Und man hatte es zuvor tatsächlich in Einschlagskratern gefunden. Aber im Wald von Kitkiöjärvi ist kein Krater und die Tatsache, dass man so viele Bruchstücke des Meteoriten entdeckt hat deutet darauf hin, dass er noch in der Luft auseinander gebrochen ist. Diese Stücke sind dann wesentlich langsamer zur Erde gefallen und auch das Auseinanderbrechen selbst kann nicht so heftig gewesen sein, um Stishovit entstehen zu lassen. Um herauszufinden, was da los war, müssen wir jetzt kurz eine allgemeinen Blick auf Eisenmeteorite werfen. Wieso gibt es die eigentlich? Wenn wir uns die vielen Asteroiden anschauen, die durchs Sonnensystem fliegen und die ja genau die Objekte sind, die bei einer Kollision mit der Erde zu den Meteoriten werden, die wir dann aufsammeln können, dann stellen wir fest, dass so gut wie alle davon KEINE Brocken aus Eisen sind. Im Gegenteil, es handelt sich eher um fast schon fluffige Verbindungen aus Gestein, Staub und Eis. Ja, sie enthalten auch Eisen und andere Metalle, aber nur wenig und nicht in Form irgendwelcher großer Brocken sondern in kleinsten Mengen, die überall mit dem Rest des Materials vermischt sind. Wir müssen noch einen Schritt zurück gehen und auf die Entstehung der Asteroiden selbst schauen. Ganz zu Beginn des Sonnensystems war da ja noch nichts. Nur die junge Sonne und drumherum eine große Wolke aus Gas und Staub. Und mit "Staub" ist hier alles mögliche Zeug gemeint, also alle möglichen chemischen Elemente und Moleküle, nicht der Kram der bei uns zuhause unter dem Sofa liegt. Das hat angefangen, sich zusammenzuballen und immer größere Brocken zu bilden. Also Objekte, die aus einer quasi gleichmäßigen Mischung bestanden, aus Gestein, aus Metall und aus Eis. Und diese größeren Brocken haben sich dann zu noch größeren Brocken zusammengefunden. Und wenn so ein Ding eine gewisse Größe - ein paar hundert Kilometer - überschreitet, dann passiert etwas spannendes. Erstens drückt die ganze Masse ja unter ihrem eigenen Gewicht ja auf den Kern des Objekts und das umso stärker, je mehr Masse da ist. Und zweites waren in der Wolke auch radioaktive Elemente, die bei ihrem Zerfall Energie in Form von Wärme abgeben und davon natürlich auch um so mehr, je größer die Menge diese Elemente ist. Ein ausreichend großes Objekt kann so viel radioaktives Zeug beinhalten und so stark auf seinen eigenen Kern drücken, dass er zu schmelzen beginnt. Das Innere des Brockens wird flüssig und sein Material beginnt sich zu sortieren. Das schwere Zeug, Metalle wie Eisen und Nickel, sinkt in den Kern; das leichtere Gestein bleibt außen. Anders gesagt: Ausreichend große Himmelskörper haben einen metallischen Kern mit einer Gesteinskruste drumherum. Und was passiert, wenn die mit irgendwas kollidieren? Sie brechen auseinander und plötzlich HABEN wir große Metallbrocken, die durch die Gegend fliegen. Eisenmeteorite wie Muonionalusta sind also die Kerne ehemaliger großer Asteroiden, die es nicht geschafft haben, zu noch größeren Objekten - den Planeten - heran zu wachsen, sondern vorher auseinander gebrochen sind. Das allein ist schon faszinierend genug, aber wir sind noch nicht am Ende. Schaut man sich die mineralische Struktur genau an, kann man herausfinden, wie heiß das Material in der Vergangenheit geworden und wie schnell beziehungsweise langsam es abgekühlt sein muss (denn das hat alles Einfluss auf die Art der Kristallisiation). So kann man