Sternengeschichten

Florian Freistetter
undefined
Nov 4, 2022 • 12min

Sternengeschichten Folge 519: Sterne, die wie Menschen heißen

Nicht alle Herrscher dürfen an den Himmel Sternengeschichten Folge 519: Sterne, die wie Menschen heißen Ich habe in den Sternengeschichten schon oft über die Namen der Sterne gesprochen. Was auch sonst, immerhin rede ich sehr oft über Sterne und wenn man nicht weiß, wie etwas heißt, kann man schwer davon erzählen. Gleich in der zweiten Folge des Podcasts habe ich erklärt, wie die klassischen Bezeichungen wie "Alpha Centauri" oder "51 Pegasi" zustande gekommen sind. In Folge 370 habe ich von den Sternkatalogen erzählt, die für die Forschung so enorm wichtig sind und aus denen die meisten Sterne ihre Bezeichnungen voller Zahlen und Buchstaben bekommen. Diese Bzeichnungen sind aber meist eher nichtssagend und wenig ästethisch. Unter "HD 209458" kann man sich zum Beispiel wenig vorstellen, noch weniger unter "OGLE-2016-BLG-1195L". Alte Sternnamen, wie "Sirius" oder "Wega" klingen da doch viel schöner. Und warum können die Sterne nicht nach Menschen benannt werden? In der Biologie und Botanik werden ja auch immer wieder Pflanzen und Tiere nach Menschen benannt, warum nicht auch die Sterne? Die Sache mit der Benennung der Sterne ist ein wenig kompliziert. Das größte Problem dabei ist die Anzahl der Sterne. Es gibt einfach sehr, sehr, sehr viele davon. Allein ein paar hundert Milliarden in unserer Milchstraße und es gibt ein paar Billionen Galaxien wie unsere Milchstraße im bekannten Universum von denen alle selbst wieder aus ein paar hundert Milliarden Sternen bestehen. So viele Namen kann man sich nicht ausdenken. Muss man aber auch gar nicht, denn es ist nur dann sinnvoll, einem Stern einen Namen zu geben, wenn man auch irgendwelche konkreten Informationen darüber hat. Man muss zumindest mal seine genaue Position kennen, seine Helligkeit, vielleicht auch noch seine Geschwindigkeit. Und diese Daten haben wir bei den allermeisten Sternen nicht. Das GAIA-Weltraumteleskop hat im Jahr 2022 einen Katalog veröffentlicht, der Daten von 1,8 Milliarden Sternen enthält, so viel wie kein anderer Katalog zu diesem Zeitpunkt. Das sind zwar gerade mal 2 Prozent aller Sterne der Milchstraße. Aber auch 1,8 Milliarden Namen denkt man sich nicht auf die Schnelle aus. Und weil man trotzdem irgendeine Art der Bezeichnung braucht, verwendet man eben die Katalognummern, die vielleicht nicht ästethisch sind, aber zumindest systematisch. Für die Wissenschaft ist das kein Problem. Aber wenn man mit der Öffentlichkeit über Astronomie sprechen will, dann ist es durchaus praktisch, wenn die Sterne "schöne" Namen haben. Und deswegen hat die Internationale Astronomische Union im Jahr 2015 begonnen, offizielle Namen für die Sterne festzulegen. Dabei hat sie viele der antiken Bezeichnungen und Namen, die im Laufe der letzten Jahrhunderte im Gebrauch waren, offiziell festgelegt. Also erklärt, dass Namen wie "Beteigeuze", "Antares" oder "Sirius" nun eben auch offiziell von der Internationalen Astronomischen Union als Namen der jeweiligen Himmelskörper anerkannt und zur Verwendung empfohlen werden. Darüber hinaus hat man aber auch angefangen, neue Sternnamen zu vergeben. Vor allem Sterne, die von Planeten umkreist werden. Im Jahr 2021 war man immerhin schon bei 451 offiziellen Sternennamen. Darunter waren aber nur zehn Stück, die nach Menschen benannt worden sind. Es gibt natürlich jede Menge Sterne, die nach Göttern und anderen mythologischen Figuren benannt wurden. Aber wir reden jetzt von Menschen, die es tatsächlich gegeben hat. So wie Edward Emerson Barnard, der amerikanische Astronom, der 1916 einen Stern im Sternbild Schlangentränger untersucht und festgestellt hat, dass er sich enorm schnell bewegt; schneller als alle anderen damals bekannten Sterne. Und weil das so ein außergewöhnlicher Stern war, mit dem sich viele Forscherinnen und Forscher beschäftigt haben, ist man bald dazu übergangen, ihn nicht mit irgendwelchen Katalognummern zu bezeichnen, so wie BD+04°3561a, sondern ihn einfach "Den Stern von Barnard" beziehungsweise "Barnards Stern" zu nennen. Das hat sich dann etabliert und die Internationale Astronomische Union hat diesen Namen dann 2015 offiziell gemacht. Ein Sonderfall ist Alpha Canum Venaticorum, der hellste Stern im Sternbild der Jagdhunde. Zumindest ist er das heute, im 17. Jahrhundert hat man ja noch eine andere Einteilung der Sterne am Himmel in Sternbilder gehabt als heute. Beziehungsweise alle möglichen Einteilungen; da gab es noch keine systematische und allgemeingültige Regeln. Und in England hat der Kartenmacher Francis Lamb in einer Himmelskarte das Sternbild "Cor Caroli" eingezeichnet, benannt nach dem englischen König Karl. I. Der wollte zu Beginn des 17. Jahrhunderts auch in England absolutistisch regieren, ohne Parlament, was aber nicht alle so super fanden und am Ende zum englischen Bürgerkrieg führte. Karl I. wurde hingerichtet und die Monarchie zumindest zeitweilig abgeschafft. Es gab aber noch genug, die Karl I. toll fanden und Francis Lamb war offensichtlich einer davon. Ihm zu Ehren wurden das Sternbild "Cor Caroli" auf die Karten gemacht und der hellste Stern dort als Cor Caroli Regis Martyris, also "Das Herz von Karl, dem Märtyrerkönig" genannt. Das Sternbild ist dann später wieder von den Karten verschwunden, der Name des Sterns blieb aber verkürzt als "Cor Caroli" bestehen und wurde 2015 der offiziellen Liste hinzugefügt. Genaugenommen ist der Stern also nach einem Körperteil eines Menschen benannt, aber das ignorieren wir einfach mal. Und dann gibt es noch den seltsamen Fall der Sterne Alpha und Beta Delphini, also den hellsten und zweithellsten Stern im Sternbild Delfin. Die sind recht unscheinbar, aber in einem Sternkatalog aus dem Jahr 1814 wurden sie mit den Namen "Sualocin" und "Rotanev" bezeichnet. Zuerst wusste niemand, was das auf einmal soll und woher diese Namen kamen. Aber wenn man ein bisschen nachdenkt und die Wörter rückwärts liest, dann landet man bei "Nicolaus Venator". "Venator" ist lateinisch für "Jäger" und auf italienisch sagt man zum Jäger "Cacciatore". Und Niccolò Cacciatore ist der Name eines italienischen Astronoms, der Ende des 18. Jahrhunderts Assistent von Giuseppe Piazzi an der Sternwarte von Palermo wurde, also live mit dabei war, als Piazzi dort 1801 den ersten Asteroiden entdeckt hat. Gemeinsam mit Piazzi verfasste Cacciatore auch einen Sternenkatalog, genau der Katalog, in dem die beiden Sterne mit den komischen Namen aufgetaucht sind. Er dürfte sich also einfach, nur notdürftig getarnt, selbst dort verewigt haben. So oder so: Auch diese beiden Sternnamen wurden 2015 von der Internationalen Astronomischen Union offiziell gemacht. Ein amerikanischer Astronom, ein englischer König und ein vorlauter Italiener: Das war der Stand der Dinge im Jahr 2015; drei Menschen hatten es geschafft, ihre Namen offiziell am Himmel als Stern zu verewigen. In den kommenden Jahren hat die Internationale Astronomische Union dann die Mithilfe der Bevölkerung gesucht. Schulen, astronomische Vereine und ähnliche Organisationen wurden aufgerufen, sich Namen für ausgewählte Sterne und ihre Planeten auszudenken. So kamen ein paar hundert neue offizielle Bezeichnungen dazu; und ein paar neue Menschen als Sternnamen an den Himmel. Der Stern 55 Cancri heißt seitdem offiziell "Copernicus", nach dem Astronomen Nikolaus Kopernikus. Für die Benennung des Sterns Mu Arae, der von vier Planeten umkreist wird, war das Planetarium in Pamplona, in Spanien zuständig. Dort hat man sich entschieden, den Stern nach dem berühmten spanischen Schriftsteller Miguel de Cervantes zu benennen und genau so heißt er jetzt auch "Cervantes" (die Planeten haben Namen von Figuren aus seinen Büchern bekommen). In der nächsten Runde der Sternbenennungen kamen noch ein paar Leute dazu. Diesmal bekam jedes Land einen Stern mitsamt Planeten zugeteilt. Der Stern HD 152581 durfte von Aserbeidschan benannt werden und man entschied sich für "Mahsati", nach einer persischen Dichterin, die um das 12. Jahrhundert herum gelebt hat. Kuba war für den Stern BD−17 63 zuständig und hat ihn "Felixvarela" genannt, nach dem kubanischen Priester Félix Varela, der dort im frühen 19. Jahrhundert gewirkt und sich für die Unabhängigkeit Kubas von Spanien eingesetzt hat. Indien hat sich für den Stern HD 86081 den Namen "Bibha" ausgesucht, nach der indischen Physikerin Bibha Chowdhuri, die ab den 1940er Jahren kosmische Strahlung und andere teilchenphysikalische Phänomene erforscht und auch gemeinsam mit dem englischen Physiker Patrick Blackett gearbeitet hat, der 1948 für die Erforschung der kosmischen Strahlung den Nobelpreis bekommen hat. Und zum Schluss haben wir noch einmal Spanien, diesmal mit dem Stern HD 149143, der mittlerweile "Rosalíadecastro" heißt, nach der galizischen Dichterin Rosalía de Castro. Wer die Liste aus dem Jahr 2021 durchgeht, wird dort auch einen Stern finden, der "Franz" heißt. Dafür verantwortlich war Österreich; man hat den Stern HAT-P-14 den Namen "Franz" gegeben und seinen Planeten "Sissi" genannt. Aber, und das ist wichtig, damit nicht Kaiser Franz-Josef I und seine Frau, die Kaiserin Elisabeth aka Sisi, geehrt. Sondern die fiktiven Figuren Franz und Sissi, aus den Sissi-Filmen der 1950er Jahren mit Karlheinz Böhm und Romy Schneider. Denn die IAU sieht es nicht so gerne, wenn man Himmelskörper nach Menschen aus Politik und Militär benennt und Franz-Josef war sowohl das eine als auch das andere. Ok, Köng Karl I. ja auch, aber das war quasi eine historische Altlast, die man einfach akzeptiert hat. Und so ganz toll scheint die Internationale Astronomische Union das mit den Sternen, die nach Menschen benannt sind, auch nicht mehr zu finden. Im Jahr 2022 fand der nächste Aufruf statt, ausgewählten Sternen Namen zu geben. Früher war in den Regeln noch festgelegt, dass man keine Namen vergeben soll, die sich auf Menschen beziehen, die weniger als 100 Jahre tot sind; auch nach noch lebenden Menschen soll man keine Sterne benennen. Ebenso nicht nach politischen, militärischen oder religiösen Personen. Mittlerweile steht aber in den Regel, dass Namen von echten Menschen, egal ob lebendig oder tot, nicht verwendet werden sollen. Punkt. Es scheint also so, als würden Edward Emerson Barnard, König Karl I., Niccolò Cacciatore, Nikolaus Kopernikus, Miguel de Cervantes, Mahsati, Félix Varela, Bibha Chowdhuri und Rosalía de Castro vorerst die einzigen Menschen bleiben, die es als Sterne an den Himmel geschafft haben.
undefined
Oct 28, 2022 • 11min

