

Sternengeschichten
Florian Freistetter
Das Universum ist voll mit Sternen, Galaxien, Planeten und jeder Menge anderer cooler Dinge. Jedes davon hat seine Geschichten und die Sternengeschichten erzählen sie. Jeden Freitag gibt es eine neue Folge - das Universum bietet genug Material für immer neue Geschichten.
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Mar 5, 2021 • 12min
Sternengeschichten Folge 432: Wiedergeborene Blaue Nachzügler
Blau und zu spät dran
Sternengeschichten Folge 432: Wiedergeborene Blaue Nachzügler
Ein Stern entsteht irgendwann aus einer großen Wolken voll Gas und Staub. Dann tut er ein paar Millionen oder Milliarden Jahre lang das, was Sterne so tun. In seinem Inneren fusionieren Atome miteinander und er leuchtet mit der dabei entstehenden Energie. Und wenn der Brennstoff irgendwann mal alle ist, ist das Leben des Sterns zu Ende. Kein Stern lebt ewig. Aber manche Sterne leben länger, als sie es eigentlich tun dürften. Es geht heute allerdings nicht um "Zombie"-Sterne, obwohl es so etwas ähnliches in der Astronomie tatsächlich gibt (aber das ist ein Thema für eine andere Folge der Sternengeschichten). Es geht um Sterne, die man "Blaue Nachzügler", oder, etwas üblicher mit dem englischen Fachbegriff "Blue Stragglers" nennt.
Um die Geschichte dieser ganz besonderen Sterne zu verstehen, muss ich noch einmal kurz das wiederholen, was ich vor sehr langer Zeit schon einmal ausführlich erklärt habe; nämlich in Folge 6 der Sternengeschichten, als es um das Hertzsprung-Russell-Diagramm ging. Dieses in der Astronomie enorm wichtige Diagramm besagt - sehr kurz erklärt - dass Sterne nicht beliebige Kombinationen von Helligkeit und Temperatur haben können. Bestimmt man diese Werte für eine Gruppe von beliebigen Sternen und zeichnet sie in einem Diagramm ein, auf dem an der einen Achse die Helligkeit aufgetragen wird und auf der anderen die Temperatur, dann findet man die Sterne da nicht einfach irgendwo verteilt. Sondern alle entlang einer Linie, die sich von links oben nach rechts unten erstreckt. Also von den heißen, hellen Sternen hin zu den kühlen und dunklen.
Der Grund dafür ist die Art und Weise, wie ein Stern funktioniert. Je mehr Masse ein Stern hat, desto größer sind Druck und Temperatur in seinem Inneren. Desto schneller kann dort auch die Kernfusion ablaufen und desto größer ist seine Leuchtkraft. Ein massereicher Stern hat gar keine andere Wahl, als heiß und hell zu sein; ebenso kann ein kleiner Zwergstern nicht anders, als kühl und schwach zu leuchten. Das gilt allerdings nur solange, wie im Inneren des Sterns die normalen Kernfusionsprozesse ablaufen. Neigt sich das Leben eines Sterns dem Ende zu, dann ändert sich das Bild. Unsere Sonne zum Beispiel ist derzeit ein ganz normaler Hauptreihenstern, also ein Stern, der genau auf dieser speziellen Linie im Hertzsprung-Russell-Diagramm liegt.
Sie hat sich dort exakt an dem Punkt eingeordnet, den die physikalischen Vorgänge für einen Stern ihrer Masse vorgesehen haben. Und an diesem Punkt im Diagramm bleibt die Sonne auch. Das wird sich erst in circa 5 bis 6 Milliarden Jahren ändern. Dann wird die Sonne beginnen sich langsam aufzublähen, sie wird immer größer werden bis sie ein sogenannter Roter Riese geworden ist. Sie ist dann sehr groß und leuchtet sehr hell. Aber sie ist auch sehr kühl, eben weil sie sich so stark aufgebläht hat und ihre Dichte gesunken ist. Die Sonne wird dann kein Hauptreihenstern mehr sein, sondern landet im Hertzsprung-Russell-Diagramm auf dem sogenannten "Roten-Riesen-Ast", in der oberen rechten Ecke, über der Hauptreihe. Da die Kernfusion im Inneren der Sonne aber immer weiter zum Erliegen kommt, wird auch dieses Stadium irgendwann enden und aus dem roten Riesen wird ein Weißer Zwerg. Das ist der kleine, aber heiße Rest, der innere Kern der Sonne in dem dann keine Fusion mehr stattfindet. Aus der oberen rechten Ecke wandert die Sonne im Diagramm also in die linke untere Ecke, wo die heißen, aber schwach leuchtenden Objekte zu finden sind.
Das hat alles noch nichts mit den Blauen Nachzüglern zu tun, ist aber trotzdem wichtig. Der Weg der Sonne durch das Hertzsprung-Russell-Diagramm ist typisch; das machen alle Sterne so. Sie reihen sich nach der Geburt auf ihrem Platz entlang der Hauptreihe ein und verlassen sie, wenn die Kernfusion in ihrem Inneren zum Erliegen kommt. Interessant wird es nun, wenn wir uns nicht einfach irgendwelche Sterngruppen anschauen, sondern die Sterne eines Sternhaufens. Das sind, wie der Name ja mehr als deutlich sagt, Sterne, die sich unter ihrer gemeinsamen Gravitationskraft zu einem Haufen angeordnet haben. Nicht wie ein Haufen Orangen im Supermarkt natürlich. Aber die Sterne eines Haufens befinden sich im Allgemeinen deutlich näher beieinander, als es Sterne tun, die nicht Teil eines Haufens sind, so wie unsere Sonne.
Außerdem sind die Sterne eines Haufens alle Geschwister. Sie sind alle gemeinsam aus der gleichen großen kosmischen Wolke entstanden. Nicht alle exakt zum gleichen Zeitpunkt, aber nach astronomischen Zeitskalen gerechnet nicht lange hintereinander. Nimmt man nun NUR die Sterne eines Sternhaufens und zeichnet nur für sie ein Hertzsprung-Russell-Diagramm, dann sieht das zu Beginn noch völlig normal aus. Jeder Stern hat nach der Geburt eine unterschiedliche Masse, je nachdem was der Zufall der Sternentstehung da gerade zustande gebracht hat. Die massereichen Sterne liegen links oben im Diagramm, die leichteren rechts unten; wir kriegen eine ganz normale Hauptreihe. Wenn wir aber ein paar 100 Millionen Jahre warten, hat sich das Bild geändert. Denn je mehr Masse ein Stern hat, desto kürzer ist sein Leben. Ein Stern der heißer brennt, ist auch schneller mit der Kernfusion durch; sein Brennstoff ist früher aufgebraucht. Das heißt, die ersten Sterne die die Hauptreihe eines Sternhaufens verlassen, sind auch die massereichsten. Wir werden nun also eine verkürzte Hauptreihe sehen; die heißen und hellen Sterne oben links fehlen, weil sie schon in Richtung roter Riesenast abgebogen sind. Warten wir noch ein wenig länger, wird die Hauptreihe noch kürzer sein. Und so weiter.
Das ist nicht nur interessant, sondern auch ein wichtiges Werkzeug. Denn aus diesem "Abknickpunkt" der Hauptreihe kann man wunderbar das Alter eines Sternhaufens bestimmen. Je älter er ist, desto mehr seiner Sterne haben die Hauptreihe schon verlassen. 1953 hat der amerikanische Astronom Allan Sandage genau so eine Altersbestimmung im Kugelsternhaufen M3 durchgeführt. Und dabei ist ihm etwas seltsames aufgefallen. Die Hauptreihe war verkürzt und daraus ließ sich ein Alter von circa 11 Milliarden Jahren ableiten. Aber Sandage hat eine Gruppe von Sternen gefunden, die hinter dem Abknickpunkt lagen. Heiße, blau leuchtende Sterne mit einer Masse, die zu groß war als dass sie noch existieren dürften. Alle anderen Sterne des Haufens mit ähnlicher Masse waren längst in Richtung roter Riesenast gewandert. Nur diese komischen blauen Sterne leuchteten immer noch heiß und hell. Sie waren immer noch auf der Hauptreihe, obwohl sie die aufgrund ihrer Masse und ihres Alters eigentlich schon längst verlassen hätten sollen.
Das sind die "Blauen Nachzügler" und es war lange unklar, wie sie es geschafft haben, ihr Leben zu verlängern.
Die blauen Nachzügler findet man nicht überall. Sie existieren vor allem dort, wo viele Sterne mit vergleichsweise wenig Abstand auf einem Haufen sind. Also in Sternhaufen oder auch in den Zentralbereichen einer Galaxie. Das ist kein Zufall! Nur deswegen kann es sie überhaupt geben. Weil ein einzelner Stern kann nichts gegen die Physik ausrichten. Wenn der Brennstoff für die Kernfusion aufgebraucht ist, muss er die Hauptreihe verlassen. Da gibt es keine Alternative. Aber wenn der Stern es irgendwie schafft, an neues Material zu kommen um weiter Kernfusion zu betreiben, dann hat er eine Chance. Und es muss ausreichend viel Material sein!
Eine Möglichkeit das zu erreichen, haben Sterne, die Teil von Doppel- oder Mehrfachsternsystemen sind. Sind zwei Sterne eines Systems einander sehr nahe und haben sie unterschiedliche Massen, dann wird zuerst einmal natürlich auch hier der massereichere Stern sein Leben zuerst beenden. Er wird sich aufblähen und immer größer werden. Irgendwann wird er dabei vielleicht so groß und kommt dem anderen Stern so nahe, dass ein Materialtransfer stattfindet. Das heißt, der kleinere Stern, der sich noch auf der Hauptreihe befindet, zieht Material vom großen, sterbenden Stern an. Jetzt hat er eine einmalige Chance, seinen angestammten Platz auf der Hauptreihe zu verlassen, ohne gleich zum roten Riesenast wandern zu müssen. Das neue Material macht ihn schwerer, er leuchtet heißer und heller und rückt ein Stück die Hauptreihe hinauf, dorthin, wo die blauen Nachzügler sich befinden.
Man hat aber auch blaue Nachzügler gefunden, die definitiv nie Teil eines Doppelsternsystems waren. Sie müssen einen anderen Weg gefunden haben, ihr Leben zu verlängern. Der war aber etwas brutaler. Sie sind sind entstanden, als zwei kleinere Sterne miteinander kollidiert und verschmolzen sind. Der neue Stern hat eine größere Masse, leuchtet hell und kann ein neues Leben hoch oben auf der Hauptreihe bei den blauen Nachzüglern beginnen, dort wo in dem Sternhaufen eigentlich gar keine Sterne mehr sein sollten. Das erklärt auch, wieso man diese Sterne nur in Sternhaufen oä findet. Nur dort sind die Abstände so gering, dass überhaupt eine realistische Chance auf eine Kollision besteht. Und dort können durch die nahen Begegnungen zwischen Sternen auch Doppelsternsysteme "schrumpfen", so dass ein Massetransfer wahrscheinlicher wird.
2006 haben Forscherinnen und Forscher untersucht, welcher Mechanismus dominiert. Sie haben sich vier Kugelsternhaufen angesehen und festgestellt, das beide Arten der Entstehung von blauen Nachzüglern ungefähr gleich wichtig sind, mit einem kleinen Überhang an blauen Nachzüglern die durch Kollisionen entstehen. Unsere Sonne wird so eine Verjüngskur allerdings nicht bekommen. Weder sind wir Teil eines Doppelsternsystems, noch besteht die Chance auf eine Kolliosn mit einem anderen Stern, da wir uns nicht in einem Sternhaufen befinden. Für sie ist in ein paar Milliarden Jahren Schluss; sie wird zum roten Riesenast wandern, genau so wie es die Physik vorgesehen hat.

Feb 26, 2021 • 12min
Sternengeschichten Folge 431: Begegnungen zwischen der Sonne und anderen Sternen
Es wird knapp! Wird es knapp?
Sternengeschichten Folge 431: Begegnungen zwischen der Sonne und anderen Sternen
In unserer Milchstraße gibt es 100 Milliarden Sterne. Oder 200 Milliarden. Oder vielleicht sogar noch ein bisschen mehr; es ist schwer, das so genau zu sagen. Aber auf jeden Fall sind es sehr, sehr viele Sterne. Da könnte man auf die Idee kommen sich zu fragen, ob das nicht vielleicht auch ein bisschen gefährlich ist? Denn die ganzen Sterne bewegen sich ja alle. Besteht da nicht die Gefahr, dass es zu Kollisionen kommt? Kann es nicht sein, dass irgendwann mal ein anderer Stern sogar mit der Sonne zusammenstößt? Oder ihr und damit auch der Erde so nahe kommt, dass es gefährlich für uns wird? Wenn wir nicht mal genau wissen, wie viele Sterne es in der Milchstraße gibt, wie können wir dann sicherstellen, dass da nicht einer doch mal plötzlich auftaucht und die Erde zerstört?
Ich könnte jetzt natürlich die Spannung künstlich hoch halten. Und erst am Schluss der Folge aufklären, wie es wirklich ist. Aber wir sind hier ja nicht bei den Boulevardmedien; es geht um Wissenschaft und die Geschichte die ich erzählen möchte, ist spannend genug. Da muss ich nicht extra noch Panik schüren und so tun, als wüsste man nicht, was Sache ist. Und diese Sache ist folgende: Unsere Milchstraße ist nicht nur voller Sterne, sie ist noch viel voller mit Nichts. Zwischen den Sternen ist enorm viel Platz. Sehr viel mehr Platz als man sich vorstellen kann. In erster Näherung ist die Milchstraße komplett leer, die Sterne sind zwar zahlreich, fallen aber dennoch nichts in Gewicht. Ein Beispiel: Unsere Sonne hat einen Durchmesser von 1,4 Millionen Kilometern. Der uns nächstgelegene Stern ist Proxima Centauri, in 4,2 Lichtjahren Entfernung. Das sind knapp 40 Billionen Kilometer. Oder anders gesagt: 28 Millionen Sonnendurchmesser.
Oder nochmal anders gesagt: Wenn die Sonne einen Durchmesser von nur einem Meter hätte, dann wäre Proxima Centauri in diesem Maßstab 28.800 km weit weg. So eine Entfernung kriegt man auf der Erde nicht mal vernünftig dargestellt; vom Nordpol bis zum Südpol sind es in gerader Linie nur 20.000 Kilometer, man müsste die Erde schon am Äqutor zu fast zwei Dritteln umrunden, um auf diese Distanz zu kommen. Im Vergleich zu den Abständen zwischen ihnen sind Sterne also winzig. Und auch wenn sie sich bewegen, hat das keinen großen Einfluss. Die Sonne etwa kreist mit einer Geschwindigkeit von 220 Kilometern pro Sekunde um das Zentrum der Milchstraße. Würde sie sich mit der gleichen Geschwindigkeit direkt auf Proxima Centauri zubewegen, und würde Proxima die ganze Zeit über genau dort bleiben, wo er jetzt ist - dann würde es immer noch 5723 Jahre dauern, bis die beiden zusammenstoßen.
Man könnte berechnen wie wahrscheinlich es ist, dass zwei Sterne der Milchstraße miteinander kollidieren. Man hat es auch berechnet. Die Wahrscheinlichkeit ist so enorm gering, dass es sich kaum lohnt sie anzugeben. Man müsste länger warten als das gesamte Universum alt ist, um auch nur annähernd eine Chance zu haben, so eine Kollision zu beobachten. Nur dort, wo Sterne aus bestimmten Gründen deutlich näher beieinander stehen als üblicherweise, kann es Zusammenstöße geben. Zum Beispiel im zentralen Bereich der Milchstraße. Oder in Sternhaufen. Aber für die allermeisten Sterne im Universum besteht absolut keine Gefahr einer Kollision.
Trotzdem ist es interessant sich anzusehen, wie sich die Abstände im Laufe der Zeit verändern. Ich habe die ganze Zeit Proxima Centauri als Beispiel verwendet. Dieser Stern, den ich Folge 114 ja schon ausführlich vorgestellt habe, ist derzeit unser nächster Sternnachbar in der Milchstraße. Aber das war nicht immer so und wird nicht immer so bleiben. Aktuell bewegen sich Proxima Centauri und die Sonne noch aufeinander zu. Der Abstand zwischen uns schrumpft und in circa 28.000 Jahren werden sie ihre größte Annäherung erreichen. Das sind dann aber immer noch 3,1 Lichtjahre entfernt, also absolut kein Grund zur Sorge. Danach wächst der Abstand wieder und in knapp 33.000 Jahren wird Proxima Centauri als sonnennächster Stern abgelöst. Und zwar von Ross 248: Dieser kleine Stern befindet sich derzeit noch 10,3 Lichtjahre von uns entfernt. Die Distanz verringert sich aber und in 38.000 Jahren wird sie ihren geringsten Wert erreicht haben. Knapp über 3 Lichtjahre wird Ross 248 dann von der Sonne entfernt sein. Da er sich aber auch recht schnell bewegt, ist er bald an uns vorbei geflogen. Knapp 9000 Jahre später, also von heute an in circa 47.000 Jahren wird der Stern mit der Bezeichnung Gliese 445 den Titel als sonnennächster Stern tragen können. Jetzt ist er noch 17 Lichtjahre von uns entfernt, dann wird er nur noch 3,4 Lichtjahre entfernt sein
Dieser rote Zwergstern ist auch insofern interessant, weil er nicht nur eine Zukunft als unser nächster Nachbar vor sich hat. Auch die 1977 von der Erde ins All gestartete Raumsonde Voyager 1 fliegt in seine Richtung. In knapp 40.000 Lichtjahren wird sie ihn in einer Entfernung von 1.6 Lichtjahren passieren. Dann wird man hier auf der Erde allerdings keine Daten mehr empfangen können; es würde auch nicht allzu viel zu beobachten geben - mehr als anderthalb Lichtjahre sind ein wirklich großer Abstand.
