Gunter Gebauer: Die gestalterische Kraft des Geschmacks
Apr 28, 2025
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Gunter Gebauer, ein angesehener Philosoph und Experte für Pierre Bourdieus Theorien, spricht über die tiefgreifenden Zusammenhänge zwischen Geschmack und sozialer Identität. Er beleuchtet, wie persönliche Vorlieben durch gesellschaftliche Einflüsse geprägt werden. Humor und kulturelles Kapital stehen im Fokus, während Bourdieu's Ideen zur Bildung und Klassenzugehörigkeit hinterfragt werden. Zudem wird die Evolution des Geschmacks diskutiert, einschließlich der Spannungen zwischen individuellem Habitus und sozialen Normen. Philosophische Perspektiven von Kant und persönliche Erfahrungen fügen der Diskussion zusätzliche Tiefe hinzu.
Geschmack ist eine persönliche Entscheidung, die jedoch stark durch soziale Zugehörigkeiten und kulturelle Prägungen beeinflusst wird.
Pierre Bourdieus Konzept des Habitus zeigt, wie individuelle Geschmäcker durch soziale Kontexte und Erfahrungen geprägt werden.
Die Veränderung des Geschmacks im Laufe der Zeit verdeutlicht die Bedeutung von Sozialisation und neuen Erfahrungen für persönliche Vorlieben.
Deep dives
Die Verbindung zwischen Geschmack und sozialer Stellung
Der Vortrag behandelt, wie Geschmack und kulturelle Vorlieben eng mit der sozialen Zugehörigkeit verbunden sind. Pierre Bourdieu, ein einflussreicher Theoretiker, unterscheidet zwischen ökonomischem und kulturellem Kapital, wobei letzteres für viele Menschen eine Möglichkeit darstellt, soziale Unterschiede auszugleichen. Personen, die weniger finanzielles Kapital besitzen, können durch ihr kulturelles Wissen und ihre Bildung dennoch zur Mittelklasse gehören und Ansehen erlangen. Dies zeigt, dass Geschmack nicht nur persönliche Vorlieben widerspiegelt, sondern auch ein Indikator für die soziale Zugehörigkeit ist.
Statistische Erhebungen und der Geschmack
Bourdieu führte umfangreiche statistische Erhebungen durch, um qualitative Aussagen über die Gesellschaft und ihre Geschmäcker zu treffen. Durch die Zusammenarbeit mit Statistikern konnte er systematisch Daten sammeln, die Aufschluss über die Vorlieben von Menschen in verschiedenen sozialen Schichten gaben. Solche Erhebungen ermöglichten es, ein umfassendes Bild davon zu erhalten, wie gesellschaftliche Strukturen den Geschmack beeinflussen. So wurde gezeigt, dass Geschmack nicht nur eine individuelle Empfindung ist, sondern auch durch soziale Faktoren geprägt wird.
Die philosophische Dimension des Geschmacks
Die Diskussion führt auch zur philosophischen Frage, ob Geschmack zur Vergesellschaftung von Menschen beiträgt. Kant hatte eine Vorstellung von gemeinschaftlichem Geschmack, der einer Geselligkeit dient und als menschliche Verbindung fungiert. Es wird erörtert, wie Empfindungen des Schönen bei Menschen entstehen und sich untereinander teilen lassen, was auch als sensorisches Gemeinschaftsgefühl bezeichnet werden kann. Diese Perspektive zeigt, wie das Erleben von Schönheit eine soziale Dimension hat und wie Menschen durch gemeinsame Geschmackserfahrungen miteinander interagieren.
Kulturelle Neugierde und Geschmäckerveränderung
Ein Hörer bringt ein persönliches Beispiel an und beschreibt, wie sich sein Geschmack im Laufe der Zeit durch Neugierde und neue Erfahrungen verändert hat. Er betont die Bedeutung von Sozialisation und Umwelt, die einen großen Einfluss auf den individuellen Geschmack haben. Diese Veränderungen können zu einer Distanz von der Herkunftsfamilie führen, wenn sich jemand in eine andere kulturelle Richtung entwickelt. Damit wird deutlich, dass der Geschmack nicht statisch ist, sondern sich durch Erfahrungen und das Streben nach Wissen weiterentwickeln kann.
Der Einfluss von Habitus auf Geschmack
Ein zentraler Begriff in der Diskussion ist der Habitus, ein Konzept von Bourdieu, das beschreibt, wie soziale Prägungen und Erfahrungen den persönlichen Geschmack formen. Der Habitus beeinflusst, welche Geschmäcker jemand als angenehm oder abstoßend empfindet und legt nahe, dass Geschmackserfahrungeninstellungen oft in einem sozialen Kontext entstehen. Menschen mit ähnlichen sozialen Hintergründen neigen daher dazu, ähnliche Geschmäcker zu entwickeln und zu teilen. Dies verdeutlicht, warum Geschmäcker oft in sozialen Kreisen stark miteinander verknüpft sind und wie sozialer Druck den Geschmack beeinflussen kann.
Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten. Moderator Jürgen Wiebicke spricht mit dem Philosophen Gunter Gebauer über das Phänomen des Geschmacks und darüber, welche Rolle Immanuel Kant und Pierre Bourdieu dabei spielen.
Gunter Gebauer (*1944)ist Philosoph, Sportsoziologe und hatte eine Professur für Philosophie an der Freien Universität Berlin inne. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen die Anthropologie, Sprachphilosophie und Sozialphilosophie.
Pierre Bourdieu und die feinen Unterschiede (00:20)
Geschmack und die Vergesellschaftung der Menschen (07:28)
Gefühl und Erkenntnis nach Immanuel Kant (12:53)
Worin Geschmack begründet sein könnte (17:17)
Welche Rolle die Distinktion spielt (22:52)
Geschmack und die Grenzen der Sprache (26:20)
Was Kant und Bourdieu in Sachen Geschmack verbindet (31:18)
Geschmack in der Kunst (37:20)
Was der Habitus mit dem Geschmack macht (40:26)
Über Geschmack streitet man nicht – oder doch? (42:12)
Neugier als treibende Kraft (48:51)
Literatur: Gunter Gebauer: Geschmack und seine feinen Unterschiede. Transcript Verlag (2025). 150 Seiten. ISBN 978-3-8376-7675-4.
Gunter Gebauer im Philosophischen Radio: Die sieben Todsünden https://1.ard.de/PhiloRadio_Gebauer_Suenden
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