Sternengeschichten Folge 518: Die Zeitumstellung

Vor oder zurück? Sternengeschichten Folge 518: Die Zeitumstellung Zeit ist ein fundamentales Thema. In der Wissenschaft, aber genau so in unserem Alltag. Die Uhrzeit ist wichtig für uns; wir organisieren unser gesamtes Leben nach dem, was die Uhr gerade anzeigt. Und gerade weil die Zeit so präsent in unserem Leben ist, vergessen wir gerne ihre astronomischen Ursprünge. Ein Tag ist das, was uns von der Rotation der Erde um ihre Achse vorgegeben wird. Diese Drehung unseres Planeten erzeugt den regelmäßigen Rhythmus von Tag und Nacht. Dass wir diese Rotation in 24 Stunden einteilen, die wiederum in 60 Minuten zu je 60 Sekunden unterteilt werden, ist historischer Zufall; wir hätten genau so gut einen Tag mit 100 Stunden oder 10 Stunden organisieren können; das sind ja alles nur willkürliche Zeiteinheiten. Genau so wie unsere ganze Uhrzeit willkürlich ist. Definitiv nicht willkürlich sind dagegen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang. Darauf haben wir keinen Einfluss; morgens wird es hell und abends wieder finster. Das war schon immer so und das wird auch immer so sein. Natürlich ist es wesentlich einfacher Dinge zu tun, wenn es hell ist und deswegen haben wir Menschen uns bei unseren Aktivitäten immer schon nach dem Stand der Sonne gerichtet. Allerdings macht es uns unsere Planet nicht einfach. Die Achse, um die sich unsere Erde dreht, ist ein wenig geneigt. Würde sie exakt senkrecht auf die Erdbahn stehen, dann wären dunkle Nacht und heller Tag immer gleich lang. Aber sie ist geneigt und das macht es kompliziert; zumindest für alle, die nicht in unmittelbarer Nähe des Äquators leben. Dort sind Tag und Nacht tatsächlich so gut wie gleich lang, hält man sich aber weiter nördlich oder südlich auf, ist man im Laufe des Jahres mit unterschiedlich langen Phasen von Helligkeit und Dunkelheit konfroniert. Wenn im Sommer der Nordhalbkugel die nördliche Hemisphäre der Erde in Richtung der Sonne geneigt ist, dann ist der helle Tag auch deutlich länger als die dunkle Nacht. Im Winter ist es genau umgekehrt und es ist sehr viel länger dunkel als hell. Nur an zwei Tagen im Jahr - den Tag-und-Nacht-Gleichen im Herbst und Frühling haben wir genau so lange Tag wie Nacht. Prinzipiell ist das alles kein Problem. Zumindest war das früher so. Da ist man halt dann aufgestanden, wenn es hell geworden ist, hat die Arbeit erledigt und wenn es dunkel war, ging's wieder ins Bett. Beziehungsweise war das ganz so einfach auch wieder nicht, aber wenn doch mal Arbeit nach Sonnenuntergang erledigt werden musste, gab es ja Kerzen, Feuer und so weiter. Außerdem war die Welt noch sehr viel landwirtschaftlicher und bäuerlicher geprägt und da hat es sich gut getroffen, dass da die arbeitsintensive Zeit von Frühjahr bis Frühherbst war und im Winter auf den Feldern eh nicht viel zu tun war, da konnte man auch zuhause bleiben. Aber so läuft die Welt ja schon lange nicht mehr. Wir haben aufgehört, uns bei der Arbeit am Stand der Sonne zu orientieren. Wir arbeiten dann, wann es uns die Zeit auf der Uhr sagt und wir organisieren auch unser Privatleben danach. Wenn wir um 8 Uhr morgens im Büro sein müssen, dann sind wir um 8 Uhr morgens im Büro, egal wo die Sonne da gerade steht. Das alles führt dazu, dass wir im Winter meistens in kompletter Dunkelheit aus dem Bett müssen und unseren Tag beginnen, wenn es draußen noch Nacht ist und die neue Nacht schon wieder anfängt, bevor wir den Arbeitstag beendet haben. Im Sommer dagegen steht die Sonne meist schon lange am Himmel, bevor wir aus dem Bett kommen. Und das haben viele Menschen im Laufe der Zeit ein wenig unpraktisch gefunden. Und sich überlegt, ob man das nicht irgendwie anders organisieren kann, damit wir mehr vom Tag haben. Wir können natürlich nichts daran ändern, wie die Erdachse ausgerichtet ist. Aber zumindest an der Uhrzeit könnte man doch was machen? Die könnte man doch einfach an die jeweiligen Gegebenheiten anpassen - und genau das ist die Idee hinter der Zeitumstellung von Normalzeit auf Sommerzeit. Es wird oft behauptet, dass der amerikanische Universalgelehrte Benjamin Franklin der erste war, der die Idee für eine Sommerzeit gehabt hat. Das ist aber nicht ganz richtig. Franklin war Ende des 18. Jahrhunderts als Botschafter in Paris und hat dort 1784 einen nicht ganz ernst gemeinten Artikel in einer Zeitschrift geschrieben. Er erzählt, wie er um 6 Uhr morgens von einem lauten Geräusch geweckt wurde und dabei feststellen musste, dass die Sonne um diese Zeit schon am Himmel steht. Er schreibt: "Die Leser, die so wie ich nie die Sonne vor mittags gesehen haben, werden so wie ich höchst erstaunt sein zu hören, dass sie so früh aufgeht, insbesondere, da ich versichern kann, dass die Sonne scheint, sobald sie am Himmel steht! Das habe ich mit meinen eigenen Augen gesehen!" Wie gesagt - das war alles nicht ernst gemeint und Franklin wird mit Sicherheit nicht jeden Tag bis mittags geschlafen und an diesem Tag das erste Mal den Sonnenaufgang gesehen haben. Aber er nutzt die Gelegenheit für den Vorschlag, die Bevölkerung von Paris zu einem früheren Aufstehen zu überreden. Damit könne man jede Menge Geld sparen, weil man dann abends keine Kerzen mehr bräuchte und stattdessen morgens das kostenlose Sonnenlicht nutzen könne. Man müsste eben Strafen einführen, für alle, die Vorhänge oder ähnliches benutzen und bei Sonnenaufgang alle Kirchenglocken läuten und zur Sicherheit noch ein paar Kanonen abfeuern, damit wirklich alle rechtzeitig aufwachen. Und wer nach Sonnenuntergang noch unterwegs ist, sollte ebenfalls bestraft werden. Mit einem ersthaften Vorschlag zur Einführung einer Sommerzeit hat das nichts zu tun. Der kam stattdessen vom neuseeländischen Insektenforscher George Hudson. 1867 geboren interessierte sich Hudson schon als Kind für Insekten, begann aber dann in einem Postamt zu arbeiten. Die abendlichen Stunden nach der Arbeit nutzte er dann gerne um in der Natur herumzustreifen und Insekten zu sammeln. Und das ging natürlich umso besser, je länger die Sonne noch schien. Vielleicht hat ihn das inspiriert, 1895 einen Artikel über die Sommerzeit zu schreiben. Damit man die langen Sommertage besser nutzen kann, schlägt er vor, die Uhren im Frühling zwei Stunden vorzustellen und im Herbst zwei Stunden zurück. Im Sommer würden dann alle Aktivitäten zwei Stunden früher stattfinden als sonst, womit man einerseits den früheren Sonnenaufgang und das morgendliche Licht besser nutzen könnte und andererseits am Abend mehr Zeit zur Verfügung hat, um im Tageslicht diverse Dinge zu tun - Cricket spielen, im Garten arbeiten oder Fahrradfahren sind die Vorschläge von Hudson. Er merkt auch an, dass man das Prinzip auch einfach so machen könnte, ohne die Uhrzeit zu ändern. Wir könnten ja auch einfach im Sommer früher aufstehen als im Winter. Aber das wäre zu kompliziert; denn dann müsste man ja auch die Öffnungszeiten der Geschäfte entsprechend ändern, die Abfahrtszeiten der Züge, und so weiter. Eine einfache Umstellung der Uhrzeit wäre viel weniger Aufwand. Unabhängig von Hudson hat auch der britische Architekt William Willett im Jahr 1907 einen Vorschlag zur Einführung einer Sommerzeit gemacht. Angeblich ritt er eines Sommermorgens durch die Landschaft und stellte dabei fest, dass viele Fensterläden an den Häusern noch geschlossen und die Menschen im Bett waren. Das ist doch schade, hat er sich gedacht, wenn alle noch schlafen, kann niemand die schöne Natur im morgendlichen Licht genießen. Außerdem war er Golfer und hat sich daran gestört, wenn es abends früh dunkel wurde und er seine Runde abbrechen musste. So wie Hudson war auch er der Meinung, es wäre einfacher, wenn man die Uhrzeit umstellt, als die Menschen dazu zu bringen, morgens früher aufzustehen. Aber weder Hudson noch Willett waren mit ihren Ideen erfolgreich. Vorerst zumindest. Anfang des 20. Jahrhunderts war die Welt auch schon zusammengewachsen; zwar noch nicht so eng wie heute, aber es gab doch jede Menge Verbindungen zwischen den Nationen und vor allem der grenzübergreifende Eisenbahnverkehr war ein großes Hindernis für eine Zeitumstellung. Denn wenn man das nicht einheitlich macht, in allen Länder, gibt es großes Chaos. Und deswegen war es überraschenderweise der 1. Weltkrieg, der der Sommerzeit zum Durchbruch verholfen hat. Nach Kriegsausbruch gab es quasi keinen länderübergreifenden Eisenbahnverkehr mehr; das Problem fiel also weg. Außerdem ist so ein Krieg teuer und wenn man sich die künstliche Beleuchtung am Abend sparen kann, spart man auch Energie. Also wurde am 30. April 1916 im Deutschen Reich und in Österreich-Ungarn erstmals eine Sommerzeit per Gesetz für ein ganzes Land eingeführt. Andere Länder folgten, nach Ende des Krieges ging man aber wieder zur Normalzeit zurück. In den meisten zumindest; aber jetzt, wo man das mit der Zeitumstellung schon mal ausprobiert hatte, experimentierten immer wieder Länder mit verschiedenen Arten von Sommer- und Winterzeit. Im Zweiten Weltkrieg gab es wieder Sommerzeit in vielen Ländern, auch Deutschland führte sie wieder ein. Und schaffte sie nach dem Krieg wieder ab. In Europa gibt es erst seit den späten 1970er bzw. den 1980er Jahren längere Phasen der Zeitumstellung und mittlerweile ist das ganze durch EU-Gesetze geregelt, denen sich auch viele Nicht-EU-Länder angeschlossen haben, weil es eben wirklich unpraktisch ist, wenn die Uhrzeit der umliegenden Länder anders ist. Auch im Rest der Welt gibt es viele Länder mit Sommerzeit - und immer wieder, meistens dann, wenn die Uhr mal wieder umgestellt werden muss, auch jede Menge Kritik daran. Darauf will ich hier gar nicht eingehen; das würde zu weit und auch zu weit von der Astronomie weg führen. Dass man durch die Zeitumstellung heutzutage keine Energie mehr sparen kann, hat man mittlerweile festgestellt. Aber abgesehen von den Weltkriegen war das Energie-Argument auch nie der eigentliche Grund aus dem man die Sommerzeit eingeführt hat, sondern im wesentlichen die Argumente, die schon Willett und Hudson vorgebracht haben. Man will dafür sorgen, dass die Menschen mehr Zeit bei Sonnenlicht verbringen können und vor allem im Sommer nicht so viel vom hellen Tag verschlafen. Man hat Abends mehr Zeit, um Aktivitäten im Freien durchzuführen - und wenn man einen Job hat, der draußen stattfindet, dann ist es auch ganz praktisch, wenn man schon früh anfangen kann, wo es im Sommer draußen noch nicht so extrem heiß ist. Die Kritik wird sich aber vermutlich nicht auflösen lassen. Denn die Astronomie kann man nicht ändern. In Mitteleuropa geht die Sonne eben im Winter später auf und früher unter als im Sommer. Und egal, wie wir es machen, wird es Phasen geben, wo es nicht optimal ist. Wenn man dauerhafte Sommerzeit einführt, dann gäbe es Tage im Winter, wo die Sonne erst gegen halb 10 Uhr aufgeht und wir den halben Vormittag in Dunkelheit verbringen müssen. Bei ständiger Normalzeit dagegen würde die Sonne im Sommer an manchen Tagen schon vor 4 Uhr früh am Himmel stehen. Die Zeitumstellung ist der Versuch, die Situation auszugleichen, mit der wir dank der geneigten Erdachse konfrontiert sind und an der wir nichts ändern können.
undefined
Oct 21, 2022 • 10min

Sternengeschichten Folge 517: Astronomische Verbrechen

True Crime im Weltall Sternengeschichten Folge 571: Astronomische Verbrechen In dieser Folge der Sternengeschichten wird es um Verbrechen gehen. Um Diebstahl, Erpessung, um Mord und Totschlag. Ok, um Mord und Totschlag nicht, obwohl es das in der Astronomie natürlich auch gegeben hat. Astronomie wird von Menschen betrieben und Menschen verhalten sich menschlich. Und dazu gehört leider auch Gewalt und Kriminalität. Aber wie gesagt: Wir werden uns auf Diebstahl und Erpressung konzentrieren; die Geschichten von Mord und Totschlag erzähle ich vielleicht ein anderes Mal. Einer der berühmtesten Diebstähle in der Astronomie fand im 19. Jahrhundert statt und zwar an der Allegheny Sternwarte in Pittsburgh. Sie wurde 1859 gegründet, zuerst als private Einrichtung, die aber ein paar Jahre später der Universität von Pennsylvania angeschlossen wurde. Ihr erster Direktor war Samuel Pierpont Langley, der nicht nur das Bolometer erfunden hat, also ein Gerät, das die gesamte elektromagnetische Strahlung messen kann, die von einem Objekt ausgeht - was enorm wichtig für die Helligkeitsmessung von Sternen ist - sondern auch ein Pioneer der Luftfahrt war. Damals war die Sternwarte mit dem Fitz-Clark-Refraktor ausgestattet, ein Teleskop mit einer Linse die einen Durchmesser von 33 Zentimetern hatte. Das klingt nach wenig, ist aber gar nicht so schlecht für ein Linsenteleskop und damals war es das drittgrößte Teleskop der Welt. Am 8. Juli 1872 ist Langley gerade von einer Konferenz zurück zur Sternwarte gekommen und musste feststellen, dass irgendjemand die Linse des Teleskop geklaut hatte. Ein ziemlich kurioser Diebstahl, denn erstens ist es gar nicht so einfach, so eine Linse unbemerkt aus einem Teleksop raus zu bekommen. Und zweitens: Was fängt man damit an? Es handelt sich ja nur um ein Stück Glas. Zugegeben, ein Stück Glas, das sehr aufwendig herzustellen ist und dessen Herstellung viel Geld kostet. Aber wenn man nicht zufällig eine Sternwarte zuhause hat, kann man damit nicht viel anfangen. Aber dem Dieb ging es nicht um astronomische Beobachtung. Sondern um die Erpressung von Lösegeld. Für die Sternwarte war es natürlich wichtig, ein funktionierendes Teleskop zu haben und der Gedanke, dass man sich die Rückgabe der Linse einiges an Geld kosten lassen würde, war nicht ganz abwegig. Ab jetzt wird die Geschichte aus historischer Sicht ein wenig unklar und man findet verschiedene Versionen wie es weiter ging. Angeblich soll Langley einen Brief erhalten haben, mit der Botschaft "Triff mich im Wald hinter der Sternwarte, um Mitternacht, oder du siehst die Linse nie wieder". Anderswo wird einfach nur berichtet, dass Langley auf die eine oder andere Weise heraus fand, wer der Dieb war und sich mit ihm traf. Oder der Dieb auf andere Weise Kontakt aufgenommen hat. Auf jeden Fall kam es zum Treffen zwischen Sternwarte-Direktor und Linsenkidnapper und Langley wurde mit der Lösegeld-Forderung konfrontiert. Nun sind sich alle Quellen wieder einig: Langley hatte keine Lust, für seine Linse zu bezahlen. Denn ansonsten würde das vielleicht nur weitere Linsendiebe motivieren. Was danach passiert ist, ist wieder unklar. Manche sagen, dass Langley den Dieb überreden konnte, die Linse zurück zu geben, mit dem Versprechen, dass er niemanden verraten würde, wer er ist und er somit straffrei bleiben würde. Andere sagen, dass der Dieb selbst die Lösegeldforderung zurück zog, als er merkte, dass Langley nicht zahlen will und aus Angst, er könnte identifiziert werden, wenn die Sache erstmal in den Medien berichtet wird, die Linse zurück gegeben hat. Oder zumindest verraten hat, wo die Linse zu finden ist. Oder nicht einmal das getan hat, sondern einfach verschwunden ist. Auf jeden Fall aber ist die Linse wieder aufgetaucht, im Mülleimer eines Hotels in Pennsylvania. Leider hat der Dieb sie nicht sonderlich pfleglich behandelt; sie war zerkratzt und unbrauchbar. Also wurde sie zu Alvan Clark geschickt, einem der besten Teleskopbauer der damaligen Zeit. Der hat sie wieder restauriert und das so gut, dass sie danach besser war als vorher. Weswegen das Teleskop heute eben nicht nur nach dem ursprünglichen Erbauer - Fitz - sondern auch nach Clark benannt ist und Fitz-Clark-Refraktor heißt. Das Linsennapping hatte also ein gutes Ende für die Astronomie. Knapp 100 Jahre später wäre ein ähnlicher Fall aber fast schief gegangen. Großbritannien plante, ein neues Radioteleskop zu bauen und auf dem Mauna Kea in Hawaii zu errichten. Das James-Clerk-Maxwell-Teleskop sollte einen Spiegel von 15 Meter Durchmesser haben und das zur damaligen Zeit weltgrößte Teleskop für die Beobachtung im Submillimeter- und Millimeter-Wellenlängenbereich sein. Als Partner kamen noch die Niederlande dazu und 1983 fing man in Großbritannien mit dem Bau an. So ein Teleskop besteht aber nicht nur aus einem Spiegel, es braucht auch ein Gerüst drum herum. In diesem Fall ein ziemlich großes für das jede Menge Stahl benötigt wurde und auch der musste auf die richtige Weise verarbeitet werden, denn so ein Teleskop kann man nicht einfach auf irgendwelchen x-beliebigen Stahlträgern aufhängen. Als das ganze komplizierte Gerüst für das Teleskop endlich fertig gebaut war, wollte man die Teile von Großbritannien nach Hawaii bringen. Mit dem Schiff, denn für ein Flugzeug wäre das zu viel gewesen. Aber das Schiff, das eigentlich dafür vorgesehen war, hatte eine Panne und man musste auf die Schnelle ein neues Schiff engagieren. Das war viel kleiner, fast zu klein - aber das Gerüst passte gerade so drauf. Und dann für es los. Eigentlich sollte der Kapitän das Gerüst direkt nach Hawaii bringen. Hat er aber nicht; er fuhr zuerst noch mal kurz nach Holland, um noch eine weitere Ladung aufzunehmen. Jede Menge Sprengstoff, was eigentlich so nicht vorgesehen war. Aber der Kapitän dachte sich wohl, er könne noch ein wenig nebenbei verdienen, wenn er schon so weit durch die Gegend schippert. Die Astronom:innen jedenfalls waren beunruhigt, denn sie wussten nichts davon. Nach der Abfahrt mit dem Gerüst war wochenlang nichts vom Kapitän zu hören; vom Abstecher nach Holland erfuhren sie erst später. Die zusätzliche Ladung war auch aus einem weiteren Grund ein Problem: Das Schiff musste auf dem Weg nach Hawaii durch den Panamakanal und da gibt es spezielle Sicherheitsvorkehrungen, wenn jemand mit Sprengstoff an Bord durch will. Das hieß: Weitere Verzögerungen. Endlich im Pazifik angekommen verschwand das Schiff wieder von der Bildfläche; höchstwahrscheinlich um den Sprengstoff irgendwo zu verkaufen. Mittlerweile war es so sehr verspätet, dass eine enorm hohe Strafzahlung fällig gewesen wäre. So hoch, dass sie fast die gleiche Summe ausgemacht hat, die der Kapitän für den Transport des Teleskops bekommen hätte. Er hätte also nichts bekommen und das hat ihm nicht gepasst. Also warf er kurz vor Hawaii, noch in internationalen Gewässern den Anker und drohte den Astronom:innen, das ganze Gerüst einfach ins Meer zu werfen, wenn er sein Geld nicht kriegen würde. Vermutlich hat er gedacht, in internationalen Gewässern könne ihm nichts passieren. Was aber nicht stimmt, denn gegen Piraterie gibt es auch hier Gesetze. Und als Piraterie wurde dieser Fall dann auch offiziell von der amerikanischen Küstenwache eingestuft. Die dann auch gleich ausfuhr, sich das Boot mitsamt Kapitän schnappte und das Gerüst für das James-Clerk-Maxwell-Teleskop endlich nach Hawaii brachte. Dort nahm es 1987 dann auch den Betrieb auf und hat seitdem jede Menge wunderbare astronomische Forschung geleistet. Unter anderem war es Teil des "Event Horizon Telescope", als dem Netzwerk aus Radioteleskopen auf der ganzen Welt, das 2019 das erste Bild eines schwarzen Lochs aufgenommen hat. Es mag ein wenig seltsam erscheinen, dass sich Piraten für Teleskope interessieren. Man kann sie nicht heimlich verkaufen; es gibt nirgendwo einen Markt dafür. Aber wenn man daran denkt, wie viel Geld in den Bau dieser wissenschaftlichen Instrumente gesteckt wird; Instrumente die einzigartig sind, an denen sehr viele Menschen oft Jahrzehnte lang geplant und gebaut haben: Dann ist es nicht ganz so überraschend. Denn wenn man vor die Wahl gestellt wird, so ein ganzes Teleskop noch mal von vorne zu bauen oder ein Lösegeld dafür zu zahlen, damit man es wieder bekommt, dann stehen die Chancen nicht schlecht für die Piraten. Was auch der Grund war, warum sich die NASA im Jahr 2021 strikt geweigert hatte, öffentlich bekannt zu geben, wann das James-Webb-Weltraumteleskop von den USA per Schiff nach Französisch-Guayana gebracht wird, von wo aus es in den Weltraum geschossen werden sollte. Der Bau des Teleskops hatte knapp 10 Milliarden Doller gekostet und man brauchte "nur" ein Schiff kapern um das Ding in seine Gewalt zu bringen. Würde sich die NASA wirklich weigern, noch ein paar Millionen zu zahlen, für ein Teleskop, das mittlerweile sowieso schon dreimal so teuer war wie ursprünglich geplant? Wissen wir nicht, aber die NASA hat es auch gar nicht darauf ankommen lassen. Und so hat das Teleskop am 25. Dezember 2021 sicher den Weltraum erreicht und muss dort keine Angst mehr vor Weltraum-Piraten haben.
undefined
Oct 14, 2022 • 13min

