

Klinisch Relevant Podcast
Dr. med. Kai Gruhn, Dr. med. Dietrich Sturm, Prof. Markus Wübbeler
Klinisch Relevant ist Dein Wissenspartner für das Gesundheitswesen. In unserem Podcast liefern wir Dir 3x/Woche, nämlich dienstags, donnerstags und samstags, Fachwissen in Deinen klinischen Alltag. Damit wollen wir die interdisziplinäre und interprofessionelle Zusammenarbeit in der Medizin und damit die Qualität der Patient*innenversorgung verbessern.
Du arbeitest in einem medizinischen Fachberuf oder interessierst Dich für medizinische Themen? Dann bist Du hier genau richtig.
Mehr Informationen unter https://klinisch-relevant.de
Klinisch Relevant
Intelligence for healthcare professionals
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Mentioned books

Feb 16, 2021 • 31min
Digitalisierung der Medizin: Bedeutung für Ärzte und Patienten - mit Prof. Dr. Matusiewicz
Wie die Corona-Krise die Digitalisierung in der Medizin massiv beschleunigt hat, wo das deutsche Gesundheitssystem diesbezüglich herkommt und wohin wir steuern..
Digitalisierung der Medizin
Prof. Dr. David Matusiewicz ist Dekan der FOM, einer privaten deutschen Hochschule und Professor für Medizinmanagement. Gleichzeitig ist er Experte im Bereich der Digitalisierungsvorgänge in der Medizin und sehr aktiv in den sozialen Medien und hat Einblicke in viele Start-Up Unternehmen aus diesem Feld.
Viele Gründe für uns Prof. Matusiewicz für ein Interview für den Klinisch Relevant Podcast zu gewinnen.
In diesem Podcast sprechen wir über folgende Themen:
Aktuelle Herausforderungen in der Medizin
Folgen der Digitalisierung für Behandler und Patienten: wie kann man alle Beteiligten bei dem Entwicklungsprozess mitnehmen
Chancen und Risiken der Digitalisierung
Ökonomische Aspekte der Digitalisierung, z.B. im Hinblick auf die immer stärkere Personalisierung von Therapien
Welche Lehren können wir aus der aktuellen Corona-Pandemie ziehen?
Wie steht Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern im Hinblick auf die Digitalisierung da?
Wie wird sich in Zukunft das Verhältnis zwischen Arzt und Patient ändern.
Weitere Informationen zur Person von Prof. Matusiewicz finden sich auf seiner Website:
www.david-matusiewicz.com
Viel Spaß beim Hören!

Feb 12, 2021 • 36min
Das weite Feld der Logopädie: Was wird wie therapiert? - mit Britta Münzer * Logopädie
Ab sofort vervollständigen wir unser Podcast-Fortbildungsangebot um regelmäßige Inhalte aus dem Bereich der Logopädie!
Logopädie
Herzlich Willkommen zu einer neuen Podcastfolge von Klinisch Relevant zum Thema Logopädie. Wir sprechen heute mit Frau Britta Münzer, die als Diplom- Sprachheiltherapeutin sehr viel Expertise auf diesem Gebiet mitbringt, über die verschiedenen Möglichkeiten der Ausbildung zum Sprachtherapeuten. Außerdem bekommen wir interessante Informationen zur Niederlassung bzw. Praxisgründung, zu verschiedenen Störungsbildern in der Logopädie und zur therapeutischen Herangehensweise bei Kindern.
Viel Spaß und viele neue Erkenntnisse wünscht euch das Team von Klinisch Relevant!
Welche Voraussetzungen müssen für die Niederlassung bzw. Praxisgründung erfüllt werden?
Fachliche Kompetenz: In Form einer staatlich anerkannten, schulischen Ausbildung oder eines Studiums, das zur Sprachtherapie befähigt.
Vorgaben: Es gibt gewisse Vorgaben z.B. bezüglich der Raumgröße und Ausstattung
Wie kann man sich zum Sprachtherapeuten ausbilden lassen?
Schulische Ausbildung (staatlich anerkannt): 3 Jahre, mit Abitur oder mittlerer Reife (bzw. gleichwertige Abschlüsse)
Duale Ausbildung (Bachelor): Kombination der schulischen und universitären Ausbildung
Universitäre Ausbildung: Der ehemalige Diplomstudiengang in Köln wurde nun zum Bachelorstudiengang. In weiteren Städten (München, Hamburg, Hannover usw.) sind äquivalente Studiengänge vorhanden, die einen zur Sprachtherapie befähigen.
**Wie unterscheiden sich Linguisten von den genannten Ausbildungen/Studiengängen? **
Der Schwerpunkt liegt bei klinischen Linguisten auf der Sprachwissenschaft
Sprachtherapeuten lernen häufig eine Kombination von Themen aus der Medizin, Psychologie, Pädagogik, Linguistik und Soziologie
Klinische Linguisten können ebenfalls als Sprachtherapeuten tätig sein
**Welche Ausbildung ist am häufigsten vertreten? Gibt es einen Trend hin zur Akademisierung der Ausbildung? **
Am häufigsten sind die Logopäden mit der schulischen Ausbildung vertreten.
Eine zunehmende Akademisierung ist definitiv zu beobachten. Mit der Akademisierung würde sich in Deutschland allmählich etwas durchsetzen, was in anderen europäischen Ländern bereits Standard ist.
Schwerpunkte, die in der Logopädie behandelt werden:
Sprachstörungen
Sprechstörungen
Schluckstörungen
Stimmstörungen
Lese- und Schreibstörungen
Im Alltag, insbesondere im niedergelassenen Bereich, sind für die Patientenversorgung die Therapeuten hinsichtlich der Therapiebereiche breit aufgestellt. Es gibt allerdings die zunehmende Tendenz hin zur Spezialisierung in bestimmten Bereichen der Logopädie. Insbesondere in Fortbildungen wird zunehmend ein bestimmter Schwerpunkt behandelt.
**Welche Störungsbilder sind typisch? **
Kinder:
Machen einen großen Anteil der Patienten aus, da die Sprachentwicklung in jungen Jahren stattfindet.
Vorschulalter
Verzögerungen oder Auffälligkeiten in der Sprachentwicklung
o Laute werden nicht erlernt und durch andere ersetzt z.B. „T“ statt „K“
o Es können mehrere Laute betroffen sein, die dann zu Defiziten in der Grammatik führen können
o Häufige Kombination mit einem kleinen Wortschatz
o Es ist nicht nur die Sprachproduktion betroffen, sondern auch das Verständnis der gehörten Sprache
Erwachsene:
Meist neurologische Symptomatik nach Schlaganfällen
o Beeinträchtigte Motorik
o Zentrale Sprachstörungen: z.B. Verständnisstörungen und Wortfindungsstörungen,
Degenerative Erkrankungen:
o Parkinson
o ALS
o Chorea Huntington
Die Zahl der Patienten, die wegen einer Demenz logopädisch behandelt werden, hat in den letzten Jahren zugenommen
Heiserkeit
Gibt es Geräte, die im Rahmen der Therapie genutzt werden?
Training der Zunge mit Widerständen (z.B. nach Schlaganfall)
Reize die gesetzt werden, um beispielsweise die Lage der Zunge besser wahrzunehmen
Inwieweit wird FEES (Flexible Endoskopische Evaluation des Schluckens) in der Logopädie genutzt?
Ist noch kein Standard in der Diagnostik der Schluckstörung
Insbesondere in den Einrichtungen (z.B. Seniorenheimen) wird es nicht umgesetzt
Häufig eine teilstationäre Aufnahme notwendig
Patienten müssen einigermaßen mobil sein oder stationär aufgenommen werden
Wird von den Ärzten zurückhaltend verschrieben

Feb 9, 2021 • 34min
Manuelle Therapie, Osteopathie und Chiropraktik integriert in die „Schulmedizin“ - mit Dr. Matthias Meier
Behandlungsmethoden mit Hilfe der Manuellen Therapie, Osteopathie, Chirotherapie und Chiropraktik
Dr. Matthias Meier ist Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, sowie Facharzt für Rehabilitative Medizin.
Nach seinem Studium der Humanmedizin in Mainz und einem Forschungsjahr in New York, arbeitete Matthias zunächst in der Unfallchirurgie der Uniklinik Köln, danach in Basel, in Villingen-Schwenningen und zuletzt als leitender Oberarzt in einer Reha-Klinik in Ulm. Dort hat er begonnen sich intensiv mit manueller Therapie, Osteopathie, Chirotherapie und Chiropraktik auseinanderzusetzen. Seine positiven Erfahrungen mit diesen Themengebieten haben dazu geführt, dass er sich vor ca. 1,5 Jahren in einer Privatpraxis in Ulm mit diesen Schwerpunkten niedergelassen hat.
Hier behandelt Matthias überwiegend Patienten mit Rückenschmerzen und Arthrose; darüber hinaus aber auch mit Symptomen wie Schwindel, Sehstörungen, Kopfschmerzen, Herzrhythmusstörungen und Parkinson.
