#747 - Birgit Mahnkopf über "grünen Kapitalismus", Globalisierung & die Europäische Union
Jan 14, 2025
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Birgit Mahnkopf, Politikwissenschaftlerin und emeritierte Professorin, spricht über die Herausforderungen des grünen Kapitalismus und die Grenzen des Wachstums in einer endlichen Welt. Sie reflektiert über ihre eigene politische Naivität während der 68er-Bewegung und die evolvierende Rolle der Grünen. Der Dialog beleuchtet grundlegende Fragen zur Globalisierung, der EU und der Notwendigkeit einer nachhaltigen Ressourcennutzung. Mahnkopf kritisiert die aktuellen politischen Strukturen und betont die Dringlichkeit eines Paradigmenwechsels hin zu Kreislaufwirtschaft.
Der Ruhestand wird oft mit Untätigkeit assoziiert, während sinnvolle Freizeitgestaltung für eine erfüllte Lebensphase entscheidend ist.
Die 'Europäische Gesellschaftspolitik' scheitert daran, friedliche Gesellschaften zu vereinen, da wirtschaftliche Interessen dominieren.
Die EU hat erfolgreiche wirtschaftliche Fortschritte erzielt, jedoch den sozialen und kulturellen Austausch in der Integration vernachlässigt.
Bildungsprogramme wie Erasmus bieten Mobilität für Studierende, versäumen aber, Lehrlinge und Arbeitnehmer angemessen zu integrieren.
Der kritische Blick auf 'grünen Kapitalismus' zeigt, dass unbegrenztes Wachstum schädlich für die Umwelt sein kann.
Eine Transformation hin zu Suffizienz erfordert gesellschaftliche Anstrengungen und ein Umdenken über Ressourcen- und Konsumverhalten.
Deep dives
Die Sinnfrage der Freizeit
Freizeit wird als etwas betrachtet, das nur im Kontrast zur Arbeit verstanden werden kann. Wenn keine sinnvolle Arbeit vorhanden ist, stellt sich die Frage, was mit der Freizeit anfangen soll. Ruhestand wird als ein Zustand beschrieben, der eher mit Untätigkeit und Langeweile assoziiert wird. Die Vorstellung, nach 40 Jahren Arbeit einfach die Füße hochzulegen, wird als unrealistisch angesehen, besonders wenn vorher keine aktiven Erlebnisse stattfinden konnten.
Europäische Gesellschaftspolitik: Ein Utopischer Traum
Der Begriff der 'Europäischen Gesellschaftspolitik' wird eingeführt, um die Vorstellung einer an den europäischen Werten orientierten Gesellschaft zu beschreiben. Die ursprüngliche Hoffnung war, verschiedene Gesellschaften friedlich zu einem neuen Europa zusammenzuführen. Diese Vorstellung scheiterte jedoch, da die eigentlichen politischen Strukturen und Kooperationsfelder wirtschaftlicher Natur blieben. Die Diskrepanz zwischen dem wirtschaftlichen und dem erwarteten gesellschaftlichen Zusammenhalt wird als ein zentrales Versäumnis der EU gesehen.
Versagen der EU als Gesellschaftsunion
Die Europäische Union hat eine erfolgreiche Wirtschaftsunion etabliert, verfehlte jedoch ihr Ziel als gesellschaftliche Union. Entwicklungen, die sozialen Austausch und Integration fördern sollten, seien unzureichend umgesetzt worden. Der Trend hin zu nationalistischen Ansichten und die Rückkehr von Grenzkontrollen führten zu einer Abnahme des interkulturellen Verständnisses. Somit wird die europäische Integration heute nur noch als wirtschaftlich orientiert wahrgenommen, nicht jedoch als kulturell oder sozial.
Mobilität und Barrieren im Bildungssystem
Verschiedene Programme, wie das Erasmus-Programm, ermöglichten eine Mobilität für Studierende, der Zugang jedoch für Lehrlinge und Arbeitnehmer unzureichend blieb. Die ungleiche Behandlung dieser Gruppen führt zu einem Verständnisverlust über die Arbeitskulturen in verschiedenen europäischen Ländern. Es fehlt an Austauschmöglichkeiten für die Arbeitnehmer; ohne Bildung oder Vergleichsmöglichkeiten bleibt die Gesellschaft teils ausgrenzend. Der Mangel an Verständnis reduziert die Chancen auf gesellschaftliche Verbindungen und Integrationen.
Der Bologna-Prozess und seine Kritik
Der Bologna-Prozess wurde eingeführt, um Studienabschlüsse in Europa zu vereinheitlichen, wurde jedoch später stark kritisiert. Der Wunsch nach internationaler Mobilität wurde nicht vollständig erfüllt, da die Berufsausbildung unberücksichtigt blieb. Eine Harmonisierung der Ausbildungssysteme auf europäischer Ebene blieb aus, was den Zugang zu internationalen Praktika und Arbeitsplätzen für viele erschwert hat. Diese Diskrepanz offenbart die fehlende strategische Planung für eine umfassende europäische Integration.
Kapitalbewegung und soziale Diskrepanz
Die Freizügigkeit von Kapital in der Europäischen Union wird als gegeben betrachtet, Arbeitnehmer sind jedoch in ihrer Mobilität eingeschränkt. Während Kapital sich ungehindert bewegt, bleibt vielen Arbeitnehmern der Zugang verwehrt. Der Fehlen eines Programms für arbeitsuchende Lehrlinge ist besorgniserregend. Diese Ungleichheit trägt zur Entfremdung und zur Feindlichkeit gegenüber europäischen Institutionen bei.
