

Sternengeschichten
Florian Freistetter
Das Universum ist voll mit Sternen, Galaxien, Planeten und jeder Menge anderer cooler Dinge. Jedes davon hat seine Geschichten und die Sternengeschichten erzählen sie. Jeden Freitag gibt es eine neue Folge - das Universum bietet genug Material für immer neue Geschichten.
STERNENGESCHICHTEN LIVE TOUR 2025! Tickets unter https://sternengeschichten.live
Wer den Podcast finanziell unterstützen möchte, kann das hier tun: Mit PayPal (https://www.paypal.me/florianfreistetter), Patreon (https://www.patreon.com/sternengeschichten) oder Steady (https://steadyhq.com/sternengeschichten)
STERNENGESCHICHTEN LIVE TOUR 2025! Tickets unter https://sternengeschichten.live
Wer den Podcast finanziell unterstützen möchte, kann das hier tun: Mit PayPal (https://www.paypal.me/florianfreistetter), Patreon (https://www.patreon.com/sternengeschichten) oder Steady (https://steadyhq.com/sternengeschichten)
Episodes
Mentioned books

Dec 25, 2020 • 14min
Sternengeschichten Folge 422: Das Maunder-Minimum
Wenn die Sonne einmal faul ist
Sternengeschichten Folge 422: Das Maunder-Minimum
Heute geht es wieder einmal um die Sonne. Und um etwas, das die Sonne ab und zu macht: Nämlich faul sein. Sie hört nicht auf zu scheinen; das macht sie seit 4,5 Milliarden Jahren netterweise sehr kontinuierlich. Aber es gibt immer wieder Phasen, in denen sie wenig aktiv ist. Über diese "Sonnenaktivität" habe ich ja schon vor langer Zeit in Folge 10 der Sternengeschichten ausführlich gesprochen.
Die Sonne ist wesentlich komplizierter als eine gewaltige Glühbirne am Himmel. Sie ist eine große Kugel aus enorm heißen Gas. Gas, das einerseits ständig in Bewegung ist. Andererseits aber auch in der Lage elektrische und magnetische Ströme zu produzieren. Bei den Temperaturen im Sonneninneren können sich die Elektronen die normalerweise an die Atomkerne gebunden sind nicht mehr halten. Das Gas der Sonne ist ein "Plasma", also ein Gas in dem die elektrisch negativ geladenen Elektronen und die elektrisch positiv geladenen Atomkerne getrennte Wege gehen. Diese Bewegung erzeugt die elektromagnetischen Felder. Die elektromagnetischen Felder beeinflussen aber ihrerseits wieder die Bewegung des Gases. Es ist ein enormes, chaotisches Wirrwarr das wir immer noch nicht komplett verstanden haben.
Was wir aber wissen: Die elektromagnetischen Phänomene haben Auswirkungen auf die Sonne. Dort wo die Magnetfelder besonders stark sind, kann heißes Plasma aus dem Sonneninneren nicht so gut an die Oberfläche aufsteigen weswegen man dort dunkle "Sonnenflecken" sehen kann. Wenn die geladenen Ströme zu wild durcheinander strömen, dann kommt es - vereinfacht gesagt - zu Kurzschlüssen bei denen enorme Energieen frei werden. Bei diesen Explosionen kann Material aus der Sonne in den Weltraum geschleudert werden. Wenn das auf das Magnetfeld der Erde und ihre Atmosphäre trifft, können wir zum Beispiel Polarlichter beobachten. Aber darum soll es heute nicht gehen - sondern um Forschung, die im 17. Jahrhundert mit der Erfindung des Teleskops begonnen hat. Beziehungsweise eigentlich schon viel früher.