In knapp 50.000 Jahren wird sich auch Gliese 445 wieder von der Erde entfernen und nun wird Alpha Centauri die Rolle als sonnennächster Stern übernehmen. Alpha Centauri ist ja eigentlich ein Doppelstern und wenn man es ganz genau nimmt - was man natürlich tun sollte - dann ist es ein Dreifachsternsystem, weil außen um die beiden herum auch noch Proxima Centauri kreist. In 50.000 Jahren wird die Konstellation dann gerade so sein, dass Alpha Centauri uns am nächsten ist; die Distanz wächst aber. In ungefähr 55.000 Jahren wird Alpha Centauri so weit entfernt sein, wie jetzt Proxima Centauri. Die weitere Zukunft unserer Nachbarschaft ist ein wenig komplizierter. Um so weit in die Zukunft schauen zu können, müssen wir die Position und die Bewegungsgeschwindigkeit von sehr vielen Sternen sehr genau messen und das ist knifflig. Aber alle Sterne die uns in absehbarer Zeit nahe kommen, kommen uns nicht näher als 2 bis 4 Lichtjahre. Mit einer Ausnahme: Gliese 710. Er trägt - so wie viele andere Sterne - übrigens deswegen die Bezeichnung "Gliese" im Namen, weil der deutsche Astronom Wilhelm Gliese in den 1960er Jahren einen Katalog mit Sternen in der Nähe der Sonne erstellt hat. Gliese 710 ist - wenig überraschend - der 710. Stern der dort eingetragen wurde und schon Gliese stellte damals fest, dass er sich in ferner Zukunft vermutlich der Sonne annähern wird. Mittlerweile kann man mit genaueren Daten diese Begegnung ein wenig besser vorhersagen: In ungefähr 1,3 Millionen Jahren wird uns der Stern bis auf circa 0,16 Lichtjahre nahekommen. Das sind ungefähr 10.000 Astronomische Einheiten, also das 10.000fache des Abstands zwischen Erde und Sonne.
Das klingt, verglichen mit den bisher erwähnten Distanzen, doch ein wenig bedenklich. Ist es aber nicht. 10.000 Astronomische Einheiten sind immer noch sehr, sehr viel Platz. Da passen immer noch mehr als eine Million Sonnen dazwischen! Trotzdem ist der Vorbeiflug von Gliese 710 etwas besonders. Der Stern hat ungefähr 60 Prozent der Sonnenmasse; also vergleichsweise viel. In Kombination mit der ebenfalls vergleichsweise geringen Distanz kann er durchaus das Sonnensystem beeinflussen. Er wird natürlich nicht die Erde aus ihrer Bahn werfen; auch die restlichen Planeten werden von dem Besuch nichts spüren. Aber die sonnenfernen Kometen in der Oortschen Wolke vielleicht schon. Ich hab ja schon in Folge 321 von der Oortschen Wolke erzählt, dem alleräußersten Bereich des Sonnensystem, wo sich jede Menge Kometen befinden. Die bleiben normalerweise auch dort. Aber wenn irgendwelche Störungen auftreten, zum Beispiel die Gravitationskraft eines nahen Sterns, dann können ein paar von ihnen ihre Umlaufbahnen ändern und eventuell auch ins innere Sonnensystem gelangen und dort, wieder eventuell, mit einem der Planeten kollidieren. Das heißt nicht, dass Gliese 710 in 1,3 Millionen Jahren den Weltuntergang verursachen wird! Sondern nur, dass dann die Wahrscheinlichkeit von Asteroiden/Kometeneinschlägen ein klein wenig größer sein könnte als sie es jetzt ist.
Schauen wir aber noch einmal kurz in die Vergangenheit. Denn auch da sind uns immer wieder mal Sterne nahe gekommen. Zum Beispiel Scholz' Stern. Das ist natürlich nicht sein offizieller Name; aber immer noch besser als seine Katalognummer WISE J072003.20−084651.2. Der rote Zwergstern der weniger als ein Zehntel der Sonnenmasse hat, ist der Astronomie lange Zeit nicht aufgefallen. Das hat sich erst geändert, als Ralf-Dieter Scholz vom Leibniz-Institut für Astrophysik in Potsdam bemerkt hat, dass dieser Stern so gut wie keine seitliche Bewegung zeigt. Was eigentlich nur heißen kann, dass er sich ziemlich direkt auf uns zu bzw. von uns weg bewegt. Was der Fall ist; der Stern entfernt sich von der Sonne. Das aber bedeutet, dass er früher näher gewesen sein muss. Und als Scholz das alles genau berechnet hatte, kam er zu dem Ergebnis, dass der Stern vor circa 70.000 Jahren einen Abstand von nur 52.000 Astronomischen Einheiten gehabt haben muss.
Ob das damals jemandem aufgefallen ist, ist zweifelhaft. Vor 70.000 Jahren gab es zwar schon Menschen, aber in der Steinzeit natürlich keine astronomischen Instrumente. Und der kleine rote Zwergstern hat auch bei seiner größten Annäherung viel zu schwach geleuchtet, um mit freiem Auge sichtbar gewesen zu sein. Aber rote Zwerge neigen zu Helligkeitsausbrüchen; sie sind viel aktiver als größere Sterne wie unsere Sonne. Wenn so etwas zufällig gerade dann passiert, als er der Sonne am nächsten war, hätte er für ein paar Minuten oder Stunden mit freiem Auge an unserem Himmel sichtbar gewesen sein können. Und wer weiß: Vielleicht hat damals ja doch jemand gerade im richtigen Moment zum Himmel geschaut und sich gewundert, was dieses neue Licht dort wohl bedeuten mag…

Feb 19, 2021 • 15min
Sternengeschichten Folge 430: Weiße Löcher
Alles muss raus!
Sternengeschichten Folge 430: Weiße Löcher
Über schwarze Löcher habe ich in den Sternengeschichten schon viel erzählt. Und wenn man sich mit dem Thema beschäftigt, dann taucht früher oder später irgendwann der Begriff "Weißes Loch" auf. Was also ist ein weißes Loch? Die einfache Antwort: Ein weißes Loch ist wie ein schwarzes Loch, nur umgekehrt. Vielen Dank fürs zuhören, das wars für heute.
Nein, natürlich ist die simple Erklärung nicht genug. Sie ist zwar nicht komplett falsch, aber sie ist auch wenig hilfreich. Das Problem mit einer längeren Erklärung ist allerdings das Problem, das immer auftaucht wenn man über Kosmologie, schwarze Löcher und ähnliche Themen spricht. Da geht es um Phänomene, die absolut nichts mit unserem alltäglichen Leben zu tun haben. Es geht um Phänomene, die sich weit abseits von dem abspielen, was unser Gehirn im Laufe der Evolution zu verstehen gelernt hat. Will man sich zum Beispiel das Universum als ganzes vorstellen, dann muss man sich ein vierdimensionales Objekt vorstellen. Das können wir schlicht und einfach nicht. Wir müssen uns einen dreidimensionalen gekrümmten Raum vorstellen, was zwar theoretisch geht, aber nicht einfach ist, weswegen wir uns dann halt meistens damit begnügen, uns das übliche Gummituch mit einer Bowlingkugel drin vorzustellen. Was sehr viel einfacher ist, aber eben nur ein zweidimensionales Objekt, das sich in einem dreidimensionalen Raum krümmt. So funktioniert die echte Raumkrümmung im Universum nicht; es befindet sich auch nicht in einem höherdimensionalen Raum, in den hinein es sich krümmt oder in den hinein es sich ausdehnt. Aber das können wir uns halt nicht vorstellen.
Es soll aber in dieser Folge nicht darüber gehen, was wir uns über das expandierende Universum nicht vorstellen können, sondern über das, was wir uns über schwarze und weiße Löcher nicht vorstellen können. Und das ist fast alles. Solche extremen Objekte können wir zwar durchaus wissenschaftlichen erforschen. Aber die Art und Weise wie wir sinnvoll darüber nachdenken, benötigt Mathematik. Wir können ein schwarzes Loch mathematisch beschreiben, wir können die Mathematik durch die es beschrieben wird erforschen und so zu neuen Erkenntnissen kommen. Aber es ist eben abstrakte Mathematik, die genau deswegen abstrakt ist, weil sie nicht intuitiv vorstellbar ist. Ich erkläre das alles deswegen so genau, weil das bei den weißen Löcher genau so ist; vielleicht sogar noch ein wenig schlimmer. Alles was ich im folgenden erkläre, ist genau genommen der Versuch etwas zu veranschaulichen, was sich nicht veranschaulichen lässt. Da ich in diesem Podcast aber nicht nur mathematische Gleichungen aufsagen möchte, probiere ich es trotzdem.
Fangen wir noch mal mit den schwarzen Löcher an. Im Detail habe ich in den Folge 40 und 41 darüber gesprochen; in Folge 238 bin ich noch mehr ins Detail gegangen. Das wichtigste Konzept das man hier verstehen muss, ist der Ereignishorizont. Wenn irgendwo im Universum Masse rumliegt, übt sie eine Gravitationskraft aus. Wie stark diese Kraft ist, hängt einerseits von der Menge an Masse ab. Und andererseits davon, wie nahe man dieser Masse kommt. Man kann normaler Masse aber nicht beliebig nahe kommen. Wir Menschen sind zum Beispiel der gesamten Masse der Erde schon so nahe, wie es nur geht. Wir laufen direkt auf ihrer Oberfläche rum, noch näher geht es nicht. Die Anziehungskraft die wir von der Erde spüren ist schon die für uns maximal spürbare. Sie könnte aber größer sein. Denn auch wenn der Boden unter unseren Füßen direkt unter uns ist, ist sehr viel mehr Masse der Erde weiter weg. Immerhin reicht der Boden ja 6371 Kilometer bis zum Erdmittelpunkt und dann nochmal die gleiche Distanz bis zur anderen Seite der Erde. Die Masse dort ist also über 12.000 Kilometer von uns entfernt und dementsprechend schwächer ist ihre Anziehungskraft. Könnten wir die Erde auf eine Kugel mit 10 Meter Durchmesser zusammendrücken, dann wäre wir auf der Oberfläche dieser Kugel der Masse sehr viel näher. Die andere Seite wäre ja jetzt nur 10 Meter weit weg. Wir würden die Anziehungskraft der Erdmasse sehr viel stärker spüren! Und es würde uns sehr viel schwerer fallen, die Erde zu verlassen. Was ja jetzt schon nicht leicht ist; wir müssen die sogenannte Fluchtgeschwindigkeit von 11,2 Kilometer pro Sekunde erreichen, wenn wir die Erde dauerhaft verlassen wollen und das geht nur mit Raketen. Auf der geschrumpften Erde müssten wir noch deutlich schneller werden, wenn wir der viel stärkeren Anziehungskraft entkommen wollen.
Würden wir die Masse der Erde auf einen Durchmesser von weniger als einem Zentimter zusammendrücken, dann würde etwas seltsames passieren. Dann wäre die nötige Fluchtgeschwindigkeit um von dieser kleinen, aber sehr massereichen Kugel zu entkommen, größer als die Lichtgeschwindigkeit. Was so viel heißt wie: Wir wären nicht in der Lage, zu entkommen. Denn nichts kann sich schneller als das Licht bewegen. Wir wären auf ewig auf dieser Kugel gefangen. Genau das ist der Ereignishorizont: Der Abstand von einer Masse, bei dem die Fluchtgeschwindigkeit größer als die Lichtgeschwindigkeit wird. Damit ist klar, dass man einen Ereignishorizont nur bekommt, wenn man ausreichend viel Masse ausreichend stark komprimiert. Das ist bei den meisten Objekten im Universum nicht so. Ein Stern wie unsere Sonne müsste beispielsweise auf weniger als 6 Kilometer Durchmesser gequetscht werden, um einen Ereignishorizont zu kriegen. Solche Kräfte existieren normalerweise nicht. Bei sehr großen Sternen kann es aber trotzdem passieren. Wenn die am Ende ihres Lebens keine Kernfusion mehr betreiben können, dann fällt das ganze Ding unter seinem eigenen Gewicht in sich zusammen. Der nach außen gerichtete Druck der Strahlung fällt weg und alles wird immer stärker komprimiert. Ist die Masse des Sterns groß genug, wird die Masse so stark zusammengedrückt, dass ein Ereignishorizont entsteht. Dann kriegen wir ein echtes schwarzes Loch; wie zum Beispiel im Fall von Cygnus X-1, den ich in Folge 406 genauer erklärt haben.
Wir wissen, dass schwarze Löcher beim Tod sehr großer Sterne entstehen können. Oder besser gesagt: Wir wissen, dass große Sterne nach ihrem Tod so weit in sich zusammenfallen können, dass sich ein Ereignishorizont um sie herum bildet. Was hinter dem Ereignishorizont ist, wissen wir nicht. Unsere Theorien sagen vorher, dass die gesamte Masse sich in einem einzigen Punkt vereint, einer sogenannten Singularität. Aber das ist nur ein Zeichen dafür, dass die Theorien in diesen Extremfällen nicht mehr funktionieren. Im realen Universum kann es keine "Punkte" geben. Irgendeinen Zustand wird die Masse des Sterns hinter dem Ereignishorizont schon einnehmen - aber wir haben keine Ahnung, wie der aussieht.
Ich habe jetzt schon ziemlich viel erzählt, ohne etwas über die weißen Löcher zu sagen. Aber wir müssen erst mal ein paar Dinge über schwarze Löcher klären, bevor wir damit anfangen können. Schwarze Löcher sind zwar reale astronomische Objekte. Aber wir haben sie eben noch nicht wirklich gut verstanden. Die Theorie, mit der wir sie derzeit verstehen wollen, ist Albert Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie. Die funktioniert wirklich sehr gut, aber nur dann, wenn die Größe der Objekte nicht zu klein werden. Wenn wir es mit etwas zu tun haben, das so schwer wie ein ganzer Stern ist, aber so weit komprimiert wurde, dass es nur noch so groß wie ein winziges Teilchen ist, dann weiß die Relativitätstheorie nicht mehr, was zu tun. Da bräuchte man dann eigentlich noch die auf die Beschreibung kleinster Teilchen spezialisierte Quantenmechanik. Aber die kann dafür nicht mit Gravitationskräften umgehen. Aber wenn wir jetzt einfach mal dem folgen, was uns die Relativitätstheorie sagt, dann sagt uns deren Mathematik, dass beim Kollaps einer Masse irgendwann eine Singularität entsteht die von einem Ereignishorizont umgeben ist. Die mathematischen Gleichungen sind aber zeitsymmetrisch. Was so viel heißt wie: Wenn ich in den Formeln einfach das Vorzeichen der Variable für die Zeit ändere, dann kriege ich eine Lösung, die rein mathematisch genau so gültig ist wie die andere. Oder anders gesagt: Wenn eine meiner Lösungen ein schwarzes Loch beschreibt, dann habe ich immer auch eine zweite Lösung, die ein weißes Loch beschreibt. Man kann sich ein weißes Loch also als die zeitliche Umkehr eines schwarzen Lochs vorstellen. Was man aber nicht tun sollte, weil dann alles nur noch verwirrender wird.
Bleiben wir erst mal bei dem, was noch einigermaßen einfach zu verstehen ist. Ein weißes Loch wird, so wie ein schwarzes Loch, durch einen Ereignishorizont ausgezeichnet. Wenn man sich dem Ereignishorizont eines schwarzen Lochs nähert, dann wird die Anziehungskraft immer stärker und irgendwann komme ich nicht mehr weg. Kommt man aber dem Ereignishorizont eines weißen Loches näher, dann wird es irgendwann immer schwerer, noch näher zu kommen. Und man wird feststellen, dass man sich schneller als das Licht bewegen müsste, um ihn zu überschreiten. Aus einem schwarzen Loch kommt nichts raus, das einmal drin ist. Und in ein weißes Loch kann nichts eindringen; von dort kommt nur raus, was schon drin war.