Die Illusion des grünen Kapitalismus
Die Vorstellung eines 'grünen Kapitalismus' wird kritisch betrachtet, da der Kapitalismus grundsätzlich auf unbegrenztem Wachstum basiert. Eine transformationale Wirkung auf den ökologischen Fußabdruck wird damit als unwahrscheinlich angesehen. Investment in grüne Technologien sorgt nicht notwendigerweise für eine Reduzierung der Umweltbelastung; vielmehr können sie Potenzial für noch mehr Ressourcenverbrauch mobilisieren. Dies wird als Widerspruch zu der Idee einer nachhaltigen Wirtschaftsweise verstanden.
Notwendigkeit einer sozialen Neuorientierung
Um der ökologischen Krise entgegenzuwirken, sollte eine Transformation hin zu einem System stattfinden, das den Schwerpunkt auf Suffizienz statt Wachstum legt. Es muss eine Abkehr von der Überproduktion und ein echtes Interesse an wiederverwendbaren Ressourcen gefördert werden. Bildung und Bewusstsein sind entscheidend, um ein Umdenken in der Gesellschaft zu bewirken, wobei es um eine Reduzierung des Konsums geht. Der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft benötigt jedoch erhebliche politische und gesellschaftliche Anstrengungen.
Der Einfluss der Lobbyarbeit auf die Politik
Lobbyarbeit spielt eine entscheidende Rolle in der politischen Gestaltung, oft zu Gunsten von Fehlentwicklungen im Bereich Umweltschutz und nachhaltiger Entwicklung. Der Einfluss mächtiger Interessenvertretungen sorgt dafür, dass relevante Themen und notwendige Maßnahmen oft in den Hintergrund gedrängt werden. Umweltschutz wird häufig aus wirtschaftlichen Bündnissen heraus ausgeklammert, was abträglich für das langfristige Wohl von Gesellschaft und Umwelt ist. Transparente Entscheidungsprozesse sind notwendig, um die Integrität und Verantwortung in der Politik zu gewährleisten.
Die Herausforderung der gesellschaftlichen Integration
Trotz der Möglichkeit, dass verschiedene Bildungseinrichtungen auf europäischer Ebene zu einer sozialen Integration beitragen sollten, bleibt die Wirklichkeit oft hinter den Erwartungen zurück. Der innergesellschaftliche Austausch und die kulturelle Verständigung leiden unter einer fehlenden Integration. Die ungleiche Verteilung von Bildungschancen und beruflichen Perspektiven verstärken bestehende Gräben. Daher ist eine nachhaltige Integration nicht nur ökonomisch, sondern vor allem kulturell und sozial erforderlich.
Politische Maßnahmen zur Förderung von Nachhaltigkeit
Um eine nachhaltige Gesellschaft zu erreichen, müssen grundlegende politische Maßnahmen ergriffen werden, die auf langfristige ökologischen und sozialen Stabilität abzielen. Dazu gehört auch, dass Staaten und Unternehmen Verantwortung für ihren Ressourcenverbrauch übernehmen. Bildungssysteme sollten dazu gestaltet werden, um ein Bewusstsein für einen nachhaltigen Lebensstil zu fördern. Um in der globalisierten Welt erfolgreich zu sein, benötigt es einen grundlegenden Wandel im Denken über Wachstum und Ressourcenverwaltung.
Der kritische Blick auf die Zukunft Europas
Die zukünftige Entwicklung Europas wird von der Notwendigkeit geprägt sein, wirtschaftliche und gesellschaftliche Strukturen neu zu denken. Die Herausforderungen durch Klimawandel, soziale Ungleichheit und geopolitische Spannungen fordern ein gemeinsames Handeln aller Mitgliedstaaten. Eine alternative Vision für Europa muss auf gerechter Verteilung von Ressourcen und sozialer Integrität basieren. Um einen wirkungsvollen Wandel herbeizuführen, müssen sowohl Bürger als auch politische Akteure gemeinsame Lösungen erarbeiten.
Zu Gast im Studio: Birgit Mahnkopf, Politikwissenschaftlerin und emeritierte Professorin an der Hochschule für Wirtschaft und Recht.
Ein Gespräch über Ruhestand, Birgits Professur zur "Europäischen Gesellschaftspolitik", die heutige EU und seine Geburtsfehler, das Europaparlament, Nationalstaaten und Vorstellungen von einem anderen Europa, Birgits Jugend und die 68er, den Tag an dem sie ihre Naivität verlor, Joschka Fischer und die Entwicklung der Grünen, ihren Weg in die Soziologie, ihre Arbeit zur "Globalisierung der Unsicherheit" und zu den Grenzen der Globalisierung, den Industriekapitalismus, permanentes Wachstum auf einem endlichen Planeten, die Fiktion von Wachstum ohne Emissionen, Ressourcenverbrauch und fossiler Energieverbrennung, die "große Lüge" über Wachstum der Parteien in Deutschland, Birgits Ideen zur Abkehr vom Wachstum sowie Kreislaufwirtschaft + eure Fragen via Hans