Dabei versucht er einen anderen Blickwinkel auf die Symptomatik zu werfen.
Kern des Therapiekonzeptes ist es, sich die Nervenstrukturen, die zum Beispiel eine schmerzende Körperpartie versorgen, vor Augen zu führen und im Bereich der Wirbelsäule nach Fehlstellungen zu suchen, die mit diesen Nervenstrukturen im Zusammenhang stehen. Diese Fehlstellungen werden dann nach den Prinzipien der Osteopathie, der manuellen Medizin oder der Chiropraktik behandelt, damit es zu einer "Besserung" der Nervenimpulse und somit der Symptome kommen kann.
Der 1. Teil der Behandlung umfasst eine "Symmetrisierung" des Bewegungsapparates, soweit dies möglich ist. Matthias behandelt dabei den Kopf, die HWS, BWS, LWS und das Becken und versucht zudem muskuläre Spannungen zu lösen. Im Anschluss wird die Beinlänge im Sitzen und im Liegen gemessen.
Teil der Diagnostik ist auch ein sog. "Scan" des vegetativen Nervensystems. Hier wird z.B. die Herzfrequenzvarianzanalyse durchgeführt.
Mehr zu der Arbeit von Matthias findest Du hier:
www.impulse-hm-medizin.de
Facebook und YouTube: Impulse- Health Management
Instagram: impulse_hm
Das Buch „Der Mensch: Zu schlau zum Überleben“ von Matthias kannst Du hier beim Verlag bestellen:
https://www.novumverlag.com/onlineshop/ratgeber-sachbuch/alltag-lebensfuehrung/der-mensch-zu-schlau-zum-ueberleben.html

Feb 4, 2021 • 42min
Sexuelle Übergriffe im Pflegeberuf - Prof. Markus Wübbeler * Pflegewissenschaft
Wie verhältst Du Dich richtig, wenn ein Patient oder eine Patientin Dich unangemessen behandelt?
Sexuelle Belästigung im Pflegeberuf
Der Klinisch Relevant Podcast liefert Ärztinnen und Ärzten, sowie Angehörigen der Pflege- und
Therapieberufe kostenlose und unabhängige medizinische Fortbildungsinhalte, die Du jederzeit und
überall anhören kannst und die für Dich von ärztlichen und pflegerischen Kollegen konzipiert werden.
Im heutigen Beitrag geht es um das Thema der sexuellen Übergriffe im Berufsbild der Pflege - Arten,
Einflussfaktoren und Praxistipps zur Vermeidung, sowie der Umgang im Team.
Die Schwester Der Pfleger: Sexuelle Übergriffe und Belästigungen „Stopp! Ich möchte das nicht!"
Unerwünschte Annäherungsversuche sind in der Pflege häufig. Sie können zu Scham, Angst und Depressionen führen. Aber: Wie verhalte ich mich richtig, wenn ein Patient oder eine Patientin sich
mir in unangemessener Form nähert? Und welche Rolle spielt das Team?
Link: https://www.bibliomed-pflege.de/sp/artikel/24000-stopp-ich-moechte-das-nicht
Report zur sexuellen Belästigung unter Ärzten, Pflegepersonal und Patienten: Was passiert in Kliniken und Sprechzimmern?
In den vergangenen drei Jahren haben fast 15 Prozent der Ärztinnen und Ärzte einer Umfrage zufolge sexuelle Übergriffe am Arbeitsplatz beobachtet. Sieben Prozent der Mediziner seien selbst von
Kollegen belästigt worden, heißt es in einem heute veröffentlichten Medscape-Report zum Thema
„Sexuelle Belästigung unter Ärzten, Pflegepersonal und Patienten“.
Link:
https://deutsch.medscape.com/diashow/49000691#1
Schwester, verstehen Sie keinen „Spaß“?
Sexuelle Übergriffe von Patienten - Eine scheinbar beiläufige Berührung während der Körperpflege,
ein anzüglicher Spruch, ungeniertes Anstarren – die meisten Pflegekräfte kennen das und stecken es
nur zu oft weg. Sexuelle Belästigung ist ein Thema, auf das Auszubildende noch immer unzureichend
vorbereitet werden. Und später im pflegerischen Alltag wird es immer schwieriger, ein Tabu zu
brechen.
Link:
https://link.springer.com/article/10.1007/s00058-010-1162-1
Sexualstrafrecht in Medizin und Pflege - Grundlagen für die Pflegeausbildung
Dieses Buch liefert eine Orientierungshilfe zum Thema Sexualstrafrecht für Menschen in
Pflegeberufen in der Aus-, Fort- und Weiterbildung. Der Autor liefert eine kompakte Übersicht über
Erkenntnismerkmale, Definitionen und Beispiele sowie Verhaltensweisen im Umgang mit Opfern
(sexueller) Gewalt. Der Autor erläutert wesentliche Aspekte des Sexualstrafrechts in Deutschland und
bereitet diese als Praxistipps für Menschen in Pflegeberufen auf.
https://www.springer.com/de/book/9783658189686

Feb 2, 2021 • 34min
Pharmakotherapie bei geriatrischen Patienten - mit Prof. Sebastian Baum
Warum bei geriatrischen Patienten im Hinblick auf die Pharmakotherapie besondere Vorsicht geboten ist!
Polypharmazie bei geriatrischen Patienten
In unserer heutigen Klinisch Relevant Podcastfolge sprechen wir mit Prof. Sebastian Baum über die Pharmakotherapie bei geriatrischen Patienten. Prof. Baum gibt uns hierbei einen Einblick in die Arbeit eines Stationsapothekers und erklärt uns, warum die medikamentöse Therapie von multimorbiden Patienten so anspruchsvoll ist. Er nennt häufig vorkommende Fehler in Medikationsplänen, gibt Tipps zu verschiedenen Medikamenten und nennt mögliche Entscheidungshilfen für den klinischen oder ambulanten Alltag.
Warum muss insbesondere bei geriatrischen Patienten auf eine korrekte Medikation geachtet werden?
Ab 75 spricht man von „älteren“ Patienten
Das chronologische Alter ist nicht ausschlaggebend, um einen Patienten als geriatrisch zu kategorisieren. Es hängt viel mehr vom Status eines Patienten, also einer geriatrietypischen Multimorbidität oder Frailty (Gebrechlichkeit), ab, ob diese als geriatrische Patienten gelten. Multimorbide, gebrechliche und polypharmazierte Patienten sind entsprechend anfälliger für Komplikationen oder einer Verschlechterung des körperlichen Zustandes. Die Lebenserwartung ist dadurch verringert.
Es muss in Abhängigkeit vom Zustand des geriatrischen Patienten ein Therapieziel definiert werden, wobei die maximal mögliche Verlängerung der Lebenserwartung nicht im Vordergrund steht.
„Surprise Question“: Wären Sie überrascht, wenn Ihr Patient innerhalb der nächsten 6-12 Monate versterben würde?
Surprise Question stellen und Therapieziele definieren.
Es wird insbesondere Wert auf die Erhaltung des Selbsthilfestatus und der Lebensqualität gelegt.
Je multimorbider der Patient ist, desto schwieriger ist es jedes seiner Leiden mit einer leitliniengerechten Therapie zu behandeln. Dies liegt sowohl an den Dosierungen und Nebenwirkungen als auch an den potenziellen Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. Jedes Leiden leitliniengerecht zu behandeln würde das Ziel, so wenig Medikamente wie möglich zu nutzen, unmöglich machen. Daher erfolgt die Priorisierung der Medikamente.
Es muss für jeden Patienten individuell geprüft werden, ob eine potenziell inadäquate Medikation (PIM) vorliegt.
Wie gehen Sie im Rahmen Ihrer praktischen Arbeit vor?
Mit Assistenzärzten macht es durchaus Sinn sich einzelne Kurven vorzunehmen und die Pharmakologie ausführlich zu besprechen.
Im Rahmen von Chef- oder Oberarztvisiten wird dann gemeinsam, in Abhängigkeit vom Therapieziel, die Medikation unmittelbar beim Patienten angepasst.
Welche Fehler sind auf den Medikamentenplänen häufig vorzufinden?
Mögliche Wechselwirkungen machen zwar einen großen Teil aus, sind aber nicht die häufigsten Fehler.
Der Hauptarbeitsschwerpunkt liegt auf der Anpassung von Dosierungen. Insbesondere während oder nach eines akuten Nierenversagens müssen die entsprechenden Dosierungen angepasst werden. Hier gilt es Intoxikationen bei Nierenversagen bzw. eine Unterdosierung nach akutem Nierenversagen zu vermeiden. Dies gilt häufig für die oralen Antikoagulanzien oder Antidiabetika (Metformin, DPP-4-Hemmer, Glifozine).
Ein angepasstes Arzneimittelportfolio ermöglicht es die Medikamente mit den wenigsten Wechselwirkungen parat zu haben.