So wie ich das beschrieben habe, kann man sich ein weißes Loch fast wie ein reales Objekt vorstellen. So wie wir uns halt das dunkle Nichts des schwarzen Lochs vorstellen können, stellen wir uns hier eben ein strahlend weißes Irgendwas vor. Und tatsächlich würde ein weißes Loch auch genau so aussehen. Da nichts rein kommt sondern nur Zeug bzw. Strahlung raus, würde es hell leuchten. Diese Vorstellung ist aber falsch, weil wir den Weg der reinen Mathematik verlassen haben. Das was ich vorhin mit der Zeitsymmetrie der Gleichungen gesagt habe, gilt in einem Universum, in dem gar kein Stern vorhanden ist, aus dem sich ein schwarzes (oder weißes) Loch bilden könnte. Was seltsam klingt, aber funktioniert. Die Mathematik muss nicht wissen, wie ein schwarzes Loch entsteht. Wenn da einmal eine Singularität ist, dann steckt sie in den Gleichungen; dann braucht es auch keinen realen Prozess, der so etwas erzeugt. Sich auszudenken, wie das rein mathematisch beschriebene Objekt im echten Universum entstehen kann, ist Sache der Astronomie, nicht der Mathematik. Und die mathematischen Formeln sind viel einfacher, wenn keine störende Masse rumliegt. Man kann also mathematisch ein Universum beschreiben, das Ereignishorizonte enthält. Sowohl welche von schwarzen, als auch welche von weißen Löchern. Würde man in diese mathematische Beschreibung nun aber auch noch sowas wie Sterne inkludieren, dann würden die weißen Löcher verschwinden. Sie wären dann keine vernünftigen Lösungen der Gleichung mehr. Und das muss nicht mal ein Stern sein; irgendeine Masse würde reichen, selbst wenn es nur ein einziges Atom ist.
Sich vorzustellen warum das so ist ohne die Mathematik genau zu betrachten ist unmöglich. Aber daraus folgt: Wir würden nur dann weiße Löcher im Universum haben, wenn das Universum schon direkt von Anfang an weiße Löcher gehabt hätte. Es gibt allerdings keinen Grund, warum das so sein hätte sollen. Und dann ist ja im realen Universum jede Menge Masse entstanden. Wenn da weiße Löcher gewesen wären, wären sie schon längst wieder weg. Oder anders gesagt: Auch wenn weiße Löcher rein mathematisch mit den Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie beschreibar sind, heißt das nicht, dass sie auch tatsächlich existieren müssen. Es gibt keinen bekannten Mechanismus, mit dem sie entstehen könnten und es gibt auch weder einen Grund noch irgendwelche Anzeichen dafür, dass ein uns noch unbekannter Mechanismus existiert. Wir verwenden die Mathematik, weil sie eben auch jede Menge vernünftige Lösungen produziert mit denen wir reale Beobachtungen beschreiben können, wie eben die schwarzen Löcher, die tatsächlich im All existieren. Aber wir wissen auch, dass die Mathematik die wir verwenden, nicht die absolut richtige Mathematik ist. Es ist eine sehr gute Annäherung an die richtige Mathematik, sonst würden sich damit nicht so viele Beobachtungen so genau beschreiben lassen. Aber weil wir eben wissen, dass wir für eine vollständige Beschreibung eine Kombination aus Relativitätstheorie und Quantenmechanik brauchen, und wir diese Kombination nicht haben, folgt daraus, das unsere Mathematik unvollständig ist. Es ist also nicht überraschend, dass wir nicht mit allen Lösungen die sie produziert etwas anfangen können.
Nach allem was wir derzeit wissen, sind weiße Löcher nur eine mathematische Kuriosität. Wir haben weder irgendwo im All Beobachtungen gemacht, die nur durch die Existenz weißer Löcher erklärbar wären, noch auch nur annähernd irgendeinen Mechanismus ausmachen können, der zur Bildung von weißen Löchern führt. Früher dachte man mal, dass Quasare vielleicht weiße Löcher wären. Ich habe ja schon in Folge 52 ausführlich über die Dinger gesprochen. Die leuchten tatsächlich absurd hell und als man sie in den 1960er Jahren entdeckt, hatte man keine Ahnung worum es sich da handelt. Aber mittlerweile wissen wir sehr gut, dass es sich um die Zentren von fernen Galaxien handelt, in denen ein SCHWARZES Loch sitzt und mit seiner Gravitationskraft die Materie dort so schnell beschleunigt, dass sie zu leuchten beginnt. Und im Gegensatz zu den weißen Löchern gibt es bei dens chwarzen Löcher nicht nur Mechanismen wie den Kollaps eines Sterns der einen Ereignishorizont produziert, sondern wir haben auch immer wieder Beobachtungen gemacht die nur durch das Vorhandensein von viel Masse auf sehr kleinem Raum erklärt werden konnten. Schwarze Löcher sind faszinierend. Weiße Löcher mit Sicherheit auch. Aber im Gegensatz zu den schwarzen Löchern sind die weißen Löcher nicht real.
Die Forschung beschäftigt sich weiter damit, weil es eine gute Möglichkeit ist, die Mathematik die dem ganzen zugrunde liegt besser zu verstehen. Und die weißen Löcher werden sicherlich auch weiterhin die Fantasie der Menschen anregen. Ebenso wie Wurmlöcher, die übrigens eng mit den weißen Löchern verwandt sind (und aus den gleichen Gründen wie die weißen Löcher mit ziemlicher Sicherheit nicht real sind, aber das wäre ein Thema für eine andere Folge). Irgendwann kriegen wir vielleicht eine bessere Mathematik um das Universum zu beschreiben. Es ist höchst wahrscheinlich, dass die weißen Löcher dann einfach aus unseren Theorien verschwinden. Vielleicht lernen wir aber auch etwas völlig neues, von dem wir jetzt noch nicht einmal wissen, das wir es lernen können. Genau deswegen treiben wir ja die Wissenschaft!

Feb 12, 2021 • 19min
Sternengeschichten Folge 429: Missionen zum Mars
Mars attacks (Raumsonden)
Sternengeschichten Folge 429: Missionen zum Mars
Der Mars ist ein ganz besonderer Planet. Ok, jeder Planet ist besonders. Aber zumindest für uns Menschen spielt der Mars eine außergewöhnliche Rolle. Schon bevor wir so richtig verstanden haben, was dort passiert, waren wir überzeugt, dass dort nicht nur Leben möglich ist, sondern dass dort auch tatsächlich jemand lebt. Ich hab in Folge 404 ja schon von den Kanälen des Mars erzählt, also von den Strukturen, die man dort im 19. Jahrhundert beobachtet hatte und für Anzeichen intelligenten Lebens hielt. Dass sich diese Kanäle später als nicht existent herausgestellt haben, war zwar schade. Hat aber nichts an unserer Faszination mit dem Planeten geändert. Die "Marsmenschen" sind ein fixer Bestandteil der Science-Fiction geworden.
Und aus wissenschaftlicher Sicht haben wir - abgesehen von der Erde - keinen Planeten so intensiv erforscht wie den Mars. Was auch nicht überraschend ist: Wenn wir nicht einfach nur vorbei fliegen, sondern auch landen wollen, dann kommen in unserem Sonnensystem von den Planeten nur Merkur, Venus und Mars in Frage. Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun haben ja keine feste Oberfläche auf der man landen könnte. Der Merkur ist der Sonne sehr nahe und es braucht sehr viel Energie, dorthin zu fliegen oder gar zu landen. Die Venus ist näher; sie ist tatsächlich von allen Planeten derjenige, der der Erde am nächsten kommen kann. Aber die Bedingungen sind extrem; die Temperaturen an der Oberfläche liegen weit über 400 Grad Celsius, die Atmosphäre ist enorm dicht und es herrscht ein gewaltiger Druck. Wir können dort zwar Raumsonden landen und haben das auch schon gemacht. Aber sie halten dort nur für kurze Zeit durch. Bleibt noch der Mars: Auch der ist vergleichsweise nahe. Und zwar ebenso lebensfeindlich wie die Venus, aber da er so gut wie keine Atmosphäre hat und weiter von der Sonne entfernt ist, ist der Druck dort viel geringer und die Temperaturen sind zwar kalt, aber nicht so extrem, als dass sie technisches Gerät von der Erde sofort zerstören würden. Die Bedingungen sind ein klein wenig so wie in der Antarktis. Nur halt noch ein bisschen lebensfeindlicher.
Außerdem kommen sich Erde und Mars alle knapp 26 Monate nahe. Wenn die beiden Planeten mit der Sonne in einer Linie stehen und noch dazu auf der gleichen Seite der Sonne, dann nennt man das "Opposition". Das ist auch der ideale Zeitpunkt, um eine Raumsonde von der Erde in Richtung Mars zu schicken. Die Reise dauert dann nur circa sechs bis zehn Monate und kann deutlich billiger absolviert werden, als wenn man einfach irgendwann zum Mars aufbrechen würde. Und weil der Mars ständig so faszinierend vom Himmel leuchtet, hat man auch ziemlich früh probiert, ihn nicht nur von der Erde aus zu beobachten sondern näher ran zu kommen. 1957 flog mit Sputnik 1 der erste künstliche Satellit um die Erde. Und drei Jahre später schickte die Sowjetunion mit "Marsnik 1" den ersten Satelliten zum Mars. Recht weit ist er nicht gekommen; die Rakete war fehlerhaft und Marsnik hat nicht einmal die Erdumlaufbahn erreicht. Das gleiche ist Marsnik 2 passiert. Damit war das optimale Startfenster von 1960 erstmal zu und es ging 1962 weiter. Da hat Sputnik 22 ebenfalls nicht die Erdumlaufbahn erreicht. Mars 1 hatte ein bisschen mehr Glück. Der kam immerhin knapp 100 Millionen Kilometer weit, dann ging der Kontakt verloren. Der Tank mit dem Treibstoff für die Lageregelung des Satelliten war fehlerhaft und er ließ sich nicht mehr stabilisieren und steuern. Mit Sputnik 24 musste die Sowjetunion 1962 noch einen dritten und insgesamt den fünften Fehlschlag in ihre Akten eintragen; wieder einmal versagte die Rakete.
1964 griff dann auch die amerikanische NASA ins Rennen auf dem Weg zum Mars ein. Mariner 3 war ihre erste Mars-Sonde und die machte es den Sowjets nach und schaffte es nicht über die Erdumlaufbahn hinaus. Aber am 15. Juli 1965 konnte der erste Erfolg der Marserkundung verbucht werden: Mariner 4 flog, ganz nach Plan, in knapp 10.000 Kilometer am Mars vorbei und konnte die ersten Nahaufnahmen des Planeten liefern. Noch näher kam die sowjetische Mission Zond 2, sie war im August 1965 nur 1500 Kilometer vom Mars entfernt. Der Kontakt zum Satelliten brauch aber schon ein paar Monate zuvor ab. Die Sowjetunion sammelte weitere Fehlschläge: Mars 1969A und Mars 1969B, die - wie der Name andeutet - beide 1969 gestartet wurden, erreichten wieder einmal wegen einer Fehlfunktion der Rakete die Erdumlaufbahn nicht. Währendessen war die NASA deutlich erfolgreicher. Mariner 6 und Mariner 7 flogen beide planmäßig am Mars vorbei, in 3400 Kilometer Entfernung und machten weitere Bilder.
Am 9. Mai 1971 versagte die amerikanische Rakete die Mariner 8 zum Mars bringen sollte; einen Tag später erlitt die sowjetische Kosmos 419- Sonde das gleiche Schicksal. Dann durfte man sich aber auch in Moskau freuen. Ein bisschen zumindest: Mars 2 und Mars 3 wurden Ende Mai 1971 gestartet. Beide Sonden bestanden aus einem Orbiter, der den Mars umkreisen sollte und einer Landeeinheit die auf dem Marsboden aufsetzen sollte. Der Flug von der Erde zum Mars gelang den Sowjets das erste Mal ohne Probleme. Dann fingen die Schwierigkeiten allerdings an. Die Systeme zur Kursberechnung waren fehlerhaft und beide Orbiter umkreisten zwar den Mars, aber nicht so, wie es vorgesehen war. Der Lander von Mars 2 wurde deswegen auch falsch in Richtung Marsoberfläche geschickt und wurde zerstört. Der Lander von Mars 3 erreichte tatsächlich den Boden des Planeten! Aber nur ein paar Sekunden danach brach der Kontakt ab.
Der Preis für den ersten Satelliten, der eine Umlaufbahn um den Mars erreicht, ging aber trotzdem an die USA. Mariner 9 von der NASA startet zwar knapp nach Mars 2 und 3, erreichte den Mars aber ein paar Tage früher und begann am 14. November den Mars zu umkreisen. Das erste Mal wurde die gesamte Oberfläche kartografiert. 1973 ging es weiter: Mars 4 der Sowjets sollte den Mars umkreisen, flog aber vorbei. Mars 5 erreichte die Umlaufbahn, hielt aber nicht so lange durch wie geplant. Mars 6 sollte landen, schaffte es aber nicht und Mars 7 flog am Mars vorbei statt zu landen. Die USA hielten sich 1973 aus der Marserforschung raus; schafften in der kommenden Mars-Saison aber das, was alle bis dahin vergeblich versucht hatten. Am 20. Juli 1976 landete Viking 1 planmäßig auf der Oberfläche des Mars; am 4. September 1976 folgte Viking 2. Das erste Mal hatten zwar nicht Menschen aber zumindest menschengemachte Objekte einen anderen Planeten besucht! Das erste Mal haben wir Bilder bekommen, die die Oberfläche dieser fremden Welt im Detail zeigen! Das erste Mal konnten wissenschaftliche Experimente auf dem Mars durchgeführt werden. Und die waren besonders faszinierend: Man wollte endlich wissen, ob auf dem Mars Leben existiert oder nicht. Dass da keine Marsmenschen rumlaufen war mittlerweile klar. Aber es war durchaus möglich, dass im Marsboden irgendwelche Mikroorganismen leben. Das sollten die Instrumente der Viking-Sonden herausfinden. Die Ergebnisse waren aber leider nicht eindeutig. Sie zeigten zwar Hinweise auf Aktivitäten die von Bakterien oder ähnlichen Lebewesen verursacht werden könnte. Es hätte aber auch genau so gut eine normale chemische Reaktion der Stoffe im Marsboden sein können. Und vermutlich waren die Instrumente auch mit organischen Molekülen von der Erde verunreinigt. Bis heute wird darüber diskutiert, ob die Viking-Sonden Leben entdeckt haben oder nicht; die Mehrheit der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist aber der Meinung, dass das nicht der Fall war.
Die nächste Flüge zum Mars fanden erst Ende der 1980er Jahre statt. Die Sowjetunion hatte sich ein neues Ziel gesetzt: Die Landung auf dem Marsmond Phobos. Die beiden Sonden Fobos 1 und Fobos 2 scheiterten aber. Ebenso wie der 1992 gestartete Mars Observer der NASA. Höchst erfolgreich war dagegen der 1996 ins All geschickte Mars Global Surveyor. 10 Jahre lang umkreiste er den Mars und machte dabei fast eine Viertelmillion hochaufgelöste Bilder der Oberfläche. Mit Mars 96 hatte Russland wieder einmal Pech und eine Sonde, die es nicht einmal bis in die Erdumlaufbahn schaffte. Dafür nutzen die USA die Mars-Saison 1996 um mit Mars Pathfinder den ersten Rover auf die Oberfläche zu bringen: Sojourner war zwar nur 65 Zentimeter groß, fuhr aber immerhin drei Monate lang über die Oberfläche des Mars. Dabei kam er zwar nur knapp 100 Meter weit - aber es war ein Anfang!
Die Mars-Saison 1998/1999 war von Fehlschlägen geprägt. Das erste Mal versuchte ein drittes Land, den Mars zu erreichen. Die Nozomi-Sonde der japanischen Raumfahrtagentur konnte die geplante Umlaufbahn aber nicht erreichen und flog am Mars vorbei. Die Deep-Space-2-Mission der NASA scheiterte ebenfalls; die geplante Landung ging schief. Eine tragische Berühmtheit hat der Mars Climate Orbiter erreicht: Er sollte im September 1999 in eine Umlaufbahn einschwenken und von dort aus das Klima des Mars erforschen. Das ging schief, die Sonde flog zu nahe an den Mars heran und verglühte durch die Reibung mit der Atmosphäre. Der Grund für diesen Fehler ist absurd: Die NASA arbeitete, wie sich das für eine wissenschaftliche Einrichtung gehört - mit dem SI-Einheitensystem, benutzte also das metrische System das fast überall auf der Welt benutzt wird. Die von einer amerikanischen Zulieferfirma hergestellte Software zur Navigation wurde aber mit dem sogenannten "imperialen" System programmiert, also das System, wo man zum Beispiel Entfernungen in Fuß oder Meilen misst, pints und gallons benutzt um Flüssigkeitsmengen zu messen, und so weiter. Das wird heute nur noch in den USA verwendet und zum Teil in Großbritannien und Kanada. Aber weil die amerikanische Firma diese speziellen Einheiten nutze, die internationale NASA aber natürlich den wissenschaftlichen Standards folgte und das SI-System verwendete, wurde die Sonde von der Navigationssoftware auf einen falschen Kurs gebracht und zerstört. Tja.
2001 erreichte die Sonde Mars Odyssey 2001 der NASA aber immerhin erfolgreich die Umlaufbahn und begann ihre Suche nach Wasser auf dem Mars. Was sie dann schließlich auch fand, vor allem in der Südpolregion unseres Nachbarplaneten. 2003 war ein höchst erfolgreiches Jahr, für fast alle. 2003 erreichte der Orbiter von Mars-Express eine Umlaufbahn; das erste Mal war eine Mission erfolgreich die nicht von den USA bzw. Russland organisiert wurde sondern von der Europäischen Weltraumagentur. Der von Großbritannien mitgeschickte Lander Beagle 2 ging bei der Landung allerdings verloren. Dafür waren die USA mit Spirit und Opportunity erfolgreich. Die beiden Rover landeten 2004 auf dem Mars begannen ihre detaillierte Erforschung der Oberfläche. Spirit hielt 7 Jahre lang durch und legte dabei fast 8 Kilometer zurück. Der Rover, immerhin schon 1,6 Meter lang und 1,5 Meter hoch, fand Hinweise auf frühere Gewässer auf dem Mars und machte jede Menge coole Bilder. Opportunity ist immer noch der Star unter den Rovern. Er war fast 15 Jahre lang aktiv, erst im Juni 2018 verlor man den Kontakt. In dieser Zeit schaffte Opportunity eine Strecke von erstaunlichen 45 Kilometern! Auch er konnte viele Hinweise auf ehemalige Flüsse und Seen auf der Marsoberfläche finden.
