

Sternengeschichten
Florian Freistetter
Das Universum ist voll mit Sternen, Galaxien, Planeten und jeder Menge anderer cooler Dinge. Jedes davon hat seine Geschichten und die Sternengeschichten erzählen sie. Jeden Freitag gibt es eine neue Folge - das Universum bietet genug Material für immer neue Geschichten.
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Episodes
Mentioned books

Jun 24, 2022 • 27min
Special: 500 Folgen Sternengeschichten
... und kein Ende in Sicht!
Am 24. Juni 2022 erscheint Folge 500 der Sternengeschichten. Zu diesem Anlass gibt es eine kleine Spezialfolge in der ich mit Holger Klein über die Astronomie und den Podcast geplaudert habe.
Am 24. Juni 2022 feiern wir die 500. Folge der Sternengeschichten außerdem und zwar in Wien, auf der Arenawiese im Prater, ab 17 Uhr. Kommt gerne und bringt auch gerne was mit. Mehr Infos gibt es hier.
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Jun 17, 2022 • 10min
Sternengeschichten Folge 499: Das astronomische Wissen der Tiere
Käfer, die zum Himmel starren
500 Folgen Sternengeschichten
Am 24. Juni 2022 feiern wir die 500. Folge der Sternengeschichten. In Wien, auf der Arenawiese im Prater, ab 17 Uhr. Kommt gerne und bringt auch gerne was mit. Mehr Infos gibt es hier.
Sternengeschichten Folge 499: Das astronomische Wissen der Tiere
Am Himmel gibt es jede Menge Tiere. Ich habe schon oft von den Sternbildern erzählt und viele davon sind nach Tieren benannt. Löwe, Wasserschlange, Eidechse, Adler - dort oben findet man alles. In Folge 336 der Sternengeschichten habe ich auch von den vielen Tieren erzählt, die wir Menschen ins All geschickt haben und das, ohne das wir gefragt haben, ob sie das auch wollen. Aber heute soll es nicht um raumfahrende Tiere gehen und auch nicht um mythologische Kreaturen in unseren Himmelssagen. Sondern um echte Tiere und das, was sie über den Himmel wissen.
Tiere, so wie so gut wie alle anderen Lebewesen, sind natürlich in der Lage, grundlegende astrononomische Phänomene wahrzunehmen. Sie kennen die Rhythmen von Licht und Dunkelheit, von Tag und Nacht. Manche orientieren sich an den Mondphasen und wenn eine Sonnenfinsternis stattfindet, kann man durchaus beobachten, wie viele Tiere sich auf einmal so verhalten, wie sie es sonst nur tun, wenn es Nacht wird. Aber auch wenn der Wechsel von Tag zu Nacht oder der Wechsel zwischen Neu- und Vollmond durchaus astronomische Phänomene sind, würden wir das wahrscheinlich nicht als "astronomisches Wissen" bezeichnen. Dass Tiere die wechselnde Helligkeit ihrer Umgebung wahrnehmen können, muss nicht zwingend etwas damit zu tun haben, dass sie Sonne, Mond und andere Himmelskörper erkennen.
Was sehen Tiere, wenn sie zum Himmel schauen? Mit Sicherheit nicht das, was wir sehen. Beziehungsweise sehen sie, wenn sie etwas sehen, vermutlich etwas, das sehr ähnlich aussieht wie das, was wir sehen. Jede Menge helle Punkte an einem dunklen Himmel. Aber für uns ist dieser Anblick so gut wie immer mit dem Wissen verbunden, dass es sich um Sterne handelt; weit entfernte leuchtende Kugeln aus heißem Gas die in einem unvorstellbar großen und leeren All existieren. Dieses Wissen haben die Tiere mit Sicherheit nicht. Aber das muss ja nicht heißen, dass die vielen hellen Punkte für sie keine Rolle spielen. Und tatsächlich gibt es einige Tiere, die durchaus in der Lage sind, den Himmel auf eine Art wahrzunehmen, die überraschend ist.
Nehmen wir zum Beispiel den Afrikanischen Mistkäfer. Der macht das, was Mistkäfer halt so machen: Er sammelt den Kot anderer Tiere und rollt daraus große Kugeln. Davon ernähren sie sich und diese aus ihrer Sicht riesigen Kugeln müssen sie in ihre unterirdischen Brutkammern rollen. Das macht man idealerweise auf direktem Weg, denn wer weiß, von was man selbst gefressen wird, wenn man als kleiner Käfer zu lange durch die Gegend marschiert. Die Mistkäfer sind nachtaktiv und da ist es dunkel. Wie also finden die Tiere den direkten und geraden Weg nach Hause? Denn das tun sie, egal ob zum Beispiel gerade ein Vollmond alles hell erleuchtet oder nicht. Aber was kann so ein Käfer in dunkler Nacht sonst noch zur Orientierung benutzen? Die Sterne? Aber wie soll ein Käfer das Licht einzelner Sterne wahrnehmen?
Man hat das in Experimenten untersucht: Man hat Käfer in eine Art Arena gesetzt und geschaut, wie schnell sie es von der Mitte bis zum Rand geschafft haben. Je gerader ihr Weg, desto schneller sind sie natürlich. War der Himmel bedeckt, dann sind sie mehr oder weniger ziellos durch die Gegend marschiert. War der Himmel sternenklar, waren sie schnurstracks am Ziel. Hat man den Käfern aber kleine Kappen aufgesetzt, die sie daran gehindert haben die Sterne zu sehen, war die Orientierung wieder weg. Um zu prüfen, was die Käfer genau sehen, wenn sie zum Sternenhimmel schauen, hat man das Experiment in einem Planetarium wiederholt. Wurden da nur Sterne an den künstlichen Himmel projiziert, fanden sie keinen geraden Weg. Aber wenn man auf die Sterne verzichtet hat und ihnen stattdessen das Band der Milchstraße an der Kuppel zeigte, konnten sie die korrekte Richtung finden. Die Mistkäfer sind also tatsächlich in der Lage, die Milchstraße zu erkennen und sich daran zu orientieren!
Es sind aber nicht nur Käfer, die sich am Himmel orientieren. Schon 1970 hat der Biologe Stephen Emlen ein paar Indigofinken in ein Planetarium gebracht. Er wollte wissen, wie diese Zugvögel ihren Weg finden. Dazu hat er sie in drei Gruppen geteilt. Die erste Gruppe musste im Labor bleiben wo sie den Himmel gar nicht sehen konnte. Gruppe zwei kam nachts ins Planetarium wo sie eine Simulation des realen Nachthimmels sehen konnte. Gruppe drei durfte auch ins Planetarium, bekam aber einen Himmel zu sehen, bei dem der Himmelsnordpol nicht dort liegt, wo er sich tatsächlich befindet, nämlich beim Polarstern, sondern beim hellen Stern Beteigeuze. Gruppe zwei der Vögel sah also einen Himmel, bei dem sich im Laufe der Nacht alle Sterne um den Polarstern herum bewegen, so wie das auch in echt passiert. Für Gruppe drei hat sich der Himmel aber um Beteigeuze herum gedreht.
Jetzt hat Stephen Emlen nur noch warten müssen, bis die Vögel sich auf den Weg gemacht haben. Er hat sie natürlich nicht tatsächlich losfliegen lassen, immerhin wollte er ja noch weiterforschen. Aber mit speziellen Instrumenten konnte er aufzeichnen, in welche Richtung sie losstarten wollten. Die Vögel der ersten Gruppe - die aus dem Labor - hat keine Ahnung gehabt wo es hingehen soll. Die sind einfach zufällig in irgendeine Richtung gestartet. Gruppe zwei, die, die den echten Nachthimmel gesehen hatte, haben sich dagegen zielstrebig in Richtung Süden aufgemacht. Und Gruppe drei, die mit dem falschen Himmel? Die sind exakt dahin geflogen, wo Süden wäre, wenn Beteigeuze genau im Norden ist!
Die Indigofinken können also tatsächlich die Sterne nicht nur sehen, sondern auch erkennen, dass sie sich im Laufe der Nacht um einen Punkt herum bewegen und nutzen dann diesen Punkt - der am echten Himmel der Polarstern ist - für ihre Orientierung. Die Indigofinken machen das freiwillig und haben es quasi selbst gelernt. Aber kann man Tieren so ein astronomisches Wissen auch beibringen? Das hat man 2008 probiert und zwar mit zwei Seehunden. Man hat sie in ein schwimmendes Planetarium gesteckt und ihnen dort zuerst einmal beigebracht, auf einen hellen Punkt zuzuschwimmen. Dann hat man ihnen einen realen Sternenhimmel gezeigt und ihnen beigebracht, sich an hellen Sternen zu orientieren. Beide Seehunden haben das dann auch tatsächlich gelernt. Sie können sich also an den Sternen orientieren. Ob sie es aber auch wirklich tun, ist noch unklar.
Wie viele Tiere insgesamt in der Lage sind, die Sterne nicht nur zu sehen, sondern auch so weit zu erkennen um sich daran zu orientieren, wissen wir nicht. Aber vermutlich mehr, als wir denken. Und wenn es darum geht, die Tiere besser zu verstehen, kann übrigens auch die Astronomie etwas beitragen. Zumindest war das der Vorschlag, den die beiden Astronomen Joel Stebbins und Edward Fath im Jahr 1906 gemacht haben. In einem aus heutigen Sicht etwas obskuren Fachartikel beschreiben sie, wie man mit Hilfe von astronomischen Teleskopen herausfinden kann, wie schnell Zugvögel unterwegs sind. Zuerst erzählen sie von früheren Arbeiten, bei denen die Flughöhe der Vögel bestimmt wurde. Dazu haben zwei Menschen an unterschiedlichen Orten mit dem Teleskop den Vollmond beobachtet. Da sie dadurch natürlich auch aus einem leicht unterschiedlich Winkel auf den Mond blicken, sehen sie auch Vögel, die direkt vor der Mondscheibe vorbeifliegen unterschiedlich. Von den unterschiedlichen Positionen aus betrachtet, fliegen die Vögel in unterschiedlichen Winkel am Mond vorbei. Und weiß man, wie weit die Teleskope voneinander entfernt sind, kann man aus diesem Unterschied mit ein bisschen simpler Rechnerei die Flughöhe der Vögel bestimmen. Die übrigens deutlich weniger hoch war, als damals vermutet. Jetzt wollten Fath und Stebbins aber auch wissen, wie schnell die Vögel sind. Und haben dazu das gemacht, was man auch macht, wenn man zum Beispiel eine Sonnenfinsternis wissenschaftlich beobachtet. Da ist es ja besonders interessant, exakt den Zeitpunkt zu bestimmen, an dem sich der Mond vor die Sonne schiebt bzw. wann er das Licht der Sonne wieder freigibt. Wenn man das aus unterschiedlichen Positionen beobachtet, wird das - wieder wegen der unterschiedlichen Beobachtungswinkel - zu unterschiedlichen Zeitpunkten passieren. Und wenn man diese Zeitpunkte aufzeichnet, kann man jede Menge interessante Sachen berechnen - den Abstand zwischen Sonne und Erde zum Beispiel oder eben natürlich auch die Geschwindigkeit mit der sich der Mond bewegt. Die beiden Astronomen haben nun quasi eine durch Vögel verursachte Mini-Mondfinsternis beobachtet. Sie haben also aufgezeichnet, wann die Vögel vor der hellen Mondscheibe auftauchen und wann sie wieder verschwinden. Aus der Zeit, die sie gebraucht haben, um die Mondscheibe zu überqueren und den Unterschieden bei der gleichzeitigen Messung dieser Zeit von unterschiedlichen Beobachtungspositionen aus konnten sie die Fluggeschwindigkeit berechnen.
"Hat man eine klare Nacht, einen vollen Mond, viele Vögel in der Luft und jede Menge Teleskop, dann sind das die perfekten Bedingungen um eine einfache Lösung für das Problem der Bestimmung von Flughöhe und Geschwindigkeit von Zugvögeln zu finden.", schreiben die beiden am Ende ihres Artikels. Und setzen fort: "Aber leider wird es kaum vorkommen, dass all diese Bedingungen zur gleichen Zeit erfüllt sind". Tja.

Jun 10, 2022 • 13min
Sternengeschichten Folge 498: Die Monde des Pluto
...sind nicht nur Nix!
500 Folgen Sternengeschichten
Am 24. Juni 2022 feiern wir die 500. Folge der Sternengeschichten. In Wien, auf der Arenawiese im Prater, ab 17 Uhr. Kommt gerne und bringt auch gerne was mit. Mehr Infos gibt es hier.
Sternengeschichten Folge 498: Die Monde des Pluto
Heute geht es nicht um Pluto. Und schon gar nicht um die leidige Frage, ob Pluto jetzt ein Planet ist oder nicht oder sein soll oder wieder sein soll. Ist er nicht, war er auch nie, wir haben das nur sehr spät gemerkt und noch später korrigiert. Irgendwann mache ich da mal eine eigene Folge dazu; heute geht es aber um die Monde von Pluto. Denn die sind außergewöhnlich und definitiv eine Folge wert.
