

Sternengeschichten
Florian Freistetter
Das Universum ist voll mit Sternen, Galaxien, Planeten und jeder Menge anderer cooler Dinge. Jedes davon hat seine Geschichten und die Sternengeschichten erzählen sie. Jeden Freitag gibt es eine neue Folge - das Universum bietet genug Material für immer neue Geschichten.
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Aug 8, 2025 • 16min
Sternengeschichten Folge 663: Die Zerstörung von Chrysalis und die Ringe des Saturn
Katastrophe trifft Schönheit
Sternengeschichten Folge 663: Die Zerstörung von Chrysalis und die Ringe des Saturn
Das, was den Saturn so besonders macht, sind seine beeindruckenden Ringe. Alle großen Planeten im äußeren Sonnensystem haben Ringe, aber kein Planet hat ein so gewaltiges Ringsystem wie Saturn. Wir wissen woraus sie bestehen, wir kennen die Struktur der Ringe im Detail, wir haben Raumsonden direkt durch die Ringe geflogen - aber wir wissen immer noch nicht genau, wie sie entstanden sind. Eine der besten Ideen, die wir dazu haben, hat mit Neptun zu tun und mit zwei Monden des Saturn, von denen einer nicht mehr existiert.
Die ganze Angelegenheit ist naturgemäß komplex, also fangen wir mal mit den Dingen an, die wir mit Sicherheit wissen. Saturn ist von jeder Menge mehr oder weniger breiten Ringen umgeben. Manche davon sind extrem schmal und nur wenig Meter breit, manche über 10.000 Kilometer. Wir wissen, dass sie gleichzeitig extrem dünn sind; ihre Dicke beträgt zwischen 10 und 100 Metern. Und sie bestehen aus unzählichen Brocken, von denen die größten ein paar Meter groß und die kleinsten nicht größer als Staubteilchen sind. Das Material ist vor allem Eis, aber es sind auch Gesteinsbrocken darunter. Der Saturn selbst ist so alt wie der Rest des Sonnensystems, also circa 4,5 Milliarden Jahre. Die beeindruckenden Ringe sind dagegen ein vergleichsweise junges Phänomen und nur gut 100 Millionen Jahre alt. Irgendwas muss also in der jüngeren Vergangenheit des Sonnensystems passiert sein, dass Saturn zu seinen Ringen verholfen hat.
Und bevor wir uns ansehen, was das gewesen sein könnte, ein kurzer Einschub: Nicht alle Ringe des Saturns sind auf die selbe Weise entstanden. Wir wissen, dass es auf manchen Monden Eisvulkanismus gibt, wie ich in Folge 300 erzählt habe. Dabei werden Eisteilchen ins All geschleudert, die Ringe bilden könnte. Das ist nicht das Phänomen, um das es im Folgenden geht - wenn ich ab jetzt von den "Ringen des Saturn" reden, dann meine ich die großen, hellen Ringe, die man schon im 17. Jahrhundert entdeckt und die, die man im Allgemeinen vor Augen hat, wenn man sich die Saturnringe vorstellt.
Wo also kommen die her? Die wissenschaftlich korrekte Antwort lautet: Das wissen wir nicht. Die heute weitestgehend akzeptierte Vermutung lautet: Die Ringe sind das Material, das entstanden ist, als einer seiner Monde auseinandergebrochen ist. Das klingt prinzipiell plausibel, denn die Monde des Saturn sind eisige Himmelskörper mit einem Kern aus Gestein und würden genau die Mischung an Material in der genau der Gegend produzieren, in der wir die Ringe heute beobachten. Nur: Monde brechen nicht einfach so auseinander. Wie macht man einen Saturnmond kaputt? Schon im 19. Jahrhundert hat man vermutet, dass ein Mond dem Saturn vielleicht zu nahe gekommen ist, so dass er durch die dort sehr stark wirkende Gezeitenkraft des großen Planeten auseinandergerissen worden ist. Auch das klingt plausibel, aber hier gilt wieder: Warum sollte ein Mond sich vor 100 Millionen Jahren plötzlich auf den Weg gemacht und dem Saturn immer näher gekommen sein? Auch das machen Monde nicht einfach so, die bleiben so lange auf ihren Umlaufbahnen, bis sie durch eine äußere Ursache dazu gebracht werden, die Bahn zu ändern. Womit wir wieder bei der Frage sind: Was ist damals passiert und hat einen Mond zerstört?
Fangen wir am Anfang an, also mit der Entstehung des Saturn. Zusammen mit der Sonne, der Erde und den anderen Planeten ist der Saturn vor 4,5 Milliarden Jahren entstanden. Damals sind auch die großen Monde des Saturn entstanden, unter anderem sein größer Mond, der Titan, von dem ich in Folge 157 ausführlich erzählt habe. Es ist auch Iapetus entstanden, ein kleinere Saturnmond, der in der letzten Folge der Sternengeschichten einen kurzen Auftritt gehabt hat. Es sind die anderen Monde entstanden, die wir heute kennen und es ist Chrysalis entstanden. So haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen Himmelskörper genannt, der damals vielleicht existiert hat und dessen Schicksal zentral für diese Geschichte ist.
Chrysalis ist ungefähr so groß wie Iapetus, mit einem Durchmesser von circa 1500 Kilometern. Das sind zwei ordentlich große Monde, auch wenn sie nicht so groß sind wie der gigantische Titan, mit einem Durchmesser von 5150 Kilometern. Titan ist ungefähr 1,2 Millionen Kilometer vom Saturn entfernt, Iapetus ist mit einem Abstand von 3,5 Millionen Kilometer weiter weg. Chrysalis umkreist den Saturn irgendwo zwischen den beiden. Und auch wenn Saturn damals schon der Planet ist, den wir auch heute noch sehen können, gibt es auch hier Unterschiede. Die Achse, um die er sich alle knapp 11 Stunden einmal dreht, steht damals fast senkrecht auf die Ebene, in der er sich um die Sonne bewegt. Oder anders gesagt: Die Neigung seiner Achse ist fast gleich Null. Das muss nicht so sein; bei der Erde zum Beispiel haben wir heute eine Achsenneigung von 23,5 Grad, was auch der Grund ist, warum wir hier so ausgeprägte Jahreszeiten erleben können. Jupiter hat dagegen eine Achsenneigung von nur 3 Grad. Und keine Sorge, es wird bald klar werden, warum die Neigung der Achse wichtig ist.
Wir haben also einen Saturn mit einer sehr geringen Achsenneigung und einem Mond, der heute verschwunden ist. Wir haben außerdem noch ein paar weitere Planeten im Sonnensystem und auch wenn sie alle vergleichsweise weit voneinander entfernt sind, üben sie natürlich trotzdem eine Gravitationskraft aufeinander aus. Die Effekte sind gering, aber über lange Zeit hinweg können sie dennoch Auswirkungen haben. Die diversen gravitativen Störungen sorgen unter anderem dafür, dass die Rotationsachse von Saturn anfängt zu präzessieren. Das bedeutet: Die Richtung am Himmel, in die sie zeigt, bleibt nicht fix sondern ändert sich im Laufe der Zeit. Auch davon habe ich schon oft gesprochen, zum Beispiel in den Folgen 211 und 645, in denen es um die Präzession der Erdachse ging. Heute zeigt sie in Richtung des Polarsterns, aber das ändert sich im Laufe der Zeit und die Erdachse braucht knapp 26.000 Jahre um eine komplette Drehung zu vollenden. Die Geschwindigkeit mit der sich die Richtung der Achse ändert, nennt man Präzessionsrate und die wird im Fall des Saturns gleich noch wichtig.
Schauen wir aber zuerst zum Titan. So wie zwischen Mond und Erde gibt es auch zwischen Titan und Saturn eine Gezeitenkraft. Bei der Erde sorgt dieser Effekt für Ebbe und Flut; die Gezeiten sorgen aber auch dafür, dass sich der Mond langsam von der Erde entfernt. Beim Titan ist es genau so: Er wandert im Laufe der Zeit langsam nach außen. Und das ist absolut wichtig für den Rest der Geschichte! Titan hat fast so viel Masse wie alle anderen Saturnmonde zusammengenommen. Er hat deswegen auch einem starken Einfluss auf die Präzession der Rotationsachse des Saturn und der Einfluss wird sogar noch größer, wenn er sich entfernt. Das klingt seltsam, aber man kann sich die Monde wie Griffe vorstellen, an denen die Gravitationskraft der Sonne und der anderen Planeten ansetzen kann, um die Rotationsachse des Saturns zu drehen. Titan ist der größte Griff und je weiter er weg ist, desto stärker ist auch der Hebel, den die Gravitationskraft hat. Wie gesagt, das ist ein vereinfachtes Bild, aber es ist auch nicht völlig falsch. Wenn der Titan sich also vom Saturn entfernt, dann ändert sich die Geschwindigkeit, mit der Saturns Rotationsachse ihre Richtung ändert.
Und jetzt kommt Neptun ins Spiel. Man kann sich fragen, was der bei diesem Thema überhaupt zu suchen hat. Neptun ist der äußerste Planet des Sonnensystems und weit vom Saturn entfernt (zwischen den beiden zieht auch noch Uranus seine Runden). Was hat der mit der Angelegenheit zu tun? Nun, ich hab ja zu Beginn gesagt, dass das alles sehr komplex ist und das war nicht gelogen. Das ist nämlich der Punkt, an dem die Spin-Orbit-Präzessionsresonanz ins Spiel kommt. Unser Sonnensystem ist ein höchst dynamischer Ort. Alles ist in Bewegung, und damit ist nicht einfach nur die Tatsache gemeint, dass sich die Planeten um die Sonne bewegen. Das tun sie zwar, aber alles andere bewegt sich auch! Die Bahnen, auf denen sie um die Sonne laufen, verändern sich selbst ständig, sie werden größer und kleiner, sie drehen sich im Raum, und so weiter. Die Rotationsachsen der Planeten schwanken und drehen sich und all das hat Auswirkungen. Alle Himmelskörper beeinflussen sich gegenseitig mit ihrer Gravitationskraft und es gibt Situationen, wo dieser Einfluss besonders groß werden kann. So einen Zustand nennt man "Resonanz" und er tritt immer dann auf, wenn sich irgendwelche Zustände regelmäßig wiederholen. Gravitative Störungen können sich dann aufschaukeln, genau so wie man buchstäblich eine Schaukel immer höher schubsen kann, wenn man nur regelmäßig und im richtigen Moment anschubst. Resonanzen im Sonnensystem gibt es immer dann, wenn zwei Bewegungen auf bestimmte Weise zusammenpassen. Wenn ein Planet zum Beispiel genau doppelt so lange für eine Runde um die Sonne brauchen würde, als die Erde, dann würde dieser Planet jedes zweite Jahr wieder genau in der gleichen Position in Bezug auf die Erde stehen wie zuvor. Er könnte der Erde also auch regelmäßig alle zwei Jahre einen Gravitationsschubs geben und das könnte sich im Laufe der Zeit so summieren, dass die Bahn der Erde instabil wird. So einen Planeten gibt es zum Glück nicht, aber Resonanzphänomene dieser Art sind häufig.