Es ging erfolgreich weiter: Der Mars Reconnaissance Orbiter der NASA erreichte 2006 eine Umlaufbahn und machte die bisher genauesten Aufnahmen des Planeten. Die Kamera des Satelliten hat eine Auflösung von einem Meter pro Pixel und hat damit den Mars extrem genau kartografiert. Im Mai 2008 landete die Raumsonde Phoenix der NASA in der Nordpolarregion des Mars und konnte mit dem Labor, das es dabei hatte, eindeutig nachweisen, dass im Marsboden gefrorenes Wassereis existiert. 2011 haben sich Russland und China zusammengetan um einerseits eine Sonde in die Umlaufbahn und andererseits eine Landeeinheit auf den Marsmond Phobos zu bringen. Die Rakete stürzte allerdings ab und sowohl die Sonde Fobos-Grunt als auch Yinghuo-1 wurden zerstört.
Eine der spektakulärsten Marslandungen fand am 6. August 2012 statt. Die NASA wollte das Mars Science Laboratory mit dem Rover Curiosity auf die Oberfläche des Planeten bringen. Das Ding war allerdings so groß wie ein Auto und 900 Kilogramm schwer; viel größer und schwerer als alle bisherigen Lander. Früher konnte man die Landeeinheiten - vereinfacht gesagt - einfach dick einpacken und runterfallen lassen. Das ging jetzt nicht mehr; da der Mars so eine dünne Atmosphäre hat, wird man dabei nicht stark gebremst und auch ein Fallschirm kann nur bedingt bremsen. Weswegen man den Rover mit dem Namen Curiosity von einer durch Triebwerke in der Luft gehaltenen Plattform aus 20 Meter Höhe an Seilen hinunter ließ. Das irre Konzept hat funktioniert und der Rover konnte nicht nur seine normale Forschungsarbeit aufnehmen sondern auch das erste Mal konkrete Bohrungen und Analysen vom Inneren größere Gesteinsbrocken vornehmen.
2013 erreicht die NASA-Sonden MAVEN planmäßig eine Umlaufbahn und begann mit der Erforschung seiner Atmosphäre. Und überraschenderweise gelang genau das am 5. November 2013 auch der indischen Raumfahrtagentur. Nach den USA, Russland und Europa war nun die vierte Nation erfolgreich beim Mars angekommen. Europa und Russland taten sich 2016 zusammen und schickten den ExoMars Trace Gas Orbiter auf den Weg. Der dort auch ankam und ein weiteres Mal einen sehr genauen Blick auf die Marsatmosphäre wirft. Gleichzeitig sollte auch die Landeeinheit Schiaparelli abgesetzt werden. Die aber vergaß dabei das Bremsen und wurde bei der Landung zerstört.
Die NASA feierte 2018 den nächsten Erfolg und schickte mit InSight einen Lander auf die Oberfläche. Der sollte sich bis zu 5 Meter tief in den Boden graben und schauen, was da so los ist. Was aber leider nicht geklappt hat, man kam nur 3 Zentimeter weit.
Ich beende die Aufzählung an diesem Punkt. Man könnte über jede der erwähnten Mission natürlich noch viel mehr erzählen; jede wäre eine eigene Folge der Sternengeschichten wert und wird vielleicht auch mal eine eigene Folge kriegen. Heute ging es mir vor allem darum zu zeigen, wie schwierig es ist, den Mars zu erreichen. 1960 haben wir den ersten Versuch gemacht; 60 Jahre später ist es nur der USA gelungen, sicher auf dem Mars zu landen. Von den knapp 45 Missionen in diesen ersten 60 Jahren (die genaue Zahl hängt davon ab, ob man nur die Missionen zählt, die explizit als Marsmissionen geplant waren oder auch andere, die eigentlich anderswohin geflogen sind und auf dem Weg am Mars vorbei gekommen und dort das eine oder andere kleine Forschungsprojekt erledigt haben); von diesen 45 Missionen waren nur 20 erfolgreich; der Rest ist gescheitert - entweder ganz oder teilweise. In den ersten 60 Jahren unserer Versuche den Mars zu erreichen waren wir also nicht mal in der Hälfte aller Fälle erfolgreich. Wenn man nur die Landeversuche zählt, ist die Quote sogar noch schlechter.
Wir sind mittlerweile daran gewöhnt, dass alle paar Jahre neue Raumsonden den Mars erreichen und dort landen. Was ja auch tatsächlich passiert und sehr beeindruckend ist. Aber darüber vergessen wir leicht, wie schwierig das ist! Man kann nicht einfach mal eben so zum Mars fliegen; noch weniger kann man einfach mal so dort landen. Was nicht heißt, dass wir es nicht weiter versuchen werden. Es wird in der Zukunft jede Menge weitere Marsmissionen geben. Neue Rover, die über seine Oberfläche fahren; Drohnen, die durch seine Atmosphäre fliegen. Landungen auf den Marsmonden und Missionen, die nicht nur landen, sondern auch Material vom Mars zurück zur Erde bringen. Andere Länder werden probieren, den Mars zu erreichen. Und irgendwann werden sich vielleicht auch einmal Menschen auf den Weg zum Nachbarplaneten machen. Das ist zumindest all das, was für die Zukunft geplant ist. Was davon tatsächlich klappt, werden wir wissen, wenn diese Zukunft vergangen heißt. Wer diese Podcastfolge irgendwann in dieser - aus meiner Sicht - Zukunft hört, kann vielleicht schon auf ein paar sehr beeindruckende Erfolge zurückblicken. Oder sich über spektakuläre Misserfolge ärgern. Mal sehen - vielleicht mache ich in 60 Jahren noch eine weitere Folge über die Marsmissionen und dann schauen wir, was sich bis dahin getan hat…

Feb 5, 2021 • 10min
Sternengeschichten Folge 428: Die Geschwister der Sonne
Astronomische Familienzusammenführung
Sternengeschichten Folge 428: Die Geschwister der Sonne
Sterne sind keine Menschen. Aber es gibt viele Gemeinsamkeiten. Ein Stern wird geboren, ein Stern stirbt. Dazwischen war er natürlich nicht lebendig; wir verwenden diese Begriffe nur, weil sie praktisch sind. Und erzählen deswegen immer gerne vom "Leben der Sterne". Was Sterne darüber hinaus noch haben, sind Geschwister. Selbst wenn sie keine Eltern haben. Aber bevor es noch verwirrender wird, erzähle ich die Geschichte am besten ordentlich.
In den vergangenen Folgen habe ich schon sehr oft über die Entstehung von Sternen gesprochen. In einer sehr kurzen Version läuft dieser Prozess so ab: Alles beginnt mit einer der großen Wolken aus Gas und Staub die sich zwischen den Sternen im Weltall befinden. Durch äußere Einflüsse kann es passieren, dass diese Wolke aus dem Gleichgewicht gerät. Zum Beispiel weil in der Nähe ein Stern vorbeizieht. Oder ein Stern explodiert. Oder weil die Wolke auf ihrem Weg durch die Milchstraße in eine Region gelangt, in der viele Sterne in der Umgebung eine stärkere Gravitationskraft ausüben. Was auch immer die Ursache ist, die Folgen sind die gleichen: Die Wolke hört auf eine Wolke zu sein. Wo das Gas vorher noch gleichverteilt war, gibt es nun Klumpen. Bestimmte Regionen enthalten mehr Gas als vorher, andere weniger. Dort wo mehr Gas ist, wird mehr Gravitationskraft ausgeübt und die zieht noch mehr Gas aus der Umgebung an. Diese Klumpen werden immer dichter, ihr Inneres wird immer heißer und irgendwann wird der Klumpen zu einem Stern. In der Realität ist das natürlich alles noch sehr viel komplizierter, mit sehr viel mehr Zwischenschritten. Aber das für heute wichtige ist: Aus so einer Wolke entsteht nie nur ein einziger Stern. Es bilden sich immer sehr viele Sterne auf einmal.
Diese zum gleichen Zeitpunkt gemeinsam entstandenen Sterne kann man durchaus als "Geschwister" bezeichnen. Wissenschaftlich korrekt heißt so eine frischgeborene Sternengruppe "OB-Assoziation", benannt nach den sehr heißen und hellen Sternen vom Spektraltyp O und B, die dort am hellsten leuchten, wie ich in Folge 104 schon ausführlicher erklärt habe. In so einer Sternengruppe entstehen natürlich Sterne in allen möglichen Größen. Die größten mit der meisten Masse - also die O- und B-Sterne - leuchten am hellsten und leben auch am kürzesten. Sie haben ihren Brennstoff als erste verbraucht. Dann beenden sie ihr Leben bei einer Supernova-Explosion und das hat zwei wichtige Konsequenzen. Erstens pusten diese Explosionen alles an Gas und Staub aus der Region, was von der ursprünglichen Wolke noch übrig war. Und zweitens sind jetzt genau die Sterne mit den größten Massen aus der Gruppe verschwunden. Übrig bleiben die kleineren Sterne, die jetzt nicht mehr durch die Gravitationskraft der größeren Sterne in einer Gruppe zusammengehalten werden. Anders gesagt: Die Gruppe löst sich auf.
Und sie löst sich wirklich auf: Jeder Stern hat eine leicht andere Geschwindigkeit mit der er sich durch die Milchstraße bewegt. Während die Geschwistersterne anfangs noch nahe beieinander sind, bewegen sie sich im Laufe der Zeit immer weiter voneinander weg. Irgendwann haben sie sich so sehr in der Galaxie verteilt, dass nichts mehr an die ursprüngliche Gruppe erinnert. Auch unsere Sonne ist so entstanden; auch sie war vor 4,5 Milliarden Jahren Teil einer Gruppe von hunderten Sternen und auch sie ist irgendwann ihre eigenen Wege gegangen und hat ihre Geschwister hinter sich gelassen.
Die Suche nach der Familie unserer Sonne erscheint aussichtlos. Wie soll man unter den mehr als 100 Milliarden Sternen der Milchstraße genau die paar hundert finden, die vor 4,5 Milliarden Jahren aus der gleichen Wolke entstanden sind wie die Sonne? Und warum sollte man sie überhaupt finden wollen? Zur zweiten Frage kommen wir später; schauen wir uns zuerst einmal an ob die Suche überhaupt funktionieren könnte. Wie erkennt man, ob ein Stern eine Schwester der Sonne ist?
Natürlich muss das Alter passen. Wenn ein Stern gemeinsam mit der Sonne entstanden ist, muss er auch so alt sein wie unsere Sonne. Aber das allein reicht zur Identifikation noch nicht aus. Denn das Alter eines Sterns lässt sich nicht immer exakt bestimmen. Und selbst wenn es bei einem Stern innerhalb der Fehlergrenzen mit dem Alter der Sonne übereinstimmt, dann kann das immer noch reiner Zufall sein. Deswegen muss man unbedingt auch die chemische Zusammensetzung der Sterne untersuchen. In Folge 337 der Sternengeschichten habe ich ja schon von der Metallizität erzählt. So nennt man in der Astronomie den Anteil der chemischen Elemente an der Zusammensetzung eines Sterns, die weder Wasserstoff noch Helium sind. Wasserstoff und Helium sind ja die absolut häufigsten Elemente im Universum und deswegen besteht auch jeder Stern fast komplett aus diesen beiden Elementen. Aber es gibt immer einen kleinen Anteil an den restlichen chemischen Elementen und die Menge dieses Rests wird als "Metallizität" bezeichnet. Wie viele Elemente abseits von Wasserstoff und Helium ein Stern bei seiner Geburt besitzt, hängt von der Wolke ab, aus der er entstanden ist. Dort haben sich diese Elemente im Laufe der Zeit angesammelt; immer wenn in der Umgebung alte Sterne ihr Leben beendet haben, haben sie diese Elemente ins All hinaus gepustet. Dort wo in der Nähe einer Wolke mehr Sterne ihr Leben beendet haben, gibt es mehr dieser Elemente, dort wo weniger Sterne waren, weniger.
Die chemische Zusammensetzung einer solchen Wolke ist also quasi ein wenig wie ein Fingerabdruck. Und alle Sterne die aus einer Wolke entstehen, teilen diesen Fingerabdruck. Wir müssen also einen Stern finden, der genau so alt wie unsere Sonne ist UND die gleiche chemische Zusammensetzung wie sie hat. Beide Parameter kann man im Prinzip messen. Aber es gibt halt sehr, sehr, sehr, sehr viele Sterne in der Milchstraße. Da einen zu finden, wo alles genau passt, ist schwierig.
Aber, um die zweite Frage von vorhin zu beantworten, es wäre durchaus interessant, ein paar Geschwister der Sonne zu finden. Zum Einen, weil man dadurch viel über die Entstehung der Sonne und des Sonnensystems lernen kann. Denn wenn wir uns die Sterne in unserer Umgebung anschauen, dann sind die alle ganz anders als die Sonne. Dort, wo wir uns gerade in der Milchstraße befinden, erinnert nichts an die Wolke, aus der wir einmal entstanden sind. Die Sonne hat sich offensichtlich weit von ihrem Geburtsort und ihren Geschwistern entfernt. Wüssten wir, wo die alle heute sind, dann könnten wir auch den Weg der Sonne nachvollziehen und besser verstehen, was die Sonne so isoliert hat. Noch spannender ist der zweite Grund, aus dem es sich lohnt, nach der alten Familie zu suchen. Denn als die Sonne vor 4,5 Milliarden Jahren entstand, hat es nicht lange gedauert, bis sich auch ihre Planeten gebildet haben. Es gibt keinen Grund davon auszugehen, dass das bei den anderen Sternen der Gruppe nicht ebenso war. Und - das ist der wichtige Punkt - diese Sterne mitsamt ihren Planeten waren damals viel näher beieinander. Die Gruppe hat sich ja noch nicht aufgelöst. Wenn wir jetzt noch berücksichtigen, dass in einem jungen Planetensystem jede Menge los ist; sehr viel mehr Himmelskörper ihre Runde ziehen als eigentlich Platz haben; noch sehr viel mehr Asteroiden und Kometen unterwegs sind und es zu sehr viel mehr Kollisionen kommt: Dann ist es nicht unwahrscheinlich, dass Material von einem Planetensystem zu einem anderen gelangt.
Ein Asteroid könnte auf einem Planeten einschlagen, könnte Teile aus der Kruste des Planeten ins All hinaus schleudern von wo sie dann durch den interstellaren Raum den - damals noch kurzen Weg - zu einem Nachbarstern zurück legen um dort auf einem anderen Planeten zu landen. Wir wissen, das man auf Asteroiden und Kometen jede Menge komplexe Moleküle finden kann, die "Bausteine des Lebens", wie es immer so schön heißt. Die könnten damals auf diesem Weg von einem anderen Planetensystem auf die Erde gelangt sein und so die Grundlage für die Entstehung des Lebens gelegt haben. Es könnte natürlich auch umgekehrt gelaufen sein: Die Erde könnte die Bausteine des Lebens auf andere Planetensysteme exportiert haben. Ob das wirklich passiert ist, wissen wir nicht. Aber wenn wir es wissen wollen, müssen wir die Geschwister der Sonne finden. Und sollten wir da einen Stern finden, der Planeten hat, dann wären das keine schlechten Kandidaten um dort nach Leben zu suchen.
So spannend das alles ist - wir müssen zuerst einmal die Geschwister der Sonne finden. Was - wie schon mehrmals gesagt - wirklich schwer ist, weil es so enorm viele Sterne gibt. Ein guter Kandidat wäre der Stern mit der Bezeichnung HD 162826. Man findet ihn in circa 110 Lichtjahren Entfernung in Richtung des Sternbilds Herkules. Er ist so alt wie die Sonne, hat die gleiche chemische Zusammensetzung wie unsere Sonne und ist außerdem noch so groß und schwer wie unsere Sonne. Das ist nicht selbstverständlich; die Geschwister müssen ja nicht zwangsläufig auch Zwillinge sein. In dem Fall ist der 2014 identifizierte Stern aber ein guter Kandidat für einen Sonnenzwilling, was noch einmal extra interessant ist. Im Jahr 2018 ist ein weiterer Stern identifiziert worden, 184 Lichtjahre entfernt im Sternbild Pfau. Es gibt noch ein paar weitere potenzielle Kandidaten. Und es werden noch mehr werden; dank der vielen Weltraumteleskope kriegen wir immer mehr Daten von immer mehr Sternen. Zweifelsfrei identifizieren werden wir die Geschwister der Sonne vermutlich nie. Aber je besser unsere Statistik wird, desto klarer werden wir die Familie irgendwann erkennen können. Auch wenn es eine Familienzusammenführung natürlich nicht geben wird.

