Sternengeschichten

Florian Freistetter
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Aug 26, 2022 • 12min

Sternengeschichten Folge 509: Osiris - ein verdampfender Planet

Ein Planet löst sich auf Sternengeschichten Folge 509: Osiris - ein verdampfender Planet In dieser Folge der Sternengeschichten reisen wir zu Osiris, einem Planeten der sich knapp 160 Lichtjahre von der Sonne entfernt befindet. Obwohl, "Osiris" ist gar nicht der offizielle Name. Der lautet "HD 209458b". Das klingt jetzt aber nicht so super und deswegen bleiben wir bei dem inoffiziellen Spitznamen, den die Forscherinnen und Forscher diesem Himmelskörper verliehen haben. Osiris ist ein extrasolarer Planet, als ein Planet, der nicht unsere Sonne umkreist sondern einen anderen Stern. In diesem Fall ist das der Stern mit der Bezeichnung HD 209458. Man findet ihn, wenn man am Himmel in das Sternbild Pegasus schaut. Allerdings nur mit einem Teleskop, mit bloßem Auge ist dieser Stern nicht zu sehen. HD 209458 ist ein kleines bisschen schwerer, größer und heißer als die Sonne und mehr oder weniger gleich alt wie unser Stern. Im großen und ganzen kann man ihn als sonnenähnlichen Stern bezeichnen, der die meiste Zeit über nicht weiter aufgefallen ist. Das hat sich am 9. September 1999 schlagartig geändert. Schon im August hat man erste Hinweise gefunden, dass dieser Stern von einem Planeten umkreist wird. Heute ist das keine große Sache mehr; wir kennen mehr als 5000 extrasolare Planeten und wissen, dass da draußen mindestens so viele Planeten wie Sterne sind. Aber 1999 hatte die Erforschung der extrasolaren Planeten gerade erst angefangen. Der erste davon wurde überhaupt erst Ende 1995 entdeckt. 1999 kannte man gerade mal gut zwei Dutzend davon. Jeder neu entdeckte Planet war eine große Sache. HD 209458 war aber extra aufregend und das hat mit der Art und Weise seiner Entdeckung zu tun. Die ersten extrasolaren Planeten sind alle mit der sogenannten Radialgeschwindigkeitsmethode entdeckt worden. Davon habe ich ja früher schon mal erzählt; kurz gesagt nutzt man dabei die Tatsache aus, dass die Gravitationskraft eines Planeten den Stern, den er umkreist, ein klein wenig zum Wackeln bringt. Nicht viel; immerhin hat so ein Planet ja deutlich weniger Masse als ein Stern. Trotzdem, ein Stern der von Planeten umkreist wird, wackelt immer ein bisschen hin und her. Das kann man zwar nicht direkt beobachten (zumindest in so gut wie allen Fällen nicht). Aber wenn sich der Stern bei seiner Wackelei mal ein winziges Stück auf uns zu bewegt und dann wieder von uns fort, führt das dazu, dass sich auch das Licht verändert. Es wird - vereinfacht gesagt - mal ein wenig röter und mal ein wenig blauer. Genau aus dem gleichen Grund, aus dem sich auch die Tonhöhe der Sirene eines Einsatzfahrzeuges verändert wenn es zuerst auf uns zu kommt und dann von uns weg fährt. Nur dass es hier eben eine Lichtwelle ist, die die Farbe verändert und keine Schallwelle bei der sich die Tonhöhe ändert. Die Radialgeschwindigkeitsmethode war sehr erfolgreich bei der Suche nach extrasolaren Planeten. Ist sie immer noch; sie wird ja immer noch verwendet. Vor allem deswegen, weil man daraus die Masse des Planeten recht gut abschätzen kann. Je mehr Masse der Planet hat, desto stärker bringt er den Stern zum Wackeln. Und die Masse eines Planeten ist eine fundamentale Größe, wenn man die nicht kennt hat man kaum eine Chance zu verstehen, um was für einen Planeten es sich handelt. Was man darüber hinaus auch noch gerne kennen würde, ist die Größe des Planeten. Die sagt einem die Radialgeschwindigkeitsmethode aber leider nicht. Deswegen hat man auch schon früh probiert, Planeten mit einer anderen Methode zu finden und zwar der Transitmethode. Auch von der hab ich schon oft erzählt; da geht es darum, dass man das Licht eines Sterns beobachtet und schaut, ob es in periodischen Abständen weniger wird. Denn wenn von uns aus gesehen ein Planet genau vor dem Stern vorbei zieht, verdeckt er dabei ein kleines bisschen Licht. Nicht viel, aber Helligkeiten können wir relativ genau messen. Und natürlich gilt hier: Je größer der Planet, desto mehr Licht kann er verdecken. Die Transitmethode sagt uns also direkt, wie groß der Planet ist. Dafür kann sie wiederum nichts über die Masse sagen. Und vor allem: Sie funktioniert nur dann, wenn wir zufällig von der Erde aus genau in die Ebene schauen, in der sich der Planet um den Stern bewegt. Man muss also sehr viele Sterne beobachten damit man eine Chance hat, einen zu finden der erstens von einem Planeten umkreist wird und bei dem wir zweitens im richtigen Winkel hinschauen um einen Transit zu sehen. 1999 hatte man mit der Transitmethode noch keinen Erfolg gehabt. Aber natürlich hat man bei allen damals bekannten Exoplaneten versucht, einen Transit zu beobachten. Die Chancen, dass von der Handvoll damals bekannter Planeten gerade einer dabei ist, der direkt vor seinem Stern vorüber zieht, war zwar gering. Aber zumindest hat man schon mal gewusst, DASS da überhaupt ein Planet ist. Genau das hat man aus Radialgeschwindigkeitsmessungen bei HD 209458 gewusst. Und am 9. September 1999 hat man dort dann auch einen Transit beobachtet. Die Helligkeit des Sterns wurde um 1,7 Prozent geringer und diese Mini-Sternenfinsternisse wiederholten sich periodisch, genau wie es für einen den Stern umkreisenden Planeten zu erwarten war. Der Planet, der die offizielle Bezeichnung HD 209458b bekommen hat, war der erste, der mit der Transitmethode nachgewiesen werden konnte. Mit der Transitmethode UND der Radialgeschwindigkeitsmethode, was ganz besonders praktisch ist. Denn wenn ich weiß, wie groß der Planet ist und gleichzeitig auch seine Masse kennen, kann ich auch die Dichte berechnen und Rückschlüsse über seine Zusammensetzung ziehen. In diesem Fall war der Planet 1,35 mal so groß wie Jupiter, hatte aber nur gut 70% der Jupitermasse. Es muss also auf jeden Fall mal ein riesiger Gasplanet sein; ohne feste Oberfläche. Dass er gleichzeitig größer ist als Jupiter und weniger Masse hat, kann man durch seine Umlaufbahn erklären. Er befindet sich nur 7 Millionen Kilometer von seinem Stern entfernt. Zum Vergleich: Der Abstand zwischen Erde und Sonne beträgt 150 Millionen Kilometer; der sonnennächste Planet Merkur ist immer noch 58 Millionen Kilometer weit weg. HD 209458 b braucht deswegen auch nur 3,5 Tage für eine Runde um den Stern. Und durch diese Nähe wird er natürlich auch enorm aufgeheizt. Er ist mehr als 1000 Grad Celsius heiß und die Wärme führt dazu, dass sich das Gas aus dem er besteht ausdehnt. Osiris ist aber nicht nur deswegen außergewöhnlich, weil er als erster Planet mit der Transitmethode entdeckt wurde. Seine zweite Besonderheit hat mit seinem Spitznamen zu tun. 2003 und 2004 hat das Hubble-Weltraumteleskop den Planet beobachtet und dabei in seiner Umgebung jede Menge Wasserstoff, Kohlenstoff und Sauerstoff gefunden. Der Planet war quasi von einer Wolke aus diesen Atomen umgeben, die fast dreimal so groß war wie der Planet selbst. Der Grund dafür ist wieder einmal die enorme Nähe zwischen Stern und Planet. Die Energie des Sterns heizt die äußeren Schichten der planetaren Atmosphäre auf; die Gasteilchen bewegen sich immer schneller und schneller. Einige so schnell, dass sie nicht mehr von der Gravitationskraft des Planeten festgehalten werden können. Sie entkommen ins All und bilden dort eine Wolke. Durch die Bewegung des Planeten um den Stern entsteht so eine Art "Schweif", den der Planet hinter sich her zieht. Oder anders gesagt: HD 209458 b verliert ständig einen Teil seiner Masse, er verdampft quasi und pro Sekunde sausen 100.000 bis 500.000 Tonnen Wasserstoff aus seiner Atmosphäre ins All. Er hat vermutlich so schon gut 7 Prozent seiner ursprünglichen Masse verloren. Und hier kommt jetzt Osiris ins Spiel: Das ist ja der ägyptische Totengott, der von seinem Bruder Seth zerstückelt und überall im Land verteilt worden war. Aber keine Sorge, Osiris war ja ein Gott und man hat die Stücke wieder ausgegraben und zusammengesetzt und alles war wieder gut. Nur ein Stück haben sie nicht mehr gefunden, aber das hat offensichtlich nicht gestört. Jedenfalls haben sich die Forscherinnen und Forscher dadurch irgendwie inspiriert gefühlt und weil der Planet ja auch quasi Stücke von sich selbst verliert, haben sie das Ding inoffiziell "Osiris" genannt. Wir wissen heute, dass ein verdampfender Planet wie Osiris kein Einzelfall ist. So etwas passiert immer, wenn ein Gasplanet seinem Stern zu nahe ist. Aber ein Planet, der so schön groß ist und seinem Stern so nahe ist eine super Glücksfall für die Beobachtung. Normalerweise kann man die Atmosphäre eines extrasolaren Planeten schwer bis gar nicht untersuchen. Aber bei Osiris hat es immer wieder geklappt und man dort zum Beispiel schon Kohlendioxid und Methan nachgewiesen. Wir wissen, dass es dort Wolken gibt, so wie auch in der Atmosphäre des Jupiters. Und Stürme! 2010 konnte man messen, dass sich Teile des Gases in der Atmosphäre von Osiris mit gut 7000 km/h bewegen. Das ist ein ordentlicher Wind und er wird durch die Temperaturunterschiede zwischen der hellen, heißen und der dunklen, kühlen Seite des Planeten verursacht. 2021 konnte man in der Atmosphäre von Osiris auch komplexere Moleküle nachweisen, nämlich Wasser, Kohlenmonoxid, Cyanwasserstoff, Methan, Ammoniak und Acetylen. Daraus kann man ableiten, dass es in der Atmosphäre neben jeder Menge Wasserstoff auch Kohlenstoff und Sauerstoff geben muss und - das war eine neue Erkenntnis - mehr Kohlenstoff als Sauerstoff. Und das ist insofern interessant, weil das bedeuten muss, dass der Planet in einer kühleren Ecke entstanden ist als jetzt. Die Details würden jetzt zu weit führen - aber die diversen Moleküle und Atome sind bei der Entstehung eines Planetensystems nicht gleichmäßig um den Stern herum verteilt. Vor allem in unmittelbarer Nähe des jungen und heißen Sterns gibt es weniger Zeug, weil die Strahlung das in der Gegend verteilt. Wenn Osiris also jetzt so viele Verbindungen mit Kohlenstoff in der Atmosphäre hat, dann muss er weiter entfernt entstanden und erst später so nah an den Stern gerückt sein. Osiris ist kein Planet, auf dem Leben existieren kann. Aber die Erforschung der Exoplaneten ist ja weit mehr als nur die Suche nach einer "zweiten Erde" oder außerirdischem Leben. Es geht darum zu verstehen, was dort draußen alles existieren kann. Und Osiris ist ein absolut faszinierendes Forschungsobjekt. So etwas wie diesen verdampfenden Riesenplaneten gibt es in unserem Sonnensystem nicht. Wir haben viel aus der Erforschung von Planeten wie Osiris gelernt; wir haben gelernt wie Planeten funktionieren und wie man ihre Atmosphären erforschen kann. Vor allem aber haben wir gelernt: Das Universum da draußen ist voller wunderbarer Überraschungen und wenn wir nur aufmerksam genug hinschauen, dann finden wir dort jede Menge Dinge, die es bei uns nicht gibt und von denen wir nicht mal dachten, dass es sie geben kann, bevor wir sie gefunden haben. So wie Osiris, der Planet, der einen Schweif aus seiner eigenen Atmosphäre hinter sich durchs All zieht.
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Aug 19, 2022 • 15min