auch herausfinden, wie lange es gedauert hat, vom Zeitpunkt der Bildung des metallischen Kerns bis zu dessen Auseinanderbrechen. Man braucht dazu noch ein paar andere Informationen, zum Beispiel die Menge an bestimmten radioaktiven Elementen im Meteorit. Denn solange das Material noch im Kern ist, ist es der radioaktiven kosmischen Strahlung nicht ausgesetzt. Sobald es aber nach dem Auseinanderbrechen frei und ungeschützt durchs All fliegt, wird es plötzlich von allen Richtungen von der überall vorhandenen kosmischen Strahlung bombardiert. Das führt zu nuklearen Reaktionen, die das Verhältnis dieser chemischen Elemente beeinflussen und hört erst auf, wenn der Meteorit auf die Erde gefallen und nun von der Erdatmosphäre vor der Strahlung geschützt ist. Daraus lässt sich also berechnen, wie lange der Himmelskörper nach dem Auseinanderbrechen des ursprünglichen Objekts durch den Weltraum geflogen ist. Und aus den geologischen Umständen des Fundortes und diversen anderen geochemischen Analysen, dem Grad der Verwitterung und so weiter kann man auch herausfinden, wie lange das Ding schon auf der Erde rumliegt. Wenn man so einen Meteorit ausreichend genau anschaut, kann man also fast seine gesamte Geschichte rekonstruieren. Und die von Muonionalusta ist besonders spannend. Im Jahr 2010 fand eine Analyse des Meteoriten, dass die Bildung des ursprünglichen Objekts von dem er stammt, vor 4,56 Milliarden Jahren begonnen haben muss. So alt war keiner der damals bekannten Meteorite; das war nur ein paar Millionenen Jahr nach dem sich überhaupt die ersten gröberen Brocken aus der ursprünglichen Wolke um die junge Sonne gebildet haben. Muonionalusta hat dann ein paar Milliarden Jahre im Inneren eines größeren Himmelskörpers verbracht, der circa 200 Kilometer groß war. Eine Kollision mit einem anderen Brocken hat dann dazu geführt, dass der metallische Kern dieses Ursprungskörpers frei gelegt wurde. Er ist in mehrere Brocken zerfallen, manche davon noch mit Gestein umgeben, manche nicht. Aus diesen Bruchstücken sind die verschiedenen Eisenmeteorite vom Typ IVA entstanden, die wir heute auf der Erde gefunden haben und die geochemischen Analysen zeigen uns, dass Muonionalusta aus einem "nackten" Eisenbrocken entstanden sein muss, denn nur so konnte er schnell genug abkühlen um die Strukturen zu zeigen, die er hat. Das muss vor ungefähr 400 Millionen Jahren passiert sein und genau bei diesem Ereignis muss auch das Stishovit entstanden sein. Vorher war das nicht möglich, denn dafür war der Ursprungsörper zu klein. Auf die Erde gefallen ist er dann vor circa 800.000 Jahre und hat dann vier Eiszeiten erlebt, bevor er von Amalia und Viktor Carlsson in der skandinavischen Tundra entdeckt wurde. Es gäbe noch mehr zu erzählen über Muonionalusta und die anderen Meteorite. Sie zeigen uns, wie die Planeten entstanden sind; und was damals im jungen Sonnensystem für Prozesse abgelaufen sind. Welche Vorgänge dazu geführt haben, das aus einer Wolke voll Gas und Staub die großen Planeten wurden, die wir heute sehen können; wir können aus ihnen sogar ablesen, was davor passiert ist; wie die älteren Sterne der Umgebung die gigantische Gaswolke beeinflusst haben, aus der später die Sonne wurde. So ein Stück Metall aus dem Weltraum ist ein Archiv der tiefen Vergangenheit. Im Muonionalusta finden wir die Geschichte des Sonnensystems und auch die Geschichte unseres eigenen Ursprungs.