Jan 29, 2021 • 15min
Sternengeschichten Folge 427: Der Einschlag des Asteroiden 2008 TC3
Vom Himmel hoch da, komm ich her
Sternengeschichten Folge 427: Der Einschlag des Asteroiden 2008 TC3
In der Nacht vom 5. auf den 6. Oktober 2008 war der amerikanische Astronom Richard Kowalski am Mount-Lemmon-Observatorium in Arizona damit beschäftigt den Himmel zu beobachten. Vom Gipfel des 2790 Meter hohen Berges hatte er eine gute Sicht und die war nötig um die Anforderungen des Catalina Sky Survey zu erfüllen. Im Jahr 1998 hat er amerikanische Kongress die NASA beauftragt, mindestens 90 Prozent aller Asteroiden in Erdnähe ausfindig zu machen die größer als einen Kilometer im Durchmesser sind. Diese Aufgabe wurde unter anderem am Mount-Lemmon-Observatorium durchgeführt und Kowalski war wieder einmal dabei potenztiell gefährliche Asteroiden zu suchen.
Kurz vor Mitternacht Ortszeit war er erfolgreich. Er entdeckte einen Asteroid und eine erste Bahnberechnung zeigte, dass er mit der Erde kollidieren könnte. Das außergewöhnliche an der Sache: Als Kowalski den Asteroid sah, befand er sich gerade noch außerhalb der Umlaufbahn des Mondes. Sollte er wirklich auf die Erde treffen, dann würde er das in naher Zukunft tun. Wie nah, das zeigten die hunderten Beobachtungen die überall auf der Welt kurz nach der ersten Sichtung gemacht wurden: Nicht einmal 24 Stunden würde es dauern; nach europäischer Zeit am frühen Morgen des 7. Oktobers wäre es soweit. Im nördlichen Sudan würde der Asteroid einschlagen, in der nubischen Wüste.
Und genau so ist es auch passiert. Der Absturz fand am 7. Oktober 2008 statt um 4 Uhr und 46 Minuten mitteleuropäischer Sommerzeit. Der Asteroid schlug exakt wie vorherberechnet auf der Erde ein. Und dass in der kurzen Zeit zwischen Entdeckung und Einschlag keine weltweite Massenpanik stattfand; dass der Einschlag keine weltweite Katastrophe verursacht hat, liegt daran, dass es hier um die Realität geht und nicht um einen Hollywoodfilm. Wie ich in den Sternengeschichten ja schon oft erzählt habe, muss ein Asteroid groß genug sein, um erstens einen Krater auf der Erde zu verursachen und zweitens noch viel größer sein, wenn er eine weltweite Katastrophe auslösen soll. Die allermeisten Asteroiden aber sind klein. Große Brocken wie die, auf deren Suche sich das Catalina Sky Survey gemacht hat, sind selten. Und weil sie so groß sind, stehen die Chancen sehr gut, dass man sie sehr lange vor einem etwaigen Einschlag findet. Kleine Objekte sind viel häufiger und viel schwerer zu sehen. Sie verursachen aber auch keine so großen Schäden; meistens erreichen sie nicht einmal den Erdboden. Damit ein Asteroid einen Einschlagskrater verursachen kann, muss er circa 50 Meter groß sein - je nach Material auch ein bisschen mehr oder weniger. Und damit der Einschlag weltweite Folgen hat, muss das Ding mindestens einen Kilometer groß sein. Der Asteroid den Kowalski entdeckt hat, war aber gerade einmal 4 Meter groß.
Seine Entdeckung war alles andere als ein Grund zur Panik. Sondern eine enorm große Chance für die Wissenschaft. Denn bis dahin war es noch nie gelungen den Einschlag eines Asteroiden vorherzusagen UND diesen Einschlag dann auch zu beobachten. Wir sehen immer wieder ähnlich große (oder kleine, je nachdem) Objekte bei ihrem Flug durch die Atmosphäre aufleuchten und verglühen. Aber wir wissen nicht, wo sie herkommen; unser erster Blick auf sie ist auch unser letzter. Hier war es anders. Der Asteroid, der die Bezeichnung "2008 TC3" bekommen hat, war ausreichend lange vor dem Einschlag gefunden worden, um seine Bahn zu bestimmen. Wir wussten also, wo im Sonnensystem er sich herum getrieben hat, bevor er der Erde einen endgültigen Besuch abgestattet hat.
Die Geschichte ist damit aber noch lange nicht vorbei, sie fängt eigentlich erst an. Die Beobachtungen während der Kollision haben gezeigt, dass 2008 TC3 in einer Höhe von 37 Kilometern auseinandergebrochen und durch die Reibung mit der Atmosphäre explodiert ist. Das konnte man mit Satelliten beobachten; mit Webcams von der Erde aus und sogar von einem gerade in der Gegend herumfliegenden Passagierflugzeug. Am Boden gab es Augen- und Ohrenzeugen die den Feuerball der Explosion sahen und sie auch gehört haben. Das waren schon mal jede Menge sehr interessante Daten. Im Dezember 2008 hat sich der Astronom Peter Jenniskens gemeinsam mit Muawia Shaddad von der Universität Khartoum auf die Suche nach Überresten der Asteroiden gemacht. Und tatsächlich fanden sie 15 Bruchstücke, in der Nähe einer Zughaltestelle mit der Bezeichnung "Station 6". Was auf arabisch "Almahata Sitta" heißt und zum Namen für den Meteorit wurde.
Ich habe es zwar in einem anderen Podcast schon mal erklärt, aber um Verwirrung vorzubeugen: Solange ein Objekt durchs All fliegt, heißt es "Asteroid" und in diesem Fall war es der Asteroid mit der Bezeichung 2008 TC3 (diese Bezeichnungen werden aus dem Zeitpunkt der Entdeckung gebildet). Landen Teile eines Asteroiden auf der Erde, werden die "Meteorite" genannt und üblicherweise nach der nächstgelegenen vernünftigen geografischen Bezeichnung benannt; in diesem Fall eben "Almahata Sitta". Später fand man noch einige hunderte weitere Bruchstücke - insgesamt hat man knapp 10 Kilogramm des Almahata-Sitta-Meteorits finden und bergen können.
Und das hat der Wissenschaft völlig neue Untersuchungen ermöglicht. Meteoriten an sich gibt es ja genug; die Sammlungen der Museen und die Labore der Wissenschaft sind zwar nicht überfüllt, aber es reicht um gute Forschung anzustellen zu können. Bei so gut wie allen Meteoriten haben wir aber keine gute Ahnung woher sie stammen. Wir können zwar aus geologischen Untersuchungen in Einzelfällen gute Vermutungen aufstellen und manche Meteoriten bestimmten Himmelskörpern zuordnen; wissen als etwa ob ein Meteorit vom Mond oder vom Mars stammt. Aber die überwiegende Mehrheit der Meteoriten die wir entdeckt haben, lag einfach so auf der Erde rum ohne zu verraten, wo sie hergekommen sind.
Der Fall von 2008 TC3 war ein weiteres Mal einzigartig. Wir haben zuerst den Asteroid im All entdeckt, seine Bahn berechnet und einen Einschlag auf der Erde vorhergesagt. Dieser Einschlag ist genau so eingetreten und konnte beobachtet werden. Und dann haben wir auch Meteoriten gefunden, konnten also das Ding das zuerst nur als Lichtpunkt im All und später als Explosion am Himmel zu sehen war, nun auch konkret anfassen und im Labor untersuchen.
Was man dann auch getan hat. Und dabei festgestellt hat, dass es sich um ein ziemlich spezielles Exemplar handelt. Die erste Probe gehörte zur seltenen Gruppe der Ureilite. Das sind Steinmeteorite mit einem hohen Anteil von Kohlenstoff der unter anderem in Form winziger Diamanten zu finden ist. Als man dann aber später die restlichen Proben untersucht hat, hat sich gezeigt dass circa ein Viertel des Meteoriten zu einer anderen Klasse von Steinmeteoriten gehört. Das bedeutet, dass 2008 TC3 aus geologisch verschiedenen Stücken zusammengesetzt sein muss und das wiederum heißt, dass er selbst eine sehr interessante Vergangenheit haben muss.
2008 TC3 war kein Felsbrocken der in der Form schon seit 4,5 Milliarden Jahren durchs Sonnensystem fliegt. Damals, vor der Entstehung der Planeten haben sich aus Staub und Eis ja zuerst einmal die Asteroiden und Kometen gebildet. Und erst daraus dann Planeten wie die Erde. Nur das übrig gebliebene Baumaterial nennen wir heute noch "Asteroid". Aber 2008 TC3 muss selbst einmal Teil eines größeren Objekts gewesen sein. Ich habe in Folge 111 der Sternengeschichten schon von "Asteroidenfamilien" erzählt, also Gruppen von Asteroiden die alle eine ähnliche Zusammensetzung haben und durch Zusammenstöße von größeren Objekten entstanden sind. Aus den Bahndaten von 2008 TC3 und den geologischen Informationen der Meteoriten konnte man zeigen, dass er vermutlich aus der Nysa-Polana-Familie stammt. Die befindet sich am inneren Rand des Asteroidengürtels zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter. Die Mitglieder der Familie sind circa 2,5 mal weiter von der Sonne entfernt als die Erde, haben alle vergleichsweise kreisförmige Umlaufbahnen die nicht stark gegenüber der Erdbahn geneigt sind. Die Familie selbst setzt sich aus zwei Untergruppen zusammen - wenig überraschend die "Nysa"- und die "Polana"-Gruppe - die chemisch unterschiedlich sind. Man vermutet nun, dass 2008 TC3 bei einer Kollision zweier Bruchstücke aus diesen beiden Untergruppen entstanden ist. Wenn die Kollision langsam genug stattfindet - was bei den Umlaufbahnen dieser Asteroiden nicht unwahrscheinlich ist - dann können die, vereinfacht gesagt, einfach zusammenpappen und einen neuen Asteroid formen. Darüber hinaus wissen wir auch, dass die Nysa-Polana-Asteroiden sich in einer Gegend des Sonnensystems befinden, wo die gravitativen Störungen des Jupiters dafür sorgen, dass immer wieder Objekte aus der Familie hinaus in Richtung Erde umgeleitet werden.
Das war aber bei weitem noch nicht alles was wir von 2008 TC3 gelernt haben. 2018 hat man sich die Diamanten in den Meteoriten noch mal genauer angesehen. An sich sind solche Mini-Diamanten nicht weiter besonders. Sie können entstehen, wenn zwei Himmelskörper kollidieren und für kurze Zeit ein enorm hoher Druck herrscht. Und 2008 TC3 hat ja definitiv eine kollisionsreiche Vergangenheit hinter sich. Die in ihm gefundenen Diamanten sind aber zu groß um während einer kurzen Kollisionsphase entstanden zu sein. Die mineralogische Untersuchung hat gezeigt, dass das Material für sehr lange Zeit einem Druck von mindestens 200.000 bar ausgesetzt sein musste, damit sich Diamanten wie bei den Almahata Sitta Meteoriten bilden konnte. Solche Bedingungen findet man nur im Inneren von ausreichend großen Himmelskörpern; vergleichbar zum Beispiel mit dem Merkur. Zumindest ein Teil des Gesteins aus dem sich 2008 TC3 gebildet hat, muss also irgendenwann mal im Inneren eines planetengroßen Objekts gewesen sein.
Das zeigt auch eine Arbeit aus dem Jahr 2020 die ein ganz spezielles Mineral gefunden hat dass sich ebenfalls nur unter ausreichend großem Druck, bei bestimmten Temperaturen und während einer entsprechend langen Zeit unter Anwesenheit von Wasser gebildet haben kann. Bedingungen die ebenfalls nur in großen Himmelskörpern herrschen. Der Ursprung von 2008 TC3 muss also ein Objekt gewesen sein, das mit den großen Asteroiden wie Ceres oder Pluto bzw. kleinen Planeten wie dem Merkur zu vergleichen ist. Durch eine oder mehrere Kollisionen muss Material aus diesem großen Objekt herausgebrochen sein und dann mit anderen Bruchstücken den kleinen Asteroid gebildet haben, der 2008 auf die Erde gefallen ist.
Der Ursprungskörper von 2008 TC3 existiert dabei allerdings nicht mehr. Er ist, so wie viele andere planetengroße Objekte, schon vor langer Zeit verschwunden. In der chaotischen Frühzeit des Sonnensystems haben noch sehr viel mehr große Himmelskörper ihre Runden um die Sonne gezogen als heute. Die acht Planeten und die Handvoll großer Asteroiden sind nur das, was übrig geblieben ist. Der Rest ist bei Kollisionen zerstört oder aus dem Sonnensystem geworfen worden.
2008 TC3 hat uns also einen faszinierenden Blick auf die unwiederuflich verlorene Welt des jungen Sonnensystems gezeigt; hat uns in eine Vergangenheit schauen lassen in der es noch sehr viel wilder zuging und in der Planeten um die Sonne kreisten die es nicht mehr gibt. Und vielleicht lernen wir von ihm auch noch etwas über unseren eigenen Ursprung. 2010 konnte man im Gestein der Almahata Sitta Meteoriten das Vorhandesein von Aminosäuren nachweisen. Diese chemischen Moleküle sind die Bausteine aus denen Proteine bestehen und die sind das, ohne das kein Lebewesen auskommt das wir kennen. Die "Bausteine des Lebens" also, wie es gerne in den Medien heißt. Das heißt nicht, dass irgendwas auf oder in 2008 TC3 gelebt hat; auch nicht auf dem Ursprungskörper. Aber es zeigt, dass sich die Moleküle die für die Entstehung des Lebens nötig sind, auch im Weltall bilden können. Was wir vorher auch schon gewusst haben; wir haben Aminosäuren schon auf anderen Asteroiden und Kometen gefunden. Insofern war 2008 TC3 nicht besonders. Besonders war allerdings die Tatsache, dass die Aminosäuren die hohen Temperaturen beim Einschlag eigentlich nicht überleben hätten sollen. Entweder also, sie sind tief im Inneren des Gesteins vielleicht doch besser geschützt als wir dachten und können auch leichter durch Meteoriten aus dem All auf Planeten verteilt werden um so die Entstehung des Lebens zu erleichtern. Oder aber sie sind erst BEIM Einschlag selbst entstanden als die hohen Temperaturen entsprechende chemische Reaktionen möglich gemacht haben. Was ebenfalls interessant ist, da in der Frühzeit des Sonnensystems wesentlich mehr Asteroiden auf die Erde gefallen sind als heute. Ständiges Bombardement mit großen Steinen aus dem All ist natürlich schlecht für die Entstehung des Lebens. Aber vielleicht ist es auch notwendig, um die Chemikalien und Vorraussetzungen zu schaffen damit Leben entstehen kann, wenn die Einschläge vorbei sind.
Objekte wie 2008 TC3 sind ein absoluter Glücksfall für die Wissenschaft. Das Ding war der erste Asteroid dessen Geschichte wir so gut erforschen konnten und dessen Weg aus dem All auf die Erde direkt nachvollziehbar war. Es mag seltsam klingen, wenn man sich wünscht das mehr Asteroiden auf der Erde einschlagen. Aber wenn sie so klein sind wie dieser, dann bin ich als Astronom absolut dafür!

Jan 22, 2021 • 13min
Sternengeschichten Folge 426: Canopus - Steuermann für Raumsonden
Abenteuer im Kiel des Schiffs
Sternengeschichten Folge 426: Canopus - Steuermann für Raumsonden
Heute gibt es in den Sternengeschichten zur Abwechslung mal wieder eine echte Sternengeschichte. Also eine Geschichte über einen Stern. Wir sehen uns gemeinsam "Canopus" an. Oder besser gesagt: Wir reden darüber. Denn sehen kann man Canopus von Europa aus so gut wie gar nicht. Nur wenn man wirklich ganz weit nach Süden reist, nach Gibraltar, nach Malta oder nach Kreta zum Beispiel kann man ihn sehen. Oder man befindet sich außerhalb von Europa, in Afrika, in Mittelamerika, sonstirgendwo im Süden oder überhaupt gleich auf der Südhalbkugel der Erde - was ja jede Menge Menschen tun (die aber vermutlich nicht zur regelmäßigen Hörerschaft dieses Podcasts gehören).
Wenn man sich an einem Ort befindet an dem man Canopus sehen kann, dann ist es meistens auch nicht schwer ihn zu sehen. Nach Sirius ist Canopus nämlich der zweithellste Stern am Nachthimmel, da muss man sich nicht sonderlich anstrengen. Deswegen ist er den Menschen auch schon ziemlich früh aufgefallen und sie haben ihn immer wieder beobachten. Das hat zum Beispiel der Astronom Abū l-Walīd Muhammad ibn Ahmad Ibn Ruschd getan, auch und ein wenig kürzer bekannt unter seinem lateinischen Namen "Averroes". Geboren wurde er in Al-Andalus, im spanischen Cordoba. Von da aus konnte er Canopus nicht sehen, als er aber im Jahr 1153 nach Marrakesh reiste, war Canopus super zu beobachten. Das bestärkte ihn in seiner Ansicht (die zuvor natürlich auch schon längst andere Leute geäußert haben), dass die Erde eine Kugel sein muss. Weil wie sonst soll man es erklären, dass da plötzlich ein Stern am Himmel auftaucht wenn man Richtung Süden reist der im Norden nicht zu sehen ist. Und der wieder unter dem Horizont verschwindet, wenn man zurück nach Norden fährt?
