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Der tägliche Podcast über Geschichte von der Antike bis heute, über Europa und die Welt, über die Geschichte der Menschheit: 15 Minuten zu historischen Persönlichkeiten und Erfindungen. Von George Washington bis Rosa Luxemburg, vom Büstenhalter bis Breaking Bad.
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Mar 2, 2024 • 15min
Ariane Mnouchkine: Sonnenkönigin des Theaters
Die Grand Dame des französischen Theaters Ariane Mnouchkine wird am 3.3.2024 85 Jahre alt. Seit 60 Jahren leitet sie das 1964 von ihr gegründete Pariser Theatre du Soleil.Ich wünsche jedem Mädchen einen Vater, wie ich ihn hatte, erzählt Ariane Mnouchkine einmal. Er habe sie ermutigt, niemals auch nur in Erwägung zu ziehen, dass sie nicht erreichen könne, was sie wolle. Der Vater, ein aus Russland emigrierter Filmregisseur, vermittelt seiner Tochter zudem Leidenschaft, Leistungsbereitschaft und Selbstvertrauen und schickt sie in die Welt.Nach dem französischen Abitur geht Ariane Mnochkine zunächst zum Studium nach Oxford, dann auf eine Asienreise. Dort lernt sie das Nô und das Kabuki Theater kennen, den indischen Tanz, das Spiel mit Masken, Feuerspektakel und Massenszenen. Inspirationen für ihre späteren Inszenierungen. Denn nun steht fest: Die 25-Jährige will selbst Theater machen und gründet das "Théâtre du soleil". Die unkonventionelle Compagnie sorgt bald für Aufsehen: Sie spielen in einem Zirkuszelt, improvisieren auf der Bühne und leben als Kollektiv zusammen.Der Durchbruch kommt 1970 mit dem Stück "1789". Das "Théâtre du soleil" ist mittlerweile in eine ehemalige Munitionsfabrik am Stadtrand von Paris gezogen. Gespielt wird auf fünf Bühnen, oft gleichzeitig – gemeinsam mit dem Publikum, das die Bevölkerung während der Revolution verkörpert. Theater als ein alle Sinne umfassendes Spektakel, das wird zum Markenzeichen von Ariane Mnouchkine. Ihre Themen sind immer hochpolitisch – von der Revolution bis zur Lage der Geflüchteten.Sie selbst versucht ihr Theater so gerecht wie möglich zu leiten. Bis heute verdient jeder den gleichen Lohn, egal ob Direktorin, Maskenbildnerin oder Schauspielerin. 2019 wird Ariane Mnouchkine für ihr Lebenswerk mit dem Kyoto Preis geehrt, eine der bedeutendsten Auszeichnungen für Kunstschaffende weltweit. In diesem Zeitzeichen erzählt Claudia Belemann:warum Ariane Mnouchkine "Sonnenkönigin des Theaters" genannt wird,wie die Besuche am Filmset ihres Vater sie beeinflusst haben,über einen Theaterbesuch in Kyoto, der ihr Leben verändert,warum sie nicht selbst die Rollen in ihren Stücken vergibt,über das kollektive Leben im "Théâtre du soleil".Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:Georges Schlocker, TheaterkritikerThomas Petz, Theaterkritiker- und Dramaturg Wes Williams, Literaturprofessor, University of OxfordJosette Féral (Hg.): Ariane Mnouchkine und das Théâtre du Soleil. Berlin 20021789. Ein Film von Ariane Mnouchkine & Théâtre du soleil. 1970/2017Moliere. Ein Film von Ariane Mnouchkine & Théâtre du soleil. 1978Le dernier caravanserail. Ein Film von Ariane Mnouchkine & Théâtre du soleil. 2006Weiterführende Links:Ariane Mnouchkine: A life in theatre – Kyoto Prize at Oxford 2021. Dokumentation YoutubeThéâtre du SoleilWelches Thema sollen wir im Zeitzeichen recherchieren? Gibt es Kritik oder Lob?Gerne her damit: Einfach schreiben an zeitzeichen@wdr.de Wir freuen uns auch über Bewertungen auf der Podcast-Plattform des Vertrauens! Das ganze Zeitzeichen-Archiv gibt’s hier.Die Macherinnen und Macher hinter diesem Zeitzeichen: Autorin: Claudia BelemannRedaktion: Matti HesseTechnik: Nico Söllner

Mar 1, 2024 • 15min
Carl Schurz: Vom 1848er-Revolutionär zum Lincoln-Vertrauten