Der GFR-Wert muss immer wöchentlich bestimmt und bei den Medikamenten dokumentiert werden, um die Dosierungen entsprechend der Nierenfunktion anpassen zu können. Allein diese Maßnahme erhöht die Arzneimitteltherapiesicherheit deutlich.
Kontraindikationen müssen geprüft werden.
Was verstehen Sie unter einem "guten" bzw. "schlechten" Betablocker?
Es stehen verschiedene Betablocker zur Verfügung und man muss sich überlegen, welche in dem konkreten Fall besser geeignet sind.
Beispiel: Atenolol
o Wird zu 100% renal eliminiert und daher häufig ungünstig bei geriatrischen Patienten.
o Bei einer Verschlechterung der Nierenfunktion würde es zu Nebenwirkungen (z.B. Bradykardien) von Atenolol kommen.
o Wirkt etwas anticholinerg. Diese Wirkung ist jedoch unerwünscht. Daher werden geriatrische Patienten, die Atenolol bekommen, umgestellt auf Bisprolol.
Vorteile von Bisoprolol:
o Keine anticholinerge Potenz
o Kleine Tabletten
o Können gemörsert werden
o Können geteilt werden
o Kein CYP-Enzym Induktor
Metoprolol:
o Anticholinerge Potenz
o CYP-Enzym Interaktionen
o Große Tablette
o Nicht mörserbar
Welche weiteren Organsysteme spielen eine Rolle?
Im Alter muss, wie bereits erwähnt, die Nierenfunktion anhand der Nierenwerte geprüft werden.
Die Leberfunktion ist im hohen Alter ebenfalls häufig eingeschränkt. Die Einschränkung lässt sich, anders als bei der Niere, nicht anhand der Zu- oder Abnahme bestimmter Werte ableiten. Der Metabolismus ist häufig deutlich reduziert. Dies führt zur Akkumulation von Medikamenten, die über die Leber bzw. CYP-Enzyme verstoffwechselt werden.
Man muss daran denken, dass daraus eine Akkumulation mit verlängerter Wirkdauer (Hangover) resultieren kann.
Bei den Opioiden kann man beispielsweise Medikamente raussuchen, die weder über die Niere ausgeschieden, noch durch CYP-Enzyme verstoffwechselt werden (z.B. Hydromorphon, Tapentadol).
Der Gastrointestinaltrakt ist ein weiteres Organsystem, welches z.B. bei Parkinson-Patienten beeinträchtigt sein kann.
Die Resorption kann durch die Erkrankung oder durch die Parkinson-Medikamente beeinträchtigt sein.
Beispiel: Nachtmedikation
o Wenn Schlafmedikation in Form von niederpotenten Neuroleptika (Melperon, Pipamperon) verabreicht werden soll, müssen diese schon einige Stunden vor dem gewünschten Wirkeintritt verabreicht werden, da die Wirkung erst sehr spät einsetzt.
o 1/3 der Dosis um 17 Uhr und den Rest dann um 19 bzw. 20 Uhr geben, damit eine Wirkanflutung gegen 21/22 Uhr erfolgt.
o Gibt man die Medikation zu spät, setzt die Wirkung entsprechend später ein und hält häufig bis zum späten Vormittag an.
Bei welchen Medikamenten mit anticholinerger Wirkung muss man aufpassen?
Trizyklische Antidepressiva (Amitriptylin, Trimipramin, Doxepin): Werden noch relativ häufig verschrieben. Insgesamt ist der Einsatz jedoch deutlich zurückgegangen, was auf die Einführung von selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Inhibitoren (SSRI), selektiven Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahme-Inhibitoren (SSNRI) und Mirtazapin zurückzuführen ist.
Urologika:
o Oxybutenin
o Darifenacin
Alternativen ohne zentrale anticholinerge Wirkung: Spasmex, Trospiumchlorid
Welche Entscheidungshilfen gibt es für klinisch tätige Kollegen?
- Priscus-Liste:
o Übersichtsliste zu den PIMs
o Teilweise ungewöhnliche Therapievorschläge
o Teilweise sind Medikamente nicht aufgeführt von denen man weiß, dass sie durchaus zu Komplikationen führen können (z.B. Digitoxin).
o Liste ist über 10 Jahre alt
o Neue Antikoagulanzien usw. sind entsprechend nicht berücksichtigt
FORTA-Liste:
o 3. Version von 2019
o Geben Entscheidungshilfen
o Keine rein negative Liste
o Klassifiziert Medikamente
o Nachteil: Es wird nicht erklärt, weswegen ein Medikament eher oder weniger geeignet ist.
o Die FORTA-Liste ist frei verfügbar
Am sinnvollsten ist es, beide Listen zu verknüpfen
Der Link zur FORTA-Liste: https://www.umm.uni-heidelberg.de/klinische-pharmakologie/forschung/forta-projekt-deutsch/
Gibt es Entscheidungshilfen für die niedergelassenen Kollegen?
Im niedergelassenen Bereich ist es sehr schwierig den Überblick über alle Medikamente, die von verschiedenen Fachärzten verschrieben werden, zu behalten.
In der Regel führen Apotheken den Wechselwirkungs-Check durch. Voraussetzung ist allerdings eine vollständige Medikationsliste. Allerdings sehen sie nicht die Diagnose, die Laborwerte oder das Krankheitsbild und sind auch nicht in der Lage diese zu beurteilen.
Das Problem ist, dass nicht jede Fachrichtung den Überblick über alle Medikamente halten kann. Es fehlt eine Instanz, die Priorisierungen durchführt.
Es ist empfehlenswert, ggf. einen weiteren Kollegen oder Apotheker zu Rate zu ziehen.
Es gibt Software, die man nutzen kann, um Interaktionschecks durchzuführen.
Die Medscape App (Englisch) bietet die Möglichkeit Interaktionsschecks durchzuführen. https://itunes.apple.com/us/app/medscape/id321367289?mt=8
Disclaimer:
Bei den Podcasts von Klinisch Relevant handelt es sich um Fortbildungsinhalte für Ärzte und medizinisches Personal und keinesfalls um individuelle Therapievorschläge. Sie ersetzen also keineswegs einen Arztkontakt, wenn es um die Behandlung von Erkrankungen geht.
Dabei spiegeln die Beiträge den Kenntnisstand unserer medizinischen Partner und Experten wider, den sie nach besten Wissen und Gewissen mit Dir teilen. Häufig handelt es sich dabei auch um persönliche Erfahrungen und subjektive Meinungen.
Wir übernehmen für mögliche Nachteile oder Schäden, die aus den im Podcast gegebenen Hinweisen resultieren, keinerlei Haftung. Bei gesundheitlichen Beschwerden muss immer ein Arzt konsultiert werden!
Weitere Informationen findest Du auf unserer Website: www.klinisch-relevant.de

Jan 26, 2021 • 33min
Externe Hirnstimulation in der Neurologie - mit PD. Dr. Lars Wojtecki
Externe Hirnstimulation als ergänzende Therapieoption für Patienten mit depressiven Störungen, Morbus Parkinson, Schlaganfälle und Alzheimer Demenz
Externe Hirnstimulation
Im heutigen Podcast sprechen wir mit PD. Dr. med. Lars Wojtecki über die verschiedenen Verfahren der Hirnstimulation. Unseren Fokus legen wir auf die nichtinvasiven Stimulationsverfahren, bei denen mit Gleich- oder Wechselstrom, Magnetstimulation oder Pulswellen die Hirnaktivität beeinflusst wird. Wir erfahren unter anderem etwas zur geschichtlichen Entwicklung der Methodik, zur Wirkung auf zellulärer Ebene und dem Nutzen für die Patienten.
**Am 27.01.2021 um 19 Uhr findet eine Q+A-Session mit Lars Wojtecki auf Clubhouse statt:
https://www.joinclubhouse.com/event/ePr1E56m
Wir freuen uns Euch dort kennenzulernen!**
Was ist die Hirnstimulation und welche Formen gibt es?
Die Gehirnaktivität wird durch die Hirnstimulation moduliert.
Es gibt 2 Arten der Stimulation:
• Invasiv: Elektroden werden in das Gehirn implantiert und können dauerhaft dort verbleiben. Wird auch als Hirnschrittmacher bezeichnet.
• Nichtinvasiv: Keine Operation notwendig. Von außen soll die Hirnfunktion beeinflusst werden. Es gibt hier verschiedene Möglichkeiten der Modulation.
Beispielsweise wird mit Hilfe von Stromelektroden (Wechsel- oder Gleichstrom), die auf den Kopf geklebt werden, das Gehirn moduliert. Eine weitere Möglichkeit bieten Magnetspulen, die ein Magnetfeld erzeugen und dadurch die Hirnaktivität beeinflussen. Weitere relativ neue Methoden nutzen Ultraschall bzw. Pulswellen.
Wie ist man auf die Idee gekommen, solche Stimulationsverfahren zu nutzen?
Seit der „Entdeckung“ und Nutzung des Stroms haben Menschen dessen Einfluss auf das Gehirn und die Muskeln untersucht.
Ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden zunehmend systematischer Versuche durchgeführt.
Bei Versuchen zur Verödung bestimmter Hirnbereiche wurde festgestellt, dass sich in Abhängigkeit von der Frequenz Hirnbereiche ausschalten lassen. Unter anderem hat man im Rahmen einer Verödung am Thalamus festgestellt, dass sich der Tremor des Patienten aufgrund des Eingriffes gebessert hat.
Viel hat sich dann durch „try and error“ ergeben.
Bei der nichtinvasiven Stimulation hat man angefangen systematischer die Wirkung von Magnetfeldern und Elektroden zu untersuchen.
Was passiert im Rahmen der Hirnstimulation auf zellulärer Ebene?
Aktuell ist noch nicht vollständig geklärt, wie genau die Stimulation Einfluss auf die Gehirnaktivität nimmt.
Man geht davon aus, dass Neuronen-Cluster aktiviert und moduliert werden. Hierbei werden indirekt weitere Neuronen-Cluster moduliert, die nicht am unmittelbaren Ort der Stimulation liegen, aber durch Fasertrakte mit dem Stimulationsort in Verbindung stehen.
Bei der Magnetstimulation können Aktionspotentiale ausgelöst werden und damit die neuronale Aktivität steigern bzw. hemmen kann.
Durch die Stromstimulation von außen wird wahrscheinlich die Erregbarkeitsneigung und die Therapieempfänglichkeit (z.B. Physiotherapie) größerer Hirnareale beeinflusst.
Wo wird die nichtinvasive Hirnstimulation angewendet?
Die transkranielle Magnetstimulation (TMS) ist relativ gut untersucht (Placebokontrollierte Studien) und wird in den USA vor allem für psychiatrische Erkrankungen, beispielsweise zur Behandlung von Depressionen, genutzt. In Deutschland hat sich die Methode bislang noch nicht durchgesetzt. Sie wird außerdem im Bereich der Schmerzmedizin sowie bei Bewegungserkrankungen (Parkinson) und Demenzen (Alzheimer) eingesetzt. Die Wirksamkeit ist allerdings noch nicht so gut untersucht wie bei den psychiatrischen Erkrankungen.
Die Stromstimulation könnte in Zukunft, in Kombination mit Trainingsverfahren, eine Rolle bei der Rehabilitation von Schlaganfallpatienten spielen.
Aktuell sind verschiedene Geräte für die Verfahren zugelassen. Allerdings ist die Studienlage für die meisten Indikationen noch nicht eindeutig. Gut belegt ist eine Wirksamkeit bei der Depression.
Wie kann man sich die Anwendung der Hirnstimulation vorstellen?
Deep TMS: Helmsystem, welches die Stimulation verschiedener Hirnregionen ermöglicht. Die Parkinson Patienten haben diese Haube für 20 min auf dem Kopf und können sich darunter frei bewegen. Das Verfahren wird Patienten angeboten, die trotz der Goldstandard Therapie noch Beschwerden haben oder unter den Nebenwirkungen der Therapie leiden und für eine invasive Hirnstimulation nicht geeignet sind.
Transkranielle Pulsstimulation für Alzheimer: Das Gerät nutzt auf Ultraschall basierte Pulsstimulation mit Stosswellen. Es wird auf die entsprechenden Stellen am Kopf des Patienten aufgesetzt. Das Gerät wird in Verbindung mit MRT und Neuronavigation bedient, sodass für den Behandler ersichtlich ist, welche Bereiche bereits stimuliert wurden.
Stromstimulation: Aktuell läuft in Kooperation mit der Universität Greifswald eine Studie zur Behandlung von Schlaganfall Patienten mit Aphasie. Bei dieser Methode wird Gleichstrom über angefeuchtete Elektroden auf den Kopf des Patienten angelegt.
Werden mit dem Helmsystem (Deep TMS) bestimmte Areale des Gehirns anvisiert?
Man möchte mit dieser Methode nur bestimmte Hirnareale stimulieren. Ein Aspekt der Methode ist hierbei, dass die Wirkung tiefer in das Gehirn reicht und durch die Helmform mehrere Areale gleichzeitig stimuliert werden können. Man vermutet, dass eine gleichzeitige Stimulation beider Hirnhälften insbesondere bei Parkinson von Vorteil ist.
Welche Effekte konnte man bei Parkinson und Alzheimer beobachten?
Die beste Evidenz gibt es aktuell noch in der Psychiatrie. Hier wurde bei der Depression die Wirkung der Stimulationen ausgiebig untersucht. Beim Parkinson werden wie bei der Depression die frontalen Areale stimuliert.
In zwei Studien wurde beobachtet, dass sich bei Parkinson-Patienten neben der motorischen Komponente auch die Stimmung und die Kognition gebessert haben.
Aktuell stellt sich noch die Frage, ob sich die Ergebnisse in deutlich größer angelegten, multizentrischen und placebokontrollierten Studien reproduzieren lassen. Experten in diesem Bereich stufen die Wirksamkeit als „wahrscheinlich“ ein.
Außerdem muss untersucht werden, ob die Wirkung, die beobachtet wurde, auch längere Zeit bei den Patienten anhält und die Methode damit eine langfristige Lösung für die Beschwerden sein kann.
Bei welchen Patienten wird die Deep TMS eingesetzt?
Bei Patienten, die trotz oder wegen ihrer Medikation noch therapiebedürftige Beschwerden haben.
Beispiel: Ein Patient, dessen Beweglichkeit nur mit höheren Dosen von L-Dopa zufriedenstellend verbessert werden konnte, entwickelte unter der Therapie Kreislaufregulationsstörungen. Diese konnten medikamentös nicht gut eingestellt werden. Durch die Deep TMS verbesserte sich die Beweglichkeit des Patienten, sodass die L-Dopa Medikation reduziert werden konnte. Daraufhin besserten sich auch die Kreislaufregulationsstörungen.
Die Deep TMS wird immer als Add-on-Therapie eingesetzt.
Wie regelmäßig wird die Behandlung durchgeführt?
Es gibt verschiedene Schemata.
Ein Schema gibt beispielsweise 12 Stimulationen (3 x die Woche, 4 Wochen lang) vor. Dies bewirkt vermutlich durch Plastizitätsveränderungen im Gehirn eine länger anhaltende Wirkung. Dann wird einmal monatlich nachbehandelt, um die Wirkung aufrechtzuerhalten.
Für Patienten mit einer Depression gibt es in den USA bereits Do-it-Yourself-Devices, die eine Anwendung der Stimulationen zu Hause ermöglichen. Dies geschieht nach einer Einweisung durch den Arzt und über eine Video-Chat Anleitung bei der Nutzung.
Ist die Anwendung schmerzhaft für die Patienten?
Die Magnetstimulation ist nicht schmerzhaft für die Patienten. Sie führt allerdings zu Muskelzuckungen. Diese Muskelzuckungen nutzt man im Rahmen der Therapie, um sich bezüglich der Stimulationsstärke zu orientieren. Hierfür sucht man sich den motorischen Kortex und beobachtet, ob Muskelzuckungen auftreten. Die Stimulationsstärke wird dann entsprechend angepasst. Dies kann für den Patienten ein ungewohntes bzw. unangenehmes Gefühl darstellen.
Als Nebenwirkung kann z.B. ein Druckgefühl im Kopf entstehen. Die zu behandelnden Patienten sollten nicht an Epilepsie leiden, da einige wenige Fälle beschrieben worden sind, bei denen Anfälle aufgetreten sind.
Bei der Gleichstromstimulation kann es zu Sensationen auf der Kopfhaut kommen.
Bei der Pulswellenstimulation haben 5-10% ein Druckgefühl und einige wenige Schmerzen auf der Oberfläche des Kopfes. In solchen Fällen kann die Stimulationsstärke gesenkt oder die Behandlung abgebrochen werden.
Es sind keine irreversiblen Schäden bekannt.
Welche Entwicklungen kann man in Zukunft erwarten?
Die Closed-Loop-Stimulation könnte eine gezieltere Behandlung bieten. Bei dieser invasiven Methode wird die Hirnaktivität gemessen und auf krankhaft veränderte Aktivitäten durch gezielte Stimulationen reagiert. Aktuell sind Geräte vorhanden, die die Hirnaktivität auslesen können. Der nächste Schritt wäre die Fähigkeit, auf die Hirnaktivität automatisch reagieren zu können.
Die Hirnwellen zu lesen und im richtigen Moment zu stimulieren wird auch im Kontext der nichtinvasiven Magnetstimulation erforscht.

Jan 19, 2021 • 26min
Notfallpsychiatrie - mit Dr. Heribert Kirchner * Psychiatrie
Versorgung von psychiatrischen Notfällen in interdisziplinären Notfallambulanzen: ist das die Zukunft?
Psychiatrischer Notfall
Herzlich Willkommen zu einem neuen Podcast von Klinisch Relevant!