Es gab schon früher immer wieder Berichte von dunklen Flecken auf der Sonne. Die Sonne kann man mit freiem Auge aber nur schlecht beobachten. Beziehungsweise geht das eigentlich recht gut, die Sonne ist kaum zu übersehen. Aber sie ist so hell, dass man sie nicht wirklich gut ansehen kann und wenn man es trotzdem probiert, ist das nicht sonderlich gut für die Augen. Aber als Teleskope - und passende Filter! - zur Verfügung standen, beobachteten die Menschen Sonnenflecken. Im 17. und 18. Jahrhundert hat man diese Flecken zwar aufgezeichnet - aber sie nicht wirklich systematisch untersucht. Was einen guten Grund hat, zu dem wir später noch kommen werden. 1825 aber begann der deutsche Apotheker Samuel Heinrich Schwabe die Sonne regelmäßig zu beobachten und ebenso regelmäßig die Zahl der Sonnenflecken aufzuzeichnen. Und fand heraus, dass die sich periodisch ändert. Dieser "Schwabe-Zyklus" wurde später vom Schweizer Astronom Rudolf Wolf wissenschaftlich exakt festgelegt und wir wissen nun, dass die Zahl der Sonnenflecken, die ein Maß für die Sonnenaktivität ist, mit einer Periode von circa 11 Jahren größer und kleiner wird.
Und man begann sich zu fragen: Warum haben die Leute das nicht schon früher entdeckt? Verschiedene Astronomen machten sich auf die Suche nach alten Beobachtungsdaten um die Veränderung der Sonnenfleckenanzahl auch für die Vergangenheit zu bestimmen. Einer davon war der deutsche Astronom Gustav Spörer. 1887 und 1889 veröffentlichte er zwei Arbeiten in denen er bekannt gab, dass es offensichtlich eine sehr interessante Periode zwischen 1645 und 1715 gegeben haben musste. In dieser Periode waren so gut wie keine Sonnenflecken zu sehen gewesen. Gleichzeitig beschäftigte sich auch der britische Astronom Edward Maunder mit der Sonne. Auch er war auf der Suche nach historischen Sonnenfleckenbeobachtungen; er fasst auch die Arbeiten Spörers zusammen und präsentierte all das der Königlichen Astronomischen Gesellschaft von Großbritannien im Jahr 1894 in einer Arbeit mit dem Titel "Ein ausgedehntes Minimum der Sonnenaktivität".
Aus damaliger Sicht war das eine sehr überraschende und seltsame Erkenntnis. Gut, man hatte sich mittlerweile von der antiken bzw. mittelalterlichen Ansicht gelöst, dass die Sonne ein "himmlischer", "göttlicher" und damit perfekter Himmelskörper sein müsse der nicht den irdischen Gesetzen unterliegt und auch keine Unregelmäßigkeiten wie etwa Flecken haben könne. Aber dass unser Stern sich in der Vergangenheit so anders verhalten hat als heute: Das fanden viele Zeitgenossen von Maunder und Spörer schwer zu akzeptieren. Spörer starb 1895; Maunder ließ aber nicht locker und veröffentlichte 1922 eine weitere Arbeit mit fast dem gleichen Titel wie 28 Jahre zuvor: Das ausgedehnte Minimum der Sonnenaktivität 1645-1715".
Fasst man die Arbeiten von Spörer und Maunder zusammen, dann sagen sie, dass es zwischen 1645 und 1715 so gut wie keine Sonnenflecken zu sehen gab. Mehr noch, zwischen 1672 und 1704 wurde GAR KEIN Sonnenfleck beobachtet und dass die wenigen Sonnenflecken so gut wie immer einzelne Flecken oder höchstens Teil einzelner Fleckengruppen waren. Ganz anders, als wir das heute gewöhnt sind, wo in den aktiven Phasen immer viele Flecken in vielen Fleckengruppen zu sehen waren. Deswegen kann man es den Astronomen des 17. Jahrhunderts auch kaum vorwerfen, die Sache mit den Fleckenzyklen nicht verstanden zu haben. Wenn es nichts zu sehen gab, dann kann man auch schwer darüber forschen.