Pluto an sich ist schon ein sehr außergewöhnlicher Himmelskörper. Er ist das größte Objekt im Kuiper-Asteroidengürtel der sich hinter der Bahn des Neptun befindet, in den äußeren Regionen des Sonnensystems und dort befinden sich sehr viel mehr Asteroiden als im bekannteren Asteroidengürtel der sich zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter befindet. Im Kuiper-Gürtel gibt es auch sehr viel mehr große Asteroiden und Pluto ist mit seinem Durchmesser von 2374 Kilometer der größte. Pluto selbst wurde 1930 entdeckt. Sein Mond Charon musste bis 1978 auf seine Entdeckung warten. Der amerikanische Astronom James Christy hatte 1978 ein paar Bilder von Pluto gemacht. Der ferne und kleine Himmelskörper war darauf nur als schwarzer Fleck auf weißem Hintergrund zu erkennen (in der Astronomie werden die Bilder oft invertiert damit man die Sterne als schwarze Punkte auf weißem Hintergrund besser sehen kann). Man muss schon sehr genau hinzusehen, um auf der Aufnahme von Christy zu erkennen, dass da irgendwas ungewöhnlich ist. Pluto scheint eine kleine Beule zu haben - aber eine, die nicht immer vorhanden ist. Mal kann man die Ausbuchtung gerade so sehen, mal erscheint Pluto wieder erwartungsgemäß kreisförmig. Christys Interpretation: Da ist ein Mond, der Pluto umkreist. Wenn er von uns aus gesehen gerade neben Pluto steht, sehen wir die Beule. Und wenn er gerade direkt vor oder hinter Pluto steht, dann sehen wir die Beule nicht.
Diese Interpretation stellte sich als korrekt heraus und es war klar, dass Pluto einen Mond hat. Christy wollte ihm den Namen "Charon" geben. Vor allem, weil er damit seiner Frau Charlene eine Freude machen wollte, der Spitzname ein wenig so klang wie die amerikanische Aussprache von Charon. Dass Charon auch noch eine Figur aus der griechischen Mythologie ist, der Fährmann, der die Verstorbenen über den Fluß der Toten in die Unterwelt des Hades bringt und "Hades" der griechische Name des römischen Gottes der Unterwelt ist, der dort "Pluto" heißt, war ihm nicht bewusst (sagt er zumindest) - aber es hat gut gepasst.
Charon braucht für eine Umkreisung des Pluto 6,4 Tage. Was aber nicht richtig ist. Denn genaugenommen umkreist Charon den Pluto nicht. Der Mond hat einen Durchmesser von 1212 Kilometern, was zwar weniger ist als der Durchmesser von Pluto. Aber nicht viel. Charon ist circa halb so groß wie Pluto und hat 12 Prozent der Plutomasse. Das Verhältnis ist größer als das zwischen der Erde und ihrem Mond und das ist schon außergewöhnlich groß. Der Erdmond ist noch gerade klein genug, um tatsächlich die Erde zu umkreisen. Aber bei Pluto und Charon ist das Verhältnis so groß, dass nicht der eine Himmelskörper um den anderen kreist. Sondern beide um einen Punkt, der zwischen Pluto und Charon im Weltraum liegt. Pluto und Charon zeigen auch eine wechselseitige gebundene Rotation. Das kennen wir auch von Erde und Mond: Von der Erde aus sehen wir immer die selbe Seite des Mondes. Der Grund dafür ist die Gezeitenkraft, die die Erde auf den Mond ausübt und dazu geführt hat, dass der Mond für eine Umdrehung UM die Erde exakt so lange braucht wie für eine Drehung um seine eigene Achse (was ich in Folge 319 genauer erklärt habe). Vom Mond aus betrachtet sehen wir aber im Laufe der Zeit unterschiedliche Seiten der Erde. Weil die Masse von Charon aber im Vergleich zu Pluto sehr viel größer ist als die Masse des Erdmonds im Vergleich zu Erde, hat hier die wechselseitige Gezeitenkraft dafür gesorgt, dass beide einander immer die selbe Hälfte zeigen. Von Pluto aus sieht man immer die selbe Seite von Charon und von Charon immer die selbe Seite von Pluto.
So wie Pluto ist auch Charon ein eisiger Himmelskörper. Nicht nur, weil es so fern der Sonne so kalt ist - was es ist, die Temperatur liegt auf Charon bei -220 Grad Celsius - sondern auch, weil Charon vor allem aus Wassereis mit einem vermutlich felsigem Inneren besteht. Obwohl das noch nicht sicher ist, es kann auch sein, dass Charon einfach eine homogene Mischung aus Gestein und Eis ist.
Dank der Raumsonde New Horizons, die 2015 an Pluto vorbei geflogen ist, haben wir nicht nur detaillierte Aufnahmen von Pluto, sondern auch von Charon. Und wissen auch, dass er eine sehr interessante Oberfläche hat. Um die Nordpolregion herum sieht man eine ausgedehnte dunkle Region die den Namen "Mordor" bekommen hat; inoffiziell zumindest. Wie sie entstanden ist, wissen wir noch nicht. Es kann sein, dass Stickstoff und Methan von Pluto irgendwie auf Charon gelangt sind und dort von der UV-Strahlung der Sonne in rötlich-dunkle Chemikalien transformiert worden sind. Was man dort auch gesehen hat, sind Flecken die darauf hindeuten, dass es auf Charon Kryovulkanismus gibt, als das ab und zu Eis aus dem Inneren ein wenig flüssig beziehungsweise eismatschig wird und an die Oberfläche gelangt. Ein solcher Eisvulkan könnte "Kubrick Mons" sein, ein 40 Kilometer großer und 3-4 Kilometer hoher Berg, der aber in einem circa 2 Kilometer tiefen Loch sitzt. Warum das so ist, wissen wir nicht. Aber es könnte sein, dass er durch den Kryovulkanismus immer tiefer in die Eiskruste des Charon eingesunken ist.
Charon ist aber nicht der einzige Mond des Pluto. Als man 2005 die Mission der Raumsonde New Horizons vorbereitet hat, hat man den Pluto mit dem Hubble-Weltraumteleskop genau beobachtet. Man hatte damals schon vermutet, dass da vielleicht noch mehr Monde sein könnten und wollte noch Bescheid wissen, ob das wirklich so ist, bevor man eine teure Raumsonde in die Gegend schickt. Nicht dass die dann vielleicht unerwartet einen Mond entdeckt, in dem sie dagegen fliegt… Tatsächlich konnte man auf den Bildern von Hubble dann zwei kleine Punkte entdeckten, die "Nix" und "Hydra" genannt wurden. Nix ist die griechische Göttin der Dunkelheit und die Mutter von Charon und Hydra die neunköpfige Monsterschlange, mit der Herkules kämpfen musste. Mit dem mythologischen Charon oder Pluto hat Hydra nix zu tun, aber die Anfangsbuchstaben von Nix und Hydra - N und H - waren ja auch die Anfangsbuchstaben von New Horizons und deswegen hat man sich dafür entschieden.
Im Gegensatz zu Charon sind Nix und Hydra winzige Monde. Nix ist ein wenig unförmig und circa 50 mal 30 Kilometer groß, Hydra ist nur minimal größer. Beide kreisen außerhalb von Charon um Pluto. Beziehungsweise um den gemeinsam Schwerpunkt von Pluto und Charon. Recht viel wissen wir nicht über die beiden Monde. Sie sind nicht in einer gebundenen Rotation; ganz im Gegenteil. Nix rotiert chaotisch, das heißt seine Rotationsachse schwankt unvorhersehbar hin und her; er kann ab und zu sogar komplett "umkippen". Seine Bewegung um Pluto und Charon ist ein wenig regelmäßiger, aber dazu später mehr. Auch Hydra rotiert chaotisch um seine Achse.
Wir sind aber noch nicht fertig mit den Monden. 2011 wollte man - wieder mit dem Hubble Weltraumteleskop - nachschauen, ob Pluto vielleicht Ringe hat. Weiß man ja nicht genau und bevor man die Raumsonde bei ihrem nahen Vorbeiflug aus Versehen durch ein Ringsystem schickt wollte man es lieber genauer wissen. Ringe waren nicht zu finden - dafür aber ein weiterer Mond. Noch kleiner als Nix und Hydra, nur knapp 20 Kilometer groß. Er bekam den Namen "Kerberos", benannt nach dem mythologischen dreiköpfigen Hund, der den Eingang zur Unterwelt bewacht. Auch Kerberos rotiert chaotisch und befindet sich genau zwischen den Umlaufbahnen von Nix und Hydra.
Als man 2011 Kerberos entdeckt hat, sind die NASA-Leute dann doch wieder ein bisschen nervös geworden. Wenn sich da so lange ein kleiner Mond versteckt hat, vielleicht ist da ja noch etwas? Noch war ja ein paar Jahre Zeit, bevor New Horizons ankommen würde, also noch genug Zeit, die Flugbahn zu ändern, falls da noch irgendwo ein Mond rumhängt. Also hat man nochmal und noch genauer hingeschaut und was soll man sagen: Da war noch ein Mond. Noch kleiner als Kerberos, und diesmal wurde er Styx getauft, so wie der Totenfluss den Charon der Fährmann mit seinem Boot überquert.
Sortieren wir mal durch: Wir haben Pluto, der mit Charon um ihren gemeinsam Schwerpunkt kreist. Zwischen Charon und Pluto sind 17500 Kilometer; dann folgt schon Styx mit einem Abstand von 43000 Kilometer zum Schwerpunkt von Pluto/Charon. Als nächstes kommt Nix, mit einem Abstand von 48700 Kilometer, es folgt Kerberos mit einem Abstand von 58.000 Kilometer und ganz außen ist Hydra in 64750 Kilometer Entfernung (wir kennen die Abstände noch viel genauer, aber ich wollte nicht so unrunde Zahlen verwenden). Schaut man sich an, wie lange die ganzen Monde für ihre Runden brauchen, wird man überrascht. In der Zeit, in der Hydra zwei Runden schafft, bewegt sich Nix genau dreimal rundrum. Während Nix 9 Runden gemacht hat, hat Styx ganze 11 Runden geschafft. Oder, wenn man es ein wenig umrechnet: 11 Umläufe von Styx dauern genau so lange wie 9 Runde von Nix und 6 von Hydra.
Man kann auch noch die anderen Monde mit dazu nehmen und landet bei einem Verhältnis der Umlaufzeiten von 1:3:4:5:6, das allerdings nicht so exakt ist, wie das 11:9:6 von Styx, Nix und Hydra. Man nennt sowas eine Resonanz und ich hab schon öfter darüber gesprochen. Wie es zu dieser Ordnung der Umlaufzeiten gekommen ist, ist noch nicht ganz klar. Vermutlich hat es mit der Entstehung der Monde zu tun. Man geht heute davon aus, dass Charon und Pluto unabhängig voneinander entstanden, aber dann miteinander kollidiert sind. Oder besser gesagt: Das zwei Himmelskörper miteinander kollidiert sind und zwar so heftig, dass bestimmte gefrorene Gase aufgetaut und im All verschwunden sind, aber nicht so heftig, dass beide Himmelskörper komplett zerstört wurden. Die kleinere Monde sind vermutlich Bruchstücke dieser Kollision, die später eingefangen worden sind und deren Umlaufbahnen sich dann durch die gravitativen Störungen von Charon so verändert haben, bis sie irgendwann in der speziellen resonanten Konfiguration quasi stecken geblieben sind. Mit dieser Hypothese kann man aber nicht alle Eigenschaft erklären; wenn zum Beispiel Nix ein Bruchstuck einer Kollision ist, dann sollte seine Oberfläche nicht so hell und gut reflektierend sein, wie sie es ist.
Wir wissen halt noch nicht so viel über Pluto und seine Monde. 2015 ist die Raumsonde New Horizons einmal kurz und sehr schnell durch das System gerauscht und aus dieser einmaligen Begegnung haben wir alle Detailinformationen die wir eben haben. Natürlich können wir auch von der Erde aus mit Teleskopen hin schauen. Aber wenn wir wirklich verstehen wollen, was mit Pluto und seinen faszinierenden Monden passiert, werden wir nicht umhin kommen, uns diese Himmelskörper wieder aus der Nähe anzusehen…

Jun 3, 2022 • 17min
Sternengeschichten Folge 497: Wie die schwarzen Löcher zu ihren Namen gekommen sind
...und warum sind wir nicht bei den gefrorenen Sternen geblieben?
500 Folgen Sternengeschichten
Am 24. Juni 2022 feiern wir die 500. Folge der Sternengeschichten. In Wien, auf der Arenawiese im Prater, ab 17 Uhr. Kommt gerne und bringt auch gerne was mit. Mehr Infos gibt es hier.
Sternengeschichten Folge 497: Wie die schwarzen Löcher zu ihren Namen gekommen sind
Schwarze Löcher sind heute ein fixer Bestandteil der astronomischen und physikalischen Forschung. Und natürlich auch der Science Fiction und Popkultur. Aber warum heißen die eigentlich so, wie sie heißen? "Schwarzes Loch" ist ja schon ein komischer Name… Wir wissen, dass es diese seltsamen Objekte da draußen im Weltall gibt. Wir verstehen sie noch nicht vollständig, aber wir verstehen genug um sie finden und erforschen zu können. Wir haben sogar Bilder von ihnen gemacht, obwohl es natürlich keine echten Bilder waren, zumindest nicht so wie das was man sich vorstellt, wenn man an ein Bild denkt. Ich hab das in Folge 334 der Sternengeschichten schon genauer erzählt und in jeder Menge anderer Folgen über die Astronomie der schwarzen Löcher gesprochen. Aber sicherheitshalber fasse ich trotzdem noch mal sehr kurz zusammen, was ein schwarzes Loch ist, bevor wir zum eigentlichen Thema dieser Folge kommen.