Heute sprechen wir mit Dr. Heribert Kirchner, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, über psychiatrische Notfälle. Wir haben für euch nachgefragt, was ein psychiatrischer Notfall überhaupt ist, welche Patienten am häufigsten betroffen sind und was man unter dem Begriff Medical Clearance versteht.
Wie definiert man den psychiatrischen Notfall?
Ein psychiatrischer Notfall liegt vor, wenn ein akutes Auftreten oder die Exazerbation einer bestehenden psychiatrischen Störung zu einer unmittelbaren Gefährdung der Gesundheit und des Lebens des Betroffenen bzw. seiner Mitmenschen führt. Daraus resultiert die Notwendigkeit einer unmittelbaren Diagnostik und Einleitung einer Therapie.
Wo ist es am wahrscheinlichsten, auf einen psychiatrischen Notfall zu treffen?
Der psychiatrische Notfall ist meistens nicht in der psychiatrischen Abteilung bzw. Klinik vorzufinden, sondern eher im Bereich der Notfallversorgung im präklinischen Setting, in den Notaufnahmen oder in der Hausarztpraxis.
Was sind häufige Krankheitsbilder, die zu einem psychiatrischen Notfall führen können?
Die häufigen Krankheitsbilder, die zu einem psychiatrischen Notfall führen sind vor allem:
Intoxikationen: Alkoholintoxikation, Mischintoxikation
Suizidalität
Erregungszustand, bedingt durch eine psychische Störung bzw. Erkrankung
Der psychiatrische Notfall scheint in den letzten zehn Jahren zugenommen zu haben. Allerdings ist zurzeit noch nicht klar, ob es sich tatsächlich um Fälle handelt, die definitionsgemäß die Kriterien eines psychiatrischen Notfalls erfüllen. In ersten Untersuchungen scheint es Hinweise dafür zu geben, dass Patienten, analog zur häufig beschriebenen Situation in internistischen Notaufnahmen, vermehrt mit nicht dringlichen Zustandsbildern vorstellig werden.
Epidemiologie
Durchschnittliches Alter der Patienten: 40 Jahre
Geschlechterverteilung: Keine großen Unterschiede.
Unterschiede gibt es hinsichtlich der Diagnosen und der Häufigkeit der Wiedervorstellung (high utilizer):
• Intoxikation: Männer > Frauen
• Häufige Wiedervorstellung: Männer > Frauen. Fast ausschließlich Männer mit bestimmten Diagnosen wie Persönlichkeitsstörungen oder alkoholassoziierten Notfallvorstellungen.
Häufigkeit der Diagnosen hängt vom Alter ab (Datenlage aktuell noch sehr dünn):
• Bei jüngeren Patienten liegt der Anteil der Frauen um ca. 20 – 25 % höher.
• Patienten > 60 J. haben ein anderes Diagnosespektrum. Die Patienten haben vor allem Hirnorganische Diagnosen wie z.B. ein Delir bzw. eine Demenz.
• Bei den jüngeren Patienten liegt, außer im Fall der Suizidalität, meist kein klassischer psychiatrischer Notfall vor, sondern eine Lebensveränderungskrise, mit der sie vorstellig werden.
Welche Faktoren spielen in der Versorgungsstruktur in Deutschland eine Rolle?
Es gibt verschiedene Faktoren, die für den Trend der zunehmenden Vorstellungen in den allgemeinen Notaufnahmen ursächlich sein können.
Pull (institutionelle Angebote) - und Push (gesellschaftliche Veränderungen) -Faktoren:
• Notaufnahme steht 24/7 zur Verfügung und bietet viele Möglichkeiten zur Diagnostik und wird daher vermehrt als erste Anlaufstelle genutzt
• Hohe Akzeptanz der Notaufnahmen bei den jüngeren Generationen
• Gesellschaftliche Änderungen: Mehrgenerationenhaus vs. Single-Haushalte. Patienten mit Lebensveränderungskrisen (Auszug aus dem Elternhaus, Berufsstart usw.) wurden früher durch ein größeres soziales Gefüge (Mehrgenerationenhaus, Großfamilie) aufgefangen. In den letzten 40-50 Jahren hat sich dies deutlich verändert. Dadurch wird vermehrt institutionelle Hilfe in Anspruch genommen.
Wie grenzt man den psychiatrischen Notfall von der psychosozialen Krise ab?
Die Lebensveränderungskrise (z.B. Ablösung vom Elternhaus, Eintritt in das Berufsleben) entsteht, wenn jemand das Gefühl hat, mit den gelernten sozialen Fertigkeiten die Krise bzw. die Situation nicht bewältigen zu können. Die Patienten haben Anpassungsstörungen mit einem depressiven Syndrom und/oder haben Angst.
Traumatische Krisen sind z.B. die Erfahrung körperlicher Gewalt oder ein Verkehrsunfall mit Toten. Es handelt sich um Situationen, die über das normale Maß einer Lebensveränderungskrise hinaus gehen. Aus dieser traumatischen Krise können posttraumatische Belastungsstörungen entstehen. Meist resultiert daraus die akute Belastungsreaktion.
Medical Clearance
Der Begriff Medical Clearance beschreibt, dass im Notfall der Patient mit psychiatrischen Symptomen solange als nicht-psychiatrisch geführt wird, bis eine organische Ursache mittels Basisdiagnostik ausgeschlossen wurde.
Klassischerweise gehört zum Begriff Medical Clearance im Kontext der Psychiatrie die Erhebung des psychopathologischen Befundes, die Verhaltensbeobachtung, Laborbasisdiagnostik, EKG, körperliche Untersuchung und die Erhebung des neurologischen Status. Sollte die Basisdiagnostik nicht zu den gewünschten Ergebnissen führen, kann die apparative Diagnostik (z.B. kranielle Bildgebung) hinzugezogen werden.
Was sind die wichtigsten bzw. häufigsten psychiatrischen Notfälle?
Suizidalität: Versuch, Planung
Hochgradige Erregungszustand im Rahmen einer psychischen Erkrankung
Schwere Intoxikation: Schnittstelle zwischen der somatischen und psychiatrischen Versorgung
Delir
Alkoholentzugsdelir
Aggressivität und Gewalttätigkeit im Rahmen von psychischen Erkrankungen
Der psychiatrische Notfall offenbart beispielsweise bei einem Patienten, der aufgrund eines suizidalen Syndroms in Behandlung ist, dass die Suizidalität sich als Akutphase einer psychiatrischen Erkrankung (z.B. Depression) äußert.
Daher ist wichtig daran zu denken, dass unter einem Notfall-Syndrom häufig nur die Akutphase einer psychiatrischen Erkrankung liegt.
Wie häufig sind psychiatrische Notfälle?
Es wird geschätzt, dass Notärzte jährlich 500.000-mal allein aufgrund eines psychiatrischen Notfalls ausrücken müssen. Diese stellen die dritt- oder vierthäufigste Indikation für einen Notarzteinsatz dar.
In der Notaufnahme werden jährlich schätzungsweise 1,5 Millionen psychiatrische Notfälle, bei insgesamt ca. 20 Millionen Fällen in den Notaufnahmen, behandelt.
Die psychiatrischen Notfälle machen 5 – 10 % aller Behandlungen aus.
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Jan 14, 2021 • 30min
Kompressionstherapie der Extremitäten - mit Prof. Markus Wübbeler * Pflegewissenschaft
Alles zum Thema medizinische Kompressionstherapie: Arten, Einflussfaktoren und Praxistipps zur korrekten Anwendung
Kompressionstherapie der Extremitäten
Der Klinisch Relevant Podcast liefert Ärztinnen und Ärzten, sowie Angehörigen der Pflegeberufe kostenlose und unabhängige medizinische Fortbildungsinhalte, die Du jederzeit und überall anhören kannst und die für Dich von ärztlichen und pflegerischen Kollegen konzipiert werden. Im heutigen Beitrag geht es um das Thema Kompressionstherapie, Indikationen, Arten, Einflussfaktoren und Praxistipps zur korrekten Anwendung.
Leitlinie: Medizinische Kompressionstherapie der Extremitäten mit Medizinischem Kompressions-strumpf (MKS), Phlebologischem Kompressionsverband (PKV) und Medizinischen adaptiven Kompressionssystemen (MAK)
Die vorliegende Leitlinie fasst die relevanten Aspekte zur Anwendung der Kompressionstherapie mit Medizinischen Kompressionsstrümpfen (MKS), Phlebologischen Kompressionsverbänden (PKV) und Medizinischen adaptiven Kompressionssystemen (MAK) nach einer ausgedehnten Literaturrecherche auf dem Boden wissenschaftlicher Erkenntnisse mit Stand bis Dezember 2018 zusammen.
Link:
https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/037-005l_S3k_Medizinische-Kompressionstherapie-MKS-PKV_2019-05.pdf
Phlebology.de - Deutsche Gesellschaft für Phlebologie
Das Prinzip der Kompressionstherapie besteht darin, von außen kontrolliert Druck auf das Gewebe und das darin liegende Venensystem auszuüben. Dadurch wird der Durchmesser der Venen verringert. Das wirkt sich dann über mehrere Mechanismen positiv auf die bei fast allen phlebologischen Krankheitsbildern beeinträchtigte Blutzirkulation aus. Die Inter-netressourcen der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie e.V. (DGP) liefern einen erweiterten Überblick zum Thema.