Sternengeschichten Folge 516: Das Sternbild Zentaur

Best of Astronomie Sternengeschichten Folge 516: Das Sternbild Zentaur In der heutigen Folge der Sternengeschichten schauen wir auf das Sternbild des Zentauren. In echt können wir das allerdings von Mitteleuropa aus nur sehr bedingt tun. Hier sehen wir am Himmel nur einen kleinen Teil der Sterne dieses Sternbilds auch nur für kurze Zeit im Frühjahr, tief am Horizont. Will man es vollständig sehen, dann muss man über den 25 Breitengrad hinaus nach Süden reisen. Ins südliche Algerien oder Ägypten; nach Varanasi in Indien, nach Taiwan, Kuba oder Mexiko-City. Trotzdem lohnt es sich, mit diesem Sternbild zu beschäftigen. Denn was dort alles zu finden ist, würde vermutlich für ein ganzes Dutzend Folgen reichen. Aber fangen wir mal in der Vergangenheit an. Der Zentaur - oder Centaurus auf Latein - gehört zu den klassischen Sternbildern der Antike. Also den Sternbildern, die schon in der griechischen Antike beschrieben worden sind. Und da könnte man jetzt stutzig werden. Ich habe doch gerade eben erklärt, dass man das Sternbild nur vom Süden aus sehen kann; Griechenland liegt deutlich nördlicher als der 25. Breitengrad. Wieso konnten die damals vom Sternbild Zentaur wissen? Nun, abgesehen davon, dass die Menschen damals natürlich auch schon in der Lage waren, nach Süden zu reisen und das durchaus auch getan haben, war das nicht mal nötig. Der Anblick des Himmels ändert sich im Laufe der Zeit, weil die Erdachse nicht immer in die gleiche Richtung zeigt. Momentan zeigt das nördliche Ende der Rotationsachse der Erde mehr oder weniger direkt auf den Polarstern. Aber die Erdachse kreiselt (das liegt unter anderem an der Anziehungskraft des Mondes); wäre sie ein Bleistift und der Himmel ein Blatt Papier, dann würde sie dort einen kleinen Kreis zeichnen und gut 26.000 Jahre dafür brauchen. Vor gut 2000 Jahren hat sie nicht zum Polarstern gezeigt, sondern auf ein Stück Himmel, das weiter südlich lag; dort wo heute die Grenze zwischen den Sternbildern kleiner Bär und Drache ist. Dadurch hat sich auch ganz allgemein der Blickwinkel verschoben und man konnte die Sterne des Zentauren vom ganzen Mittelmeerraum aus gut sehen. Und wenn man sich ansieht, was das für Sterne sind, ist es kein Wunder, dass sie den Menschen aufgefallen sind. Der hellste Stern des Sternbilds ist gleichzeitig auch der dritthellste Stern am ganzen Nachthimmel. Direkt daneben findet man den elfhellsten Stern des Nachthimmels und es finden sich dort noch jede Menge weitere überdurchschnittlich helle Sterne. Aber bevor wir zur Astronomie kommen, schauen wir noch einmal kurz auf die Mythologie. Ein Zentaur ist ein Mischwesen aus Pferd und Mensch; ein menschlicher Oberkörper mit Armen wächst aus einem Pferderumpf mit vier Beinen. Diese Wesen waren in der Mythologie der Griechen eher wild; gefährlich und gewaltätig. Mit Ausnahme von Cheiron, der war schlau, nett und der Erzieher von quasi allem, was in den griechischen Mythen Rang und Namen hat. Cheiron hat Achilles ausgebildet, Odysseus, Jason; hat Asklepios zum Arzt ausgebildet - nur mit Herkules hatte er Pech. Aus Versehen wird er von einem vergifteten Pfeil getroffen, den Herkules abgeschossen hat. Cheiron war zwar unsterblich, aber das Gift hat ihm solche Schmerzen verursacht, dass er sein ewiges Leben aufgegeben hat. Und wie es so oft passiert in der griechischen Mythologie, wird Cheiron danach von Zeus als Sternbild an den Himmel versetzt. Und jetzt leuchtet er dort vor sich hin und wir schauen, was es da aus astronomischer Sicht zu sehen gibt. Zuallerst natürlich einmal Alpha Centauri. Wie der Name schon andeutet, ist das der hellste Stern des Zentauren und der vorhin erwähnte dritthellste Stern des Himmels. Tatsächlich handelt es sich nicht nur um einen Stern sondern um ein Dreifachsternsystem. Da sind zuerst einmal Alpha Centauri A und Alpha Centauri B. Beide haben ungefähr so viel Masse wie die Sonne; A ein bisschen mehr und B ein bisschen weniger. B ist aber deutlich kleiner und leuchtet auch viel schwächer als die Sonne. Sie sind beide mit 6,5 Milliarden Jahren ein bisschen älter als unser Stern und der mittlere Abstand zwischen A und B variiert zwischen 11 und 36 Astronomischen Einheiten; also ungefähr so viel wie der Abstand zwischen Sonne und Saturn und der Sonne und Pluto. Alpha Centauri A und B umrunden sich alle 80 Jahre und dass es sich um zwei Sterne handelt, kann man nur mit einem Teleskop erkennen. Und dann ist da noch Proxima Centauri. Diesem Stern habe ich eine komplette Folge gewidmet (nämlich Folge 114). Bei ihm handelt es sich um einen roten Zwergstern, der ohne Teleskop überhaupt nicht sichtbar ist - und sich in deutlichem Abstand zu Alpha Centauri A und B befindet. Er ist 13.000 Astronomische Einheiten entfernt oder 0,2 Lichtjahre. Das ist enorm weit weg und lange Zeit war unklar, ob Proxima Centauri überhaupt wirklich zu Alpha Centauri gehört oder nur zufällig gerade in der Gegend ist. Erst seit 2016 weiß man sicher, dass sich Proxima Centauri tatsächlich um Alpha Centauri A und B herum bewegt; dass die drei Sterne also alle durch ihre Gravitationskraft aneinander gebunden sind. Was wir schon deutlich länger wissen: Proxima Centauri ist der unserer Sonne nächstgelegene Stern. Bis dorthin sind es nur 4,25 Lichtjahre. Es ist also auch kein Wunder, dass Alpha Centauri A und B an unserem Nachthimmel so hell sind. Es sind zwar keine riesengroße Sterne - aber weil sie ja auch nicht viel weiter weg sind als Proxima, sehen wir sie eben enorm hell. Ob es bei Alpha Centauri A und B Planeten gibt, wissen wir noch nicht. Es wäre zwar cool, wenn wir bei zwei sonnenähnlichen Sternen die uns noch dazu so nahe sind, auch Planeten finden könnten. Weil die beiden sich so nahe sind, ist es zwar nicht unmöglich, aber doch ein bisschen schwierig, dass sich dort überhaupt Planeten bilden können. Sicher keine große Gasplaneten wie Jupiter oder Saturn; kleinere Planeten wie Mars oder Erde sollten aber dort entstehen können. Aber die sind halt schwer zu finden. Wo es definitiv Planeten gibt, ist Proxima Centauri. Dort sind mindestens zwei, vielleicht auch mehr Planeten. Einer davon hat ungefähr die Masse der Erde; ob es dort aber auch Bedingungen wie auf der Erde gibt, wissen wir nicht. Proxima Centauri ist ja auch kein sonnenähnlicher Stern sondern ein roter Zwerg der viel kühler und dunkler ist. Aber lassen wir die "Promi-Sterne" des Sternbilds mal beiseite und schauen auf Beta Centauri. Der, wie schon gesagt, immerhin noch der elfthellste Stern des Nachthimmels ist und ebenfalls ein Dreifachsternsystem. Zwei davon sind sich extrem nahe; der Abstand zwischen ihnen entspricht ungefähr dem Abstand zwischen Sonne und Mars; vielleicht auch ein bisschen mehr, das lässt sich schwer messen. Die beiden Sterne sind noch dazu extrem groß und heiß; sie leuchten ein paar tausend Mal heller als die Sonne. Um die beiden herum kreist ein dritter Stern, auch heißer und heller als die Sonne, aber nicht ganz so groß wie das Paar in der Mitte. Wäre dieses Sternensystem uns so nahe wie das von Alpha Centauri, dann wäre Beta Centauri ein enorm helles Objekt am Nachthimmel - es ist aber 530 Lichtjahre von uns entfernt und erscheint damit dunkler. 130 Lichtjahre entfernt ist Gamma Centauri, diesmal nur ein Doopelsternsystem und ich höre jetzt auf, die Sterne dort aufzulisten, denn es gibt dort noch viel mehr zu sehen. Zum Beispiel Omega Centauri. Das ist kein Stern, sondern ein Kugelsternhaufen. Also eine kugelförmige Ansammlung von Sternen, für die in diesem Fall die Bezeichnung "Haufen" fast schon untertrieben ist. Omega Centauri besteht aus gut 10 Millionen Sternen und es gibt in der ganzen Milchstraße keinen Kugelsternhaufen der mehr Masse hat als Omega Centauri. Er ist gut 17.000 Lichtjahre entfernt und im seinem Zentrum befindet sich eventuell sogar ein schwarzes Loch, dass die 40.000fache Masse der Sonne hat. Das klingt alles so, als wäre Omega Centauri kein Sternhaufen, sondern fast schon eine eigene Galaxie. Und tatsächlich vermutet man, dass es sich dabei um den Kernbereich einer ehemaligen Galaxie handelt, die irgendwann in der Vergangenheit mit der Milchstraße kollidiert ist und auseinander gerissen wurde. Ohne jede Zweifel eine eigene Galaxie ist Centaurus A. Den Kugelsternhaufen Omega Centauri kann man unter guten Bedingungen gerade noch mit freiem Auge sehen; bei Centaurus A braucht man schon andere optische Hilfsmittel. Das Ding ist immerhin mehr als 10 Millionen Lichtjahre weit weg. Es handelt sich um eine Galaxie, die sich hinter der Milchstraße nicht verstecken muss. Ganz im Gegenteil: Dort gibt es mehr Sterne als bei uns und im Zentrum von Centaurus A sitzt ein gewaltiges schwarzes Loch mit der 55 millionenfachen Masse der Sonne. Noch dazu ein aktives schwarzes Loch, also eines, das von einer großen Scheibe aus Gas und Staub umgeben ist. Ständig fällt Material in das Loch und die Gravitationskräfte heizen das Material dort stark auf. Dabei entstehen große Mengen an Röntgen- und Radiostrahlung; tatsächlich ist die Galaxie das dritthellste Objekt am Himmel, wenn man nach der Helligkeit im Licht bei Radiowellenlängen geht. Schaut man sich die Galaxie im Radio- und Röntgenlicht an, dann sieht man auch sofort, dass hier besondere Dinge passieren; aus ihrem Zentrum fließen gewaltige Gasströme, mehrere Lichtjahre lang. Das ist genau das Material aus der Umgebung des schwarzen Lochs, das dort enorm beschleunigt und ausgestoßen wird. In Centaurus A beträgt die Sternentstehungsrate teilweise das zehnfache des Werts in der Milchstraße und man vermutet, dass die Galaxie vor ein paar Dutzend Millionen Jahren mit einer anderen Galaxie kollidiert sein muss. Dadurch ist dort alles ein wenig durchgewirbelt worden und hat die ganze Aktivität dort ausgelöst, die heute noch andauert. Wenn wir auf die noch größeren Objekte schauen, dann werden wir im Sternbild Zentaur auch fündig: Dort befindet sich der Centaurus Cluster, eine Gruppe von hunderten von Galaxien, circa 170 Millionen Lichtjahre von uns entfernt. Und wenn wir wieder einen Blick zurück auf die im Vergleich fast schon normalen Maßstäbe von Planeten werfen, dann können wir im Zentauren auch den 370 Lichtjahre entfernten jungen Stern PDS 70 beobachten. Mit nur gut 5 Millionen Jahren ist er quasi noch ein stellares Kleinkind; was dort aber richtig spannend ist, sind die Planeten die dort gerade entstehen. Tatsächlich ist es 2006 gelungen, die Scheibe aus Gas und Staub um den Stern herum zu beobachten, die man bei solchen jungen Sternen so gut wie immer findet und die genau die Scheibe ist, aus der Planeten entstehen können. Und ein paar Jahre später konnte man dann in dieser Scheibe große Klumpen finden. Oder, astronomisch korrekt ausgedrückt: Planeten, die wirklich gerade erst entstanden sind beziehungsweise noch in Entstehung begriffen sind. Zwei Stück mindestens, Gasriesen wie Jupiter, hat man dort schon gesehen. Die Geburt von Planeten, der letzte Rest von ehemaligen Galaxien, gewaltige schwarze Löcher, der uns nächstgelegene Stern am Himmel: Das Sternbild Zentaur ist quasi ein Best-of der gesamten astronomischen Forschung! Wenn es sonst nichts anders am Himmel gäbe, als das, wäre das vermutlich immer noch genug um die Astronomie jahrzehntelang zu beschäftigen. Vermutlich viel länger. Aber zum Glück gibt es ja noch viel mehr da draußen. Das Sternbild Zentaur ist zwar enorm faszinierend. Aber das heißt nicht, dass der Rest des Universums nicht auch noch was zu bieten hat.
undefined
Oct 7, 2022 • 13min