Ein schwarzes Loch bekommt man, wenn man ausreichend viel Masse auf ausreichend kleinem Raum konzentriert. Das bedeutet folgendes: Jede Masse übt eine bestimmte Gravitationskraft aus. Die Stärke dieser Kraft hängt davon ab, wie groß die Masse ist und wie nahe man dieser Masse kommt. Je mehr Masse und je näher, desto stärker ist die Kraft die man spürt. Beim schwarzen Loch kommt es vor allem auf den Abstand an. Unsere Sonne beispielsweise hat eine bestimmte Masse und eine daraus resultierende Gravitationskraft. Je näher ich der Sonne komme, desto stärker wird diese Kraft. Jetzt kann ich der Sonne aber nicht beliebig nahe kommen. Spätestens wenn ich an ihre äußeren Schichten stoße, ist es vorbei. Nicht weil ich dann verbrenne (das würde außerdem schon viel früher passieren), sondern weil ich ihr dann schlicht und einfach nicht mehr näher kommen kann. In diesem Moment spüre ich also die maximale Anziehungskraft. Aber nicht die maximal mögliche, denn der eine Teil der Sonne ist mir zwar unmittelbar nahe, sehr viel von der Sonne ist aber immer noch weit weg - die Sonne hat ja einen Durchmesser von 1,4 Millionen Kilometer und so weit ist die mir gegenüberliegende Seite entfernt. Und die weiter entfernten Teile der Sonne üben natürlich eine entsprechend geringere Anziehungskraft auf mich aus. Wenn man die Sonne aber jetzt zusammenquetscht, kann ich der GESAMTEN Masse viel näher kommen. Wenn ich die komplette Masse der Sonne in einer Kugel mit 6 Kilometer Durchmesser konzentriere, dann ist selbst der fernste Teil der Sonne logischerweise höchstens 6 Kilometer von mir entfernt. Ich spüre jetzt also eine sehr viel stärker Anziehungskraft und in diesem Beispiel ist sie so groß, dass ich mich schneller als das Licht bewegen müsste, um mich dauerhaft von der gequetschten Sonne zu entfernen. Das geht nicht und deswegen kann ich nicht fort. In diesem Beispiel IST ausreichend viel Masse auf ausreichend kleinem Raum konzentriert. Um die komprimierte Sonne herum bildet sich ein Ereignishorizont, also der Bereich, aus dem nichts mehr - auch kein Licht - entkommen kann. Was hinter dem Ereignishorizont passiert ist unklar, aber von außen betrachtet können wir den Ereignishorizont einfach mal als schwarzes Loch definieren.
Die Sonne ist kein schwarzes Loch; sie wird auch nie so stark komprimiert werden um sich in eines zu verwandeln. Aber größere Sterne können am Ende ihres Lebens unter ihrer eigenen Gravitationskraft so weit in sich zusammenfallen, um als schwarzes Loch zu enden. So. Wer sich ein bisschen mit Astronomie beschäftigt hat, weiß das alles vermutlich schon. Eine ganz andere Frage ist aber die nach dem Namen. Ursprünglich hat man diese Dinger nämlich ganz anders genannt.
"Schwarzschild Singularität" war ein früher Name. Der deutsche Astronom Karl Schwarzschild war einer der ersten, der die Gleichungen der allgemeinen Relativitätstheorie von Albert Einstein lösen könnte. Und mit seiner Lösung konnte er berechnen, was passiert, wenn eine Masse immer weiter in sich zusammenfällt. Dann ist sie irgendwann in einem einzigen Punkt komprimiert - sowas nennt man eine "Singularität" - und außen rum um diesen Punkt gibt es einen kugelförmigen Bereich aus dem das Licht nicht mehr entkommen kann; der Schwarzschild-Radius bzw. das, was ich vorhin "Ereignishorizont" genannt habe.
Dieser Name ist aber ein wenig unpraktisch, weil beim Schwarzschild-Radius selbst ja eigentlich keine Singularität ist; das ist einfach nur ein Abstand. Und eine Singularität ist auch nichts, was physikalisch sinnvoll ist. Eine Masse kann nicht punktförmig sein; dass sie das in den Gleichungen von Einstein ist zeigt nur, dass sie in diesem Extremfall nicht mehr richtig funktionieren.
Sowjetische Physiker, insbesondere Jakow Seldowitsch und Igor Novikov haben in ihrem Buch "Sterne und Relativität" aus dem Jahr 1967 einen besonders poetischen Namen für solche Objekte verwendet: Gefrorene Sterne. Damit wollten sie ein spezielles Phänomen beschreiben, dass mit den Effekten der allgemeinen Relativitätstheorie zu tun hat. Für eine Person, die den Kollaps eines Sterns beobachtet, scheint der in dem Moment einzufrieren, in dem er über seinen Ereignishorizont hinaus in sich zusammenfällt. Das ist quasi das letzte Bild, das man bekommt, danach erreicht uns kein Licht mehr von dort. Westliche Physiker wie John Wheeler oder Roger Penrose dagegen waren wesentlich pragmatischer und nannten die Dinger in ihrer Arbeit "kollabierte Sterne".
Aber ein schwarzes Loch ist mehr als nur ein kollabierter Stern oder ein eingefrorenes Bild. John Wheeler ging daher dazu über, den Begriff "gravitationally completely collapsed object" zu verwenden. Also "gravitativ vollständig kollabiertes Objekt". Und nachdem der Name jetzt schon zweimal gefallen ist und noch öfter fallen wird, müssen wir uns kurz einmal mit John Wheeler beschäftigen. John Wheeler wurde 1911 geboren und war ein theoretischer Physiker aus den USA. Er hat beim Manhattan-Projekt mitgearbeitet, also dem Bau der amerikanischen Atombombe im zweiten Weltkrieg und war später maßgeblich daran beteiligt, die Allgemeine Relativitätstheorie zu erforschen. Insbesondere mit den schwarzen Löcher hat er sich beschäftigt; von ihm stammt auch das Konzept der "Wurmlöcher" durch die Raumzeit (aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte). Er hat auch noch jede Menge andere wichtige Sachen in der Physik gemacht; für uns aber relevant ist: Wheeler gilt als derjenige, der den Begriff "schwarzes Loch" erfunden bzw. zumindest populär gemacht hat.
Die Geschichte geht so: Im Herbst 1967 war Wheeler bei eine Konferenz der NASA in New York. Es ging um die erst ein paar Monate zuvor entdeckten Pulsare (also das, was von großen Sternen übrig bleibt die unter ihrem eigenen Gewicht in sich zusammenfallen, aber nicht zu einem schwarzen Loch werden sondern "nur" zu einer circa 10 bis 20 Kilometer großen Kugel von der Masse der Sonne kollabieren). Wheeler war der Ansicht, dass sich im Inneren eines solchen Pulsars vielleicht ein schwarzes Loch befinden könnte. Oder ein "gravitativ vollständig kollabiertes Objekt" wie er es damals ja nannte. Aber man merkt schon, dass das ein unhandlicher Begriff ist und Wheeler stellte fest, dass er das nicht dauernd sagen konnte. Zum Glück rief da jemand aus dem Publikum: "Wie wäre es mit 'Schwarzem Loch'?" - und Wheeler war davon sofort begeistert. Schon bei seinem nächsten Vortrag ein paar Wochen später benutzte er den Begriff, im Frühjahr 1968 wurde er dann auch in der gedruckten Version des Vortrags veröffentlicht und war damit in der wissenschaftlichen Fachliteratur angekommen.
Eine schöne Geschichte - aber eine mit zwei Problemen: 1) Wir wissen nicht, wer da aus dem Publikum gerufen hat. Und 2) Sie ist in der Form vermutlich nicht richtig oder zumindest nicht exakt richtig, auch wenn sie aus der Autobiografie von Wheeler selbst stammt.
Wir wissen, dass die Konferenz über die Pulsare nicht 1967 stattgefunden hat, sondern erst im Mai 1968. Es gab zwar auch 1967 eine Konferenz bei der NASA, aber ob Wheeler da dabei war oder nicht, wissen wir nicht. Aber der Begriff "Black Hole" taucht definitiv in einem Artikel auf, der sich auf einen Vortrags Wheelers im Dezember 1967 bezieht und der 1968 unter dem Titel "Our Universe: The Known and the Unknown" erschienen ist. Darin findet man unter der Überschrift "The Black Hole" folgenden Text: "Wenn der gravitative Kollaps unausweichlich ist, wie würde der kollabierte Kern aussehen, wenn man ihn aus der Ferne betrachten könnte. Der heiße Kern leuchtet hell und sein Licht strahlt stark in das Teleskop des Beobachters. Wegen seines immer schneller und schneller ablaufenden Kollaps bewegt sich die leuchtende Materie aber auch immer schneller vom Beobachter fort. Das Licht wird zum Roten hin verschoben. Millisekunde für Millisekunde wird es schwächer und in weniger als einer Sekunde zu dunkel um es zu beobachten. Was einmal der Kern eines Sterns war ist jetzt nicht mehr sichtbar. Der Kern verschwindet wie die Grinsekatze aus Alice im Wunderland aus dem Blickfeld. So wie die eine nur ihr Grinsen hinterlässt, bleibt vom anderen nur die gravitative Anziehungskraft. Gravitative Anziehungskraft ja, Licht nein. Kein Licht und keine Teilchen werden abgestrahlt. Noch mehr: Licht und Teilchen von außerhalb gehen runter ins schwarze Loch um seine Masse und gravitative Anziehungskraft zu erhöhen. Hat das schwarze Loch eine Größe? Auf eine Art ja, auf eine andere Nein. Da ist nichts was man ansehen kann."
Das beschreibt schon sehr gut warum es gerechtfertigt ist, ein schwarzes Loch auch so zu nennen. Und es war definitiv Wheeler, der mit seiner Arbeit den Begriff "Schwarzes Loch" verbreitet hat. Aber erfunden hat ihn jemand anderes. In der Ausgabe des Life-Magazins vom 24. Januar 1964 findet man einen Artikel von Albert Rosenfeld. Unter dem Titel "Die neuen Rätsel des Himmels" berichtet er über eine Konferenz auf der die ebenfalls noch recht neuen "Quasare" diskutiert wurde, die damals noch mysteriösen Objekte von denen ich in Folge 455 mehr erzählt habe. Heute wissen wir, dass es sich um die aktiven Zentren ferner Galaxien handelt. Damals wusste man nicht, mit was man es da zu tun hat. Aber einige Astronomen waren der Meinung, es könnte was mit dem vollständigen gravitativen Kollaps von Materie zu tun haben. Rosenfeld schreibt, dass der "gravitative Kollaps in einem unsichtbaren 'schwarzen Loch' im Universum" resultieren würde. Offensichtlich wurde dieser Begriff bei einer Konferenz im Jahr 1963 verwendet, von der auch ein Artikel der Journalistin Ann Ewing berichtet und zwar unter dem Titel "'Schwarze Löcher' im Raum". Dieser Artikel, der am 18. Januar 1964 in der Zeitschrift "Science News Letter" veröffentlicht worden ist, stellt die erste bekannte schriftliche Verwendung des Begriffs "schwarzes Loch" dar. "Der Weltraum ist vielleicht durchsetzt mit 'schwarzen Löchern'. Das wurde auf der Tagung der American Association for the Advancement for Science in Cleveland von Astronomen und Physikern vorgeschlagen, die Experten für das sind, was man degenerierte Sterne nennt". So fängt der Artikel an - aber wir wissen immer noch nicht, wo der Name nun ursprünglich her kommt.
Wir wissen, wer für den Satz "Der Weltraum ist durchsetzt mit schwarzen Löchern" verantwortlich ist. Das war der amerikanische Astrophysiker Hong-Yee Chiu, der das bestätigt (und übrigens auch das Wort "Quasar" erfunden hat), gleichzeitig aber auch festhält, dass der Begriff "schwarzes Loch" nicht von ihm stammt. Er habe das Wort irgendwann 1960 oder 1961 gehört, in einer Konferenz und zwar von Robert Dicke. Dort hat Dicke einen gravitativ vollständig kollabierten Stern mit dem "schwarzen Loch von Kalkutta" verglichen.
So. Was hat jetzt die indische Stadt Kalkutta damit zu tun und wer ist Robert Dicke? Dicke war auch nicht niemand in der Astronomie. Er war eine derjenigen, die vorausgesagt haben, dass es eine kosmische Hintergrundstrahlung vom Urknall geben muss und war gerade dabei, sich daran zu machen, sie auch tatsächlich nachzuweisen, als Arno Penzias und Robert Wilson das 1965 quasi aus Versehen getan haben, wie ich in Folge 316 erzählt habe. Das schwarze Loch von Kalkutta dagegen hat eine ziemlich düstere Geschichte. Es handelt sich um eine winzige Zelle, die im 18. Jahrhundert von den Briten in Kalkutta im Fort William eingerichtet wurde. Beziehungsweise dort genutzt wurde, um Gefangene einzusperren. Sie war nur 4,3 mal 5,4 Meter groß und trotzdem wurden dort am 20. Juni 1756 Dutzende Gefangene hineingequetscht. 123, sagt die Geschichte; 64 sagt die moderne Geschichtswissenschaft. Auf jeden Fall aber viel zu viele und die allermeisten der Gefangenen starben. Diese tragische Geschichte von an die hundert Menschen, die auf engstem Raum zu Tode gequetscht wurde, hat Dicke dazu inspiriert, den Namen "Black Hole" auch für den Zustand zu verwenden, den ein vollständig gravitativ kollabierter Stern einnimmt. Das Robert Dicke diesen Begriff verwendet hat, bestätigen auch seine Kinder und nach allem was wir wissen, können wir also festhalten: Der astronomische Begriff "Schwarzes Loch" stammt von Robert Dicke.
Und Wheeler, der ein Kollege von Dicke war, muss ihn sicherlich irgendwo gehört haben. Wenn er schon seit spätestens 1961 von Dicke und seinem Umfeld verwendet worden ist, dann ist es eigentlich unmöglich, dass er nie davon gehört hat. Wheeler war auch bei der Konferenz dabei, bei der Hong-Yee Chiu das Wort "Black Hole" von Dicke gehört hat. Und irgendwann muss Wheeler beschlossen haben, dass das der richtige Begriff für ein gravitativ vollständig kollabiertes Objekt ist.