Carl Schurz (geboren am 2.3.1829) Leben war abenteuerlich und einzigartig. Als Revolutionär von 1848 gelang ihm nach seiner Flucht aus Deutschland eine einmalige Karriere in den USA.Carl Schurz, Lehrersohn als dem rheinischen Erftstadt, findet schon als junger Student Gefallen am Freiheitsgedanken. Zusammen mit seinem Bonner Professor Gottfried Kinkel beteiligt er sich 1848 und 1849 an der Revolution – und scheitert mit ihr. Einer drohenden Hinrichtung kann er durch eine spektakuläre Flucht entgehen. Später gelingt es ihm sogar, Kinkel aus dem Gefängnis zu befreien. Zugleich wird Carl Schurz klar: Europa ist noch nicht reif für die Demokratie. So zieht es ihn auf die andere Seite des Atlantiks, wo weder Kaiser noch Könige regieren. Dort unterstützt er Abraham Lincoln und kämpft im Bürgerkrieg mit einer deutschstämmigen Truppe für die Befreiung der Sklaven. Danach nimmt seine politische Karriere so richtig Fahrt auf, erst als Senator, dann als Innenminister.Carl Schurz stirbt 1906 in den USA als hoch verehrter Politiker. Ein Jahrhundert später sehen Historiker sein Wirken kritischer, vor allem im Hinblick auf seinen Umgang mit den indigenen Bewohnern und Zugeständnissen an die rassistische weiße Elite. Aufgrund dieser Debatte hat Bundespräsident Steinmeier im Mai 2022 eine Ehrung für Carl Schurz im Schloss Bellevue abgesagt.In diesem Zeitzeichen erzählt Michael Reinartz:wie Carl Schurz nach der gescheiterten Revolution durch einen Abwasserkanal flieht, warum er Karl Marx nach einem persönlichen Treffen kritisch sieht, vom Treffen mit Abraham Lincoln bei einer Zugfahrt,wieso sich die historische Bewertung von Carl Schurz geändert hat.Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:Alex Burchard, Vorsitzender des Carl Schurz-Kreises in Erftstadt-LiblarUwe Timm, SchriftstellerJulius Wilm, Historiker an der Universität LeipzigRudolf Geiger: Der deutsche Amerikaner. Carl Schurz: Vom deutschen Revolutionär zum amerikanischen Staatsmann. Gernsbach 2007 Daniel Göske (Hg.): Lebenserinnerungen. Mit einem Essay von Uwe Timm. Göttingen 2015Dirk Kurbjuweit: Kein Held ist perfekt. War ein Deutscher daran schuld, dass indigene Stämme in den USA Schreckliches erleiden mussten? Der Bundespräsident hat ein Problem mit dieser Frage. In: "Der Spiegel" Nr. 20, 14.5.2022Julius Wilm: Jenseits der Legende vom guten Deutschen: Carl Schurz in den USA. In Geschichte der Gegenwart. April 2022Julius Wilm: Ein deutscher Revolutionär im Amt: Carl Schurz und der Niedergang der Minderheitenrechte in den USA der 1870er Jahre. Erscheint im Juli 2024.Weiterführende Links:Deutsche in Amerika (planet wissen)22.9.1862 – US-Präsident Lincoln proklamiert SklavenbefreiungRevolution 1848 – Carl Schurz (Bundeszentrale für politische Bildung)12.2.1809: Geburtstag des amerikanischen Präsidenten Abraham LincolnWelches Thema sollen wir im Zeitzeichen recherchieren? Gibt es Kritik oder Lob?Gerne her damit: Einfach schreiben an zeitzeichen@wdr.de Wir freuen uns auch über Bewertungen auf der Podcast-Plattform des Vertrauens! Das ganze Zeitzeichen-Archiv gibt’s hier.Die Macherinnen und Macher hinter diesem Zeitzeichen: Autor: Michael ReinartzRedaktion: Matti HesseTechnik: Thomas Bleul

Feb 29, 2024 • 13min
Wie die Sixtinische Madonna nach Dresden kam: ein Kunst-Abenteuer