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Nov 11, 2022 • 13min

Sternengeschichten Folge 520: Der tote Diamantenstern

Kann sich niemand leisten! Sternengeschichten Folge 520: Der tote Diamantenstern In der heutigen Folge der Sternengeschichten geht es um BPM 37093. Oder V886 Centauri. Beide Bezeichnungen gehören zum selben Himmelskörper, einem ungefähr 50 Lichtjahre entfernten weißen Zwerg, den wir am Himmel im Sternbild Zentaur sehen können. Allerdings nur mit einem guten Teleskope, für die Beobachtung mit bloßem Auge ist sein Licht viel zu schwach. Und trotz der eher unspektakulären Bezeichnung handelt es sich um ein höchst spektakuläres Objekt. BPM 37093 ist ein gigantischer Kristall aus Kohlenstoff. Aber fangen wir am Anfang an, der in diesem Fall das Ende ist. Nämlich das Ende eines Sterns wie unserer Sonne. Also kein winziger Zwergstern und auch kein massereicher Riesenstern. Sondern ein ganz normaler, mittelmäßiger Stern der das tut, was Sterne eben so tun, nämlich Wasserstoff zu Helium zu fusionieren. Das passiert im Kern des Sterns, wo es heiß genug dafür ist und nur so lange, so lange es dort noch ausreichend Wasserstoff gibt. Bei unserer Sonne reicht der Vorrat noch gut 5 bis 6 Milliarden Jahre, aber irgendwann ist Ende. Das war auch beim Vorläuferstern von BPM 37093 der Fall - ist aber noch nicht das Ende des Sterns. Ich habe das ja schon in vielen Folgen erzählt: Zuerst wird die Fusion immer schwächer und damit sinkt auch die Menge an Strahlung die aus dem Kern des Sterns nach außen dringt. Diese Strahlung ist aber die Gegenkraft zur Gravitation, die ständig bestrebt ist, den Stern in sich zusammenfallen zu lassen. Und genau das passiert jetzt und dadurch wird es im Kern noch heißer; so heiß, dass nun auch das Helium fusioniert werden kann und zwar zu Elementen wie Sauerstoff und Kohlenstoff. Wenn dann auch das Helium verbraucht ist - was viel schneller geht, weil von Anfang an weniger davon da ist - kommt es auf die Masse des Sterns an. Sie bestimmt, wie stark der Druck auf den Kern werden kann und damit die Temperatur, die dort herrschen kann. Und die bestimmt, welche Elemente noch miteinander fusionieren können. Massereiche Sterne können in der Endphase ihres Lebens auch noch Sauerstoff und Kohlenstoff fusionieren und diverse andere Atome. Sterne wie unsere Sonne aber nicht. Das heißt, dass nun die Fusion zum Erliegen kommt. Davor hat der Stern außerdem schon seine äußeren Gasschichten hinaus ins All gepustet. Da die Heliumfusion bei höheren Temperaturen abläuft, steigt auch die Menge an Strahlung, die nach außen dringt. Der Stern bläht sich auf und die äußersten Gasschichten lösen sich quasi ab und entkommen ins All. Übrig bleibt dann am Ende nur noch der Kern des Sterns, in dem keine Fusion mehr stattfindet und der deswegen unter seinem eigenen Gewicht in sich zusammen fällt. Die Materie im Kern wird enorm verdichtet und das, was dabei entsteht, nennt man einen Weißen Zwerg: Ein Himmelskörper der ungefährt die Masse der Sonne hat, aber nur noch so groß ist wie die Erde. Er ist immer noch heiß und leuchtet deswegen auch. Er erzeugt aber keine Strahlung durch Kernfusion mehr. Genau so ist auch BPM 37093 entstanden. Dieser weiße Zwerg gehört aber zur speziellen Klasse der ZZ-Ceti-Sterne. Das sind weiße Zwerge, die pulsieren und dadurch ihre Helligkeit periodisch ändern. Ich habe über die verschiedenen Arten der veränderlichen Sterne ja schon in den Folgen 64 und 65 der Sternengeschichten gesprochen und in Folge 144 ein wenig im Detail über die Mechanismen, die die