Sternengeschichten Folge 508: Die Arecibo-Sternwarte

Bekannt aus Funk und Fernsehen Sternengeschichten Folge 508: Die Arecibo-Sternwarte Das große Radioteleskop der Arecibo-Sternwarte kennt man aus dem Hollywoodfilm "Contact" mit Jodie Foster. Oder aus dem James-Bond-Film "GoldenEye". Oder aus einer Folge der Serie "Akte X". Die Sternwarte ist aber nicht nur ein beeindruckender Hintergrund für Action- und Science-Fiction-Filme. Sondern ein Ort, an dem über Jahrzehnte hinweg beeindruckende Astronomie betrieben worden ist. Obwohl es ursprünglich für ganz und gar nicht wissenschaftliche Zwecke konstruiert worden ist. Nach dem zweiten Weltkrieg haben die USA und die Sowjetunion ihre atomaren Raketen aufgerüstet. Und natürlich auch überlegt, wie sie einen Raktenangriff des jeweils anderen Landes abwehren können. Dazu muss man zuerst einmal wissen, dass eine Rakete im Anflug ist. Die Forschungseinrichtung des amerikanischen Verteidigungsministeriums hat sich überlegt, dass so eine Rakete, die durch die Atmosphäre saust, dort entsprechende Effekte auslösen muss. Die Moleküle der Luft müssten dadurch ionisiert werden, soll heißen: Die Atome verlieren Elektronen aus ihren Atomhüllen. Das müsste man eigentlich mit einem Radioteleskop nachweisen können; mit so einem Teleskop sollte man auch die entsprechende Schicht der Erdatmosphäre besser erforschen können, denn darüber wusste man in den 1950er Jahren auch noch nicht viel. Vor allem für letzteres, also die Erforschung der sogenannten "Ionosphäre" der Erde hat man deswegen eine entsprechende Einrichtung gebaut. Und zwar auf der Insel Puerto Rico in der Karibik, die ein sogenanntes "US-amerikanisches Außengebiet" ist, also vereinfacht gesagt zwar zu den USA gehört, aber kein eigener Bundestaat ist und auch nicht bei den Wahlen zur Präsidentschaft mitwählen darf. 15 Kilometer südlich der Hafenstadt Arecibo jedenfalls wurde 1963 das Arecibo Ionospheric Observatory eröffnet. Man hat sich dafür eine sogenannte "Doline" ausgesucht, eine Sinkhöhle - also eine Art Krater im Boden, der entsteht, wenn Wasser unterirdische Gesteinsschichten im Laufe der Zeit auflöst und das Gestein darüber dann einstürzt. In Arecibo fand man ein besonders schönes und großes dieser natürlichen Löcher; ideal um dort eine große Radioschüssel reinzustellen. Allerdings nicht so ein Teil, wie man es sich auf den Balkon stellt, wenn man Satellitenfernsehen empfangen will. Beziehungsweise schon so ein Teil, zumindest im Prinzip so ein Teil. Nur eben sehr viel größer: Die Schüssel in Arecibo hatte einen Durchmesser von 305 Metern. Sie bestand aus 38.778 Aluminiumteilen, jeweils circa 1 mal 2 Meter groß und alle individuell ausrichtbar um die optimale Form der Schüssel zu erreichen. Dieses riesige Ding lag also in der Doline; unbeweglich. Andere Radioteleskope können bewegt und auf bestimmte Positionen am Himmel ausgerichtet werden. Beim Arecibo-Teleskop war das nicht möglich. Aber so wie man mit einem simplen Spiegel noch keine Astronomie betreiben kann, reicht eine simple Schüssel auch nicht für ein Radioteleskop. Man braucht ja auch irgendwas, dass die in der Schüssel gesammelte und fokussierte Radiostrahlung auffängt, auswertet und weiterleitet. Dieser Empfänger war ein knapp 820 Tonnen schweres Ding, das über der Schüssel an Seilen aufgehängt war und bewegt werden konnte. Je nachdem wo genau der Empfänger über der Schüssel hing, konnte er einen anderen Teil der Strahlung auffangen und das hat es möglich gemacht, zumindest ein bisschen Einfluss darauf zu nehmen, welche Region am Himmel beobachtet wird. Das ist natürlich ein bisschen vereinfacht dargestellt; aber die Details würden jetzt zu weit führen. Mit dem Teleskop in Arecibo hat das Verteidigungsministerium also seine Forschung durchgeführt - und irgendwann wieder damit aufgehört. Man übergab das Ding der National Science Foundation, die es dann von der Universität Cornell betreuen ließ. In den 1970er Jahren wurde es ein wenig umgebaut, damit man damit auch sinnvolle astronomische Forschung betreiben konnte und seitdem hat man dort genau das gemacht. Genau so wie es in einer einzige Podcastfolge nicht möglich ist, alle technischen Details der Arecibo-Sternwarte zu erklären, kann ich natürlich auch unmöglich alle Forschungsergebnisse aufzählen. Das, was jetzt kommt, ist also nur ein kurzes "Best of Arecibo". Eines der frühesten Ergebnisse war die Bestimmung der Rotationsperiode von Merkur im Jahr 1964. Bis dahin dachte man, dass Merkur genau so lange für eine Drehung um seine eigene Achse braucht wie für eine Runde um die Sonne. Messungen in Arecibo haben aber gezeigt, dass Merkur nur 59 Tage für eine Drehung braucht. Was immer noch sehr lange ist, aber doch ein wenig kürzer. 1974 entdeckte die beiden Astronomen Russel Hulse und Joseph Taylor mit dem Arecibo-Teleskop den Doppelpulsar PSR B1913+16. Das war eine wirklich spektakuläre Sache! Ein Pulsar ist ja ein schnell rotierender Neutronenstern. Und ein Neutronenstern ist das, was von einem großen Stern übrig bleibt, wenn der sein Leben bei einer Supernova-Explosion beendet. Ein Neutronenstern ist nur ein paar Dutzend Kilometer groß, hat aber immer noch so viel Masse wie die Sonne. Es sind extrem kompakte, dichte Objekte und das wusste man auch vorher schon. Aber jetzt hat man zwei von diesen Dingern gefunden, die einander umkreisen. Und Albert Einstein hatte schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vorhergesagt, dass es so etwas wie Gravitationswellen geben muss. Wenn zwei sehr dichte Objekte einander umkreisen, dann rütteln sie quasi so stark an Raumzeit, dass sich diese Wellen im Raum selbst ausbreiten. Was dabei auch passiert: Die Objekte, die die Gravitationswellen verursachen, müssen dabei Bewegungsenergie verlieren. Oder anders gesagt: Wenn zwei einander umkreisende Neutronensterne WIRKLICH Gravitationswellen aussenden, dann müssen sie dabei einander immer näher kommen. Tun sie das, dann umkreisen sie sich in immer engeren Abstand und immer schneller. Man kann so einen Doppelpulsar zwar nicht direkt beobachten und dabei zuschauen, wie er das tut. Da diese Objekte aber in eigentlich sehr regelmäßigen Abständen Radiostrahlung aussenden - und warum sie das tun habe ich in den Folgen 355 und 401 erklärt - kann man es zumindest indirekt sehen. Aus der Beobachtung dieser Radiopulse kann man bestimmen, wie groß der Abstand zwischen den beiden ist. Und weil man diese Radiopulse auch noch sehr genau messen kann, kann man auch kleine Änderungen bestimmen. Genau das haben Hulse und Taylor getan und ihre Messungen haben exakt den Vorhersagen von Albert Einstein entsprochen. Das war zwar kein direkter Nachweis von Gravitationswellen - der kam erst im Jahr 2016 - aber es war ein sehr, sehr deutlicher indirekter Nachweis, das Einstein recht gehabt hat und die beiden haben für diese Entdeckung im Jahr 1993 den Physik-Nobelpreis bekommen. Mit dem Arecibo-Teleskop konnte man in den 1980er Jahren die Oberfläche der Venus zumindest zum Teil kartografieren. Das ist gar nicht so einfach, denn der Planet ist immer von einer dicken Wolkendecke umgeben. Normale Teleskope können da nicht durchschauen. Und die Venus sendet natürlich auch keine Radiostrahlung aus. Das Arecibo-Teleskop hat aber nicht nur einen Empfänger für Radiowellen - es kann auch welche aussenden. Und die Venus ist nahe genug, um das astronomische sinnvoll einsetzen zu können. Man schickt - sehr vereinfacht gesagt - Radiostrahlung von der Erde zur Venus, wartet bis sie dort reflektiert werden und misst dann mit dem Teleskop den Zeitpunkt an dem sie wieder auf der Erde zurück sind. Aus der Zeit kann man den Abstand berechnen und wenn man das sehr genau macht, kann man nicht nur den Abstand zwischen Venus und Erde berechnen sondern auch Höhenunterschiede auf der Venusoberfläche messen. Unterschiedliche Gesteinsarten sind auch unterschiedlich gut darin, Radiostrahlung zu reflektieren und damit kann man nicht nur sehen, ob da ein Berg steht oder nicht, sondern zum Beispiel auch feststellen, ob das Gestein alt oder jung ist. Und wenn man sehr junges Gestein findet, ist das ein Anzeichen dafür, dass da irgendwo mal in der jüngeren Vergangenheit Vulkanismus stattgefunden hat… - genau das hat man auf der Venus gefunden. Mit den Messungen des Arecibo-Teleskops hat man Eis in den Kratern auf dem Merkur gefunden; eine erstaunliche Entdeckung angesichts der Tatsache, dass es sich um den sonnennächsten Planeten handelt, der überall enorm heiß ist. Aber es gibt eben manche Krater, in die das Sonnenlicht nie fällt. Eine weitere große Entdeckung habe ich schon in Folge 355 ausführlich erklärt: Auch dabei ging es um die Untersuchung von Pulsaren und dabei hat man entdeckt, dass einer davon von Planeten umkreist wird. Auch wenn das keine "echten" Planeten sind, die einen "echten" Stern umkreisen, sondern das, was von einem Stern nach seinem Tod übrig bleibt, war das eine beeindruckende Entdeckung die Anfang der 1990er Jahren gemacht wurde. Das Arecibo-Teleskop hat in den 1980er Jahren das erste Mal die Form eines Asteroiden bestimmt; auch hier ist das wieder durch das Aussenden und wieder Empfangen von Radiostrahlung gelungen. Man hat die Magnetfelder von Sternen gemessen, Moleküle in der Staubhülle von Kometen untersucht, ferne Galaxien erforscht und jede Menge mehr. So wie im Film "Contact" hat man mit dem Teleskop auch tatsächlich nach Radiobotschaften von Außerirdischen gesucht und 1974 sogar eine Botschaft hinaus ins All geschickt, die deswegen auch den Namen "Arecibo-Botschaft" trägt - aber das ist eine andere Geschichte für eine andere Folge. Ich habe vom Arecibo-Teleskop immer in der Vergangenheitsform gesprochen. Das hat einen Grund - denn das Teleskop gibt es nicht mehr. Beziehungsweise steht es schon noch rum. Zumindest das, was noch übrig ist… Schon 2017 ist es durch den Hurrikan Maria stark beschädigt worden und es war schwer, die Finanzierung für die Reparatur und den Weiterbetrieb aufzutreiben. Zusätzlich bekam das Teleskop Konkurrenz durch FAST, das "Five-hundred-meter Aperture Spherical radio Telescope". Es wurde 2016 in China in Betrieb genommen und hat - wie der Name ja auch schon sagt - einen Durchmesser von 500 Metern. In Südafrika wurde 2021 das Square Kilometre Array Observatory gegründet, ein Verbund aus Radioteleskopen die zusammen einen Spiegel mit einer Fläche von einem Quadratkilometer bilden. Das einstmals größte Einzelteleskop der Welt war nicht mehr auf dem neuesten Stand der Technik - aber immer noch ein super Instrument und man hatte definitiv vor, es weiter zu betreiben. Aber am 10. August 2020 war Schluss. Die Astronomin Sravani Vaddi war in dieser Nacht gerade dabei dabei, die Galaxie NGC 7469 zu beobachten um dort die Kollision zweier supermassereicher schwarzer Löcher zu erforschen. Sie war nicht vor Ort; die Beobachtung lief automatisch ab und wurde per Computer überwacht. Der meldete auf einmal, dass das Teleskop nicht mehr richtig ausgerichtet war. Der Fehler ließ sich aus der Ferne nicht beheben. Und auch später vor Ort nicht mehr. Denn eines der Stahlseile, die den schweren Empfänger sichern sollten war plötzlich gerissen. Die Empfangseinheit wurde beschädigt, die Schüssel bekam ein Loch. Der Betrieb wurde vorerst mal eingestellt um zu überlegen, wie man das ganze wieder reparieren kann. Am 6. November 2020 riss dann aber noch ein Seil. Jetzt beschloss man, dass man so nicht weiter machen kann; es war davon auszugehen, dass die Seile zu schwach sind, um eine Reparatur noch möglich zu machen und dass das Observatorium nicht mehr betreten werden kann. Es wäre zu gefährlich; man würde es abreißen müssen. Das hat es aber dann am 1. Dezember 2020 von selbst erledigt. Fast gleichzeitig sind am frühen Morgen gleich zwei Seile gerissen und die ganze über 800 Tonnen schwere Empfangseinheit ist auf die Schüssel gefallen. Jetzt war das Arecibo-Teleskop endgültig und total zerstört. Fast 60 Jahre nach seiner Inbetriebnahme war es vorbei. Es gibt Pläne, ein neues, besseres Teleskop an der gleichen Stelle wieder aufzubauen. Aber selbst wenn das geschieht, wird es noch dauern. Die Astronomie wird auch ohne das Arecibo-Teleskop ihrer Arbeit nachgehen können. Aber das Instrument auf der Karibikinsel war eben nicht nur ein wichtiges Teleskop in der Geschichte der astronomischen Forschung. Sondern auch ein einzigartiges kulturelles Phänomen, das nicht umsonst in so vielen Filmen und Büchern aufgetaucht ist. Die Astronomie wird es nicht vergessen.
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Aug 12, 2022 • 14min