Sternengeschichten Folge 515: Der große Filter

Was wartet in der Zukunft aus uns? Sternengeschichten Folge 515: Der große Filter Steht die Menschheit vor einer großen Krise; einer gewaltigen Bedrohung; einer enormen Gefahr die uns am Ende sogar auslöschen könnte? Wartet in der Zukunft eine große Prüfung auf uns, die wir bestehen müssen, um weiter existieren zu können? In gewissen Sinne: Ja. Angesichts der Klimakrise und den anderen Problemen die wir unserem eigenen Handeln verdanken, kann man nicht unbedingt davon ausgehen, dass wir in 100, 1000 oder 10.000 Jahren auch noch fröhlich auf der Erde leben. Selbstverständlich müssen wir uns immer wieder anstrengen, dass wir als menschliche Zivilisation weiter bestehen können. Aber das ist nur ein Aspekt von dem, um das es in dieser Folge gehen soll. Sie handelt vom "Großen Filter", den ich in Folge 410 schon einmal kurz erwähnt habe. Es lohnt sich aber, noch mal einen genaueren Blick darauf zu werden. Die Geschichte beginnt mit dem sogenannten "Fermi-Paradoxon". Also der Beobachtung, die der italienische Physiker Enrico Fermi im Jahr 1950 angestellt hat. Kurz gesagt hat sich Fermi damals überlegt, wo denn die ganzen Anderen sind. Und mit "die Anderen" sind außerirdische Lebewesen gemeint. Wenn das Universum seit fast 14 Milliarden Jahren existiert; wenn es überall Sterne mit Planeten gibt und wenn zumindest auf einigen dieser Planeten Leben existiert, dann sollte eigentlich mehr als genug Zeit gewesen sein, dass wir davon etwas mitkriegen. Selbst mit Raumschiffen die sich an die Gesetze der Physik halten und keinen Überlichtgeschwindigkeitsantrieb haben, hätte die Zeit locker gereicht, um zum Beispiel die gesamte Milchstraße zu kolonialisieren. Zumindest irgendwelche außerirdischen Raumsonden; irgendwelche Roboterraumschiffe oder etwas in der Art hätten doch schon längst mal im Sonnensystem zu Besuch kommen sollen. Es gibt aber absolut keinen seriösen Beleg dafür, dass so etwas passiert ist. Wir haben keinen Besuch bekommen; wir haben bis jetzt auch nirgendwo im Universum auch nur eine Spur von außerirdischem Leben entdeckt. Warum ist das so? Es gibt natürlich jede Menge Möglichkeiten, das zu erklären und einige davon habe ich in Folge 410 ausführlicher vorgestellt. Eine dieser Erklärungen stammt aus dem Jahr 1996 und ist heute unter der Bezeichnung "Der große Filter" bekannt. Damals hat der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Robin Hansen einen Aufsatz mit dem Titel "Der große Filter - Haben wir ihn schon fast hinter uns?" geschrieben. Hansen ist ein bisschen eine kontroverse Figur; viele seine Aussagen zu Wirtschaft und Gesellschaft sind umstritten, aber das wollen wir jetzt der Einfachheit mal ignorieren und konzentrieren uns auf das, was er damals geschrieben hat. Auch er stellt fest, dass wir bis jetzt keine Anzeichen intelligenter außerirdischer Lebewesen gefunden haben. Und dass das intelligente Leben hier auf der Erde im Laufe der Geschichte alle ökologischen Nischen gefüllt hat, die es gibt. Wir haben den ganzen Planeten besiedelt; wir haben alle Kontinente erforscht; sind überall dorthin gegangen, wohin wir mit den jeweils vorhandenen technischen Mitteln gehen konnten. Und auch eine Besiedelung des Weltalls ist technisch zumindest prinzipiell möglich. Hansen schreibt, es sei damit zu rechnen, dass wir in der Zukunft dank neuer Technologie die gesamte Milchstraße besiedeln werden. Und fragt sich dann, so wie Fermi, warum das sonst noch niemand gemacht hat. Er schreibt: "Unser Planet, unser Sonnensystem sehen allerdings nicht so aus, als wären sie von einer fortgeschrittenen Lebensform aus dem All kolonialisiert worden und auch anderswo sehen wir nichts davon. Im Gegenteil: Wir sind sehr erfolgreich darin, das Verhalten unseres Planeten, des Sonnensystems, der nahen Sterne, der Milchstraße und sogar von anderen Galaxien durch einfache "tote" physikalische Prozesse zu erklären anstatt durch das komplexe, zielgerichtete Verhalten fortgeschrittenen Lebens. Angesichts der Tatsache, dass unsere Milchstraße den Nachbargalaxien so ähnlich ist, ist es auch zweifelhaft davon auszugehen, dass unsere gesamte Milchstraße eine Art "Naturschutzgebiet" unter lauter besiedelten Galaxien ist." Irgendwas läuft da schief. Nochmal Hansen: "Die Menschheit scheint eine strahlende Zukunft vor sich zu haben, das heißt eine reale Chance das Universum mit Leben zu erfüllen. Aber die Tatsache, dass das All in unserer Umgebung tot zu sein scheint, legt nahe, dass jedes Stück toter Materie nur eine winzige Chance hat, so eine Zukunft zu erleben. Es muss also einen großen Filter geben, der zwischen dem Tod und dem sich ausdehnenden dauerhaften Leben steht und die Menschheit muss sich der unheilvollen Frage stellen: Wie weit stecken wir schon in diesem Filter drin?". Hansen meint damit folgendes: Am Anfang steht zwangsläufig tote Materie. Atome, Moleküle, eine Gaswolke, ein Stern. Und am Schluss kommt die "Explosion der Kolonisation", also eine lebendige Zivilisation die in der Lage ist, eine komplette Galaxie zu kolonialisieren. Dazwischen passieren jede Menge Dinge und irgendwo dort muss der "große Filter" stecken, also das, was es offensichtlich so unwahrscheinlich macht, dass eine Zivilisation diesen letzten Punkt erreicht. Denn wenn es nicht so wäre, dann würden wir die Anzeichen der galaktischen Kolonialisation ja irgendwo sehen müssen. Hansen selbst listet in seinem Text neun Schritte auf. Es fängt an mit dem richtigen Sternensystemen. Dort müssen sich auf einem Planeten Moleküle bilden, die sich selbst reproduzieren können, also zum Beispiel das, was bei uns die RNA und DNA machen. Danach entwickelt sich daraus simples, einzelliges Leben und daraus dann komplexes einzelliges Leben. Dieses Leben lernt, sich sexuell fortzupflanzen und es entsteht mehrzelliges Leben. Danach kommen irgendwann frühe Formen des intelligenten Lebens und schließlich eine fortgeschrittene Zivilisation die das Potenzial der Besiedelung des Weltraums hat. Da stehen wir zur Zeit und jetzt müssten wir noch die "Explosion der Kolonisation" schaffen. Sofern nicht irgendwo der Filter auf uns wartet… Natürlich ist Hansens Liste nicht vollständig; es gibt noch jede Menge mehr Schritte auf dem Weg vom toten Molekül hin zur galaktischen Förderation. Aber natürlich kann man sich die Frage stellen, die Hansen sich gestellt hat: Wartet der Filter noch auf uns oder haben wir ihn schon hinter uns gelassen? Was wäre zum Beispiel, wenn wir auf dem Mars irgendwelche Mikroorganismen entdeckt; oder in den unterirdischen Ozeanen der Eismonde von Jupiter und Saturn? Dann hätten wir ein zweites Beispiel für die Entwicklung von mehrzelligen Leben; könnten also davon ausgehen, dass alle Schritte bis zu diesem Punkt nicht so enorm schwer sind; denn sonst wären sie ja nicht gleich zweimal in einem einzigen Sonnensystem durchlaufen worden. Dass heißt aber dann auch, dass der große Filter irgendwo hinter diesem Punkt liegen muss und eventuell noch vor uns. Vielleicht war der unwahrscheinliche, schwierige Schritt aber eben auch die Entstehung von komplexen Einzellern? Das haben wir schon erledigt und dann können wir gefahrlos in die Zukunft aufbrechen. Es ist verständlicherweise spannend, darüber nachzudenken, ob in unserer Zukunft irgendeine unbekannte Gefahr wartet; etwas, was alle intelligenten Zivilisation durchlaufen müssen, wenn sie nachhaltig existieren wollen; etwas, was aber offensichtlich so gut wie niemand schafft, denn wo sind die dann alle? Man muss sich aber darüber im Klaren sein, dass dieses Gedankenexperiment zwar reizvoll ist, aber nur dann Sinn macht, wenn man zuvor sehr viele Annahmen trifft. Hansen spekuliert viel in seinem Text. Zum Beispiel darüber, ob fortgeschrittenes Leben vielleicht hauptsächlich auf dunkler Materie basiert. Was angesichts dessen, was wir über dunkle Materie wissen und vor allem dem, was wir nicht darüber wissen, deutlich mehr Science Fiction ist als Wissenschaft. Dunkle Materie, so wie wir sie bis heute verstehen, ist keine Materie im "normalen" Sinn. Sondern besteht aus Teilchen, die zum Beispiel gerade nicht miteinander oder mit normaler Materie wechselwirken. Dunkle Materie bildet keine Moleküle; keine größeren Strukturen; keine Planeten, keine Lebewesen. Aber da wir eben auch immer noch nicht genau wissen, aus was dunkle Materie besteht, kann es auch ganz anders sein und niemand kann seriöserweise irgendwas über Dunkle-Materie-Leben sagen. Hansen spekuliert über Kriege, soziale Herausforderungen, sich selbst vernichtenden Zivilisationen, und so weiter. Aber über eines spekuliert er nicht… Hansen schreibt am Ende seines Texts: "Keine Alien-Zivilisation hat bis jetzt unser Sonnensystem kolonialisiert oder unsere Nachbarsysteme. Unter den Milliarden Billiarden Sterne die es in der Vergangenheit des Universums gab, wurde nirgendwo ein Stand der Technik erreicht, den wir in Kürze erreichen können. Daraus folgt, dass irgendwo ein "Großer Filter" zwischen gewöhnlicher, toter Materie und dem fortgeschrittenen, sich ausbreitenden Leben steht." Und genau das ist der Punkt, der so kritisch an der ganzen Angelegenheit ist. Ist es denn wirklich sicher, dass das daraus folgt? Ja, wir sehen tatsächlich keine sich über das gesamte Universum ausbreitende Mega-Zivilisation. Aber warum sollten wir die denn sehen? Hansen macht - meiner Meinung nach - den Fehler, den viele Menschen machen, wenn sie über außerirdisches, intelligentes Leben nachdenken: Sie stellen sich diese Aliens so vor, wie wir das aus der Science Fiction gewohnt sind. Halt im Prinzip so wie wir Menschen, nur vielleicht ein wenig anders. Aber auch nicht zu viel anders. Auf jeden Fall als Wesen, die leben, sterben, forschen, nachdenken, Wünsche haben, Sachen erfinden, Raumschiffe bauen, andere Planeten erkunden, und so weiter. Aber warum sollte das so sein? Warum sollten Aliens andere Himmelskörper besiedeln? Warum sollten sie irgendwelche technischen Zivilisation errichten; Alien-Städte mit Alien-Raumschiffen bauen, und so weiter? Ja, WIR haben so etwas gemacht. Aber das ist auch schon alles. Wir haben absolut überhaupt keine Ahnung, ob unsere Form der Intelligenz die einzig mögliche ist. Nicht mal, ob unsere Form von Leben die einzig mögliche ist. Müssen Aliens irgendwelche Individuen sein? Was ist mit irgendwelchen Schwarmwesen? Selbst auf der Erde kennen wir Kollektive aus Mikroorganismen, aus Insekten, usw, die erstaunliche Dinge tun, ohne im eigentlichen Sinne "intelligent" zu sein. Der wichtigste Punkt aber ist: Was ist mit den Aliens, die so sind, wie wir es uns absolut nicht vorstellen können? Es ist schwer, darüber nachzudenken. Es ist unmöglich. Aber nur weil wir nicht anders können, als uns Aliens so vorzustellen wie Menschen, nur ein bisschen anders, folgt daraus ja nicht, dass sie nicht irgendwie komplett anders sein können. Ja, für uns ist es absolut logisch davon auszugehen, dass sich eine fortgeschrittene Zivilisation irgendwann in den Weltraum ausbreitet. Aber es gibt keinen Grund, warum dieses Verhalten verallgemeinert werden können soll. Für irgendwelche Aliens könnte es ebenso vollkommen logisch sein, eben gerade NICHT ins All aufzubrechen. Vielleicht wären sie gar nicht in der Lage, solche Vorstellungen zu entwickeln, genau so wenig wie wir darüber nachdenken können - ja, und jetzt fehlt natürlich ein Beispiel, weil wir darüber eben nicht nachdenken können! Kurz gesagt: Es ist ein bisschen wie in der Religion. Wir haben uns die Aliens nach unserem eigenen Abbild geformt; so wie wir uns unsere Götter nur als eine Art von "Supermenschen" vorstellen können und deswegen auch genau so vorgestellt haben. Der "Große Filter" ist ein faszinierender Gedanke - aber eben auch nicht mehr als die Antwort auf eine Frage, die nur deswegen existiert, weil wir uns dazu entschieden haben, uns eine Welt vorzustellen, in der diese Frage eine Bedeutung hat. Wir können und sollen selbstverständlich darüber nachdenken, welche Gefahren wir in Zukunft zu bewältigen haben. Aber dabei können wir uns durchaus an dem orientieren, was wir schon ganz konkret wissen: Über die Klimakrise, über die Kriege auf der Erde, über all die anderen Krisen die wir verursacht haben und noch verursachen werden. Aber Schlüsse aus der Nicht-Beobachtung von etwas zu ziehen, von dem es keinen zwingenden Grund gibt anzunehmen, dass es stattfinden muss: Das ist dann doch eher Science Fiction und keine Wissenschaft.
undefined
Sep 30, 2022 • 17min