Friedrich August III., Kurfürst von Sachsen, will unbedingt einen echten Raffael haben. Am 1.3.1754 schaffen seine Kunst-Agenten ein berühmtes Werk über die Alpen.Der italienische Maler Raffael ist noch keine 30 Jahre alt, als ihm Papst Julius II. im Sommer 1512 einen Auftrag erteilt: Ein großes Gemälde, ein Geschenk für den Hochaltar der Klosterkirche San Sistro in Piacenza. Der Ort in der Lombardei ist gerade von den französischen Eroberern befreit worden und wieder an den Kirchenstaat zurückgefallen – dieser Anlass soll in prächtiger Kunst verewigt werden.Auf dem Bild trägt die Sixtinische Madonna das Jesuskind zur Erde. An ihre Seite sind der heilige Sixtus und die heilige Barbara zu sehen. Die beiden müssen mit aufs Bild, weil das Kloster ihre Reliquien besitzt. Am vorderen Rand lümmeln zwei Putten, pummelige Engelchen mit bunten Flügeln und aufgestütztem Kinn. Heute sind es wohl die berühmtesten Engel der Welt, millionenfach gedruckt und fotografiert. Raffaels Sixtina verbindet das vermeintlich Unvereinbare: feierliche Erhabenheit und Humor.Mehr als 200 Jahre nach der Entstehung des Bildes will Kurfürst Friedrich August III., ein Sohn August des Starken, seinen Hof in Dresden mit einem Raffael schmücken. Dafür schickt er eigens einen Kunstkenner nach Italien, um zu verhandeln. Es wird teuer und langwierig. Doch schließlich gibt es eine Ausfuhrgenehmigung.Fünf Wochen dauert die winterliche Reise über die Alpen. Doch als das Gemälde endlich in Dresden ankommt, ist die Freude darüber verhalten. Es sei ja gar kein richtiges Weihnachtsbild, es fehlten darauf Krippe, Esel und Hirten. Erst Jahrzehnte später rückt das Werk ins Zentrum der Aufmerksamkeit: Aus Kunst wird Kult.In diesem Zeitzeichen erzählt Monika Buschey:warum die Verhandlungen um den Verkauf des Bildes so lange dauern,wie das Gemälde verpackt und transportiert wird,wer sich alles eine Kopie des Werkes in die Wohnstube hängt,was Wieland, Kleist und Herder über die Madonna sagen.Das sind unsere wichtigsten Quellen:Andreas Hennig (Hg.): Die Sixtinische Madonna – Raffaels Kultbild wird 500. München 2012Hanno Rauterberg: Ich seh ihr Bild. Sie war’s – Deutschlands berühmtestes Gemälde, Raffaels Sixtinische Madonna in Dresden. Die Zeit 22.12.2011Weiterführende Links:6.4.1520 – Todestag des Künstlers RaffaelDie Sixtinische Madonna – Gemäldegalerie alte Meister, Staatliche Kunstsammlungen DresdenWelches Thema sollen wir im Zeitzeichen recherchieren? Gibt es Kritik oder Lob?Gerne her damit: Einfach schreiben an zeitzeichen@wdr.de Wir freuen uns auch über Bewertungen auf der Podcast-Plattform des Vertrauens! Das ganze Zeitzeichen-Archiv gibt’s hier.Die Macherinnen und Macher hinter diesem Zeitzeichen: Autorin: Monika BuscheyRedaktion: David RotherTechnik: Nicolas Dohle

Feb 28, 2024 • 15min
Nina Simones "Mississippi Goddam" uraufgeführt (im Februar 1964)
Jetzt reicht´s! Nina Simone erträgt den alltäglichen und tödlichen Rassismus nicht mehr – und komponiert in 20 Minuten einen Protestsong, der niemanden kalt lässt..."Ich hoffe, dass der Tag kommt, an dem ich mehr Liebeslieder singen kann, wenn das Bedürfnis, Protestlieder zu singen, nicht mehr ganz so zwingend ist", sagt Nina Simone einmal. Sie hofft vergeblich. Geboren 1933 als Eunice Kathleen Waymon, erkennt die schwarze Community in North Carolina früh ihr Ausnahmetalent und fördert das Mädchen aus einfachen Verhältnissen. Doch auch die Musik kann das Mädchen nicht vor rassistischen Erfahrungen schützen. Bei einem ihrer Konzerte werden ihre Eltern wegen ihrer Hautfarbe in die hinterste Reihe geschickt. Da sie gerade einmal zwölf Jahre alt. Als Nina Simone im April 1963 ihr erstes Konzert in der Carnegie Hall gibt, sind die Zeiten noch ungemütlicher für Schwarze: Es gibt Massenverhaftungen und immer wieder von der Polizei niedergeknüppelte Proteste. Dann ermordet ein weißer Rassist den schwarzen Bürgerrechtler Medgar Evers. Wenige Wochen später werden bei einem Bombenattentat des Ku-Klux-Klans auf einen Gottesdienst vier afroamerikanische Mädchen getötet. Es reicht, findet die nunmehr 