Helligkeitsänderung verursacht haben. Das will ich jetzt nicht alles wiederholen - aber es ist in bestimmten Fällen möglich, dass auch weiße Zwerge pulsieren. Um den Kern aus Kohlenstoff und Sauerstoff herum gibt es ja auch dort noch eine Art "Atmosphäre" aus Wasserstoff und Helium. Es wurde bei der Kernfusion ja nicht der gesamte Wasserstoff verbraucht; nur der Teil, der weit genug innen im Stern lag, wo es heiß genug war. Die äußeren Schichten blieben übrig und die werden auch nicht komplett hinaus ins All gepustet. Und in den übrig gebliebenen Schichten können die gleichen Prozesse ablaufen, die auch in normalen Sternen für periodische Helligkeitsänderungen sorgen. Das ist durchaus interessant! Denn in Folge 164 der Sternengeschichten habe ich ja von der Asteroseismologie berichtet. Also der astronomischen Technik, bei der man aus den Helligkeitsveränderungen auf die Art der Schwingungen schließen kann, die das Material des Sterns ausführt, um die Helligkeitsänderungen zu verursachen. Und weiß man, wie der Stern schwingt, dann kann man - wie bei der Seismologie in der irdischen Geologie - auf das Innere des Sterns schließen. Das geht auch bei weißen Zwergen und noch dazu ist BPM 37093 ein weißer Zwerg, der genau die richtigen Eigenschaften hat, um eine Theorie zu überprüfen, die in der Astronomie schon seit den 1960er Jahren existiert. Es geht um die "Kristallisationstheorie" und die besagt, dass die Kerne von weißen Zwergen irgendwann kristallisieren. Denn dort findet ja, wie schon gesagt, keine Kernfusion mehr statt. Das ganze Zeug liegt einfach nur noch rum und kühlt ab. Irgendwann sollte das Material dann in einen festen, kristallinen Zustand übergehen. Herauszufinden ob und wenn ja, wie das genau passiert, ist wichtig. Denn wenn ein Material, das zuerst flüssig war, wieder fest wird, dann wird dabei die sogenannte "Kristallisationswärme" frei. Simpel gesagt: Um einen festen Stoff zu schmelzen, also ihn flüssig zu machen, muss man ihm Energie zuführen. Und die verschwindet nicht einfach. Wenn der Stoff dann wieder fest wird, wird genau diese Energie wieder frei. Das ist wichtig, denn das beeinflusst die Art und Weise, wie wir das Alter von weißen Zwergen bestimmen. Das tun wir, vereinfacht gesagt, durch eine Bestimmung seiner Temperatur. Je kühler, desto älter muss er sein. Und das Alter der weißen Zwerge sagt uns viel über die Entwicklung unserer Galaxie, darüber wann wo wie viele Sterne entstehen und wieder aufhören, Sterne zu sein. Wenn jetzt aber der Kern eines weißen Zwergs kristallisiert und dabei Wärme frei wird, dann verfälscht das die Statistik. Dann denken wir, der weiße Zwerg wäre jünger als er tatsächlich ist. Dabei ist er einfach nur ein wenig langsamer abgekühlt als er es ohne die Kristallisationswärme getan hätte. Wie findet man nun aber raus, ob ein weißer Zwerg innen drin fest ist oder nicht? Genau das sagt uns die Asteroseismologie. Je nach dem wie viel des weißen Zwergs fest geworden ist und wie genau die Struktur der Kristalle aussieht, kann er auf bestimmte Weisen schwingen bzw. nicht schwingen. Oder anders gesagt: Bestimmte Schwingungen im Sternmaterial können sich nicht ausbreiten, wenn der Kern kristallisiert ist. Die Theorie dazu gab es, wie gesagt, seit den 1960er Jahren. Aber erst als man 1992 herausfand, dass BPM 37093 ein veränderlicher weißer Zwerg ist, hatte man ein passendes Objekt, um das auch zu überprüfen. Dazu muss man aber seine Helligkeitsschwankungen messen und das so genau wie möglich. Die Schwankungen der Helligkeit sind winzig und bewegen