Wir nennen die Phase extrem niedriger Sonnenaktivität heute "Maunder-Minimum" - der Name stammt aus einer Arbeit des amerikanischen Astronomen John Eddy, der die ganze Sache 1976 nochmal analysiert hat. In einer sehr umfangreichen Arbeit hat er die alten Arbeiten von Maunder und Spörer nochmal untersucht, hat weitere Daten z.B. über die Beobachtung von Polarlichtern zusammengetragen und nach anderen Hinweisen gesucht aus denen sich die Sonnenaktivität der Vergangenheit ablesen lässt. Das alles hat er unter dem Titel "Das Maunder Minimum" (pdf) veröffentlicht. Man kann darüber streiten, ob diese Bezeichnung gerechtfertigt ist. Der erste, der die Sache mit dem Minimum entdeckt hat war ja Spörer und nicht Maunder. Aber Maunder hat das ganze intensiv untersucht. Andererseits ist es definitiv nicht richtig in diesem Zusammenhang nur Edward Maunder zu erwähnen. Den da gibt es auch noch Annie Maunder, eine Astronomin und Edwards Ehefrau. Die das Schicksal so vieler Frauen in der Wissenschaft teilt und immer wieder mal ignoriert wird. Annie war eine hervorragende Mathematikerin die an der Universität Cambridge studiert hat. Was sie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts netterweise durfte. Was man damals aber noch übertrieben fand, war die Arbeit von Frauen wie Annie - damals noch - Russell mit einem offiziellen Uni-Abschluss zu würdigen. Weswegen Annie Russell auch keinen Job als Wissenschaftlerin fand, nur eine schlecht bezahlte Stelle als Gehilfin für mathematische Berechnungen an der Sternwarte von Greenwich. Aber immerhin lernte sie dort die faszinierende Arbeit der Sonnenforschung kennen. Und Edward Maunder. Die beiden heirateten und Annie Maunder wurde sofort gekündigt. Eine verheiratete Frau die einfach so arbeitet? War damals nicht erlaubt und Annie Maunder musste ab da ohne Gehalt mit ihrem Mann zusammenarbeiten. Was auch dazu führte, dass sie kaum je auf den wissenschaftlichen Artikeln aufschien auf denen als Autor immer nur Edward geführt wurde.
Die beiden Maunders haben auf jeden Fall maßgeblich zur Erforschung der Sonnenaktivität beigetragen. Und man kann das Minimum der Sonnenaktivität zwischen 1645 und 1715 durchaus nach ihnen benennen. Vor allem, weil es auch weitere solcher längerer Phasen der Inaktivität gibt die andere Namen bekommen haben. Zum Beispiel das "Spörerminimum" zwischen 1460 und 1550, dessen Entdeckung ebenfalls mit der historischen Forschung von Gustav Spörer begann. Oder das "Wolfminimum" zwischen 1282 und 1342, benannt nach Rudolf Wolf. Zwischen 1790 und 1830 gab es noch das - nicht ganz so minimale - "Daltonminimum" und noch ein paar andere in der tieferen Vergangenheit. Das Maunderminimum ist aber von allen die wir kennen das minimalste.
Und so langsam stellt sich die Frage: Wieso? Warum macht die Sonne sowas? Die kurze Antwort: Wissen wir nicht! Die etwas längere Antwort: Der 11jährige Zyklus der Aktivität hängt mit der Rotation der Sonne zusammen. Sehr simpel gesagt: Da die Sonne kein Festkörper ist sonder eine Kugel aus Gas rotieren unterschiedliche Teile ihrer Oberfläche unterschiedlich schnell. Ein Punkt an ihrem Äquator braucht circa 25 Tage für eine Runde, in der Nähe der Pole sind es bis zu 31 Tage. Das führt dazu, dass die geladenen Ströme aus Plasma im Laufe der Zeit quasi langsam um die Sonne herumgewickelt werden. Wenn die Magnetfeldlinien zuerst von Nord nach Süd verlaufen, sorgt die unterschiedliche Rotation unterschiedliche Teile der Sonne dafür, dass sich diese Linien immer stärker verwirren und verwickeln. Genau das führt zu einem Anstieg der Aktivität bis circa 11 Jahre später alles so konfus wird, dass das ganze Magnetfeld quasi zusammenbricht und sich neu wieder aufbaut. Die Realität ist natürlich ein bisschen komplizierter, aber zumindest kann man grob verstehen warum die Aktivität im 11-Jahres-Rhythmus schwankt. Die langfristigeren Variationen wie das Maunder-Minimum sind schwieriger zu verstehen.