Tatsächlich gibt es ein Gespräch dass der brasilianische Physiker José Acácio de Barros 1996 mit Wheeler geführt hat. Darin erklärt Wheeler explizit, dass er den Begriff in seinen Gesprächen mit Dicke verwendet hat. Und dass die Person, die bei Wheelers Vortrag "Wie wäre es mit 'Schwarzem Loch'?" gerufen hat, niemand anderer als Robert Dicke war. Wahrscheinlich wollte Dicke seinem Kollegen einfach mitteilen, er solle doch endlich aufhören, den sperrigen Begriff "gravitativ vollständig kollabiertes Objekt" zu verwenden und stattdessen das Wort benutzen, dass sie auch privat schon seit Jahren benutzen.
Es war also Robert Dicke, der den Begriff "schwarzes Loch" erfunden hat. Und es war John Wheeler, der es in seiner Arbeit in die wissenschaftliche Literatur eingeführt hat. Und ob man diesen Begriff nun gut findet oder doch lieber beim poetischen "Gefrorener Stern" geblieben wäre spielt längst keine Rolle mehr. Das schwarze Loch ist Teil der Astronomie und wird es auch in Zukunft bleiben.
Und die komplette Geschichte der Entstehung des Namens kann man in "The black hole fifty years after: Genesis of the name" nachlesen.

May 27, 2022 • 8min
Sternengeschichten Folge 496: Antares - Das rote Herz des Skorpions
Der rote Mann am Himmel
Sternengeschichten Folge 496: Antares - Das rote Herz des Skorpions
Ende Mai kann man nach Sonnenuntergang einen hell rot leuchtenden Stern aufgehen sehen. Das ist Antares und zu dieser Zeit ist er besonders gut am Himmel zu sehen; er geht erst zum Sonnenaufgang am Morgen wieder unter. Aber auch zu anderen Zeiten im Jahr ist Antares ein schöner Anblick. Sein Name erinnert nicht umsonst an "Ares", den griechischen Gott des Krieges und Gegenstück zum römischen "Mars". Ant-Ares bedeutet so viel Gegenspieler des Mars oder "Gegenmars". Eben weil der rote Stern dem Mars am Himmel so ähnlich sieht, hat man diese Beziehung auch im Namen verewigt. Antares ist auch in der Nähe der Ekliptik zu sehen; also dem Bereich des Himmels über den sich auch die Planeten bewegen. Ares und Antares, Mars und Stern kommen sich also immer wieder mal scheinbar nahe und das sieht dann ganz besonders beeindruckend aus.
Antares ist der 16. hellste Stern des Himmels und der hellste Stern im Sternbild des Skorpions. Auf arabisch wurde er deswegen auch "Herz des Skorpions" genannt - es handelt sich aber um ein ziemlich großes Herz. Antares befindet sich ungefähr 600 Lichtjahre entfernt und dass er trotzdem noch so hell am Himmel erscheint liegt daran, dass es sich um einen wirklich großen Stern handelt. Sein Radius beträgt circa das 700fache des Sonnenradius. Was bedeutet: Würde man die Sonne durch Antares ersetzen, dann würde sich die Erde tief im Stern befinden; selbst der Mars würde von Antares noch verschluckt werden. Die Masse von Antares beträgt das 12fache der Sonnenmasse und der Stern leuchtet gut 65.000 mal heller als unsere Sonne. Er ist allerdings nicht sehr heiß, an seiner Oberfläche hat es nur kühle 3200 Grad Celsius, wenig mehr als die Hälfte bei der Sonne. Genau deswegen leuchtet er auch rot und nicht gelb-weißlich, wie die heißeren Sterne.
Dass Antares kein ruhiger Stern ist, stellte man schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts fest. Seine Helligkeit ändert sich was daran liegt, dass der Stern selbst pulsiert. Er kann seine Größe um bis zu 20 Prozent verändern, so wie es üblich für alte rote Überriesensterne ist, wie Antares einer ist. Solche Sterne sind schon am Ende ihrer Entwicklung angekommen. Sie haben schon einen großen Teil ihres Wasserstoffs zu Helium fusioniert und auch schon das Helium weitestgehend verbrannt. Die alten Sterne brodeln und blubbern unregelmäßig vor sich hin; die Temperatur in ihrem Inneren ist nicht überall gleich; immer wieder gibt es heißere Bereiche; große Gasblasen steigen aus dem Inneren auf und wenn sie den Stern verlassen und abkühlen, kann sich daraus Staub bilden, der ebenfalls zu Helligkeitsänderungen führt.
Dass Antares ein Stern ist, der seine Helligkeit verändert, haben Menschen schon vor langer Zeit festgestellt. Zumindest die Menschen in Australien. Die Ngarrindjeri die im Südosten von Australien leben, haben sich immer schon die Geschichte von Waiyungari, dem "roten Mann" erzählt. Die jungen Männer der Ngarrindjeri durchlaufen ein Ritual an der Schwelle zum Erwachsenwerden, bei dem sie sich mit roter Erde bemalen und einige Zeit allein und isoliert verbringen, ohne Essen, Kleidung, Nahrung und Kontakt zu Frauen. In der Geschichte ist Waiyungari so ein junger Mann, der während seiner Isolation die Aufmerksamkeit zweier Frauen erregt. Blöderweise waren das die Frauen seines Bruders. Der war gar nicht so begeistert; erstens davon, dass seine Frauen so an Waiyungari interessiert waren und zweitens, dass er sich nicht an die Regeln gehalten und Kontakt mit Frauen hatte. Also hat er sie verfolgt und die Hütte angezündet, in der die drei geschlafen haben. Waiyungari warf einen Speer zum Himmel, der in der Milchstraße stecken blieb und an dem die drei hinauf klettern konnten. Waiyungari wurde ein heller roter Stern, die beiden Frauen schwächer leuchtende Sterne links und rechts von ihm. Sie sitzen direkt in der Milchstraße und gleich dort, wo auch der himmlische Emu zu finden ist, den die australischen Menschen damals in den dunklen Bereichen zwischen den hellen Sternen der Milchstraße zu sehen glaubten.
Als Forscherinnen und Forscher aus Europa diese Geschichten untersucht haben, dachten sie, der helle rote Stern könne nur der Mars sein. Aber der passt eigentlich gar nicht zur schönen Legende. Denn der Mars ist mal hier am Himmel und mal dort - aber nicht immer in der Milchstraße und beim Emu, wie Waiyungari es sein soll. Noch wichtiger: Die Ngarrindjeri erzählen, dass der rote Stern den Beginn des Frühlings symbolisiert und ab und zu ein wenig heller wird. Das sind besonders kritische Zeiten; in dieser Zeit müssen die jungen Männer und Frauen keinen Kontakt zueinander haben, denn sonst ergeht es ihnen wie Waiyungari.
Geschichten über mystische Figuren, die die Regeln der eigenen Gruppe vermitteln sollen - in dem Fall die Regel, dass man sich während des Initiationsritus vom anderen Geschlecht fern halten soll - sind nicht unüblich. Dass aber ein veränderlicher Stern darin eine Rolle spielt ist es durchaus. Und man ist sich heute durchaus sicher, dass Waiyungari der Stern Antares ist. Denn der befindet sich tatsächlich genau beim himmlischen Emu, in der Milchstraße und flankiert von Sigma Scorpii und Tau Scorpii, zwei schwächer leuchtenden Sternen. Und im Gegensatz zum Mars, der seine Helligkeit je nach Position immer wieder ändert, ändert Antares seine Helligkeit halbwegs regelmäßig und wird alle 4,5 Jahre heller. Nicht viel, aber doch so viel, dass man es mit freiem Auge sehen kann, wenn man den Himmel aufmerksam beobachtet. Was die Ngarrindjeri getan haben, die europäischen Forscherinnen und Forscher aber eher nicht, denn sonst hätten sie früher gemerkt, dass der Mars nicht zur Geschichte passt, Antares aber sehr wohl.
Die Wissenschaft interessiert sich auch für den Stern. 2017 konnte an der Europäischen Südsternwarte ein Bild des Sterns gemacht werden, dass tatsächlich auch mehr zeigt als nur einen Punkt. So detailliert wie Antares hatte man bis dahin keinen einzigen Stern gesehen, ausgenommen die Sonne natürlich. Dazu musste man die vier großen Teleskope der Europäischen Südsternwarte so zusammenschalten, dass sie wie ein einziges Teleskop funktionieren. Und konnte dann nicht nur den Stern als kleine Scheibe sehen, sondern tatsächlich auch Strukturen auf seiner Oberfläche. Nicht viel, aber eindeutig hellere und dunklere Bereiche. Man konnte auch untersuchen, in welche Richtung und mit welcher Geschwindigkeit sich das heiße Gas an Antares' Oberfläche bewegt. Der Stern war noch turbulenter als gedacht, sein Gas ist viel weiter hinaus ins All geströmt als man bisher angenommen hatte.
Und irgendwann in ein paar zehntausend Jahre wird das rote Herz des Skorpions ganz aufhören zu brodeln und bei einer Supernova in Form einer gewaltigen Explosion seine Existenz beenden. Sein letztes Aufleuchten wird dann auch hier auf der Erde zu sehen sein. Der Stern wird noch viel heller werden als er jetzt ist; er wird das hellste Objekt am Nachthimmel werden; noch heller als der Mond und auch am Tag als heller Lichtpunkt zu sehen sein. Nach ein paar Monaten ist aber auch das vorbei und dann hat der Gegenspieler des Ares endgültig verloren. Dann wird der Mars wieder alleine sein rotes Licht über den Nachthimmel leuchten können.

May 20, 2022 • 11min
Sternengeschichten Folge 495: Lebendige Planeten - Die Gaia-Hypothese
Ist die Erde ein Lebewesen?
Sternengeschichten Folge 495: Lebendige Planeten - Die Gaia-Hypothese
Gibt es lebendige Planeten? Bevor irgendwelche Missverständnisse aufkommen bin ich gleich mal der Spielverderber und sage: Nein. Wir wissen, dass Lebewesen sehr, sehr klein werden können. Wenn sie ganz winzig werden, dann verschwimmt aber die Grenze zwischen Leben und Nicht-Leben. Viren sind ein gutes Beispiel dafür. In gewisser Sicht sind diese Mikroorganismen lebendig; in anderer Hinsicht aber nicht. Die Biologie stimmt momentan noch überein, dass man Viren nicht mehr zum Leben zählt, ist sich aber auch nicht wirklich einig, wie man "Leben" überhaupt exakt definieren soll. Wir wollen aber heute ja eigentlich was über riesiges Leben wissen. Kann es ein Lebewesen geben, das so groß wie ein ganzer Planet ist? In der Science-Fiction gibt es so etwas immer wieder. Aber das ist eben Science Fiction. Was ist mit der Science? Keine Ahnung - wie gesagt, wir wissen nicht, wie wir "Leben" exakt definieren sollen. Aber vermutlich kann man ziemlich sicher davon ausgehen, dass es KEINE planetengroßen Lebewesen gibt.
Aber vielleicht kann es sich lohnen, einen Planeten in seiner Gesamtheit wie ein Lebewesen zu betrachten. Das jedenfalls hat sich der Chemiker, Mediziner und Physiker James Lovelock gedacht. 1965 war er gerade dabei für die NASA nach Methoden zu suchen, wie man Leben auf dem Mars nachweisen könnte. Die Grundidee war damals - wie heute - nach Auffälligkeiten in der chemischen Zusammensetzung der Atmosphäre zu suchen. Die damals schon vorhandenen Daten zeigten, dass die Atmosphäre des Mars in einem chemischen Gleichgewicht war. Das heißt, sehr vereinfacht gesagt, man schmeißt jede Menge Gase beziehungsweise chemische Stoffe in ein abgeschlossenes System und lässt sie miteinandern reagieren. Und dann passiert was oder nicht. Wenn nichts passiert, kann das daran liegen, dass halt nichts passiert, weil die Chemikalien nicht miteinander reagieren. Das ist es aber nicht, was hier gemeint ist. Sondern dass bestimmte Reaktionen ablaufen und gleichzeitig auch bestimmte Gegenreaktionen und zwar in beide Richtungen gleich schnell. Während eine chemische Reaktion einen bestimmten Stoff verbraucht wird er von einer anderen Reaktion im gleichen Maße produziert. Von außen betrachtet scheint sich nichts zu ändern; das System ist im Gleichgewicht - im Detail passiert aber jede Menge.
Beim Mars sah das damals so aus; die Gase in seiner Atmosphäre waren in so einem Gleichgewicht. Auf der Erde aber nicht. Hier war Leben und dieses Leben hat in das chemische Gleichgewicht eingegriffen. Ausgehend von diesen Gedanken hat Lovelock in den 1970er Jahren, gemeinsam mit der Biologin Lynn Margulis, seine "Gaia-Hypothese" formuliert. Ursprünglich nannte er sie "Erd-Feedback-Hypothese" und vermutlich wäre es besser gewesen, er hätte diesen Namen behalten. Aber dazu später mehr. Kurz gesagt geht es bei der Gaia-Hypothese um folgendes: Schaut man sich die Erde an und betrachtet dabei nicht nur die ganze nicht-lebendige Materie aus der sie besteht sondern auch alles was lebendig ist, dann kann man sie als eine Art von "Superorganismus" interpretieren. Durch diverse Feedback-Mechanismus beeinflussen sich Lebewesen und ihre Umwelt so, dass die Bedingungen für das Leben optimal bleiben.