Das, um das es in dieser Geschichte geht, ist eine Spin-Orbit-Präzessionsresonanz zwischen Saturn und Neptun. Und es bedeutet: Die Geschwindigkeit mit der sich die Richtung von Saturns Rotationsachse ändert, ist auf die Geschwindigkeit abgestimmt, mit der sich die Umlaufbahn des Neptuns um die Sonne dreht. Es dauert in beiden Fällen ungefähr 1,9 Millionen Jahre, bis eine Runde durch ist und es ist schwer vorstellbar, dass das irgendwelche Auswirkungen haben sollte, aber wie gesagt: Das Sonnensystem ist ein dynamischer Ort. Die Himmelskörper existieren nicht isoliert voneinander sondern hängen durch unsichtbare Gravitationsfäden zusammen. Wenn man an einem Ort ein wenig daran zupft, dann wackelt es irgendwo anders. Bewegungsenergie und Drehimpuls werden durch ein Netzwerk an Resonanzen zwischen den Himmelskörpern ausgetauscht und bei der Spin-Orbit-Präzessionsresonanz zwischen Saturn und Neptun hat das dazu geführt, dass sich die Neigung der Rotationsachse im Laufe der Zeit erhöht hat.
Also halten wir mal fest was bis jetzt passiert: Die Gezeitenkraft zwischen Titan und Saturn lässt den Titan nach außen wandern. Dadurch erhöht sich langsam auch die Präzessionsgeschwindigkeit von Saturns Rotationsachse. Irgendwann, vor ungefähr 300 Millionen Jahren ist der Punkt erreicht, wo diese Geschwindigkeit genau mit der Präzessionsgeschwindigkeit von Neptuns Umlaufbahn übereinstimmt. Ab da wirkt die Resonanz, was bedeutet, dass die Präzession jetzt einerseits stabil wird, sich die Geschwindigkeit also nicht mehr ändert. Andererseits muss sich dafür irgendwas anderes ändern und das ist die Neigung von Saturns Rotationsachse, die immer stärker wird. In der Zwischenzeit bewegt sich der Titan aber immer weiter nach außen bis auf einmal ER auch in einer Resonanz landet. Auf seiner Wanderung weg vom Saturn hat er irgendwann vor ungefähr 200 Millionen Jahren einen Punkt erreicht, wo er für drei Runden um den Planeten genau so lange braucht wie Chrysalis für eine Runde. Diese Resonanz ist zerstörerisch; sie macht die Umlaufbahn von Chrysalis instabil.
Der Mond kann jetzt entweder aus dem Saturnsystem geschleudert werden, oder - und das ist für diese Geschichte der interessantere Fall - in Richtung des Saturn selbst. Wenn er dabei nicht einfach direkt auf den Riesenplaneten prallt, sondern quasi streifend mit ihm kollidiert, dann kann er dabei so zerissen werden, dass ein Großteil des Materials aus dem Chrysalis besteht, in Form von Ringen übrig bleibt. Das war vor ungefähr 100 Millionen Jahren und seitdem hat Saturn seine Ringe. Weil jetzt außerdem ein vergleichsweise großer Mond nicht mehr da ist, fällt auch dessen Einfluss auf die Präzessionsgeschwindigkeit der Saturnachse weg. Sie passt nicht mehr zu Neptuns Präzession und die Spin-Orbit-Resonanz endet. Die Saturnachse hört auf sich weiter zu neigen, geht aber natürlich auch nicht mehr in die Position zurück, in der sie ursprünglich war. Sie bleibt circa 27 Grad geneigt und auch Titan hat die Sache nicht ganz unbeschadet überstanden: Seine ursprüngliche fast kreisförmige Umlaufbahn ist durch den ganzen dynamischen Aufruhr ein wenig langgestreckter geworden.
Ob das alles wirklich so war, wissen wir nicht. Aber wir wissen, dass die Neigung von Saturns Achse mit 27 Grad unerwartet groß für einen Planeten dieser Art ist. Wir wissen, dass die Ringe jung sind und Titan eine Umlaufbahn hat, die auffällig wenig kreisförmig ist. Und die Präzession von Saturns Achse liegt ebenso auffällig nahe an der Präzessionsgeschwindigkeit von Neptuns Bahn. All das passt zusammen und all das lässt sich zumindest in Computersimulationen nachvollziehen.
Und wenn die Geschichte wirklich so gelaufen ist, dann zeigt sie ein weiteres Mal, was für ein wunderbarer und komplexer Ort das Sonnensystem ist. Die Gezeiten zwischen Titan und Saturn verändern die Umlaufbahn des großen Mondes, dadurch ändert sich die Geschwindigkeit der Achsendrehung des Saturns, bis irgendwann der ferne Neptun ins das Spiel eingreift und die Rotationsachse des Saturn verschiebt, während Titan durch seinen Einfluss einen anderen Mond seinem zerstörerischen Schicksal entgegenschickt und von all dem bleiben am Ende die fantastischen Ringe des Saturns.

10 snips
Aug 1, 2025 • 9min
Sternengeschichten Folge 662: Ravioli im Weltall: Der Saturnmond Pan
Im Universum gibt es immer wieder Überraschungen, wie der Saturnmond Pan, der aussieht wie ein riesiges Ravioli oder eine Wurstsemmel. Dieser ungewöhnliche Himmelskörper hat nicht nur eine kurvenreiche Form, sondern beeinflusst auch die Ringe des Saturn. Die gravitativen Mechanismen, die das ganze System steuern, werden hier anschaulich erklärt. Entdeckt wurde Pan von Mark Showalter, der durch alte Aufnahmen der Voyager 2 auf ihn aufmerksam wurde. Ein faszinierender Blick in die kulinarische Astrophysik!

Jul 25, 2025 • 11min
Sternengeschichten Folge 661: Das International Celestial Reference Frame
Das Internationale Celestial Reference Frame (ICRF) ist entscheidend für die präzise Positionsbestimmung von Himmelsobjekten. Es dient als Koordinatensystem, das stabile Bezugspunkte nutzt und moderne Radioteleskope einsetzt. Damit können Astronomen die Positionen im Universum mit hoher Genauigkeit bestimmen. Diese Technik ist unerlässlich, um Satelliten und Raumfahrzeuge korrekt zu steuern und um sicherzustellen, dass wir den Überblick über die Bewegung der Sterne behalten.

Jul 18, 2025 • 12min
Sternengeschichten Folge 660: "Mercury Retrograde" und echte Rückläufigkeit im Sonnensystem
Die Folge erkundet die faszinierenden prograde und retrograde Bewegungen der Himmelskörper im Sonnensystem. Es wird erklärt, wie gravitative Störungen und der Drehimpuls diese Bewegungen beeinflussen. Zudem wird der Unterschied zwischen der wissenschaftlichen Astronomie und den Mythen der Astrologie klar herausgearbeitet. Besonders das Phänomen 'Mercury Retrograde' wird unter die Lupe genommen und als Illusion entlarvt, die in der Wissenschaft keinen Platz hat.

Jul 11, 2025 • 13min
Sternengeschichten Folge 659: Ruby Payne-Scott und die Anfänge der Radioastronomie
Die erste Radioastronomin der Welt
Sternengeschichten Folge 659: Ruby Payne-Scott und die Anfänge der Radioastronomie
Dass es in der Astronomie mehr zu sehen gibt, als unsere Augen sehen können, habe ich ja schon oft erzählt. Die Himmelskörper leuchten in allen möglichen Farben und das, was wir im Alltag als "Licht" bezeichnen, ist nur ein winziger Ausschnitt davon. Darüber hinaus gibt es aber auch das Infrarot-Licht, das Ultraviolett-Licht; es gibt Mikrowellenlicht und Röntgenlicht und es gibt Radiolicht. Ich sagen deswegen zu allem "Licht", weil es physikalisch gesehen keinen relevanten Unterschied gibt zwischen dem, was unsere Augen sehen und dem, was wir zum Beispiel im Röntgengerät, der Mikrowelle oder dem Radioempfänger für Strahlung verwenden. Alles davon ist elektromagnetische Strahlung und der einzige Unterschied ist die Wellenlänge. Die Astronomie hat im Lauf der Zeit gelernt, all das zu beobachten und nur mit diesem kompletten Blick auf das Universum sind wir in der Lage, es wirklich zu verstehen.
Die Radioastronomie nimmt eine Sonderstellung ein. Neben der "normalen" Astronomie im für unsere Augen sichtbaren Licht, ist sie die einzige Beobachtungsmethode, die wir im großen Maßstab auch auf der Erde selbst durchführen können. Der ganze Rest der elektromagnetischen Strahlung aus dem Weltall wird von der Erdatmosphäre blockiert. Ich habe in Folge 223 der Sternengeschichten schon mal einen Überblick über die Geschichte der Radioastronomie gegeben, mich dabei aber vor allem auf die ganz frühe Geschichte konzentriert. Heute möchte ich eine Geschichte erzählen, die ich damals nicht erzählt habe, die es aber definitiv wert ist, erzählt zu werden. Es ist die Geschichte von Ruby Payne Scott, die nicht nur die erste Radioastronomin war, sondern auch maßgeblich dazu beigetragen hat, dass die Radioastronomie die wichtige Disziplin geworden ist, ohne die die moderne Astronomie nicht denkbar wäre.
Ruby Payne-Scott wurde am 28. Mai 1912 in Grafton geboren, einer Stadt in New South Wales, die sich allerdings nicht im Süden von Wales befindet, sondern im australischen Bundesstaat New South Wales. Sie übersiedelte dann aber bald nach Sydney, wo sie die Schule besucht hat. Ihre Eltern hatten extra darauf geachtet, dass es Schulen sind, die Ruby auf ein Universitätsstudium vorbereiten und an der Universität von Sydney hat sie dann auch studiert; Physik, Chemie, Mathematik und Botanik. Mit ihrem Abschluss 1933 war sie erst die dritte Frau, die dort einen Abschluss in Physik geschafft hatte; Payne-Scott hat aber noch weiter studiert, einen Master in Physik und eine Ausbildung zur Lehrerin gemacht.
Ihre physikalische Ausbildung hat sie ab 1936 in einem aus heutiger Sicht eher seltsamen Forschungsgebiet eingesetzt. Sie hat untersucht, ob das Magnetfeld der Erde einen negativen Einfluss auf die Gesundheit hat; etwas, was viele Menschen damals immer noch geglaubt haben (und sich deswegen zum Beispiel beim Schlafen in Nord-Süd-Richtung hingelegt haben). Payne-Scotts Experimente haben gezeigt, dass das Quatsch ist und nach dieser Forschung hat sie dann ihren zweiten Abschluss genutzt und kurze Zeit als Lehrerin gearbeitet. Danach hat sie einen Job bei einem Hersteller von Funkgeräten angenommen; eigentlich als Bibliothekarin - aber mit ihren Fähigkeiten ist sie schnell in der dortigen Forschungsabteilung gelandet. So richtig viel Spaß hat ihr das aber trotzdem nicht gemacht und 1941 hat sie einen neuen Job am Radiophysikalischen Labor der Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation begonnen, quasi die offizielle Forschungsbehörde der australischen Regierung. Australien ist ja schon 1939 offiziell auf Seiten der Allierten dem zweiten Weltkrieg eingetreten und Radioforschung war extrem wichtig. Nicht unbedingt was die Kommunikation angeht, sondern vor allem die Radar-Technologie, um feindliche Flugzeuge frühzeitig erkennen zu können. Diese Technik wurde ja überhaupt erst während des zweiten Weltkriegs entwickelt und Ruby Payne-Scott war an genau so einem Top-Secret-Forschungsprojekt beteiligt.