Sehr vermutlich hat das etwas mit den Plasmaströmen tief im Inneren der Sonne zu tun. Und zwar mit den sogenannten "torsionalen Oszillationen". Ich erkläre jetzt nicht was das genau ist - aber man kann es sich ziemlich gut als einen unterirdischen Fluß aus Plasma vorstellen. 7000 Kilometer tief unter der Sonnenoberfläche driftet dieser Fluss langsam von den Polen in Richtung Äquator (und bevor wer fragt: Man hat das durch "Asteroseismologie" herausgefunden, also der astronomischen Technik die ich in Folge 164 schon ausführlich vorgestellt habe und bei der man die Schwingungen der Sonne dazu nutzen kann, ihr Inneres zu untersuchen). Je nachdem wo dieser Fluss gerade ist und wie ausgeprägt er ist gibt es mehr oder weniger Sonnenaktivität. Und sollte der Fluss mal komplett ausfallen, gibt es gar keine Aktivität. Aber warum der Fluss sich so bewegt wie er es tut und warum er ab und zu ausfällt: Das wissen wir nicht. Dazu brauchen wir Forschung und bessere Theorien über das was im Inneren der Sonne abläuft.
Übrigens: Man hört oft, dass die Sonnenaktivität auch das Klima der Erde beeinflusst. Und das vor allem das Maunder-Minimum für die sogenannte "Kleine Eiszeit" in Europa verantwortlich war, als es zwischen 15. und 19. Jahrhundert deutlich kälter war als sonst. Die Sonnenaktivität kann zwar tatsächlich einen Einfluss auf das Erdklima haben. Der ist aber sehr gering, wie ich in Folge 368 ausführlich erklärt habe (und die Sonnenaktivität hat auch nix mit der gerade stattfindenen menschengemachten Klimakrise zu tun). Und auch die Kleine Eiszeit kann nicht durch das Maunder-Minimum verursacht worden sein; höchstens ein kleines bisschen beeinflusst, wie ihr in Folge 108 ausführlich nachhören könnt.
Es braucht noch viel Forschung, bis wir die Sonne richtig verstanden haben. Wir werden weiter beobachten müssen, was dort passiert. Die nächsten Minima und Maxima werden kommen. Und mit Sicherheit wird es auch irgendwann wieder ein "ausgedehntes Minimum" geben. Dann wissen wir hoffentlich genug darüber um zu verstehen was da abgeht und haben ausreichend Zeit um uns darauf zu konzentrieren, nach wem wir es benennen.

Dec 18, 2020 • 12min
Sternengeschichten Folge 421: Supervulkane
Supervulkane sind gar nicht so super
Sternengeschichten Folge 421: Supervulkane
Supervulkane! Vulkane, nur in super! Damit sind allerdings keine Vulkane gemeint aus denen statt Lava und giftigen Gase zum Beispiel Bier, Süßigkeiten oder anderer netter Kram in die Luft geschleudert wird. Sind sie nicht wirklich "super", zumindest nicht nach menschlichen Maßstäben. Sie heißen "super" weil es Vulkane sind, deren Ausbrüche noch viel gewaltiger sind als die von normalen Vulkanen.
Über Vulkanismus habe ich schon ganz allgemein in Folge 297 der Sternengeschichten erzählt und in Folge 298 auch über die Vulkane anderer Planeten. Denn auch wenn wir hauptsächlich den Vulkanismus auf der Erde erforscht haben, hat dieses Phänomen durchaus auch Auswirkungen auf unser Verständnis anderer Himmelskörper. Aber fangen wir trotzdem mal auf der Erde an und klären, was einen Vulkan zu einem Supervulkan macht.