Sternengeschichten Folge 514: Axionen und die dunkle Materie

Farbige Teilchen und dunkle Rätsel Sternengeschichten Folge 514: Axionen und die dunkle Materie Heute geht es in den Sternengeschichten um das Axion. Nicht um ein Axiom, also einen Grundsatz einer wissenschaftlichen Theorie; auch nicht um ein Axon, den Teil einer Nervenzelle. Ich erzähle euch etwas über das Axion, ein hypothetisches Elementarteilchen, das unter Umständen eine fundamentale Rolle in unserem Universum spielen könnte. Und wie immer wenn es um Teilchenphysik geht, ist die Sache ein wenig knifflig. Ich habe in Folge 46 schon einmal ausführlich über das Standardmodell der Teilchenphysik gesprochen und muss das heute noch einmal kurz wiederholen. Alles, was es gibt, besteht aus Elementarteilchen. Das sind vor allem Elektronen und Quarks; den Rest lasse ich vorerst mal weg. Jedes Atom hat eine Hülle; die besteht aus Elektronen. Uns interessiert jetzt aber der Atomkern, der aus elektrisch positiv geladenen Protonen aufgebaut ist und aus elektrisch neutralen Neutronen. Das sind aber keine fundamentalen Teilchen; das sind nur die Quarks. Von denen gibt es sechs grundlegende Arten und in Protonen und Neutronen finden wir die sogenannten "up" und "down"-Quarks. Im Proton sind es zwei up und ein down-Quark; im Neutron zwei down und ein up-Quark. So weit ist das noch recht einfach. Aber jetzt müssen wir uns mit Farbladungen beschäftigen. Wir alle wissen, was eine elektrische Ladung ist. Das kennen wir aus dem Alltag, wenn wir mit Batterien oder Magneten hantieren. Da gibt es Plus- und Minuspole; es gibt positive und negative elektrische Ladungen und wir wissen auch, dass sich gleiche Ladungen abstoßen und ungleiche Ladungen anziehen. Das ist auch der Grund, wieso ein Atom zusammenhält, vereinfacht gesagt. Der Kern ist positiv geladen, weil da nur positiv geladene Protonen und ungeladene Neutronen drin sind. Und die Hülle ist wegen der elektrisch negativ geladenen Elektronen auch elektrisch negativ geladen. Außen negativ, innen positiv und das ganze Ding hält zusammen. Quarks haben auch eine elektrische Ladung. Ein up Quark hat eine positive Ladung die 2/3 der Ladung eines Protons entspricht; ein down-Quark hat eine negative Ladung von 1/3 der Ladung eines Protons. Ein Proton besteht aus zwei ups und einem down, macht 2/3 + 2/3 - 1/3 und ergibt insgesamt +1. Bei einem Neutron haben wir zwei downs und ein up, also -1/3 + -1/3 + 2/3 und das summiert sich zu Null, also gar keiner Ladung. Passt alles. Aber! Ein Quark hat nicht nur eine elektrische Ladung, sondern auch eine Farbladung. Das darf man nicht mit der elektrischen Ladung verwechseln und mit Farbe hat das auch absolut nichts zu tun. Die Farben der Quarks sind einfach nur Beschreibungen die anzeigen, wie die Quarks miteinander wechselwirken. Es gibt dort auch nicht nur zwei Möglichkeiten, wie bei der elektrischen Ladung. Sondern viel mehr. Ein Quark kann rot, grün oder blau sein und ich sage noch einmal: Das hat nichts mit echter Farbe zu tun. Ich könnte auch sagen: "Ein Quark kann zorg, zarg oder zurg sein" - es braucht einfach irgendwelche Worte, um die Eigenschaft zu beschreiben, um die es geht. Aber in der Physik hat man sich eben entschieden, die Wörter für Farben zu nehmen. Damit muss man jetzt leben. Oder, wie der Physik-Nobelpreisträger Richard Feynman es ausgedrückt hat: "Diese Physiker-Idioten, unfähig sich irgendwelche wundervollen griechischen Wörter auszudenken, bezeichnen diese Art der Polarisation mit dem unglücklichen Begriff 'Farbe' der nichts mit der Farbe im üblichen Sinn zu tun hat.“ Also: Ein Quark kann rot, grün oder blau sein. Oder, wenn es sich um ein Anti-Quark handelt, antirot, antigrün und antiblau. In einem stabilen Teilchen wie einem Proton oder Neutron findet man immer Quarks mit unterschiedlichen Farben, also ein rotes, ein grünes und ein blaues. Zusammen ergibt das "weiß", also gar keine Farbe. Und bevor es zu verwirrend wird, sollten wir jetzt mal klären, was es mit dieser Farbe auf sich hat. Es geht dabei um die "starke Ladung" und die Kraft, die dafür sorgt, dass die Quarks zusammenhalten, nämlich die starke Kernkraft. Das ist, so wie die Gravitation oder die elektromagnetische Kraft, eine fundamentale Kraft im Universum. Nur das wir im Alltag nichts von ihr spüren, weil ihre Reichweite so kurz ist, dass sie nur innerhalb der Atomkerne wirkt. Es ist schwierig, etwas anschaulich zu beschreiben, was wir nirgendwo sehen, spüren und was außerhalb unserer Wahrnehmung stattfindet. Aber zwischen den Quarks wirkt eine Kraft, eben die starke Kernkraft. Und so wie sich elektrisch positiv und negativ geladene Teilchen je nach Ladung anziehen oder abstoßen, tun das die Quarks auch, je nach Art ihrer Farbladung. Das ist wie gesagt, alles sehr vereinfacht. Aber es ist vor allem wichtig zu verstehen, dass die Quarks diese Eigenschaft haben, die wir mit Wörtern für Farbe kennzeichnen und dass es eine Kraft gibt, die zwischen ihnen wirkt. Die Disziplin, die diese ganze Wechselwirkung der Farbladungen beschreibt, nennt sich Quantenchromodynamik; sie ist für die starke Kernkraft das, was die Elektrodynamik für den Elektromagnetismus ist. Und in der Quantenchromodynamik finden wir auch den Ursprung des Axions. Die starke Kernkraft kennt nämlich keinen Unterschied zwischen Materie und Antimaterie. Das klingt seltsam und wir müssen das ein wenig erläutern. Dazu müssen wir mit der CP-Symmetrie anfangen. Das "C" steht für "charge" und das "P" für "parity". Mit charge ist die Ladung gemeint und mit parity die räumliche Ausrichtung. Ich will jetzt nicht in die Details gehen, das wird sehr schnell sehr verwirrend. Aber es gibt aus diversen Gründen Prozesse, die sich nicht ändern, wenn man die Ladungen und die räumliche Anordung aller Teilchen vertauscht. Wenn man also alle Teilchen durch ihre Antiteilchen ersetzt und dann alles nochmal spiegelt. Das ist bei einer CP-Symmetrie der Fall; man kann - was die physikalischen Gesetze angeht mit denen man solche Systeme beschreibt - keinen Unterschied finden, wenn man die entsprechenden Vertauschungen durchführt. Genau das ist gemeint, wenn man sagt, dass die starke Kernkraft symmetrisch ist. Es ist komplett egal, ob man Reaktionen der starken Kraft zwischen Teilchen anschaut oder Antiteilchen, ob die Teilchen räumlich oder zeitlich gespiegelt werden; ob man die Prozesse also vorwärts in der Zeit laufend oder rückwärts betrachtet. Bei einer anderen Grundkraft, der schwachen Wechselwirkung, gibt es aber Prozesse, bei denen die CP-Symmetrie verletzt wird, wo es also durchaus darauf ankommt, ob Ladung oder räumlich/zeitliche Ausrichtung vertauscht wird. Vielleicht kann man das mit einem etwas schiefen Vergleich aus dem Alltag verstehen. Wenn ich Suppe machen will, kommt es nicht darauf an, ob ich zuerst das heiße Wasser in den Topf gebe und dann den Suppenwürfel. Oder zuerst den Suppenwürfel und dann das heiße Wasser darauf. Wenn ich aber Kartoffelpüree mache, ist es durchaus wichtig, die Karoffeln zuerst zu schälen, dann zu kochen und danach zu stampfen. Würde ich sie zuerst stampfen, dann kochen und erst am Schluss probieren sie zu schälen, kriege ich eine große Sauerei, aber mit Sicherheit kein Kartoffelpüree. Die Suppe ist symmetrisch, beim Kartoffelpüree ist die Symmetrie verletzt. Und eigentlich sollte auch bei der starken Kernkraft die CP-Symmetrie verletzt sein. Das sagt zumindest all das, was wir über die Quantenchromodynamik wissen. Aber wenn wir anschauen, wie die starke Kernkraft tatsächlich wirkt, sehen wir diese Verletzung nicht. Wenn die starke Kernkraft die CP-Symmetrie tatsächlich verletzt, müsste es Teilchen geben, die wir auch schon längst beobachten hätten müssen. Haben wir aber nicht. Man kann das Problem lösen, wenn man an der mathematischen Beschreibung der Quantenchromodynamik ein bisschen rumbastelt. Das klingt ein wenig unseriös und ist auch massiv vereinfacht dargestellt. Aber wenn sich die Quarks auf eine bestimmte Weise verhalten; wenn man einen bestimmten Parameter einführt um ihre Anordnung zu beschreiben und wenn dieser Parameter immer sehr klein ist, dann lässt sich damit erklären, warum die CP-Symmetrie nicht verletzt wird, obwohl das eigentlich der Fall sein sollte. Das neue Problem: Man muss erklären, WARUM dieser neue Parameter (es geht um einen sogenannten "Vakuumwinkel", aber das würde zu weit führen) immer so klein ist. Dafür haben der italienische Physiker Roberto Peccei und die australische Physikerin Helen Quinn im Jahr 1977 eine neue Hypothese eingeführt. Auch das kann ich nur in Ansätzen erklären: Sie haben im Wesentlichen vorgeschlagen, dass da vielleicht noch ein bisher unbekanntes Feld existiert und dieses Feld sorgt mit seiner Wirkung dafür, dass der Parameter immer klein ist und die Symmetrie nicht gebrochen wird. Also müssen wir jetzt noch einmal schnell über Felder sprechen. Das habe ich ja schon in Folge 247 ausführlich getan. In der modernen Physik sind "Quantenfelder" ja die Grundlage von allem. Sie sind das, was fundamental ist im Universum und Teilchen sind nur das, was passiert, wenn man Energie in ein Feld steckt. Quantenfelder wie das Higgs-Feld existieren im gesamten Kosmos und wenn so ein Feld ausreichend angeregt wird, entsteht dabei ein Higgs-Teilchen. Das Photon, das Lichtteilchen, ist etwas, das aus der Anregung eines elektromagnetischen Felds entsteht, und so weiter. Jedem Teilchen entspricht ein Quantenfeld. Und jedem Quantenfeld ein Teilchen. Wenn man also zur Erklärung eines Phänomens ein neues Quantenfeld erfindet, dann behauptet man gleichzeitig, dass es auch ein noch unbekanntes Teilchen geben. Das hat damals Peter Higgs gemacht, als er seinen Higgs-Mechanismus postuliert hat und tatsächlich hat man dann ein paar Jahrzehnte später auch das dazugehörige Higgs-Teilchen entdeckt. Und jetzt sind wir endlich beim Axion. So heißt das Teilchen, dass zum Quantenfeld gehört, das Peccei und Quinn erfunden haben, um das Problem der CP-Symmetrie in der Quantenchromodynamik zu lösen. Der Name stammt übrigens vom amerikanischen Physik-Nobelpreisträger Frank Wilczek und bezieht sich auf die Waschmittelmarke, die ebenfalls Axion heißt. Laut Wilczek ist das ein passender Name, da das neue Teilchen ein Problem entfernt und die Theorie quasi säubert. Jetzt werden in der theoretischen Physik immer wieder Teilchen postuliert. Das geht einfach. Viel schwieriger ist es, sie auch nachzuweisen. Vor allem so ein Ding wie das Axion. Wenn es das leisten soll, was es tut, dann kann man berechnen, dass es eine sehr geringe Masse haben muss. Enorm gering und damit ist es auch schwer aufzuspüren. Aber nicht unmöglich. Denn ein Axion hat zwar selbst keine elektrische Ladung; ist aber in der Lage mit elektromagnetischen Feldern wechselzuwirken. Zumindest wenn es sich um wirklich, wirklich, wirklich starke Felder handelt. Dann können sich Axionen in Photonen, also in Lichtteilchen umwandeln. Umgekehrt geht es auch; in einem sehr starken Magnetfeld kann ein Photon sich in Axionen umwandeln. Das bietet interessante Möglichkeiten: Man könnte zum Beispiel einen Laserstrahl durch ein solches Magnetfeld laufen lassen. Und ihn dann blockieren. Wenn die Theorie stimmt, sollten sich ein paar Photonen in Axionen umwandeln. Die können - im Gegensatz zum Licht - durch die Barriere hindurch und würden sich danach wieder in elektromagnetische Strahlung umwandeln. Man könnte so also quasi durch eine Mauer durchleuchten. Solche Experimente sind aber schwer durchzuführen; es ist ein großer Aufwand und die Messungen sind komplex. Aber wenn es Axionen gibt, dann werden sie auch auf natürlichem Weg produziert; zum Beispiel im Inneren der Sonne. Da gibt es jede Menge Photonen und da gibt es auch sehr starke Magnetfelder. Dadurch könnten Axionen im Kern der Sonne entstehen und dann von dort hinaus ins All sausen. Man kann Detektoren bauen um danach zu suchen; im Wesentlichen sind das sehr starke Magneten, die eventuell vorbei kommende Axionen dazu bringen, sich in Lichtteilchen umzuwandeln. Wie gesagt: Im Detail ist das alles sehr viel komplexer und die Geräte sind extrem aufwendig zu konstruieren; man muss sie tief unter der Erde betreiben um Störstrahlung auszuschließen, und so weiter. Aber rein theoretisch wäre es damit möglich, Axionen aus der Sonne nachzuweisen. Das ist natürlich ein statistischer Prozess. Man misst die Axionen ja nicht direkt, sondern nur die Lichtteilchen die bei ihrer Umwandlung durch Magnetfelder entstehen. Es gibt aber auch andere Prozesse, die Lichtteilchen hervorbringen. Man muss sich vorher ganz genau überlegen, was im Detektor alles dafür sorgen kann, dass Photonen entstehen. Und nur wenn man danach signifikant MEHR Photonen misst und es auch noch Photonen sind die die richtigen Eigenschaft haben, kann man die Entdeckung von Axionen verkünden. Vielleicht passiert das irgendwann. Vielleicht ist es schon passiert, wenn ihr diesen Podcast irgendwann lange nach seiner Veröffentlichung hört. So oder so: Es wäre eine große Nachricht. Denn wenn es Axionen wirklich gibt, dann entstehen sie nicht nur im Inneren der Sonne. Dann sind sie auch in enorm großer Anzahl direkt nach dem Urknall entstanden. Und auch wenn sie eine sehr geringe Masse haben: Wenn es ausreichend viele sind, dann können sie das Rätsel der dunklen Materie lösen. Wir wissen ja, dass sich die Objekte im Universum so bewegen, als würden sie mehr Gravitationskraft spüren, als die von uns direkt beobachtbare Masse der Sterne und Galaxien ausüben können. Deswegen gehen die meisten Wissenschaftler:innen davon aus, dass es neben der normalen Materie noch eine weitere, von uns noch nicht entdeckte Form von Materie gibt, die für diese Gravitionskraft verantwortlich ist. Es muss Materie sein, die im ganzen Universum verteilt ist; die nicht zu so etwas wie Sternen oder Planeten zusammenklumpt, sondern quasi beständig in gigantischen Wolken durch den Kosmos wabert. Sie muss beim Urknall entstanden sein; sie muss Gravitationskraft ausüben und darf nicht zu stark mit normaler Materie wechselwirken. Und es muss fast sechsmal so viel davon geben wie von der normalen Materie die wir sehen können. Das Axion würde all diese Bedingungen erfüllen. Es muss halt nur noch existieren. Denn eine Theorie kann noch so schön und vielversprechend sein - wenn sie nicht mit den Beobachtungen übereinstimmt, dann muss man sie verwerfen. Da kennt das Universum kein Erbarmen. Egal was wir uns ausdenken und wünschen; es ist nicht verpflichtet unsere Wünsche zu erfüllen. Aber wer weiß: Vielleicht haben wir mit dem Axion ja doch recht.
undefined
Sep 23, 2022 • 12min

Sternengeschichten Folge 513: Störende Satelliten und die Helligkeit des Nachthimmels

