Jan Gerber, Politikwissenschaftler und Historiker aus Halle, beleuchtet den Aufstieg des Populismus in Europa. Er erklärt, warum der Begriff oft negativ wahrgenommen wird und wie historische Ereignisse wie 1973 und 1989 den populistischen Trend prägen. Zudem diskutiert er die Rolle der AfD, den Einfluss der Flüchtlingskrise auf die politische Landschaft und die Unterschiede zwischen moderner populistischer Politik und historischen Bewegungen wie dem Faschismus. Die Komplexität des heutigen Parteiensystems wird ebenso angesprochen, insbesondere mit Blick auf neue Strömungen.
Der Aufstieg des Populismus in Deutschland seit 2015 zeigt eine gesellschaftliche Erosion, die das traditionelle Parteiensystem in Frage stellt.
Populistische Parteien unterscheiden sich von traditionellen Politikern durch emotionale Appelle und schnelle Entscheidungen, was Wählerverhalten beeinflusst.
Die Ängste um Migration spielen eine zentrale Rolle in den Wahlergebnissen populistischer Parteien, besonders im Kontext sozialer Unsicherheit.
Deep dives
Der Aufstieg des Populismus
Die Diskussion dreht sich um den aktuellen Aufstieg des Populismus, insbesondere in Deutschland, und die relevante Bedeutung von Parteien wie der AfD und dem neu gegründeten BSW. Es wird darauf hingewiesen, dass Populismus seit 2015 oder 2016 zunehmend im deutschen Diskurs präsent ist, während der Begriff bereits früher mit Politikern wie Ronald Schill und Jörg Haider in Verbindung gebracht wurde. Der Fokus liegt auch auf der Frage, wie diese politischen Bewegungen in aktuellen Wahlkämpfen abschneiden, und es werden verschiedene Wahlergebnisse der Parteien analysiert, die ein Erdbeben im etablierten Parteiensystem signalisieren. Der Erfolg der AfD wird als ein direktes Zeichen für die Erosion des traditionellen Parteiensystems betrachtet, das seit dem Kalten Krieg besteht.
Krisen und ihre Auswirkungen
Die Krise des politischen Systems wird als Resultat einer erodierenden gesellschaftlichen Ordnung beschrieben, in der alte politische Kategorien nicht mehr die Realität widerspiegeln. Diese Erosion wird mit dem Scheitern des bisherigen Parteien-Systems verknüpft, dem vor allem die Volksparteien der Nachkriegszeit angehören. Die bisherigen Parteien sind nicht mehr in der Lage, die aktuellen Bedürfnisse und Ängste der Bevölkerung adäquat zu vertreten, was zu einem Umdenken und der Suche nach neuen Alternativen führt. Diese Veränderungen zeigen sich auch in den Wahlergebnissen, bei denen populistische Parteien eine immer dominantere Rolle einnehmen.
Populismus als Politikstil
Es wird argumentiert, dass Populismus nicht klar als Links- oder Rechtsbewegung kategorisiert werden kann, sondern eher als ein spezifischer Politikstil dient. Populistische Parteien neigen dazu, schnelle Entscheidungen zu treffen und auf emotionale Appelle statt auf fundierte Argumentation zu setzen, was sie von traditionellen Parteien unterscheidet. Diese Unterscheidung ist entscheidend, um das Verhalten und die Wahlentscheidungen der Wählerschaft zu verstehen. Außerdem wird darauf hingewiesen, dass es auch innerhalb populistischer Parteien Unterschiede gibt, die oft ignoriert werden.
Die Rolle von Migration
Migration wird als ein zentrales Thema in der Diskussion um populistische Wahlergebnisse hervorgehoben, das sowohl Ängste als auch Wünsche bei den Wählern anspricht. Die Argumentation legt nahe, dass viele Wähler nicht nur gegen Migration an sich sind, sondern auch, weil sie um ihren sozialen und wirtschaftlichen Status fürchten. Diese Furcht wird oft nicht explizit formuliert, sondern manifestiert sich in der Ablehnung bestimmter Gruppen oder Ideen. Bei der Analyse dieser Ängste wird deutlich, dass soziale Unsicherheit und die Frage der Besitzstandswahrung eine zentrale Rolle im Wahlverhalten spielen.
Vergangenheit und ihre Einflüsse
Der Einfluss der historischen Vergangenheit auf die gegenwärtige politische Landschaft wird ebenfalls thematisiert, insbesondere im Hinblick auf den Vergleich zwischen den aktuellen populistischen Bewegungen und historischen Nationalsozialismus. Es besteht die Gefahr, dass die ständige Bezugnahme auf die Vergangenheit die sachliche Auseinandersetzung mit den gegenwärtigen Phänomenen behindert. Die Überbewertung dieser Analogien kann zu einer Verharmlosung der tatsächlichen Probleme führen, die diese populistischen Bewegungen antreiben. Es wird betont, dass die gegenwärtigen politischen Herausforderungen nicht durch eine Rückkehr zu alten Denkmustern gelöst werden können.
Die Zukunft des Parteien-Systems
Abschließend werden Ausblicke auf die Zukunft des politischen Systems gegeben, wobei sowohl die Möglichkeit einer Weiterentwicklung der populistischen Parteien als auch eine potenzielle Transformation der bestehenden Parteien in Betracht gezogen werden. Die weitere Entwicklung des Parteiensystems könnte eine Mischung aus dem Aufstieg neuer populistischer Strömungen und der Anpassung traditioneller Parteien an die aktuellen Gegebenheiten beinhalten. Die Herausforderungen, vor denen das bestehende Parteiensystem steht, können nicht ignoriert werden, und die Entstehung eines neuen Parteien-Systems wird als unvermeidlich angesehen. Diese Entwicklungen könnten sowohl positive als auch negative Folgen für die politische Landschaft haben.
Ich freue mich nun schon zum dritten Mal Jan Gerber, Politikwissenschaftler, Historiker und Autor aus Halle, begrüßen zu dürfen. Wir widmen uns nach dem Postkolonialismus nun wieder einem Schwerpunkt, diesmal - analog zum Anfang Oktober erscheinenden zweiten Band der Hallischen Jahrbücher, welche von Jan mitherausgegeben werden - dem Aufstieg des Populismus.
Seit gut 10 Jahren erleben wir ein mediales Dauerfeuer um den Begriff des Populismus. Die AfD, Donald Trump, Geert Wilders, Marine Le Pen, die Lega Nord, seit einiger Zeit kommt nun auch noch das linke Bündnis Sahra Wagenknecht hinzu, allesamt werden diese Parteien und Politiker dem sog. Populismus zugeordnet, meist im eindeutig negativen Kontext. Was aber ist Populismus eigentlich? Was unterscheidet den Populismus vom alten Parteiengefüge? Wieso lässt sich der Aufstieg des (Rechts)Populismus im alten Westeuropa vor allem anhand der historischen Ereignisse der Jahre 1973 und 1989 erklären, aber nicht mit historischen Kategorien wie Faschismus und Nationalsozialismus? Ja, stimmen die alten Links-Rechts-Koordinaten überhaupt noch, wenn man Parteien wie die AfD oder Donald Trumps MAGA-Movement betrachtet und sind die Grünen nicht ebenso eine populistische Partei? Fragen, die Jan hier schon beantwortet und noch ausführlicher demnächst im zweiten Band der Hallischen Jahrbücher, den ihr hier schon vorbestellen könnt: https://edition-tiamat.de/books/das-zeitalter-des-populismus
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