Sternengeschichten Folge 507: Mit dem Sonnensegel durch den Weltraum

Setzt die Segel, es wird hell Sternengeschichten Folge 507: Mit dem Sonnensegel durch den Weltraum In den Sternengeschichten habe ich immer wieder über Raumfahrt gesprochen. Die absolut überwiegend gewaltige extreme Mehrheit der Objekte im Universum können wir natürlich niemals erreichen. Das geht nur bei denen in unserem eigenen Sonnensystem und auch da ist es schwer genug. Es ist ja nicht damit getan, die Anziehungskraft der Erde zu überwinden und in den Weltraum zu kommen. Das klappt mit Raketen ja ganz gut, auch wenn es immer noch teuer, kompliziert und fehleranfällig ist. Aber wenn man dann mal im Weltraum ist, will man ja auch irgendwo hin und andere Himmelskörper erforschen. Den Mond, den Mars, einen Asteroid oder sonst irgendwas von dem, was dort draußen ist. Und dazu braucht man irgendeinen Antrieb. Zumindest in der Praxis, in der Theorie würde es ja auch - fast - ohne gehen. Denn zum Glück gibt es ja die Newtonschen Axiome. Diese fundamentalen Gesetze der Bewegung lernt man schon in der Schule und die erste dieser drei Regeln lautet: "Ein Körper verharrt im Zustand der Ruhe oder der gleichförmig geradlinigen Bewegung, sofern jener nicht durch einwirkende Kräfte zur Änderung seines Zustands gezwungen wird". Oder, ein bisschen weniger kompliziert: Wenn sich etwas bewegt, dann hört es erst dann auf sich zu bewegen, wenn eine Kraft dafür sorgt. Das klingt auf den ersten Blick ein wenig seltsam. Hier auf der Erde sehen wir ja, dass jede Bewegung irgendwann aufhört. Ein Fahrrad rollt nicht für immer weiter wenn es mal in Bewegung ist, so schön das auch wäre. Aber das es nicht weiterrollt, liegt eben an einer Kraft die auf das Rad wirkt. In dem speziellen Fall ist das unter anderem die Reibung zwischen den Reifen und der Straße und die Reibung zwischen dem kompletten Rad und der Luft. Im Weltall aber gibt es keine Luft und keine Straße. Und damit auch - erstmal - keine Kraft, die der Bewegung eines Fahrrads etwas entgegen setzen könnte. Eine Raumsonde, die mit einer gewissen Geschwindigkeit im leeren Raum des Weltalls angeschubst wird, bewegt sich für alle Zeit mit dieser Geschwindigkeit weiter. Ok, das stimmt nicht ganz. Es gibt ja trotzdem noch Kräfte. Zum Beispiel die Gravitationskraft der Planeten und Sterne und die kann auch eine Raumsonde abbremsen. Aber im Prinzip könnte man eine Sonde einfach zu einem anderen Planeten "werfen". Man muss vorher nur ganz genau ausrechnen, mit welcher Geschwindigkeit und in welche Richtung die Sonde die Erde verlassen muss um im richtigen Moment an der Stelle im Sonnensystem anzukommen, wo sie hin soll. Und dann würde sie auch dort hin gelangen. In der Praxis kann man ein Raumfahrzeug aber nicht so enorm exakt starten; es gibt neben der Gravitation noch andere Kräfte die die Bewegung stören können (dazu später gleich mehr) und deswegen muss man die Bewegung einer Sonde immer wieder mal korrigieren damit sie am Ende dort landet, wo sie soll. Und dazu braucht man einen Antrieb. Klassischerweise wird dafür ein Raketenantrieb verwendet, der die anderen beiden Newtonschen Axiome ausnützt. Nämlich: Will man die Bewegung eines Objekts verändern, braucht es dafür eine Kraft. Und: Übt ein Körper A auf einen anderen Körper B eine Kraft aus, so wirkt eine gleich große, aber entgegen gerichtete Kraft von Körper B auf Körper A. Wir wollen jetzt aber die Newtonschen Axiome nicht im Detail betrachten; das habe ich ja schon in Folge 285 der Sternengeschichten gemacht. Aber sie erklären, wie Raketen funktionieren: Wenn wir etwas - zum Beispiel ein Gas - am einen Ende eines Triebwerks mit einer gewissen Geschwindigkeit ausstoßen, dann bewegt sich das Triebwerk mit allem was daran befestigt ist, in die andere Richtung. Und genau das macht man in der Raumfahrt. Man macht es bei den großen Raketen, mit denen die Raumsonden ins All gebracht werden und man macht es mit den kleineren Steuerdüsen, die die Bahn der Sonde später korrigieren. Gas wird ausgestoßen und je nachdem wie genau man das macht, ändert man die Bahn. Das Prinzip funktioniert gut; das Problem dabei ist aber offensichtlich: Wenn der Tank leer ist, geht nichts mehr. Man muss das Gas, das man ausstoßen will, mit ins All nehmen und da es dort keine Tankstellen gibt, kann man nicht mehr steuern, wenn es aufgebraucht ist. Es gibt natürlich auch andere Methoden um Raumsonden zu steuern und wenn man es richtig anstellt, dann muss man die Bahn auch nicht allzu oft korrigieren. Aber je weniger Treibstoff man ins All mitnehmen muss, desto besser. Denn desto leichter ist das Raumfahrzeug und desto einfacher und vor allem billiger kann man es ins All befördern. Andererseits gilt aber auch: Je weniger man die Bahn korrigieren kann, desto weniger flexibel ist man. Dann kann es unter Umständen auch sehr lange dauern, bis man das Ziel erreicht. Und die Zeit, in der man die Mission durchführen kann, ist begrenzt. Ideal wäre es also, wenn man eine Raumsonde mit einem Antrieb steuern könnte, der keinen Treibstoff braucht. Und bevor jetzt jemand meint, sowas könnte es nicht geben: Natürlich geht das! Auf der Erde nutzen wir solche Antriebe schon seit langer Zeit. Segelboote brauchen keinen Treibstoff, sie brauchen nur Segel und Wind und kommen damit überall hin. Schön und gut, aber was hilft uns das im Weltall - da gibt es ja, wie ich vorhin ja auch gesagt habe, keinen Wind. Das stimmt - aber auch dort kann man "segeln" und zwar nicht mit der Kraft des Windes, sondern mit der des Lichts. Und damit wir verstehen, wie so ein "Lichtsegel" funktioniert, müssen wir kurz auf die elektromagnetische Strahlung schauen. Denn genau das ist Licht ja. Und elektromagentische Strahlung kann eine Kraft ausüben. Licht kann "drücken" und auch das mag auf den ersten Blick seltsam erscheinen. Denn Licht hat ja keine Masse und kein Gewicht, oder? Wie soll das einen Druck ausüben? Es stimmt schon, dass Licht im alltäglichen Sinn keine Masse hat. Aber Licht hat auf jeden Fall Energie! Und seit Albert Einstein wissen wir, dass Masse und Energie nur zwei unterschiedliche Dinge sind, das selbe Phänomen zu betrachten. Was Masse hat, hat Energie und was Energie hat, hat auch Masse, wenn auch nicht in dem Sinn, in dem wir das gewohnt sind. Licht mag masselos sein, aber Licht bewegt sich und in dieser Bewegung steckt jede Menge Energie und damit auch Masse. Vor allem hat Licht einen Impuls; so bezeichnet man die physikalische Größe mit der man den Bewegungszustand eines Objekts beschreiben kann. Je mehr Masse und je schneller, desto größer der Impuls. Der Impuls hängt also auch von der Geschwindigkeit ab. Und die Geschwindigkeit ist eine physikalische Größe, die eine Richtung hat. Etwas bewegt sich nicht einfach nur, es bewegt sich auch immer in eine bestimmte Richtung. Und weil der Impuls von der Geschwindigkeit abhängt, hat auch der Impuls eine Richtung. Ich erkläre das deswegen so ausführlich, weil das wichtig ist. Dazu müssen wir nochmal zurück zu den Newtonschen Axiomen. Das zweite davon kann auch so formulieren: Eine Kraft ist eine Veränderung des Impulses. So. Und jetzt schauen wir uns mal Licht an, dass sich in eine bestimmte Richtung bewegt. Dieses Licht hat dann natürlich einen Impuls und dieser Impuls natürlich auch eine Richtung. Jetzt trifft dieses Licht auf eine reflektierende Fläche und wird - was auch sonst - reflektiert. Das Licht ändern also seine Richtung und damit ändert sich auch der Impuls. Und wenn sich der Impuls ändert, wird eine Kraft ausgeübt. Das ist Newtons zweites Axiom und genau das ist der Grund, warum es so etwas wie einen Strahlungsdruck gibt. Oder etwas anderes gesagt: Wenn man einen Spiegel ins All hängt und dann Licht darauf fallen lässt, wird dieses Licht einen Druck darauf ausüben und den Spiegel bewegen. Genau so wie der Wind auf das Segel eines Bootes drückt und es dadurch übers Wasser fahren lässt. Jetzt müssen wir nur noch schauen, wie groß die Kraft ist um die es hier geht und ob man in der Raumfahrt damit überhaupt etwas anfangen kann. Wir wissen recht gut, wie viel Sonnenstrahlung auf die Erde trifft, das können wir ja direkt messen. Im erdnahen Weltraum sind das circa 1370 Watt pro Quadratmeter was, wenn man die entsprechende Rechnung anstellt, einer Kraft von 4 Mikronewton auf eine entsprechend reflektierende Oberfläche entspricht. Das klingt nach wenig. Das ist auch wenig. Das ist eine Beschleunigung von 0,4 Millimeter pro Sekunde pro Sekunde. Hätten wir also ein Sonnensegel im All das einen Quadratmeter groß ist, dann würde es mit einer Geschwindigkeit beschleunigen, die ungefähr der Geschwindigkeit entspricht, mit der ein Gletscher fließt. Und das auch nur, wenn das Segel keine Masse hat und kein Raumfahrzeug daran hängt. Aber! Erstens kann man ja auch Segel bauen, die größer als ein Quadratmeter sind. Und zweitens dürfen wir nicht das erste Newtonsche Gesetz vergessen: Da oben ist nichts, was bremst! Auch eine kleine Beschleunigung kann groß werden, wenn man nur ein bisschen warten. Das 1-Quadratmetersegel aus dem Beispiel wird in der ersten Sekunde um 0,4 mm/s schneller. Und in der nächsten Sekunden nochmal um 0,4 mm/s schneller. Und in der nächsten Sekunde wieder. Und so weiter. Klar, die Stärke der Sonnenstrahlung wird schwächer, je weiter sich das Ding von der Sonne entfernt. Aber die einmal erreichte Geschwindigkeit bleibt; sie wächst immer weiter, je länger die Sonne auf das Segel leuchtet. Ein Sonnensegel ist eine tolle Sache. Im Gegensatz zum Wind auf der Erde, der mal weht und mal nicht, scheint unser Stern immer. Im Weltall gibt es keine Flaute. In der Theorie ist es also absolut möglich, ein Sonnensegel zu bauen, ins All zu bringen und damit Raumsonden von A nach B zu fliegen. Das wusste man schon im späten 19. Jahrhundert; das hat schon Konstantin Tsiolkovsky vorgeschlagen, also der Mann, der die Grundlagen der konventionellen Raketentechnik entwickelt hat. Und dass Licht tatsächlich einen Druck ausüben kann, der Dinge bewegt, hat man ebenfalls schon im 19. Jahrhundert experimentell nachgewiesen. Bis man das Konzept aber auch in der Praxis erfolgreich ausprobieren konnte, hat es dann noch ein wenig gedauert. Es gab diverse Tests dazu auf der Erde; erste Experimente im Weltall haben nicht funktioniert - aber das hauptsächlich aufgrund Problemen mit der Rakete. Erfolgreich war man dann im Jahr 2010. Die japanische Raumfahrtagentur hat IKAROS ins All geschickt, eine Raumsonde die mit vollen Namen "Interplanetary Kite-craft Accelerated by Radiation Of the Sun" heißt. Diese Sonde bestand im Wesentlichen nur aus einem Sonnensegel, das aber immerhin 173 Quadratmeter groß war. Das Segel ist ein Quadrat mit einer Kantenlänge von gut 14 Metern und natürlich hat man dieses riesige Teil nicht am Stück in eine Rakete gebracht. Das Segel besteht aus einer Kunsstofffolie die nur 7,5 Mikrometer dick ist. Das gesamte Ding wiegt nur 2 Kilogramm und wurde zusammengefaltet in die Rakete gebracht. Im All wurde es in Rotation versetzt und durch die Fliehkräfte hat sich das Segel dann entfaltet. Natürlich war da nicht einfach nur eine Plastikfolie, die dann unkontrolliert durchs All wabert. Es gab im Segel auch LCD-Panels, deren Reflexionsvermögen man verändern konnte, was wiederum das Verhalten des gesamten Segels beeinflusst und damit eine Steuerung möglich macht. Und zusätzlich waren auch noch ein paar kleine Detektoren inkludiert, die interplanetaren Staub messen; ein bisschen Wissenschaft muss ja auch sein. Im Mai 2010 flog IKAROS ins All, im Juni war das Segel entfaltet und betriebsbereit und im Dezember hatte man es erfolgreich bis zur Venus gesteuert. Dort ist sie aber nur vorbeigeflogen; richtige Forschung hätte man sowieso nicht machen können, weil keine Instrumente mit dabei waren. Aber die Mission hat auf jeden Fall gezeigt, dass Sonnensegel durchaus in der Lage sind, Raumsonden von Planet zu Planet zu fliegen! Nach IKAROS gab es noch diverse andere erfolgreiche und gescheiterte Missionen zur Erprobung von Sonnensegeln. Bis sie standardmäßig in der Raumfahrt eingesetzt werden, wird es noch ein wenig dauern. Aber es wäre überraschend, wenn diese Technik irgendwann NICHT in großem Maßstab genutzt wird. Ein Sonnensegel ist leicht und wenn es nicht unbedingt besonders schnell gehen muss, ist es ein idealer Antrieb für Reisen im Sonnensystem. Und WENN es schnell gehen muss, kann man auch hier ein wenig nachhelfen. Man könnte zum Beispiel starke Laser auf der Erde installieren und sie von dort auf das Sonnensegel richten. Denn was die Sonne kann, kann ein Laser natürlich auch und wir könnten das Segel damit ein wenig stärker beschleunigen. Und wenn wir irgendwann zu einem anderen Stern reisen wollen, dann bleibt uns vielleicht keine andere Möglichkeit. Denn diese Reisen dauern so lange, dass wir gar nicht genug Treibstoff mitnehmen könnten. Wenn wir aber ein Sonnensegel ausreichend stark anschieben, dann hat es beim Verlassen des Sonnensystems vielleicht eine ausreichend hohe Geschwindigkeit, um es in ein paar Jahrzehnten bis zu einem anderen Stern zu schaffen. Zumindest theoretisch wäre das möglich; ob es aber auch tatsächlich passiert ist eine ganz andere Frage. Aber es ist schon irgendwie eine schöne Vorstellung, dass wir das Universum irgendwann einmal so erforschen, wie auch die Erforschung der Erde begonnen hat: Mit Weltraum-Segelbooten, die das dunkle Meer des Kosmos durchkreuzen und von einer Sternenlichtinsel zur nächsten segeln.
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Aug 5, 2022 • 11min

Sternengeschichten Folge 506: Cosmic Latte - die Farbe des Universums

Big Bang Beige Sternengeschichten Folge 506: Cosmic Latte - die Farbe des Universums Welche Farbe hat das Universum? Blöde Frage, könnte man meinen: Schwarz natürlich! Braucht man ja nur nachts zum Himmel schauen. Ok, da sind ein paar helle Punkte, aber im großen und ganzen ist es schwarz. Das kann man so sehen. Aber dann ignoriert man all das, was man nicht sehen kann. Und es hat ja niemand den Raum zwischen den Sternen oder den Raum zwischen den Galaxien schwarz angemalt. Das, was wir als "schwarz" sehen, ist ja einfach nur nichts; die Abwesenheit von Licht und damit auch die Abwesenheit von Farbe. Wenn wir ein bisschen bessere Augen hätten, dann würden wir auch mehr sehen. Mehr Sterne am Himmel; mehr Galaxien. Und die leuchten. Also könnten wir uns fragen: Wenn man das Licht der Galaxien quasi auf das Maximum aufdreht und das Universum von außen anschaut: Welche Farbe würden wir dann sehen? Diese Frage haben sich im Jahr 2002 auch ein paar Astronominnen und Astronomen gestellt. Oder besser gesagt: Diese Frage haben sie sich nicht gestellt. Sie wollten das "kosmische Spektrum" bestimmen. Von ganz normalen Spektren habe ich in den Sternengeschichten ja schon oft erzählt. Das Licht, das zum Beispiel ein Stern ausstrahlt, ist ja immer eine Mischung von jeder Menge Farben. Die Sonne schickt rotes Licht hinaus ins All, gelbes Licht, grünes Licht, blaues Licht, und so weiter. Sie schickt auch Licht aus, das unsere Augen nicht sehen können; infrarotes Licht, ultraviolettes Licht, Radiolicht, Röntgenlicht, und so weiter - aber das soll uns vorerst mal nicht interessieren. Bei uns kommt auf jeden Fall die ganze Mischung an und diese Mischung erscheint bei der Sonne eben gelb-weißlich. Aber wir können jetzt mit speziellen Geräten - den Spektrographen - das Sonnenlicht wieder in seine Bestandteile aufspalten. Und genau nachschauen: Wie viel rotes Licht ist da in der Mischung, wie viel blaues Licht, und so weiter. Das ist aus diversen Gründen sehr interessant; die genaue Zusammensetzung der Mischung sagt uns zum Beispiel, wie heiß ein Stern ist und daraus können wir ableiten, wie alt er ist, wie viel Masse er hat, und so weiter. Und beim "kosmischen Spektrum" ist es genau so. Nur dass man hier nicht nur das Licht eines einzelnen Sterns nimmt, sondern das Licht aller Sterne im Universum. Das geht in der Praxis natürlich nicht, aber man kann zumindest das Licht sehr, sehr vieler Sterne nehmen. Zum Beispiel das "Two-degree-Field Galaxy Redshift Survey". Das ist eine großer Katalog, der zwischen 1997 und 2002 mit dem Anglo-Australian-Telescope in Australien erstellt worden ist und die Daten von 382.323 Objekten enthält. Mehr als 200.000 davon waren Galaxien und von denen hatte man auch Spektren. Ein Galaxienspektrum funktioniert genau so wie im Beispiel von der Sonne, nur das man hier eben die Mischung des Lichts untersucht, dass aus der Mischung des Lichts aller Sterne in der Galaxie entsteht. Das Licht der Galaxien im Katalog war teilweise mehr als 2 Milliarden Jahre zu uns unterwegs; der Katalog stellt also schon einen ordentlichen Querschnitt durch das Universum dar und war zum Zeitpunkt seiner Erstellung der umfangreichste seiner Art. Aus diesem Katalog haben sich die Astronomen Ivan K. Baldry, Karl Glazebrook und ihre diversen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nun knapp 173.000 Galaxien rausgesucht und aus dem kombinierten Licht all dieser Galaxien mit ihren jeweils hunderten Milliarden von Sternen ein kosmisches Spektrum erstellt. Sie haben sich gesagt: Diese Galaxien stellen einen wirklich großen Ausschnitt des gesamten Universums dar. Und es gibt keinen Grund davon auszugehen, dass das Universum an einer anderen Stelle fundamental anders aussehen sollte. Wenn wir anderswo einen anderen, ebenso großen Ausschnitt einer anderen Region des Universum gewählt hätten, dann würden wir das selbe Ergebnis kriegen. Wir können unseren Ausschnitt also als repräsentativ für das gesamte Universum ansehen. Also haben sie das Licht all dieser vielen Galaxien zusammengemischt und dann diese Mega-Mischung in die einzelnen Farben zerlegt. Um zu sehen, wie groß die Menge an rotem Licht im Universum ist, die Menge an blauem Licht, und so weiter. Warum? Weil es geht! Und weil man daraus einiges lernen kann. Was man in so einem Spektrum ja auch immer findet, sind Spektrallinien. Wenn etwa das Licht der Sonne durch ihre äußere Schichten strahlt, dann absorbieren die Atome des Gases aus dem diese Schichten bestehen, einen Teil davon. Und zwar einen ganz bestimmten Teil, je nachdem um welche Sorte von Atom es sich handelt. An diesen Stellen finden wir im Spektrum dann überhaupt keine Farbe sondern nur eine dunkle Linie. Und wenn wir das Muster dieser Linien analysieren, können wir so bestimmen, welche Atome in der Atmosphäre der Sonne vorhanden sind. Oder anders gesagt: Woraus die Sonne besteht. Wie stark diese Linien sind, hängt von vielen Faktoren ab, aber unter anderem und vor allem auch von der Temperatur. Sterne die älter sind haben zum Beispiel kühlere äußere Schichten und produzieren andere Linien als junge, heiße Sterne. Und im kosmischen Spektrum finden wir nun dunkle Linie, die aus der Mischung des Lichts aller Sterne entstehen. Mit ein bisschen - ok, mit sehr viel - Rechnerei kann man daraus bestimmen, wie viele alte Sterne es im Universum gibt, wie viele junge und wie sich die Rate der Sternentstehung im Laufe der Zeit der verändert hat. Das rauszufinden war das eigentliche Ziel der Arbeit von Baldry, Glazebrook und Co. Ihrem kosmischen Spektrum konnte man entnehmen, dass das Universum jung und blau angefangen und dann immer röter geworden ist. Ok, das ist noch nicht überraschend, denn natürlich waren am Anfang vor allem junge Sterne da und die sind heiß und leuchten blau während die alten Sterne später eher rötlich strahlen. Aber es kommen ja auch neue junge Sterne nach und alte rote verschwinden irgendwann. Wie sich die Farbmischung im Laufe der Zeit verändert hängt davon ab, wie viele Sterne im Laufe der Zeit genau entstanden sind. Und wenn man sich das kosmische Spektrum anschaut, dann sieht man, dass die Mehrheit der heute vorhandenen Sterne vor ungefähr sechs Milliarden Jahre entstanden ist. Das heißt nicht, dass davor gar keine Sterne entstanden sind oder danach keine neuen mehr dazu gekommen sind. Aber vor sechs Milliarden Jahren ging es offensichtlich richtig rund mit der Sternentstehung; unsere Sonne war also eher eine Mitläuferin, die erst 1,5 Milliarden Jahren nach diesem Höhepunkt, vor 4,5 Milliarden Jahren entstanden ist. Wir wollten aber ja eigentlich wissen, wie die Farbe des Universums ist. Das haben sich Baldry, Glazebrook und Co offensichtlich auch irgendwann im Laufe ihrer Arbeit und gedacht und zum Glück hatten sie ja ihr kosmisches Spektrum. Denn wenn man weiß, wie viel Licht einer bestimmten Farbe da im Universum ist, kann man das natürlich auch wieder alles zusammenmischen und schauen, was für eine Farbe da raus kommt. Obwohl es dann doch nicht so einfach ist. Das kosmische Spektrum ist etwas, das direkt aus den Beobachtungsdaten kommt, da gibt es wenig Interpretationsspielraum. Aber wie wir Menschen Farben wahrnehmen: Das ist eine ganz andere Sache. Unsere Augen nehmen nicht alle Farben gleich gut wahr; es kommt auch darauf an, ob wir gerade aus einem hellem Raum kommen oder die Augen an die Dunkelheit gewöhnt sind, und so weiter. Das heißt, auch wenn das kosmische Spektrum selbst eindeutig ist, gibt es mehrere Wege, daraus die Farbe zu berechnen, die unser Auge wahrnehmen würde, wenn es eine Lichtmischung mit diesem Spektrum wahrnimmt. Die Astronominnen und Astronomen haben sich für eine dieser Möglichkeiten entschieden - das CIE-Normvalenzsystem, falls es jemand genau wissen will - und daraus einen entsprechenden Farbton errechnet. Und dann die Farbwerte maximiert, so dass auch tatsächlich eine für unsere Augen sichtbare Farbe rauskommt; dabei aber den Farbton konstant gehalten. Das Resultat ist… beige. Zugegeben, eine sehr unspektakuläre Farbe. Es ist ein sehr weißliches beige, was die Farbe nicht aufregender macht (wenn es jemand genau wissen will: im RGB-Farbraum ist der Hexadezimalcode für die Farbe #FFF8E7). Vermutlich hat sich Karl Glazebrook deswegen entschlossen, an seiner Universität einen Wettbewerb auszurufen, um dieser Farbe einen Namen zu geben. Alle Einreichungen seien willkommen, hat er gesagt, solange niemand "beige" vorschlägt. Es gab diverse Vorschläge: "Big Bang Beige" zum Beispiel oder "Cosmic Khaki". Aber auch "Skyvory" war dabei. Glazebrook war aber ein großer Fan von diversen Kaffeegetränken und hat sich deswegen für den Vorschlag "Cosmic Latte" entschieden. Einerseits, weil es eben wie etwas klingt, das an Kaffee erinnert. Und andererseits weil "Latte" ja "Milch" auf italienisch heißt; genau so wie das "Milch" in "Milchstraße". Und weil auch unsere Milchstraße Teil des Universums ist, trägt auch sie etwas zur Cosmic-Latte-Färbung des Kosmos bei. Man kann das mit der Farbe des Universums und dem "Cosmic Latte" für ein bisschen lächerlich halten. Oder für gute wissenschaftliche Öffentlichkeitsarbeit, denn immerhin kann man die Menschen so dazu bringen, sich mit dem Universum zu beschäftigen. Aber egal was man davon hält, dass das Universum milchkaffeefarben sein soll: Die Wissenschaft dahinter ist faszinierend genug, dass man keinen Kaffee braucht um aufzupassen.
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Jul 29, 2022 • 11min