Licht aus! Für eine ganze Nacht Sternengeschichten Folge 513: Störende Satelliten und die Helligkeit des Nachthimmels Jedes Jahr, immer an dem Freitag der dem Neumond im September am nächsten liegt, findet die "Earth Night" statt. Gut, die Nacht gibt es täglich. Bzw. nächtlich. Die Earth Night, also die "Nacht der Erde" ist aber eine besondere Aktion - das Motto lautet "Licht aus! Für eine ganze Nacht" und ist relativ selbsterklärend. Ab 22 Uhr sollen so viele künstliche Lichter wie möglich abgeschaltet werden um die natürlichen Lichter am Himmel besser sehen zu können. Ich habe in Folge 32 der Sternengeschichten ja schon mal über das Phänomen der sogenannten "Lichtverschmutzung" gesprochen. Obwohl dieser Begriff eigentlich missverständlich ist; dabei geht es nicht um schmutziges Licht, sondern um Licht, dass quasi die Dunkelheit verschmutzt. Oder genauer gesagt: Um Licht, dass die natürliche Dunkelheit der Nacht künstlich aufhellt. Die "natürliche Dunkelheit der Nacht": Das ist etwas, was die meisten von uns gar nicht mehr kennen. In Mitteleuropa und den anderen stark besiedelten Regionen der Welt wird es nicht mehr dunkel. Die Sonne geht zwar jede Nacht unter, die Nacht bleibt aber immer heller als sie es eigentlich wäre. All die Lichter die wir anknipsen, machen den Himmel hell; so hell, dass man bei weitem nicht alle Sterne sehen kann, die für unsere Augen eigentlich sichtbar wären. Um einen echten Nachthimmel in all seiner Pracht sehen zu können, muss man in die Wüste, auf hohe Berge abseits von Städten, auf den Ozean oder sonst irgendwo hin, wo niemand lebt und wo man deswegen auch nur sehr schwer hin kommt. Nur dann kann man das sehen, was Jahrhundertausende lang und bis noch vor wenige hundert Jahre alle Menschen immer sehen konnten, wenn sie nachts zum Himmel geblickt haben. Ich habe früher schon erklärt, dass der Verlust der Dunkelheit nicht nur ein enormer kultureller Verlust ist, sondern auch ein ökologischer und finanzieller. Wir schalten die Lichter ja nicht ein, weil sie den Himmel beleuchten sollen. Das tun sie nur, weil sie ineffektiv sind; schlecht geplant und schlecht organisiert. All dieses Licht ist verschwendet und damit auch die Energie, die für den Betrieb gebraucht wird und das Geld, dass dieser Betrieb kostet. Man könnte viel Geld und Energie sparen, wenn man ein wenig besser auf die Beleuchtung achtet und es wirklich nur dann hell macht, wenn es nötig ist. Das wäre auch für die Umwelt besser; viele Tiere und Pflanzen und auch wir Menschen kriegen Stress und gesundheitliche Probleme, wenn es nie wirklich dunkel wird. Über all das habe ich schon früher gesprochen; auch darüber, dass es durch weniger künstliche Beleuchtung auch keinen Anstieg in der Kriminalität gibt und die Straßen nicht weniger sicher werden. Der Anblick des Himmels und die wissenschaftliche Erforschung des Alls wird aber auch durch ein anderes Phänomen gestört, dass nicht ganz so offensichtlich ist wie die hellen Lichter der menschlichen Städte. 1957 flog der erste künstliche Satellit ins All und die Menschheit war zu recht sehr aufgeregt über den Lichtpunkt, der sich da über den Himmel bewegt und der von Menschen dorthin gebracht wurde. Der kleine Sputnik war keine 100 Tage im All, aber ihm sind im Laufe der Zeit sehr viele weitere Satelliten gefolgt. Durchaus auch zum Nutzen der Menschheit und der Wissenschaft. Die Astronomie wäre längst nicht so weit, wenn wir nicht auch unsere Messinstrumente im Weltall hätten. Unser Alltag würde völlig anders aussehen, wenn wir keine Satelliten zur Navigation, Kommunikation oder zur Wettervorhersage hätten. Der Weg in den Weltraum war ein wichtiger technologischer Schritt für uns. Aber das gilt auch für die industrielle Revolution, die Erfindung der Dampfmaschine oder der des Autos - und trotzdem sind wir deswegen nun in einer Situation angelangt, in der wir uns mit der Katastrophe der Klimakrise auseinandersetzen müssen. Die Lage bei den Satelliten ist noch nicht so dramatisch und hat auch nicht das katastrophale Potenzial der Klimakrise. Aber es würde trotzdem nichts schaden, wenn wir uns hier zur Abwechslung mal vorher überlegen, was für negative Folgen das alles haben könnte und es dann gar nicht erst dazu kommen lassen. In Folge 228 der Sternengeschichten habe ich schon vom Kessler-Syndrom erzählt, also einem potenziellen Zustand in dem zu viele Satelliten in der Erdumlaufbahn so viel Weltraumschrott erzeugt haben, dass ein Flug ins All und durch diese Müllzone hindurch sehr schwierig oder fast unmöglich wird. So weit ist es noch lange nicht, aber zu viele Satelliten haben Auswirkungen auf die Art und Weise wie wir den Nachthimmel beobachten können. Wir beschränken uns mittlerweile nicht mehr, einzelne Satelliten ins All zu schicken, sondern konstruieren ganze "Satellitenkonstellationen". Dabei geht es darum, möglichst viel der Erdoberfläche gleichzeitig mit Satelliten abdecken zu können. Das ist zum Beispiel bei der Navigation wichtig, da reicht nicht ein Satellit; man braucht ein paar Dutzend. Ähnliches gilt für Kommunikationsnetzwerke wie das Iridium-Netz, das aus 66 Satelliten besteht um auf der ganze Erde Telefonempfang zu liefern (zumindest wenn man ein entsprechendes und teures Gerät dafür hat). Die Iridium-Satelliten sind auch ein gutes Beispiel für das Phänomen um das geht. Die meisten werden vermutlich schon mal einen Satelliten gesehen haben. Wenn man lang genug zum Nachthimmel schaut, wird man ziemlich bald den einen oder anderen Lichtpunkt sehen, der sich vergleichsweise schnell durch das Sternenfeld bewegt. Manchmal leuchtet so ein Punkt aber auch plötzlich enorm hell auf; heller als die Sterne. Dann stehen die Chancen gut, dass man einen "Iridium-Flare" beobachtet hat; dann steht der Satellit gerade so, dass Sonnenlicht von seinen großen Antennen genau zur Erde reflektiert werden kann. Das sieht beeindruckend aus und man kann sich im Internet auch die Zeiten heraussuchen, zu denen man so etwas beobachten kann. Aber wenn man es nicht mit 66 Satelliten zu tun hat, sondern mit 66.000, dann wäre die Lage vermutlich anders. Genau das ist aber das Problem: 2018 schickte die Firma Space X die ersten Testsatelliten ihres "Starlink"-Netzwerkes ins All und da geht es nicht mehr um ein paar Dutzend künstlicher Himmelskörper, die am Ende die Erde umkreisen sollen, sondern um ein paar tausend bis zehntausend. Andere Firmen, wie Amazon, planen ähnliche Satellitennetzwerke um weltweit Internet anbieten zu können. Es ist also nicht unmöglich, dass in Zukunft hunderttausende künstliche Himmelskörper die Erde umkreisen. Das ist durchaus nicht ohne Probleme. Zuerst einmal für die Forschung: In der Astronomie nutzt man Teleskope, um Aufnahmen des Himmels zu machen. Dabei wird oft minuten- oder stundenlang belichtet um noch möglichst leuchtschwache Objekte abbilden zu können. Wenn da nun aber ein ganzes Netz an Satelliten die Erde umspannt, werden die selbstverständlich immer wieder durch das Bild fliegen und dort Spuren hinterlassen. Diese Spuren kann man zwar leicht erkennen und später aus den Daten entfernen. Aber das ist erstens zusätzliche Arbeit. Und zweitens fehlen am Ende trotzdem Daten. Da, wo die Kamera eine Satellitenspur abgebildet hat, kann sie nichts anderes mehr abbilden. Die Auswirkungen der großen Satellitennetzwerke werden nicht überall auf der Erde gleich stark sein und sie werden am Abend und am Morgen stärker sein als mitten in der Nacht. Aber es wird sie geben und die Forschung wird mehr Zeit und Arbeit aufwenden müssen und trotzdem noch Daten und Beobachtungsmöglichkeiten verlieren. Dass die äußerst sensiblen Instrumente der Wissenschaft von den Satelliten beeinflusst werden, ist klar. Aber was ist mit den Augen der Menschen? Was kriegen wir davon mit? Das ist ein bisschen schwieriger zu beantworten. Nicht alle Satelliten leuchten so hell wie ein Iridium-Flare. Manche sind kaum zu sehen; manche sind für unsere Augen gar nicht zu sehen. Unser Auflösungsvermögen ist zu schlecht dafür; was aber nicht heißt, dass das Licht das die Satelliten von der Sonne in Richtung Erde reflektieren, nicht vorhanden ist! Es kann ja nicht einfach verschwinden. Jedes Objekt in der Umlaufbahn der Erde - künstliche ebenso wie natürliche, zum Beispiel Staubteilchen oder ähnliches - reflektiert Sonnenlicht. Und dieses Licht wird in der Atmosphäre der Erde gestreut und macht sie ein wenig heller. Satelliten die unsere Augen nicht auflösen können, sehen wir zwar nicht direkt. Aber wir nehmen ihr Licht als diffuse Aufhellung der Nacht wahr. Wenn das nur ein paar Satelliten sind, merken wir das natürlich nicht. Aber mittlerweile haben wir eben mehr als nur ein paar Satelliten am Himmel. Und daneben noch viel mehr Weltraumschrott, der sich im Laufe der Zeit angesammelt hat und weiter ansammeln wird. Im Juni 2021 haben Forscherinnen und Forscher eine entsprechende Analyse des Streulichts durchgeführt, das von den aktuellen vorhandenen künstlichen Objekt ausgeht. Das Ergebnis: 20 Mikrokandela pro Quaratmeter. Darunter kann man sich wenig vorstellen, aber das entspricht einer 10prozentigen Erhöhung der Nachthimmelhelligkeit, ausgehend von dem Niveau das vorhanden wäre, wenn es keine künstlichen Lichter auf der Erde gäbe. Diese 10 Prozent sind jetzt nicht wahnsinnig viel, aber sie liegen gerade an der Grenze des Limits, dass die Astronomie eigentlich für optimale Beobachtungsbedingungen festgelegt hat. Und im Gegensatz zu der Lichtverschmutzung die von den Lichtern der Städte stammt, kann man diesem Licht auch nicht entkommen, wenn man sich auf hohe Berge in fernen Wüsten zurück zieht. Es ist absolut wichtig, sich darum zu kümmern, dass wir die Nacht nicht mehr unnötig heller machen. Aus wissenschaftlichen Gründen, aus kulturellen, aus biologischen, aus medizinischen und aus wirtschaftlichen Gründen. Wir müssen aber auch darauf achten, dass wir mit all den Satelliten im All nicht irgendwann einen Schaden anrichten, der schwer korrigiert werden kann. Der Weltraum gehört niemandem. Oder anders gesagt: Der Weltraum gehört uns allen. Auf der Erde sind wir - zum Glück - irgendwann drauf gekommen, dass wir nicht einfach machen können, was wir wollen. Wir können nicht überall Häuser, Städte, Fabriken hinbauen; nicht überall nach Bodenschätzen graben; nicht überall Straßen durchziehen. Wir haben Naturschutzgebiete eingerichtet, weil wir erkannt haben, dass es auch für uns Menschen wichtig ist, dass es Teile der Erde gibt, aus denen wir uns raushalten. Genau das gilt auch fürs All. Der Weltraum ist eine Ressource; für unsere Wirtschaft, für unsere Technik und für die wissenschaftliche Erkenntnis. Aber auch eine kulturelle Ressource für unsere Fantasie, Inspiration, unsere Gedanken und unsere Träume. Wir brauchen den Blick zum dunklen Nachthimmel; dieser Blick hat uns Jahrtausende lang als Menschen geprägt und zu dem gemacht, was wir heute sind. Wie müssen uns uns die Dunkelheit erhalten, wenn wir uns selbst nicht verlieren wollen.
undefined
Sep 16, 2022 • 16min

Sternengeschichten Folge 512: Berge und Pyramiden - Der Astronom Charles Piazzi Smyth

Erich von Dänikens Inspiration Sternengeschichten 512: Berge und Pyramiden - Der Astronom Charles Piazzi Smyth In der heutigen Folge der Sternengeschichten geht es um das Universum und die Erde, um Wolken und klare Nächte, um Berge und Pyramiden und um einen Astronomen, der einerseits sehr umstrittene Sachen erzählt hat, ohne den die Astronomie aber andererseits nicht so funktionieren würde, wie sie es heute tut. Ich erzähle euch heute etwas über den schottischen Wissenschaftler Charles Piazzi Smyth. Und wer jetzt denkt: "Piazzi! Das war doch der Italiener, der 1801 den ersten Asteroiden entdeckt hat", hat völlig recht. Denn der Vater von Charles war William Henry Smyth, ein Admiral in der britischen Royal Navy. Und ein Astronom. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war er im Mittelmeerraum stationiert, traf dort Eliza Anne Warington, die Tochter des britischen Vizekonsuls von Neapel. Dort, in Neapel, wurde am 3. Januar 1819 auch ihr Sohn Charles geboren und weil William Henry gut mit dem italienischen Astronom Giuseppe Piazzi befreundet war, wurde der zum Taufpaten des Kindes, das dann auch offiziell "Charles Piazzi Smyth" genannt wurde. Die Familie blieb nicht mehr lange in Italien sondern übersiedelte nach England. Charles war ein schlaues Kind und lernte schon früh die Astronomie kennen; in der privaten Sternwarte, die sich sein Vater eingerichtet hatte. Sein Vater verschaffte Charles auch den ersten Job: Mit 16 Jahren wurde er Assistent von Sir Thomas Maclear, der damals gerade in Südafrika am Kap der Guten Hoffnung astronomische Beobachtungen durchführte. Charles katalogisierte die Sterne des Südhimmels, beobachtete Kometen und half auch dabei, die Größe der Erde zu vermessen. 1846 tauschte Piazzi Smyth dann aber die klaren Nächte der Südhalbkugel gegen den regnerischen Himmel der schottischen Hauptstadt Edinburgh. Er wurde zum Astronomer Royal von Schottland berufen und richtete sich an der Carlton Hill Sternwarte ein. Abgesehen vom eher schlechten Wetter litt Piazzi Smyth vor allem unter der mangelhaften Finanzierung der Sternwarte. Es ist also kein Wunder, dass Charles wieder in den Süden wollte. Und da kam ein Vorschlag von Isaac Newton gerade recht. Der war zwar schon lange tot, aber das hat nicht gestört. Newton, der ja unter anderem die Optik auf ein völlig neues, naturwissenschaftlich-mathematisches Niveau gehoben und auch das erste wirklich brauchbare Spiegelteleskop gebaut hat, hat schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts vermutet, dass man weiter oben in der Atmosphäre der Erde viel bessere Beobachtungen anstellen könnte als unten. Auf hohen Bergen, die über die meisten Wolken hinaus ragen müsse die Luft viel ruhiger und der Blick zu den Sternen viel klarer und schärfer sein, hat er damals geschrieben. Die Astronomie fand aber trotzdem weiterhin unten am Boden und in den Städten statt, dort wo in der Vergangenheit die ganzen Sternwarten gebaut wurden. Charles Piazzi Smyth wollte aber endlich praktisch testen, was Newton behauptet hat. Er konnte die britische Admiralität überzeugen, eine entsprechende Expedition zu finanzieren. Warum gerade die Admiralität? Weil die natürlich damals ein großes Interesse an astronomischen Beobachtungen hatte; das war wichtig zur Positionsbestimmung und Navigation auf den Meeren. Der Ingenieur Robert Stephenson - Sohn von George Stephenson, der die erste brauchbare Lokomotive baute und selbst ein wichtiger Konstrukteur von Eisenbahnen - lieh Piazzi Smyth seine Jacht; vom Chemiker Hugh Lee Pattinson bekam Smyth ein Teleskop und von der Armee ein paar alte Zelte. Mit dem ganzen Zeug machte sich Smyth mit seiner Frau Jessica - einer Geologin - auf nach Teneriffa. Auf der größten der kanarischen Inseln liegt der Pico del Teide, ein 3715 m hoher Vulkankegel. Dort oben wollte Smyth ein Observatorium errichten und die Theorie von Isaac Newton testen. Das war nicht einfach; das ganze Material musste von Menschen und Maultieren die Berge hinauf transportiert werden. Zuerst richteten sich Charles und Jessica auf dem Alto de Guajara ein, einem 2715 m hohen Berg südlich des Teide. Die Beobachtungen waren vielversprechend, aber es gab immer wieder jede Menge Staub in der Atmosphäre der die Betrachtung des Himmels störte. Also musste sie höher hinauf und verlegten den Beobachtungsposten auf die östliche Flanke des Teide; auf eine Höhe von 3300 Metern. Die "Alta Vista Sternwarte", die sie dort einrichteten war eine eher provisorische Angelegenheit aber die Ergebnisse waren grandios. Wo man von Edinburgh und selbst von den tieferen Lagen auf Teneriffa einen Doppelstern nur als verwaschenen Blob erkennen konnte, waren auf dem Teide klar und deutlich zwei Lichtpunkte zu sehen. Die Expedition auf die kanarischen Inseln war ein voller Erfolg und Smyth konnte eindeutig demonstrieren, dass es sich mehr als nur lohnt, astronomische Beobachtungen auf hohen Bergen durchzuführen. Das Buch, dass er darüber schrieb, wäre aber fast nicht veröffentlicht worden. Es sollte von der Royal Society veröffentlicht werden, aber die fand es nicht gut, dass Smyth auch so viel über Geologie und Botanik geschrieben hatte anstatt sich auf die Astronomie zu konzentrieren. Außerdem wollte sie die ganzen Fotos nicht drucken, die Smyth gemacht hatte. Die Fotografie war damals noch recht jung und Smyth experimentierte mit den verschiedenen Verfahren. 1858 erschien das Buch dann trotzdem; Charles und Jessica produzierten es einfach selbst und es war das erste Buch, das mit stereoskopischen Fotografien illustriert war. Das sind Aufnahmen die das selbe Motiv aus zwei leicht unterschiedlichen Blickwinkeln zeigen. Auf die richtige Weise betrachtet, geben sie einem einen räumlichen Eindruck der Szene. Das war aber nicht der hauptsächlich Grund warum sich Smyth dafür entschieden hatte; er hat das auch aus Gründen der wissenschaftlichen Exaktheit getan. Die Fotografie war damals nicht so exakt wie heute; es gab Bildfehler und andere Phänomene die die Aufnahme verfälschen können. Aber wenn man zwei Bilder des selben Motivs hat, kann man sofort sehen, was tatsächlich echt ist und was nur ein Bildfehler, denn die findet man im Allgemeinen nicht auf beiden Aufnahmen an der gleichen Stelle. Der Streit zwischen Smyth und dem Rest der wissenschaftlichen Gemeinschaft über die Publikation seines Buchs war quasi eine Vorschau auf das, was noch kommen würde. Aber dazu später mehr; schauen wir zuerst, mit was sich Smyth noch beschäftigt hat: Vor allem dem Sonnenspektrum. Dass man Sonnenlicht durch ein passend geformtes Stück Glas fallen lassen kann, so dass es in die Farben des Regenbogen aufgespalten wird, wusste man schon lange und schon Newton hatte gezeigt, dass Licht tatsächlich aus verschiedenen Farben zusammengesetzt ist. Im 19. Jahrhundert hatte man dann auch dunkle Linien im Regenbogen des Sonnenlichts entdeckt, wusste aber nicht, woher die stammen. Erst später wurde klar, dass sie von den Atomen erzeugt werden aus dem das Material besteht, das das Licht durchquert. Jedes chemische Element erzeugt sein eigenes charakteristisches Muster aus dunklen Linien im Regenbogen. Nur: Licht von der Sonne durchquert ja nicht nur die Gasschichten unseres Sterns und das leere Weltall, sondern auf dem Weg in die Teleskope auch die Atmosphäre der Erde. Welche Linien im Spektrum stammen jetzt von der Sonne und welche von der Erdatmosphäre? Das wollte Smyth herausfinden und nutzte dafür wieder die Beobachtungen die er auf hohen Bergen durchführen konnte. Schaut man Mittags zur Sonne, dann steht sie direkt über einem und das Licht muss weniger Atmosphäre durchqueren als wenn man die Sonne am Horizont betrachtet und quasi einmal quer durch die ganzen Luftschichten beobachten muss. Das gilt um so mehr, wenn man auf einem hohen Berggipfel steht: Dann läuft der Blick nach oben durch noch weniger Atmosphäre und der zum Horizont dafür durch mehr. Smyth wollte nun schauen, welche Linien stärker und schwächer werden, je nach dem wann und wo er das Spektrum beobachtete. Linien, die vor allem beim Blick zum Horizont stark zu sehen sind, beim Blick nach oben aber nicht, müssen ziemlich sicher von der Erdatmosphäre stammen. Bei all diesen Beobachtungen ging es Smyth sowohl darum, den Nachthimmel und die Sterne besser zu verstehen, als auch die Lufthülle unseres Planeten. Er fand zum Beispiel etwas, das er das "Regenband" nannte: Bei der Arbeit mit einem kleinen "Taschenspektroskop" stellte er fest, dass er immer wieder eine ganz bestimmte dunkle Linie im Spektrum sah, kurz bevor es zu regnen begann. "Die muss vom Wasser in der Atmosphäre stammen, dass sich dort ansammelt, bevor es dann zu regnen beginnt. Das wäre eine tolle Methode, um Wettervorhersagen zu machen", hat Smyth sich gedacht. Und das wäre auch so gewesen; die Meteorologie war damals ja auch erst in ihren Anfängen und Wetterprognosen wie heute komplett unmöglich. Aber leider war die Sache dann doch nicht so einfach. Erstens war die Messung deutlich schwieriger als gedacht. Smyth war es gewohnt, mit einem Blick durch das Spektroskop das Regenband auch zu sehen. Es braucht viel Übung, wenn man mit diesen Instrumenten arbeiten will. Und dann war es auch nicht so klar, dass dieses "Regenband" wirklich ein eindeutiges Vorzeichen für nahenden Niederschlag ist. Später verlegte Smyth sich auf die Beobachtung, Fotografie und wissenschaftliche Beschreibung von Wolken; was damals auch ein ziemlich neues Forschungegebiet war. Aber heute kennt man ihn - neben seiner astronomischen Arbeit auf den Bergen der kanarischen Inseln - vor allem für das, was er in Ägypten getrieben hat. Smyth war, so wie viele andere vor und nach ihm - sehr beeindruckt von den großen Pyramiden. Er reiste dorthin, um alles genau zu messen und zu dokumentieren. Aus all diesen Messungen leitete er eine Längeneinheit ab, die seiner Meinung nach die Grundlage für den Bau der Pyramiden gewesen sein muss. Und überraschenderweise war dieser "Pyramidenzoll" genau so lang wie 1001 britische Zoll. Laut Smyth - der ein sehr religiöser Mensch war - wurde die Maßeinheit des Pyramidenzoll direkt von Gott an Noah gegeben und nach der biblischen Sintflut errichteten die Nachfahren von Noah die großen Pyramiden, ebenfalls mit göttlicher Hilfe und göttlichen Maßeinheiten. Mehr noch; Smyth war ein Anhänger des sogenannten "Anglo-Israelismus", also der Auffassung, dass die Briten die Nachfahren der Israeliten sind. Von den in der Bibel erwähnten 12 Stämmen des Volkes Israel zehn von den Assyrer umgesiedelt worden und seitdem verschollen. Aus historischer Sicht ist die biblische Geschichte sowieso immer kritisch zu betrachten, aber damals sah man das noch anders und Smyth war fest davon überzeugt, dass ein paar Stämme ihren Weg auf die britischen Inseln gefunden haben. Und es deswegen auch kein Wunder sein, dass man dort eben auch die selben göttlichen Maßeinheiten verwendet, die schon beim Bau der Pyramiden benutzt worden sind. Und das neumodische metrische System aus Frankreich muss unter anderem deswegen strikt abgelehnt werden. Na ja, Smyth war außerdem fix davon überzeugt, dass die Pyramiden voller geheimer Botschaften und Prophezeiungen Gottes stecken, die entschlüsselt werden können, wenn man sie nur genau genug vermisst und die Zahlen entsprechend interpretiert. Charles Piazzi Smyth war nicht der erste, der sich mit dieser "Pyramidologie" beschäftigt hat, aber er war derjenige, der sie mit seinen Büchern dazu extrem populär gemacht hat und ist damit quasi der Vorläufer von modernen Pseudowissenschaftlern wie Erich von Däniken, die dann allerdings eher Außerirdische anstatt Gott als Konstrukteure der Pyramide ansehen. Wie man sich denken kann, war der Rest der wissenschaftlichen Gemeinschaft auch damals schon nicht sonderlich begeistert von solchen Hypothesen. Man hat seine archäologische Arbeit und die wichtige Sammlung von Daten über die Pyramiden zwar durchaus anerkannt; die Schlussfolgerungen daraus aber nicht unbedingt. Charles Piazzi Smyth ist eine kontroverse Gestalt. Die kanarischen Inseln sind heute eines der astronomischen Zentren der Welt; auf dem Teide gibt es jede Menge Observatorien an denen Spitzenforschung durchgeführt wird; so wie auf anderen Berggipfeln in Chile, Hawaii oder Südafrika. Ohne die Pionierarbeit von Symth hätte es vermutlich länger gedauert, bis die Astronomie sich dort eingerichtet hätte. Smyth hat die Erforschung der Erdatmosphäre vorangetrieben, die Wolkenforschung, die Fotografie; sich dabei aber immer wieder und weiter vom Rest der wissenschaftlichen Community entfernt und mit seiner Arbeit zum Ursprung der Pyramiden dann ganz isoliert. Die wissenschaftlichen Ehrungen die ihm im Laufe seines Lebens verliehen worden sind, trägt er aber absolut zu Recht; ebenso wie die nach seinem Tod. Charles Piazzi Smyth starb am 21. Februar 1900. 1935 wurde ein Mondkrater nach ihm benannt und seit 2022 gibt es auch einen Asteroiden der seinen Namen trägt.
undefined
Sep 9, 2022 • 15min