Mit einem Beispiel wird es vielleicht klarer: Seit das Leben auf der Erde vor mehr als 3 Milliarden Jahren entstanden ist, ist die Leuchtkraft der Sonne um circa 25 bis 30 Prozent gestiegen. Für einen Stern ist sowas normal, das liegt an den Kernfusionsvorgängen in seinem Inneren. Aber wenn die Sonne immer mehr Energie abstrahlt, dann müsste eigentlich auch die Erde immer wärmer werden. Ist sie aber nicht. Ok, die Temperaturen haben sich natürlich im Laufe der Zeit verändert; es gab Eiszeiten und es gab Phasen in der Vergangenheit wo es sehr viel wärmer war als heute. Aber prinzipiell ist die Temperatur innerhalb gewisser Grenzen konstant geblieben und nicht analog zur Leuchtkraft der Sonne angestiegen. Eine Möglichkeit das zu erklären ist die sogenannte "CLAW-Hypothese". Die nichts mit dem englischen Wort für "Klaue" zu tun hat; das CLAW steht für die Namen der Leute die sie entwickelt haben: Robert Charlson, James Lovelock, Meinrat Andrae und Stephen Warren. Und funktionieren tut das ganze so: Algen im Meer produzieren unter anderem eine bestimmte Schwefelverbindung. Durch Bakterien und durch diverse chemische Prozesse im Meerwasser wird diese Verbindung verändert und ein Teil dampft langsam in die Atmosphäre ab. Dort sorgen diese Aerosole dafür, dass die Sonneneinstrahlung vermindert wird. Also: Mehr Sonnenenergie heißt mehr Algen heißt mehr Aerosole in der Atmosphäre wodurch die Sonneneinstrahlung sinkt, die Algen weniger werden, weniger Aerosole freigesetzt werden und die Sonneneinstrahlung wieder stärker wird. So hat man quasi einen Thermostaten, der die Temperatur der Erde regelt und er funktioniert nur, weil es Lebewesen - Algen und Bakterien - gibt. Das Leben sorgt also dafür, dass es weiterhin lebensfreundliche Bedingungen gibt und die Erde nicht zu heiß wird (ok, das, was wir Menschen gerade mit der Erde anstellen ist eine ganz andere Sache, aber auch dazu später mehr).
Und wenn das in diesem Bereich funktioniert, warum dann auch nicht anderswo. Zum Beispiel beim Salzgehalt der Ozeane. Auch der ist ist im wesentlichen konstant, bei etwas über 3 Prozent. Aber es werden ja eigentlich durch die Flüsse ständig Mineralien in die Meere gespült die den Salzgehalt erhöhen. Im Laufe der Jahrmillionen sollten unsere Meere eigentlich komplett versalzen und lebensfeindlich geworden sein. Sind sie aber nicht. Weil sich zum Beispiel seichte Lagunen bilden können, wo sich Meerwasser sammelt, verdunstet und Salzablagerungen zurück bleiben. Das entsalzene Wasser geht in die Atmosphäre und kommt als frischer Regen wieder zurück und ohne Salz ins Meer. Und wie entstehen Lagunen? Durch Riffe und die werden von diversen Lebewesen gebaut. Auch Algen können dafür sorgen, dass der Salzgehalt der Meere sinkt.
Beim Sauerstoff in der Atmosphäre ist es ähnlich. Das ist ein extrem reaktives Gas; immerhin können wir es verbrennen und sogar explodieren lassen. Sich selbst überlassen reagiert es sehr schnell mit allem - aber trotzdem ist der Sauerstoffgehalt der Erdatmosphäre vergleichsweise konstant - weil Lebewesen ständig neuen Sauerstoff produzieren. Auch bei der Menge an CO2 sorgt das Leben für eine Regulierung. Jede Menge Mikroorganismen haben Skelette aus Kalk, wozu sie Kohlenstoff benötigen, den sie sich u.a. aus den Meeren und der Atmosphäre holen. Und wenn sie dann sterben, lagert sich der Kohlenstoff in den Gesteinsschichten ein und kommt nicht mehr zurück in die Atmosphäre. Andere Organismen - Flechten zum Beispiel - sorgen dafür, dass Gestein verwittert und Kohlenstoff freisetzt. Sieht man wieder mal von uns Menschen ab, dann sorgt das Leben also auch hier für ein Gleichgewicht.
Ist die Erde also wirklich ein sich selbst regulierender Superorganismus der dafür sorgt, dass es dem Leben gut geht? Na ja. So einfach ist die Sache leider nicht. Es gibt jede Menge Kritik an der Gaia-Hypothese. Zum Beispiel, dass sie ein zielgerichtetes Konzept der Evolution voraussetzt, dass es so nicht gibt. Evolution ist Zufall und sie richtet sich nicht daran aus, was für das große Ganze am besten ist. Sie funktioniert auf der Ebene individueller Gene; was für den Rest des Planeten gut ist oder nicht interessiert die Evolution nicht. Man kann auch darüber diskutieren, ob die Regulation wirklich so super funktioniert wie es scheint. Die Erde war früher ein paar mal komplett gefroren; wie ich in den Folgen über den "Schneeball Erde" ja schon erzählt habe. Und auch ansonsten passen nicht alle geologischen und paläontologischen Details so super.
Es hat Lovelock auch nicht geholfen, dass er seine Hypothese nach der griechischen Erdgöttin Gaia benannt hat; vor allem nicht in den doch eher esoterik-dominierten 1970er Jahren. Auch wenn er das überhaupt nicht beabsichtigt hatte, haben viele in der Wissenschaft das für eine Art von komischer Naturreligion gehalten und außerhalb der Wissenschaft haben entsprechende Leute dieses Missverständnis dankend aufgegriffen um tatsächlich irgendwelche esoterisch-religiösen Konzepte über "Mutter Erde" mit Lovelocks Wissenschaft zu belegen.
Mittlerweile gibt es sogar das Gegenstück der Gaia-Hypothese; nämlich die "Medea-Hypothese", die der Paläontologe Peter Ward 2009 vorgestellt hat. Die besagt, dass Leben enorm schlecht für einen Planeten sein kann. Als zum Beispiel die ersten Mikroorganismen auf den Trick mit der Sauerstoffproduktion kamen, war das eine gewaltige Katastrophe. Eben weil Sauerstoff so ein reaktives Gas ist, war es für so gut wie alle Lebewesen extrem giftig. Zuvor waren sie wunderbar ohne Sauerstoff ausgekommen; jetzt war die Welt auf einmal voll mit Gift. Es gab das größte Massensterben der Geschichte und nur die paar, die mit Sauerstoff klar kommen konnten haben überlebt und deswegen leben wir halt jetzt in einer Sauerstoffatmosphäre. Es gibt ähnliche Ereignisse in der Erdgeschichte und man kann durchaus auch die menschlichen Aktivitäten die zur Klimakrise geführt haben in diese Reihe stellen.
Es ist unbestritten dass es auf der Erde Feedbackmechanismen gibt, wie zum Beispiel die CLAW-Hypothese. Aber daraus auf die Existenz eines "Superorganismus" zu schließen, der dafür sorgt, dass es dem Leben gut geht, ist ein wenig zuviel. Die Gaia-Hypothese wird weiterhin in der Biologie diskutiert; eben weil vieles daran interessant und relevant ist. Aber die Erde ist nur insofern ein lebendiger Planet als sie ein Planet ist, auf dem Leben existiert. Und wenn wir die ganzen Feedback-Mechanismen besser verstehen; wenn wir wissen, wie Leben mit seinem Planeten wechselwirkt, dann steigt auch unsere Chance, irgendwo im All eine "zweite Erde" identifizieren zu können.

May 13, 2022 • 11min
Sternengeschichten Folge 494: Die höchsten Berge des Sonnensystems
Wo würde Alien-Messner klettern?
Sternengeschichten Folge 494: Die höchsten Berge des Sonnensystems
Ich dachte, wir machen heute einen kleinen Ausflug. Ein bisschen wandern, hinauf auf die Berge. Und dabei beschränken wir uns nicht nur auf die, die hier bei uns auf der Erde rumstehen. Sondern schauen auch, was anderswo im Sonnensystem an Erhebungen zu finden ist. Das ist aber leichter gesagt als getan. Selbst auf der Erde hat es ja eine Zeit lang gedauert bis wir rausgefunden haben, wie hoch die ganzen Berge sind. Dass etwa der Mount Everest nicht einfach nur ein hoher Berg ist sondern tatsächlich der höchste Berg der Erde hat man erst 1852 entdeckt. Und wenn man ganz genau ist, kann man auch darüber streiten, ob der Everest wirklich der höchste Berg der Erde ist. Wir haben uns darauf geeinigt, die Höhe von Bergen in Metern über dem Meeresspiegel zu messen. Und der Gipfel des Everest liegt 8848 Meter über dem Meer, was weiter oben ist als alle anderen Berggipfel. Aber eigentlich ist das unfair gegenüber all den Bergen, die nicht mitten am Land stehen sondern am Meeresboden. Da gibt es auch jede Menge und einige davon sind so hoch, dass sie über das Wasser hinaus ragen. Der Mauna Kea auf Hawaii zum Beispiel. Von seinem Gipfel bis zum Meer sind es nur 4205 Meter. Aber der Berg geht unter Wasser weiter; sehr viel weiter. Wenn man den kompletten Berg, von seiner Basis bis zur Spitze misst, dann kommt der Mauna Kea auf 10.203 Meter und ist damit deutlich höher als der Everest. Und was ist mit dem Chimborazo in Ecuador? Sein Gipfel liegt 6263 Meter über dem Meeresspiegel. Das ist auch seine komplette Höhe; er ragt nicht aus dem Meer heraus. Aber er befindet sich ganz in der Nähe des Äquators. Und die Erde ist am Äquator ein wenig dicker; wenn man also den Abstand vom Berggipfel bis zum Erdmittelpunkt misst, dann gibt es keinen Punkt auf der Erdoberfläche auf dem man weiter vom Mittelpunkt der Erde weg ist als am Gipfel des Chimborazo.
Es ist also schwer genug den Überblick über die hohen Berge der Erde zu behalten. Auf anderen Himmelskörpern wird es nicht leichter. Viele davon haben wir noch nicht so gut erforscht um wirklich wissen zu können, wie hoch sie genau sind. Viele außerirdische Berge haben wir noch nicht einmal entdeckt. Und bei denen, die wir gefunden haben, haben wir ähnliche Probleme ihre Höhe zu definieren wie auf der Erde. Das fängt schon mit dem fehlenden Wasser an. Einen Meeresspiegel, den wir als Referenz für Höhenangaben heranziehen können, gibt es nur auf der Erde. Auf anderen Himmelskörpern kann man die Höhe von Bergen entweder so messen wie ich es gerade beim Mauna Kea erklärt habe, also von der Basis des Bergs bis zu seiner Spitze. Oder man definiert einfach eine fiktive Referenzfläche um sich quasi einen künstlichen Meeresspiegel zu schaffen.
Es ist also nicht möglich, eine verlässliche Top-10-Liste der höchsten Berge des Sonnensystems zu präsentieren. Dafür gibt es zu viel Interpretationsspielraum bei dem, was man als "Höhe" eines Berges definieren will. Deswegen werde ich das auch gar nicht erst versuchen sondern jetzt einfach ein wenig über Berge sprechen, die definitiv sehr, sehr hoch sind. Und beeindruckend genug, auch wenn sie nicht in einem Ranking kategorisiert werden.
Aber wenn es so ein Ranking für das Sonnensystem geben würde, dann wäre der Olympus Mons auf dem Mars mit ziemlicher Sicherheit sehr, sehr weit oben in dieser Liste. Man kann sich kaum vorstellen, was das für ein gewaltiger Berg ist. Wenn man sich Satellitenaufnahmen ansieht, dann erscheint der Olympus Mons eigentlich gar nicht so gewaltig. Aber das täuscht. Der Olympus Mons ist nicht einfach nur hoch, er ist vor allem auch gewaltig groß. Würde man ihn hier auf die Erde stellen, dann könnte man fast ganz Frankreich darunter verschwinden lassen. Die Basis des Bergs ist ziemlich genau so groß wie Polen. Wenn man an einem Ende hinauf geht und am anderen Ende wieder runter, wäre man danach gut 600 Kilometer vom Ausgangspunkt entfernt! Und hätte dazwischen einen ziemlich gewaltigen Aufstieg absolviert. Startet man von der westlich des Olympus Mons liegenden Ebene Amazonis Planitia, dann hat man bis zum Gipfel 26.000 Höhenmeter vor sich; bezogen auf die künstliche Referenzebene des Mars hat der Berg eine Höhe von 21 Kilometern. Und ist nicht nur ein Berg, sondern ein Vulkan. Entstanden ist er vor ungefähr 3,5 Milliarden Jahren, ob er heute noch aktiv ist, ist unbekannt. Lavaströme die man in seiner Umgebung beobachtet hat, sind aber nur 2 Millionen Jahre alt, was aus geologischer Sicht nicht viel ist. Der Krater am Gipfel des Olympus Mons hat einen Durchmesser von 90 Kilometern und ist 3 Kilometer tief. Zum Vergleich: Darin könnte man die Zugspitze, den höchsten Berg Deutschlands so verstecken, dass ihr Gipfel nicht herausschaut.