Sternengeschichten Folge 505: Die himmlische Elektrisiermaschine

Der Himmel braucht Strom! Sternengeschichten Folge 505: Die himmlische Elektrisiermaschine Ich habe in den Sternengeschichten schon oft von den Sternbildern erzählt. Für die moderne astronomische Forschung haben sie keine Bedeutung mehr, aber sehr wohl, wenn es darum geht, die Beziehung zwischen uns Menschen und dem Himmel zu verstehen. Es ist absolut logisch, dass man versucht, die vielen hellen Punkte am Himmel irgendwie zu ordnen. Einerseits, weil unser Gehirn eben so funktioniert; wir sind darauf ausgelegt überall nach Mustern zu suchen, selbst wenn es gar keine gibt. Und andererseits auch, weil es eine sehr natürlich Art ist, die Sterne einzuteilen, wenn man ansonsten nichts über sie weiß. Wir sehen ja nicht direkt, wie weit die Sterne entfernt sind. Das muss man messen; sehr mühsam, und deswegen ist uns das auch erst sehr spät gelungen, im 19. Jahrhundert. Und mittlerweile wissen wir daher auch, dass die Sterne nicht nur alle sehr weit entfernt sind, sondern vor allem auch alle unterschiedlich weit von uns weg. Die Sterne, die wir zu einem Sternbild zusammengefasst haben, haben in Wahrheit nichts mit einander zu tun. Aber lange Zeit haben wir davon eben keine Ahnung gehabt. Wir haben zum Himmel geschaut und dort Bilder gesehen. Manche - wie zum Beispiel Corona Borealis, die nördliche Krone, oder Orion, der Jäger - schauen auch genau so aus wie das was sie darstellen. Die Sterne in Corona Borealis bilden wirklich eine Form, die wie eine kleine Krone aussieht. Und die markante Figur des Orion mit seiner erhobenen Hand in der er die Keule trägt oder den Bogen, um auf die Jagd zu gehen, kann man kaum übersehen. Bei anderen Sternbildern braucht man sehr viel mehr Fantasie, um zu erkennen, was sie darstellen sollen. Aber auch das gehört dazu: Wir Menschen sind voll mit Fantasie und unsere Kreativität haben wir am Himmel genau so ausgelebt wie hier unten auf der Erde. Wir haben all das an den Himmel projiziert, was wir hier unten auf der Erde nicht gehabt haben. All unsere Götter, Helden und Mythen. Aber auch unsere Monster und Dämonen; all das was wir uns gewünscht und vor dem wir uns gefürchtet haben. Diesem Zauber konnten sich auch die Menschen in der Neuzeit nicht entziehen. Sie haben - trotz aller astronomischen Erkenntnisse - an vielen der alten Sternbilder aus der Vergangenheit festgehalten. Und sich selbst neue ausgedacht, die auf eine ganz eigene Art und Weise kreativ waren. Diese "neuen" Sternbilder findet man vor allem am Himmel der Südhalbkugel. Nicht, weil es dort noch keine Bilder gegeben hätte. Die Menschen die dort gelebt haben, haben natürlich das gemacht, was alle Menschen gemacht haben und ihre eigenen Geschichten über die Sterne erfunden, mitsamt eigener Sternbilder. Aber aus diversen historischen Gründen waren es eben die Menschen aus Europa, die sich angemaßt haben, die ganze Welt einzuteilen und zu klassifizieren. Die europäischen Nationen haben sich die restlichen Länder der Welt aufgeteilt und kolonialisiert. Sie haben die Flüsse, Berge und Inseln mit ihren eigenen Namen benannt und die alten, einheimischen Bezeichnungen ignoriert. Und am Himmel ist es genau so gelaufen. Als man sich aufgemacht hat, "neue" Länder zu entdecken (die aber nur für die Menschen in Europa neu waren), hat man natürlich auch neue Sternkarten gezeichnet, neue Beobachtungen angestellt und neue Sternbilder erfunden. Diese Folge soll aber jetzt keine Kritik des Kolonialismus werden. Nicht, weil es daran nichts zu kritisieren geben würde, ganz im Gegenteil. Aber das wäre ein völlig anderes Thema und ich will von den Sternen erzählen. Wenn man sich die Liste der offiziellen Sternbilder anschaut, findet man am nördlichen Himmel vor allem die traditionellen Bilder der griechisch-römischen Antike. Im Süden aber jede Menge Sternbilder die aus der Reihe fallen. Da ist zum Beispiel das Sternbild Teleskop. Oder die Pendeluhr. Man findet dort auch einen Zirkel, eine Luftpumpe und ein Mikroskop (davon habe ich ja schon in Folge 199 ausführlich erzählt). Was machen diese ganzen technischen Gerätschaften am sonst so mythologischen Himmel? Dafür ist der Franzose Nicolas-Louis de Lacaille verantwortlich. Von 1750 bis 1754 arbeitete der Astronom am Kap der Guten Hoffnung in Südafrika und hat dort - neben vielen anderen Dingen - auch einen Katalog von circa 10.000 Sternen des Südhimmels erstellt. Und die natürlich auch in Sternbilder eingeteilt. Lacaille wollte dabei die Erungenschaften der modernen Wissenschaft würdigen; was man ihm auch nicht vorwerfen kann. Im 18. Jahrhundert war die Naturwissenschaft gerade dabei, sich zu dem zu wandeln, was sie heute ist. Im vorherigen Jahrhundert hatten Forscher wie Isaac Newton, Galileo Galilei oder Johannes Kepler das Fundament geschaffen, auf dem sich eine objekte, mathematische Betrachtung der Natur entwickeln konnte; hatten den Startpunkt gesetzt, durch den sich die Wissenschaft von Religion und Philosophie loslösen konnte. Und zu Lacailles Zeit war man mittendrin in diesem neuen Abenteuer; beim Verstehen der Welt. Und so wie die Menschen in der Antike versucht haben, Sinn in den Sternen zu finden, in dem sie dort Götter und Helden auftreten haben lassen, wollte Lacaille die neuen Protagonisten der Sinnsuche verewigen: Die wissenschaftlichen Instrumente. Für die - und nach dieser langen Vorrede sind wir jetzt endlich bei ihr angelangt - Elektrisiermaschine ist er aber nicht verantwortlich. Die stammt von Johann Elert Bode, einem deutschen Astronom der noch ein Kleinkind war, als Lacaille in Südafrika die Sterne beobachtet hat. Bode hat jede Menge wichtige astronomische Arbeiten gemacht, zu seinen nachhaltigsten gehört aber sicherlich auch die "Uranographia" aus dem Jahr 1801. Dieser Himmelsatlas scheint noch aus einer anderen Zeit zu stammen. Er enthält zwar die neuesten astronomischen Daten und Sternpositionen. Die aber gleichzeitig in prächtigen und künstlerischen Bildern dargestellt sind. Die Uranographia enthält keine nüchternen Punkte und Linie, sondern auch Zeichnungen all der Götter, Helden, Tiere, Monster und sonstigen Dinge, die Menschen in den Sternen gesehen haben. So wie in der Uranographia wurde der Himmel früher immer dargestellt und danach immer seltener. Und in diesem Werk des Übergangs von Fantasie zu reiner Kartografie findet man die Elektrisiermaschine. Bode schrieb dazu: "Da der wichtigen Erfindung der Electrizität bisher noch kein Sternen-Monument geweihet war, so habe ich deshalb dieses neue Sternbild ostwärts bey der Bildhauerwerkstadt an den Himmel gebracht, und zur Formirung desselben mit letzterm einige Veränderungen getroffen". Oder anders gesagt: Bode wollte - ganz im Sinne von Lacaille - auch die Elektriztät am Himmel verewigt sehen. Zu Lacailles Zeit war das Phänomen vielleicht noch nicht so relevant aber mittlerweile war klar, dass das etwas ist, mit dem sich die Naturwissenschaft auf jeden Fall sehr intensiv auseinander setzen muss. Es wurden immer größere und bessere Maschinen gebaut, um die Elektrizität zu verstehen. Die "elektrische Maschine" oder "Machina electrica", wie Bode das Sternbild offiziell genannt hat, war eine davon. Im wesentlichen war das ein elektrostatischer Generator, bei dem eine große Scheibe rotiert und dabei an einem anderem Material reibt. Genau so wie man auch einen Luftballon elektrostatisch aufladen kann, wenn man ihn zum Beispiel an einem Wollpullover reibt, nur in größerem Maßstab. Mit den elektrischen Maschinen konnte man Funken über überraschend große Strecken springen lassen und jede Menge andere spektakuläre Experimente und wichtige Forschung machen. Und wenn am Himmel schon eine Luftpumpe und eine Pendeluhr zu finden sind, warum dann nicht auch eine elektrische Maschine? Bei der Erstellung seines Himmelsatlas hat Bode also einen kleinen Teil des Sternbilds Fornax abgeknapst; das ist übrigens das Sternbild, das auf deutsch "Chemischer Ofen" heißt; auch eines von Lacaille. Und hat das mit einem weiteren kleinen Stückchen vom Sternbild Sculptor, auf deutsch "die Bildhauerwerkstatt" zum Sternbild "Elektrische Maschine" zusammengefasst. In seinem Atlas ist auch ein schönes Bild dieser Maschine zu sehen und weil Bode durchaus ein bekannter Astronom war und die Uranographia ein sehr einflussreiches Buch, sind viele andere seinem Beispiel gefolgt und haben die Maschine in ihre eigenen Karten übernommen. Damals gab es ja noch keine Standardisierung am Himmel. Alle haben sich Sternbilder nach Gutdünken ausgedacht, auch wenn man schon den einflussreichen Sternkatalogen und ihren Sternbildern gefolgt ist. Aber wenn man sich gedacht hat: Hmm, ne elektrische Maschine würde da noch gut hinpassen - dann hat man eben einfach eine definiert, und fertig. Im Laufe des 19. Jahrhunderts findet man die elektrische Maschine immer wieder in Sternkarten und Himmelsgloben. Und wenn man sich die bildlichen Darstellungen ansieht, kann man auch schön verfolgen, wie sich die Technik weiterentwickelt hat. Es wurden immer neue Maschinen gebaut; immer besser, mit immer mehr Extras. Und die hat man dann natürlich auch auf den Himmelskarten eingezeichnet. Aber nicht auf allen; viele haben Bodes Maschine auch einfach ignoriert. Was vermutlich auch daran lag, dass er sich eine ziemlich unaufregende Stelle dafür ausgesucht hat. Die vier hellsten Stern in der elektrischen Maschine sind mit freiem Auge kaum zu sehen und auch sonst war aus damaliger Sicht dort nichts sonderlich dramatischen zu finden. Aus dem Fornax hat sich Bode die Sterne Nu Fornacis und Mu Fornacis genommen; ca 370 und 320 Lichtjahre entfernt. Beide sind noch recht jung und Mu Fornacis könnte von einer Scheibe aus Staub und Asteroiden umgeben sein, was auch ein Zeichen dafür ist, dass es dort vielleicht Planeten gibt. Aber ansonsten hat auch die moderen Forschung dort noch nicht viel ausmachen können. Von Sculptor sind Pi Sculptoris und Tau Sculptoris zur Maschine gewandert; zwei Doppelsterne die ansonsten aber auch nicht weiter aufgefallen sind. Im Laufe der Zeit hat die Elektrische Maschine immer mehr Fans verloren. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts taucht sie kaum noch irgendwo auf und als dann 1930 die heutigen, offiziellen Sternbilder für die ganze Astronomie vereinheitlicht und verbindlich festgelegt worden sind, ist die Elektrisiermaschine nicht berücksichtigt worden. Fornax und Sculptor haben ihre ursprünglichen Grenzen zurück bekommen und der Himmel muss weiterhin ohne Elektrogenerator auskommen.
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Jul 22, 2022 • 16min