sich im Bereich von ein paar Promille der Helligkeit. Vor allem aber muss man die Helligkeit kontinuierlich messen und das ist schwierig. Denn selbst wenn man eine perfekte, sternenklare Nacht hat, dann muss man spätestens bei Sonnenaufgang mit den Messungen aufhören. Genau für solche Fälle wurde 1988 das "Whole Earth Telescope" gegründet. Dieses Teleskop ist natürlich nicht so groß wie die ganze Erde, aber es besteht aus einem Netzwerk von Teleskopen, die überall auf der Erde verteilt sind und zwar so, dass immer gerade irgendwo Nacht ist. Wenn die alle koordiniert arbeiten, kann man einen Stern rund um die Uhr beobachten. Mittlerweile kann man sowas natürlich auch mit Weltraumteleskopen machen, aber die sind sehr teuer und damals gab es noch kein Teleskop im Weltall, das explizit mit Messungen von Helligkeitsschwankungen beschäftigt war. Mit dem Verbund des Whole Earth Telescope ist es im Jahr 2004 auf jeden Fall gelungen, BPM 37093 so genau zu beobachten, dass man seine innere Struktur analysieren konnte. Das Ergebnis: Circa 90 Prozent seiner Masse sind kristallisiert. Andere Arbeiten, die später durchgeführt wurden, kommen zu dem Schluss, dass die kristallisierte Masse zwischen 32 und 82 Prozent der Gesamtmasse liegen muss. So oder so war auf jeden Fall klar: Der Kern eines weißen Zwergs wird tatsächlich irgendwann zu einem Kristall. Und zweitens: Bei BPM 37093 liegt der kristalline Anteil ziemlich hoch. Aber was heißt das eigentlich: Kristall? Wir stellen uns da immer irgendwas hübsch funkelndes vor. In der Physik wird damit aber ganz allgemein ein Festkörper bezeichnet, dessen Atome oder Moleküle regelmäßig angeordnet sind. Jede Kristallstruktur hat eine Basis, also eine bestimmte Anordnung der Atome, die sich dann periodisch im dreidimensionalen Raum wiederholt. Salz und Zucker sind zum Beispiel Kristalle. Und es gibt viele verschiedene Arten, wie eine Kristallstruktur aufgebaut sein kann. Eine davon ist die sogenannte "Diamantstruktur" die man - wenig überraschend - bei Diamanten das erste Mal beschrieben hat. Die Details würden jetzt zu weit gehen, aber es geht dabei um acht Kohlenstoffatome (ein Diamant besteht ja aus Kohlenstoff), die auf bestimmte Art angeordnet sind. Was heißt das jetzt für BPM 37093? Wir haben einen weißen Zwerg, dessen Kern aus Kohlenstoff und Sauerstoff besteht und zu einem großen Teil kristallisiert ist. Ein Kristall aus Kohlenstoff! Also ein Diamant? Na ja, das ist natürlich verlockend es so zu sehen. Aber man weiß nicht genau, wie die Kristallstruktur dort aussieht. Vermutlich ist sie der Struktur von Diamant zumindest sehr ähnlich. Und man kann BPM 37093 mit gewisser Berechtigung als gigantischen, planetengroßen Diamanten bezeichnen. Darf sich aber dann nicht eines der funkelnden Dinger vorstellen, die wir hier auf der Erde in den Juweliersläden für viel Geld verkaufen. Faszinierend ist die Sache auf jeden Fall! Vor allem, weil das was für BPM 37093 gilt, ja auch für andere weiße Zwerge gilt. Die haben wir bis jetzt nur noch nicht so gut beobachten können, um das festzustellen. Und auch unsere Sonne wird ihr Leben in ein paar Milliarden Jahren als weißer Zwerg beenden. Und dann ebenfalls anfangen, zu kristallisieren. Die Erde wird dann zwar schon lange kein Leben mehr beherbergen können und vielleicht sogar in den Endphasen des Sonnenlebens zerstört worden sein. Aber es ist trotzdem irgendwie schön zu wissen, dass am Ende nicht einfach nur ein toter Stern übrig bleibt, sondern ein gigantischer Diamant.

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