Link:
https://www.phlebology.de/
Lehrbuch der Entstauungstherapie: Manuelle Lymphdrainage, Kompressionstherapie, Muskel- und Gelenkpumpeffekte und andere Verfahren
Das Fachgebiet der Lymphologie ist interdisziplinär, vielseitig, komplex, natürlich praxisrelevant und patientenorientiert. Das Lehrbuch beschreibt die klassischen Grundlagen von Ödemen, diskutiert Behandlungskonzepte der mit Ödemen verbundenen Krankheitsbilder und deren praktische Umsetzung.
Quelle: Bringezu, G., & Schreiner, O. (2020). Lehrbuch der Entstauungstherapie: Manuelle Lymph-drainage, Kompressionstherapie, Muskel- und Gelenkpumpeffekte und andere Verfahren (5th ed. 2020.). Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg.

Jan 12, 2021 • 38min
Medikamentöse Migräne-Prophylaxe: How to...?! - mit Cem Thunstedt * Neurologie
Welches Medikamente stehen Dir zur Migräne-Prophylaxe zur Verfügung? Welche Vor- und Nachteile bieten diese?
Medikamentöse Migräne Prophylaxe - mit Cem Thunstedt
Herzlich Willkommen zu einer neuen Podcastfolge von Klinisch Relevant!
Heute sprechen wir mit Cem Thunstedt über die verschiedenen Möglichkeiten der Migräneprophylaxe.
Wir fragen für euch: Welche Medikamente stehen uns zur Verfügung? Wie und wann erfolgt die Behandlung mit Botulinumtoxin? Welche Therapien sind vielversprechend und welche stehen in der Pipeline? Die spannenden Antworten zu diesen und weiteren Fragen gibt es für euch im Podcast!
First line Medikamente:
Betablocker (Metoprolol, Propanolol)
Topiramat (Antikonvulsivum, Antiepileptikum)
Amitriptylin (Trizyklisches Antidepressivum)
Flunarizin (Calciumkanalblocker)
Senken die Anzahl der Migräneattacken und reduzieren die Schmerzen.
Die Wahl der Prophylaxe hängt unter anderem von Begleiterkrankungen ab: Patienten mit einer Depression oder Angststörung könnten primär von Amitriptylin profitieren. Hier würde man Topiramat oder Flunarizin nicht einsetzen. Betablocker wären in diesem Fall, nach Amitriptylin, die 2. Wahl.
Metoprolol (100 mg, Retardpräparat):
• Wird langsam über mehrere Wochen aufdosiert.
• Kontraindikationen: Bradykarde Herzrhythmusstörungen, Herzinsuffuzienz, Asthma, COPD, Diabetes, Psoriasis?
• Nebenwirkungen (NW): Schwindel, Unwohlsein, Benommenheitsgefühl, Schlafstörungen
Flunarizin:
• Bewegungsstörungen und Depressionen können ausgelöst bzw. verstärkt werden
• Abends: 5mg initial und dann auf 10mg steigern
• NW: Unwohlsein, Benommenheit
Topiramat:
• Kann Depressionen deutlich verstärken
• Deutliche Gewichtsabnahme möglich
• Schwindel
• Übelkeit
• Sehstörungen (Vorsicht bei Engwinkelglaukom)
• Kontrazeption sollte erfolgen
Amitriptylin:
• Gewichtszunahme möglich
• Harnretention; Vorsichtige Gabe bei Prostatahyperplasie
• Bradykarde Herzrhythmusstörungen
• Kalium im Verlauf kontrollieren
Die first line Medikamente sind ähnlich von der Wirksamkeit. Hinsichtlich des Nebenwirkungsprofils ist die Gabe von Metoprolol oder Amitriptylin zu bevorzugen.
Indikation für eine Prophylaxe
3-4 Migräneattacken pro Monat
Kompliziert verlaufende Auren z.B. Hemiplegische Migräne,
Anhaltende Auren
Migränöser Infarkt
Ungenügendes Ansprechen der Akuttherapie
Wunsch des Patienten
Definition: Chronische Migräne
> 15 Migräneattacken/Monat über einen Zeitraum von drei Monaten
Von den 15 Attacken sollten mindestens 8 migräneartig sein. Von den 15 Migräneattacken sind nicht alle gleich intensiv.
Wann und wie wird mit Botulinumtoxin A (Botox) behandelt?
Zugelassen für die chronische Migräne seit 2011
Versagen von 2-3 oralen, klassischen Prophylaktika
• Unwirksamkeit in therapeutischer Dosis nach 12-wöchiger Behandlungsdauer
• Unverträglich
• Kontraindikationen für andere Prophylaktika
Gute Evidenz zur Prophylaxe der chronischen Migräne in Kombination mit Topiramat
Botox-Injektionsschema:
• Injektionen an 31 Punkten (M. frontalis, M. corrugator, M. procerus, M. temporalis, M. occipitalis, Zervikale und paravertebrale Muskulatur, M. trapezius)
• 155 oder 195 Einheiten
Botox wird vermutlich retrograd in Neurone aufgenommen und hemmt die Sezernierung von (Neuro)peptiden (Substanz P, Glutamat, Neurokinin, CGRP) welche an der Entstehung und Wahrnehmung von Schmerzen beteiligt sind.
Injektionen erfolgen subkutan, alle 3 Monate. Es lassen sich end-of-dose-Effekte beobachten.
Die Zeiträume können bei erhaltener Wirksamkeit ausgeweitet werden (z.B. auf 4 Monate).
Wünschenswert ist die Modulation der Migräne und ein Therapieeffekt nach Beendigung der Botox-Injektionen.
-Initial werden 155 Einheiten gespritzt. Die Therapie schlägt an, wenn die Patienten eine subjektive Besserung der Kopfschmerzattacken oder -intensität von 50 % angeben. Die Therapie würde 4-5 Mal, alle 3 Monate, wiederholt werden.
Bei guter Wirksamkeit würde anschließend eine Intervallverlängerung erfolgen. Das bedeutet, dass die Injektionen alle 4 Monate gegeben werden.
Bei guter Wirksamkeit wird anschließend ein Auslassversuch durchgeführt. Setzt eine Verschlimmerung der Symptomatik ein, kann erneut ein Therapiezyklus gestartet werden.
Bei Patienten, bei denen die Therapie nur eine 30-50%ige Besserung ergibt, kann die Dosis auf 195 Einheiten erhöht werden.
Follow the pain Prinzip: Injektionen in besonders schmerzhafter und verspannter Muskulatur.
Wann sind Botox-Injektionen kontraindiziert?
Patienten mit Muskelerkrankungen:
• Muskeldystonie
• Myasthenia gravis
Schwangere Patientinnen
Patienten mit Blutungsneigung
Antikoagulierte Patienten
Nebenwirkungen
Schmerzen an der Einstichstelle
Rötungen
Infektionen
Ptosis (temporär)
Atrophie der behandelten Muskulatur
Monitoring
Analoges Kopfschmerztagebuch eher bei älteren Patienten beliebt
Apps (DMKG-App) häufig von jüngeren Patienten genutzt
Welche Antikörper-Präparate sind verfügbar?
Erenumab:
• Bindet an den CGRP-Rezeptor und blockiert diesen.
• Dosis: 70 oder 140mg/Monat subkutan
Fremanezumab:
• Ligandenantikörper binden an CGRP.
• Dosis: 1 x 225 mg s.c. pro Monat oder 1 x 675 mg alle 3 Monate
Galcanezumab:
• Ligandenantikörper binden an CGRP
• Dosis: Loading dose mit 240 mg bei der ersten Gabe, dann 120 mg pro Monat
Die drei Antikörper sind sowohl für die episodische als auch chronische Migräne zugelassen
Nebenwirkungen:
• Rötungen, Infektionen, Schmerzen an der Injektionsstelle
• Systemische Nebenwirkungen sind aufgrund des sehr spezifischen Wirkmechanismus selten
• Obstipation und Ileus (sehr selten)
• Da die Antikörper noch sehr neu sind, muss in den nächsten Jahren beobachtetet werden, ob noch weitere Nebenwirkungen auf die Medikamente zurückgeführt werden können.
Wirksamkeit:
• Man erhofft sich eine 50%ige Reduktion der Migräneattacken
• In Einzelfällen kommt es zu einer drastischen Reduktion der Migräneattacken. (z.B. 30 vor vs. 2 Attacken nach Therapie)
• Teilweise bleibt die Anzahl der Attacken gleich und nur die Schwere der Attacken nimmt ab.