30-jährige Nina Simone und komponiert wütend "Mississippi Goddam". Ihre Botschaft: "Wir haben zu lange gelitten. Das ganze Land geht zugrunde." Im Februar 1964 singt sie das Lied zum ersten Mal live in einem Club in New York. "Mississippi Goddam" wird sofort stürmisch gefeiert und avanciert zum Protestsong der Bürgerrechtsbewegung.In diesem Zeitzeichen erzählen Ulrich Biermann und Veronika Bock:wie Rassismus das Leben von Nina Simone geprägt hat,warum das Wort "Goddam" auf dem Platten-Cover durch Sonderzeichen ersetzt wird,über die Starallüren der Sängerin,warum Nina Simone die USA verlässt und nach Frankreich zieht. Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:Wolfram Knauer, Musikwissenschaftler und Gründungsdirektor Jazzinstitut DarmstadtNina Simone: Meine schwarze Seele. Erinnerungen. Deutsch von Brigitte Jakobeit. Hamburg 1993.Weiterführende Links:Die Hohepriesterin: Nina Simone4.4.1968 –Todestag von Martin Luther King 25.1.1965 – Ende der Selma-Montgomery-MärscheWelches Thema sollen wir im Zeitzeichen recherchieren? Gibt es Kritik oder Lob?Gerne her damit: Einfach schreiben an zeitzeichen@wdr.de Wir freuen uns auch über Bewertungen auf der Podcast-Plattform des Vertrauens! Das ganze Zeitzeichen-Archiv gibt’s hier.Die Macherinnen und Macher hinter diesem Zeitzeichen: Autor: Ulrich BiermannAutorin: Veronika BockRedaktion: David Rother

Feb 27, 2024 • 15min
Er rettet "Vom Winde verweht": Der Drehbuchautor Ben Hecht
Er gilt als "Shakespeare von Hollywood": Ben Hecht (geboren am 28.2.1894) ist der wohl berühmteste Drehbuchautor der Traumfabrik. Dabei sieht er die Arbeit kritisch.Ben Hecht gilt in den 1930er-Jahren in Hollywood als Superstar unter den Drehbuch-Autoren. Er ist ein Meister darin, verworrene Handlungsfäden aufzudröseln, einen ausufernden Plot zu straffen und lebendige Dialoge zu verfassen. Außerdem schreibt er schneller als alle anderen.Darum ist Hecht genau der Richtige, um das Drehbuch von "Vom Winde verweht" zu überarbeiten. Denn die Dreharbeiten laufen im Februar 1939 bereits drei Wochen, als klar ist: Ein neues Skript muss her! So wird Hecht zum Retter des bis dahin aufwendigsten und spektakulärsten Films der Traumfabrik.Insgesamt liefert er zu rund 60 Filmen die Ideen, Plots und Dialoge. Weitere 50 Drehbücher verbessert er als "script doctor". "Scarface", "Design for Living", "Notorious" und "Extrablatt" sind nur die berühmtesten Filme, die nach Vorlagen von ihm entstehen.Sechsmal wird Hecht für den Oscar nominiert, zweimal gewinnt er ihn. Der effektivste - und teuerste - Autor Hollywoods hat allerdings immer ein gespaltenes Verhältnis zur US-Filmfabrik. Er sieht sich als ernsthafter Autor von Kurzgeschichten, Romanen und Theaterstücken. Der Arbeit für den Film misst er keine große Bedeutung bei.Vom schnell verdienten Geld aus der Traumfabrik finanziert er seine weit weniger ertragreiche literarische Produktion. 1964, mit 70 Jahren, stirbt Ben Hecht in New York an Herzversagen - mitten in der Arbeit am Skript für die James-Bond-Verfilmung "Casino Royale".In diesem Zeitzeichen erzählt Christine Kopka:woher Ben Hechts Familie in die USA eingewandert ist,was er als Reporter 1918 in Deutschland beobachtet,welchen Inhalt das Telegramm hat, das ihn nach Hollywood lockt,wie er 1939 auf die ersten Massaker der Nazis an Juden reagiert,warum seine Filme in Großbritannien boykottiert werden,wie Ben Hechts Regel für den perfekten Plot lautet.Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:Claus Tieber (Filmwissenschaftler, Universität Wien)Ben Hecht: Von Chicago nach Hollywood. Berlin 2009Ben Hecht: Revolution im Wasserglas. Berlin 2006Ben Hecht: Ein Kind des Jahrhunderts. Siegen 1985Claus Tieber: Schreiben für Hollywood. Wien 2008Adina Hoffman: Ben Hecht. Fighting words, moving pictures. New Haven 2019Julien Gorbach: The notorious Ben Hecht, Iconoclastic writer and militant Zionist. Indiana 2019 Weiterführende Links:BR-Hörspiel: "This is Ben Hecht" - ein amerikanischer Klatschreporter berichtet von der Münchner RäterepublikWDR-Funkhausorchester: Medley der Filmmusik zu "Vom Winde verweht"Holocaust Encyclopedia: Ben HechtWelches Thema sollen wir im Zeitzeichen recherchieren? Gibt es Kritik oder Lob?Gerne her damit: Einfach schreiben an zeitzeichen@wdr.de Wir freuen uns auch über Bewertungen auf der Podcast-Plattform des Vertrauens! Das ganze Zeitzeichen-Archiv gibt’s hier.Die Macherinnen und Macher hinter diesem Zeitzeichen: Autorin: Christine KopkaRedaktion: Matti HesseTechnik: Theo Kramer

Feb 26, 2024 • 15min
Der 13-jährige Beethoven flieht vor der Eisflut (am 27.2.1784)
Wie kommt es zur "Sündflut", die als Jahrtausend-Hochwasser in die Geschichte eingeht und vor dem sich auch der junge Beethoven in Bonn aus dem Fenster retten muss?Im Sommer 1783 kommt es auf Island zu einem der größten und längsten, vor allem aber folgenreichsten Vulkanausbrüchen der jüngeren Erdgeschichte - mit Auswirkungen auch auf Deutschland. Neben Lava und Aschen treten fluor- und schwefelhaltige Gase aus, die in weiten Teilen der Welt nicht nur die Luft verpesten, sondern auch die Sonneneinstrahlung reduzieren.In der Folge kommt es im Herbst 1783 in Mitteleuropa zu einer merklichen Abkühlung. Der folgende Winter wird eisig: In Heidelberg werden minus 30 Grad gemessen, Rhein und Neckar frieren zu. Und die Kälte nimmt kein Ende, selbst in Köln soll die Schneedecke eineinhalb Meter hoch sein. Viele Menschen frieren und hungern, denn ihnen gehen die Vorräte aus.Im Februar kommt die Wärme zurück - allerdings viel zu schnell. Aschermittwoch 1784 kommt es zur "Sündflut": Schmelzwasser und Eisschollen bewegen sich erst langsam, dann immer schneller flussabwärts. Das Eis bildet immer größere Barrieren, Täler laufen voll Wasser, Häuser versinken in den Fluten. Auch in Bonn sind die Schäden dramatisch. In der Bonner Altstadt liegt die Scheitelwelle bei 14,73 Metern. Sie erreicht schließlich in der Rheingasse 7 auch die im 2. Stock gelegene Wohnung der Familie van Beethoven. Über eine Leiter aus einem Fenster in den Hinterhof können sich die Eltern und ihre zwei Söhne gerade noch retten. Ludwig van Beethoven, damals 13 Jahre alt, ist bereits bekannt als Konzertpianist. In welcher Gefahr er geschwebt hat, erfährt die Öffentlichkeit erst nach seinem Tod aus den 1838 veröffentlichten Aufzeichnungen des Vermieters der Familie. In diesem Zeitzeichen erzählt Almut Finck:wie es 1783 zu einer der größten Naturkatastrophen kam,dass in Island über 9.000 Menschen starben, warum Schnee und Eis eine verheerende Flut verursachten,wie sich die Familie van Beethoven gerade noch vor der "Sündflut" retten konnte.Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:Hans-Rudolf Bork, Geograph und GeoarchäologeHans-Rudolf Bork: Umweltgeschichte Deutschlands. Heidelberg 2020 Manfred Spata: Das Jahrtausend-Hochwasser von 1784 in Bonn und Beuel. Bonn 2017Weiterführende Links:Digitale Bibliothek: "Getreue Beschreibung der lezten ausserordentlichen Ueberschwemmung in Teutschland" (1784)Digitale Bibliothek: Deurer, E. F.: Umständliche Beschreibung der (...) grosen Noth (1784)Welches Thema sollen wir im Zeitzeichen recherchieren? Gibt es Kritik oder Lob?Gerne her damit: Einfach schreiben an zeitzeichen@wdr.de Wir freuen uns auch über Bewertungen auf der Podcast-Plattform des Vertrauens! Das ganze Zeitzeichen-Archiv gibt’s hier.Die Macherinnen und Macher hinter diesem Zeitzeichen: Autorin: Almut FinckRedaktion: Matti HesseTechnik: Annette Skrzydlo

