Bildungsaufstieg erzählen - Von Universität, Scham und Entfremdung
Feb 13, 2025
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In dieser Diskussion beteiligen sich Christian Grabau, Bildungswissenschaftler, der den 'ontologischen Schock' des Bildungsaufstiegs thematisiert, Flora Petrik, Pädagogin, die über Scham und Entfremdung von Studierenden spricht, und Mariam Muwanga, Literaturwissenschaftlerin, die die Erfahrungen von BIPOC-Studierenden in britischer Literatur analysiert. Gemeinsam beleuchten sie die emotionalen Kämpfe, die mit dem sozialen Aufstieg verbunden sind, und reflektieren über Identitätskonflikte und Diskriminierung in akademischen Umfeldern.
Das Gefühl der Hypervisibilität von Studierenden aus benachteiligten sozialen Schichten beeinflusst stark deren Identität und Zugehörigkeit in akademischen Umfeldern.
Scham und das Empfinden von Entfremdung sind eng mit der sozialen Herkunft von Bildungsaufsteigern verknüpft, was tiefgreifende emotionale Auswirkungen hat.
Autosoziobiografien bieten Bildungsaufsteigern eine authentische Erzählform, um ihre Herausforderungen zu reflektieren und soziale Ungleichheiten sichtbar zu machen.
Deep dives
Das Gefühl der Hypervisibilität
Das Gefühl der Hypervisibilität prägt das Leben von Studierenden aus benachteiligten sozialen Schichten, besonders in einer weißen akademischen Umgebung. Diese Hypervisibilität beschreibt das unangenehme Gefühl, in einem Raum sichtbar zu sein, während man sich gleichzeitig als fremd und fehl am Platz empfindet. Sarah Ahmed erläutert, dass schwarze Körper in weißen Institutionen oft herausstechen und so das Gefühl der Zugehörigkeit hemmen. Dieser Zustand führt dazu, dass sich viele Betroffene konstant anpassen müssen, um nicht als Außenseiter wahrgenommen zu werden.
Scham und soziale Herkunft
Die Untersuchung zeigt, dass Scham eng mit der sozialen Herkunft der Individuen verknüpft ist, insbesondere bei Bildungsaufsteigern. Viele berichten von einem ständigen Gefühl der Entfremdung von ihren Wurzeln, und dies ruft oft tiefgreifende Emotionen und Schamgefühle hervor. Ein konkretes Beispiel ist eine Studentin, die sich für das Handwerk ihres Vaters schämt, während sie gleichzeitig den Druck spürt, in akademischen Kreisen akzeptiert zu werden. Diese Scham zieht sich durch ihre Erfahrungen und beeinflusst gleichzeitig ihr Verhalten und ihre Identität.
Der ontologische Schock
Der ontologische Schock beschreibt die tiefgreifende Herausforderung, mit der Betroffene beim Bildungsaufstieg konfrontiert sind. Vertiefter Kontakt mit Theorien, wie denen von Pierre Bourdieu, kann dazu führen, dass sich die eigene Sicht auf das Leben und die Gesellschaft verändert. Eine Autorin beschreibt, dass das Lesen von Bourdieu's Werk ihr die Unsichtbarkeit bestimmter gesellschaftlicher Strukturen vor Augen führte, was zu einem Bruch ihrer bisherigen Selbstwahrnehmung führte. Diese neue Perspektive kann befreiend, aber auch überwältigend sein, indem sie die inneren Konflikte der Bildungsaufsteiger offenbart.
Autosoziobiografien als Erzählform
Autosoziobiografien stellen eine wertvolle Erzählform für Bildungsaufsteiger dar, da sie deren Erfahrungen authentisch und ohne Übertreibungen darstellen. Diese Erzählungen verhindern die Konstruktion von Heldengeschichten und zeigen vielmehr die Herausforderungen und den Druck auf, der mit dem Aufstieg verbunden ist. Eine Präsentation von Studierenden, die ihre Bildungswege dokumentieren, erlaubt es ihnen, ihre eigenen Stimmen zu finden und ihre Erlebnisse zu reflektieren. Solche Texte können hilfreiche Einsichten darüber geben, wie soziale Ungleichheiten innerhalb des Bildungssystems bestehen bleiben.
Die Rolle der Lehrenden
Die Rolle der Lehrenden wird als entscheidend für die Schaffung eines inklusiven akademischen Umfelds hervorgehoben. Oft sind Lehrende unbewusst an der Reproduktion von Ungleichheiten beteiligt, da sie nicht alle Perspektiven und Hintergründe ihrer Studierenden berücksichtigen. Dies erfordert von Lehrenden eine Selbstreflexion hinsichtlich ihrer eigenen Position und der möglicherweise unbeabsichtigten Exklusion ihrer Studierenden. Durch ein tiefergehendes Verständnis der unterschiedlichen Erfahrungen können Lehrende dazu beitragen, dass sich weniger privilegierte Studierende wohler und akzeptierter fühlen.
Vorträge von: Christian Grabau, Bildungswissenschaftler, Fernuniversität Hagen, Flora Petrik, Erziehungswissenschaftlerin, Universität Tübingen, Mariam Muwanga, Literaturwissenschaftlerin, Bergische Universität Wuppertal.
Moderation: Katja Weber
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Die Eltern Arbeiter, das Kind an der Uni. Das lässt sich als triumphale Aufstiegsgeschichte erzählen. Tatsächlich ist es aber oft eine Geschichte von Scham und Ausgrenzung. Ein Bildungswissenschaftler, eine Pädagogin und eine Literaturwissenschaftlerin über "Aufstieg durch Bildung".
Besprochene Texte: Annie Ernaux: Werke Didier Eribon: "Rückkehr nach Reims" Pierre Bourdieu: "Die feinen Unterschiede" und "Ein soziologischer Selbstversuch" Diran Adebayo: "Some Kind of Black" Bernardine Evaristo: "Mädchen, Frau etc.".
Christian Grabau ist Bildungswissenschaftler an der Fernuniversität Hagen, sein Vortrag heißt – nach Annie Ernaux – "Ein ontologischer Schock".
Flora Petrik ist Erziehungswissenschaftlerin an der Universität Tübingen, ihr Vortrag heißt "Das Straßenkehrerkind in der Hochschule - Wie Studierende von ihrem Bildungsaufstieg berichten".
Mariam Muwanga ist Literaturwissenschaftlerin an der Bergischen Universität Wuppertal. Ihr Vortrag hat den Titel "BiPoc-Studierende an der Universität. Narrative Inszenierungen in zeitgenössischen black british novels".
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Schlagworte: +++ Bildung +++ Mobilität +++ soziale +++ Universität +++ Studium +++ Klasse +++ Soziologie +++ lernen +++ Chancen +++ Gleichheit +++ Ungleichheit +++ Sozialwissenschaft +++ Karriere +++
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Ihr hört in diesem Hörsaal:
00:00:50 - Beginn des Vortrags von Christian Grabau: "Ein ontologischer Schock":
00:18:56 - Beginn des Vortrags von Flora Petrik: "Das Straßenkehrerkind in der Hochschule - Wie Studierende von ihrem Bildungsaufstieg berichten"
00:37:12 - Beginn des Vortrags von Mariam Muwanga: "BiPoc-Studierende an der Universität. Narrative Inszenierungen in zeitgenössischen black british novels"