• Die Therapien kosten jährlich ca. 8500 €
**Welche Medikamente sind noch in der Pipeline? **
Lasmiditan:
• Wirken als Agonist auf den 5-HT1F-Rezeptor
• Akuttherapie
• Kann man trotz kardiovaskulärer Risikofaktoren geben
Ubro- und Atogepant:
• Orale Gabe
• CRGP-Antagonisten
Kontrollfragen
Wann sollte eine Migräneprophylaxe erfolgen?
a) Die Prophylaxe sollte generell bei jedem Patienten erfolgen.
b) Die Prophylaxe sollte nur bei der chronischen Migräne erfolgen.
c) Ab 3-4 Migräneattacken sollte eine Prophylaxe erfolgen.
d) Wenn kompliziert verlaufende Auren auftreten, sollte eine Prophylaxe erfolgen.
Welche Medikamente gehören zu den Prophylaxe-Medikamenten?
a) Citalopram
b) Fluoxetin
c) Flunarizin
d) Topiramat
e) Metoprolol
Welche Aussagen sind korrekt?
a) Botox-Injektionen sollten erst nach Versagen von 2-3 Prophylaktika gegeben werden.
b) Botox wirkt wahrscheinlich über die Hemmung der Reizweiterleitung an den Axonen
c) Botox wird retrograd aufgenommen und hemmt die Sezernierung verschiedener Neuropeptide wie z.B. CGRP
d) Patienten mit Muskelerkrankungen profitieren besonders von den Botox-Injektionen
Welche Antikörper sind zur Behandlung der Migräne zugelassen (Stand 12.2020)?
a) Rituximab
b) Galcanezumab
c) Infliximab
d) Erenumab
e) Fremanezumab
Mögliche Nebenwirkungen der Botox-Injektionen sind:
a) Rötungen an der Injektionsstelle
b) Atrophie der Muskulatur
c) Infektionen der Injektionsstelle
d) Ptosis
Disclaimer
Bei den Podcasts von Klinisch Relevant handelt es sich um Fortbildungsinhalte für Ärzte und medizinisches Personal und keinesfalls um individuelle Therapievorschläge. Sie ersetzen also keineswegs einen Arztkontakt, wenn es um die Behandlung von Erkrankungen geht.
Dabei spiegeln die Beiträge den Kenntnisstand unserer medizinischen Partner und Experten wider, den sie nach besten Wissen und Gewissen mit Dir teilen. Häufig handelt es sich dabei auch um persönliche Erfahrungen und subjektive Meinungen.
Wir übernehmen für mögliche Nachteile oder Schäden, die aus den im Podcast gegebenen Hinweisen resultieren, keinerlei Haftung. Bei gesundheitlichen Beschwerden muss immer ein Arzt konsultiert werden!
Weitere Informationen findest Du auf unserer Website: www.klinisch-relevant.de

Jan 8, 2021 • 34min
Das Frailty-Syndrom - mit Prof. Christian Grüneberg * Physiotherapie
Frailty: was bedeutet dieses geriatrische Syndrom für unsere Patienten? Wie kann es diagnostiziert, quantifiziert und günstig beeinflusst werden?
"Frailty"- ein Podcast-Beitrag von Prof. Christian Grüneberg
Stand: 06.01.2021
Jeder fünfte ältere Mensch in Deutschland ist von Frailty betroffen, einem geriatrischen Syndrom, das mit einem erhöhten Risiko für negative Gesundheitsereignisse assoziiert ist. Im Podcast beschreibe ich, wie Frailty nach aktuellen Leitlinien erhoben, quantifiziert und behandelt werden kann. Körperliches Training gilt dabei als Kernkomponente einer multimodalen Behandlung im interdisziplinären Team.
Einführung
Einem gängigen Konzept zufolge befindet sich ein älterer Mensch auf einem sogenannten Fitness-Frailty-Kontinuum zwischen den beiden Extremen fit /Fitness (körperlich und geistig leistungsfähig) und frail /Frailty (gebrechlich). Das Fitness-Frailty-Kontinuum ermöglicht vermutlich eine bessere Risikoeinstufung als das chronologische Alter. Frailty ist definiert als ein physiologisches Syndrom, das durch eine reduzierte Reserve und eine verminderte Abwehrfähigkeit von Stressoren charakterisiert ist. Menschen mit Frailty haben gegenüber nicht gebrechlichen Menschen ein erhöhtes Risiko, negative Gesundheitsereignisse zu erleiden. Zu diesen Ereignissen gehören unter anderem Stürze, Krankenhauseinweisungen, Aktivitäts¬einschränkungen und Mortalität. Laut einer Meta-Analyse ist bei Menschen mit Frailty das Risiko zu stürzen um 84 Prozent beziehungsweise 24 Prozent erhöht. Das Mortalitätsrisiko ist doppelt so hoch. Abhängig von Erhebungsmethode, Population und Nationalität liegt die Frailty-Prävalenz bei 14 bis 24 Prozent in der Bevölke-rungsgruppe der über 65-Jährigen. Diese steigt mit zunehmendem Alter an und ist bei Frauen höher als bei Männern. Clegg et al. beschreiben die pathophysiologischen Prozesse der Frailty und gehen dabei grundsätzlich von einem kumulativen Schaden an mehreren physiologischen Systemen und Organen aus. Die Autoren schreiben aber auch der körperlichen Inaktivität und einem ungünstigen Ernährungsverhalten eine zentrale Rolle zu. Zur Entstehung von Frailty trägt in diesem Zusammenhang auch die Sarkopenie bei, eine über¬mäßige Atrophie der Skelettmuskulatur einherge-hend mit Kraftverlust und /oder funktionellen Einschränkungen.
**Zwei konzeptionelle Frailty-Modelle **
Die zwei gängigsten konzeptuellen Modelle der Frailty sind der Frailty-Phänotyp und das Defizit-Akkumulations-Modell. Der Phä¬notyp wird auch als „physische Frailty“ oder „Fried-Modell“ bezeichnet und geht von einem physiologischen Syndrom aus (biologisches Modell: Veränderungen von Energieaufnahme und -umsatz ursächlich für funktionellen Niedergang). Das Defizit-Akkumulations-Modell oder „Rockwood-Modell“ basiert auf der Annahme, dass eine Ansammlung von Einschränkungen physischer, sozialer, kognitiver und anderer Funktionen ursäch¬lich für die Entwicklung des Frailty-Syndroms ist. Die Ausprägung der Frailty wird anhand eines sogenannten Frailty Index (FI) bemessen. Beide Frailty-Modelle sind klinisch gut operationalisierbar und weisen eine gute prognostische Validität bezüglich relevanter Ergebnisse wie Überlebensrate, Pflegebedürf-tigkeit und Stürze auf. Je nach Modell kommen unterschiedliche Messinstrumente zum Einsatz.
Erhebung des physischen Frailty- Phänotyps
Zur Erhebung des physischen Frailty-Phänotyps werden fünf Parameter herangezogen: Erschöpfung, Gewichtsverlust, geringe körperliche Aktivität, Mobili¬tät (langsame Gehgeschwindigkeit) und Muskelkraft (geringe Handkraft). Je nach Ausprägung werden die untersuchten Personen als robust (kein Kriterium erfüllt), pre-frail /intermediär (ein oder zwei Kriterien erfüllt) oder als frail (drei oder mehr Kriterien erfüllt) eingestuft.
**Erhebung von Frailty als Akkumulation von Defiziten mittels FI **
Anhand des Defizit-Akkumulations-Modells kann Frailty als Index ausgedrückt werden. Dabei werden mindestens 30 verschiedene Variablen mit bestimmten Kriterien erfasst. Hierzu eignen sich unter anderem Krankheitssymptome (zum Beispiel Stimmung), Krankheitszeichen, abnormale Laborwerte, radiologische Untersuchungen und Funktionseinschränkungen. Der FI ist eine einfache Berechnung der Erfüllung oder Nichterfüllung der einzelnen Kriterien als Pro¬portion zur Gesamtsumme. So errechnet sich für eine Person, bei der zehn von 50 Defiziten vorliegen, ein FI von 10 /50 = 0,20. Der FI kann so theoretisch einen Wert zwischen null und eins annehmen. Beim Defizit-Akkumulations-Modell wird davon ausge¬gangen, dass Personen entlang des Fitness-Frailty-Kontinuums umso fragiler sind, je höher der FI ist. Der empirisch ermittelte Grenzwert, ab dem eine Person vom robusten Stadium in ein Frailty-Stadium übertritt, liegt bei ≥ 0,25.
Assessments und Screening
Wenngleich Frailty progressiv verläuft, sind Veränderungen des Frailty-Status möglich. Best-Practice-Leitlinien zur Behandlung von Frailty empfeh¬len folgendes Vorgehen: Bei Verdacht auf Frailty erfolgt eine eingehende Diagnos¬tik mittels Geriatrischem Assessment, das physische, emotionale, psycho-logisch-kognitive und soziale Ressourcen und Einschränkungen erfasst. Das Geri¬atrische Assessment sollte die fünf Para¬meter des Frailty-Phänotyps enthalten und kann als Grundlage für die Berech¬nung eines FI dienen. Einschränkun¬gen sollten gezielt mit interdisziplinär abgestimmten Maßnahmen behandelt werden, die an die Ziele, Belastbarkeit und Kontextfaktoren der betroffenen Personen angepasst sind. Angehörige, Betreuer und Pflegende sollten intensiv und frühzeitig eingebunden werden. Dent et al. publizierten sieben Handlungsempfehlungen bei Patienten mit Frailty.