Dass sie, als Frau, überhaupt so eine wichtige Rolle in der physikalischen Forschung spielen konnte, lag natürlich auch am zweiten Weltkrieg. Die Männer mussten kämpfen, die Forschung musste aber trotzdem gemacht werden - also gab es auf einmal auch für Frauen Möglichkeiten, die ihnen davor verwehrt waren. Ruby Payne-Scott jedenfalls hat schnell demonstriert, dass man durchaus auch früher damit anfangen hätte können, Frauen eine größere Rolle in der Forschung spielen zu lassen. Sie ist DIE australische Expertin für Plan-Position-Indicators geworden. Das Wort kennt man außerhalb der einschlägigen Forschung eher nicht. Aber alle haben mit Sicherheit schon einmal einen klassischen Radarschirm gesehen. Also dieses Ding, wo ein Strahl sich im Kreis dreht und wenn irgendwo ein Flugzeug, ein Schiff oder sonst irgendwas ist, macht es kurz "Pieps" und etwas leuchtet auf. Genau für dieses Ding ist Payne-Scott die Expertin gewesen und natürlich hat sie sich darüber hinaus auch mit anderen Aspekten der Radar- und Radioforschung beschäftigt.
Irgendwann war der Krieg aber zum Glück vorbei und am Radiophysikalischen Labor hat man begonnen, sich von der militärischen Radarforschung weg und zur damals noch jungen Radioastronomie hin zu orientieren. Genaugenommen hat man natürlich auch schon vorher ein wenig in diese Richtung experimentiert. Gemeinsam mit ihrem Chef, Joe Pawsey, hat Payne-Scott im März 1944 ein paar allererste Versuche in dieser Richtung unternommen. Die Resultate sind in einem internen Bericht veröffentlicht worden, mit dem eher unscheinbaren Titel "Messungen des Rauschpegels, der von einer S-Band-Antenne erfasst wird." Darin beschreiben die beiden, wie sie unter anderem die Temperatur des klaren Himmels gemessen haben und wie sie ihre Radioantenne dafür eingestellt haben. Das ist natürlich jetzt keine revolutionäre Forschung. Aber es war insofern revolutionär, als es das erste Mal war, dass eine Frau offiziell Radioastronomie betrieben haben. Ruby Payne-Scott ist also die erste Radioastronomin der Welt, aber noch lange nicht fertig mit der Arbeit.
Ihre komplette wissenschaftliche Leistung darzustellen, würde den Rahmen dieser Folge sprengen. Aber im Oktober 1945 führte sie zum Beispiel, gemeinsam mit ihren Kollegen Pawsey und Lindsay McCready, Radiobeobachtungen der Sonne durch. Die entsprechenden Ergebnisse veröffentlichen sie in der Fachzeitschrift Nature und berichten darin auch über einen Zusammenhang von Fluktuationen der empfangenen Radiostrahlung und dem Auftreten von Sonnenflecken. Sie konnten allerdings noch nicht klar zeigen, dass diese Fluktuationen auch wirklich von den Sonnenflecken verursacht werden, das kam erst später. Dazu brauchte es bessere Daten und eine andere Methode der Beobachtung. Während des Kriegs hatten Payne-Scott und ihre Kollegen eine Technik entwickelt, die sie jetzt für die Beobachtung der Sonne im Radiolicht einsetzen wollten. Dabei stellt man die Radioantenne auf eine Klippe, möglichst hoch über dem Meer. Radiostrahlung kann den Detektor jetzt einerseits direkt von der Sonne erreichen. Andererseits wird ein Teil der Strahlung auch von der Meeresoberfläche in Richtung Detektor reflektiert. Oder anders gesagt: Das Signal von der Sonne kommt zweimal bei der Antenne an, nur einmal ein klein wenig später, weil es durch die Reflektion ein kleines bisschen mehr Strecke zurück gelegt hat.
Wer ein wenig Ahnung von moderner Radioastronomie hat, wird schon vermuten, worauf das hinausläuft. Payne-Scott und ihre Kollegen haben mit Beobachtungen genau dieser Art Anfang 1946 das erste Mal die Technik der Radio-Interferometrie angewandt. Wie das heute funktioniert, habe ich in Folge 358 schon ausführlich erklärt. Im Wesentlichen läuft es darauf hinaus, dass man mehrere Teleskope das selbe Ziel beobachten lässt. Die Strahlung erreicht die Teleskope zu unterschiedlichen Zeitpunkten, weil sie jeweils eine minimal unterschiedlich lange Strecke zurück legen muss. Wenn man die Signale dann aber auf die richtige Weise kombiniert, kann man daraus mehr Informationen erhalten, als aus den jeweiligen Einzelsignalen und, wenn man es richtig anstellt, ein Teleskop simulieren, dass sehr viel größer ist, als das, was man in der Realität verwendet.
Heute nennen wir das in der Radioastronomie die Very Long Baseline Interferometry und es ist eine Standardtechnik, ohne die wir zum Beispiel im Jahr 2019 nicht das berühmte erste Bild eines schwarzen Lochs machen hätten können. Payne-Scott und ihre Kollegen haben im Jahr 1946 mit ihrem "See-Cliff-Interferometer" den Anfang gemacht und die mathematischen Methoden, die Payne-Scott zur Datenauswertung entwickelt hat, sind der Grundstein der späteren modernen Radioastronomie geworden.
Zwischen 1946 und 1951 konzentrierten Payne-Scott und ihre Kollegen sich auf die Ausbrüche an Radiostrahlung, die von der Sonne kommen. Sie konnten einige unterschiedliche Typen klassifizieren, je nach Dauer und Frequenz. Typ-I Bursts dauern Stunden bis Tage und kommen aus den Sonnenflecken, das war das, was schon in der ersten Arbeit aus dem Jahr 1945 vermutet wurde. Typ II Bursts dauern nur Minuten und werden in den Stoßwellen bei den koronalen Massenausbrüchen auf der Sonne verursacht. Und die Typ-III-Bursts sind nur noch ein paar Sekunden lang. Sie werden ebenfalls bei Sonneneruptionen erzeugt, von Elektronen die dadurch entlang der solaren Magnetfeldlinien beschleunigt werden. Payne-Scott selbst war die Entdeckerin dieses letzten Typs, aber auch bei der Entdeckung der anderen Arten von Strahlungsausbrüchen beteiligt.
Im Jahr 1951 endet die wissenschaftliche Karriere von Ruby Payne-Scott abrupt. Nicht, weil sie gestorben ist. Sondern weil sie im Jahr 1944 geheiratet hatte. Das war zwar nicht verboten, aber eine verheiratete Frau durfte damals in Australien keine Vollzeitstelle haben. Deswegen hielt Payne-Scott ihre Heirat auch geheim und änderte auch ihren Namen nicht. Im Jahr 1950 hat die Forschungsbehörde das aber entdeckt und sie wurde zur Teilzeitarbeit gezwungen. Bis zum Jahr 1951, da wurde Payne-Scott schwanger und durfte gar nicht mehr arbeiten.
Ruby Payne-Scott musste die Wissenschaft also verlassen und ist auch nicht mehr in die Forschung zurückgekehrt. Sie hat bis 1974 noch als Lehrerin an einer Schule gearbeitet und ist am 25. Mai 1981 kurz vor ihrem 69. Geburtstag gestorben. Trotzdem sie nur eine vergleichsweise kurze wissenschaftliche Karriere hatte, war es doch eine enorm wichtige Karriere. Ruby Payne-Scott war die erste Radioastronomin und hat maßgeblich dazu beigetragen, dass diese Disziplin zu der erfolgreichen Wissenschaft geworden ist, die wir heute überall in der Astronomie einsetzen. Wie so oft in diesen Fällen hat es gedauert, bis man die Rolle von Ruby Payne-Scott auch entsprechend öffentlich anerkannt hat. Außerhalb der australischen-astronomischen Community hat kaum jemand von ihr gewusst; ihr Beitrag ist in Lehrbüchern und wissenschaftlichen Arbeiten regelmäßig ignoriert worden. Erst ab den 1990er und den frühen 2000er Jahren hat man ihr Leben und ihre Arbeit wieder "entdeckt" und mittlerweile gibt es immerhin ein paar Biografien über sie und die australische Akademie der Wissenschaften verleiht seit 2021 die "Ruby Payne-Scott Medaille" für hervorragende australische Wissenschaftlerinnen. Was definitiv eine gute Idee ist, noch besser wäre es aber vermutlich gewesen, hätte man einer so hervorragenden australischen Wissenschaftlerin wie Ruby Payne-Scott das Forschen nicht verboten.

Jul 4, 2025 • 12min
Sternengeschichten Folge 658: Die Kirche, die Wissenschaft und außerirdisches Leben
Würde Jesus an Aliens glauben?
Sternengeschichten Folge 658: Die Kirche, die Wissenschaft und außerirdisches Leben
Ob es neben der Erde auch noch andere Himmelskörper gibt und ob auf diesen anderen Himmelskörpern irgendwelche intelligenten Wesen leben, ist eine Frage, die uns Menschen immer schon beschäftigt hat. Schon vor mehr als 2500 Jahren haben die Gelehrten der Antike darüber diskutiert und wir haben bis heute noch nicht aufgehört damit. Einer Antwort näher gekommen sind wir aber erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts, als Wissenschaft und Technik ausreichend weit entwickelt waren. Und davor; vor der Aufklärung und der Wissenschaft der Neuzeit, hat ja sowieso die Kirche alle Gedanken dieser Art unterdrückt, weswegen es keine Fortschritte gegeben hat - oder nicht? Das ist es zumindest, was sehr oft hören kann, wenn es um Wissenschaft und Religion geht. Und natürlich wäre es falsch zu sagen, dass sich die Kirche und die Wissenschaft nie gestritten hätten. Ganz im Gegenteil; die Geschichte ist voll mit entsprechenden Konflikten. Aber es wäre genau so falsch zu behaupten, dass die Kirche der Wissenschaft immer und ausschließlich feindlich gegenüber gestanden wäre. Ich habe in den Sternengeschichten ja immer wieder von Geistlichen erzählt, die relevante wissenschaftliche Forschung betrieben haben. Und auch was die Sache mit dem außerirdischen Leben angeht, ist die Sache nicht so eindeutig, wie man denken könnte.