Angesichts der gewaltigen Ausmaße des Olympus Mons ist es schwer vorstellbar, dass es irgendwo anders noch einen Berg geben könnte, der ihm den Titel "Höchster Berg des Sonnensystems" streitig macht. Ist aber so. Und zwar der Zentralberg des Rheasilvia-Kraters. Dass es diesen Krater überhaupt gibt wissen wir erst seit 1997; seinen Namen hat er aber erst 2011 bekommen und auch erst seit damals wissen wir, dass er ziemlich hoch ist. Der Rheasilvia-Berg liegt nämlich nicht auf dem Mars sondern befindet sich auf dem Asteroid Vesta. Bis zur Ankunft der Raumsonde Dawn dort im Juli 2011 hatten wir nur sehr unscharfe Bilder dieses Asteroiden die kaum Details der Oberfläche gezeigt haben. Aber dank Dawn wissen wir mittlerweile sehr gut, was dort alles zu finden ist. Unter anderem eben der Rheasilvia-Krater mit einem Durchmesser von 505 Kilometer. Was vielleicht nicht so beeindruckend klingt, aber sehr beeindruckend ist, vor allem wenn man bedenkt dass der Asteroid Vesta selbst nur einen Durchmesser von 569 Kilometer hat. Wahrscheinlich ist vor ungefähr einer Milliarde Jahre ein ziemlich großes Trumm mit Vesta kollidiert und hat dabei den Krater geschaffen. Einen Krater, dessen Wand bis zu 12 Kilometer über die umliegenden Regionen hinaus ragt - hoch genug, um den Mount Everest UND den Mauna Kea dahinter zu verstecken - und wie alle großen Krater hat er auch einen Zentralberg in der Mitte. Beim Einschlag eines großen Objekts verhält sich das Gestein ja kurzfristig so wie eine Flüssigkeit. Und wenn man zum Beispiel einen Stein ins Wasser wirft, dann spritzt danach ja auch aus der Mitte des Einschlagspunkts ein wenig Wasser nach oben. Nur dass im Falle eines Kraters dieser "Spritzer" dann eben wieder fest wird und einen Berg bildet (ich hab das in Folge 220 der Sternengeschichten genauer erklärt). Der Zentralberg im Rheasilvia-Krater hat einen Basis mit einem Durchmesser von 200 Kilometer und eine Höhe von 20 bis 25 Kilometer. Je nachdem auf welche Weise man das mit dem Olympus Mons vergleicht ist Rheasilvia also höher oder niedriger.
Ob das, was man auf dem Saturnmond Iapetus finden kann, ein Berg ist, ist unklar. Eher handelt es sich um eine ganze Gebirgskette, der exakte Begriff dafür ist "Äquatorialkamm". So bezeichnet man eine Erhebung die dem Verlauf des Äquators eines Himmelskörpers folgt. Oder anders gesagt: Ein Gebirge, das einmal um den Himmelskörper herum läuft. Wir haben sowas bis jetzt nur bei Monden des Saturns gefunden und wissen noch nicht wirklich, wie sie entstehen. Vielleicht hatten diese Monde eigene Ringe, die irgendwann instabil geworden sind und als das ganze Material auf den Planeten gestürzt ist, haben sie Gebirgskette gebildet? Vielleicht handelt es sich um Eis, dass aus dem Inneren des Planeten an die Oberfläche gesteigen ist. Vielleicht hat es mit der Entstehung der Monde zu tun? Wir wissen es nicht, aber wir wissen, dass der Äquatorialkamm von Iapetus bis zu einer Höhe von 20 Kilometer reicht, ganz ordentlich für einen Mond mit einem Durchmesser von knapp 1500 Kilometer.
Auch andere Monde haben hohe Berge. Der Jupitermond Io etwa kann mit den Boösaule Montes aufweisen, die gut 18 Kilometer hoch sind. Der Uranusmond Oberon hat eine 11 Kilometer hohe Erhebung. Über den 7 Kilometer hohen Berg auf dem Saturnmond Mimas habe ich ja erst in Folge 489 erzählt. Selbst auf dem Mond gibt es Erhebungen die mehr als 10 Kilometer über die Mondoberfläche hinauf reichen. Die meisten hohen Berge findet man aber definitiv auf dem Mars. Olympus Mons ist der größte, aber nicht der einzige gigantische Vulkan der dort rumsteht. In seiner Nachbarschaft kann man auch noch Ascraeus Mons (18 Kilometer hoch), Arsia Mons (14 Kilometer) und Pavonis Mons (12 Kilometer) besteigen. Abseits dieser vulkanreichen Tharsis-Region gibt es noch Elysium Mons mit 12,5 Kilometern und das waren jetzt nur die, die über 10 Kilometer Höhe erreichen… Aber wie kommt eigentlich gerade der kleine Mars zu solch großen Bergen? Warum gibt es auf Asteroiden und Monden solche gigantischen Berge und auf der Erde nicht?
Das hat vor allem zwei Gründe. Zuerst einmal hat die Erde eine Atmosphäre mit jeder Menge Wind und Wetter. Was durchaus gut ist, denn ansonsten könnten wir hier nicht leben. Sie sorgt aber auch für Erosion, das heißt im Laufe der Jahrmillionen werden Berge langsam aber sicher abgeschliffen und abgetragen, bröckeln auseinander, und so weiter. Viel wichtiger ist aber die Masse der Erde. Ein Berg ist ja kein Turm. Je höher ein Berg ist, desto größer muss seine Basis sein. Und je größer die Basis, desto größer ist auch das Gesamtgewicht des Berges. Die Masse der Erde zieht den Berg an, so wie alles andere. Und wenn der Berg zu schwer ist, dann ist der Druck auf die Basis zu stark, das Gestein dort wird flüssig und der Berg sackt in die Erde ein. Man kann berechnen wie groß ein Berg unter Bedingungen werden kann, die auf der Erde herrschen und kommt dann auf eine Höhe von knapp 10 Kilometern. Was der Höhe von Everest oder Mauna Kea entspricht; wir haben also schon so hohe Berge wie wir hier kriegen können. Auf Himmelskörpern die kleiner sind als die Erde und weniger Masse haben, wie eben auf dem Mars, da können Berge viel höher wachsen. Auf sie wirkt eine geringere Gravitationskraft und deswegen können sie größer werden.
Wem die Berge auf der Erde also nicht hoch genug sind, wird wohl oder übel auf einen anderen Himmelskörper auswandern müssen…

May 6, 2022 • 14min
Sternengeschichten Folge 493: Siriometer und Andromede
Wir brauchen mehr Einheit
Sternengeschichten Folge 493: Siriometer und Andromede
Heute geht es in den Sternengeschichten um Siriometer und Andromede. Und auch noch um Macron, Astron und ein paar andere komische Wörter. Die heben wir uns aber für später auf und fangen mit dem Siriometer an. Was soll das sein? Klingen tut es wie ein Gerät, mit dem man irgendwas misst. Aber was? Den Sirius? Siriuse? Sirius ist ein Stern, ein ziemlich interessanter, ok - aber wieso kriegt er ein eigenes Messgerät und die anderen Sterne nicht?
Um das zu klären müssen wir ein Thema betrachten, von dem ich in den Sternengeschichten schon öfter erzählt habe. Es geht um die Entfernung zu den Sternen. Lange Zeit war die völlig unbekannt. Ich hab schon einige Male erklärt, wie kompliziert es ist, das Universum von der Erde aus in all seiner dreidimensionalen Pracht zu sehen. Weil sehen tun wir den Himmel eigentlich nur zweidimensional. Es sieht so aus, als wäre da eine Kuppel über der Erde aufgespannt an der jede Menge kleine Lampen hängen. Deswegen ist es auch nicht verwunderlich dass die Menschen genau das lange Zeit auch gedacht haben. Dass da eine Kuppel über der Erde ist beziehungsweise dass die Erde im Zentrum einer enormen Kugelschale sitzt, an der die Sterne befestigt sind. Vor ein paar hundert Jahren ist uns klar geworden, dass das nicht stimmen kann. Aber wir haben immer noch nicht gewusst, wie weit die Sterne weg sind. Weil wir sehen ja nur unterschiedlich helle Lichter. Es hat lange gedauert, bis wir das mit der Entfernungsbestimmung geschafft haben. Davon habe ich in Folge 19 erzählt; 1838 war es, als es Friedrich Wilhelm Bessel gelungen ist, die Parallaxe eines Sterns zu bestimmen.
Und zur Sicherheit wiederhole ich das mit der Parallaxe nochmal. Die Erde bewegt sich um die Sonne, so viel war auch 1838 schon einigermaßen klar. Das bedeutet aber, dass sie zu unterschiedlichen Zeiten im Jahr an unterschiedlichen Orten im Sonnensystem steht. Und wir daher aus unterschiedlichen Blickwinkeln auf die fernen Sterne schauen. Und wenn das so ist, dann müssten wir eigentlich sehen können, wie sich die etwas näher gelegenen Sterne vor dem Hintergrund der ferneren Sterne scheinbar bewegen. Das muss so sein; das kann man auch leicht selbst bei etwas alltäglicheren Situationen ausprobieren. Wenn man mit dem Fahrrad eine Straße entlang radelt, dann sieht man wie die nahen Bäume sich scheinbar in Bezug auf die fernen Berge im Hintergrund bewegen. Oder die nahen Häuser in Bezug auf die fernen Häuser, falls man gerade durch eine Stadt radelt. Weil man eben aus unterschiedlichen Blickwinkeln schaut und die nahen Objekte mal vor dem einem Hintergrund sieht und mal vor einem anderen, je nachdem wo man sich selbst gerade befindet.
So ist es auch bei den Sternen, nur sind die halt sehr, sehr, sehr weit entfernt. Die scheinbare Positionsänderung ist winzig und deswegen hat es so lange gedauert, bis man das endlich mal auch messen konnte. Bessel hat das als erster getan und heute tun wir das bei Milliarden von Sternen. Und jetzt, wo wir die Entfernungen kennen, müssen wir die auch irgendwie angeben. Auf der Erde geben wir Entfernungen in Kilometern an. Oder Metern, manchmal auch Zentimeter oder Millimeter. Aber im Weltall wird es schwierig. Ok, wenn es um Abstände in unserer Nachbarschaft geht, dann ist das noch halbwegs praktikabel. Der Mond ist gut 400.000 Kilometer weit weg. Die Sonne schon 150 Millionen Kilometer. Das kann man sich zwar nicht mehr anschaulich vorstellen - aber immerhin sind die Zahlen noch halbwegs fassbar. Aber Sirius zum Beispiel ist 86 Billionen Kilometer weit weg. Das ist eine große Zahl und mit der kann man wirklich nichts mehr anfangen. Und Sirius ist noch ein vergleichsweise naher Stern. Wenn wir vernünftig arbeiten wollen und auch halbwegs verstehen möchten, wie weit die Sterne weg sind, braucht es andere Einheiten.
Womit wir jetzt beim Siriometer sind. Das ist nämlich kein Gerät, sondern eine Entfernungseinheit. Ausgedacht hat sie sich der berühmte Astronom Friedrich Wilhelm Herschel, der im 18. Jahrhundert auch den Planeten Uranus entdeckt hat. Er wollte auch die Entfernungen zu den Sternen messen, was aber technisch damals nicht möglich war. Aber zumindest so halbwegs rauskriegen wollte er es doch. Also hat er sich gesagt: Wir gehen einfach mal davon aus, dass alle Sterne mehr oder weniger gleich viel Licht ausstrahlen. Dann müssen Sterne, die wir hell am Himmel wahrnehmen näher sein als die, die weniger hell erscheinen. Und Sirius ist der hellste Stern am Nachthimmel, den nehmen wir mal als Referenzstern, mit dem wir alle anderen vergleichen. Sirius ist ein "Siriometer" weit weg. Und ein Stern, der ein Viertel so hell erscheint wie Sirius muss zwei Siriometer weit weg sein. Weil die Helligkeit mit dem Quadrat des Abstands sinkt: Doppelt so weit weg, viermal weniger hell.
Das war eigentlich keine schlechte Idee. Wenn denn die Sterne wirklich alle gleich viel Licht ausstrahlen, was sie aber nicht tun. Deswegen waren Herschels Ergebnisse auch nicht sonderlich gut. Die Idee des Siriometer blieb aber. Denn man brauchte ja immer noch irgendeine Einheit für die Sterndistanzen. Basierend auf dem Siriometer schlug der deutsche Astronom Hugo von Seeliger die "Siriusweite" vor. Damit ist die Entfernung eines Stern gemeint, der gerade so weit weg ist, dass seine Parallaxe 0,2 Bogensekunden beträgt. Was heißt das? Die Parallaxe ist die scheinbare Positionsänderung die sich ergibt, wenn man ihn von der Erde aus zu zwei Zeitpunkten betrachtet, die 6 Monate auseinander liegen. Oder, ein bisschen weniger verwirrend: Wir schauen einmal zum Stern hin und messen seine Position. Dann warten wir, bis die Erde genau auf der anderen Seite ihrer Umlaufbahn angelangt ist. Dann befinden wir uns knapp 300 Millionen Kilometer von der ersten Beobachtungsposition weg (so groß ist der Durchmesser der Erdbahn) und schauen nochmal. Jetzt wird der Stern eine andere Position haben und den Unterschied misst man in Grad. Bogensekunden sind ein bisschen knifflig zum Vorstellen (dazu kommen wir später noch), darum erkläre ich es nochmal. Wenn wir uns einmal im Kreis drehen, dann haben wir insgesamt einen Bereich von 360 Grad beobachtet; das ist noch simpel. Ein Grad können wir jetzt in 60 Stücke unterteilen, die nennt man Bogenminuten. Und jede Bogenminute hat nochmal 60 Bogensekunden. Und bei unserer Messung ist der Stern nicht mal eine volle Bogensekunde scheinbar am Himmel entlang gehüpft, sonder nur 0,2 Bogensekunden. Das ist wirklich wenig. Der Vollmond überdeckt einen Bereich am Himmel der 0,5 Grad entspricht, beziehunsgweise 30 Bogenminuten oder 1800 Bogensekunden. 0,2 Bogensekunden sind knapp ein 10.000stel der scheinbaren Größe des Vollmonds am Himmel. Eine Parallaxe von 0,2 Bogensekunden entspricht zwar nicht der Entfernung von Sirius, aber einer Entfernung von 1,03 Millionen Erdbahnradien. Was Seeliger ziemlich super fand und auch der schwedische Astronom Carl Charlier, der vorschlug, das ein wenig zu runden und ein Siriometer auf 1 Million Erdbahnradien festzulegen. Sirius wäre dann laut Charlier einen halben Siriometer weit weg, die helle Wega 2,2 Siriometer, Beteigeuze wäre 6,9 Siriometer entfernt, und so weiter. Eigentlich ganz nett, alles schön handliche Zahlen.