Sternengeschichten Folge 511: Die Rotation der Erde

Was bremst den Planet? Sternengeschichten Folge 511: Die Rotation der Erde In der heutigen Folge der Sternengeschichten geht es um die Rotation der Erde. Das wird eine kurze Folge, könnte man meinen: Die Erde dreht sich um ihre Achse und braucht dafür 24 Stunden. Fertig, was mehr gibt es da zu sagen? Nun, jede Menge - ansonsten wäre das ja kein Thema für diesen Podcast! Ich überspringe sogar den großen Teil der Geschichte, als noch nicht klar war, ob die Erde sich überhaupt dreht. Bis in die frühe Neuzeit hinein war man ja noch mehrheitlich der Meinung, dass die Erde unbewegt im Zentrum des Universums steht und sich alles um sie herum bewegt. Genau so sieht es ja auch aus, wenn man nachts zum Himmel schaut: Die ganzen Sterne drehen sich um uns herum. Heute wissen wir natürlich, dass das eben tatsächlich nur so aussieht. Die Sterne am Himmel bewegen sich - zumindest in erster Näherung - nicht, sie stehen fix an ihren Positionen. Aber die große Kugel der Erde dreht sich um ihre Achse und darum schaut es so aus, als würden sich die Sterne bewegen. Also: Die Erde rotiert und sie tut das um eine Achse, die durch den Nordpol und den Südpol verläuft. Per Definition zeigt diese Achse nach Norden und dadurch bewegen sich alle Punkte der Erdoberfläche von Westen nach Osten. So richtig spannend wird es aber, wenn man wissen will, wie lange die Erde für eine Drehung braucht. Im Alltag dauert eine komplette Rotation, also das, was wir einen Tag nennen, bekanntlich 24 Stunden. Aber die Wissenschaft schaut sich die Sache natürlich genauer an. Und da muss man sich zuerst einmal überlegen, in Bezug auf was man die Rotation überhaupt misst. Wäre die Erde der einzige Himmelskörper im Universum, dann gäbe es keinen Bezugspunkt, anhand dessen man feststellen könnte, wie lange so eine Rotation dauert. Aber das ist ja nicht der Fall. Wir haben zum Beispiel jede Menge Sterne. Wir könnten jetzt zum Beispiel warten, bis ein bestimmter Stern exakt über unserem Kopf steht. Und dann warten, bis sich die Erde so weit gedreht hat, dass dieser Stern wieder genau an diesem Punkt angekommen ist. Das ist prinzipiell eine durchaus plausible Methode, denn die Sterne bewegen sich ja nicht. Allerdings nur, wenn man nicht allzu genau schaut. In der Zeit, die die Erde für eine Umdrehung braucht, ist die Bewegung der Sterne tatsächlich kaum zu messen. Aber sie bewegen sich eben doch; alle Sterne umrunden das Zentrum der Milchstraße und ihre Positionen am Himmel verändern sich daher im Laufe der Zeit. Um das zu merken muss man ihre Positionen sehr genau messen, aber das können wir mittlerweile und das macht sie eben nur bedingt als Bezugspunkt für die Erdrotation geeignet. Wir brauchen etwas, das sich nicht bewegt und so etwas gibt es im Universum leider nicht. Alles bewegt sich - aber je weiter etwas von uns entfernt ist, desto geringer fällt die von der Erde sichtbare scheinbare Bewegung aus. Daher verwendet man heute die Zentren weit entfernter anderer Galaxien. Auch die bewegen sich natürlich, aber weil sie viele Millionen Lichtjahre entfernt sind, erscheint uns diese Bewegung so gering, dass man für alle praktischen Zwecke als unbewegt annehmen kann. Bestimmt man nun also die Zeit die die Erde für eine Drehung um ihre Achse in Bezug auf diese enorm weit entfernten Himmelskörper braucht, dann kommt man auf einen Wert von 23 Stunden, 56 Minuten und 4,0989 Sekunden. Dieser Zeitraum wird auch der "mittlere siderische Tag" genannt. Und das Wort "mittlere" sagt uns schon, dass auch das kein für alle Zeiten fixer Wert ist. Bevor wir uns damit beschäftigen schauen wir nochmal kurz in Richtung Sonne. Denn wir können natürlich auch messen, wie lange es dauert, bis die Erde sich so weit gedreht hat, dass die Sonne wieder am gleichen Punkt des Himmels steht. Das sind im Mittel 24 Stunden und dieser "Sonnentag" ist das, was wir im Alltag für die Zeitmessung verwenden. Der Unterschied von knapp 4 Minuten entsteht, weil sich die Erde während ihrer Drehung um die eigene Achse ja auch um die Sonne herum bewegt. Während einer Rotation verändert also die Erde ihre Position in Bezug auf die Sonne und um das auszugleichen muss sie sich noch ein paar Minuten länger drehen, bis die Sonne wieder am gleichen Punkt zu sehen ist. Aber zurück zum siderischen Tag. Dem "mittleren" siderischen Tag, denn die Erde braucht nicht immer exakt gleich lange für eine Drehung. Es gibt Schwankungen und die können viele Ursachen haben. Über eine davon habe ich schon in Folge 161 gesprochen, als es um die Gezeiten ging. Durch die Gezeitenkraft, die der Mond auf die Erde ausübt, wird die Erde ein klein wenig gebremst. Nur ein paar Millisekunden pro Jahr, aber im Laufe der Zeit läppert sich das zusammen. Als vor 70 Millionen Jahren noch Dinosaurier über die Erde gewandet sind, hat die Erde nur 23 Stunden und 30 Minuten für eine Drehung um ihre Achse gebraucht, vor 1,4 Milliarden Jahren hat ein Tag nur 18 Stunden und 41 Minuten gedauert. Diese Bremsung wird weitergehen; die Dauer eines Tages wird jedes Jahr um circa 17 Mikrosekunden länger werden. Das wird erst in ferner Zukunft enden; dann wird die Erde für eine Rotation gut 40 Tage brauchen; erst dann sind Erde und Mond in ihrer Bewegung so aufeinander abgestimmt, dass keine Gezeitenreibung mehr stattfindet. Aber darauf brauchen wir nicht warten; das ist nur ein theoretisches Ergebnis - zu diesem Zeitpunkt wird die Sonne schon längst zu einem roten Riesenstern geworden sein. Es gibt aber auch kurzfristige Schwankungen der Tageslänge. Ausreichend exakte Messungen werden seit 1962 durchgeführt. Damals hat die Erde für eine Rotation gut eine Millisekunde länger gebraucht als die Referenztageslänge von 86.400 Sekunden (also 24 Stunden). Bis zu den 1970er Jahren ist die Abweichung sogar auf mehr als 3 Millisekunden angestiegen. Danach wurden die Tage wieder kürzer und die Abweichungen schwankten zwischen einer und zwei Millisekunden. Zu Beginn der 2020er Jahre fiel die Rotationsdauer sogar unter den Referenzwert und die Tage waren so kurz wie seit Beginn der Messungen nicht mehr. Was ist der Grund für diese Schwankungen? Es liegt nicht an der Messgenauigkeit; wir sind durchaus in der Lage die Dauer einer Rotation ausreichend genau zu messen, um Abweichungen im Millisekundenbereich zu bestimmen. Die tatsächlichen Gründe für die kurzfristigen Veränderungen sind vielfältig. Das, was die Rotation der Erde beschreibt, nennt sich Drehimpuls; das ist quasi die Energie, die in der Drehbewegung steckt. Der Drehimpuls ist eine fundamentale Erhaltungsgröße, wie die Energie und kann sich nicht ändern. Die Rotationsgeschwindigkeit ist aber nicht identisch mit dem Drehimpuls; physikalisch gesehen ist der Drehimpuls das Produkt aus Drehgeschwindigkeit und dem sogenannten Trägheitsmoment. Da der Drehimpuls konstant sein muss, kann sich die Geschwindigkeit der Erdrotation also nur dann ändern, wenn sich auch das Trägheitsmoment ändert und zwar genau so, dass am Ende wieder in Summe alles gleich bleibt. Das Trägheitsmoment ist eine komplexe Sachen, aber simpel gesagt hängt es davon ab, wie die Masse der Erde verteilt ist und welche Form die Erde hat. Und unser Planet ist ja weder eine exakt Kugel, noch ist die Masse der Erde überall und immer gleich verteilt. Das klassische Beispiel in solchen Situationen ist der Piroutteneffekt: Wenn ein Eiskunstläufer die Arme und Beine dicht an den Körper zieht und sich klein und kompakt macht, kann er sich schnell drehen. Streckt er dann aber Arme und Beine aus, verändert er seine Massenverteilung und die Drehbewegung wird schlagartig langsamer. Die Erde hat jetzt zwar keine Arme und Beine. Aber sie hat zum Beispiel Gletscher. Wenn so ein Gletscher schmilzt, was sie ja dank der Klimakrise immer schneller tun, dann fließt Wasser, das zuerst als Eis hoch oben am Berg war, in flüssiger Form hinab ins Tal und durch die Flüsse in die Meere. Es verlagert sich also Masse von oben nach unten und das mag nach einem vernachlässigbaren Effekt klingen. Ist aber tatsächlich etwas, was die Erdrotation messbar verändern kann. Gleiches gilt für das, was passiert, wenn die Gletscher geschmolzen sind. In der letzten Eiszeit war etwa Nordeuropa komplett von Eis bedeckt. Das ist geschmolzen und jetzt fehlt das ganze Gewicht dieses Eises, dass die Landschaft nach unten gedrückt hat. Wir können heute noch messen, wie sich zum Beispiel ganz Skandinavien leicht hebt; die "Delle", die das Eis durch sein Gewicht in der Erdkruste hinterlassen ist, ist also immer noch dabei, sich zu schließen. Und auch diese Veränderungen in der Form der Erde haben Auswirkungen auf die Rotation. Auch im Inneren der Erde gibt es immer wieder Massenverlagerungen. Im äußeren Erdkern fließen gewaltige Ströme aus geschmolzenen Metall und Gestein. Das führt immer wieder zu Änderungen im Trägheitsmoment und damit zu Änderungen der Rotationsgeschwindigkeit. Selbst der Wind spielt eine Rolle: Die Atmosphäre der Erde ist ständig in Bewegung und die Luft strömt manchmal schneller um die Erde herum als die sich drehen kann und mal langsamer. Und natürlich ist die Atmosphäre nicht völlig von der Erdkruste abgekoppelt; da sind ja zum Beispiel Gebirge, gegen die der Wind pustet. Auch das beeinflusst die Erdrotation. Manche dieser Effekte hängen mit den Jahreszeiten zusammen; viele großräumige Windströmungen ändern sich im Laufe des Jahres, genau so wie der Niederschlag. Denn auch das ist eine Änderung in der Massenverteilung: Wasser aus Flüssen und Meeren verdampft, steigt auf und regnet dann wieder aus den Wolken runter. Die durch schmelzende Gletscher, Eiszeiten oder die Vorgänge im Erdinneren ablaufenden Prozesse führen zu Änderungen der Erdrotation im Laufen von Jahren, Jahrzehnten oder Jahrhunderten. Und all das überlagert sich, was es schwer macht, exakt zu beschreiben oder gar vorherzusagen wie schnell sich die Erde dreht. Dazu kommen Einzelereignisse: Erdbeben sind ja auch nichts anderes als Verlagerungen der Masse in der Erdkruste. Als 2004 ein enormes Beben im indischen Ozean stattgefunden hat, gab es nicht nur einen Tsunami der eine katastrophale Anzahl an Todesopfern gefordert hat. Auch die Rotation der Erde wurde dadurch um 8 Mikrosekunden kürzer. Wir können die Erdrotation sogar künstlich verändern: Als China Anfang des 21. Jahrhunderts die gewaltigen Drei-Schluchten-Talsperre gebaut hat, entstand ein Staubecken, dass knapp 30 Millionen Kubikkilometer Wasser halten kann. Wasser, das vorher ganz woanders lang geflossen ist und so eine Massenumlagerung bremst die Erde um ein paar Hundertstel Mikrosekunden. All diese Schwankungen der Erdrotation sind vor allem aus wissenschaftlicher Sicht interessant; wir können daraus viel darüber lernen, wie die Erde als Planet funktioniert. Für den Alltag spielt es keine Rolle, ob der Tag jetzt ein paar Mikrosekunden kürzer oder länger ist. Bescheid wissen müssen wir aber trotzdem. Mittlerweile haben wir ja überall Computer, die nur mit sehr exakten Zeitangaben arbeiten können; Satelliten die auf exakte Atomuhren angewiesen sind, und so weiter. Damit da nicht alles durcheinander kommt, müssen wir uns auf eine Zeit einigen und die sollte nicht allzu sehr von der Alltagszeit abweichen. Deswegen wird sehr genau geschaut, wie sich die Erdrotation verändert und wie groß die Abweichung von der Referenzzeit ist. Wenn die Tageslänge zum Beispiel 2 Millisekunden über dem Referenzwert liegt und das 500 Tage lang so bleibt, würde eine Atomuhr im Vergleich zur Erdrotation schon um eine Sekunden falsch gehen. Soll heißen: Die Atomuhr würde Mitternacht um eine Sekunde zu früh oder spät anzeigen, verglichen mit der tatsächlichen Position der Erde in Bezug auf die fernen Galaxien. Und für eine Atomuhr ist eine Sekunde Abweichung ein wenig viel - deswegen fügt man immer wieder mal Schaltsekunden ein, um das auszugleichen. Im Gegensatz zu den Schalttagen, die ja nach gewissen Regeln in den Kalender gepackt werden kann man aber nicht vorhersagen, wann wieder eine Schaltsekunde nötig wird. 1992, 1993, 1994 und 1995 hat man Schaltsekunden eingefügt; 1997 und 1998 auch. Aber dann war wieder Ruhe bis 2005. Wie gesagt: Es lässt sich nicht exakt vorhersagen, wie sich die Erdrotation von Jahr zu Jahr verändert. An unserem Alltag ändert das nichts. Die Tage werden zwar kürzer und länger. Aber eben nur für Millisekunden und das reicht leider nicht, um sich mal ordentlich ausschlafen oder einen Kurzurlaub einplanen zu können…
undefined
Sep 2, 2022 • 15min