Sternengeschichten Folge 504: Die 21-Zentimeter-Linie des Wasserstoffs

Die wichtigste Linie Sternengeschichten Folge 504: Die 21-Zentimeter-Linie des Wasserstoffs 1.420.405.751,768 Hertz. Diese Frequenz entspricht bei elektromagnetischer Strahlung einer Wellenlänge von exakt 21,106114054160 Zentimetern. Und genau darum geht es heute. Die Nachkommastellen lasse ich im Folgenden aber weg und werde mich darauf beschränken, von der 21-Zentimeter-Linie zu sprechen. Und bevor ihr euch jetzt fragt, wieso ich auf die komische Idee komme, eine ganze Folge der Sternengeschichten einer einzigen Wellenlänge zu widmen: Abwarten! Fangen wir mal mit der Vergangenheit an. Nicht mit dem Urknall, obwohl wir zu dem auch noch kommen werden. Wir gehen zurück in die 1940er Jahre, in die Niederlande. Die waren damals zwar von Deutschland besetzt, aber die holländischen Astronomen kamen trotzdem dazu, sich immer wieder mal zu treffen und über die Forschung zu diskutieren. Einer dieser Astronomen war Jan Hendrik Oort - den ihr vielleicht noch von Folge 321 kennt, als es um die Oortsche Wolke ging, also den Bereich voller Kometen, der unsere Sonne in großer Ferne umgibt. Damals hat Oort aber angefangen, sich für die Radioastronomie zu interessieren. Die war zu der Zeit noch recht neu; die Pioniere der Radioastronomie wie Karl Jansky oder Grote Reber hatten ihre ersten Experimente und grundlegenden Ergebnisse über Radiowellen aus dem Universum gerade erst publiziert. Oort war schnell klar, was für ein Potenzial in der Beobachtung von Radiowellen liegen könnte. Wenn man zum Beispiel die Struktur und den Aufbau der Milchstraße verstehen will, dann muss man möglichst viele Sterne dort beobachten und natürlich auch Sterne, die in allen Bereichen der Milchstraße liegen. Aber wenn wir von der Erde in Richtung der galaktischen Ebene schauen; also der Scheibe in der sich die Spiralarme befinden, dann sehen wir da nicht nur Sterne, sondern auch sehr viele sehr große Wolken aus kosmischen Staub. Was an sich auch interessant ist, aber noch interessanter hätte Oort es gefunden, wenn er auch sehen hätte können, was sich hinter den Staubwolken befindet. Das ging aber nicht, weil das normale Licht da nicht durch kommt. Das heißt: Nach ein paar tausend Lichtjahren war Schluß; weiter konnte er nicht schauen und das reichte nicht, um die Struktur der Milchstraße wirklich gut zu verstehen. Aber die Radiowellen, mit ihrer viel größeren Wellenlänge als das normale Licht, sollten da eigentlich durch kommen. Insbesondere war Oort daran interessiert, welche Spektrallinien man im Radiobereich sehen kann. Drüber habe ich ja auch schon öfter gesprochen, fasse es aber noch mal sehr vereinfacht zusammen: Atome und Moleküle können ganz bestimmte Wellenlängen der elektromagnetischen Strahlung absorbieren oder aussenden. Jedes Atome macht das bei einer ganz charakteristischen Wellenlänge und das ist schon mal super, weil man sie so identifizieren kann. Wenn ich zum Beispiel feststelle, dass im Licht eines Sterns ganz bestimmte Wellenlängen fehlen, wenn ich also dort bestimmte Spektrallinien finde, dann kann ich die den jeweiligen Atomen zuordnen und so bestimmen, woraus der Stern besteht. Umgekehrt geht es aber auch: Die Atome der interstellaren Gaswolken können elektromagnetische Strahlung bei ganz konkreten Wellenlängen aussenden und wenn ich die finde, weiß ich nicht nur, dass da eine Wolke ist und woraus sie besteht. Ich kann auch probieren, die Doppler-Verschiebung zu messen. Wenn das, was die Strahlung aussendet, sich auf uns zu oder von uns weg bewegt, dann verändert sich die Frequenz der Strahlung und aus dem Ausmaß der Verschiebung kann man die Geschwindigkeit der Bewegung berechnen. Das ist der gleiche Effekt, der die Tonhöhe der Sirene eines Einsatzfahrzeuges verändert, wenn es an uns vorbei fährt. Oort hat sich also gedacht: Wenn da irgendwo fern im All Gaswolken sind, die Spektrallinien erzeugen, und ich deren Dopplerverschiebung messen kann, dann weiß ich, wie sich das Zeug dort bewegt. Und kann bestimmen, wie die Milchstraße sich bewegt, wo die großen Gaswolken sind, wie die Materie verteilt ist, und so weiter. Und wenn es sich um Spektrallinien im Radiobereich handelt, dann kommen die auch durch die nervigen Staubwolken durch! Aber bevor man solche Messungen anstellen kann, muss man erst mal wissen, wo genau im Radiobereich Spektrallinien sind beziehungsweise ob da überhaupt welche sind. Also hat Oort einem Studenten die Aufgabe gegeben, das mal auszurechnen. Dieser Student war Hendrik Christoffel van de Hulst und der hat sich gedacht, er fängt am besten mal mit der Untersuchung von Wasserstoff an. Dieses chemische Element ist ja mit Abstand am häufigsten im Universum; es ist direkt beim Urknall entstanden; so gut wie alles am Anfang war Wasserstoff und auch die großen Gaswolken in den Galaxien bestehen fast komplett aus Wasserstoff. Und um zu verstehen, was van de Hulst am Ende rausgekriegt hat, müssen wir uns ein wenig mit einem kniffligen Thema beschäftigen. Es geht um etwas, das sich "Spin-Flip" nennt. Oder "Hyperfeinstrukturübergang". Auf jeden Fall aber geht es um ein simples Wasserstoffatom in seinem Grundzustand. So ein Ding besteht aus einem Proton, das von einem Elektron umkreist wird. Obwohl das nicht ganz richtig ist; wir wissen ja mittlerweile, dass Atome nicht wie Mini-Planetensysteme funktionieren; da sind keine kleinen Kugeln die einander umkreisen sondern nur quantenmechanische Wellenfunktionen. Aber wir bleiben vorerst mal bei dem einfachen Bild. Das tun wir auch, wenn es um den Spin geht. Der ist echt hinterhältig… Der Spin ist eine Eigenschaften, die ein Teilchen haben kann. "Spin" heißt so viel wie "Drehung" und meistens stellt man sich das auch genau so vor. Also als die Drehung, die ein Proton oder ein Elektron durchführt. Nur das - wie ich grade schon gesagt habe - ein Proton keine Kugel ist und ein Elektron auch nicht und sich beide daher auch nicht um ihre Achse drehen können. Es gibt tatsächlich keine anschauliche, alltägliche Entsprechung mit der man erklären könnte, was der Spin eines Elementarteilchens ist. Wenn man nicht tief in die Mathematik der Quantenmechanik eintauchen will, dann bleibt einem nix anderes übrig als zu sagen: Man kann Teilchen in der Quantenmechanik eine bestimmte Eigenschaft zuschreiben und die wird eben "Spin" genannt. Und wenn wir jetzt ein Wasserstoff-Atom anschauen, das aus einem Proton und einem Elektron besteht, dann können deren Spins entweder parallel sein oder antiparallel. Ich weiß, das ist nicht sehr befriedigend. Also tun wir vielleicht doch einmal so, als wären die beiden Teilchen kleine Kugeln (behalten aber im Hinterkopf, dass sie das nicht sind!). Dann kann man sich vorstellen, wie diese Kugeln sich um ihre Achsen drehen. Wenn sie das beide in die gleiche Richtung tun, dann sind ihre Spins parallel. Wenn sie sich in unterschiedliche Richtungen drehen, sind die Spins antiparallel. Aus weiteren quantenmechanischen Gründen, auf die ich jetzt wirklich nicht mehr eingehen will - es hat etwas mit magnetischen Dipolmomenten zu tun und so weiter - hat das Wasserstoff-Atom unterschiedlich viel Energie, je nachdem ob es in einem parallelen oder antiparallelen Zustand ist. Im antiparallelen Zustand steckt im Wasserstoff-Atom ein kleines bisschen weniger Energie als wenn es in einem parallelen Zustand ist. Was heißt: Wenn es von einem parallen in einen antiparallen Zustand wechselt, muss es ein bisschen Energie loswerden, was es tut, in dem es ein klein wenig elektromagnetische Strahlung abgibt. Und wenn man die beiden Energiewerte ausrechnet, den Unterschied dazwischen bestimmt , kann man daraus direkt die Wellenlänge dieser Strahlung berechnen. Genau das hat van de Hulst getan und das Ergebnis war eine Wellenlänge von 21 Zentimetern, also Strahlung im Radiobereich. Wer ein wenig Ahnung von der Quantenmechanik der Atome hat könnte sich jetzt denken: Ja und? Das ist doch normal. Machen Atome doch dauernd - sie kriegen von irgendwo her Energie, wechseln in einen höherenergetischen Zustand und dann aber sofort wieder zurück in den Grundzustand mit niedriger Energie. Und die aufgenommene Energie strahlen sie dabei halt ab. Was ist da jetzt so außergewöhnlich an der Spin-Flip-Sache und den 21 Zentimetern? Ok - es stimmt, dass Atome immer gerne in ihrem Grundzustand sind und schnell dahin wechseln, wenn sie mal in einem höher-energetischen Zustand geraten. Aber eben nicht immer. Es gibt etwas, das in der Astronomie sehr dramatisch als "verbotener Übergang" bezeichnet wird. Damit meint man nichts, was durch Naturgesetze tatsächlich verboten, also unmöglich ist. Sondern nur sehr, sehr unwahrscheinlich. Damit ein Wasserstoffatom per Spin-Flip 21-Zentimeter-Strahlung aussenden kann, muss es erst mal aus seinem antiparallelen Zustand in den parallelen Zustand geschubst werden. Dazu braucht es die richtige Menge an Energie und die darf nicht sehr groß sein; der Unterschied zwischen parallel und antiparallel ist winzig (deswegen heißt das ganze auch "Hyperfeinstrukturübergang). Und wenn ein Wasserstoffatom mal in einem parallelen Spin-Zustand gelangt ist, dann braucht es im Schnitt 10 Millionen Jahre, bis der Spin des Elektrons spontan wieder zurück klappt und dabei Energie ausgesandt wird. Bei irgendwelchen Experimenten im Labor braucht man also gar nicht darauf warten, dass so etwas passiert. Und auch Hendrik van de Hulst war skeptisch, ob man jemals eine 21-Zentimeter-Linie beobachten können würde und hat das in seiner Veröffentlichung zum Thema im Jahr 1945 auch angemerkt. Aber andere Wissenschaftler waren ein wenig optimistischer. Immerhin gibt es im Universum ja wirklich sehr, sehr viel Wasserstoff. Und angesichts des Alters des Kosmos sind 10 Millionen Jahre jetzt auch nicht so wahnsinnig viel. Eigentlich sollte sich da draußen trotz allem immer eine ausreichend große Anzahl an Wasserstoff-Atomen finden, die gerade in einem parallen Spinzustand sind und per Spin-Flip entsprechende Strahlung aussenden. Der Meinung war auch der amerikanische Astrophysiker Harold Irving Ewen, der gemeinsam mit seinem Doktorvater Edward Mills Purcell eine entsprechende Antenne gebaut hat und im Jahr 1950 die 21-Zentimeter-Strahlung aus dem All tatsächlich nachweisen konnte. Und seitdem ist die Beobachtung dieser Strahlung ein enorm wichtiges Instrument der Astronomie geworden. Man hat damit die Milchstraße vermessen, so wie Oort sich das gedacht hat. Man kann damit herausfinden, wo im Universum die großen Wolken aus Wasserstoff sind, aus denen Sterne entstehen. Oder die Strahlung des Wasserstoffs benutzen, um die Masse ferner Galaxien abzuschätzen. Was man damit auch machen kann: Dorthin schauen, wo noch gar keine Sterne sind. Womit wir jetzt am Ende doch noch am Anfang angekommen sind, nämlich beim Urknall. Im jungen Universum gab es keine Sterne. Es gab nur gigantische Wolken aus Wasserstoff, mit ein bisschen Helium darin. Da hat noch kein Stern geleuchtet; die mussten erst aus genau diesen Wolken entstehen. Und als sie das getan haben, ein paar hundert Millionen Jahre nach dem Urknall, hat das Licht dieser allerersten Sterne im Universum den Wasserstoff in den übrig gebliebenen Wolken ionisiert. Der Wasserstoff, von dem ich vorhin die ganze Zeit erzählt habe, war nicht ionisiert. Das Proton, das den Atomkern des Wasserstoffs darstellt, hatte noch ein zugehöriges Elektron in seiner Hülle. Wenn man aber genug Energie auf ein Atom loslässt, zum Beispiel das helle Licht junger Sterne, dann kann die das Elektron aus der Hülle quasi rauskicken. Und ein Atom, das weniger Elektronen besitzt als es sollte, nennt man ionisiert. Das ist wichtig, denn die 21-Zentimeter-Strahlung gibt es ja nur, wenn Proton und Elektron zusammenarbeiten. Ein einsames Proton ohne Elektron strahlt nicht. Also: Im frühen Universum gab es jede Menge Wasserstoff, nicht ionisiert. Der dementsprechend auch 21-Zentimeter-Strahlung aussendet. Dann aber haben die ersten Sterne angefangen zu leuchten. Sie haben den Wasserstoff ionisiert, der hat aufgehört 21-Zentimeter-zu-strahlen und erst später wieder damit angefangen, als sich die Protonen wieder ein paar herumfliegende Elektronen geschnappt haben. Oder anders gesagt: Wenn man 21-Zentimeter-Strahlung aus weiter Ferne beobachtet; also Strahlung die sehr, sehr lange zu uns unterwegs war und damit sehr früh im Universum entstanden sein muss, dann sollte da irgendwo plötzlich eine Lücke sein. Wir sollten viel Strahlung von ganz früher sehen, dann irgendwann weniger und dann wieder mehr von der Strahlung die jünger ist. Und wenn wir genau bestimmen, aus welcher Zeit diese Lücke stammt (was wir über die Doppler-Verschiebung tun können, denn die sagt uns ja, wie schnell sich das Zeug bewegt und weil sich dank der Expansion des Universums alles umso schneller von uns fort bewegt, je weiter es weg ist, folgt daraus die Entfernung), wenn wir also wissen, wann der Wasserstoff kurz mal aufgehört hat zu strahlen, dann wissen wir auch, wann die ersten Sterne angegangen sind. Und was soll man sagen: 2018 hat man genau das gemessen! Einen Abfall der 21-Zentimeter-Strahlung circa 180 Millionen Jahre nach dem Urknall. Es ist natürlich immer noch ziemlich schwierig, diese Strahlung exakt zu messen. Und die Ergebnisse sind ebenfalls nicht absolut exakt. Aber mit der 21-Zentimeter-Strahlung des Wasserstoffs können wir dorthin schauen, wo es keine Sterne gibt. Hinein in die dunkle Epoche des Universums, fast bis ganz zurück an den Anfang. Und spätestens jetzt sollte allen klar sein, wieso ich eine ganze Folge lang über eine einzelne Wellenlänge gesprochen habe.
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Jul 15, 2022 • 11min

