Marina Weisband im Talk: »Mit jedem Monat stirbt die Zukunft der Ukraine ein bisschen mehr«
May 14, 2025
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In diesem Gespräch äußert sich Marina Weisband, ehemalige Politikerin der Piratenpartei und Expertin für digitale Bürgerrechte. Sie schildert eindringlich die prekäre Lage der Ukraine und kritisiert die unzureichende westliche Unterstützung. Weisband fordert ein Verbot der AfD und vergleicht die politische Untätigkeit mit der der 30er Jahre. Zudem thematisiert sie die Rolle von Social Media in der politischen Kommunikation und betont die Widerstandsfähigkeit der Ukrainer im Krieg sowie die Bedeutung kultureller Identität und sozialer Teilhabe.
Marina Weisband kritisiert die Untätigkeit des Westens, der der Ukraine falsche Hoffnung auf EU-Schutz gibt, aber sie im Stich lässt.
Die Resilienz und Solidarität der Ukrainer im Angesicht ständiger Kriegsbedrohungen zeigt ihre bemerkenswerte Fähigkeit, mit traumatischen Erfahrungen umzugehen.
Die Ukraine verlangt von ihren europäischen Verbündeten nicht nur Unterstützung, sondern auch eine klare Botschaft, dass Russland besiegt werden muss.
Deep dives
Versprechen des Westens und Isolation der Ukraine
Der Westen hat der Ukraine den Beitritt zur EU in Aussicht gestellt, ohne diesen vermeintlichen Schutz tatsächlich zu bieten. Es wird die Situation mit einem Beispiel verglichen, bei dem einer Frau versprochen wird, sie zu beschützen, nur um sie dann zurückzulassen. Diese falschen Zusicherungen haben die Ukraine in einer kritischen Zeit alleine gelassen, was als äußerst verletzend und gefährlich wahrgenommen wird. Die Implikationen dieser Abhängigkeit von westlichen Zusagen werden deutlich, wenn man die fragilen Schicksale der ukrainischen Bürger betrachtet, die durch diese Politik direkt betroffen sind.
Alltägliches Leben im Krieg
Das alltägliche Leben in der Ukraine hat sich dramatisch verändert, und viele Menschen gewöhnen sich an die ständige Bedrohung durch Luftangriffe. Trotz der physischen und psychischen Belastungen, die der Krieg mit sich bringt, zeigen die Ukrainer eine bemerkenswerte Resilienz und Solidarität untereinander. Es zeigen sich sowohl Humor als auch eine gewisse Normalität in Gesprächen, was jedoch die tiefer liegenden Traumata nicht verdeckt. Diese Gewöhnung an den Krieg wirft Fragen auf, wie sich die jüngste Generation entwickeln wird, die in diesem Konflikt aufwächst.
Kritik an westlicher Unterstützung
Die westlichen Staaten haben häufig versprochen, die Ukraine im Kampf gegen die russische Aggression zu unterstützen, jedoch zeigen sich große Mängel in der tatsächlichen Unterstützung. Die Vorbereitung und Lieferung von Waffen wird als strategisch fehlerhaft angesehen, da sie oft an den Erfolg der ukrainischen Streitkräfte gekoppelt ist. Experten argumentieren, dass der Westen durch diese Unterbrechungen und späte Hilfen den Krieg verlängert hat, was zu hohen Verlusten führt. Die Ukrainer müssten kontinuierliche militärische Unterstützung erhalten, um Russland nicht die Möglichkeit zu bieten, sich neu zu formieren.
Ideale und Realität im ukrainischen Kampf
Die Ukraine kämpft nicht nur für ihre territoriale Integrität, sondern auch für westliche Werte wie Freiheit und Demokratie, die in Gefahr sind. Dieses Engagement wird in persönlichen Erlebnissen junger Ukrainer sichtbar, die sich trotz der Risiken an Protestaktionen beteiligen. Die Differenzierung zwischen dem Ideal eines Kampfes um Freiheit und den realen Herausforderungen, einschließlich Zwangsrekrutierungen, stellt eine ambivalente Realität dar. Die Ukraine fordert von ihren Alliierten eine klarere Botschaft: nicht nur, dass sie nicht verlieren dürfen, sondern, dass Russland besiegt werden muss.
Die Rolle Europas in der Ukraine-Krise
Die Zukunft der Ukraine und der Krieg hängen entscheidend von der Unterstützung Europas ab, das als Schlüsselakteur agieren kann. Es wird betont, dass strategische, kontinuierliche Hilfe entscheidend ist, um den Konflikt nicht in einen langwierigen Stillstand zu verwandeln. Ein Waffenstillstand könnte kurzfristige humanitäre Erleichterungen bringen, doch die Hoffnungen auf dauerhaften Frieden werden als unrealistisch angesehen. Die Auffassung, dass Zugeständnisse an Putin nicht zu einem echten Frieden führen werden, unterstreicht die Notwendigkeit einer vereinten und entschlossenen europäischen Haltung.
Als eine der frühesten prägenden Stimmen auf Twitter in Deutschland hat sie die digitale Diskussionskultur maßgeblich beeinflusst und wurde zum Gesicht einer Partei, die rasant an Bedeutung gewann und ebenso schnell wieder verschwand – den Piraten. Heute ist die Partei in der Bedeutungslosigkeit verschwunden, ihre Anliegen aber sind aktueller denn je. Wie sieht die gebürtige Ukrainerin auf den Krieg, der seit über drei Jahren andauert? Herzlich willkommen, Marina Weisband.
Im Interview spricht sich die Publizistin klar für ein AfD-Verbotsverfahren aus. »Ich denke, wir hätten die AfD vorgestern verbieten müssen. Der zweitbeste Zeitpunkt ist immer heute«, sagte sie. Weisband kritisierte in dem Zusammenhang auch die politische Untätigkeit: »Ich habe keinen Respekt mehr vor Leuten, die immer noch die gleichen Ausflüchte bemühen, wie sie tatsächlich schon in den sehr frühen Dreißigern gegenüber einem NSDAP-Verbotsverfahren bemüht wurden.«
Ein Verbot allein könne rechtsextremes Gedankengut nicht beseitigen, räumte Weisband ein. »Natürlich, ich bedenke das mit. Hören Sie, ich kann nicht den Kopf der Leute aufmachen und ihr Gedankengut auswechseln. Aber ich kann sie von der Regierungsbank fernhalten. Das ist meine Pflicht als Demokratin.«
Das SPIEGEL-Spitzengespräch ist der Talk für alle, die politisch mitreden wollen. Markus Feldenkirchen ist Autor im Hauptstadtbüro des SPIEGEL und empfängt hier regelmäßig Gäste aus dem politischen Deutschland. Im Einzelgespräch oder in kleiner Runde bespricht er die gesellschaftlich und politisch relevanten Themen unserer Zeit.
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