Deswegen machen wir in der heutigen Folge der Sternengeschichten einen kleinen Ritt durch die Geschichte und schauen uns an, was die Menschen früher wirklich zu diesem Thema gedacht haben. Und wir fangen mit Hippolyt an, der im 3. Jahrhundert Bischof von Rom war. Wir sind also quasi noch in den Anfangsjahren der christlichen Kirche und Hippolyt war einer ihrer wichtigsten Vertreter. Trotzdem werden ihn heute vermutlich wenige Menschen kennen, ausgenommen vielleicht diejenigen, die in der niederösterreichischen Landeshauptstadt St. Pölten leben, deren Schutzpatron der später heiliggesprochene Hippolyt ist. Uns aber interessiert, was er in seinem Werk mit dem Titel "Widerlegung aller Häresien" geschrieben hat. Darin zählt Hippolyt alles auf, was seiner Meinung nach definitiv nichts mit dem wahren christlichen Glauben zu tun hat. Sowas ist wichtig bei einer jungen Religion, bei der noch nicht klar ist, in welche Richtung sie sich entwickelt - da muss man klare Richtlinien vorgeben. Und die "Faseleien des Monoimos" gehören laut Hippolyt offensichtlich nicht dazu. Genausowenig wie der "Wahnsinn des Markion" und der "Unsinn des Karpokrates". Und keinesfalls die "gotteslästerliche Torheit des Noetus". So lauten zumindest einige der Kapitelüberschriften aus dem Buch; ich habe jetzt aber nicht im Detail nachgeschaut, womit diese Leute den Zorn den Hippolyt verdient haben. Wen Hippolyt aber auch nicht leiden konnte, war der griechische Gelehrte Demokrit. Der lebte im 4. Jahrhundert vor Christus und war der Hauptvertreter der Atomistik. Sehr kurz zusammengefasst: Demokrit war überzeugt, dass sämtliche Materie aus kleinen Bausteinen besteht, die selbst nicht mehr weiter unterteilbar sind. Die hat er "Atome" genannt und wir verwenden das Wort auch heute noch, aber mit dem, was Demokrit sich damals gedacht hat, hat unser modernes Atombild nichts zu tun. Demokrit hat sich Atome als alle möglichen geometrische Formen vorgestellt; es gibt runde, glatte, unregelmäßig geformte Atome; es gibt Kugelatome, Würfelatome; welche in der Form von Zylindern oder Pyramiden, und so weiter. Je nachdem wie sich diese unzähligen Atome verbinden, sehen wir dann etwas, das wie eine Pflanze aussieht, wie ein Tier, wie Wasser oder Feuer. In Wahrheit gibt es, so Demokrit, nichts anderes als Atome und leere Raum. In diesem leeren Raum wuseln die Atome durcheinander und wenn sie sich richtig verbinden, dann kommt dabei so etwas wie die Erde raus. Aber wenn es unendliche viele Atome in einem unendlich großen Raum gibt, dann muss im Laufe der Zeit zwangsläufig mehr als nur eine Erde entstehen. Genaugenommen müsste es unendlich viele Erden geben, in allen möglichen Variationen. Genau das war es, was Hippolyt so aufgeregt hat: "Er lehrt […] dass es zahllose, verschieden große Welten gebe; in einigen Welten gebe es weder Sonne noch Mond, in anderen hätten sie einen größeren Umfang, in wieder anderen seien sie mehrfach vorhanden". Das konnte nicht sein, so Hippolyt und an diesem Ausschnitt seines Textes sehen wir übrigens auch gut, was damals gemeint war, wenn man von einer "anderen Welt" gesprochen hat.
Nicht ein anderes Planetensystem, bei einem anderen Stern; soweit war man damals noch nicht. Die "Welt" war die Erde, im Zentrum, die umschlossen war von Kugelschalen aus einem mysteriösen, himmlischen Material und auf diesen Schalen leuchten und bewegen sich die Planeten, die Sonne und der Mond und außen rum ist noch eine letzte Schale, die mit den Lichtern der Sterne dekoriert ist. Die "Welt", das was wir heute das "Universum" nennen würden, war damals eine vergleichsweise kleine Angelegenheit. Aber, so zumindest Demokrit, da draußen gibt es noch jede Menge andere Welten dieser Art. Hippolyt war nicht der einzige, der anderer Meinung war - aber auch seine Meinung stand nicht ohne Widerspruch da. Origenes, ein frühchristlicher Gelehrte der im dritten Jahrhundert in Alexandria gelebt hat, hat sich überlegt, was Gott wohl gemacht hat, bevor er die Erde geschaffen hat. Sicherlich war Gott nicht faul, das passt nicht dazu. Vermutlich hat er da an einer anderen Welt gearbeitet. Und wenn unsere Welt einmal ein Ende findet, dann wird Gott sicherlich nicht in Pension gehen und den Laden zusperren, sondern eine neue Welt schaffen. Origines war der Meinung, dass es unendliche viele Welten geben müsste, immer eine nach der anderen, weil Gott offensichtlich ein Workoholic ist. Ok, das letzte hat er so nicht gesagt, aber es ist klar, dass auch aus christlicher Sicht die Erde nicht zwingend einzigartig sein muss.
Das Problem mit der christlichen Sicht ist aber, dass sie nicht auf nachvollziehbaren Fakten und Beobachtungsdaten basiert. Das trifft damals aber auf nicht nur auf die christliche Sicht zu, sondern auf jede Sicht der Welt. Demokrit konnte genau so wenig beweisen, dass seine wuselige Atomwelt real ist, wie Origines beweisen konnte, dass Gott nicht vielleicht doch mal ne Zeit lang Urlaub macht. Alles was man tun konnte, war nachdenken - aber das, was man sich dann ausgedacht hatte, war durch keine damals durchführbare Methode nachvollziehbar beweisbar. Aber nachgedacht hat man auf jeden Fall. Der deutsche Bischof Albertus Magnus hat im 13. Jahrhundert geschrieben: "Ob es nur eine Welt oder viele Welten gibt, ist eine der erstaunlichsten und nobelsten Fragen über die Natur. Es ist eine Frage, die der menschliche Geist aus sich selbst heraus verstehen will. Deswegen ist es wünschenswert, dass wir uns darüber Gedanken machen." Diesem Satz kann man auch aus einer modernen, wissenschaftlichen Perspektive zustimmen, genau so übrigens wie der Kritik des französischen Bischofs Nikolaus von Oresme, der im 14. Jahrhundert darauf hingewiesen hat, dass Spekulationen nicht sinnvoll sind, wenn man keine Möglichkeit hat, herauszufinden, ob sie richtig oder falsch sind.
Aber wir müssen halt trotzdem spekulieren und das haben die Leute natürlich weiter getan. Thomas von Aquin, einer der bedeutensten Kirchenlehrer der römisch-katholischen Kirche war im 13. Jahrhundert fest davon überzeugt, dass es nur eine Welt geben kann. Denn es gibt ja auch nur einen Gott. Eine Welt für einen Gott, das spiegelt Gottes Perfektion wieder und deswegen kann es nur so sein. Im 15. Jahrhundert hat der deutsche Theologe Nikolaus von Kues aber behauptet, dass es jede Menge Welten geben muss. Denn die Sonne sei in Wahrheit auch wie die Erde, nur eben von einer leuchtenden Wolkenschicht umgeben. Und anderesherum ist es genau so: Vom All aus betrachtet würde die Erde aussehe wie die Sonne, weil sie auch von so einer leuchtenden Schicht umgeben ist, die wir aber vom Erdboden nicht wahrnehmen können. Alle Sterne am Nachthimmel sind also Welten wie die Erde, so Kues und überall würde jemand leben. Einer ähnlichen Ansicht war auch der italiensche Mönch und Philosoph Giordano Bruno im 16. Jahrhundert. Ein allmächtiger und unendlicher Gott muss doch bitte auch ein unendlich großes Universum voll mit unendlichen vielen Welten erschaffen haben, sonst macht das alles keinen Sinn. Jeder Stern am Nachthimmel ist eine Sonne wie unsere eigene und jede davon wird von Planeten umkreist. Das wir das nicht sehen können, liegt nur daran, dass sie so weit entfernt sind. Womit Bruno aus heutiger Sicht erstaunlich richtig lag - sein Pech war nur, dass er von der Kirche dafür verurteilt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden ist. Das stimmt, leider, aber es war nicht so sehr die Aussage, dass es jede Menge fremde Welten gibt. Das hat die Kirche weniger interessiert als Brunos Behauptung, dass das Universum unendlich lange existieren wird. Wenn das Universum aber kein Ende hat, dann hat auch Gott keine Gelegenheit, das in der Bibel angekündigte "Jüngste Gericht" abzuhalten und die Menschen in Sünder und Gerechte einzuteilen, die ins dann neu geschaffene Reich Gottes eintreten dürfen. Das war massive Ketzerei und Bruno musste sterben.
Auch Galileo Galilei kam in Konflikt mit der Kirche, weil er behauptet hat, dass die Erde sich bewegt, obwohl in der Bibel nichts davon steht; im Gegenteil, dort findet man sogar eine Stelle in der zu lesen ist "Aber Josua hieß die Sonne stillzustehen und nicht das Erdreich". Und stillstehen kann die Sonne nur, wenn sie sich vorher bewegt hat. Galilei wurde zumindest nicht hingerichtet und es ist übrigens auch ein Mythos, dass Martin Luther, in Bezug auf das gerade genannte Biblezitat, Nikolaus Kopernikus einen "Narr" genannt hat. Diese Story ist erst im 19. Jahrhundert entstanden, als ein paar katholische Historiker den Gründer des Protestantismus als Gegner der wissenschaftlichen Revolution dargestellt haben, um ihn schlecht und dumm aussehen zu lassen. In Wahrheit war Luther die Astronomie ziemlich egal; er hat sich dazu nirgenwo geäußert.
Mit Galilei und Kopernikus sind wir jetzt aber schon fast in der Neuzeit angelangt. Es gäbe noch viel mehr zu erzählen, über die Kirche und die Gelehrten der Antike und des Mittelalters. Und noch viel mehr über den Weg von der frühen Neuzeit bis heute. Aber diese Geschichten muss ich ein anderes Mal erzählen. Immerhin aber wissen wir seit 1995, dass es da draußen tatsächlich noch andere "Welten", also andere Planeten gibt, die andere Sterne umkreisen. Wir wissen heute, dass diese Planeten genau so zahlreich sind wie die Sterne selbst, mindestens. Ob es auf irgendeiner dieser Welten auch intelligente Lebewesen gibt, wissen wir noch nicht. Aber - wie die Geschichte zeigt - werden wir nicht aufhören können, darüber nachzudenken und nachzuforschen. Wir werden uns weiter damit beschäftigen; wir müssen es tun, weil das eine Frage ist, die uns einfach nicht loslässt. Egal, was wir glauben oder nicht glauben.