Sternengeschichten Folge 503: Der Weg der Erde durch das Universum

Stillstand ist Fortschritt Sternengeschichten Folge 502: Der Weg der Erde durch das Universum Ich weiß nicht, was ihr gerade so treibt. Vielleicht geht ihr in diesem Moment gerade spazieren. Oder joggt vielleicht auch durch die Gegend. Oder sitzt auf dem Fahrrad, im Zug oder im Auto. Vielleicht bewegt ihr euch auch gar nicht, sondern liegt im Bett? Aber egal was ihr im Moment gerade tut: ihr könnt euch sicher sein, dass ihr euch trotzdem sehr schnell und über gigantische Distanzen hinweg bewegt, auch wenn euch das gerade gar nicht so vorkommen mag. Dass die Erde ein Planet ist und sich um die Sonne herum bewegt, ist keine neue Erkenntnis. Allerdings auch keine wirklich alte. Es hat bis ins 16. Jahrhundert gedauert, bevor allgemein akzeptiert worden ist, dass die Erde sich tatsächlich bewegt. Und man kann es den Menschen auch nicht verdenken, dass sie so lange davon überzeugt waren, dass die Erde still im Mittelpunkt des Universums steht und sich alles um uns herum bewegt. Denn genau so sieht es ja auch aus! Wir sehen, wie die Sonne auf- und untergeht. Wir sehen, wie sie sich über den Himmel bewegt, wie die Sterne sich um die Erde drehen, und so weiter. Außerdem fühlt es sich definitiv nicht so an, als würde sich die Erde bewegen; wir spüren nix. Dass das, was wir sehen, immer nur eine scheinbare Bewegung ist, weil sich in Wahrheit die Erde eben doch bewegt: Das ist nicht offensichtlich und es hat diverse Geistesblitze und konkrete astronomische Beobachtungen gebraucht, bis wir es verstanden haben. Und wenn man ein wenig genauer darüber nachdenkt, dann findet man jede Menge Arten von Bewegung, von denen wir eigentlich gar nichts mitbekommen. Ignorieren wir mal die Sonne, die Sterne und den ganzen Rest da draußen und schauen nur auf die Erde. Selbst wenn wir sehr faul sind und uns konsequent nicht bewegen, kommen wir dennoch voran. Sehr langsam zwar, aber trotzdem und zwar dank der Plattentektonik. Die großen Bruchstücke aus denen die Erdkruste besteht, bewegen sich. Unterschiedlich schnell und in unterschiedliche Richtungen; sie tauchen an bestimmten Stellen hinab in den Erdmantel wo sie aufgeschmolzen werden. An anderen Stellen tritt geschmolzenes Material aus dem Erdinneren an die Oberfläche und schiebt die Platten weiter. Manche Platten kollidieren und an diesen Stellen falten sich gewaltige Gebirge auf. Ab und zu löst sich spontan ein bisschen was von der ganzen Spannung die bei dem Hin und Her der Platten entsteht und das können wir dann durchaus auch sehr intensiv spüren und zwar als Erdbeben. Aber selbst wenn man sowas ignoriert bleibt immer noch die langsame Bewegung der Kontinentaldrift. Ein paar Millimeter bis Zentimeter pro Jahr, ungefähr so schnell wie menschliche Fingernägel wachsen. Wer sich auf der Eurasischen Platte befindet, also dem Teil der Erdkruste, der ganz Europa und fast ganz Asien umfasst, wird von ihr zwischen 7 und 14 Millimeter pro Jahr Richtung Südosten transportiert. Das ist noch nicht so viel, aber wir haben ja erst angefangen. Nicht nur die Erdoberfläche ist in Bewegung; die ganze Erde rotiert um ihre Achse. Das tut sie bekanntlich einmal in 24 Stunden und wenn man das weiß, kann man leicht ausrechnen, wie schnell man sich aufgrund dieser Tatsache bewegt. Auch hier kommt es aber darauf an, wo auf der Erde man sich befindet. Stellt euch vor, ihr sitzt gerade am Äquator. In 24 Stunden hat euch die Erde einmal komplett herum gedreht und ihr habt eine Strecke von 40.075 Kilometer zurück gelegt, denn genau so lang ist der Äquator der Erde. 40.075 Kilometer in 24 Stunden, das sind 1670 Kilometer pro Stunde! Aber höchstwahrscheinlich befindet ihr euch gerade nicht am Äquator und dann seid ihr langsamer unterwegs. Solltet ihr überraschenderweise gerade exakt am Nord- oder Südpol sein, dann nutzt euch die Erdrotation bei eurer Bewegung gar nichts. Ihr dreht euch dann in 24 Stunden nur einmal um eure Achse, legt aber keine zusätzliche Strecke zurück, weil ihr ja genau dort steht, wo sich auch die Rotationsachse der Erde befindet. Gut, die meisten werden sich gerade vermutlich irgendwo zwischen Äquator und Pol aufhalten und da kriegt man durch die Rotation unseres Planeten eine Geschwindigkeit mit, die irgendwo zwischen 0 und 1670 Kilometer pro Stunde liegt. Kann man auch leicht ausrechnen; einfach den Cosinus der geografischen Breite berechnen an der man sich gerade befindet und das mit der Maximalgeschwindigkeit von 1670 Kilometer pro Stunde multiplizieren. Bei einer geografischen Breite von 52 Grad etwa, also auf der Höhe von Berlin, sind es gut 1028 km/h mit denen man von der Erde herumgedreht wird. Weiter südlich, auf 48 Grad, also dort wo sich Wien befindet, ist man mit 1117 km/h schon ein wenig schneller unterwegs. Plattentektonik und Erdrotation: Damit kommt man schon ein Stückchen weit. Aber die Erde selbst steht ja auch nicht still, sie bewegt sich um die Sonne herum. Pro Jahr legt sie einen näherungsweisen Kreis mit einem Umfang von 942 Millionen Kilometer zurück. Oder, wenn man das eine durch das andere teilt: Sie ist mit einer Geschwindigkeit von gut 107.500 km/h unterwegs. Das sind immerhin 30 Kilometer pro Sekunde mit denen jeder von uns durch den Weltraum saust, ohne das man sich dafür anstrengen muss. Das ist natürlich ein Näherungswert; die Bahn der Erde um die Sonne ist kein exakter Kreis (darüber habe ich in Folge 500 ausführlicher gesprochen); sie bewegt sich entlang einer Ellipse und ist der Sonne mal ein wenig näher und mal ein wenig weiter weg. Ist sie der Sonne nahe, ist die Erde schneller; weiter weg ist sie langsamer. Der Unterschied ist aber gering; die Geschwindigkeit schwankt zwischen 29,3 und 30,2 Kilometer pro Sekunde. Damit sind wir aber noch lange nicht durch. Denn auch die Sonne bewegt sich; durch die Milchstraße hindurch. Aber nicht so wie ein Planet um einen Stern herum. In erster Näherung kann man sich das durchaus so vorstellen; wenn man genauer hinschaut ist das Bild aber komplizierter. Denn in einem Planetensystem ist der absolut überwiegende Teil der Masse im zentralen Stern konzentriert; die Planeten sind alle viel, viel leichter und der Stern dominiert quasi die Bewegung alleine. Im Zentrum einer Galaxie wie unserer Milchstraße sitzt zwar auch immer ein sehr massereiches schwarzes Loch. Aber das ist bei weitem nicht so dominant. Die Milchstraße hat zum Beispiel ein schwarzes Loch mit einer Masse von circa 4 Millionen Sonnenmassen. Das ist viel - aber da sind ja noch circa 200 Milliarden Sterne, die zusammen, sehr vereinfacht gerechnet, dann auch 200 Milliarden Sonnenmassen haben. Und dann sind da noch die ganzen Gaswolken, der ganze Staub, die dunkle Materie, und so weiter. Und weil in einer Galaxie die Masse eben nicht im Zentrum konzentriert ist, folgen die Sterne auch keinen simplen Bahnen um das Zentrum herum. Die Sonne zum Beispiel bewegt sich zwar schon mehr oder weniger um das galaktische Zentrum herum. Ihre Bahn ist aber ein wenig wackelig, sie bewegt sich auch auf und ab, soll heißen, dass sie sich ein paar Millionen Jahre lang über der mittleren galaktischen Ebene bewegt, also der Ebene, in der sich die Spiralarme befinden und dann wieder ein paar Millionen Jahre lang darunter. Sie braucht ungefähr 240 Millionen Jahre für eine Runde und bewegt sich aktuell mit einer Geschwindigkeit von 792.000 km/h beziehungsweise mit 220 Kilometer pro Sekunde. Die Ebene in der sich die Planeten um die Sonne bewegen ist übrigens um gut 60 Grad gegenüber der Ebene geneigt, in der sich die Sonne durch die Milchstraße bewegt. Was keinen besonderen physikalischen Grund hat, sondern reiner Zufall ist; die Ebene in der sich Planeten um einen Stern herum bewegen, bildet sich zufällig aus den chaotischen Vorgängen heraus, die bei der Entstehung von Planeten ablaufen. Jetzt können wir natürlich auch noch schauen, wie sich die Milchstraße selbst bewegt. Was sie natürlich tut! Wir sind Teil einer großen Gruppe von Galaxien, der Lokalen Gruppe, von der ich in Folge 371 mehr erzählt habe. Und die Lokale Gruppe gehört zum Virgosuperhaufen, zu dem noch ganz viele andere Galaxiengruppen gehören. Und der Virgosuperhaufen selbst ist wieder Teil von größeren Strukturen. Und alles bewegt sich - und jetzt wird es ein wenig schwierig mit der Angabe von Geschwindigkeiten. Denn das macht ja nur Sinn, wenn man sie in Bezug auf etwas anderes angibt. Und auf den ganz großen Skalen gehen einem irgendwann die Bezugspunkte aus. Aber wenn man die fernsten Strukturen nimmt, dann bewegt sich die Milchstraße in Bezug auf sie mit circa 2,3 Millionen km/h beziehungsweise mit 630 Kilometer pro Sekunde. Man kommt also ganz schön rum; selbst wann man nur faul auf dem Sofa sitzt oder im Bett liegt. Wenn diese Folge der Sternengeschichten zu Ende sein wird, dann wird euch die Plattentekonik ganze 200 Nanometer weit transportiert haben, gemessen vom Start des Intros. Die Erdrotation hat euch 207 Kilometer weit gebracht (zumindest wenn ihr euch auf einer geografischen Breite von 45 Grad befindet). Mit der Erde werdet ihr 18.900 Kilometer weit um die Sonne gereist sein und mit der Sonne 139.000 Kilometer durch die Milchstraße. Und die ganze Galaxis ist mit euch während dieser Folge 396.000 Kilometer weit durch den Kosmos geflogen. Natürlich kann man diese Zahlen nicht einfach alle addieren; die einzelnen Bewegungen verlaufen nicht alle in die selbe Richtung. Aber wenn man sie zusammenzählt, dann kommt man auch weit über eine halbe Million Kilometer. Gar nicht so schlecht für eine Folge Sternengeschichten!
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Jul 8, 2022 • 13min

Sternengeschichten Folge 502: Die Sonnenfinsternis vom 8. Juli 1842

Die Ohnmacht eines Riesenkörpers Sternengeschichten Folge 503: Die Sonnenfinsternis vom 8. Juli 1842 Wenn sich der Mond vor die Sonne schiebt und den hellen Tag in plötzliche Dunkelheit taucht, ist das immer ein ganz besonderes Ereignis. Seit es Menschen gibt, werden sie solche Ereignisse mit besonderer Aufmerksamkeit beobachtet haben. Früher, als man noch nicht wusste, was da passiert und diese Finsternisse nicht vorhersagen konnte, natürlich ganz besonders. Aber auch später, als man schon verstanden hat, was da passiert und berechnen konnte, wann mit einer Finsternis zu rechnen ist, war es immer ein ganz besonderes Phänomen. Jede Sonnenfinsternis ist besonders - aber heute soll es um eine ganz spezielle Finsternis gehen. Nämlich die vom 8. Juli 1842. Als erste Großstadt konnte Madrid früh am Morgen die komplette Verfinsterung der Sonne beobachten. Der Pfad der Totalität zog sich weiter nach Frankreich, wo man in Marseille ein paar Minuten später die dunkle Sonne sehen konnte. Drei Minuten nach Marseille war Venedig an der Reihe, nochmal vier Minuten später wurde es auch in Wien finster. Der Schatten des Mondes wanderte über Osteuropa nach Russland, wo man im Osten von Kasachstan mit einer Dauer von 4 Minuten und 5 Sekunden die längster Verfinsterung sehen konnte. Als letztes kamen die Menschen in China dazu, die Sonnenfinsternis zu beobachten und dann war das Ereignis wieder vorbei. Eine Sonnenfinsternis an sich ist kein enorm seltenes Ereignis. Jedes Jahr finden mindestens zwei und maximal fünf Sonnenfinsternisse statt; im Durchschnitt sind es 2,4 Finsternisse. Aber das gilt für die Erde insgesamt und für jede Art von Finsternis. Also auch partielle Finsternisse, bei denen die Sonne nur zum Teil vom Mond bedeckt wird. Solche Ereignisse sind längst nicht so spektakulär; ohne optische Hilfmittel merkt man auch so gut wie gar nichts davon. Wenn man sich einen konkreten Ort auf der Erde aussucht und dort eine totale Sonnenfinsternis sehen will, dann muss man im Schnitt 375 Jahre warten, bis es so weit ist. Und wenn so eine Finsternis dann auch noch mitten über Europa stattfindet und jede Menge große Städte mit vielen Bewohnerinnen und Bewohnern das Ereignis sehen können, dann ist das definitiv außergewöhnlich. Genau das war 1842 der Fall. Unzählige Menschen haben diese Finsternis beobachtet. Darunter waren natürlich auch jede Menge, die das aus wissenschaftlichen Gründen getan haben. Aber in Wien hat Adalbert Stifter die Finsternis beobachtet. Der kein Astronom war, sondern ein österreichischer Dichter und ganz besonders berühmt für seine Naturdarstellungen. Und wenn da schon so ein großer Schriftsteller diese Sonnenfinsternis beschrieben hat, dann werde ich gar nicht erst versuchen, dem etwas hinzuzufügen, sondern lese einfach das vor, was Stifter angesichts der sich verfinsternden Sonne zu Papier gebracht hat: "Es gibt Dinge, die man fünfzig Jahre weiß, und im einundfünfzigsten erstaunt man über die Schwere und Furchtbarkeit ihres Inhaltes. So ist es mir mit der totalen Sonnenfinsternis ergangen, welche wir in Wien am 8. Juli 1842 in den frühesten Morgenstunden bei dem günstigsten Himmel erlebten. Da ich die Sache recht schön auf dem Papiere durch eine Zeichnung und Rechnung darstellen kann, und da ich wußte, um soundso viel Uhr trete der Mond unter der Sonne weg und die Erde schneide ein Stück seines kegelförmigen Schattens ab, welches dann wegen des Fortschreitens des Mondes in seiner Bahn und wegen der Achsendrehung der Erde einen schwarzen Streifen über ihre Kugel ziehe, was man dann an verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeiten in der Art sieht, daß eine schwarze Scheibe in die Sonne zu rücken scheint, von ihr immer mehr und mehr wegnimmt, bis nur eine schmale Sichel übrigbleibt, und endlich auch die verschwindet - auf Erden wird es da immer finsterer und finsterer, bis wieder am andern Ende die Sonnensichel erscheint und wächst, und das Licht auf Erden nach und nach wieder zum vollen Tag anschwillt - dies alles wußte ich voraus, und zwar so gut, daß ich eine totale Sonnenfinsternis im voraus so treu beschreiben zu können vermeinte, als hätte ich sie bereits gesehen. Aber, da sie nun wirklich eintraf, da ich auf einer Warte hoch über der ganzen Stadt stand und die Erscheinung mit eigenen Augen anblickte, da geschahen freilich ganz andere Dinge, an die ich weder wachend noch träumend gedacht hatte, an die keiner denkt, der das Wunder nicht gesehen. Nie und nie in meinem ganzen Leben war ich so erschüttert, von Schauer und Erhabenheit so erschüttert, wie in diesen zwei Minuten, es war nicht anders, als hätte Gott auf einmal ein deutliches Wort gesprochen und ich hätte es verstanden. Ich stieg von der Warte herab, wie vor tausend und tausend Jahren etwa Moses von dem brennenden Berge herabgestiegen sein mochte, verwirrten und betäubten Herzens. Es war ein so einfach Ding. Ein Körper leuchtet einen andern an, und dieser wirft seinen Schatten auf einen dritten: aber die Körper stehen in solchen Abständen, daß wir in unserer Vorstellung kein Maß mehr dafür haben, sie sind so riesengroß, daß sie über alles, was wir groß heißen, hinausschwellen - ein solcher Komplex von Erscheinungen ist mit diesem einfachen Dinge verbunden, eine solche moralische Gewalt ist in diesen physischen Hergang gelegt, daß er sich unserem Herzen zum unbegreiflichen Wunder auftürmt." Stifter erzählt nun, wie er sich frühmorgens zu einem guten Beobachtungspunkt begeben hat, so wie viele anderen Menschen in Wien; sogar am Turm des Stephansdom standen sie und schauten zum Himmel. Und dann begann die Sonne sich zu verdunkeln. "Endlich zur vorausgesagten Minute - gleichsam wie von einem unsichtbaren Engel - empfing sie den sanften Todeskuß, ein feiner Streifen ihres Lichtes wich vor dem Hauche dieses Kusses zurück, der andere Rand wallte in dem Glase des Sternenrohres zart und golden fort - "es kommt", riefen nun auch die, welche bloß mit dämpfenden Gläsern, aber sonst mit freien Augen hinaufschauten - "es kommt", und mit Spannung blickte nun alles auf den Fortgang. Die erste, seltsame, fremde Empfindung rieselte nun durch die Herzen, es war die, daß draußen in der Entfernung von Tausenden und Millionen Meilen, wohin nie ein Mensch gedrungen, an Körpern, deren Wesen nie ein Mensch erkannte, nun auf einmal etwas zur selben Sekunde geschehe, auf die es schon längst der Mensch auf Erden festgesetzt." "Indes nun alle schauten und man bald dieses, bald jenes Rohr rückte und stellte und sich auf dies und jenes aufmerksam machte, wuchs das unsichtbare Dunkel immer mehr und mehr in das schöne Licht der Sonne ein - alle harrten, die Spannung stieg; aber so gewaltig ist die Fülle dieses Lichtmeeres, das von dem Sonnenkörper niederregnet, daß man auf Erden keinen Mangel fühlte, die Wolken glänzten fort, das Band des Wassers schimmerte, die Vögel flogen und kreuzten lustig über den Dächern, die Stephanstürme warfen ruhig ihre Schatten gegen das funkelnde Dach, über die Brücke wimmelte das Fahren und Reiten wie sonst, sie ahneten nicht, daß indessen oben der Balsam des Lebens, Licht, heimlich versiege, dennoch draußen an dem Kahlengebirge und jenseits des Schlosses Belvedere war es schon, als schliche eine Finsternis oder vielmehr ein bleigraues Licht, wie ein wildes Tier heran - aber es konnte auch Täuschung sein, auf unserer Warte war es lieb und hell" "Seltsam war es, daß dies unheimliche, klumpenhafte, tief schwarze, vorrückende Ding, das langsam die Sonne wegfraß, unser Mond sein sollte, der schöne sanfte Mond, der sonst die Nächte so florig silbern beglänzte; aber doch war er es, und im Sternenrohr erschienen auch seine Ränder mit Zacken und Wulsten besetzt, den furchtbaren Bergen, die sich auf dem uns so freundlich lächelnden Runde türmen." "Endlich wurden auch auf Erden die Wirkungen sichtbar und immer mehr, je schmäler die am Himmel glühende Sichel wurde; der Fluß schimmerte nicht mehr, sondern war ein taftgraues Band, matte Schatten lagen umher, die Schwalben wurden unruhig, der schöne sanfte Glanz des Himmels erlosch, als liefe er von einem Hauche matt an, ein kühles Lüftchen hob sich und stieß gegen uns, über die Auen starrte ein unbeschreiblich seltsames, aber bleischweres Licht, über den Wäldern war mit dem Lichterspiele die Beweglichkeit verschwunden, und Ruhe lag auf ihnen, aber nicht die des Schlummers, sondern die der Ohnmacht - und immer fahler goß sich's über die Landschaft, und diese wurde immer starrer - die Schatten unserer Gestalten legten sich leer und inhaltslos gegen das Gemäuer, die Gesichter wurden aschgrau - - erschütternd war dieses allmähliche Sterben mitten in der noch vor wenigen Minuten herrschenden Frische des Morgens." Wir hatten uns das Eindämmern wie etwa ein Abendwerden vorgestellt, nur ohne Abendröte; wie geisterhaft ein Abendwerden ohne Abendröte sei, hatten wir uns nicht vorgestellt, aber auch außerdem war dies Dämmern ein ganz anderes, es war ein lastend unheimliches Entfremden unserer Natur; gegen Südost lag eine fremde, gelbrote Finsternis, und die Berge und selbst das Belvedere wurden von ihr eingetrunken - die Stadt sank zu unsern Füßen immer tiefer, wie ein wesenloses Schattenspiel hinab, das Fahren und Gehen und Reiten über die Brücke geschah, als sähe man es in einem schwarzen Spiegel - die Spannung stieg aufs höchste - einen Blick tat ich noch in das Sternrohr, er war der letzte; so schmal wie mit der Schneide eines Federmessers in das Dunkel geritzt, stand nur mehr die glühende Sichel da, jeden Augenblick zum Erlöschen, und wie ich das freie Auge hob, sah ich auch, daß bereits alle andern die Sonnengläser weggetan und bloßen Auges hinaufschauten - sie hatten auch keines mehr nötig; denn nicht anders als wie der letzte Funke eines erlöschenden Dochtes schmolz eben auch der letzte Sonnenfunken weg, wahrscheinlich durch die Schlucht zwischen zwei Mondbergen zurück - es war ein überaus trauriger Augenblick - deckend stand nun Scheibe auf Scheibe - und dieser Moment war es eigentlich, der wahrhaft herzzermalmend wirkte - das hatte keiner geahnet - ein einstimmiges "Ah" aus aller Munde, und dann Totenstille, es war der Moment, da Gott redete und die Menschen horchten. Der Mond stand mitten in der Sonne, aber nicht mehr als schwarze Scheibe, sondern gleichsam halb transparent wie mit einem leichten Stahlschimmer überlaufen, rings um ihn kein Sonnenrand, sondern ein wundervoller, schöner Kreis von Schimmer, bläulich, rötlich, in Strahlen auseinanderbrechend, nicht anders, als gösse die obenstehende Sonne ihre Lichtflut auf die Mondeskugel nieder, daß es rings auseinanderspritzte - das Holdeste, was ich je an Lichtwirkung sah! Nie, nie werde ich jene zwei Minuten vergessen - es war die Ohnmacht eines Riesenkörpers, unserer Erde. Auch wurde die Wirkung auf alle Menschenherzen sichtbar. Nach dem ersten Verstummen des Schrecks geschahen unartikulierte Laute der Bewunderung und des Staunens: der eine hob die Hände empor, der andere rang sie leise vor Bewegung, andere ergriffen sich bei denselben und drückten sich - eine Frau begann heftig zu weinen, eine andere in dem Hause neben uns fiel in Ohnmacht, und ein Mann, ein ernster fester Mann, hat mir später gesagt, daß ihm die Tränen herabgeronnen. Ich habe immer die alten Beschreibungen von Sonnenfinsternissen für übertrieben gehalten, so wie vielleicht in späterer Zeit diese für übertrieben wird gehalten werden; aber alle, so wie diese, sind weit hinter der Wahrheit zurück." Ihr aber, die es im höchsten Maße nachempfunden, habet Nachsicht mit diesen armen Worten, die es nachzumalen versuchten, und so weit zurückgeblieben. Wäre ich Beethoven, so würde ich es in Musik sagen; ich glaube, da könnte ich es besser." Stifter hat noch viel mehr geschrieben; das hier war nur ein kurzer Auszug aus seinem Aufsatz und ich kann allen nur empfehlen, ihn komplett zu lesen. Und so wie Stifter am Ende seines Textes um Nachsicht gebeten hat, bitte auch ich um Nachsicht, weil ich ausnahmsweise mal jemand anderes fast den kompletten Text einer Folge der Sternengeschichten schreiben habe lassen. Aber angesichts der Worte von Stifter wäre es vermessen, diese Beschreibung besser machen zu wollen als er sie gemacht hat. Und ich überlasse Stifter auch das Schlusswort. Er bezieht sich dabei auf den möglichen Vorwurf, dass das ja nur ein natürliches Phänomen ist, das man auch ganz leicht berechnen kann. Und antwortet, dass die "wunderbare Magie des Schönen" nichts mit Rechnungen zu tun hat: "Sie ist da, weil sie da ist, ja sie ist trotz der Rechnungen da, und selig das Herz, welches sie empfinden kann; denn nur dies ist Reichtum, und einen andern gibt es nicht - schon in dem ungeheuern Raume des Himmels wohnt das Erhabene, das unsere Seele überwältigt, und doch ist dieser Raum in der Mathematik sonst nichts als groß."
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Jul 1, 2022 • 9min