Feb 25, 2024 • 15min
Die Nazis von Beginn an richtig eingeschätzt: Carl von Ossietzky
In NS-Gefangenschaft erhält er den Friedensnobelpreis: Der Autor Carl von Ossietzky kommt im Februar 1934 ins KZ Esterwegen, die Folter dort zerstört ihn.Carl von Ossietzky wird am 3. Oktober 1889 in Hamburg geboren. Schon vor dem Ersten Weltkrieg ist er Pazifist. Für ihn gehören Pazifismus und Humanismus zusammen. In den 1920er Jahren schreibt er in vielen Artikeln in Zeitungen und Zeitschriften gegen den Militarismus, gegen den Nationalismus, gegen die Feinde der Demokratie, die die Weimarer Republik bedrohten.Er wird Herausgeber der berühmtesten kritischen Zeitschrift der Weimarer Zeit, der "Weltbühne". Der bekannteste Autor neben ihm ist Kurt Tucholsky. Nach der Machtergreifung Hitlers wird Ossietzky von der Gestapo verhaftet. Im Februar 1934 kommt er ins KZ Esterwegen im Emsland - und wird dort, wie in anderen Lagern, misshandelt und gefoltert.Ossietzky ist nicht nur der prominenteste Häftling des Lagers, sondern der bekannteste Gefangene des nationalsozialistischen Regimes überhaupt. Im Ausland startet eine Solidaritätskampagne von Regimegegnern, unter ihnen Willy Brandt, Albert Einstein, Thomas Mann, Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger, Bertrand Russell, Virginia Wolf, Aldous Huxley und viele andere.1936 wird Ossietzky der Friedensnobelpreis verliehen, erstmals überhaupt in Abwesenheit des Preisträgers. Denn Ossietzky wird zu dem Zeitpunkt immer noch in Deutschland festgehalten. Ossietzky wird in der Folge "entlassen", als er in verschiedene Krankenhäuser verlegt wird - doch er bleibt unter strenger Bewachung. Er ist mittlerweile todkrank. Durch die Torturen seiner Gefangenschaft leidet er an Lungentuberkulose. Er stirbt am 4. Mai 1938.In diesem Zeitzeichen erzählt Manfred Bonson:wie Carl von Ossietzky zum Verteidiger der Demokratie wurde,dass und warum er mehrfach verhaftet wurde,wie er schließlich ins KZ Esterwegen kam,in welch erschütterndem Zustand ihn ein Vertreter des Roten Kreuzes dort vorfand, wie er ein Jahr später den Friedensnobelpreis erhielt.Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:Hermann Vinke (Journalist und Ossietzky-Biograph) Robert Matthees (Ossietzky-Biograph) Hermann Vinke: Carl von Ossietzky. Ravensburg 1987 Willy Perk: Die Hölle im Moor. Frankfurt 1970 Carl von Ossietzky: Der Anmarsch der neuen Reformation. 1919Weiterführender Link:Geschichte des Nobelpreises in DeutschlandWelches Thema sollen wir im Zeitzeichen recherchieren? Gibt es Kritik oder Lob?Gerne her damit: Einfach schreiben an zeitzeichen@wdr.de Wir freuen uns auch über Bewertungen auf der Podcast-Plattform des Vertrauens! Das ganze Zeitzeichen-Archiv gibt’s hier.Die Macherinnen und Macher hinter diesem Zeitzeichen: Autor: Manfred BonsonRedaktion: Gesa Rünker

Feb 24, 2024 • 14min
Pionier des Nachrichtenwesens: Paul Julius Reuter
Am 25.2.1899 stirbt der Agenturgründer Paul Julius Reuter in Nizza. Sein Einfluss auf die Informationsflüsse der Welt ist bis heute spürbar.Paul Julius von Reuter wird 1816 als Sohn eines Rabbiners in Kassel geboren. Seine erste Investition in ein Verlagshaus geht nach hinten los: Während der Revolution von 1848/49 setzt Reuter auf die Publikation liberaler, prodemokratischer Pamphlete. Nach dem Scheitern flüchtet er nach Paris. Dort arbeitet er zunächst bei Havas, der ersten Nachrichtenagentur der Welt, eher er mit einem kleinen Pressedienst den Sprung in die Selbständigkeit wagt. Reuter hat früh verstanden, dass es einen wirtschaftlichen Wert hat, wenn man eine Nachricht zuerst hat – und dass man daraus ein