Über den Ursprung des Namens gibt es unterschiedliche Versionen. Der griechische Name "Canopus" wurde schon in der Antike für den Stern verwendet. In der Mythologie hat er immer mit Schiffen zu tun. Bei den Ägyptern war "Kanopus" der Admiral einer Flotte der die Götter Isis und Osiris nach Indien brachte. In Griechenland erzählte der Dichter Homer die Geschichte des trojanischen Kriegs in dem der König von Sparta - Menelaos - deswegen in besagten Krieg nach Troja zog weil die Trojaner seine Frau entführt haben. Auf der Heimfahrt wurde sein Schiff vom Steuermann "Kanobos" gesteuert. Das Sternbild, in dem die griechischen Gelehrten den Stern Canopus gesehen hatten, wurde nach einem ebenfalls berühmten Schiff aus der Mythologie benannt. "Argo Navis" oder "Schiff Argo"; das Boot mit dem der Held Jason und seinen "Argonauten" sich auf den Weg zu ihren Abenteuern machten. Und wenn man schon ein Schiff an den Himmel setzt, dann braucht es auch einen Steuermann, haben die Leute sich damals wahrscheinlich gedacht und den hellsten Stern dort "Canopus" genannt.
Was es daneben auch noch gibt ist eine ägyptische Stadt die "Kanopus" heißt. Beziehungsweise gibt es sie nicht mehr, aber früher hat es sie mal gegeben. Im westlichen Nildelta, an der Küste des Mittelmeers, ein Stück östlich wo sich heute die Stadt Alexandria befindet. Angeblich soll Menelaos dort seinen Steuermann begraben haben als der dort etwas überraschend bei einem Landausflug von einer Schlange gebissen wurde und starb. Es kann auch sein, dass der Name damit gar nix zu tun hat, sondern vom ägyptischen Begriff "Kahi Nub" kommt, was so viel wie "goldene Erde" bedeutet und sich darauf beziehen könnte, dass man den Stern Canopus von der Stadt Kanopus direkt am Horizont stehen sehen konnte, wo sein Licht gelb-golden erscheint weil es den ganzen Staub der dicken Atmosphäre durchqueren muss. Oder aber die Stadt heißt nicht "goldene Erde" sondern "goldener Boden" weil es ganz einfach eine sehr reiche Hafenstadt war.
Kurz gesagt: Es gibt jede Menge Mythen und warum der Stern so heißt wie er heißt, ist unklar. Klar ist dagegen, dass er seit Juli 2016 ganz offiziell den Eigennamen "Canopus" trägt, das hat die Internationale Astronomische Union so entschieden. Sein offizieller Katalogname war und ist immer noch "Alpha Carinae". Also der hellste Stern (alpha) im Sternbild Carina und "Carina" heißt auf deutsch "Kiel des Schiffes". Als der französische Astronom Nicolas-Louis de Lacaille im 18. Jahrhundert die Sternbilder am Himmel neu organsierte, war im das enorm große Sternbild "Argo Navis" aus der Antike ein wenig zu unübersichtlich. Also hat er es in drei kleinere Sternbilder aufgeteilt: Puppis, Carina und Vela oder auf deutsch "Achterdeck", "Kiel" und "Segel" des Schiffes. Der Steuermann ist im Kiel gelandet und leuchtet seither als hellster Stern dieses Sternbilds vom Himmel.
Das war jetzt ziemlich viel Geschichte und Mythologie und recht wenig Astronomie. Dabei gibt es gerade da sehr viel von Canopus zu erzählen. Mittlerweile auf jeden Fall, denn lange Zeit war da ziemlich viel unklar. Das hat schon bei seinem Abstand zur Erde angefangen. Die angegeben Werte schwankten zwischen knapp 100 und 1200 Lichtjahren. Das ist ein ziemlich großes Intervall und es ist überraschend, dass man das noch bis 2007 nicht genauer wusste. Das Problem ist das Problem das wir haben wenn es darum geht die Entfernung zu einem Stern zu bestimmen. Die Dinger schauen ja immer nur aus wie helle Punkte am Himmel, egal ob sie nah sind oder weit weg. Man kann jetzt entweder probieren die Parallaxe zu messen. Also die scheinbare Verschiebung in der Position des Sterns wenn man ihn aus unterschiedlichen Richtungen betrachtet. Zum Beispiel Einmal im Juni und einmal im Januar, da die Erde sich ja in der Zwischenzeit ein großes Stück entlang ihrer Bahn um die Sonne bewegt hat. Dieser Effekt ist aber winzing und es hat bis 1838 gedauert bis man das überhaupt mal bei einem Stern messen konnte, wie ich schon in Folge 19 erzählt habe. Und selbst ab da war es schwer, mit dieser Methode die Entfernung erstens genau und zweitens für eine relevante Menge an Sternen zu bestimmen. Also hat man sich mit anderen Methoden beholfen. Wenn man wüsste, wie hell ein Stern WIRKLICH leuchtet, dann müsste man nur diese "absolute Helligkeit" mit der am Himmel sichtbaren "scheinbaren Helligkeit" vergleichen. Und kann daraus schnell und einfach den Abstand berechnen. Das Problem: Die absolute Helligkeit kennt man nicht, wenn man sie genau wissen will geht das nur, wenn man den Abstand schon kennt. Man kann sie aber zumindest schätzen, aus dem Spektraltyp des Sterns. Also - vereinfacht gesagt - aus seiner Farbe und seiner scheinbaren Helligkeit. Daraus lässt sich die Temperatur abschätzen, die Masse des Sterns und damit kann man wiederum ungefähr ableiten wie die absolute Helligkeit ist. Aber nur, wenn man wirklich genau weiß, wie diese ganzen Größen zusammenhängen und wie die Spektraltypen genau funktionieren. Was kompliziert ist, wie ich in Folge 132 schon genau erklärt habe. Vor allem muss man viele unterschiedliche Beispiel für den in Frage stehenden Spektraltyp kennen und studieren können. Und leider gehört Canopus zu einer Spektralklasse für die man kaum Sterne kannte und die daher schlecht untersucht und verstanden war.
Canopus gehört zum Spektraltyp F0II (das war zumindest einer der Werte die früher bekannt waren), das sind Sterne die ein bisschen heißer und massereicher sind als unsere Sonne. Was aber nicht das Problem ist. Das steckt in der "Leuchtkraftklasse". Dabei geht es um den Entwicklungszustand, also um die Frage ob der Stern noch ein normaler Stern ist, ob er sich schon zu einem Riesenstern aufgebläht hat weil er sich dem Ende seines Lebens nähert, und so weiter. Unsere Sonne gehört zum Typ "V", ist also offiziell ein "Zwergstern", also noch in ihrem normalen Zustand. Erst in ein paar Milliarden Jahren wird sie sich zu einem Roten Riesen aufblähen und dann auch eine andere Leuchtkraftklasse haben (wahrscheinlich III). Canopus aber gehört zur Leuchtkraftklasse II, was sogenannte "Helle Riesen" bezeichnet. Das sind Sterne, die gerade an der Grenze zwischen Riesensternen und den noch größeren/helleren/heißeren Überriesen stehen. So oder so - es war schwer nur aus der Beobachtung des Canopus von der Erde aus rauszufinden, welche Art von Stern man da vor sich hat.
Je nachdem was man da jetzt für Schätzwerte eingesetzt hat, kam mal eine größere Entfernung raus und mal eine kleinere. Erst als gegen Ende des 20. Jahrhunderts der Satellit Hipparcos - über den ich in Folge 87 ausführlich gesprochen habe - bei hunderttausenden Sternen genaue Parallaxen messen konnte, war klar: Canopus ist knapp 300 Lichtjahre von der Erde entfernt. Darüber hinaus hat er eine Masse die dem 15fachen der Sonnenmasse entspricht. Der Radius von Canopus beträgt das 71fache des Sonnenradius und der Stern leuchtet mehr als 10.000 Mal heller als unsere Sonne. Mit einer Oberflächentemperatur von 7500 Kelvin ist er ein wenig heißer als unsere Sonne. Und welcher Spektral- und Leuchtkraftklasse er angehört ist immer noch nicht ganz klar. Er liegt irgendwo an der Grenze zwischen den Spektralklassen A und F und an der Grenze zwischen den hellen Riesen und den Überriesensternen.
Was wir von Canopus auch schon beobachtet haben sind Röntgenstrahlen; die werden vermutlich in der extrem heißen äußersten Atmosphärenschicht des Sterns erzeugt. Was wir dort bis jetzt nicht gefunden haben sind Planeten; man hat zwar mal vor langer Zeit gedacht dass man entsprechende Anzeichen dort gefunden hat. Die sich aber als Fehlinterpretation herausgestellt haben. Das was man für die Auswirkungen der Gravitation eines Planeten auf die Bewegung des Sterns gehalten hatte, war in Wahrheit die Bewegung der Atmosphäre des Sterns selbst.
Aber ganz unabhängig von all dem was man über Canopus weiß oder nicht weiß - eines bleibt fix. Der Stern ist von der Erde aus extrem hell und gut zu beobachten. Nicht nur weil er so hell ist, sondern weil in seiner Umgebung auch so wenig andere helle Sterne sind. Das macht ihn besonders gut geeignet um ihn als Markierung zur Navigation zu benutzen. Was jede Menge Völker im Laufe der Zeit in Afrika, Australien, Polynesien, Mittel- und Südamerika, China, Indien und so weiter getan haben. Sie alle haben eigene Mythen und Geschichten über den hellen Stern erzählt, ihm ihre eigenen Namen gegeben und ihre eigene Forschung darüber angestellt.
Aber nicht nur früher, auch heute noch dient Canopus der Orientierung am Himmel. Der mythologische Steuermann weist zum Beispiel Raumsonden den Weg durchs All die den hellen und leicht zu findenden Stern zur Positionsbestimmung benutzen. Unsere Fantasie regt Canopus aber auch weiterhin an. Der Stern hat es in das Werk der britischen Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin Doris Lessing geschafft; sogar bis in den Titel ihrer fünfbändigen Science-Fiction-Serie "Canopus im Argos". Und in der grandiosen Romanreihe "Dune" von Frank Herbert umkreist der titelgebende Planet ebenfalls den Stern Canopus.
Wer also von euch mal die Chance haben sollte, den Stern zu beobachten sollte das auf jeden Fall machen!

Jan 15, 2021 • 13min
Sternengeschichten Folge 425: Der Pferdekopfnebel
Das Pferd aus der Dunkelheit
Sternengeschichten Folge 425: Der Pferdekopfnebel
Der Pferdekopfnebel ist ein Nebel der aussieht wie ein Pferdekopf. Das taugt als Erklärung aber nicht viel und reicht schon gar nicht für eine komplette Folge der Sternengeschichten. Aber glücklicherweise gibt es über dieses faszinierende Objekt noch viel mehr zu erzählen. Als das Hubble-Weltraumteleskop im Jahr 2001 seinen 11 Geburtstag feierte, fand im Internet eine Umfrage statt. Man wollte wissen welches Himmelsobjekt man zur Feier des Tages beobachten sollte. Die Wahl fiel auf den Pferdekopfnebel. 2013, zum 23. Geburtstag des Teleskops war der Nebel ein weiteres Mal der Ersatz für den Kuchen. Und dazwischen hat das Teleskop ebenfalls jede Menge Bilder davon gemacht. Ebenso wie davor und danach und nicht nur das berühmte Weltraumteleskop schaut sich gern den Pferdekopfnebel an; er wurde im Laufe der Zeit von allen möglichen Menschen beobachtet, aus wissenschaftlichen Gründen ebenso wie einfach nur aus Spaß an der Freude.
Wobei das Teil gar nicht so einfach zu beobachten ist. Nicht ohne optische Hilfsmittel und auch dann ist es schwer zu sehen. Man kann zwar schon mit einem kleinen Teleskop erfolgreich sein. Aber dann muss man genau wissen was man tut, wohin man schaut, was für ein Anblick zu erwarten ist, braucht einen extrem dunklen Himmel und muss die Augen vor der Beobachtung sehr gut an die Dunkelheit anpassen, also eine Stunde oder länger - vereinfacht gesagt - ins Dunkle starren bevor man anfängt irgendwas auch nur annähernd helles zu beobachten.
Dass Wissen, dass es Objekte wie den Pferdekopfnebel überhaupt gibt kann man auf die Arbeit des Astronomen Wilhelm Herschel zurückführen. Der hat bei seiner Beobachtung des Himmels mit dem Teleskop immer wieder Bereiche entdeckt, die wie dunkle Löcher im Sternenhimmel aussehen. Für die hat er sie auch gehalten. Mehr über die Sache hat man dann erst im 19. Jahrhundert rausgefunden. Der amerikanische Astronom Edward Charles Pickering war ab 1877 Direktor der Sternwarte des Harvard College. Auf Anraten seines Bruders William Henry, ebenfalls ein Astronom, begann er sich intensiv mit der damals noch relativ neuen Disziplin der astronomischen Fotografie zu beschäftigen und fing damit an den Himmel systematisch zu fotografieren. Er suchte sich den Orion-Nebel aus um die Techniken auszuprobieren und ab 1887 machte er diverse Aufnahmen dieser Region.
Und hier unterbrechen wir die geschichtliche Abhandlung kurz und schauen uns den Orion-Nebel ein wenig genauer an. Beziehungsweise nicht, den der ist zwar auch ein Nebel, aber ein anderer als der um den es heute gehen soll. Aber wer Lust, dunklen Himmel und gute Augen hat kann gerne mal probieren ihn zu beobachten; das geht theoretisch schon ohne Hilfsmittel. Dann sieht man aber nur ein verschwommenes Etwas und nicht den prächtig leuchtenden Gasnebel den große Teleskope sichtbar machen. Was man aber zumindest in den Wintermonaten auf der Nordhalbkugel ohne Probleme sehen kann sind die hellen Sterne des Sternbilds Orion. Die sind fast so leicht zu erkennen wie die des großen Wagens. Der "Himmelsjäger" Orion aus der griechischen Mythologie ist mit ein wenig Fantasie sogar als Strichfigur zu sehen und um seine Mitte hat er einen Gürtel aus drei sehr hellen Sternen. Einer davon heißt Alnitak oder auch Zeta Orionis. Und genau diese Region des Himmels ist auf einer Aufnahme von Edward Charles Pickering abgebildet, die am 6. Februar 1888 gemacht wurde.
Was auf der Fotoplatte mit der Nummer B2312 zu sehen ist, schaut wirklich nett aus. Drei sehr helle Sterne im oberen Teil des Bildes, der linke von ihnen ist Zeta Orionis. In dessen Nähe erkennt man ein paar nebelartige Strukturen, vor allem eine längliche Wolke die sich nach Süden, also im Bild nach unten weisend, dahin zieht. Um mehr Details zu erkennen muss man aber wirklich genau schauen. Das hat die Astronomin Williamina Fleming getan. Sie wurde in 1857 in Schottland geboren, arbeitete dort als Lehrerin, übersiedelte mit 21 Jahren nach Boston in die USA und wurde von ihrem Mann verlassen als sie gerade schwanger war. Sie brauchte schnell einen neuen Job und fand ihn als Hausangestellte von Edward Charles Pickering. Der war beeindruckt von ihr und ihrer Intelligenz. Und weil er mit seinen Angestellten an der Harvard-Sternwarte unzufrieden war, stellte er einfach Williamina Fleming ein. Um die männlichen Kollegen zu demütigen - aber mit Sicherheit auch weil er einer Frau deutlich weniger Gehalt zahlen musste als einem Mann. So oder so: Fleming nutzte die Chance und erledigte ihren Job hervorragend. Der bestand unter anderem darin, die Unmengen an Himmelsfotografien zu klassifizieren, auszuwerten und zu analysieren. Dabei legte sie die Grundlage für die heute noch verwendete Methode um Sterne anhand ihrer Temperatur und Helligkeit einzuteilen, wie ich schon in Folge 132 erzählt haben. Dabei kamen ihr aber auch die Aufnahmen der Orion-Region unter die Finger bzw. Augen. Und auch hier beschrieb und sortierte sie ganz genau, was zu sehen war.
Im Jahr 1890 erscheint ein wissenschaftlicher Aufsatz mit dem Titel "Detection of new nebulae by photography" und in einer Tabelle ist dort ganz genau vermerkt, welche nebelartigen Regionen gefunden wurde. Unter Punkt 21 kann man dort lesen, dass "ein großer Nebel sich von Zeta Orionis nach Süden erstreckt" - das ist genau das Teil von dem wir vorhin schon gesprochen haben. Es wird hier aber auch ganz bestimmtes Detail vermerkt, nämlich "eine halbkreisförmige Einbuchtung". Und genau die ist es, die uns interessiert. Die Arbeit aus dem Jahr 1890 ist veröffentlicht worden ohne explizit anzugeben, wer sie verfasst hat. Aber man kann erstens davon ausgehen (und tut das auch), dass sie von Edward Charles Pickering geschrieben wurde und im Text selbst ist auch noch explizit vermerkt, dass die Untersuchung der Fotoplatten von Williamina Fleming durchgeführt wurde. Eine spätere Arbeit aus dem Jahr 1908 lässt dann keine Zweifel mehr offen. In "Nebulae discovered at the Harvard College Observatory" wo - wie der Titel erklärt - alle Nebel aufgelistet sind die in Harvard entdeckt wurden, findet man als Nummer 62 genau das Objekt von dem wir schon die ganze Zeit reden und als Entdeckerin ist dort explizit Williamina Fleming gelistet. Sie ist also die Entdeckerin des Pferdekopfnebels.