Sternengeschichten Folge 501: Die lila Erde

Die Lila Lichtfresser kommen Sternengeschichten Folge 501: Die lila Erde Wenn wir heute die Erde vom Weltall aus betrachten, dann sehen wir einen blauen Planeten. Oder einen grünen, je nachdem ob wir auf das Wasser oder aufs Land schauen. Aber wenn wir vor ein paar Milliarden Jahren auf die Erde geblickt hätten, dann wäre sie vielleicht ein violetter oder rosa Planet gewesen. Um zu verstehen, wieso das so war, müssen wir uns kurz überlegen, warum die Erde heute blau bzw. grün erscheint. Blau ist sie natürlich wegen des vielen Wassers, dass aber selbst - so wie das Land - immer wieder mal auch grün aussehen kann. Und das liegt an den Lebewesen, die dort leben. Den Pflanzen auf dem Land und den Algen im Meer, die zwar nicht ausschließlich aber doch sehr grün sind. Und das wiederum liegt an der Art und Weise, wie diese Lebewesen ihr Leben leben. Sie tun das, in dem sie Fotosynthese betreiben, also in dem sie die Energie die im Licht der Sonne steckt direkt in chemische Energie für ihren Stoffwechsel umwandeln. Sie können das, weil sie den natürlichen Farbstoff Chlorophyll besitzen. Das Chlorophyll - oder besser gesagt die Chlorophylle, denn es gibt unterschiedliche Arten dieses Farbstoffs - kann Licht aufnehmen. Die in diesem Licht steckende Energie wird dann genutzt, um diverse chemische Reaktionen ablaufen zu lassen, damit am Ende die organischen Verbindungen entstehen, die die Pflanze oder die Alge zum Leben braucht. Das hat jetzt noch nichts mit der Farbe zu tun. Die kriegen wir erst, wenn wir uns anschauen, welche Teile des Lichts das Chlorophyll nutzen kann. Das Licht der Sonne ist ja eine Mischung aus allen Farben; aus rot, grün, gelb, blau, und so weiter. Das Chlorophyll nutzt den roten Teil des Lichts, des blauen genau so. Aber nicht den grünen Anteil; der wird reflektiert. Das ist einerseits der Grund dafür, warum die Pflanzen grün erscheinen. Und andererseits seltsam, weil genau in diesem Bereich steckt die meiste Energie im Sonnenlicht. Warum sollten die Pflanzen gerade darauf verzichten? Dazu kommen wir später noch. Zuerst schauen wir uns einmal ein paar Flamingos an. Die sind ja bekanntlich sehr rosa. Was nicht an den Flamingos selbst liegt, sondern an Halobacterium salinarum. Das ist ein Mikroorganismus und auch wenn er Halobacterium heißt, ist es keine Bakterie. Das hat man früher nur gedacht, bis man in den 1970er Jahren drauf gekommen ist, dass es jede Menge Mikroorganismen gibt, die zwar auf den ersten Blick so aussehen wie Bakterien, sich aber tatsächlich sehr grundlegend von ihnen unterscheiden; so grundlegend, dass man sie zu einer völlig eigenen Klasse von Lebewesen erklären muss: Die Archaeen. Heute teilt man die Lebewesen tatsächlich in drei große Gruppen. Da sind einmal die Eukaryoten, also alle Lebewesen, die aus Zellen mit einem Zellkern bestehen. Dazu gehören die Pflanzen, die Tiere, die Pilze, diverse Mikroben und natürlich auch wir Menschen. Dann gibt es die Bakterien. Und dann die Archaeen. Vermutlich stammen wir Menschen (zusammen mit allen anderen Tieren und Pflanzen) sogar von den Archaeen ab. Diese Mikroorganismen sind auf jeden Fall schon sehr lange auf der Erde, sehr viel länger als wir und sie besiedeln sehr extreme Lebensräume. Heiße Quellen, lichtlose unterirdische Gesteinsschichten, Regionen ohne Sauerstoff und andere eigentlich sehr lebensfeindliche Räume. Und so gern ich noch weiter über die Archaeen erzählen würde, wir müssen wieder zurück zu den Flamingos. Halobacterium salinarum und ähnliche Archaeen leben zum Beispiel gerne in sehr salzhaltigen Gewässern. Dort werden sie gefressen, zum Beispiel von winzigen Krebsen. Die wiederum sehr gerne von Flamingos gefressen werden. Die Archaeen landen also am Ende in den Flamingos. Oder besser gesagt, das Bakteriorhodopsin aus den Archaeen sammelt sich im Laufe der Zeit in den Flamingos an. Und das wiederum ist ein Protein, dass die Archeen nutzen, um Energie aus Licht zu gewinnen. Nicht genau so wie das die Pflanzen mit dem Chlorophyll tun, aber diese Details sparen wir uns jetzt. Bacteriorhodopsin ist ein Protein, das Licht absorbieren kann. Wir haben so etwas ähnliches in unseren Augen und es ist durchaus wahrscheinlich, dass wir es irgendwann im Laufe der Evolution von den Archaeen geerbt haben. Was Bacteriorhodopsin außerdem noch ist, ist lila (deswegen nennt man das Rhodopsin in unseren Augen auch manchmal "Sehpurpur"). So wie die Pflanzen heute das grüne Chlorophyll für ihre Fotosynthese benutzen, verwenden die Archaeen das lila Bacteriorhodopsin für ihren Stoffwechsel. Und im Vergleich zum Chlorophyll ist dieses lila Protein sehr viel einfacher aufgebaut. Es ist also absolut plausibel, dass es sich im Laufe der Evolution zuerst entwickelt hat. Vor Milliarden von Jahren, als das Leben auf der Erde ausschließlich aus Mikroorganismen bestanden hat, könnten frühe Bakterien und Archaeen dieses Protein verwendet haben, um Licht zu absorbieren. Diese Mikroorganismen sind heute in der Lage, Gewässer rosa zu färben, wenn sie in großen Mengen auftauchen. Und könnten durchaus auch die frühe Erde pink-violett eingefärbt haben. Das ist die sogenannte "Purple Earth Hypothesis", also die "Lila-Erde-Hypothese". Das muss irgendwann vor 2,5 bis 3,5 Milliarden Jahren gewesen sein. Denn, wie ich in Folge 171 der Sternengeschichten schon ausführlich erklärt habe: Dann kam die "Große Sauerstoffkatastrophe". Die ersten Mikroorganismen sind auf den Trick mit der Fotosynthese durch Chlorophyll gekommen, bei der als Abfallprodukt Sauerstoff entsteht. Dieses sehr reaktive Gas war für so gut wie alle damaligen Lebewesen enorm giftig und der absolut überwiegende Teil des Lebens starb damals aus. Nur die paar, die mit dem Sauerstoff klar kommen konnten haben überlebt und aus ihnen haben sich all die Lebewesen entwickelt, die Sauerstoff zum Leben brauchen (so wie wir Menschen). Übrig geblieben sind auch noch ein paar Mikroorganismen wie die Archaeen, die sich sauerstoffarme oder sauerstofffreie Nischen gesucht haben. Aber wenn die Erde früher wirklich lila war, ist sie spätestens mit der großen Sauerstoffkatastrophe grün geworden. Das kann auch erklären, wieso das Chlorophyll gerade das mit dem grünen Licht nicht so gerne mag. Wenn die frühen, lila Mikroorganismen mit ihrem simpleren Farbstoff das grün-gelbliche Licht der Sonne mit der meisten Energie genutzt haben, dann musste sich die Fotosynthese mit dem Chlorophyll unter diesen Bedingungen entwickeln. Und wenn das grün-gelbe Licht schon weg ist, dann bleibt halt nur noch der blaue und der rote Anteil übrig. Erst als die Mikroorganismen mit der effektiveren Fotosynthese die Oberhand gewonnen hatten, sind die lila Lichtdiebe verschwunden. Aber grün ist das Chlorophyll halt immer noch. Ob das damals wirklich so war, wissen wir natürlich nicht. Aber es ist durchaus plausibel, dass es so war. Und das ist auch für die Astronomie interessant, nämlich dann, wenn wir auf den Planeten anderer Sterne nach außerirdischem Leben suchen. Da suchen wir ja nicht nach irgendwelchen Alienstädten oder so. Sondern nach Mikroorganismen oder ähnlich einfachen Lebensformen. Würden wir zum Beispiel aus weiter Ferne das Licht betrachten, das die Erde von der Sonne reflektiert, dann würde wir merken, dass da was fehlt. Wir würden feststellen, das weniger rotes Licht und weniger blaues Licht ankommt, als eigentlich ankommen sollte. Und der Grund dafür sind die Pflanzen und Algen mit ihrer Fotosynthese, die sich genau diesen Teil des Lichts schnappen. Wenn das Leben aber nicht grün startet, sondern lila, dann müssen wir auch nach anderen Spuren im Licht suchen. Vielleicht werden wir irgendwann in Zukunft da draußen keine zweite Erde finden, sondern eine lila Erde!
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Jun 24, 2022 • 21min