Geschäft machen kann, wenn man schneller ist als die Konkurrenz. Bei einem Aachener Tauben-Züchter mietet er etwa über 40 geflügelte Kuriere an, um die Telegrafenlücke zwischen Brüssel und Aachen zu überbrücken. Später wagt er den Sprung über den Ärmelkanal nach London. Dort baut er das Geschäft weiter aus, investiert etwa in ein eigenes Unterwasserkabel zwischen Irland und England.Reuter ist schon zu seinen Lebzeiten ein Markenname. Und natürlich wird auch die Meldung seines Todes über die eigene Nachrichtenagentur verbreitet: "Baron von Reuter, der Gründer der Reuter-Agentur, ist heute Morgen in Nizza im 83. Lebensjahr verstorben. – Reuter."In diesem Zeitzeichen erzählt Christoph Vormweg:warum Paul Julius von Reuter seinen Namen änderte, wie er mit seinem Pressedienst und 40 Tauben so erfolgreich wurde, warum er auf die Trennung von Information und Meinung setzte, wie sich das Nachrichten-Imperium nach seinem Tod weiterentwickelte.Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:Sabine Wollrab, Co-Chefredakteurin von Reuters Germany, verantwortlich für Deutschland, Österreich und die Schweiz (2024) Bernd-Peter Arnold: Die uninformierte Gesellschaft. Göttingen 2021 Gerd Kulle / Jörg Huber: Paul Julius von Reuter. Pionier des weltweiten Nachrichtenwesens. Stuttgart 1978 Stefanie Schuschmel: Von Aachen in die Welt: Paul Julius Reuter (1816–1899). In: Thomes, Paul; Quadflieg, Peter M. (Hrsg.): Unternehmer in der Region Aachen – zwischen Maas und Rhein. Münster 2015 Dietz Schwiesau: Nachrichten – klassisch und multimedial. Berlin 2016Weiterführender Link:Zeitzeichen 16.11.1946: Erste Ausgabe der Zeitung "Diese Woche" erscheintWelches Thema sollen wir im Zeitzeichen recherchieren? Gibt es Kritik oder Lob?Gerne her damit: Einfach schreiben an zeitzeichen@wdr.de Wir freuen uns auch über Bewertungen auf der Podcast-Plattform des Vertrauens! Das ganze Zeitzeichen-Archiv gibt’s hier.Die Macherinnen und Macher hinter diesem Zeitzeichen: Autor: Christoph VormwegRedaktion: Christoph Tiegel / David Rother

Feb 23, 2024 • 15min
Hinrichtung des Deutschen Karl LaGrand in den USA am 24.2.1999
Die Frage ist nicht, ob Karl LaGrand und sein Bruder die Tat begangen haben. Die Frage ist, ob sie dafür sterben müssen - und das nach all diesen Jahren.Marana, Arizona, 7. Januar 1982: Karl und Walter LaGrand wollen eine Bank überfallen . In der Aktentasche der Halbbrüder sind eine Spielzeugpistole, schwarzes Isolierband und Halstücher.Als die Bankangestellte Dawn Lopez gegen acht Uhr zur Arbeit kommt, sieht sie Filialleiter Kenneth Hartsock mit einem Mann am Tresor stehen. Der 63-Jährige ist nicht in der Lage, ihn zu öffnen. Er kennt nur die Hälfte der Zahlenkombination. Hartsock und Lopez werden gefesselt und geknebelt. Dann gerät die Situation außer Kontrolle. Der Filialleiter Hartsock wird mit einem Brieföffner tödlich verletzt. Auch auf die Bankangestellte Lopez wird eingestochen. Welcher der Brüder die Tat begeht, ist bis zum Schluss umstritten. Die deutsche Botschaft wird nie informiert. Dabei sind die beiden gar keine amerikanischen Staatsbürger, sondern besitzen den deutschen Pass. Beide werden wegen Mordes ersten Grades, versuchten Mordes, wegen bewaffnetem Banküberfall und Entführung zum Tode und gleichzeitig zu mehrfachen lebenslangen Haftstrafen verurteilt. Erst 17 Jahre später sollen die Halbbrüder hingerichtet werden. Gegen die Hinrichtung der beiden Brüder gibt es weltweite Proteste - gegen die Todesstrafe, gegen die Vollstreckung nach all der Zeit und gegen die Missachtung des internationalen Konsularrechtsabkommen im Fall LaGrand. Doch die Proteste sind vergebens. Zuerst wird Karl LaGrand hingerichtet, wenige Tage später folgt