tl;dr #43: Leo Löwenthal: «Falsche Propheten» | mit Simon Strick
Oct 30, 2024
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Simon Strick, Kultur- und Medienwissenschaftler, entblättert die faszinierenden und alarmierenden Themen in Leo Löwenthals Werk 'Falsche Propheten'. Er diskutiert, wie Agitatoren emotionale Manipulation nutzen, um gesellschaftliche Ängste zu schüren und von echten Problemen abzulenken. Die Relevanz dieser rhetorischen Techniken für die heutige Zeit wird ergründet, insbesondere im Hinblick auf den Rechtspopulismus und die Mobilisierungsmechanismen, die die Demokratie gefährden. Strick gibt wertvolle Einsichten in die Dynamik politischer Wahrnehmung und die Wurzeln des Rechtsextremismus.
Löwenthal analysiert die rhetorischen Techniken autoritärer Agitatoren, die Ängste der Bevölkerung ausnutzen und gezielt emotionale Manipulation einsetzen.
Die Agitatoren schaffen kollektive Identitäten, indem sie soziale Probleme auf vermeintliche Feinde projizieren, anstatt Lösungen anzubieten.
Löwenthal fordert eine kritische Auseinandersetzung mit den psychologischen Mechanismen, die autoritäre Bewegungen anheizen, um nachhaltige Veränderungen zu erreichen.
Deep dives
Löwenthal und die falschen Propheten
Das Buch "Die falschen Propheten" von Leo Löwenthal, das 1949 erschienen ist, analysiert die Strategien und Techniken, die autoritäre Agitatoren anwenden, um gesellschaftliche Ängste auszunutzen. Löwenthal untersucht, wie diese Figuren ernsthafte gesellschaftliche Probleme ansprechen, jedoch die Emotionen der Menschen als Waffe nutzen, um sie zu mobilisieren. Dieser Prozess, den er als 'Malaise' bezeichnet, beschreibt ein tiefes Gefühl der Beunruhigung und Unsicherheit über gesellschaftliche Werte und demokratische Prinzipien. Die Agitatoren verstärken diese Gefühle und geben den Menschen ein Gefühl der Gemeinschaft, allerdings auf Kosten einer kritischen Auseinandersetzung mit den eigentlichen Problemen der Gesellschaft.
Die Rolle des Agitators
Löwenthal beschreibt den Agitator als jemand, der nicht versucht, das Verständnis seiner Zuhörer zu fördern, sondern vielmehr ihre Ängste bestärkt und sie in einer emotionalen Sackgasse hält. Er nutzt gezielt angestautes Misstrauen und Enttäuschung, um Menschen in eine passive Rolle zu drängen, wo sie nicht aktiv für Veränderungen eintreten. Die Agitatoren bedienen sich dabei einer Sprache, die einfache Lösungen für komplexe Probleme suggeriert, ohne tatsächlich transformative Ansätze zu bieten. Diese Manipulation führt dazu, dass Menschen nicht die intellektuelle Auseinandersetzung mit ihren Herausforderungen suchen, sondern sich in tiefere emotionale Abhängigkeiten begeben.
Emotionale Mobilisierung und gesellschaftliche Probleme
Die Argumentation Löwenthals zeigt auf, dass die Agitatoren echte gesellschaftliche Ängste ansprechen und diese für ihre eigenen politischen Ziele instrumentalisieren. Sie heben die Entfremdung und das Gefühl der Hilflosigkeit gegenüber sozialen Ungerechtigkeiten hervor, während sie gleichzeitig die Verantwortung auf sogenannte 'Feinde' projizieren. Diese Ausgrenzung ermöglicht es den Agitatoren, eine soziale Identität der betrogenen Mehrheit zu schaffen, die sich gegen vermeintliche Bedrohungen zusammenschließt. Anstatt Lösungen für diese existenziellen Ängste zu präsentieren, wird die Wut auf diese Gruppen gelenkt, was eine konstruktive Diskussion über deutlichere soziale Probleme verhindert.
Die Verbindung zu aktuellen politischen Strömungen
Löwenthals Erkenntnisse sind nicht nur historisch bedeutend, sondern finden auch in den gegenwärtigen politischen Diskursen Resonanz, insbesondere in der Betrachtung autoritärer Strömungen heute. Der Diskurs über identitäre und populistische Bewegungen, die oft den Untergang und den 'Bevölkerungsaustausch' beschwören, spiegelt die von Löwenthal eingerichteten Strukturen wider. Diese Bewegungen neigen dazu, Ängste zu schüren und bieten einfache, scheinbar klare Feindbilder an, die an die Stelle von komplexen und realen politischen Analysen treten. Dies verdeutlicht, wie wichtig es ist, die emotionalen und psychologischen Motive zu verstehen, die Menschen in die Arme solcher Bewegungen treiben.
Kritik an der politischen Bildung und Lösungen
Löwenthal fordert eine tiefere Auseinandersetzung mit den psychologischen Mechanismen, die autoritäre Bewegungen anheizen. Er kritisiert, dass herkömmliche Ansätze zur politischen Bildung oft nicht ausreichen, um das komplexe Gefüge von Angst und Identitätserfahrung zu adressieren. Um eine nachhaltige Veränderung zu ermöglichen, bedarf es emotional ansprechender und visionärer Alternativen, die an der Lebensrealität der Menschen ansetzen. Dies erfordert eine neue Art des Dialogs und des Engagements, das die realen Sorgen der Menschen ernst nimmt und ihnen Perspektiven aufzeigt, die über die Ressentiments und Ängste hinausgehen.
Propaganda und Gewalt sind wesentliche Merkmale faschistischer Politik. In dem Text «falsche Propheten» analysiert Leo Löwenthal die rhetorischen Techniken, die Agitatoren in ihren Texten, Flugblättern oder Reden verwenden. Löwenthal war einer der Mitbegründer der «Kritischen Theorie» und Kommunikationsforscher. In dem Klassiker der politischen Psychologie untersucht er in den USA der 1940er Jahre die Rolle des «Agitators». Dieser verbreitet Verschwörungstheorien und «fakenews» und unternimmt gegenüber seinem Publikum eine Feindmarkierung von Linken, Politikern und Jüdinnen und Juden als Sündenböcke der gesellschaftlichen Krise. Der «Agitator» arbeitet auf die Verdummung der Bevölkerung hin und lenkt damit von den tatsächlichen Problemen der Gesellschaft ab. Löwenthal betrachtet dies als «Generalprobe fürs Pogrom».
Die untersuchten Materialien sind nicht nur eine historisch interessante Forschung zu rechter Ideologie, sondern brandaktuell. Wer heute Rechte reden hört, wer sich in den Sozialen Medien umschaut, den springt die Aktualität dieser Untersuchung geradezu an.