Andere Astronomen fanden es schöner, wenn man die Entfernungseinheit mit einer Parallaxe von 0,1 Bogensekunden definiert und haben das auch getan. Aber warum sollte man alles am Sirius festmachen? Warum nicht den Andromedanebel nehmen. Damals, zu Beginn des 20. Jahrhunderts als all diese Diskussionen geführt wurden, dachten ja viele noch, dass das ein nebelartiges Gebilde und gar nicht so weit weg ist. Und hübsch ist das Ding auch, als definieren wir einfach den Abstand zum Andromedanebel als ein "Andromede" und nehmen das als Entfernungseinheit für Sterne. Blöd nur, dass niemand so genau gewusst hat, wie weit die Andromeda weg ist. Damals zumindest und das hat auch Heber Curtis beschäftigt. Der amerikanische Astronom gehörte zu denen, die davon ausgingen, dass es noch jede Menge andere, enorm weit entfernte Galaxien im All gibt und das die Andromeda eine davon ist. Und wenn das so ist, dann macht es kaum Sinn diesen Abstand als Maßstab für die viel näheren Sterne zu benutzen. In einer Arbeit aus dem Jahr 1913 fasste er die Debatte der Entfernungseinheiten zusammen und stellte fest, dass so eine Einheit mindestens drei Vorgaben erfüllen muss. Man soll sie möglichst exakt messen können und sie soll von fundamentalen Größen abhängen. Sie soll leicht zu verstehen sein, auch wenn man kein oder nur wenig astronomisches Wissen hat. Und sie soll so beschaffen sein, dass die Entfernungen zu den Sternen sich in halbwegs handlichen Zahlen ausdrücken lassen. Die Andromede als Einheit verwarf er sofort; es war nicht möglich, diese Entfernung vernünftig zu messen. Die Einheiten die auf Parallaxen basieren fand er auch nicht so super. Darunter können sich Laien nix vorstellen, meinte er und hatte damit nicht Unrecht. Ihr habt ja vorhin gehört, dass man sich ein wenig anstrengen muss, wenn man das mit der Parallaxe und der Entfernung anschaulich erklären will.
Curtis lehnte die Entfernungsangaben in Bogensekunden der Parallaxe ab, aber genau so diverse Umrechnungen. Den Siriometer von Charlier fand er doof, genauso andere die einen Stern, der eine Parallaxe von einer Bogensekunde zeigt (statt den 0,2 von Seeliger und Charlier) und die daraus berechnete Entfernung dann Macron, Astron oder Astrometer nannten. Curtis fand, dass es nur eine Einheit gab, die alle seine Bedingungen erfüllte: Das Lichtjahr. Diese Entfernung basiert auf einer fundamentalen Größe, nämlich der Lichtgeschwindigkeit die sich damals auch halbwegs gut messen lies. Es ist leicht einzusehen, dass Licht Zeit braucht um von A nach B zu kommen und dass ein Lichtjahr eben genau die Strecke ist, die das Licht in einem Jahr zurück legt. Und die Entfernungen zu den Sternen lassen sich in Lichtjahren genau so handlich ausdrücken wie in Siriometern. Sirius zum Beispiel ist 8,6 Lichtjahre weit weg, Wega ist 25 Lichtjahre entfernt und Beteigeuze 643 Lichtjahre. Es spricht also nichts dagegen, einfach das eh schon in Gebrauch befindliche Lichtjahr zum Standard zu machen, meinte Curtis. Und sollten wir mal noch größere Einheiten brauchen, kann man ja einfach Lichtjahrhunderte oder Lichtjahrtausende nehmen.
Man kann Curtis kaum widersprechen; ein Lichtjahr ist wirklich eine praktisch und leicht zu veranschaulichende Einheit. Trotzdem ist das Lichtjahr nicht die "offizielle" Einheit. Beziehungsweise gibt es keine offizielle Einheit, außer dem Meter. Aber in der Astronomie wird in Fachpublikationen meistens eine Einheit verwendet, die "Parsec" heißt. Das steht für "Parallaxensekunde" und entspricht einer Entfernung, in der ein Stern eine scheinbare Positionsänderung von einer Bogensekunde zeigt, wenn man ihn von der Erde aus zu unterschiedlichen Zeiten beobachtet. Also genau das Ding, das früher mal Astron, Astrometer, Macron, etc genannt wurde. Nur dass man sich halt für den Namen Parsec entschieden hat. Beziehungsweise nicht "man" sonder der britische Astronom Herbert Hall Turner, der den Begriff Anfang des 20. Jahrhunderts vorschlug.
Tja. Auf Curtis wollte keiner hören. Und deswegen haben wir in der Astronomie heute die Einheit Parsec. Ein Parsec entspricht knapp 31 Billionen Kilometer. Oder 3,26 Lichtjahre. Es gibt durchaus ein paar gute Gründe, warum man in der Forschung auf das Parsec setzt; es basiert auf einer direkten Beobachtungsgröße, nämlich dem Winkel der Parallaxe. Aber so richtig anschaulich ist es trotzdem nicht. Weswegen die Lichtjahre natürlich trotzdem noch verwendet werden, vor allem immer dann, wenn nicht innerhalb der Astronomie miteinander gesprochen wird, sondern mit der Öffentlichkeit.

Apr 29, 2022 • 9min
Sternengeschichten Folge 492: Kometenwein
Ein perfekter Jahrgang
Sternengeschichten Folge 492: Kometenwein
"Als der Gehilfe mit dem Bericht über seine merkwürdigen Erlebnisse zu Ende war, entstand eine Pause. Holmes lehnte sich in die Kissen zurück und sah mich mit wohlgefälligem und doch prüfendem Blicke an, wie ein Kenner, der den ersten Becher eines Kometen-Jahrgangs kostet." Das schreibt Dr. Watson, beziehungsweise eigentlich Arthur Conan Doyle in seiner Sherlock-Holmes-Kurzgeschichte "Eine sonderbare Anstellung". Um was es da genau geht soll uns heute nicht interessieren. Am Ende wird der Verbrecher überführt, so wie immer bei Sherlock Holmes. Wir interessieren uns in der heutigen Folge für die seltsame Art, in der Holmes über Wein redet. Was soll ein "Kometen-Jahrgang" sein, im englischen Original ein "comet vintage"? Was haben Kometen mit Wein zu tun?
Dazu müssen wir zurück ins Jahr 1811 gehen, zum 25. März, als der französische Astronom Honoré Flaugergues im südfranzösischen Viviers den Himmel beobachtet hat. Wie man das halt so macht. Dabei ist ihm ein Komet aufgefallen, tief am Horizont. Der Komet war auch am nächsten Tag zu sehen und am übernächsten Tag, bis zum 1. April; danach konnte Flaugergues ihn nicht mehr finden. Aber schon 10 Tage später konnte ihn sein Kollege Jean-Louis Pons erneut finden. Beziehungsweise aus seiner Sicht: Das erste Mal entdecken, denn Pons wusste nichts von den Beobachtungen die Flaugergues zuvor angestellt hatte. Danach war er immer wieder sichtbar, Flaugergues sah ihn bis Ende Mai; Alexander von Humboldt konnte ihn im Juni beobachten, Wilhelm Bessel fand ihn im August, Wilhelm Herschel im September, ebenso im Dezember. Im Januar 1812 konnte er immer noch beobachtet werden, der kubanische Astronom José Joaquin de Ferrer beobachtete ihn im Juli 1812 und die letzte Beobachtung ist von 17. August 1812 aus Russland überliefert. Damit war der Komet fast 17 Monate lang am Himmel sichtbar; so lange wie kein anderer damals bekannter Komet - und erst der Komet Hale-Bopp im Jahr 1997 war länger sichtbar als der Komet von 1811 der heute offiziell C/1811 F1 oder auch einfach nur Flaugergues 1811 heißt.
Die Menschen die ich vorhin aufgezählt habe waren alle Astronomen, aber bei weitem nicht die einzigen, die ihn beobachtet haben. Der Komet Flaugergues war nicht nur lange zu sehen, sondern auch sehr gut. Er wird heute zu den sogenannten "Großen Kometen" gezählt; eine Gruppe die zwar nicht offiziell definiert ist, aber Kometen beschreibt, die so richtig beeindruckend hell und spektakulär am Himmel aussehen. Und das war bei Flaugergues' Komet auf jeden Fall so. Im Oktober 1811 war er enorm hell; so hell wie hellsten Sterne am Himmel und mit einem langen und beeindruckenden Schweif, der auch bei Vollmond gut zu sehen war. Am Nachthimmel sah der Komet so groß wie der Vollmond aus, was er in Wahrheit natürlich nicht war. Er wird, wie die meisten Kometen, um die 10 Kilometer groß gewesen sein. Aber das was wir sehen, wenn wir einen Kometen sehen, ist nicht der Komet selbst, sondern seine "Koma", eine große Staubwolke in der Komet sich hüllt, wenn er sich der Sonne nähert. Dann wird er warm, die ganzen gefrorenen Gase und das Eis tauen auf und wehen hinaus ins All. Dabei reißen sie Staub von der Oberfläche des Kometen mit sich und die so entstehende Staubhülle kann viel besser und viel mehr Licht reflektieren als es der kleine Kometenkern tun könnte.
Und die Koma von Flaugergues muss WIRKLICH groß gewesen sein. Denn er war ja einerseits sehr hell. Andererseits aber gar nicht so nah an der Erde dran. Als er unserem Planeten am nächste war, im Oktober 1811, betrug der Abstand immer noch 183 Millionen Kilometer. Das ist weiter als die Distanz zwischen Sonne und Erde. Seine Umlaufbahn ist überhaupt außergewöhnlich. Sie ist extrem langgestreckt, am sonnenfernsten Punkt seiner Bahn ist Flaugergues gut 425 mal weiter von der Sonne entfernt als am sonnennächsten Punkt. Das ist aber noch normal für solche Kometen, die kommen ja aus den weit entfernten äußeren Regionen des Sonnensystems. Seine Bahn ist aber auch um 107 Grad gegenüber der Erdbahn geneigt, das heißt, sie steht fast senkrecht auf die Ebene, in der sich die Erde und die anderen Planeten bewegen. Für eine Runde um die Sonne braucht der Komet knapp 3000 Jahre. Das heißt er könnte vielleicht auch irgendwann in der Antike am Himmel zu sehen gewesen sein - und wir müssen bis ins Jahr 4800 warten, bis wir ihn wieder sehen.
So - jetzt haben wir viel über diesen Kometen erfahren. Aber wenig über den Wein. Ich bin kein großer Weinexperte, aber der Wein aus dem Jahr 1811 gilt als einer der besten Jahrgänge überhaupt. Der Winter war nicht so kalt, schon im Februar war es warm und trocken, ab Mai war es sommerlich und der Herbst war auch länger und wärmer als üblich. Zumindest dort, wo man Wein angebaut hat und offensichtlich ganz besonders dort, wo die Weinreben des Château Lafite bei Bordeaux stehen. Der dort 1811 hergestellte Wein gilt unter den Kennerinnen und Kennern immer noch als der beste Wein aller Zeiten. Aber auch in anderen Weinregionen war die Ausbeute außergewöhnlich, in Frankreich, in Deutschland und anderswo. Man war enorm froh endlich mal wieder einen tollen Wein zu haben; zu Beginn des Jahrzehnts gab es einige eher schlechte Weinjahre. In der Champagner-Kellerei Veuve Cliquot hat man 1811 auch einen beeindruckenden Champagner produziert; mit einer neuen Technik die die Grundlage für die moderne Champagner-Herstellung gilt. Der beste Wein aller Zeiten, der erste wirklich gute Champagner - und das alles, während ein höchst beeindruckender Komet am Himmel steht. Kann das Zufall sein?
Ja, was soll es denn sonst sein? Natürlich war es Zufall. Aber der Komet war damals enorm präsent; alle konnten ihn sehen; in den Zeitungen wurde drüber geschrieben und natürlich gab es Menschen, die da Verbindungen hergestellt haben. Das wird bei Kometen ja schon seit Jahrtausenden so gemacht. Mal wird der Komet als guten Omen angesehen - Napoleon zum Beispiel war 1812 gerade auf dem Weg um Russland zu erobern und hielt den Kometen für ein Zeichen, dass er mit seinem Eroberungsfeldzug erfolgreich sein wird. Was dann ja nicht so war. Sehr viel öfter werden Kometen als schlechte Vorzeichen betrachtet, in unserem Fall zum Beispiel als Ankündigung des schweren Erdbebens das im Juni 1811 in Südafrika stattgefunden hat. Aber so ist halt die Welt. Es gibt Erdbeben. Schlachten gehen verloren oder werden gewonnen. Der Wein wird gut oder schlecht. Und manchmal fliegt oben über allem ein Komet herum und manchmal nicht. Wir Menschen mögen aber keine Zufälle und suchen immer nach Verbindungen. Was ja auch gut ist, wenn wir das nicht tun würden, dann hätten wir das mit der Wissenschaft auch nie auf die Reihe gekriegt. Aber manchmal gibt es eben keine Verbindung. Und im Fall des Kometenweins ist das eben so. Es gibt keinen irgendwie gearteten Mechanismus durch den ein dutzende Millionen Kilometer entfernter Felsbrocken im All die Qualität von Weintrauben beeinflussen könnte.
