Krisen und Katastrophen - Neue Institutionen für eine resilientere Gesellschaft
Dec 20, 2024
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Martin Voss, Soziologe und Experte für Krisenforschung, beleuchtet die Herausforderungen unserer Zeit. Er diskutiert, wie Klimawandel und Pandemien unsere Gesellschaft an die Grenzen bringen. Voss plädiert für neue Institutionen, die Resilienz fördern und eine proaktive Bürgerbeteiligung anstoßen. Die Geheimhaltung von Informationen schädigt das Vertrauen, während Bildung als Schlüssel zur Krisenbewältigung dient. Schließlich skizziert er eine Vision für ein lebenswertes Deutschland 2050, das durch interdisziplinäre Ansätze gestärkt wird.
Das kollektive Versagen bei der Krisenbewältigung resultiert aus einem Ungleichgewicht zwischen Wissen und Handeln in modernen Gesellschaften.
Der Panikmythos, dass Menschen in Krisen irrational handeln, steht im Widerspruch zu historischen Studien über rationales Verhalten und Organisation.
Voss betont die Notwendigkeit, neue interdisziplinäre Institutionen zu schaffen, um komplexe gesellschaftliche Herausforderungen effektiver anzugehen und Wissen zu bündeln.
Deep dives
Die Ursachen von Krisen in der Gesellschaft
Krisen und Katastrophen sind oft das Resultat gesellschaftlicher Strukturen und deren Handlungsweisen. Martin Voss argumentiert, dass das kollektive Versagen in der Bewältigung von Krisen in einem Ungleichgewicht zwischen bekanntem Wissen und tatsächlichem Handeln begründet ist. Er macht deutlich, dass sich moderne Gesellschaften auf spezialisierte Aufgaben konzentrieren und dabei das große Ganze aus den Augen verlieren. Dies führt dazu, dass trotz vorhandenen Wissens oft keine adäquaten Maßnahmen zur Krisenvorbeugung ergriffen werden.
Die Fehlannahme von Panik in Krisensituationen
Ein zentrales Thema in Voss' Argumentation ist der so genannte Panikmythos, die Vorstellung, dass Menschen in Krisensituationen irrational und panisch handeln. Er verweist auf historische Studien, die zeigen, dass Menschen in Extremfällen meist rational reagieren und sich organisieren, anstatt in Panik zu verfallen. Obwohl dies gut dokumentiert ist, hält diese Fehlannahme in politischen und administrativen Entscheidungen stand und führt dazu, dass Informationen zurückgehalten werden. Diese Zurückhaltung wirkt sich negativ auf das Vertrauen der Bevölkerung in die Behörden aus und verschärft die Situation.
Strukturelle Gründe für das Nicht-Handeln
Voss beschreibt, dass strukturelle Barrieren innerhalb der Gesellschaft dazu führen, dass Entscheidungsträger oft nicht entsprechend handeln, obwohl sie die Notwendigkeit dazu erkannt haben. Die funktionale Differenzierung moderner Gesellschaften sorgt dafür, dass verschiedene Institutionen und Akteure nur auf ihre eigenen Belange fokussiert sind und die Anliegen anderer ignorieren. Dabei wird die Komplexität der existierenden Herausforderungen nicht ausreichend berücksichtigt. Diese enge Sichtweise kann schwerwiegende Folgen haben, da sie die Fähigkeit zur kollektiven Problemlösung einschränkt.
Bildung als Schlüssel zur Resilienz
Voss schlägt vor, dass Bildung eine zentrale Rolle bei der Gestaltung einer resilienten Gesellschaft spielt. Er argumentiert, dass Bildung über den rein utilitaristischen Ansatz hinausgehen sollte und helfen müsse, individuelle Unabhängigkeit und Verantwortung zu fördern. Dies bedeutet, Menschen dazu zu befähigen, in vielfältigen Situationen kompetent zu handeln und die Verbindungen zwischen sozialen und ökologischen Systemen zu erkennen. Voss plädiert für ein Bildungssystem, das sowohl spezifische Fähigkeiten als auch ein ganzheitliches Denken fördert, um zukünftige Herausforderungen adäquat bewältigen zu können.
Institutionen zur Bewältigung komplexer Krisen
Um den Herausforderungen der Zukunft effektiver zu begegnen, schlägt Voss die Schaffung neuer interdisziplinärer Institutionen vor, die verschiedene Akteure zusammenbringen. Diese Institutionen sollen einen Raum bieten, in dem Wissen aus unterschiedlichen Disziplinen und gesellschaftlichen Bereichen gebündelt wird, um komplexe Probleme zu lösen. Ein solches Vorgehen könnte helfen, Governance-strukturen zu verbessern und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Voss' Vision umfasst eine proaktive, integrative Herangehensweise, die Vertrauen schafft und die Bürger aktiv in Entscheidungsprozesse einbindet.
Ein Vortrag des Soziologen und Katastrophenforschers Martin Voss
Moderation: Katrin Ohlendorf
Klimawandel und Extremwetter, Pandemien, Kriege, aber auch die Stimmung in unserem Land – dies und mehr stellt unsere Gesellschaft auf die Probe. Wie könnte sie resilienter werden? Mit neuen Institutionen, sagt Martin Voss.
Martin Voss studierte Soziologie, Psychologie und Pädagogik und promovierte mit einer philosophisch-soziologischen Arbeit zur Katastrophentheorie. Seit 2011 leitet er an der Freien Universität Berlin die Krisen- und Katastrophenforschungsstelle (KFS) und hat dort die Professur für Krisen- und Katastrophenforschung inne. Seinen Vortrag "Krisen, Katastrophen, Zeitenwende - Neue Institutionen für eine resiliente Gesellschaft" hat er am 24. September 2024 im Rahmen der Reihe "Dialog im Museum" der Daimler und Benz Stiftung gehalten.