Es war Fleming und nicht etwa Herschel oder Pickering, wie man lange Zeit an diversen Stellen lesen konnte. Der Amateurastronom Stephen Waldee hat ganze Sache aber in einer langen sehr ausführlichen Recherche in den 1980er und 1990er Jahren mehr als klar gestellt. Jetzt wissen wir also, wer das Ding entdeckt hat. Aber immer noch nicht so genau, um was es sich eigentlich handelt.
Wolkenartige Gebilde kann man in großer Zahl am Himmel sehen. Am besten davon die, die selbst leuchten, also die sogenannten "Emissionsnebel". Dabei handelt es sich um große Wolken aus Gas (fast ausschließlich Wasserstoff, aber auch ein paar andere Elemente wie Helium, Sauerstoff oder Stickstoff) zwischen den Sternen. Die aber von den Sternen in der Umgebung angeleuchtet werden. Wenn es sich dabei um junge, heiße Sterne handelt, kann die starke Strahlung die Atome der Wolken zum Leuchten anregen. Genau das ist im Orion der Fall, denn solche Wolken sind ja auch genau die Regionen in denen neue Sterne entstehen. Wir haben also Wolken, durchsetzt von heiß leuchtenden Sternen wodurch auch die Wolken leuchten. Aber nicht alle. Manche tun das nicht und die heißen, wenig überraschend, "Dunkelwolken". Sie sind im allgemeinen ein wenig dichter als die anderen Wolken; sie bestehen auch nicht nur aus Gas sondern enthalten auch Staub und absorbieren das Sternenlicht. Sie bleiben so lange dunkel, bis in ihrem dichten Kern ein neuer Stern entsteht.
Das helle, nebelartige Gebilde das Williamina Fleming südlich des Sterns Zeta Orionis beschrieben hat ist ein Emissionsnebel der heute die Bezeichnung "IC 434" trägt. Er leuchtet hell - und von uns gesehen genau davor befindet sich eine Dunkelwolke. Das ist die "halbkreisförmige Einbuchtung" im Nebel die Fleming entdeckt hat. Die aber keine Einbuchtung IM Nebel ist. Sondern eben ein Bereich des Nebels dessen Licht wir nicht sehen können weil es von der davor liegenden Dunkelwolke absorbiert wird.
Pickering und Fleming wussten damals aber noch nicht dass es sich um eine Dunkelwolke handelt. Dass es so etwas gibt und dass die dunklen Gebiete keine "Löcher im Himmel" sind wie Herschel es dachte, geht auf die Arbeit des amerikanischen Astronoms Edward Barnard und des deutschen Astronoms Max Wolf zurück. Beide machten großartige Aufnahmen verschiedener Nebel, unter anderem von der Region die auch Fleming schon untersucht hatte. Darauf war die dunkle Region viel besser zu sehen. Mit diesen Daten konnten Barnard und Wolf erkennen, dass da nicht einfach nur aus irgendeinem Grund keine leuchtenden Sterne waren. Sondern dass die dunklen Flecken durch Staub- und Gasmassen verursacht werden die das Licht blockieren. Barnard erstellte einen Katalog der ihm bekannten Dunkelwolken und Eintrag Nummer 33 darin ist der Pferdekopfnebel.
Der aber immer noch nicht als "Pferdekopfnebel" bekannt war. Wenn man sich moderne Abbildungen ansieht, zum Beispiel die Geburtstagsbilder von Hubble, dann sieht die dunkle Wolke dem Kopf eines Pferdes wirklich überraschend ähnlich. Aber auf den alten Aufnahmen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts ist wirklich nicht mehr zu erkennen als eine Einbuchtung. Wer dem Ding den Namen "Pferdekopf" gegeben hat, ist unklar. Auf jeden Fall konnte das erst dann passiert sein, als die Bilder gut genug waren um diese Form auch zu zeigen. Der vorhin schon erwähnte Stephen Waldee ist auch dieser Frage ausgiebig nachgegangen und fand die erste veröffentlichte Erwähnung dieses Namens in einem Astronomie-Lehrbuch aus dem Jahr 1926, verfasst vom amerikanischen Astronom John Charles Duncan. Und tatsächlich hat Duncan einige Aufnahmen des Nebels gemacht und sie gehören zu den frühesten Bildern auf denen der Pferdekopf deutlich erkennbar ist. Das in seinem Lehrbuch abgebildete Foto stammt aus dem Jahr 1920 - Es gibt aber auch einen Briefwechsel zwischen den beiden Astronomen Frederick Seares und George Ellery Hale aus dem Jahr 1923 in der die Bezeichnung "Pferdekopf" vorkommt; sie muss also damals schon in Gebrauch gewesen sein. Ob es wirklich Duncan und sein Bild aus dem Jahr 1920 waren, die diesen Namen angestoßen haben oder doch irgendwer anderer lässt sich eindeutig vermutlich nicht klären.
Ist aber auch egal, denn dieses Wissen braucht man nicht unbedingt um den Pferdekopfnebel beeindruckend zu finden. Oder ihn zu erforschen, was man natürlich ausführlich getan hat. Der Nebel ist 1500 Lichtjahre von der Erde entfernt und ungefähr 3,5 Lichtjahre groß. Seine gesamte Masse beträgt das 27fache der Masse unserer Sonne und er besteht hauptsächlich aus Wasserstoff, aber man findet dort auch jede Menge komplexere Moleküle aus Wasserstoff, Kohlenstoff, Sauerstoff oder Schwefel. Der ganze Staub mitsamt dem Gas ist in Bewegung; der Pferdekopf wird im Laufe der Zeit also seine Form verlieren und sich auflösen. Das wird aber erst in circa 5 Millionen Jahren so weit sein. Es bleibt also noch genug Zeit sich den Pferdekopf im Weltraum anzusehen!

Jan 8, 2021 • 15min
Sternengeschichten Folge 424: Röntgenastronomie
Totaler Durchblick
Sternengeschichten Folge 424: Röntgenastronomie
Astronomie ist super. Das kommt jetzt vermutlich wenig überraschend, denn immerhin erzähle ich ja schon seit 423 Folgen was das Universum an spannenden Geschichten zu bieten hat. Was aber nichts am grundlegenden Befund ändert: Die Astronomie ist super. Denn so gut wie alles im Universum ist wahnsinnig weit weg. Normalerweise sollte man davon ausgehen, dass man gar nichts über Objekte herausfinden kann, die hundertausende, Millionen oder Milliarden Lichtjahre von der Erde entfernt sind. Können wir aber! Weil die Astronomie super ist.
Und keine Sorge, ich höre schon wieder auf mit der Lobhudelei. Sondern erkläre, wie genau die Astronomie es schafft, so super zu sein wie sie ist. Vor allem deswegen, weil sie extrem gut schauen kann. Das ist ja auch das einzige, was der Astronomie übrig bleibt. Direkt erforschen kann man die Phänomene im Universum nur sehr selten; gerade einmal ein paar Himmelskörper in unserem eigenen Sonnensystem haben wir mit Raumsonden vor Ort untersucht. Alles andere müssen wir aus der Ferne anschauen. Und die Astronomie hat gelernt, das besser zu tun als alle anderen. Jahrtausendelang blieb den Menschen nur die Untersuchung des normalen Lichtn der Sterne und als Beobachtungsinstrument hatte man nur die eigenen Augen. Dann kam das Teleskop. Und später fand man heraus, dass da noch viel mehr Licht zu sehen ist. Darüber habe ich in den Sternengeschichten ja schon oft gesprochen. Über die Infrarotstrahlung, die Ultraviolettstrahlung und so weiter; über all den Rest des sogenannten "elektromagnetischen Spektrums". All das ist Licht, von dem unsere Augen nur einen kleinen Teil wahrnehmen können.
Die künstlichen Augen der Astronomie können aber auch den Rest sehen. Und über einen sehr faszinierenden Teil dieses Rests und dessen Beobachtung geht es heute: Die Röntgenastronomie. Röntgenstrahlung kennen wir aus dem Alltag vor allem dann, wenn wir aus medizinischen Gründen damit beleuchtet werden. Oder besser gesagt: Durchleuchtet. Denn das aus medizinischer Sicht besondere an dieser Strahlung ist ja die Tatsache, dass es menschlisches Gewebe (und andere Stoffe) leicht durchdringen kann; von dichteren Objekten wie unseren Knochen aber absorbiert wird. Ein Röntgenbild zeigt uns also, wie wir innendrin ausschauen. Über die Entdeckung der Röntgenstrahlung will ich heute nicht reden; obwohl das auch eine sehr faszinierende Geschichte ist. Stattdessen schauen wir uns die Strahlung selbst ein wenig genauer an.
Sie kann unseren Körper deswegen durchdringen, weil ihre Wellenlänge sehr klein ist. Normales Licht hat Wellen die 430 bis 640 Nanometer groß sind; also ein paar hundert Milliardstel Meter. Das ist schon ziemlich wenig, aber Röntgenstrahlen sind noch viel kurzwelliger. Ihre Wellenlängen liegen zwischen 10 Pikometern und 10 Nanometern. Also zwischen einem 10 Billionstel Meter und einem 10 Milliardstel Meter. Obwohl es bei Röntgenstrahlung üblich ist, nicht die Wellenlänge anzugeben sondern die Energie. Lichtwellen haben ja auch eine Energie und zwar um so mehr, je kürzer ihre Wellenlänge ist. In dem Fall geht es um Werte zwischen circa 0,1 und 500 Kiloelektronenvolt. Und ein Elektronenvolt ist die Menge an Energie um die sich die Bewegungsenergie eines Elektrons verändert, wenn es durch ein elektrischen Feld mit einer Spannung von einem Volt fliegt. Die Energie von normalen, also für unsere Augen sichtbaren Licht liegt circa zwischen 1,5 und 3,3 Elektronenvolt. Bei Röntgenstrahlen geht es aber um KILOelektronenvolt, also tausend mal so viel Energie. Die etwas langwelligere Röntgenstrahlung mit niedrigeren Energie von weniger als 2 keV wird oft auch als "weiche" Röntgenstrahlung bezeichnet; die Strahlung mit mehr Energie als "harte" Röntgenstrahlung.
Bleiben noch zwei Fragen: Was im Universum erzeugt eigentlich Röntgenstrahlung und wie beobachtet man das? So gut wie alles und sehr schwer!, wäre die kurze Antwort. Das Problem bei der Beobachtung von Röntgenstrahlung aus dem All liegt darin, dass sie unsere Erdatmosphäre nicht durchqueren kann. Beziehungsweise ist das nur ein Problem für die Astronomie; ansonsten ist das schon ok - denn zuviel der hochenergetischen Strahlung ist für Lebewesen durchaus gefährlich. Es ist also gut dass wir auf der Erde davor geschützt sind und die vielen Luftmoleküle die Strahlung absorbieren anstatt bis zum Boden durchzulassen. Aber wenn wir sie beobachten wollen, braucht es eine Lösung. Die fand sich aber erst spät. Schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es Vermutungen dass zum Beispiel auch unsere Sonne Röntgenstrahlung abgibt; das war etwa eine Idee der der amerikanische Physiker Edward Olson Hulburt 1938 hatte. Aber niemand kam so weit nach oben um auch konkret nachschauen zu können. Das gelang erst nach dem zweiten Weltkrieg als man in Amerika die in Deutschland erbeuteten V2-Raketen auch zu wissenschaftlichen Zwecken einsetzen konnte.
Die echte Röntgenastronomie begann am 5. August 1948 als genau so eine Rakete von einem Startplatz in New Mexico aus ins All flog. Mit an Bord war ein Detektor für Röntgenstrahlung und der tat was er sollte, nämlich detektieren. Allerdings nur kurz, denn die Rakete hat nur einen kurzen Ausflug gemacht. Sie hat eine Höhe von 166 Kilometern erreicht und fiel danach wieder zurück auf die Erde. Aber weitere Raketen mit weiteren Detektoren folgten und man konnte einwandfrei nachweisen, dass die Sonne auch im Röntgenlicht leuchtet. Was nicht überraschend ist, denn die Sonne ist heiß. Vor allem ihre äußerste Atmosphärenschicht, die Korona über die ich schon in Folge 134 ausführlich gesprochen habe. Je höher die Temperatur, desto schneller bewegen sich die Teilchen dort. Wenn jetzt zum Beispiel sehr schnelle Elektronen mit anderen Atomen kollidieren, dann werden sie abgebremst. Dabei geben sie Energie in Form von Strahlung ab, die passenderweise "Bremsstrahlung" genannt wird und diese Strahlung ist kurzwellige Röntgenstrahlung. Man kann aber auch Atome dazu bringen, Röntgenstrahlung abzugeben: Steckt man jede Menge Energie in ein Atom hinein, dann können die Elektronen aus der Atomhülle herausgelöst werden. Sie sind dann nicht mehr an den Atomkern gebunden und das Atom wird "ionisiert" genannt. In die freigewordenen Plätze können andere Elektronen "hineinfallen" und auch dabei wird Energie abgegeben und wieder in Form von Röntgenstrahlung.
Man kriegt im Universum also immer dann Röntgenstrahlung wenn irgendwo hohe Temperaturen und große Energien involviert sind. Was in der Korona der Sonne der Fall ist. Aber nicht nur dort. 1962 wollte man schauen, wie denn der Mond so im Röntgenlicht aussieht. Der ist natürlich nicht heiß, reflektiert aber erstens die Strahlung der Sonne. Und wenn Röntgenstrahlung von der Sonne auf die Mondoberfläche trifft können dort interessante Prozesse stattfinden die man genauer erforschen wollte. Also schoß man wieder einen Röntgendetektor mit einer Rakete ins All. Das mit dem Röntgenbild des Mondes hat nicht geklappt. Dafür fand man aber überraschenderweise eine andere Quelle von Röntgenstrahlung, und zwar im Sternbild Skorpion. Deswegen hat man das Ding auch "Scorpius X-1" genannt, die erste Röntgenquelle (auf englisch "X-Rays") im Skorpion. Es war auch die erste Röntgenquelle außerhalb des Sonnensystems die man überhaupt finden konnte und der italienisch-amerikanische Astronom Riccardo Giacconi hat dafür - und für jede Menge weitere Forschung zur Röntgenastronomie - im Jahr 2002 den Nobelpreis für Physik bekommen. Davor musste aber erstmal erklärt werden, was denn da im Skorpion leuchtet. Ein Doppelstern nämlich; bzw. ein ehemaliger Doppelstern. Der eine Stern hat sein Leben schon beendet und ist zu einem Neutronenstern geworden, ein extrem kompakter Sternenrest mit enorm hoher Dichte und einer enorm starken Gravitationskraft in seiner unmittelbaren Umgebung. Damit zieht er Material vom noch übrig gebliebenen zweiten Stern ab, dass sich in einer Scheibe um den Neutronenstern sammelt und angetrieben von dessen Gravitationskraft extrem schnell herumwirbelt. Das verursacht Röntgenstrahlung und genau die hat man 1962 beobachtet.
Bis 1970 hatte man circa 40 Röntgenquellen im Universum gefunden. Und dann kam "Uhuru", der erste echte Röntgensatellit. Die NASA hat ihn am 12. Dezember 1970 ins All geschickt wo er bis 1973 in Betrieb blieb und erstmals den gesamten Himmel im Röntgenlicht abgesucht hat. Dabei wurden insgesamt 300 Röntgenquellen gefunden. Man sah weitere Röntgendoppelsterne wie Scorpius X-1; man sah aber auch das extrem heiße und extrem dünne Gas zwischen fernen Galaxien im Röntgenlicht leuchten. Die Technik von Uhuru war simpel: Der Detektor bestand aus einer Bleiplatte mit Löchern und dahinter waren Sensoren. Was aber auch heißt das nur diejenigen Röntgenstrahlen gemessen werden konnten die genau durch so ein Loch auf einen Sensor gefallen sind. Das Prinzip eines Teleskops besteht aber darin, dass man viele verschiedenen Lichtstrahlen mit einem optischen System so umlenkt und auf einen einzigen Punkt konzentriert, dass man deutlich mehr und besser sehen kann als nur mit den Augen. Das geht mit normalen Licht auch sehr gut, auch noch mit Infrarotstrahlung, Radiostrahlung oder UV-Strahlung. Röntgenstrahlen lassen sich mit normalen Spiegeln aber nicht mehr kontrollieren. Sie würden einfach durchgehen oder absorbiert werden. Deswegen verwendet man hier eine Konstruktion die nach ihrem Erfinder, dem deutschen Physiker Hans Wolter als "Wolter-Teleskop" bezeichnet wird. Wenn ein Röntgenstrahl unter einem sehr flachen Winkel auf einen Spiegel trifft, dann kann er tatsächlich reflektiert werden. Um die Lichtausbeute zu erhöhen muss man aber die richtigen Spiegel mit den richtigen Formen auf die richtige Weise zusammenbasteln. Simpel gesagt besteht ein Wolter-Teleskop aus mehreren unterschiedlich gekrümmten Spiegeln die mehrfach ineinander verschachtelt sind. So erhöht man die Chance, dass ein Röntgenstrahl gerade im richtigen Winkel auf einen der Spiegel trifft und passend abgelenkt werden kann.