Dazu müssen wir uns zuerst den "Vulkanexplosivitätsindex" anschauen. Das ist eine Zahl mit der die Stärke eines Vulkanausbruchs angegeben wird. Die Klassen der Stufen 0 und 1 ignorieren wir einfach mal. Da geht es um Ausbrüche die nicht explosiv sind und wo die Lava einfach so langsam aus dem Vulkan rausfließt. Was zwar durchaus nervig sein kann, aber wenn man nicht so dumm ist und direkt in die Lava reinlatscht bzw. sich rechtzeitig in Sicherheit bringt, passiert eigentlich nichts. Bei solchen Ausbrüchen wird auch kein Staub oder ähnliches in die Atmosphäre geschleudert. Solche Ausbrüche kommen ständig vor und haben absolut nichts mit Supervulkanen zu tun. Aber ab Stufe 2 wird es interessiert. Da beginnen die explosiven Ausbrüche, als das, an das wir denken wenn wir uns einen Vulkanausbruch vorstellen.
Die Klassifikation läuft ab hier logarithmisch - soll heißen, dass ein Ausbruch der Stufe 3 nicht doppelt so schlimm ist wie einer der Stufe 2 sondern zehnmal so schlimm. Und das "schlimm" misst man in diesem Fall an der Menge an Material das bei einem Ausbruch ausgeworfen wird. Ein Ausbruch wie die katastrophale Eruption des Vesus in Italien der im Jahr 79 die Stadt Pompei zerstört hat, schleudert mehr als einen Kubikkilometer an Material in die Luft - bis zu 20 Kilometer hoch - und wird am Vulkanexplosivitätsindex bei Stufe 5 einsortiert. Und ab da wird es dann langsam wirklich dramatisch. Auf Stufe 6 werden mehr als 10 Kubikilometer an Material ausgeworfen, Ausbrüche der Stufe 7 schleudern mehr als 100 Kubikkilometer in die Luft und Stufe 8 ist das Ende der Skala mit den allergrößten Ausbrüchen die mehr als 1000 Kubikilometer Material in unsere Atmosphäre werfen. Und 1000 Kubikkilometer ist WIRKLICH viel. Der Bodensee zum Beispiel, immerhin der größte und tiefste See Deutschlands hat ein Volumen von nur 48 Kubikkilometern. Der größte See Europas ist der Ladogasee an der Grenze von Russland und Finnland und selbst der bringt es nur auf ein Volumen von knapp 900 Kubikkilometer.
Und bei Stufe 8 auf der Skala des Vulkanexplosivitätsindex finden wir auch die Supervulkane. Da stellt man sich jetzt vielleicht einen enorm hohen, rauchenden Berg vor. Ist aber nicht so - denn die vulkanischen Berge die man sich normalerweise vorstellt entstehen ja durch das Material, das so ein Vulkan in die Luft schleudert und der ganzen Lava die dort aus dem Erdinneren rausläuft. Im Laufe der Zeit entsteht dadurch ein Berg. Wenn ein Supervulkan ausbricht, dann macht er das mit solcher Kraft, dass da kein Berg entstehen kann. Im Gegenteil, es gibt ein großes Loch im Boden; eine sogenannte "Caldera".
Das ganze läuft so ab: In einer Magmakammer unter der Erdoberfläche sammelt sich geschmolzenes Gestein das im Laufe der Zeit aus dem Erdinneren nach oben steigt. Das ist auch bei normalen Vulkanen so. Bei Supervulkanen ist die Magmakammer aber einerseits enorm groß. Andererseits liegen sie auch in einer Gegend wo das Magma die Erdkruste nicht oder nur schwer durchbrechen kann. Also sammelt sich das Zeug - so lange bis der Druck irgendwann zu groß wird. Dann bricht das ganze geschmolzene Gestein explosiv an die Erdoberfläche durch, es gibt einen unvorstellbar gewaltigen Vulkanausbruch und übrig bleibt nur ein großes Loch im Boden.
