Karl Markus Gauß, ein renommierter Schriftsteller, und Christoph Badelt, Ökonom und Leiter des WIFO, diskutieren die aktuelle Rückkehr von Grenzen und deren Sinnhaftigkeit. Sie analysieren, wie physische und symbolische Grenzen die Identität und Gemeinschaft in Europa beeinflussen. Außerdem beleuchten sie die Rolle von Wachstum und das Konzept von Grenzen im Kontext sozialer Ungleichheiten und des Klimawandels. Ein kritisches Plädoyer für ein neues Bewusstsein und persönliche Verantwortung zieht sich durch das Gespräch.
Die weltweite Zunahme von Grenzanlagen zeigt ein wachsendes Bedürfnis nach Abgrenzung trotz der Hoffnungen nach dem Mauerfall.
Kulturelle und wirtschaftliche Ängste treiben Grenzpolitiken voran, indem sie das menschliche Bedürfnis nach Identität und Sicherheit ansprechen.
Die Diskussion über Wirtschaftswachstum betont die Notwendigkeit einer gerechten Verteilung der Vorteile, um soziale Ungleichheiten und Spannungen zu vermeiden.
Deep dives
Die Renaissance der Grenzen
In den letzten Jahrzehnten wurden weltweit neue Grenzanlagen errichtet, was auf ein wachsendes Bedürfnis nach Abgrenzung hinweist. Ein Beispiel hierfür sind die Mauern und Zäune, die seit der Jahrtausendwende an zahlreichen europäischen Grenzen sowie jenseits nationaler Grenzen gebaut werden. Diese Entwicklung zeigt, dass, trotz der Hoffnungen nach dem Fall der Berliner Mauer, die Festungsmentalität in Europa eine Renaissance erlebt. Es wird argumentiert, dass kulturelle und wirtschaftliche Ängste vor einem Verlust von Identität und Wohlstand als treibende Kräfte für diese Grenzpolitiken angesehen werden können.
Naturgrenzen und künstliche Abuhrungen
Die Idee der natürlichen Grenzen wird hinterfragt, indem betont wird, dass viele vermeintlich natürliche Grenzen, wie Flüsse und Gebirge, in Wirklichkeit künstlich und durch historische Interaktionen und Konflikte geschaffen wurden. Diese Grenzen wurden im Laufe der Zeit oft verschoben und haben sich als Instrumente der politischen Kontrolle etabliert. Anhand von europäischen Doppelstädten wie Görlitz und Skórzec wird deutlich, dass das menschliche Bedürfnis nach Mobilität und Austausch häufig durch politische Grenzen behindert wird. Das Beispiel zeigt, dass die Trennung von Kulturen und Gemeinschaften durch willkürliche Grenzen oft nicht im Interesse der Menschen an den Rändern ist.
Wachstum und soziale Ungleichheit
Die Diskussion über das Wirtschaftswachstum wird kritisch betrachtet, insbesondere im Hinblick auf seine Auswirkungen auf soziale Ungleichheit. Während einige Länder ein hohes wirtschaftliches Wachstum verzeichnen, leiden andere unter extremer Armut und Unterentwicklung. Der Zusammenhang zwischen Wachstum und den Lebensbedingungen in verschiedenen Ländern wird durch verschiedene Statistiken verdeutlicht, die auf massive Ungleichheiten hinweisen. Der Aufruf zur Diskussion über die Verteilung des Wachstums legt nahe, dass ohne eine gerechte Verteilung der wirtschaftlichen Vorteile die gesellschaftlichen Spannungen zunehmen werden.
Grenzen des Wachstums im Kontext des Klimawandels
Der Klimawandel wird als einer der Hauptgründe für die notwenige Neudefinition von Wachstum und dessen Grenzen hervorgehoben. Ökonomische Aktivitäten haben nicht nur Auswirkungen auf die Umwelt, sondern verstärken auch bestehende soziale Ungleichheiten. Es wird eine enge Verknüpfung zwischen ökologischem und ökonomischem Wachstum betont, wobei nachhaltige Praktiken und soziale Gerechtigkeit zunächst in Einklang gebracht werden müssen. Diese Diskussion führt zu dem Gedanken, dass ein zukunftsorientiertes Wachstum auch die Stimme der am stärksten betroffenen Gemeinschaften einbeziehen muss.
Zukunftsperspektiven und individuelle Verantwortung
In der Diskussion um Migration und Umweltverantwortung wird darauf hingewiesen, dass individuelle Verhaltensänderungen entscheidend sind, jedoch nicht ausreichen werden, die globalen Herausforderungen zu bewältigen. Der Aufruf zur Verantwortung bezieht sich ebenso auf politische Maßnahmen, die nötig sind, um gesellschaftliche wachsende Spannungen abzubauen und eine gerechte Migration zu fördern. Eine Kombination aus persönlichem Engagement und staatlicher Intervention wird als der Schlüssel zur Schaffung eines nachhaltigeren und gerechteren Systems gesehen. Letztlich steht eine kohärente Politik im Vordergrund, die sowohl die Umwelt als auch die sozialen Bedürfnisse in den Mittelpunkt rückt.
Dreißig Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer werden auf der ganzen Welt Grenzen hochgezogen. Warum? Wann sind Grenzen sinnvoll und gibt es so etwas wie "natürliche" Grenzen?
Darüber diskutierte beim Symposium der Salzburger Festspiele eine hochkarätige Runde. Zu hören sind der Schriftsteller Karl Markus Gauß sowie Ökonom Christoph Badelt (WIFO). Moderiert hat die Podiumsdiskussion der Journalist Michael Kerbler.
Diese Episode ist ein Mitschnitt der Veranstaltung vom 8. August 2019.
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