Die Wellenlänge der Röntgenstrahlung ist klein und je kürzer die Wellenlänge, desto glatter muss die Oberfläche des Spiegels sein. Bei Wolter-Teleskopen dürfen die Ungenauigkeiten nur wenige Millionstel Millimeter betragen und deswegen hat es auch bis 1978 gedauert bis das "Einstein Observatorium" ins All flog und das erste Wolter-Teleskop an Bord hatte. Mittlerweile ist die Technik ausgereift und im Laufe der Jahre haben wir einige große Röntgenobservatorien in den Weltraum verfrachtet. Zum Beispiel "XMM-Newton" und "Chandra", die beide im Jahr 1999 ins All geflogen sind. XMM-Newton hat die Europäische Raumfahrtagentur ESA gebaut und hat gleich drei Wolter-Teleskope mit dabei, die jeweils aus 58 ineinander verschachtelten Spiegelschalen bestehen von denen die größte einen Durchmesser von 70 cm hat. Chandra hat vier Paare an verschachtelten Spiegeln von denen der größte 123 cm durchmisst.
Wir haben das Universum mittlerweile auch im Röntgenlicht genau beobachtet. Wir haben damit die Zentren ferner Galaxien gesehen, wo Unmengen an heißem Gas um gewaltige schwarze Löcher wirbelt. Wir haben kleine schwarze Löcher in unserer eigenen Milchstraße beobachtet die ihre Partnersterne langsam auffressen. Wir haben das dünne Gas zwischen den Sternen und den Galaxien erforscht und die Eruptionen auf der Sonne und anderen Sternen. Wir haben die Geburt von Sternen beobachtet und ihren Tod. Immer wenn die Dinge irgendwo im Universum besonders schnell, heiß oder explosiv werden leuchtet Röntgenlicht auf. Und wir haben die passenden Augen, um es zu sehen. Astronomie ist super.

Jan 1, 2021 • 15min
Sternengeschichten Folge 423: Die Feinabstimmung des Universums
Es ist so wie es ist
Mit dieser Folge nehme ich am Wettbewerb Fast Forward Science 2021/22 teil. #audiospezial
Sternengeschichten Folge 423: Die Feinabstimmung des Universums
Heute geht es um die Feinabstimmung des Universums. Das klingt ein wenig seltsam. Ist aber eigentlich nichts anderes ist als die Verwunderung darüber, dass alles irgendwie super ist. Was jetzt natürlich noch ein wenig erläutert werden muss. Mit "super" sind die Bedingungen im Universum in seiner Gesamtheit gemeint, nicht das Alltagsleben der Menschen. Da ist natürlich nicht immer alles super; das hat aber auch nichts mit Astronomie zu tun (oder nur sehr selten).
Es geht um die Beobachtung, dass unser Universum überraschend gut dafür geeignet ist, um als Mensch darin zu wohnen. Und dass es auch ganz anders sein hätte können. Dass es sogar sehr viel wahrscheinlicher ist, dass es nicht so gut für uns Menschen geeignet ist wie es ist. Das waren jetzt drei "ist"; die Feinabstimmung des Universums hat aber eigentlich viel mehr mit "könnte" zu tun als mit "ist". Aber bevor ich noch weiter so unkonkret herumerzähle schauen wir uns lieber mal ein Beispiel an.
Sterne! Dass wir die im Universum haben ist ziemlich praktisch. Ohne einen Stern hätten Planeten nichts um das sie kreisen könnten. Ohne einen Stern hätte ein Planet nicht ausreichend Licht und Wärme um Leben zu entwickeln. Und ohne Sterne gäbe es im Universum auch nichts, abgesehen von Wasserstoff und Helium. Denn das waren ja die einzigen chemischen Elemente die direkt beim Urknall entstanden sind; der ganze Rest ist erst durch Kernfusion im Inneren von Sternen entstanden. Auch der Kohlenstoff, aus dem wir Menschen zu einem großen und relevanten Teil bestehen und auch alle anderen uns bekannten Lebewesen. Ohne Kohlenstoff kein Leben, ohne Sterne keinen Kohlenstoff. Sterne haben wir deswegen im Universum, weil die überall im Kosmos verteilten Wolken aus Wasserstoff und Sauerstoff unter ihrer eigenen Gravitationskraft in sich zusammengefallen sind; immer dichter und heißer wurden bis irgendwann dort die Kernfusion eingesetzt hat. Und das wiederum hat nur funktioniert, weil die Gravitationskraft ausreichend stark ist, dass die Wolken zusammenfallen können. Ansonsten wäre das Zeug einfach weiter durchs All gewabert ohne das irgendwann irgendwas passiert und das ganze Universum würde nur aus Wassestoffwolken bestehen. Damit ein Stern, sofern er mal entstanden ist in seinem Inneren neue chemische Elemente wie Kohlenstoff machen kann, müssen auch die Anziehungs- und Abstoßungskräfte zwischen den Atomkernen genau passen. Sonst fusioniert nichts. Oder es kommen andere Elemente dabei raus und kein Kohlenstoff. Das Universum hätte sich aber auch nach dem Urknall viel schneller ausdehnen können als es dass getan hat. Dann hätten sich überhaupt keine Wolken gebildet aus denen Sterne entstehen hätten können; dann wäre die ganze Materie extrem im Raum verdünnt worden.
Und so weiter. Es gibt viel mehr Beispiele und ich werde bald davon erzählen. Aber genau das ist es, worum es geht: Die grundlegenden Eigenschaften unseres Universums; die Naturkonstanten die quasi "von Werk" eingebaut sind, passen erstaunlich gut zusammen. Wären sie nur ein bisschen anders als sie es sind, dann wäre das Universum ein Universum in dem keine Sterne und kein Leben existieren könnten. Das ist erstaunlich; das ruft nach einer Erklärung und nach der sucht die Wissenschaft (aber auch andere Disziplinen) schon seit einiger Zeit.
Der erste dem die Sache mit dem überraschend gut für uns eingerichteten Kosmos aufgefallen ist (oder zumindest der erste, der sich damit nachweislich im modernen Sinn wissenschaftlich auseinandergesetzt hat), war der amerikanische Chemiker und Biologe Lawrence Joseph Henderson. Er hat 1913 ein Buch mit dem Titel "The Fitness of the Environment" veröffentlicht. Auf mehr als 300 Seiten legt er dar wie gut wir es mit unserer Umgebung getroffen haben. Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff sind alle genau so beschaffen, dass daraus Leben entstehen kann. Wasserstoff und Sauerstoff können sich zu Wasser verbinden und ohne das gäbe es kein Leben. Jede Menge unterschiedliche chemische Elemente haben unabhängig voneinander genau die Eigenschaften die es braucht um Leben hervorzubringen. Henderson schreibt "Es gibt keine nennenswerte Wahrscheinlichkeit dass diese einzigartigen Eigenschaften grundlos organische Abläufe begünstigen sollten. Das sind keine bloßen Zufälle, eine Erklärung muss gesucht werden."
Und je mehr die Wissenschaft das Universum erforscht hat, desto größer wurde der Drang eine solche Erklärung zu finden. Nehmen wir zum Beispiel die Feinstrukturkonstante. Das ist eine grundlegende Naturkonstante die angibt wie stark die elektromagnetische Kraft im Vergleich zu den anderen Grundkräften des Kosmos (wie etwa der Gravitation ist). Ihr Wert beträgt circa 1/137 und kann aus anderen Konstanten berechnet werden; zum Beispiel der elektrischen Ladung eines Elektrons, der Lichtgeschwindigkeit und so weiter. Eine ähnliche Rechnung kann man auch für die Stärke der Gravitationskraft machen und kommt zu dem Ergebnis, dass die elektromagnetische Kraft 10 hoch 36 mal stärker ist als die Gravitation. Oder wer es gerne mit echten Namen hören will: Der Elektromagnetismus ist eine Sextillion mal stärker als die Gravitation. Das ist gut so. Denn Atome und Moleküle halten genau durch die sehr starke elektromagnetische Kraft so zusammen wie sie es tun. Die zwischen einzelnen Atomen wirkende Gravitationskraft ist dagegen so enorm schwach, dass man sie quasi vernachlässigen kann. Die Gravitation fällt nur dann auf, wenn man es mit wirklich großen Massen zu tun hat; mit Planeten, Sternen und so weiter. Würden sich einzelne Atome ähnlich stark durch Gravitation anziehen wie sie sich durch Elektromagnetismus anziehen (oder abstoßen, was da ja möglich ist; bei der Gravitation aber nicht), dann würde die ganze Chemie so wie wir sie kennen nicht mehr funktionieren. Warum aber die Gravitation so enorm viel schwächer ist, wissen wir nicht.
Allzu viel Spielraum hat man bei der Auswahl der grundlegenden Konstanten nicht. Dazu können wir uns den "Drei-Alpha-Prozess" anschauen. Das ist etwas, das bei Sternen dann passiert, wenn sie sich ihrem Lebensende nähern. Sie haben dann in ihrem Inneren durch Kernfusion schon jede Menge Helium erzeugt und sind heiß genug geworden, dass drei dieser Heliumatome zu Kohlenstoff verschmelzen können. Das geht aber nicht direkt; dazu muss der Stern einen Umweg über das Element Beryllium nehmen. Zwei Heliumatomkerne fusionieren zuerst zu Beryllium und das Beryllium mit einem dritten Heliumkern zu Kohlenstoff. Das sollte eigentlich nicht klappen, weil Beryllium sehr instabil ist und deswegen in Sekundenbruchteilen wieder zerfällt. Die weitere Fusion zu Kohlenstoff ist nur aufgrund einer "Resonanz" möglich. Das im Detail zu erklären würde zu weit führen. Aber es geht darum, dass Atomkerne einfacher verschmelzen können, wenn ihre Energien gut zusammenpassen. Und die Energie von Beryllium und Helium ist ziemlich exakt so groß wie die eines Kohlenstoffatoms. Allerdings eines "angeregten Zustands" des Kohlenstoffs, was heißt, dass der Kern ein bisschen mehr Energie hat als er normalerweise haben würde. Aber man kann - zum Beispiel durch Zusammenstöße - die Energie von Atomkernen erhöhen. Das geht aber nur in ganz bestimmten Schritten; man kann nicht einfach beliebige Mengen an Energie in einen Kern stecken. Diese Energie gibt der Kern dann auch wieder ab, aber der angeregte Energiezustand prinzipiell möglich ist und zur Energie von Beryllium und Helium passt, kann die Fusion zu Kohlenstoff stattfinden. Und auch hier sehen wir wieder: Alles passt überraschend gut zusammen und auch das hängt von den exakten Werten der Naturkonstanten ab. Würde man die Stärke der elektromagnetischen Kraft ändern oder die der starken Kernkraft zwischen den Teilchen aus denen die Atomkerne bestehen, dann würde man Probleme kriegen. Wären die Kräfte um 4 beziehungsweise 0,5% stärker/schwächer als sie es sind, dann würde kein Kohlenstoff und kein Sauerstoff produziert werden können ("Stellar Production Rates of Carbon and Its Abundance in the Universe").
Beispiele gäbe es noch jede Menge. Zum Beispiel: Unser Universum hat drei ausgedehnte Raumdimensionen. Wären es stattdessen vier oder fünf, dann könnten sich weder Planeten stabil um Sterne herumbewegen, noch könnten sich stabile Atome bilden. Warum wir genau drei Raumdimensionen haben ist allerdings völlig unbekannt. Wir wissen das es so ist. Aber nicht warum. Die fundamentalen Konstanten die das Universum so machen, wie es ist, haben genau die Werte die es braucht, damit wir darin leben können. Das ist gut für uns - aber es bleibt die Verwunderung, warum alles so fein abgestimmt ist. Man kann die Sache natürlich einfach ignorieren. Bzw. sagen: Es ist kein Wunder das es so ist wie es ist. Weil wenn es anders wäre, dann wären wir auch nicht da um uns darüber zu wundern wie es ist. Das ist zwar ein prinzipiell logischer Gedankengang. Aber auch nicht sonderlich hilfreich.
Eine andere Möglichkeit wäre einfach eine ganze Vielfalt an Universen zu postulieren. Es könnte jede Menge Universen, also ein "Multiversum" geben. Jedes hat bei seiner Entstehung zufällig irgendwelche Konstanten bekommen. Und wir leben logischerweise in einem, in dem alles gerade so passt das Leben möglich ist. Diese Erklärung funktioniert ja anderswo recht gut. Das Universum ist voll mit Planeten auf denen jede Menge unterschiedliche Bedingungen herrschen. Manche davon sind lebensfeindlich; manche lebensfreundlich und wir leben logischerweise auf einem, auf dem Leben entstehen können. Man muss sich daher auch nicht wundern, dass wir gerade auf der Erde wohnen und nicht am Mars oder der Venus. Beim Multiversum ist die Sache aber komplizierter. Denn im Gegensatz zu den vielen verschiedenen Planeten haben wir bis jetzt noch nicht einmal die Spur eines Belegs dafür, dass es mehr als ein Universum gibt. Und wir wissen, wie und warum unterschiedliche Planeten entstehen. Wir wissen allerdings nicht, wie Universen entstehen und wieso ein Multiversum gerade so entstehen sollte, dass am Ende mindestens ein lebensfreundliches Universum mit dabei ist. Dieser Ansatz verlagert die Sache also nur.
Man kann sich auch - und das ist vermutlich eine sehr wahrscheinliche Variante - auf unser Unwissen ausreden. Wir kennen zwei unterschiedliche Theorien die das Universum grundlegend beschreiben: Die Quantenmechanik und die Relativitätstheorie. Mit beiden können wir den Kosmos gut beschreiben; in beide Theorien müssen wir die meisten Werte für die Konstanten aber einfach einsetzen. Außerdem ist uns klar, dass hier noch nicht Schluss sein kann; es muss eine (oder mehrere) Theorien geben die über Quantenmechanik und Relativitätstheorie hinaus gehen da die beiden für sich genommen nicht das leisten können, was sie leisten sollten. Die Quantenmechanik ist zum Beispiel nicht in der Lage zu beschreiben wie sich Elementarteilchen gegenseitig durch Gravitation beeinflussen. Wir brauchen eine Theorie, die Atome und Sterne gleichzeitig beschreiben kann; wir brauchen eine Quantentheorie der Gravitation und die haben wir nicht. Aber wenn wir sie einmal finden sollten: Dann erklärt sich damit vielleicht, dass die Feinabstimmung nur eine scheinbare ist und dass es gar keine andere Möglichkeit für ein Universum gibt als so zu sein, wie es ist.
Man könnte auch das tun, was wir Menschen immer schon gerne getan haben: Unsere Probleme auf übernatürliche Wesen abzuladen. Wenn das Universum "wie für uns gemacht" aussieht, dann HAT es vielleicht auch jemand für uns gemacht. Vielleicht sind wir nur Teil einer Simulation die irgendwelche gottähnlichen Aliens laufen lassen? Oder vielleicht hat tatsächlich irgendein Schöpfer den Kosmos geschöpft und dabei so lange an den Knöpfen gedreht damit es seiner Schöpfung darin auch gut geht. Obwohl dass das Problem natürlich auch nicht löst. Denn einerseits muss ein Schöpfer der ein Universum so auf uns Menschen abstimmen kann selbst ein ziemlich komplexes Wasauchimmer sein dessen Existenz eine noch kompliziertere Erklärung benötigt als ein feinabgestimmtes Universum. Und andererseits könnte ein Schöpfer der in Lage ist ein ganzes Universum aus dem Nichts zu schaffen darin einfach auch ein paar fixfertige Sterne reinwerfen. Oder große Haufen an Kohlenstoff; den Umweg über den komplizierten Drei-Alpha-Prozess könnte man sich sparen. Was wäre das für ein Schöpfer, der nicht in einem lebensfeindlichen Universum irgendwo eine nette Ecke für uns Menschen freiräumen könnte?
Vielleicht - und das halte ich für die wahrscheinlichste Möglichkeit - ist das Universum aber auch gar nicht so feinabgestimmt wie wir denken. Man kann zumindest zeigen ("Natural Explanation For The Anthropic Coincidences" (pdf)) dass man durchaus auch Sterne in Universen kriegt die andere Naturkonstanten haben als unseres hat. Die leben dann vielleicht ein wenig kürzer oder länger als sie es hier tun. Aber sie sind da. Und wer sagt denn, dass Leben exakt so funktionieren muss wie wir das tun? Klar, wir wissen nicht wie Leben noch funktionieren könnte und können deswegen wissenschaftlich seriös wenig darüber sagen. Aber es kann durchaus sein, dass andere Kombinationen von Naturkonstanten zu Universen führen die vielleicht für UNS lebensfeindlich sind. Aber für andere Arten von Leben genau passen. Und dann würden die rumsitzen und sich wundern, warum alles so super ist. Am Ende bleibt es also vorerst dabei: Es ist so wie es ist, weil wenn es anders wäre, wäre es anders.