Das ist zuerst einmal natürlich für die unmittelbare Umgebung unangenehm. So wie bei normalen Vulkanausbrüchen gibt es auch bei Supervulkanen "pyroklastische Ströme", also eine Mischung aus Staub, Gestein und heißem Gas mit einer Temperatur von bis zu 800 Grad. So ein Strom kann sich mit bis zu 700 Kilometer pro Stunde bewegen und was auch immer in seinem Weg steht, steht dort nicht mehr lange. Bei einem Supervulkan können die pyroklastischen Ströme bis zu 200 Kilometer von der eigentlichen Ausbruchsstelle reichen und auf dem Weg eine 200 Meter dicke Schicht aus Asche und Gestein bilden. Die Asche selbst kann noch viel weiter reichen und ganze Kontinente bedecken. Im Umkreis von ein paar hundert Kilometern ist jedes Leben ausgerottet. Das ist aber noch längst nicht alles. Von dem ganzen Material das beim Ausbruch in die Luft geschleudert wird, kommt vieles erst weit entfernt wieder runter. Lavabrocken können bis zu 50 Kilometer hoch geschleudert werden und einige 100 Kilometer entfernt vom Vulkan auf den Boden krachen. Und der ganze Staub und die Asche werden so hoch in die Atmosphäre geworfen, dass sie sich um die komplette Erde verteilen.
Der Staub blockiert das Sonnenlicht und die Temperaturen sinken auf der ganzen Erde, unter Umständen so weit, dass kaum noch wo vernünftig Pflanzen wachsen können. Es passiert im Wesentlichen das, was auch beim Einschlag eines großen Asteroiden auf der Erde passiert und worüber ich in Folge 381 der Sternengeschichten schon ausführlich gesprochen habe als es um den "Impaktwinter" ging. Kurz gesagt: Der Ausbruch eines Supervulkans hat nicht nur Folgen für die unmittelbare Umgebung sondern für die ganze Erde und kann unter Umständen sogar globale Massensterben verursachen.
Ein Beispiel dafür ist der Ausbruch des Tambora in Indonesien. Der gilt zwar nicht als "Supervulkan", kommt aber schon recht nah ran. Und ist vor gar nicht allzu langer Zeit ausgebrochen, nämlich im April 1815. Den Lärm der Explosion konnte man noch in fast 2000 Kilometer Entfernung hören. Material mit einer Masse von 140 Milliarden Tonnen und einem Volumen von 160 Kubikkilometer wurden ausgeworfen. Der Vulkan, der vor dem Ausbruch circa 4300 Meter hoch war, hatte danach nur noch ein Höhe von 2850 Meter. Asche der Eruption ging noch in 1300 Kilometer Entfernung nieder, in einem Umkreis von 600 Kilometern um den Vulkan war es zwei komplette Tage lang vollständig finster. Es gab zehntausende Todesopfer, es gab Missernten und Hungersnöte. Und im darauffolgenden Jahr fiel in Europa der Sommer aus. Das Jahr 1816 wird auch "Das Jahr ohne Sommer" genannt: Es war so kalt wie kein anderes Jahr der bisherigen Wetteraufzeichnungen. Der Staub des Vulkanausbruchs hielt das Sonnenlicht ab, es gab Ernteausfälle, es gab Hungersnöte und politische Krisen.
Und das war "nur" ein Vulkan mit dem Vulkanexplosivitätsindex von 7! Den Ausbruch eines echten Supervulkans hat bis jetzt kein Mensch erlebt. Aber auch nur weil vor 26.500 Jahren noch keine Menschen in Neuseeland lebten als dort der Taupo-Vulkan ausbrach. Dabei wurden knapp 1200 Kubikkilometer an Material in die Luft geschleudert, die gesamte Landschaft der Nordinsel Neuseelands wurde umgestaltet und dort wo der Ausbruch stattgefunden hat, kann man heute den Lake Taupo besichtigen, einen See mit einer Fläche von 622 km².