Jun 27, 2025 • 11min
Sternengeschichten Folge 657: Der Asteroid Golevka
Die Kraft von Wärme und Rotation
Sternengeschichten Folge 657: Der Asteroid Golevka
Am 10. Mai 1991 hat die amerikanische Astronomin Eleanor Francis Helin das gemacht, was sie schon sehr, sehr oft zuvor gemacht hat. Nämlich die Entdeckung eines neuen Asteroiden bekannt gegeben. Sie war für die Entdeckung von fast 1000 Asteroiden verantwortlich, entweder weil sie selbst die entsprechenden Beobachtungen angestellt hat oder weil sie am California Institute of Technologie und der NASA entsprechende Beobachtungsprogramme geleitet hat. Darunter waren einige wirklich wichtige Objekte, zum Beispiel der Asteroid Aten, das erste bekannte Objekt der nach ihm benannten Aten-Gruppe von Asteroiden, die die Erdbahn kreuzen können. Der Asteroid, den Helin im Mai 1991 entdeckt hat, hat zum damaligen Zeitpunkt allerdings noch nicht so ausgesehen, als würde er einmal sehr prominent werden. Genau das ist aber passiert und deswegen geht es heute um die Geschichte genau dieses Objekts, des Asteroiden mit dem Namen Golevka.
Und "Golevka" ist übrigens nicht der Name irgendeiner berühmten Person, einer Gottheit oder ein anderer Name dieser Art, der oft für Asteroidenbezeichnungen benutzt wird. Ursprünglich hat der Asteroid nur die übliche Bezeichnung aus Zahlen und Buchstaben bekommen, die alle neu entdeckten Objekte bekommen. In diesem Fall war das 1991 JX. Einen "echten" Namen bekommt ein Asteroid erst später, wenn seine Bahn ausreichend gut bekannt ist und wenn sich die Leute, die ihn entdeckt haben, erstens einig sind, wie er heißen soll und wenn sie die Zeit finden, sich um eine offizielle Benennung zu kümmern. Und wenn man so, wie Helin, nichts anderes tut als Asteroiden zu entdecken, dann kann das schon ein wenig dauern.
Im Jahr 1995 ist der Asteroid 1991 JX auf jeden Fall nahe genug an der Erde vorbei gekommen, um mit Radarstrahlen untersucht zu werden. Das ist ein sehr praktischer Weg, um mehr über solche Objekte zu erfahren: Man schickt Radiowellen von der Erde ins All und wartet, bis sie vom Asteroid reflektiert werden. Aus der Zeit, die die Signale brauchen, bis sie wieder auf der Erde registriert werden, kann man dann zum Beispiel die Form des Asteroiden berechnen. Das geht aber nur, wenn der Asteroid nicht zu weit weg ist. In diesem Fall aber hat es geklappt und es waren gleich drei Stationen, die entsprechende Messungen angestellt haben: Das Goldstone-Teleskop in Kalifornien, das Evpatoria Radioteleskop in der Ukraine und die Kashima-Station in Japan. Das hat Eleanor Helin zum Anlass genommen, um daraus einen Namen für den Asteroid zu basteln. "Gol" von Goldstone, "ev" von Evpatoria und "ka" von Kashima: Golevka.
Jetzt wissen wir, warum das Ding so heißt, wie es heißt. Aber das ist natürlich noch nicht die ganze Geschichte. Golevka gehört zur Gruppe der Apollo-Asteroiden, die, so wie die Aten-Asteroiden in der Lage sind, die Erdbahn zu kreuzen und damit prinzipiell in der Lage sind, auch mit der Erde zu kollidieren. Aber keine Sorge, Golevka ist nicht deswegen prominent, weil der Asteroid gefährlich für uns ist. Das ist heute keine Asteroideneinschlagsgeschichte, wir wissen, dass Golevka in den nächsten Jahrhunderten keine Gefahr für die Erde ist. Aber aus den Radarmessungen wissen wir, dass Golevka sehr unregelmäßig geformt ist. Je nachdem auf welche Seite des Asteroiden man schaut, sieht er mal eher dreieckig aus, mal wie ein Viereck oder komplett unförmig. Er ist ein paar hundert Meter groß, entlang seiner längsten Ausdehnung ist er circa 350 Meter lang. Die scharfen Kanten und Ecken, die er aufweist, sind ein Hinweis darauf, dass Golevka vermutlich das Bruchstück eines größeren Objekts ist, das bei einer früheren Kollision auseinander gebrochen ist. Aus den Radarbeobachtungen wissen wir auch, dass Golevka sich alle 6 Stunden einmal um seine Achse dreht. Womit wir jetzt schon fast beim eigentlichen Thema der Geschichte sind.
Das, was Golevka so interessant macht, haben die drei Astronomen David Vokrouhlický, Andrea Milani und Steve Chesley in einem Fachartikel aus dem Jahr 2000 untersucht. Die Arbeit trägt den eher technischen Titel "Jarkowski-Effekt bei kleinen erdnahen Asteroiden: Mathematische Formulierung und Beispiele". Das Ziel war es, herauszufinden, ob es Asteroiden gibt, bei denen man den Jarkowski-Effekt nachweisen kann. Darüber habe ich in Folge 112 schon einmal ausführlich gesprochen. Aber ich wiederhole es sicherheitshalber noch einmal kurz: Der Jarkowski-Effekt hat mit der Rotation und der Temperatur eines Asteroiden zu tun. So ein Asteroid wird ja von der Sonne aufgewärmt, aber natürlich nur auf der Seite, die der Sonne gerade zugewandt ist. Jetzt rotieren die Asteroiden aber auch. Das bedeutet: Die heiße Seite dreht sich von der Sonne weg und kühlt wieder ab. Und die kühle "Nacht"-Seite dreht sich in die Sonne und heizt sich auf. Das ist soweit noch nicht bemerkenswert. Aber "Aufheizen" und "Abkühlen" bedeutet ja nichts anderes, als das der Asteroid zuerst elektromagnetische Strahlung von der Sonne aufnimmt. Und danach wieder abgibt. Wenn aber ein Objekt Strahlung aufnimmt und wieder abgibt, dann wird dabei von der Strahlung eine kleine Kraft ausgeübt - über diesen "Strahlungsdruck" habe ich in Folge 507 ausführlich gesprochen, als es um das Sonnensegel ging.
Jetzt könnte man meinen, dass das bei einem Asteroid keine Rolle spielt. Die eine Seite wärmt sich auf, die andere kühlt ab und am Ende gleicht sich alles aus, oder nicht? Nicht ganz. Bei großen Objekten wie einem Planeten ist das so. Da verteilt sich alles über die ganze große Oberfläche. Aber bei kleineren Himmelskörpern muss man genauer hinschauen. Denn es wird umso mehr Strahlung abgegeben, je heißer ein Objekt ist. Das bedeutet, die heiße Seite, die gerade dabei ist, sich in die Nacht hinein zu drehen, strahlt sehr stark. Die Seite des Asteroiden dagegen, die gerade aus der Nacht heraus kommt ist natürlich kalt und strahlt wenig. Die Abstrahlung ist also asymmetrisch und es entsteht eine resultierende Kraft und weil es hier nicht nur um Tag oder Nacht geht, sondern quasi um die Vormittags und die Nachmittagsseite des Seite des Asteroiden, ist diese Kraft auch so gerichtet, dass sie den Asteroid auf die Sonne zu oder von ihr weg schiebt (je nachdem in welche Richtung er rotiert).
Das Fazit: Weil Asteroiden sich unterschiedlich stark aufheizen und abkühlen, wirkt auf sie eine kleine Kraft, die ihre Bahn verändern kann. Das nennt man "Jarkowski"-Effekt und wir wissen davon seit dem Jahr 1900. Als der vorhin erwähnte Artikel im Jahr 2000 erschienen ist, hat man diesen Effekt aber immer noch bei keinem einzigen Asteroiden tatsächlich gemessen. Es ist ja auch ein wirklich kleiner Effekt, da geht es um sehr geringe Distanzen, und man muss die Bewegung des Asteroiden sehr genau vermessen, was nur geht, wenn er von der Erde aus mit Radarbeobachtungen untersucht werden kann. Und das, wie ich vorhin schon erwähnt habe, ist nur bei wenigen Objekten möglich, die uns nahe genug kommen. Die drei Astronomen haben nun untersucht, welche Asteroiden prinzipiell gute Kandidaten wären, um den Jarkowski-Effekt endlich nachweisen zu können. Und Golevka hat sich als das vielversprechendste Objekt erwiesen. Einerseits wäre hier der Effekt groß genug, um ihn prinzipiell mit den vorhandenen technischen Mitteln nachweisen zu können. Andereseits hatte man von Golekva schon Radarmessungen aus der Vergangenheit als Grundlage und im Jahr 2003 würde er wieder nahe genug an der Erde sein, um neue Messungen machen zu können. Und mit denen müsste es, so das Fazit der Arbeit, möglich sein, den Effekt nachzuweisen. Und man sollte die Gelegenheit besser nicht verstreichen lassen, denn das nächste Mal würde Golevka erst im Jahr 2046 wieder nahe genug für passende Beobachtungen kommen.
Und natürlich hat man die Gelegenheit auch nicht verstreichen lassen. Im Jahr 2003 hat man das Arecibo-Radioteleskop benutzt um Daten zu sammeln und im September konnte man verkünden: Die Bewegung von Golevka lässt sich nur dann erklären, wenn man den Jarkowski-Effekt berücksichtigt. In den 12 Jahren zwischen der Entdeckung 1991 und den Messungen von 2003 hatte diese kleine Kraft für eine Verschiebung der Umlaufbahn von 15 Kilometer gesorgt. Der Asteroid ist also 15 Kilometer näher an die Sonne gerückt, was nicht nach viel klingt und nicht viel ist. Nicht mal ein Kilometer pro Jahr - aber wenn man dann überlegt, was das über einen Zeitraum von Millionen Jahren bedeutet, dann wird klar, dass der Jarkowski-Effekt durchaus relevant sein kann.
Ich habe gesagt, das wird keine Asteroideneinschlagsgeschichte und dabei bleibt es auch. Aber gerade dann, wenn wir wissen wollen, ob ein potenziell gefährlicher Asteroid auch wirklich gefährlich ist, müssen wir den Jarkowski-Effekt berücksichtigen. Ein paar Dutzend Kilometer können hier den Ausschlag zwischen Kollision und harmlosen Vorbeiflug geben. Wenn wir die Bahnen solcher Objekte berechnen, dürfen wir nicht vergessen, dass auf sie nicht nur die Gravitationskraft wirkt, sondern auch die Kraft, die aus ihrer Temperatur entsteht. Und das vergessen wir natürlich auch nicht. Wir haben mittlerweile den Jarkowski-Effekt auch bei anderen Asteroiden nachgewiesen und er wird bei allen relevanten Berechnungen berücksichtigt. Der Asteroid Golevka hat uns gezeigt, wie wichtig es ist, ganz genau hinzusehen und dass es in der Astronomie nicht nur um Lichtjahre und riesige Distanzen geht, sondern manchmal auch ein paar Kilometer von enormer Bedeutung sein können.