Sternengeschichten Folge 500: Astronomia Nova - eine neue Astronomie

Krieg gegen den Mars 500 Folgen Sternengeschichten Am 24. Juni 2022 feiern wir die 500. Folge der Sternengeschichten. In Wien, auf der Arenawiese im Prater, ab 17 Uhr. Kommt gerne und bringt auch gerne was mit. Mehr Infos gibt es hier. Sternengeschichten Folge 500: Astronomia Nova - eine neue Astronomie Astronomie ist eine der ältesten Beschäftigungen der Menschheit. Wir haben immer schon zum Nachthimmel geschaut und versucht uns vorzustellen, was da wohl passieren mag mit all den Lichtpunkten. Die moderne, wissenschaftliche Astronomie ist aber jünger. Man kann sie zu verschiedenen Zeitpunkten beginnen lassen; im späten 19. oder frühen 20. Jahrhundert, als wir angefangen haben zu verstehen, wie Atome funktionieren und was es mit der Raumzeit auf sich hat. Und damit endlich die Sterne nicht nur beobachten konnten, sondern auch herausfinden, aus was sie bestehen und wie sie funktionieren. Oder wir lassen die moderne Astronomie ein wenig früher anfangen, im 18. oder 19. Jahrhundert, als man erste Versuche mit astronomischer Fotografie gemacht hat. Aber ein wirklicher Wendepunkt hat im frühen 17. Jahrhundert stattgefunden. Im Jahr 1609 hat Galileo Galilei als erster Forscher ein Teleskop zum Himmel gerichtet und dort Dinge entdeckt, die noch nie jemand zuvor gesehen hat. Mit seinen Beobachtungen konnte er zeigen, dass es tatsächlich die Erde ist, die sich um die Sonne bewegt, so wie Kopernikus das ein paar Jahrzehnte zuvor behauptet hat. Im gleichen Jahr 1609 wurde aber auch ein Buch veröffentlicht, dass man ohne viel Übertreibung als absolut weltbewegend bezeichnen kann und auf dem die gesamte moderne Astronomie seitdem ruht. Geschrieben hat es Johannes Kepler und sein Titel ist "Astronomia Nova". Das Leben und das Werk von Kepler ist definitiv eine oder mehrere Folgen der Sternengeschichten wert; aber heute soll es allein um sein Buch gehen. Und "Astronomia Nova" ist nur der kurze Titel. Damals waren die Titel der Bücher noch etwas länger und der volle Titel lautet: "Astronomia Nova: Neue, ursächlich begründete Astronomie oder Physik des Himmels. Dargestellt in Untersuchungen über die Bewegungen des Sternes Mars. Aufgrund der Beobachtungen des Edelmannes Tycho Brahe. Auf Geheiß und Kosten Rudolphs II. Römischer Kaiser usw. In mehrjährigem, beharrlichem Studium ausgearbeitet zu Prag von Sr. Heil. Kais. Maj. Mathematiker Johannes Kepler." Der Titel "Astronomia Nova", die "Neue Astronomie" ist dabei definitiv nicht zu tief gestapelt. Das, was Kepler da in 70 langen Kapiteln auf sehr vielen Seiten über Jahre hinweg aufgeschrieben hat, ist tatsächlich eine neue Astronomie. Es war der Durchbruch im Verständnis, mit dem die Astronomie ihren antiken Wurzeln entwachsen und zu einer modernen Naturwissenschaft werden konnte. Die Astronomia Nova ist ohne Zweifel eines der wichtigsten Bücher der Wissenschaftsgeschichte; eines der wichtigsten Bücher überhaupt. Aber wenn man es heute, über 400 Jahre später liest, dann kommt es einem ein wenig komisch vor. Es enthält durchaus revolutionäres Wissen. Aber die äußere Form unterscheidet sich massiv von dem, was wir heute von wissenschaftlichen Veröffentlichungen gewohnt sind. Das fängt schon mit dem Anfang an, nämlich so: "Erhabenster Herrscher! Dem durchlauchtigstem Namen Ew. Heil. Kais. Majestät, sowie des ganzen Hauses Österreich Heil und Segen! Auf Geheiß Ew. Majestät führe ich endlich einmal den hochedlen Gefangenen zur öffentlichen Schaustellung vor, dessen ich mich schon vor einiger Zeit unter dem Oberbefehl Ew. Majestät in einem beschwerlichen und mühevollen Krieg bemächtigt habe.” Ok, auch heute bedankt man sich noch bei den Organisationen die das Geld für die Forschung zur Verfügung gestellt haben. Aber eher in einer Fußnote und nicht mit so einem extremem Lob, wie bei Kepler. Aber wie gesagt, damals waren die Zeiten noch anders und Kepler war ja der Hofmathematiker von Kaiser Rudolf II. in Prag. Und mit einem Kaiser muss man vermutlich ein wenig anders umgehen. Ebenfalls außergewöhnlich ist die sehr blumige Zusammenfassung der Arbeit. Der "hochedle Gefangene" den Kepler in "mühevollen Krieg" besiegt hat und nun dem Kaiser vorführt ist nämlich der Planet Mars. Es ging darum, die Bewegung unseres Nachbarplaneten zu beschreiben und das hat Kepler in seiner Arbeit geschafft. Aber so nüchtern wie man das heute in einer wissenschaftlichen Arbeit schreiben würde, hat man das damals halt nicht gemacht. Deswegen entwirft Kepler ein paar Seiten lang eine dramatische Erzählung vom mächtigen Mars, der sich immer und immer wieder dem Verständnis entzogen hat. Beziehungsweise der "aller Machenschaften der Astronomen spottete, ihre Werkzeuge zertrümmerte, die feindlichen Truppen niederschlug", wie Kepler schreibt. In dem Tonfall geht es weiter; Kepler erzählt von Astronomen, die angeblich Dämonen beschwört hätten, um den Mars zu verstehen. Aber Kepler hat es geschafft, Kepler hat den Mars bezwungen, dank der Hilfe des edlen Kaisers und dem wird der Gefangene nun vorgeführt. Oder, ohne das ganze Gerede vom Krieg: Kepler, der Hofmathematiker von Rudolf II hat nun endlich seine jahrelange Rechenarbeit beendet, die Regeln der Bewegung der Himmelskörper formuliert und legt das fertige Werk nun seinem Chef und Förderer zur Begutachtung vor. Allein über diese Einleitung könnte man noch sehr lange reden, sie ist voll mit seltsamen Geschichten und Formulierungen. Aber wir wollen ja zur Wissenschaft und deswegen beschränke ich mich auf den Abschluss. Kepler braucht, wie alle Forscherinnen und Forscher immer schon, mehr Geld für seine Arbeit. Aber einfach zu sagen "Hey Kaiser, wie wärs mit ein bisschen Gold?" wäre vermutlich keine gute Idee. Kepler will auch gerne die anderen Planeten erforschen. Und bittet den Kaiser daher, auch noch Geld für den Krieg gegen die Familie des Mars bereit zu stellen: "Ew. Majestät: Er besitzt in den Ätherregionen viele Verwandte (Jupiter ist sein Vater, Saturn sein Großvater, Venus seine Schwester und zugleich seine Freundin, sowie schon früher sein besonderer Trost, als er in Fesseln lag, Merkur sein Bruder und treuer Unterhändler). Wegen der Übereinstimmung in der Lebensart trägt er nach ihnen und sie nach ihm großes Verlangen. Darum möchte er wünschen, daß sie wie er in Verkehr mit den Menschen treten und gleichfalls der Ehre, die im angetan wird, teilhaftig werden. Darum wolle Ew. Majestät ihm so bald als möglich seine Gefährten wiedergeben, indem der Feldzug, der nach seiner Unterwerfung weiter keine Gefahr mehr birgt, vollends entschlossen zu Ende geführt wird. Hierzu biete ich (wohlgeübt im Kampf mit dem Streitbarsten und des Geländes kundig) meine nicht unnützen und ebenso wie treuen Dienste bereitwillig an, wobei ich Ew. Kais. Majestät einzig bitte und beschwöre (…) den Schatzmeistern zu befehlen, sie mögen an den Lebensnerv des Krieges denken und mir von neuem Geld zur Werbung von Soldaten zur Verfügung stellen." Vielleicht sollte man mal probieren, auf diese Weise auch heute Förderanträge zu stellen… Aber schauen wir jetzt mal auf das, was Kepler im Rest des Buches geschrieben hat. Wenn man durch die Astronomia Nova blättert, dann findet man sehr viele geometrische Diagramme. Das ist nicht verwunderlich, immerhin geht es ja um die Frage der Bewegung der Himmelskörper und da kann man jede Menge Diagramme zeichnen. Was man in dem Buch aber nicht findet, sind mathematische Gleichungen. Was daran liegt, dass Naturwissenschaft damals eben noch völlig anders funktioniert hat. Natürlich gab es auch damals schon Mathematik. Aber die moderne mathematische Notation, mit den ganzen x, y, = und so weiter ist noch recht jung. Das Gleichheitszeichen zum Beispiel wurde überhaupt erst 1557 das erste Mal im heutigen mathematischen Sinn in einem Buch benutzt und es hat lange gedauert, bis es sich überall durchgesetzt hat. Kepler jedenfalls hat sein Buch so geschrieben, wie man damals über Astronomie geschrieben hat: Vor allem geometrisch, mit Diagrammen und mit Beschreibungen dieser Diagramme. Das macht die Lektüre aus heutige Sicht SEHR mühsam. Hier ist ein Beispiel: "Um diese Untersuchung durchzuführen, addiere man die bekannten Winkel GAD und DAE, um GAE zu bekommen. Im Dreieck GAE bestimme man aus diesem Winkel und den Seiten GA und AE die Seite GE. Im Dreieck GFE nun ist der Winkel GFE Peripheriewinkel; also ist der Zentriwinkel GBE doppelt so groß wie jener. Der Winkel GFE aber wurde vorher schon durch seine beiden Teile GFA und AFE ermittelt". Und so weiter, das geht so seitenweise… und im Original natürlich auf Latein und nicht auf Deutsch. Dass das auch damals nicht leicht zu lesen war, wusste Kepler selbst auch. In der Einleitung zur Astronomia Nova schreibt er: "Es ist heutzutage ein hartes Los, mathematische Bücher zu schreiben. Wahrt man nicht die gehörige Feinheit in den Sätzen, Erläuterungen, Beweisen und Schlüssen, so ist das Buch kein mathematisches. Wahrt man sie aber, so wird die Lektüre sehr beschwerlich, besonders in der lateinischen Sprache (…). Daher gibt es heute nur sehr wenig tüchtige Leser; die übrigen lehnen die Lektüre überhaupt ab. (…) Ich selber, der ich als Mathematiker gelte, ermüde beim Wiederlesen meines Werkes mit den Kräften meines Gehirns". Und wenn schon Kepler selbst müde wird, wenn er sein eigenes Buch liest, dann kann man sich vorstellen, wie anstrengend es für die anderen sein muss und wie anstrengend es sein muss, wenn man probiert, dieses Buch heute zu lesen. Man sollte aber zumindest eine Ahnung davon, was drin steht. Denn das ist, wie gesagt, revolutionär. Um zu verstehen warum das so ist, müssen wir zuvor noch einmal kurz schauen, wie man vor Kepler auf den Himmel geschaut und sich die Dinge vorgestellt hat. Und zwar wirklich sehr kurz, denn wir müssen in der griechischen Antike anfangen. Damals war man fest davon überzeugt, dass sich die Planeten nicht anders bewegen KÖNNEN als entlang von Kreisbahnen. Der Kreis ist die perfekte Form und die himmlischen Objekte müssen sich bei ihrer Bewegung an dieser perfekten Form orientieren. Dass das nicht ganz zu dem passt, was man beobachtet, war den Leuten damals auch schon klar. Denn wenn die Planeten sich auf perfekten Kreisen um die Erde herum bewegen, dann müssten sie sich auch immer gleich schnell bewegen und das haben sie nicht getan. Aber man hat das einfach ein wenig modifiziert. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man betrachtet die Bewegung der Planeten als Kombination von kreisförmigen Bewegungen. Das sind die berühmten Epizykeln, also Kreise, deren Mittelpunkt sich selbst wieder entlang eines Kreises bewegt, um die Erde herum. Man kann das aber auch anders lösen und zwar, in dem man den Planeten sich entlang eines Kreises bewegen lässt, dessen Mittelpunkt aber nicht exakt dort ist wo sich die Erde befindet sondern ein bisschen daneben. So oder so kriegt man, von der Erde aus betrachtet, einen Planeten, der sich mal ein wenig schneller und mal ein wenig langsamer bewegt. Nikolaus Kopernikus hat dieses geozentrische Weltbild bekanntlich dramatisch auf den Kopf gestellt und anstatt der Erde die Sonne in den Mittelpunkt gesetzt. Was aber nicht ganz stimmt, denn auch er hatte Probleme, die Bewegung der Planeten, jetzt um die Sonne herum, passend zu den Beobachtungen zu beschreiben. Also schob auch er den Mittelpunkt seiner Kreise ein wenig von dem Ort fort an dem sich die Sonne befindet und ließ sie eine sogenannte "mittlere Sonne" umkreisen und nicht die reale Sonne. Epizykel brauchte er darüber hinaus auch noch, aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte. Kepler fand das nicht gut. Wieso sollen die Planeten einen fiktiven Punkt im All umkreisen, einen Punkt, der nur mathematisch definiert ist, an dem sich aber nichts befindet? Das erschien ihm nicht richtig. Ausgestattet mit den Beobachtungsdaten seines Lehrers, dem Astronom Tycho Brahe, hat er sich also im Jahr 1600 daran gemacht, der Sache auf den Grund zu gehen. Er hat sich dabei insbesondere auf die Beobachtungsdaten zum Mars konzentriert. Und war dabei ziemlich kreativ. Damals wusste man ja nicht, wie groß die Planeten sind. Welche Masse sie haben. Wie weit sie entfernt sind. Und so weiter. Aber Kepler wusste, wie Mars und Erde im Verhältnis zueinander und zur Sonne am Himmel standen. Und hat sich zuerst einmal nur die Tage ausgesucht, an denen Mars, in Bezug auf die Sonne, am gleichen Punkt des Himmels war. Die Erde stand an diesen Tagen aber in Bezug auf Mars und Sonne mal hier und mal dort. Die konkrete Mathematik dahinter war natürlich sehr knifflig, aber damit hat er es geschafft, eine gute Idee davon zu kriegen, wie sich die Erde um die Sonne bewegt. Damit konnte er jetzt die ganzen Beobachtungdaten zum Mars neu und genauer auswerten und jetzt endlich auch die Marsbahn viel besser bestimmen. Und was ich jetzt in ein paar Sätzen beschrieben habe, war in Wahrheit die Arbeit vieler Jahre, von der man in der Astronomie Nova lesen kann. Manchmal klingt dieses Werk eher wie ein Tagebuch, in dem Kepler seine Fortschritte und Fehlschläge aufgezeichnet hat (was es ein weiteres Mal nicht leicht zu lesen macht). Aber man kann auf jeden Fall mal zwei grundlegende Ideen festhalten, an denen Kepler sich orientiert hat: Erstens ging er, wie gesagt, davon aus, dass alle Himmelskörper sich um die reale Sonne bewegen und nicht um einen fiktiven, leeren Punkt im All. Und zweitens sollten sich alle Planeten auf die gleiche Weise um die Sonne bewegen. Aber es war immer noch langer Weg bis zum Ziel. Kapitel 39 der Astronomia Nova trägt den Titel "Auf welchem Weg und mit welchen Mitteln die Eigenkräfte der Planeten die Bewegung erzeugen müssen, damit die Bahn des Planeten im Ätherraum, wie allgemein angenommen, kreisförmig wird". Darin legt Kepler dar, dass es irgendwie nie so richtig hinhaut, wenn man probiert die Bahn der Planeten mit Epizyklen, verschobenen Kreismittelpunkten und so weiter zu erklären. Stattdessen passt es besser, wenn man den Kreis ganz sein lässt, wie er dann später in Kapitel 44 ausführt. Dort schreibt Kepler: "Die Sache liegt daher einfach so: Die Planetenbahn ist kein Kreis; sie geht auf beiden Seiten allmählich herein und dann wieder bis zum Umfang des Kreises im Perigäum heraus. Eine solche Bahnform nennt man ein Oval". Kein Kreis! Das ist wichtig und richtig. Nicht richtig ist Keplers Idee einer ovalen Bahn. Kepler rechnet in den nächsten Kapitel lange herum und kommt immer noch nicht zu einem richtig zufriedenstellenden Ergebnis. Er vermutet schon, dass die Bahn vielleicht eine Ellipse sein könnte, verwirft den Gedanken aber dann wieder. In Kapitel 56 aber stellt er dann fest, dass er auf der falschen Fährte war. Und braucht bis Kapitel 58 für die Erkenntnis: "Wozu soll ich viele Worte machen? Die Wahrheit der Natur, die verstoßen und verjagt worden war, kam heimlich zur Hintertür wieder herein und wurde unter fremden Gewand von mir aufgenommen." Diese "Wahrheit der Natur" war die Ellipse und Kepler ärgert sich ordentlich, das nicht früher bemerkt zu haben: "Oh ich närrischer Kauz! Wie wenn die Schwankungen auf dem Durchmesser uns nicht gerade auf die Ellipse hinühren konnte! So hat mich die Einsicht nicht wenig gekostet, dass die Ellipse neben der Schwankung bestehen kann, wie sich in den folgenden Kapiteln zeigen wird. Daselbst wird auch der Beweis geführt werden, daß für den Planet keine andere Bahnfigur übrig bleibt als eine vollkommene Ellipse." Und das tut Kepler dann auch. Womit er nach sehr vielen Kapiteln und sehr vielen Seiten die ersten beiden seiner berühmten drei Keplerschen Gesetze formuliert hat: 1) Planeten bewegen sich auf elliptischen Bahnen um die Sonne herum. Und 2) Eine von der Sonne zum Planeten gezogene Linie überstreicht in gleichen Zeiten gleich große Flächen. An der Formulierung des zweiten Gesetzes merkt man übrigens noch sehr gut die stark geometrische Ausrichtung von Keplers Arbeit. Auf die Sache mit der Ellipse ist er ja gekommen, weil er nicht verstanden hat, wie er das, was diese Verbindungslinie zwischen Planet und Sonne im Laufe der Zeit treibt erklären kann, wenn man von einer kreisförmigen oder ovalen Umlaufbahn ausgeht. Erst als er die Bewegung dieser Linie vernünftig beschreiben konnte, konnte er auch auf die Ellipse kommen. Woraus folgt, dass Kepler sein zweites Gesetz vor dem ersten gefunden hat. Und das dritte über das Verhältnis der Umlaufzeiten von Planeten und ihrem Abstand zur Sonne kam überhaupt erst Jahre später in einem ganz anderen Buch. Was Kepler in seinem revolutionären Werk nicht geschafft hat, war die Ursache für die Bewegung der Planeten zu verstehen. Er spekuliert in vielen Kapiteln darüber, was dafür sorgt, dass die Himmelskörper sich bewegen. Er ist auch schon so weit, um diese Kraft in der Sonne zu verorten: "Da also die Sonne in dem Mittelpunkt des Systems liegt, befindet sich nach dem, was bereits bewiesen wurde, die Quelle der bewegenden Kraft in der Sonne." schreibt er in Kapitel 33 und führt weiter aus: "[W]ie das Licht, das alles auf Erden erleuchtet, eine immaterielle Spezies jenes Feuers ist, das sich im Sonnenkörper befindet, so [ist] diese Kraft, die die Planetenkörper erfaßt und fortträgt, eine Spezies jener Kraft, die in der Sonne selber ihren Sitz hat und von unermeßlicher Stärke ist und so den ersten Anstoß zu jeder Bewegung in der Welt gibt". Er stellt noch weitere Vermutungen zu dieser Kraft an, kommt aber zu keinem endgültigen Ergebnis. Dabei würde in seinen Gesetzen der Planetenbewegung eigentlich schon alles stecken was man braucht, um das Gravitationsgesetz daraus abzuleiten. Das ist aber erst gut 60 Jahre später Isaac Newton gelungen. Man stelle sich vor, Johannes Kepler hätte auch das noch geschafft - dann wäre er vermutlich endgültig zum größten Wissenschaftler aller Zeiten geworden. Aber das, was Kepler geschafft hat, war ja auch nicht Nichts. Ganz im Gegenteil. Er hat tatsächlich eine neue Astronomie geschaffen. Er konnte die Bewegung der Planeten erklären; hat das antike Dogma der Kreisbahnen gestürzt. Die Griechen gingen davon aus, es wäre klar, wie sich die Planeten bewegen müssen, und man müsse nur noch den richtigen Weg finden, die passende Mathematik zu finden, die das auch so beschreibt, wie sie es sich vorstellen. Kepler hat gezeigt, dass man sich an der Natur orientieren muss. Und dann mit Mathematik aus den Beobachtungen die passende Gesetze ableiten kann. Er hat die Grundlage gelegt, damit die Astronomie die Wissenschaft werden konnte, die sie heute ist. Und war sich durchaus bewusst, dass es nicht immer leicht ist, das Universum zu verstehen. Am Ende seines Kapitels 59 schreibt er: "Wenn jemand meint, die vorstehende Untersuchung sei deshalb schwer verständlich, weil meine Denkweise verworren ist, so gestehe ich eine Schuld meinerseits insofern ein, als ich diese Dinge nicht unberührt lassen wollte, ob gleich sie sehr schwer verständlich […] sind. Im übrigen möchte ich den Betreffenden, was den Stoff anlangt, bitten, er möge die Kegelschnitte des Apollonius lesen. Da wird er sehen, daß es Stoffe gibt, die durch keine noch so glückliche Denkweise so dargeboten werden, daß man sie beim flüchtigen Lesen versteht. Man muß viel nachdenken und das Gesagt immer und immer wiederholen". Genau. Und wenn einer wirklich viel nachgedacht hat, dann Johannes Kepler. Das Resultat war eine Neue Astronomie.

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