sein jüngerer Bruder Walter.In diesem Zeitzeichen erzählt Andrea Kath:wie die Brüder Karl und Walter LeGrand in die USA gelangt sind,weshalb sich die deutsche Botschaft erst nach Jahren für die Brüder einsetzt,warum die Bundesrepublik vor dem Internationalen Gerichtshof gegen die USA klagt,woraus die Henkersmahlzeit von Karl LaGrand besteht.Das sind unsere wichtigsten Quellen und Interviewpartner:Claudia Roth (1999 Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte des Deutschen Bundestags)Horst Kläuser (1999 ARD-Korrespondent in den USA)Michael Radelet (Kriminologe und Soziologe und einer der bekanntesten Gegner der Todesstrafe in den USA)Andreas Paulus (Völkerrechtler Universität Göttingen und ehemaliger Verfassungsrichter) Weiterführende Links:Tagesschau: Nachrichten zum Thema TodesstrafeBundestag: Abschaffung der Todesstrafe wird beibehalten (1952)Amnesty International: Zahlen, Fakten und Hintergründe zur TodesstrafeWelches Thema sollen wir im Zeitzeichen recherchieren? Gibt es Kritik oder Lob?Gerne her damit: Einfach schreiben an zeitzeichen@wdr.de Wir freuen uns auch über Bewertungen auf der Podcast-Plattform des Vertrauens! Das ganze Zeitzeichen-Archiv gibt’s hier.Die Macherinnen und Macher hinter diesem Zeitzeichen: Autorin: Andrea KathRedaktion: Matti HesseTechnik: Christina Gabriel

Feb 22, 2024 • 16min
Religiöses Gewaltregime in Münster: Das Täuferreich
Ihre Herrschaft in Münster ist kurz und brutal, sie beginnt am 23.2.1534: Die Täufer, so genannt wegen der Erwachsenentaufe, sind christliche Fundamentalisten.Immer wieder findet das Thema der Wiedertäufer Eingang in die Arbeit von Schriftstellern, Komponisten und Künstlern: Die Täuferherrschaft liest sich wie Fiktion. Dennoch ist sie eine brutale Realität während der Reformationszeit im 16. Jahrhundert. Radikale Täufer übernehmen die Kontrolle über die Stadt Münster, ihre führenden Persönlichkeiten: Jan van Leiden, Jan Matthys und Bernd Knipperdolling.Inspiriert von apokalyptischen Ideen predigen sie extreme soziale Veränderungen, die zu Spannungen mit anderen religiösen Gruppen und der Gesellschaft führen. Sie wollen nichts weniger als die eine, reine Stadt Gottes errichten und setzen dafür eine rigide moralische Ordnung durch. Das Ende der Täuferherrschaft wird von harten Strafen begleitet. Die Anführer werden hingerichtet und in eisernen Käfigen zur Abschreckung aufgehängt. Noch heute sind die Käfige an der Münsteraner Lambertikirche zu sehen. In diesem Zeitzeichen erzählt Heiner Wember:wie Zeiten der Krise schnell zu einer Untergangs-Stimmung führen kann, warum Luther in den Täufern eine große Gefahr sah, warum Bernd Rothmann radikaler wurde, je mehr er die Bibel erforschte, weshalb Kirchturm-Dächer mit Kanonen bestückt wurden, wieso der Anführer der münsterschen Täufer doch nicht so unverwundbar war, wie er dachte.Das sind unsere wichtigsten Quellen:Ralf Klötzer: Die Täuferherrschaft von Münster. Stadtreformation und Welterneuerung. Münster 1992.Hubertus Lutterbach: Der Weg in das Täuferreich von Münster. Ein Ringen um die Heilige Stadt. Münster 2006 Das sind unsere Interviewpartner:Ralf Klötzer (Historiker, Münster) Professor Hubertus Lutterbach (Theologe, Münster, Professor für Christentum und Kulturgeschichte Universität Essen) Weiterführende Links:Münster- Dier TäuferstadtWelches Thema sollen wir im Zeitzeichen recherchieren? Gibt es Kritik oder Lob?Gerne her damit: Einfach schreiben an zeitzeichen@wdr.de Wir freuen uns auch über Bewertungen auf der Podcast-Plattform des Vertrauens! Das ganze Zeitzeichen-Archiv gibt’s hier.Die Macherinnen und Macher hinter diesem Zeitzeichen: Autor: Heiner Wember Redaktion: Gesa Rünker Technik: Moritz Raestrup