Jun 20, 2025 • 14min
Sternengeschichten Folge 656: Entropie, Zeit und der Anfang des Universums
1000 Jahre sind ein Tag
Sternengeschichten Folge 656: Entropie, Zeit und der Anfang des Universums
Die Astronomie ist eine der Wissenschaften, in der es enorm einfach ist, Fragen zu stellen, die sehr simpel klingen, in Wahrheit aber absurd schwierig zu beantworten sind. Eine dieser Fragen lautet "Was ist Zeit?".
Irgendwie haben wir alle das Gefühl, wir wüssten, was "Zeit" ist. Wir erleben die Zeit ja ständig; wir leben IN der Zeit. Aber wenn wir dann anfangen, darüber nachzudenken, was "Zeit" tatsächlich ist, dann wird es schwierig.
Man kann sich natürlich aus der Affäre ziehen und sagen "Zeit ist das, was die Uhr anzeigt". Und diese Antwort wäre auch nicht absurd falsch. Aber sie geht am eigentlichen Punkt vorbei. Was ist Zeit? Was ist Zeit, wirklich?
Und es ist nicht nur schwer zu beantworten, weil es ein sehr komplexes und philosophisches Thema ist. Es ist vor allem deswegen schwer, weil auch die Wissenschaft Schwierigkeiten hat, dieses Phänomen vernünftig zu definieren. Es gibt kein Naturgesetz, das uns erklärt, was Zeit ist. Da ist keine Formel, die uns das sagt. Anderswo ist das möglich: Geschwindigkeit ist Weg pro Zeit. Die Geschwindigkeit ist das, was uns sagt, wie lange es dauert, eine bestimmte Strecke zurückzulegen. Aber wenn wir jetzt zum Beispiel sagen würden, dass man das dann halt einfach nur umformen muss, um Zeit ist Weg pro Geschwindigkeit zu definieren, funktioniert das nicht. Denn die Zeit steckt ja auch in der Geschwindigkeit drin und wenn man das dann korrekt auflöst, landet man bei der nichtssagenden Gleichung "Zeit ist Zeit".
Das Problem ist, dass die Zeit in den Naturgesetzen keine Rolle spielt. Beziehungsweise spielt sie selbstverständlich eine Rolle, aber die Richtung der Zeit ist irrelevant. Die Gesetze der Mechanik und Gravitation, mit denen wir zum Beispiel beschreiben wie sich die Himmelskörper bewegen, machen keinen Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft. Man kann ein Computerprogramm schreiben, dass die Bewegung der Planeten im Sonnensystem simuliert. Und dann kann man es vorwärts in der Zeit laufen lassen oder rückwärts und in beiden Fällen erhalten wir eine völlig korrekte Bewegung. Andererseits wissen wir aber auch, dass es einen Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft gibt. An die Vergangenheit können wir uns erinnern, aber nicht an die Zukunft. Wenn ein Ei vom Küchentisch auf den Boden fällt, dann geht es kaputt und es gibt eine enorme Sauerei. Das ist ein völlig normaler Vorgang, zumindest dann, wenn man beim Kochen regelmäßig ungeschickt ist. Es wäre dagegen ein ganz und ganz unnormaler Vorgang, wenn die Sauerei und die Eierschalen plötzlich zurück auf den Küchentisch springen, um sich wieder zu einem ganzen Ei zu formen. So etwas passiert nicht - aber, das ist ein wichtiger Punkt - es würde prinzipiell nicht den Naturgesetzen widersprechen. Klar, das kaputte Ei würde nicht von selbst in die Luft hüpfen, dafür braucht es eine wirkende Kraft. Aber die hat es ja auch gebraucht, um das Ei vom Tisch auf den Boden fallen zu lassen. Und wenn man sämtliche Bruchstücke des Eis zum exakten Zeitpunkt mit exakt der richtigen Kraft anschubsen würde, dann WÜRDE sich die Sauerei wieder zu einem Ei zusammenfügen. Aber so etwas passiert nicht.
Und wenn wir genau darüber nachdenken, warum das nicht passiert, dann verstehen wir am Ende leider immer noch nicht, wie das mit der Zeit ist. Aber wir verstehen zumindest ein bisschen besser, warum wir es nicht verstehen und deswegen denken wir jetzt nach. Und wir fangen beim Nachdenken mit der Entropie an. Dieses etwas verwirrende Konzept aus der Physik habe ich im Podcast immer wieder mal angesprochen. Für die Frage nach der Zeit ist es aber extrem wichtig. Bei der Entropie geht es um die Menge an möglichen Mikrozuständen. Oder, mathematisch-physikalisch exakt formuliert: Die Entropie ist proportional zum Logarithmus des zugänglichen Phasenraumvolumens. Was, ohne weiteres Wissen, natürlich noch gar nichts erklärt. Schauen wir uns deswegen mal ein Atom an, rein theoretisch natürlich und wir ignorieren auch die ganze komplizierte Quantenmechanik. Ein Atom hat einen Ort und eine Geschwindigkeit. Wir brauchen drei Koordinaten, um die Position im Raum anzugeben und wir brauchen nochmal drei Zahlen, um die Geschwindigkeit des Atoms für diese drei Raumrichtungen zu beschreiben. Wenn wir wissen wollen, was das Atom gerade treibt, brauchen wir dafür also sechs Zahlen. Oder, wieder etwas exakter, wir stellen uns einen sechsdimensionalen Raum vor. Das geht natürlich in der Praxis nicht, aber es geht in der Mathematik ohne Problem. Jeder Punkt in diesem sechsdimensionalen Raum beschreibt einen möglichen Zustand des Atoms und in diesem Beispiel ist der sechsdimensionale Raum das, was man "Phasenraum" nennt. Wenn man zwei Atome beschreiben will, braucht man natürlich einen 12-dimensionalen Phasenraum, und so weiter. Oder, um zurück zur Astronomie zu kommen: Wenn wir das Sonnensystem, bestehend aus Sonne und acht Planeten beschreiben wollen, benötigen wir ebenfalls drei Orts- und drei Zeitkoordinaten für jeden Himmelskörper. Unser Phasenraum hat in diesem Fall also insgesamt drei mal neun ist gleich 27 Dimensionen. Jeder Punkt in diesem Raum wird durch 27 Zahlen beschrieben, die dann den Zustand der neun Himmelskörper angeben.
Das ist alles sehr abstrakt, aber es hat ja auch niemand behauptet, dass das mit der Zeit einfach ist. Gehen wir wieder zurück zur Entropie. Da geht es um den "zugänglichen Phasenraum". Der komplette Phasenraum umfasst alle mathematisch möglichen Zustände, also alle möglichen Punkte in diesem Raum. Aber nicht alle Bereiche des Phasenraums sind auch Zustände, die ein System tatsächlich einnehmen kann. Schauen wir uns dazu einen normalen Raum an, ein Büro, ein Zimmer, was auch immer. Die Luftmoleküle in diesem Raum wirbeln ständig hin und her. Mal sind sie hier, mal sind sie dort und wenn man wollte, könnte man das alles durch Punkte in einem extrem hochdimensionalen Phasenraum beschreiben. In diesem Phasenraum wird es auch Bereiche geben, die einen Zustand beschreiben, in dem sich sämtliche Luftmoleküle im Büro in einer Ecke zusammendrängen und im Rest ein Vakuum herrscht. Es widerspricht nicht den Naturgesetzen, das so etwas passiert. Aber es ist extrem unwahrscheinlich, dass sich so ein Zustand von selbst einstellt, dazu müsste man irgendwie von außen eingreifen - so wie beim Ei vorhin, Man müsste die Luft mit Energieaufwand in die Ecke pumpen, und dann würde die Bewegung, die die Moleküle aufgrund ihrer Temperatur ständig ausüben, schnell dafür sorgen, dass sie sich wieder überall verteilen.
Die Entropie ist nun ein Maß dafür, wie groß der zugängliche Phasenraum ist. Je mehr Zustände ein System haben kann, desto größer ist seine Entropie. Und damit wird auch verständlich, warum die Entropie eines Systems ohne äußere Eingriffe nicht kleiner werden kann. Es gibt in unserem Beispiel einen sehr, sehr, sehr großen Bereich des Phasenraums, der einen Zustand beschreibt in dem die Luft überall gleichmäßig im Zimmer verteilt ist. Im Detail unterscheiden sich diese Zustände natürlich, aber es kommt ja nicht drauf an, welches Molekül sich jetzt wo genau befindet. Sondern nur, dass sich überall Moleküle befinden. Es gibt dagegen aber nur einen verschwindend geringe Bereich, der Zustände beschreibt, wo sich die Luftmoleküle alle in einer Ecke befinden. Und wenn man die Luft im Zimmer jetzt sich selbst überlässt und die Moleküle einfach so durch die Gegend wirbeln, dann ist es absurd unwahrscheinlich, dass sie zufällig einen dieser Zustände einnehmen. Bei Ei ist es genau so: Es gibt sehr, sehr, sehr viele Zustände, wie man die Atome eines Eis anordnen kann, so dass man eine Sauerei am Boden erhält. Es wird jedesmal eine leicht unterschiedliche Sauerei sein, aber am Ende bleibt es eine Sauerei. Es gibt aber nur eine Möglichkeit, die Atome zu einem unversehrten Ei am Küchentisch zu ordnen. Sich selbst überlassen wird das Ei also früher oder später einen Zustand einnehmen, der diesem großen Bereich im Phasenraum entspricht.
Oder anders gesagt: Weil das alles so ist, wird die Entropie immer größer. Wann immer man ein System in einem Zustand hat, wo es einen kleinen Bereich des Phasenraums einnimmt, wo die Entropie also klein ist, wird es früher oder später in einem größeren Bereich des Phasenraums landen, wo die Entropie groß ist. Der umgekehrte Weg findet aber nicht statt. Mit der Entropie ist es wie mit der Zeit: Sie geht immer nur von klein zu groß, von Ei zu Sauerei, aber nie umgekehrt, genauso wie die Zeit immer von der Vergangenheit in Richtung Zukunft läuft.
Man könnte jetzt also sagen: Die Zukunft ist die Zeitrichtung, in der die Entropie immer größer wird. Damit hätten wir sowas ähnliches wie eine Definition der Zeit. Aber auch ein neues Problem. Wenn das so ist, dann bedeutet das ja, dass das Universum jetzt unordentlicher ist als früher. Es muss in der Vergangenheit ordentlicher gewesen sein als heute. Denn nur so kann die Entropie zunehmen. Und ganz früher muss es noch ordentlicher gewesen sein. Das Universum muss also aus einem Zustand mit extrem niedriger Entropie und sehr viel Ordnung gestartet sein. Das klingt falsch. Damals, beim Urknall vor 14 Milliarden Jahren, war doch alles durcheinander. Das ganze Universum war voll mit Teilchen, die wild hin und her gesaust sind, so wie die Luftmoleküle aus dem Beispiel von vorhin. Und jetzt haben wir ein Universum, wo so gut wie überall nichts ist, nur an manchen Stellen haben sich die Teilchen zusammengeballt und sowas wie Sterne und Planeten gebildet. Das sieht so aus, als wäre es genau das Gegenteil von dem, was ich gesagt habe. Es sieht so aus, als hätte die Entropie seit dem Urknall abgenommen.
