Die unerträgliche Normalität der Gewalt in Russland - #1202
Aug 10, 2024
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Julian Hans, Moskau-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung und Autor von "Kinder der Gewalt", und Cathrin Kahlweit beleuchten die erschreckenden Verquickungen von Gewalt, autoritärer Macht und gesellschaftlicher Akzeptanz in Russland. Sie diskutieren die Rolle der Mafia und die staatliche Unterstützung in der Brutalität, sowie den mutigen Widerstand von Frauen wie Galina Kroschka gegen Unterdrückung. Zudem wird die langfristige Traumatisierung durch den Krieg und die Herausforderungen der Zivilgesellschaft thematisiert.
In Russland sind Gewalt und autoritäre Strukturen stark miteinander verbunden, wobei das System der Straflosigkeit in der Gesellschaft verankert ist.
Die kollektiven Traumata und historischen Erfahrungen der russischen Bevölkerung tragen zur Akzeptanz von Gewalt und der Resignation gegenüber Missständen bei.
Deep dives
Die Brutalität autoritärer Strukturen in Russland
In Russland sind gewaltsame Kriminalfälle eng mit autoritären Regierungsstrukturen und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft verbunden. Ein Beispiel dafür ist die Schilderung einer südrussischen Kleinstadt, in der über Jahre hinweg eine mafiaähnliche Bande die Kontrolle über die Stadtregierung, Polizei und Justiz hatte. Hunderte Vergewaltigungen blieben ungestraft, da die Polizei mit den Tätern zusammenarbeitete und die Frauen oft nicht einmal die Möglichkeit hatten, Anzeige zu erstatten. Dies verdeutlicht, wie Gewalt von staatlichen Institutionen toleriert wird und sich als Teil des gesellschaftlichen Systems verfestigt hat.
Kollektive Gewalterfahrungen in der russischen Geschichte
Die kollektiven Gewalterfahrungen, die die russische Gesellschaft über Jahrzehnte hinweg gemacht hat, prägen das gegenwärtige Gewaltverständnis und Verhalten. Diese Erfahrungen reichen zurück bis zur Revolution, dem Bürgerkrieg und dem Stalinismus, und haben eine Kultur des Schweigens und der Angst erzeugt, die sich bis heute hält. Beispiele dafür sind die Reaktionen auf Proteste sowie die Flucht vieler Menschen aus Russland nach dem Ausbruch des Ukrainekriegs. Diese lange Geschichte von staatlich induzierter Gewalt und Trauma trägt dazu bei, dass viele Menschen Gewalt als Norm akzeptieren oder gar nicht in Frage stellen.
Gesellschaftliche Reaktionen auf Gewalt
Die Reaktionen der Gesellschaft auf Gewalt sind oft von Ohnmacht und Resignation geprägt. Während es einige Einzelpersonen gibt, die mutig gegen Missstände kämpfen, wie beispielsweise eine Hochschulleiterin, die sich für die Opfer von Vergewaltigungen einsetzte, werden diese Bemühungen häufig bestraft oder im Keim erstickt. Die Kombination aus staatlicher Unterdrückung und der Verankerung von Gewalt in der Kultur führt dazu, dass viele Menschen nicht bereit sind, gegen die bestehenden Missstände zu kämpfen oder sich solidarisch zu zeigen. Diese Umstände tragen zur Perversion von Widerstand auf grundlegender gesellschaftlicher Ebene bei.
Manipulation von Gewaltdiskursen und Geschichtspolitik
Der Diskurs über Gewalt in der russischen Gesellschaft wird häufig von den Machtinhabern manipuliert, um ein bestimmtes Narrativ zu fördern. Der Kreml nutzt historische Traumaerfahrungen, um die Bevölkerung zu kontrollieren, indem er Feindbilder schafft und die eigene Vergangenheit glorifiziert. Dies führt dazu, dass viele Menschen die Realität brutalster Gewalt in einem anderen Licht sehen und bereit sind, autoritäre Herrschaft als legitim zu akzeptieren. Individuen, die versuchen, diese Narrative zu hinterfragen oder sich kritisch mit der Geschichte auseinanderzusetzen, werden oft als Bedrohung angesehen und als ausländische Agenten gebrandmarkt.
Der erschreckende Bericht über Kriminalfälle, autoritäre Gesellschaft und politische Macht, die das Unterfutter des russischen Krieges gegen die Ukraine sind. Buchautor und Journalist Julian Hans im Gespräch mit SZ-Korrespondentin Cathrin Kahlweit im Bruno Kreisky Forum.
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