In der langen Geschichte der Erde war aber selbst der Ausbruch des Taupo nur wenig bemerkenswert. Vor ungefähr 27 Millionen Jahren ist im heutigen Colorado in den USA ein Vulkan ausgebrochen der 5000 Kubikkilometer an Zeug ausgeworfen hat. Dabei ist die La-Garita-Cadera entstanden, 75 Kilometer lang und 35 Kilometer breit. Das Auswurfmaterial hat eine Fläche von 28.000 km² fast 100 Meter hoch bedeckt. Dieser Ausbruch ist auch der älteste Supervulkanausbruch über den wir vernünftige Informationen haben. Zumindest auf der Erde. Denn auch auf einem anderen Himmelskörper hat man Spuren gewaltiger Ausbrüche gefunden.
Nämlich dem Mars: Dort finden wir ja mit Olympus Mons schon den höchsten Vulkan und Berg des Sonnensystems. Aber 2013 hat man dort auch Spuren von Supervulkanismus gefunden die vor circa 3,5 Milliarden Jahren ausgebrochen sind. Man hatte vorher schon seltsame Spuren gefunden; "Eden Patera" zum Beispiel, ein unregelmäßiger Krater der nicht so aussieht wie Einschlagskrater von Asteroiden aussehen. Und in dieser Region des Mars, einer sehr alten Region - Arabia Terra - fand man jede Menge Ablagerungen die nach vulkanischem Material aussahen. Aber keinen passenden Vulkan in der Nähe. Bis dahin hatte man sich aber auch eher auf die typischen Schildvulkane auf dem Mars konzentriert, also die hohen Berge mit flacher Spitze, wie den Olympus Mons. Wenn es aber auf dem Mars auch Supervulkanismus gegeben hat, hat man vielleicht an der falschen Stelle gesucht. Dann wäre vielleicht Eden Patera kein komischer Einschlagskrater sondern die gewaltige Caldera eines Supervulkanausbrüchs in der Frühzeit des Mars.
Es lohnt sich also, sich mit Supervulkanen zu beschäftigen. Wer weiß, was wir bei einer genauen Untersuchung des Mars noch herausfinden. Oder auf der Venus, die ja ebenfalls jede Menge Vulkane zu bieten hat. Und auf jeden Fall lohnt es sich auf der Erde. Da haben wir nämlich auch noch ein paar Supervulkane auf die wir regelmäßig einen Blick werfen sollten. Den Yellowstone-Vulkan zum Beispiel, mit einer Magmakammer mit einem Volumen von fast 46.000 km³. Oder die Phlegräischen Felder in Süditalien. All diese großen vulkanischen Regionen werden natürlich ständig überwacht. Ein Ausbruch kommt im Allgemeinen nicht aus dem Nichts sondern kündigt sich an; durch aufsteigendes Magma, durch die langsame Hebung des Bodens, durch Erdbeben, und so weiter. Man würde heute einem Supervulkanausbruch nicht komplett unvorbereitet gegenüberstehen müssen. Außerdem sind wirklich große Ausbrüche zum Glück selten. So was passiert im Schnitt alle 50.000 bis 100.000 Jahre. Aber erforschen sollten wir die Dinger auf jeden Fall. Hier auf der Erde und draußen im Weltall.

Dec 11, 2020 • 12min
Sternengeschichten Folge 420: Dreiecke am Himmel
Langweilige Sternbilder und interessante Himmelsobjekte
Sternengeschichten Folge 420: Dreiecke am Himmel
Um all die vielen Sterne am Himmel zu Figuren und Sternbildern zu ordnen, muss man ein wenig kreativ sein. Man braucht Fantasie, um in ein paar hellen Punkten etwa Orion, den Himmelsjäger zu erkennen oder Draco, den Drachen der sich um den Polarstern am nördlichen Himmel windet. Aber selbst wer mit geringer Vorstellungskraft ausgestattet ist wird keine Problem mit Triangulum haben. Der lateinische Name dieses Sternbilds bedeutet so viel wie "Dreieck" und die drei hellsten Sterne bilden genau so eines.