Aber der Unterschied zwischen dem frühen Universum und der Luft im Raum ist die Gravitation. Für die Bewegung der Luftmoleküle spielt die Gravitation in erster Näherung keine Rolle. Aber im Universum spielt sie eine große Rolle. Alles zieht einander an und alles hat die Tendenz, Klumpen zu bilden. Ein Universum, das komplett voll ist mit gleichmäßig verteilten Teilchen ist ein extrem unnatürlicher Zustand, eben WEIL sich die Teilchen gegenseitig anziehen, Klumpen bilden, die einander noch stärker anziehen, noch größere Klumpen bilden, usw. Am Ende kriegen wir richtig große Klumpen, wie Planeten, Sterne und Galaxien. Die Situation ist hier umgekehrt: Es gibt quasi nur eine Möglichkeit, wie das Universum gleichmäßig voller Teilchen sein kann. Und sehr viele, wie es klumpig sein kann. Und in diesem Sinn hat das Universum durchaus mit niedriger Entropie begonnen, die seitdem immer größer wird. Oder anders gesagt: Seit damals läuft die Zeit auf die Weise, die wir wahrnehmen.
Haben wir jetzt verstanden, was Zeit ist? Nein, aber das habe ich ja zu Beginn schon angekündigt. In Wahrheit ist das alles noch viel komplizierter und auch die Entropie ist keine wasserdichte Erklärung für das Vergehen der Zeit. Vielleicht ist die Zeit auch nur etwas, was in unseren Köpfen passiert, aber nicht in der Realität. Zumindest Albert Einstein war dieser Ansicht, als er - nach wirklich langer Auseinandersetzung mit genau diesen Fragen - gesagt hat: "Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind nichts als eine Illusion, wie hartnäckig sie sich auch hält."

Jun 13, 2025 • 10min
Sternengeschichten Folge 655: Die mysteriösen Mondwirbel
Magnete und Muster
Sternengeschichten Folge 655: Die mysteriösen Mondwirbel
Die italienische Astronomen Giovanni Battista Riccioli und Francesco Maria Grimaldi waren im 17. Jahrhundert unter den ersten, die sich intensiv mit einer wissenschaftlichen genauen Kartografie des Mondes beschäftigt haben. Sie haben probiert, möglichst viele Strukturen seiner Oberfläche zu erfassen, zu beschreiben und zu benennen. Größere Krater haben sie dabei nach Menschen benannt, die damals schon berühmt für ihre wissenschaftliche Arbeit waren. Zum Beispiel nach Galileo Galilei, aber nicht den Mondkrater mit der Bezeichnung "Galilaei", den wir auch heute noch auf den modernen Mondkarten finden. Dieser Krater wurde erst später so genannt, als man herausgefunden hatte, dass die ursprünglich von Riccioli und Grimaldi nach Galilei benannte Struktur gar kein Krater ist. Das ungefähr 70 Kilometer große Ding, das sie für einen Krater gehalten haben, trägt seit dem Jahr 1935 die offizielle Bezeichnung "Reiner Gamma". Das "Gamma" im Namen gehört zum gleich nebenan liegenden Krater "Reiner" und deutet an, dass es sich um eine Struktur handelt, die damit vielleicht irgendwie zusammenhängen könnte. Dieser Krater und damit indirekt auch Reiner Gamma wurde nach Vincenzo Renieri benannt; ebenfalls ein italienischer Astronom und ein Schüler von Galileo Galilei.
Wenn es sich bei Reiner Gamma aber nicht um einen Krater handelt, was ist es dann? Es ist ein sogenannter "Mondwirbel" oder "lunar swirl", wie der englische Fachbegriff heißt. Und was ist das? Die Antwort ist einfach: Das wissen wir nicht.
Reiner Gamma ist nur eine von mittlerweile mehreren bekannten Strukturen dieser Art, die als "Albedo-Formation" bezeichnet werden. Was aber eigentlich auch nicht viel mehr bedeutet, als dass dort "etwas" ist. Mit "Albedo" bezeichnet die Wissenschaft ja die Fähigkeit eines Materials, Licht reflektieren zu können. Die Oberfläche des Mondes ist im Bereich dieser Wirbel also unterschiedlich gut darin, Licht zu reflektieren und wir sehen dort deswegen helle und dunkle Muster. Die - wenig überraschend bei ihrer Bezeichnung - wirbelartig sind.
Helle, wirbelförmige Muster auf der ansonsten dunklen Mondoberfläche: Dank der modernen Teleskopen und der Aufnahmen der diversen Raumsonden, die den Mond aus der Nähe kartografiert haben, wissen wir mittlerweile sehr gut, wie die Mondwirbel aussehen. Aber wir wissen nicht, warum sie existieren. Zumindest nicht mit letzter Sicherheit; Ideen hat die Wissenschaft natürlich jede Menge.
Zuerst einmal ist es relativ klar, warum es die Unterschiede in der Helligkeit gibt. Normalerweise erkennt man am Mond und auf vergleichbaren Himmelskörpern daran das Alter des Materials. Alte Gesteinsschichten sind schon lange Zeit der Verwitterung ausgesetzt und werden dadurch dunkler. Und mit "Verwitterung" sind hier natürlich nicht die Prozesse gemeint, die wir hier auf der Erde damit bezeichnen. Es geht nicht durch die Veränderung des Gesteins aufgrund von Wind, Wasser oder Eis. Das findet auf dem Mond nicht statt, aber der Mond wird ständig von der kosmischen Strahlung getroffen. Diese geladenen Teilchen, die die Sonne andauernd ins Weltall schleudert, treffen auf die Mondoberfläche und verändert ihre chemische Zusammensetzung. Zusammen mit dem ebenfalls ständig stattfindenden Einschlägen von winzigen Meteoriten auf der Mondoberfläche führt auch das zu einer Verwitterung, wie ich in Folge 130 der Sternengeschichten ausführlich erklärt habe.
Man erkennt diesen Effekt sehr gut im Umfeld von großen Kratern: Beim Einschlag wurde Material aus den tieferen Schichten des Mondes an die Oberfläche geschleudert. Im Gegensatz zur schon verwitterten Umgebung ist es noch frisch und kann Licht gut reflektieren. Um die Krater herum erkennt man also jede Menge helle Linien und Muster. Mondwirbel wie Reiner Gamma sind aber keine Einschlagskrater. Das wissen wir aus den Daten, die von Raumsonden stammen, die den Mond umkreist und genau untersucht haben. Wir können messen, ob es da Höhenunterschiede gibt, wie bei Kraterstrukturen und so etwas sehen wir da nicht. Wir können auch messen, dass das Material der Wirbel nicht fremd ist. Es ist kein Zeug, das von Vulkanen in der Frühzeit des Mondes aus dem Inneren nach oben geschleudert worden ist oder das von einschlagenden Asteroiden stammt. Es ist das selbe Material wie der Rest der Mondoberfläche in der entsprechenden Region. Nur eben deutlich weniger verwittert.
Was wir aber aus den Beobachtungen sehen: Dort wo die Mondwirbel sind, gibt es magnetische Auffälligkeiten. Der Mond hat ja kein Magnetfeld wie die Erde, also ein globales Feld mit magnetischen Nord- und Südpol, dass durch die Vorgänge im Erdinneren erzeugt wird. Das Magnetfeld des Mondes wird durch das Material seiner äußeren Kruste erzeugt und es ist von Ort zu Ort unterschiedlich stark. Man geht davon aus, dass der Mond früher, als er noch heißer war einen flüssigen Kern hatte und dort die gleichen Prozesse abgelaufen sind, wie jetzt auf der Erde. Er hatte also auch ein gleichmäßiges Magnetfeld mit zwei Polen, das aber dann wieder verschwunden ist, als das Innere des Mondes erstarrt ist. Übrig geblieben ist nur noch ein bisschen Gestein, dass damals magnetisiert worden ist und heute immer noch magnetisch ist. Je nachdem wie viel davon irgendwo existiert hat der Mond von Ort zu Ort ein unterschiedlich starkes Magnetfeld.
Vielleicht ist es auch anders gelaufen, das wissen wir noch nicht so genau. Auf jeden Fall aber können wir Magnetfeldkarten des Mondes erstellen und genau aufzeichnen, wo das Feld stärker und wo es schwächer ist. Und sehen auf diesen Karten, dass die Wirbel sich in Regionen befinden, wo das Magnetfeld vergleichsweise stark ist. Damit würde sich auch der unterschiedliche Grad der Verwitterung erklären lassen: Die Teilchen der kosmischen Strahlung sind ja elektrisch geladenen. Ein starkes Magnetfeld hält sie von der Oberfläche fern. Die Mondwirbel sind demnach also nur optisch jung. Sie bestehen aus dem selben Material wie ihre Umgebung, aber lokale Magnetfeldschwankungen schützen sie gezielt vor dem Auftreffen der kosmischen Strahlung, wodurch sie weniger stark verwittern. Wir können sogar Details beobachten; in den hellen Streifen der Wirbel sind dunkle Bänder, die wieder heftiger verwittert sind und quasi die Feinstruktur der lokalen Magnetfelder abbilden. Und das legt nahe, dass dieser Effekt eben wirklich lokal sein muss. Die Abschirmung erstreckt sich nur über ein paar Dutzend bis ein paar hundert Meter.
Das erklärt ein wenig zum Ursprung der Lunar Swirls. Aber bei weitem noch nicht alles. Nicht überall, wo es magnetische Anomalien auf dem Mond gibt, finden wir zum Beispiel auch Mondwirbel. Wir wissen auch nicht, wie diese magnetischen Anomalien im Detail entstehen. Die meisten Mondwirbel - mit Ausnahme des prominenten Reiner Gamma - liegen genau gegenüber von Stellen, an denen früher sehr große Einschläge stattgefunden haben. Die dabei entstandenen Schockwellen könnten quasi einmal um den Mond gelaufen und sich auf der anderen Seite getroffen und dabei irgendwie für die Entstehung der lokalen Magnetisierung des Gesteins gesorgt haben, bzw. das magnetisierte Gestein dort irgendwie konzentriert haben.
