Junko Prochaska, Essayist aus Lemberg-Lviv, diskutiert mit Florian Bieber, Historiker und Südosteuropa-Experte, und Wolfgang Müller-Funk, Kulturwissenschaftler, über die Macht und Ohnmacht von Imperien. Sie analysieren die historischen Verbindungen zwischen dem Krieg in der Ukraine und imperialen Ambitionen, insbesondere Putins Einfluss. Diskutiert werden die Herausforderungen für Nationalstaaten, die Rolle des Nationalismus und die Rückkehr nationalistischer Bewegungen in Europa. Zudem beleuchten sie die Bedeutung von Sprache und Kommunikation für moderne Identitäten.
Der russische Krieg gegen die Ukraine symbolisiert den Wunsch nach imperialer Kontrolle und der Rückkehr zu großrussischen Identitäten.
Imperien haben historisch universelle Ansprüche erhoben, während Nationalstaaten aus den Konflikten und Narrativen vergangener imperialer Strukturen entstanden sind.
Die Herausforderungen von postimperialen Identitäten erfordern ein kritisches Hinterfragen sowohl historischer Narrative als auch bestehender Machthierarchien in Europa.
Deep dives
Putins imperialistische Ambitionen
Der russische Präsident strebt mit seiner Kriegsführung gegen die Ukraine die Rückkehr zu einer großrussischen Welt an, die an die Zeiten des zaristischen Reiches erinnert. Diese imperialistischen Bestrebungen sind Teil eines größeren Ziels, den Einfluss der demokratischen Revolutionen von 1989 zurückzudrängen und die geopolitische Macht Russlands wiederherzustellen. Der militärische Konflikt wird als Versuch interpretiert, die nationale Identität und die imperiale Macht Russlands wieder zu festigen. Die gemeinsame Vergangenheit mit sensiblen Fragen der Nationenbildung und Demokratie stellt Europa vor neue Herausforderungen und alte Dilemmata in Bezug auf nationale Souveränität und imperialistische Machtstrukturen.
Die Bedeutung des Imperiums
Imperien stellen eine antike Herrschaftsform dar, die oft universelle Ansprüche auf Kontrolle und Herrschaft über verschiedene Nationen erhebt. Historisch gesehen, wie beim Römischen Reich und dem Osmanischen Empire, befassten sich diese Strukturen nicht mit nationaler Identität, sondern mit der bloßen Herrschaft über einen Raum, der multinational und multireligiös sein konnte. Während des 19. Jahrhunderts mussten Imperien auf den aufkommenden Nationalismus reagieren, was zu einer Transformation führte, bei der einige versuchten, sich durch die Anerkennung ihrer vielfältigen Prägungen zu stabilisieren. Dennoch scheiterten andere, die sich auf eine dominante Nation stützen wollten, wie das Osmanische Reich nach dem Ersten Weltkrieg.
Der Nationalismus als moderne Erscheinung
Im Gegensatz zu den alten Imperien ist der Nationalstaat eine relativ neue Erscheinung, die durch massive Konflikte und historische Umwälzungen geformt wurde. Diese Nationen wurden oft als Reaktion auf imperiale Gewalt und als Teil nationalistischer Erzählungen über Identität und Zugehörigkeit gegründet. Nationalismus ist demnach nicht das Resultat von ewiger Identität, sondern eine Konstruktion, die auf vergangenen Konflikten basiert und oft auf Fiktionen beruht. Der Übergang von imperialen zu nationalstaatlichen Strukturen birgt sowohl Gefahren als auch Chancen für das Verständnis von Identität im modernen Europa.
Kulturelle Identität und Imperium
Die Herausforderungen moderner Nationen, insbesondere in den postimperialen Räumen, sind oft mit dem kulturellen Bewusstsein verbunden, das im Kontext der imperialen Vergangenheit betrachtet wird. Die dynamischen Wechselwirkungen zwischen Sprache, Bildung und Identität schaffen das Gefühl der Zugehörigkeit und müssen dabei die eigenen geschichtlichen Narrativen kritisch hinterfragen. In einer Zeit der Krisen und Umbrüche wird dieses kulturelle Bewusstsein von der Notwendigkeit begleitet, nationale Identitäten neu zu definieren und Raum für ein inklusives Europa zu schaffen. Diese Spannungen werden durch die anhaltenden imperativen Machthierarchien verstärkt, die demokratische Bewegungen bedrohen.
Putins Bedrohung und die europäische Einheit
Mit dem Ukraine-Konflikt wird der tief verwurzelte Widerspruch zwischen nationalstaatlicher Souveränität und imperialer Kontrolle erneut thematisiert. Die unterschiedlichen ideologischen Denksysteme, die sich aus den imperialen und nationalstaatlichen Strukturen ergeben, beeinflussen die geopolitischen Beziehungen Europas und Russlands. Putin betrachtet die Ukraine als Bedrohung für symbiotische Vorstellungen von imperialer Herrschaft und nationalstaatlicher Integrität, die für autokratische Regime von grundlegender Bedeutung sind. Die Absicherung der europäischen Einheit stellt für Russland eine Herausforderung dar, während gleichzeitig nationale Identitäten in der Ukraine und anderen postimperialen Staaten neu gestaltet werden.
Was hat der russische Krieg mit Nationsbildung, Demokratie und der Sucht nach der imperialen Macht des römischen Reiches zu tun? Darüber sprechen in einem Salon Europa Essayist Junko Prochaska (Lemberg-Lviv), Historiker Florian Bieber (Uni Graz), Kulturwissenschaftler Wolfgang Müller-Funk mit Theaterleiterin Anna Maria Krassnigg.