Sternengeschichten Folge 510: Die wunderbare Nebelkammer

Entdeckung in den Wolken Sternengeschichten Folge 510: Die wunderbare Nebelkammer Wissenschaft funktioniert deswegen, weil wir die Welt beobachten. Früher, als wir noch quasi gar nichts gewusst haben, konnte man tatsächlich einfach "nur" beobachten. Also schauen, wie Äpfel von Bäumen fallen. Oder wie Wellen an den Strand klatschen. Oder Vögel fliegen. Und so weiter. Aber damit kommt man nicht beliebig weit. Genau deswegen haben wir Mikroskope erfunden. Und Teleskope. Und all die anderen Beobachtungs- und Messinstrumente mit denen die moderne Wissenschaft heute arbeitet. Ein ganz besonderes Instrument ist die Nebelkammer. Damit kann man das eigentlich Unsichtbare beobachten und zwar, in dem man auf Nebel starrt. Das klingt absurd, denn Nebel ist ja eigentlich etwas, das die Beobachtung erschwert. In dem Fall macht er sie aber erst möglich; mit einer Nebelkammer konnte die Welt der Elementarteilchen das erste Mal quasi direkt erforscht werden. Der undurchsichtige Nebel hat uns die Augen für die unsichtbaren Bausteine der Atome geöffnet. Die Nebelkammer wurde vom Schotten Charles Thomas Rees Wilson erfunden. Er wurde am 14. Februar 1869 in Glencorse geboren, als Sohn eines Bauerns in der Nähe von Edinburgh. Der Vater starb aber, als Wilson erst vier Jahre alt war und seine Mutter zog mit ihm und seinen sechs Geschwistern nach Manchester. Wilson war schlau und studierte zuerst am Owen's College in Manchester und dann an der Universität Cambridge. Eigentlich hatte er vor, Arzt zu werden - stellte aber bald fest, dass er sich viel mehr für Chemie und Physik interessierte. Und neben der Forschung hatte er eine weitere große Leidenschaft: Das Wandern. Das tat Wilson vor allem in seiner Heimat Schottland und eines seiner Lieblingsziele war der Ben Nevis. Der höchste Berg Schottlands und Großbritannien ist zwar nur 1345 Meter hoch, das reicht aber, dass man von oben auf die Wolken herab blicken kann, wenn das Wetter passt. Und dass man beim Anstieg mitten durch die Wolken und den Nebel wandert. Und Wilson fand Wolken und Nebel großartig. Er konnte sich die Wolken ewig anschauen und darüber nachdenken, wie sie funktioniern und wie sie entstehen. In Folge 105 der Sternengeschichten habe ich ja schon ausführlich über die Wolkenforschung gesprochen, die im 19. Jahrhundert gerade so richtig wissenschaftlich Fahrt aufnahm. Und auch von Wilsons Kollegen in Großbritannien durchgeführt wurde. Zum Beispiel von John Aitken, der als erster herausfand, dass man sogenannte Kondensationskerne braucht, wenn Wolken entstehen sollen. Also irgendwas, an dem sich die Feuchtigkeit die in der Luft ist auch anlagern kann, so dass die großen Wassertropfen entstehen, die eine Wolke bilden und sichtbar machen. Um das zu erforschen hat Aitken einen Apparat gebaut, der auch im Labor Wolken erzeugen kann. Im Prinzip war das nur eine Glaskugel, in der jede Menge Wasser- beziehungsweise Alkoholdampf war. Wenn dann noch Staub dazu gegeben wurde, konnte sich die Tröpfchen dort anlagern. Aitken hat das vor allem deswegen getan, weil er rausfinden wollte, wie viel Staub so in der Atmosphäre rumfliegt und wie groß die Staubteilchen sind. Da er die aber nicht so gut zählen konnte, hat er sie auf dem Umweg seiner Apparatur in Nebeltropfen umgewandelt, die mit Licht beleuchtet und weil es um so mehr Nebeltropfen gab, je mehr Staub in der Atmosphäre war, konnte er aus der Menge des reflektierten Lichts die Staubmenge abschätzen. Aitken hat übrigens auch als einer der Ersten mit der Luftverschmutzung in den Städten, mit dem Smog beschäftigt und gezeigt, dass der vor allem aus den Rußpartikeln entsteht, die bei der Verbrennung von Kohle in die Luft gelangen. Aber zurück zu Wilson. Der war weiterhin fasziniert von der Vielfalt und Ästhetik der Wolken und des Nebels, die er bei seinen Wanderungen durch Schottland beobachten konnte. Aber er war auch Wissenschaftler und wollte den Nebel verstehen. Also hat er sich eine Maschine wie die von Aitken gebaut und in seinem Labor den künstlichen Nebel betrachtet. Im Prinzip würde das als Zusammenfassung seiner Forschungsarbeit schon reichen: Wenn Wilson nicht gerade Vorlesungen an der Uni halten musste, stand er im Labor, bastelte an der Nebelmaschine herum und betrachtete das Ergebnis. In jahrelanger Arbeit hat er die Maschine immer weiter verbessert. Anfangs wollte er nur die Arbeit von Aitken nachvollziehen. Er gab also ebenfalls Wasser- bzw. Alkohol in seine Kammer die so konstruiert war, dass man durch das schnelle Herausziehen eines Kolbens das Volumen schlagartig vergrößern konnte. Die sich schnell ausdehnende Luft kühlt dabei ebenso schnell ab und das bringt die Wasser- bzw. Alkoholtropfen dazu, zu kondensieren, wenn entsprechende kleine Partikel in der Kammer vorhanden sind. Aber Wilson stellte fest, dass sich auch dann Nebel bilden kann, wenn die Luft in der Kammer absolut rein ist. Wilson wollte wissen, warum das so ist und experimentierte weiter. Ende des 19. Jahrhunderts entdeckt Wilhelm Conrad Röntgen die nach ihm benannte Röntgenstrahlung und die hat Wilson gleich in sein Experiment eingebaut. Wenn er Röntgenstrahlung in seine Nebelkammer fallen ließ, dann entstanden dort Wolken! Wilson hatte nachgewiesen, dass auch Strahlung in der Lage ist, Wolkenbildung anzuregen. Zur gleichen Zeit waren Marie Curie und ihr Mann Pierre dabei, die Radioaktivität zu erforschen und auch hier konnte Wilson zeigen: Gibt man radioaktives Material in die Nebelkammer, gibt es Wolken. Das waren durchaus relevante Ergebnisse. Denn in der Atmosphäre der Erde sind der Staub und die anderen Partikel die zur Wolkenbildung führen vor allem in den unteren Schichten zu finden. Aber Wolken entstehen auch - wenn auch nicht so dicht und häufig - sehr viel weiter oben. Und - das hatte Wilson jetzt gezeigt - dafür kann die Strahlung verantwortlich sein, die aus dem Weltall kommt. Diese "kosmische Strahlung" wurde Anfang des 20. Jahrhunderts von Victor Hess entdeckt, der zeigen konnte, dass diese Strahlung umso stärker wird, je weiter man sich vom Erdboden entfernt. Wilson schaute weiter in den Nebel. Sein Gerät war mittlerweile enorm sensibel. Er hatte die Luft gerade so mit Alkohol gesättigt, dass sie unmittelbar an der Grenze zur Kondensation war. Die kleinste Störung konnte reichen, dass sich Nebeltröpfchen bilden. Und Wilson war auch sehr, sehr gut darin geworden, diese Nebeltröpfchen zu erkennen. 1911 sah er dann das erste Mal etwas, was er "Knoten" nannte. Er vermutete, dass es sich um die Punkte handelte, wo sich Strahlung die aus unterschiedlichen Richtungen kommt, kreuzt. Aber so richtig klar war ihm das alles noch nicht. Am 29. März 1911 kam dann - nach weiteren Verbesserungen am Gerät - der Durchbruch. Wilson schrieb in seinen Aufzeichnungen, dass er "äußerst feinen Linien" sah, die vor allem von dort kommen, wo seine Strahlungsquelle auf die Kammer gerichtet war. Wilson fasste alles was er entdeckt und herausgefunden zusammen und veröffentlichte im Juni 1911 die Arbeit "On a method of making visible the paths of ionising particles through a gas". Das klingt nicht so spektakulär wie das, was es wirklich war. "Ionisierende Partikel" sind subatomare Teilchen; die Teile aus denen ein Atom besteht, die Bausteine des Atomkerns und die Elektronen aus seiner Hülle. Dass es die geben musste, hatte man schon Ende des 19. Jahrhunderts gezeigt. Indirekt natürlich, weil direkt sehen konnte man sowas nicht. Direkt gesehen hat sie auch Wilson nicht. Aber er hat sie quasi sichtbar gemacht. Wenn zum Beispiel ein Elektron mit hoher Geschwindigkeit durch die Luft saust, stößt es gegen die Moleküle und Atome der Luft und erzeugt dabei Ionen, also geladene Atome. Die sind besonders super als Kondensationskerne für Nebeltropfen, sofern die Bedingungen dafür herrschen. Diese Bedingungen hatte Wilson in seiner Kammer geschaffen und konnte dadurch den Flug eines Elektrons durch die Luft als feine Nebelspur sichtbar machen. Nach ein, zwei Sekunden war die dünne Nebellinie die die Existenz des Elektrons hervor ruft schon wieder verschwunden. Aber so lange sie da ist, ist sie gut zu sehen. Und man kann sie auch fotografieren, was Wilson getan hat, aber auch in seiner Arbeit anmerkt: "Die Fotografie vermittelt nur einen schwachen Abglanz der Schönheit jener Wolken". Wilsons Nebelkammer war das erste Instrument, dass die Flugbahnen der subatomaren Teilchen sichtbar machen konnte. Diese Entdeckung kann man kaum überschätzen. In den kommenden Jahrzehnten wurde die Nebelkammer zum wichtigsten Instrument der Teilchenphysik. Man kann sie nicht nur zum einfachen "Zuschauen" benutzen. Legt man zum Beispiel elektrische oder magnetische Felder an die Nebelkammer an, dann wird dadurch die Flugbahn der Teilchen beeinflusst, je nachdem ob sie elektrisch positiv geladen sind oder negativ. Oder, wenn sie ungeladen sind, dann fliegen sie halt grad durch, aber auch das ist ja ne Information. Man kann gezielt bekannte Teilchen in die Kammer leiten und dann schauen, was passiert, wenn sie kollidieren. Oder radioaktiv zerfallen. Dann entstehen neue Teilchen, die man anhand ihre Nebelspur identifizieren kann. Oder vielleicht sieht man eine Spur, die zu keinem bekannten Teilchen passt. Dann hat man ein neues entdeckt und genau das ist mit der Nebelkammer und ihren Nachfolgern durchaus passiert. Aus dem kleinen Gerät in Wilsons Labor wurden immer größere, ausgeklügeltere Anlagen. Man hat damit das Positron entdeckt, also das Antiteilchen des Elektrons und das erste Mal Antimaterie nachgewiesen. Man hat das Myon in der Nebelkammer gefunden, ein weiteres Elementarteilchen. Man hat andere Teilchen gefunden, wie zum Beispiel das Kaon. Jede Menge Leute haben dank Wilsons Nebelkammer einen Nobelpreis gewonnen und ohne sie wäre die Physik heute nicht da, wo sie ist. Und Wilson? Der hat für seine Erfindung 1927 auch einen Physik-Nobelpreis bekommen, alles andere wäre auch absolut ungerecht gewesen. Ernest Rutherford, der fundamentale Arbeit zum Verständnis der subatomaren Teilchenwelt geleistet und unter anderem gezeigt hat, wie man durch radioaktiven Zerfall Atome in andere Atome umwandeln kann, hat die Nebelkammer als das "originellste und wunderbarste Instrument in der Naturwissenschaft" bezeichnet. Heutzutage verwendet man andere Methoden um Teilchen nachzuweisen. Aber für Jahrzehnte war die Nebelkammer das wichtigste Instrument das die Teilchenphysik hatte. Heute kann man sie immer noch sehen, in vielen Museen stehen solche Instrumente und zeigen die unsichtbare Welt der Atome. Man kann sich auch selbst eine bauen. Dazu braucht man nicht viel; ein Glas, ein bisschen Trockeneis, ein wenig starken Alkohol, schwarze Plastikfolie und eine Taschenlampe. Das Trockeneis - das man leicht im Internet bestellen kann - wird zu Schnee zerstoßen. Das gefrorene CO2 hat eine Temperatur von -80 Grad und wird mit der Plastikfolie bedeckt. Dann nimmt man das Glas, spült es mit dem Alkohol aus und stellt es auf die Plastikfolie. Die Luft mit den Alkoholtröpfchen kühlt ab und es bilden sich die Bedingungen unter denen Wolken entstehen können. Wenn man mit der Lampe waagrecht auf das Glas leuchtet und lange genug wartet, dann kann man irgendwann die feinen Nebelspuren sehen, die auch Wilson gesehen hat und die die Existenz der aus dem All kommenden kosmischen Strahlung anzeigen. Entsprechende Bauanleitungen kann man überall im Internet finden und es ist wirklich absolut faszinierend, den aus dem Nichts auftauchenden Spuren zuzusehen. Wilson selbst hat bis an sein Lebensende weiter geforscht. Am Nebel - aber auch an Gewittern. Die haben ihn genau so fasziniert wie der Nebel. Er wollte Blitze verstehen und hat unter anderem die Existenz von "Sprites" vorhergesagt. Das sind Blitze, die über den Wolken nach oben ausschlagen, bis in eine Höhe von 100 Kilometern. Tatsächlich nachgewiesen konnte diese Art der Blitze aber erst nach Wilsons Tod. Er starb am 15. November 1959 und zum Abschluss hören wir uns noch an, was er in der Dankesrede bei der Verleihung des Nobelpreis gesagt hat: "Im Herbst 1894 verbrachte ich ein paar Wochen auf dem Gipfel eines wolkigen schottischen Bergs, dem Gipfel des Ben Nevis. Morgen um Morgen sah ich dort die Sonne über einem Meer von Wolken aufgehen und den Schatten des Bergs auf den unter mir liegenden Wolken, umgeben von prachtvollen farbigen Ringen. Durch die Schönheit dessen, was ich sah, verliebte ich mich in die Wolken und entschloss, zu experimentieren um sie besser zu verstehen." Das ist Wissenschaft im besten Sinne: Der Wunsch, die Schönheit die man in der Welt sieht, zu verstehen.

The AI-powered Podcast Player

Save insights by tapping your headphones, chat with episodes, discover the best highlights - and more!
App store bannerPlay store banner
Get the app