Während der Apollo-Missionen ist man leider nicht in der Nähe eines Swirls gelandet, um Bodenproben einzusammeln. Die hätten alles viel einfacher für die Wissenschaft gemacht. Aber wir werden die Mondwirbel weiter erforschen. Denn abgesehen davon, dass sie uns viel über die Entstehung und Entwicklung unseres Nachbarn im All verraten können, könnten sie auch für uns Menschen sehr wichtig werden. Wenn wir wirklich vorhaben, uns in Zukunft länger oder sogar dauerhaft am Mond aufzuhalten, dann brauchen wir dafür entsprechende Habitate. Der Mond ist lebensfeindlich und das nicht nur, weil es dort keine Atmosphäre gibt, die wir atmen können. Weil es keine Atmosphäre und kein umfassendes starkes Magnetfeld gibt, ist die Mondoberfläche auch der kosmischen Strahlung schutzlos ausgesetzt. Nur deswegen kann das Mondgestein ja überhaupt auf die vorhin beschriebene Weise verwittern. Die kosmische Strahlung ist aber auch für uns Menschen gefährlich. Sie kann unsere Zellen schädigen und wir können nicht dauerhauft in einer so verstrahlen Umgebung leben. Wir müssen Abschirmungen bauen; müssten unterirdische Habitate anlegen, und so weiter. Das ist aufwendig - aber da könnten die Mondwirbel helfen. Wenn das wirklich Gebiete sind, die auf natürliche Weise vor der kosmischen Strahlung geschützt sind, dann wären sie unter Umständen genau die passenden Orte, für lange Weltraumissionen oder die Errichtung einer Mondbasis. Oder einer Mondstadt, wenn wir noch weiter in die Zukunft blicken. Wer weiß, vielleicht wird Reiner Gamma irgendwann einmal ein Ort, an dem jede Menge Menschen leben. Damit hätte Vincenzo Renieri vermutlich nicht gerechnet…

Jun 6, 2025 • 10min
Sternengeschichten Folge 654: Das Sternbild Einhorn
Besser als Fantasy!
Sternengeschichten Folge 654: Das Sternbild Einhorn
Der Himmel ist der Ort, wo es die Dinge gibt, die hier auf der Erde nicht existieren können. Er ist auch der Ort, an den wir im Laufe der Zeit unsere Mythen und Monster, Helden und Dämonen, Götter und Geschichten platziert haben. Und deswegen ist es auch nicht verwunderlich, wenn dort am Himmel auch ein Einhorn rumsteht. Es ist ein Sternbild, das man auch von Mitteleuropa aus sehen kann. Aber sonderlich auffällig ist es nicht, und da es sich in unmittelbarer Nachbarschaft des viel markanteren Sternbilds Orion und des Sirius, dem hellsten Stern am Nachthimmel befindet, wird es gerne übersehen.
Und auf den ersten Blick gibt es da auch nicht so viel zu sehen. Keiner der Sterne in dieser Region des Himmels ist wirklich hell. Man kann viele Sterne im Einhorn zwar mit bloßem Auge sehen, aber es handelt sich um schwach leuchtende Sterne, die leicht in der künstlichen Aufhellung des Nachthimmels verschwinden. Dabei sollte man das Einhorn nicht unterschätzen. Es ist voll mit faszinierenden Objekten, die sich aber erst dann zeigen, wenn man mit ausreichend starken Teleskopen und viel Nachdenken über das Beobachtete dort hin schaut.
Schauen wir aber zuerst, wie immer bei den Sternbildern, kurz auf die Geschichte. Obwohl es ein Sternbild ist, das auch von der nördlichen Halbkugel aus sichtbar ist, gehört es nicht zu den 48 klassischen Bildern der Antike. Das erste Mal gesichert kennen wir das Einhorn von einem Himmelsglobus des niederländischen Kartografen Petrus Plancius. Im Jahr 1612 hat er darauf die damals bekannten Sternbilder eingezeichnet und dazu noch acht neue, mit dabei das "Monoceros Unicornis", also das Einhorn. Andere haben dieses Motiv dann in spätere Sternkarten übertragen und es hat so bis zur endgültigen Festlegung der heute 88 offiziellen Sternbilder überlebt. Im Gegensatz zu den Sternbildern der Antike gibt es aber keine spannenden mythologischen Geschichten darüber zu erzählen. Wenn überhaupt, dann ist es als christliches Symbol gedeutet, da es ein paar Mal in der Bibel erwähnt wird (auch wenn man heute eher der Meinung ist, dass es sich dabei um Übersetzungsfehler handelt und eigentlich Büffel gemeint waren).
Auch die Sterne im Einhorn sind nicht das, was diese Gegend des Himmels so faszinierend macht. Der hellste Stern heißt Lukida, ist circa 140 Lichtjahre von der Erde entfernt, ist 10 mal so groß und doppelt so schwer wie die Sonne und ansonsten nicht weiter auffällig. Das gilt auch für die meisten anderen helleren Sterne dort.
Sehr viel eindrucksvoller, auf jeden Fall was das Aussehen angeht, ist das, was recht poetisch der "Rosettennebel" genannt wird. Es handelt sich dabei um einen offenen Sternhaufen, also eine lose Gruppe von Sternen, der in einen Emissionsnebel eingebettet ist, also eine riesige interstellare Wolke aus Gas und Staub, die - angeregt durch das Licht der Sterne - in allen möglichen Farben leuchtet. Der Nebel ist über 5000 Lichtjahre weit entfernt und hat einen Durchmesser von 65 Lichtjahren. In seinem Zentrum befindet sich eine Region, in der gerade Sterne entstehen und schon ein paar tausend junge und heiße Sterne entstanden sind. Ihre Strahlung bringt den Nebel zum Leuchten und sorgt für sein eindrucksvolles Aussehen.
Mindestens genau so beeindruckend ist V838 Monocerotis. Dieses Objekt befindet sich 20.000 Lichtjahre entfernt und wir wissen überhaupt erst seit Januar 2002, dass es da etwas zu sehen gibt. Damals ist in dieser Region des Himmels plötzlich ein sehr helles Objekt aufgetaucht, das aber gleich wieder schwächer wurde. Im Februar gab es dann den nächsten Helligkeitsausbruch und den hat auch das Hubble-Weltraumteleskop beobachtet. Mit diesen und den danach gewonnen Daten wissen wir heute, dass es sich bei V838 Monocerotis um einen Stern handelt, dessen Helligkeit in wenigen Tagen um das zehntausendfache stärker geworden ist. Für kurze Zeit war er das hellste Objekt in der ganzen Milchstraße. Es handelt sich um den selten Fall einer Leuchtkräftigen Roten Nova. Das sind Ereignisse, die nicht ganz so hell leuchten wie eine Supernova, also das höchst explosive Ende eines großen Sterns, aber doch heller sind, als die normalen Helligkeitsausbrüche, die manche Sterne zeigen. Bei V838 Monocerotis handelt es sich um einen Mergerburst, also um die Verschmelzung zweier Sterne, die zuvor ein Doppelsternsystem gebildet haben. Sie müssen sich schon von Anfang an ziemlich nahe gewesen sein. Ein Stern hat sich dann gegen Ende seines Lebens weit ausgedehnt, so weit, dass er den zweiten Stern regelrecht eingehüllt hat. Die Reibung zwischen den Atmosphärenschichten und dem zweiten Stern hat diesen abgebremst, bis es dann zur Kollision kommt.
Wirklich spannend ist aber ein Objekt, von dem wir bis zum Jahr 2009 nichts gewusst haben. Circa 490 Lichtjahre von der Erde entfernt befindet sich im Sternbild Einhorn ein Stern, der ein wenig kühler als unsere Sonne, ihr aber sonst vergleichsweise ähnlich ist. Bis dahin war er nur ein Eintrag in einem Sternkatalog unter hunderttausend anderen Einträgen. Im Jahr 2006 wurde dann aber das europäische Weltraumteleskop CoRoT gestartet. Die Abkürzung steht für Convection, Rotation et Transits planétaires, beziehungsweise Konvektion, Rotation und planetare Transits. Es sollte Sterne beobachten, um die Vorgänge in ihrer Atmosphäre zu analysieren und es sollte nach Planeten suchen, die diese Sterne umkreisen. Dabei hat es den Himmel nicht wahllos abgesucht, sondern sich auf zwei eng begrenzte Bereiche konzentriert. Eine war im Sternbild Schlange und eine im Sternbild Einhorn. Und genau dort ist CoRoT dann auch fündig geworden. Beim vorhin erwähnten Stern, der heute die Bezeichnung CoRoT-7 trägt, hat das Teleskop einen Planeten gefunden.
Damals hat man solche Exoplaneten vor allem mit einer Methode entdeckt, bei der man nur ihre Masse, aber nicht auch gleichzeitig ihre Größe bestimmten konnte. Und die Masse konnte man auch nur näherungsweise messen. Bei CoRoT war es umgekehrt: Hier hat man die Planeten gesucht, in dem man auf das Licht des Sterns geschaut hat. Wenn es in periodischen Abständen schwächer wird, ist das ein Anzeichen dafür, dass von uns aus gesehen ein Planet vor ihm vorüber zieht. Aus der Stärke des Lichtabfalls kann man die Größe des Planeten berechnen, aber man kennt seine Masse nicht. Aber, und das ist der Vorteil dieser Methode, wenn man weiß dass das ein Planet, kann man von der Erde aus mit Teleskopen hinschauen und mit der anderen Methode die Masse bestimmen und in diesem Fall nicht näherungsweise, sondern genau.
Beim Planeten von CoRoT 7 hat man so herausgefunden, dass er 1,7 mal größer als die Erde ist und 4,8 mal schwerer als unser Planet. Und das war revolutionär. Denn aus Größe und Masse kann man natürlich sofort die mittlere Dichte des Materials berechnen, aus dem der Planet besteht. Und dieser Planet musste definitiv ein fester Himmelskörper sein, mit einer festen Oberfläche, so wie die Erde. Und so einen Planeten hatte man bis zum damaligen Zeitpunkt noch nicht entdeckt. In den frühen Jahren der Planetensuche waren die Methoden nicht gut genug, um kleine, leichte Planeten zu finden. Alles was wir gefunden haben, war große Gasplaneten, wie Jupiter, Saturn, Uranus oder Neptun. Wir haben zwar sehr stark vermutet, dass es da draußen natürlich auch Planeten geben muss, wie die Erde, den Mars oder die Venus, also felsige Himmelskörper mit fester Oberfläche. Aber erst der Planet, der jetzt die Bezeichnung CoRoT-7b trägt, war der Beweis dafür, dass sie tatsächlich existieren.
Der Erde ähnlich ist CoRoT-7b aber nicht. Er ist seinen Stern sehr nahe und die Temperatur auf seiner Oberfläche beträgt circa 1000 Grad Celsius. Das ist so heiß, dass seine Atmosphäre aus Elementen besteht, die hier auf der Erde nur in fester Form vorkommen. Dort aber sind so quasi verdampft und deswegen gibt es dort eine Atmosphäre, in der unter anderem auch Magnesium, Aluminium, Kalzium oder Eisen gasförmig vorhanden sind. Gelangen diese Gase hoch hinauf in die Atmosphäre, wo es dann kühler wird, können sie kondensieren, so wie das Wasser in der Atmosphäre der Erde. Bei uns entsteht dann Eis, das in Form von Schnee oder Hagel zu Boden fällt. Dort bildet sich "Schnee" in Form von Eisen und Aluminium, in Verbindung mit den anderen Gasen, die es dort gibt. Oder anders gesagt: Dort regnet es Brocken aus Gestein und Metall.
CoRoT-7b ist eine Welt wie aus einem Fantasy-Film. Und im Sternbild Einhorn mehr als passend aufgehoben.