Aber natürlich ist so ein Komet ein gutes Mittel um Werbung zu machen. Weswegen damals einige Weine in Flaschen mit Abbildungen von Kometen auf dem Ettiket gefüllt und "Kometenwein" genannt wurde. Und auch danach wurde immer wieder gerne "Kometenwein" produziert, wenn gerade ein passender Himmelskörper zu sehen war. Mit solchen Kometenweinen kann man heute ein Vermögen machen - wenn man irgendwo an so eine Flasche kommen sollte, kann man sie für sehr viel Geld an Sammlerinnen und Sammler verkaufen. Ob man sie auch trinken sollte ist eine andere Frage; manche Weine altern gut, andere eher schlecht. Beim Kometenwein aus dem Jahr 1811 könnte es sich aber lohnen; der berühmte Weinkritiker Robert Parker hat 1996 eine Flasche Château d'Yquem aus dem Jahr 1811 verkostet und ihm 100 von 100 Punkten gegeben (was nicht so oft vorkommt).
So oder so - mit dem Kometen hat der Wein aber nichts zu tun. Und am Ende kommt es beim Weingenuß ja auch auf andere Sachen an, wie schon Johann Wolfgang Goethe gewusst hat: "„Setze mir nicht, du Grobian, den Krug so derb vor die Nase! Wer Wein bringt, sehe mich freundlich an, sonst trübt sich der Elfer im Glase.“

Apr 22, 2022 • 12min
Sternengeschichten Folge 491: Das Steady-State-Universum
Alles ändert sich aber bleibt gleich
Sternengeschichten Folge 491: Das Steady-State-Universum
Vor 13,8 Milliarden Jahren gab es den Urknall. Was in diesem Moment genau abgelaufen ist und vor allem warum: Das wissen wir nicht. Dafür aber ziemlich gut, was alles nach dem Urknall passiert ist, wie ich ja schon in Folge 99 erklärt habe. Das Universum dehnt sich seitdem aus; es expandiert. Wie das alles im Detail abläuft wird durch das sogenannte "Lambda-CDM-Modell" beschrieben, das kosmologische Modell mit wir heute erklären, wie sich unser Universum entwickelt hat und entwickeln wird. Dieses Modell passt sehr gut zu dem, was wir auch tatsächlich beobachten. Aber darum soll es heute nicht gehen, sondern um ein anderes kosmologisches Modell und zwar die "Steady-State-Theorie".
Dazu gehen wir zurück in die 1940er Jahre. Die Kosmologie als exakte Naturwissenschaft gab es damals noch nicht; zumindest nicht in heutiger Form. Damals hatte man noch kaum konkrete Beobachtungsdaten mit denen man arbeiten konnte und auch keine Möglichkeit sie zu kriegen. Über Satelliten, Weltraumteleskope und so hatte man zwar schon nachgedacht, aber die einzigen Raketen die damals in die Luft geflogen sind waren Waffen im zweiten Weltkrieg. Der erste Satellit sollte erst 1957 ins All fliegen und auch dann war es noch ein weiter Weg bis zu brauchbaren kosmologischen Daten. Aber dazu kommen wir noch; bleiben wir vorerst in den 1940er Jahren.
Was man damals hatte waren vor allem zwei Dinge: Die Relativitätstheorie von Albert Einstein und die Beobachtungen von Edwin Hubble und seinen Kollegen. Hubble beobachtete ab den 1920er Jahren andere Galaxien und hat dabei festgestellt, dass sie sich alle von uns entfernen. Und Einstein hat in seiner allgemeinen Relativitätstheorie beschrieben, wie sich das Universum als ganzes verhält und dabei entdeckt, dass es sich ausdehnen muss. Aus beiden Phänomenen kann man eine Schlussfolgerung ziehen: Wenn die Galaxien sich alle von uns entfernen, dann müssen sie früher näher bei uns gewesen sein. Und noch früher noch näher. Und irgendwann müssen alle Galaxien quasi am gleichen Ort gewesen sein. Und wenn die Relativitätstheorie ebenfalls vorhersagt, dass sich das Universum ausdehnt, dann kann daraus eigentlich nur folgen, dass es in der Vergangenheit einen Zeitpunkt gegegen hat, in dem unser gesamter Kosmos in einem einzigen Punkt konzentriert war, von dem aus es dann begonnen hat zu expandieren. Oder anders gesagt: Unser Universum hat einen Anfang in der Zeit. Es hat NICHT immer schon existiert, ohne Anfang, wie man vor Hubble und Einstein gedacht hat.
Als diese Theorie eines expandierenden Universums mit Anfang das erste Mal geäußert wurde, waren viele nicht sonderlich glücklich damit. Den meisten Forscherinnen und Forschern erschien ein statisches Universum ohne Anfang und ohne Ende irgendwie eleganter. Und vor allem: Wenn das Universum einen Anfang hat, quasi einen "Schöpfungsmoment", dann rückt die Wissenschaft irgendwie ja auch wieder in die Nähe der Religion. Aber in dieser Folge soll es auch nicht um Wissenschaft gegen Religion gehen. Die Sache ist viel komplexer und diejenigen, die das Urknallmodell abgelehnt haben, haben das durchaus auch aus wissenschaftlichen Gründen getan und nicht nur wegen religiöser Assoziationen.
Womit wir jetzt bei Fred Hoyle sind. Von diesem britischen Astronom habe ich ja in Folge 22 schon ein bisschen mehr erzählt. Er war einer der bedeutensten Astronomen des 20. Jahrhunderts, wenn nicht sogar DER bedeutendste Astronom. Er hat jede Menge wichtige Dinge herausgefunden, unter anderem wie im Inneren der Sterne durch kernphysikalische Prozesse die chemischen Elemente entstehen. Er hat aber auch jede Menge kontroverse Theorien aufgestellt und einige, die man kaum anders als kompletten Quatsch bezeichnen kann. Wir bleiben aber bei denen die kontrovers sind, aber immerhin noch wissenschaftlich.
1948 sind in der Fachzeitschrift "Monthly Notices of the Royal Astronomical Society" zwei Artikel erschienen. Einer von Fred Hoyle und einer von Hermann Bondi und Thomas Gold. Alle drei waren Kollegen und haben gemeinsam an dem gearbeitet, was sie da vorgestellt haben. Der Titel von Hoyles Aufsatz war "A new model of the expanding univers" und der von Bondi und Gold hieß "The Steady-State Theory of the Expanding Universe". Es ging also um eine neue Theorie mit der man ein expandierendes Universum beschreiben kann und zwar die "Steady State"-Theorie. Das wird oft mal verwechselt: Hoyle, Bondi und Gold ging es nicht darum, das alte statische Modell des Universums wiederzubeleben in dem es keine Expansion gibt. Dafür waren auch in den 1940er Jahren die Beobachtungsdaten schon gut genug. Das Universum expandiert; die Galaxien bewegen sich voneinander fort; daran konnte man vernünftigerweise nicht mehr zweifeln. Die drei Astronomen wollten ein Universum beschreiben, dass expandiert, sich dabei aber - vereinfacht gesagt - trotzdem nicht verändert. Das klingt ein wenig komisch; noch komischer ist es, wenn man berücksichtigt, dass sie die Idee davon aus dem Horrorfilm "Dead of Night" aus dem Jahr 1945 hatten. Darin geht es um einen Architekten, der zu einem gruseligen Haus auf dem Land fährt, dort jede Menge grusliges Zeug erlebt das er zuvor schon in seinem Alpträumen erlebt hat und alles endet damit, dass er aufwacht, weils doch nur ein Traum war und seine Frau ihm vorschlägt, zur Erholung ein Wochenende auf dem Land zu verbringen und am Ende des Films fährt der Architekt dann zu einem Haus auf dem Land, womit man gleichzeitig auch wieder am Anfang angelangt ist.
"Dead of Night" gilt als Horrorfilm-Klassiker, mit Kosmologie hat er aber nix zu tun. Aber die zirkuläre Handlung, ohne Anfang und Ende hat Thomas Gold, und mit ihm Bondi und Hoyle dazu inspiriert über ein Universum nachzudenken, dass zwar expandiert, aber trotzdem keinen Anfang und kein Ende hat.
Das Resultat war die Steady-State-Theorie. In ihr wird das Universum im Laufe der Zeit immer größer und größer. Aber egal zu welchem Zeitpunkt man es betrachtet, es schaut trotzdem immer gleich aus. Galaxien bewegen sich zwar voneinander fort. Aber ZWISCHEN den Galaxien entsteht ständig neue Materie aus der dann neue Sterne und neue Galaxien entstehen. Das heißt die Abstände zwischen Galaxien bleiben mehr oder weniger immer gleich. Das Universum erscheint immer gleich. Es expandiert, aber es hatte keinen Anfang und kein Ende und zu jedem Zeitpunkt erscheint es so wie zu jedem anderen Zeitpunkt.
Der Hauptunterschied zum Urknall-Modell ist die Art und Weise wie die Materie entsteht. Beim Urknall-Modell ist sämtliche Materie des Kosmos direkt zu beginn entstanden und seitdem dehnt sich das Universum aus und die Materie verdünnt sich quasi immer weiter. Wenn man lange genug wartet, dann erscheint es unterschiedlich; in fernster Zukunft würden wir hier von der Erde (die es dann schon längst nicht mehr gibt) keine anderen Galaxien mehr am Himmel sehen, weil sie sich alle so weit von uns entfernt haben. Im Steady-State-Modell entsteht Materie ständig und überall im Universum. Und auch in ferner Zukunft würden wir einen Himmel voll Galaxien beobachten, weil neue entstanden sind und den Platz derjenigen eingenommen haben die sich entfernt haben.
Aus damaliger Sicht war das jetzt keine völlig blöde Idee. Wenn man behaupten kann, dass Materie beim Urknall aus dem Nichts entstehen kann, dann kann man auch behaupten, dass sie nach dem Urknall aus dem Nichts entstehen kann. Gut, es wäre vielleicht eleganter, wenn man nur EIN Ereignis braucht, bei dem die ganze Materie entsteht und nicht viele "Mini-Urknälle" die ständig überall stattfinden. Aber das ist Ansichtssache. Aus damaliger Sicht war das Steady-State-Modell eine durchaus seriöse Alternative zum Urknallmodell. Das hat sich dann aber sehr bald geändert.
In den 1950er und 1960er Jahren hat die Radioastronomie so richtig Fahrt aufgenommen und man hat die "Quasare" entdeckt. Das sind die aktiven Zentren weit entfernter Galaxien und eben WEIT ENTFERNTER Galaxien. Wir wissen heute, warum das so ist; das hat mit der Entwicklungsgeschichte von Galaxien zu tun und aus deren Zentralregion kommt nur dann enorm viel Radiostrahlung, wenn sie noch sehr jung sind. Alte Galaxien wie unsere Milchstraße tun das nicht mehr. Und in der Astronomie schaut man ja immer in die Vergangenheit, wenn man in die Ferne schaut. Das Licht der fernen Galaxien braucht Milliarden Jahre bis zu uns und wir sehen sie so, wie sie waren, als sie noch jung waren. Es ist also nicht überraschend, dass wir Quasare nur weit entfernt sehen aber nicht in unserer Nähe. Es ist aber SEHR überraschend, wenn man von einem Steady-State-Universum ausgeht. Denn das sagt ja, dass das Universum früher genau so ausgesehen haben muss wie heute. Und dass man Quasare auch in unserer Nähe sehen sollte. Dann kam das Jahr 1964 und der Nachweis der kosmischen Hintergrundstrahlung. Die kann man eigentlich nur mit dem Urknallmodell erklären. Als das Universum jung und klein war, war es auch sehr heiß und dicht; so dicht, dass das Licht sich nicht ausbreiten konnte. Erst als das Universum sich ausreichend weit ausgedehnt hat und kühl geworden ist war, vereinfacht gesagt, Platz für das Licht um sich in alle Richtungen ausbreiten zu können. Dass man auch heute noch diese Strahlung beobachten können sollte war eine Vorhersage der Urknalltheorie die 1964 bestätigt worden ist. Und von dem Zeitpunkt an war sich die Wissenschaft im Wesentlich einig, dass man die Steady-State-Theorie verwerfen kann.
Sie ist nicht geeignet, die Beobachtungsdaten zu beschreiben und mittlerweile sind jede Menge andere Daten dazu gekommen die alle das Urknallmodell bestätigen aber nicht zum Steady-State-Modell passen. Hoyle und seine Kollegen haben zwar immer wieder probiert ihr Modell anzupassen, aber jedesmal wenn es neue kosmologischen Daten gab, hat es wieder nicht gepasst. Trotzdem hat Hoyle bis zu seinem Tod nicht aufgehört daran zu arbeiten und war davon überzeugt, dass er recht hat. Tja. Aber immerhin kann er sich damit trösten, dass er verantwortlich für das Wort "Urknall" ist. In einer BBC-Radiosendung hat er von seiner Theorie erzählt und um die Konkurrenztheorie des Universums mit Anfang lächerlich zu machen, hat er sie als "Big Bang" bezeichnet. Und deswegen gibt es die "Big Bang Theory", das Urknallmodell der Kosmologie.


