Sebastian Kurz und der konservative Populismus – #640
Dec 3, 2021
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Natascha Strobl, Politikwissenschaftlerin und Autorin des Buches "Radikalisierter Konservativismus", diskutiert die Auswirkungen von Sebastian Kurz' Rückzug auf den konservativen Populismus. Helmut Brandstätter von NEOS und Maria Rauch-Kallat, ehemalige ÖVP-Ministerin, reflektieren über innerparteiliche Spannungen und den Wandel der ÖVP. Emmerich Talos beleuchtet den Einfluss autoritärer Lösungen in Krisenzeiten und die Rolle des Sozialstaats während der Pandemie. Die Teilnehmer betonen die Bedeutung demokratischer Dialoge und die Herausforderungen, die die ÖVP nach Kurz erwarten.
Sebastian Kurzs Rückzug wird als Wendepunkt in der ÖVP und deren Anpassung an konservativen Populismus betrachtet.
Natascha Strobls Buch zeigt Parallelen zwischen radikalisiertem Konservatismus und antidemokratischen Tendenzen in der Geschichte auf.
Gesellschaftliche Spannungen zwischen sozialer Ungleichheit und politischen Strukturen könnten künftige demokratische Prozesse stark beeinflussen.
Deep dives
Sebastian Kurz und der Konservative Populismus
Der Rückzug von Sebastian Kurz markiert einen Wendepunkt in der österreichischen Politik, insbesondere in der ÖVP, die verstärkt auf konservativen Populismus setzte. Kurz wird als Produkt der aktuellen politischen Verhältnisse gesehen, was zeigt, wie bürgerliche Parteien international auf rechtspopulistische Strömungen reagieren. Natascha Strobl beschreibt in ihrem Buch "Radikalisierter Konservativismus", wie diese Entwicklung sowohl in Österreich als auch international zu beobachten ist. Ihre Analyse zieht Parallelen zu antidemokratischen Tendenzen in der Zwischenkriegszeit und wie Krisenzeiten die Traditionslinien in der Politik verändern können, indem sie autoritäre Antworten hervorrufen.
Krisenzeiten und der autoritäre Drang
In Krisenzeiten beginnen Gesellschaften, die bestehenden Machtverhältnisse und demokratischen Strukturen zu hinterfragen, was oft in autoritären Antworten resultiert. Strobl hebt hervor, dass insbesondere in unübersichtlichen Zeiten solche Tendenzen aufkommen, da Konservatismus in der Vergangenheit häufig als eine Quelle für autoritäre Lösungen dient. Diese Entwicklung wird durch Angriffe auf die demokratischen Institutionen, wie die Judikative und die Medien, deutlich, die sichtbar gemacht werden, wenn diese nur als Gefahren oder Gegenspieler betrachtet werden. Solche Historisierungen verlangen eine kritische Auseinandersetzung mit der Rolle konventioneller Parteien und ihrer Anpassung an populistische Diskurse.
Veränderungen in der ÖVP und ihre Charakterzüge
Die Diskussion um die ÖVP beschäftigt sich auch mit der internen Struktur der Partei und ihrer Evolution unter der Führung von Sebastian Kurz. Die Abspaltung der NEOS und der anschließende Erpressungsmechanismus innerhalb der ÖVP verdeutlichen, wie stark die Machtverhältnisse innerhalb der Partei beeinflusst wurden. Kritiker argumentieren, dass Kurz die Kontrolle über die Partei übernommen hat, die infolgedessen ihre traditionelle konservative Identität anpopulistische und autoritäre Tendenzen verloren hat. Die Befürchtungen über eine dauerhafte Veränderung der politischen Landschaft durch rechtspopulistische Strömungen und deren Einfluss auf die nächsten Generationen bleiben bestehen.
Soziale Konflikte und die Rolle des Sozialstaates
Es wird betont, dass soziale Probleme und Herausforderungen für die Demokratie eng miteinander verknüpft sind. Die Diskrepanz zwischen einem starken Sozialstaat und steigender Armut sowie Arbeitslosigkeit könnte sich als Bedrohung für demokratische Strukturen erweisen. Streichung von sozialen Errungenschaften wird als strategischer Fehler angeprangert, der zu einem Bruch des gesellschaftlichen Konsenses führen könnte. Es bleibt abzuwarten, wie die zukünftigen politischen Akteure mit diesen sozialen Spannungen umgehen und ob sie in der Lage sein werden, einen neuen, inklusiven Konsens zu formulieren.
Zukunft der ÖVP und der radikalisierte Konservativismus
Die ÖVP steht vor der Herausforderung, ihren Weg nach dem Ende von Sebastian Kurz zu finden, was inmitten von gesellschaftlichen Spannungen und politischen Krisen kompliziert wird. Es wird ein Aufbruch hin zu einem weniger radikalisierten, aber inklusiveren und demokratischeren Ansatz gefordert. Der radikalisierte Konservativismus, zunehmend zur Norm geworden, könnte den Weg für ein Erneuern der Parteistrukturen ebnen, wenn die Partei sich auf ihre historischen Werte besinnt. Es bleibt zu klären, ob der neue Kurs auch wirklich einen politisch stabilen, demokratischen Rahmen schaffen kann, der den aktuellen Herausforderungen gewachsen ist.
Ein politischer Nachruf. Eine Politrunde zum Buch „Radikalisierter Konservativismus“ der Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl mit Helmut Brandstätter (NEOS), Maria Rauch-Kallat (ÖVP) und dem Politikwissenschaftler Emmerich Talos auf der Buch Wien, moderiert von Raimund Löw.
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