Um betroffene Patienten gezielt zu versorgen oder rechtzeitig auf risikoreiche Interventionen (z. B. chirurgischen Eingriffen) vorzubereiten gilt es, Frailty frühzeitig zu erkennen. Die Notwendigkeit, Frailty in der medizinischen Versorgung aller älteren Menschenroutinemäßig zu berücksichtigen, wird zurzeit kontroversdiskutiert.
Eine internationale Konsensusgruppe empfiehlt ein Screening auf physische Frailty bei
• Personen ≥70 Jahren und
• Personen, die im letzten Jahr ≥5% ihres Gewichtes verloren haben
Hierzu stehen kurze Fragebogen, wie PRISMA-7 oder die FRAIL-Scale, sowie einfache Tests der Mobilität zur Verfügung.
Leitliniengestützte Versorgung
Best-Practice-Leitlinien zur Behandlung von Frailty empfehlen bei Verdacht auf Frailty eine eingehende Diagnostik mittels Geriatrischem Assessment, das physische, emotionale, psychologisch-kognitive und soziale Ressourcen und Einschränkungen erfasst.
Das Geriatrische Assessment sollte die fünf Parameter des Frailty-Phänotyps enthalten und kann als Grundlage für die Berechnung eines FI dienen.
Einschränkungen sollten gezielt mit interdisziplinär abgestimmten Maßnahmen behandelt werden, die an die Ziele, Belastbarkeit und Kontextfaktoren der betroffenen Personen angepasst sind (18).
Angehörige, Betreuer und Pflegende sollten intensiv und frühzeitig eingebunden werden.
**Auswahl der Maßnahmen **
Neben den Ergebnissen des geriatrischen Assessments kann der Frailty-Phänotyp genutzt werden, um die Interventionen auszuwählen, zu priorisieren und zu steuern.
Folgende Interventionen gelten–alleine oder in Kombination–als grundsätzlich wirksam:
• Trainingsinterventionen zur Verbesserung von Kraft und zum Muskelaufbau
• Körperliches Training und körperliche Aktivität
• Ernährungstherapie und -supplementierung
• kognitives Training
• Überprüfung der Medikamente und Reduktion der Polypharmazie,
• interprofessionelle Betreuung
Körperliches Training
Körperliches Training wirkt sich auf alle Teilsysteme des Körpers aus, deren Funktion bei Frailty beeinträchtigt sein kann. Neben Skelettmuskulatur, Nerven- und Herz-Kreislauf-System zählen dazu auch das Hormon- und Immunsystem.
Trainingsinterventionen sollten vor allem Muskelkraft, Ausdauer und Gleichgewicht verbessern, sowie die körperliche Funktion bei Aktivitäten des täglichen Lebens.
Erprobte Programme werden eingangs von geschulten Therapeuten angeleitet und sollten dann von den betroffenen Personen zunehmend selbstständig im Umfang von >2h/Woche durchgeführt werden. Sie sind auf längere Zeit (≥6 Monate) angelegt.
Körperliche Aktivität
Über das strukturierte, geplante Training hinaus sollten ältere Menschen ermutigt und befähigt werden, sich regelmäßig körperlich zu betätigen.
Dabei hilft der Abbau von Barrieren, wie beispielsweise muskuloskelettalen Schmerzen, Depressionen und finanziellen Einschränkungen.
Die körperliche Aktivität sollte angenehm, bedeutsam, sicher und realistisch sein.
Empfohlen werden 150-180 Minuten moderate körperliche Aktivität pro Woche.
Ernährung
Unter- und Mangelernährung beeinträchtigen die Muskelmasse und -funktion und damit zwei wichtige Konstituenten der Sarkopenie und physischen Frailty.
Die Evidenz für die Effekte solitärer Ernährungsintervention auf das Frailty-Syndrom ist unklar. Spezifische und individualisierte Ernährungsinterventionen können jedoch zu einer verbesserten Muskelmasse und –funktion führen, insbesondere in Kombination mit körperlichem Training.
Proteinbedarf
Der zum Erhalt der Muskelmasse nötige Proteinbedarf liegt bei älteren Menschen zwischen 1,0 und 1,2g/kg Körpergewicht pro Tag. Er steigt auf bis zu 1,5 g/kg Körpergewicht bei Menschen mit Frailty und bei körperlichem Training.
Ausblick
Multimodale Konzepte
Die komplexe Gesundheitssituation älterer, multifaktoriell betroffener, multimorbiderund mitunter auch kognitiv beeinträchtigter Patienten erfordert ein professionelles Management. Die monomodale Therapie einer (Einweisungs-)Diagnose wird zunehmend einer interprofessionellen Versorgung weichen, die individuelle Ressourcen und Risikofaktoren berücksichtigt und sich auf Selbstständigkeit und Lebensqualität der Patienten konzentriert.
Heterogene Personengruppe
Das Risiko älterer Menschen alleine aufgrund des kalendarischen Alters einzustufen, ist aufgrund der großen Heterogenität in dieser Bevölkerungsgruppe hinsichtlich der funktionellen Leistungsfähigkeit und des individuellen Gesundheitszustandes nicht empfehlenswert.
Perspektivwechsel nötig
Der Umgang mit Patienten mit Frailty erfordert, die klinische Perspektive zu verändern, weg von einem stellenweise immer noch subjektiven, emotional besetzen und unscharfen Verständnis hin zu einem quantifizierbaren Syndrom. Die Sicherung der Versorgungsqualität, Neu- und Weiterentwicklung, Evidenzbasierung und Kommunikation diagnostischer und therapeutischer Konzepte stellt hohe Anforderungen an die multimodalen Konzepte und die Kooperation der Experten aus unterschiedlichen Berufsgruppen.
Zusammenfassende Kernaussagen
Frailty ist ein physiologisches Syndrom, charakterisiert durch eine reduzierte Reserve, verminderte Abwehrfähigkeit gegenüber Stressoren und Anfälligkeit für negative Gesundheitsereignisse.
Frailty entsteht aus einem kumulierenden Niedergang multipler physiologischer Systeme.
Der Frailty-Phänotyp ist ein diagnostisches Instrument, welches die physische Frailty älterer Personen anhand von drei Graduierungen („fit“,„pre-frail“,„frail“) beurteilt.
Vor präventiven und therapeutischen Maßnahmen sollte ein geriatrisches Assessment erfolgen.
Die Versorgung älterer Menschen mit Frailty ist komplex und aufwändig. Die Hauptkomponenten gegen Frailty sind ein bedarfsgerechtes und individuelles körperliches Training und Ernährungsinterventionen.
Literatur:
• Braun T, Thiel C, Schulz R-J, Grüneberg C. 2017. Diagnostik und Behandlung physischer Frailty. Dtsch. Med. Wochenschr. 142, 2:117–22
• Fried LP, Tangen CM, Walston J, Newman AB, Hirsch C, et al. 2001. Frailty in older adults: evidence for a phenotype. J. Gerontol. A. Biol. Sci. Med. Sci. 56, 3:146–56
• Clegg A, Rogers L, Young J. 2015. Diagnostic test accuracy of simple instruments for identifying frailty in communi¬ty-dwelling older people: a systematic review. Age Ageing 44, 1:148–52
• De Vries NM, Staal JB, van Ravensberg CD, Hobbelen JSM, Olde Rikkert MGM, et al. 2011. Outcome instruments to mea¬sure frailty: a systematic review. Ageing Res. Rev. 10, 1:104
• Grüneberg C, Braun T, Bahns C, Thiel C. 2018. Diagnostik und Intervention bei älteren Menschen mit Frailty Ein Fallbericht (2018). pt Zeitschrift für Physiotherapeuten, 33-43
• Mitnitski AB, Mogilner AJ, Rockwood K. 2001. Accumulation of deficits as a proxy measure of aging. Scientific World Jour¬nal 1:323–36
• Morley J, Abbatecola A, Argiles J, Baracos V, Bauer J, et al. 2011. Sarcopenia with limited mobility: an international con¬sensus. J. Am. Med. Dir. Assoc. 12, 6:403–9
• Romero-Ortuno R, O’Shea D. 2013. Fitness and frailty: oppo¬site ends of a challenging continuum! Will the end of age discrimination make frailty assessments an imperative? Age Ageing 42, 3:279–80
• Rockwood K, Mitnitski A. 2007. Frailty in relation to the accumulation of deficits. J. Gerontol. A. Biol. Sci. Med. Sci. 62, 7:722–7
• Rockwood K, Song X, MacKnight C, Bergman H, Hogan DB, et al. 2005. A global clinical measure of fitness and frailty in elderly people. CMAJ 173, 5:489–95
–––
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