Was keine große Kunst ist. Rein geometrisch kann man zwischen drei Punkten IMMER ein Dreieck zeichnen, sofern sie nicht alle auf einer Linie liegen. Wer wirklich fantasielos ist könnte den ganzen Himmel mit Dreiecken zupflastern. Was wir Menschen zum Glück nicht getan haben, wir haben bei zwei Dreiecken aufgehört.
Aber fangen wir zuerst mit dem ersten an, dem eben erwähnten Sternbild Triangulum. Es befindet sich am nördlichen Teil des Himmels und man kann es vom Herbst bis in den Frühling am Abend sehen. Es liegt ein Stück südlich des Sternbilds Andromeda und man muss sich ein wenig anstrengen wenn man es finden will. Die drei hellsten Sterne die das besagte Dreieck bilden sind zwar mit freiem Auge sichtbar, sind aber nicht sonderlich hell. Sie sind auch nicht sonderlich dunkel, sie sind ziemlicher Durchschnitt.
Unter all den mythologischen Gestalten die den nördlichen Himmel bevölkern scheint das schnöde Dreieck fehl am Platz zu sein. Es gehört aber zu den Klassikern; gehört also zu den 48 der heute 88 offiziellen Sternbilder, die schon in der Antike verwendet worden sind. Im dritten Jahrhundert vor Christus beschrieb der griechische Gelehrte Eratosthenes das Sternbild als Buchstaben. Er sah kein Dreieck, sondern den griechischen Großbuchstaben Delta - der aber exakt wie ein Dreieck aussieht. Und das große D erschien im deswegen bedeutsam, weil damit auf griechisch der Name des Obergottes Zeus beginnt. Zumindest in den meisten Fällen, aber es soll hier ja jetzt nicht um altgriechische Grammatik gehen. Andere sahen im Dreieck ebenfalls ein Delta, aber nicht den Buchstaben sondern das, was ein großer Fluss macht, wenn er ins Meer mündet. Dann fließt er langsam und breitet sich aus. Es entsteht eine Form die aussieht wie - richtig geraten - ein Dreieck und das Flussdelta das in der Antike von enormer Bedeutung war, war natürlich das Delta des Nils an der ägyptischen Küste des Mittelmeers. Die Römer haben in dem Ding die Form der Insel Sizilien gesehen die, ein weiteres Mal wenig überraschend, ein bisschen wie ein Dreieck aussieht. Ceres, die Schutzgöttin der Insel soll Jupiter gebeten haben, die Insel auch am Himmel zu verewigen.
Noch viel früher taucht das Triangulum vermutlich in den assyrischen MUL.APIN-Tafeln auf. Diese Tontafeln enthalten Keilschriftaufzeichnungen die bis ins dritte Jahrtausend vor Christus zurückreichen und beschreiben unter anderem auffällige Himmelsobjekte - "MUL" genannt. Und das erste Sternbild in der entsprechende Liste dort heißt "APIN", wird als "MUL.APIN" gelistet (daher auch der Name der Sammlung) und beschreibt eine Anordnung von Sternen die wie ein Pflug aussieht. Ein Pflug, der natürlich ebenfalls eine dreieckige Form hat weswegen man davon ausgeht, dass auch hier wieder das heutige Sternbild des Dreiecks gemeint ist.
Nachdem wir uns jetzt versichter haben, dass die Menschen auch schon vor Jahrtausenden jede Menge Dinge gekannt haben, die wie Dreiecke aussehen und diese geometrische Form daher auch am Himmel verewigt haben, sollten wir einen etwas astronomischeren Blick auf diese Region des Himmels werfen. Denn die modernen Sternbilder sind ja keine aus Linien und Sternen gebildeten Figuren. Sondern einfach nur klar abgegrenzte Bereiche am Himmel in denen diese Figuren zu finden sind. Was die Sterne angeht ist das Dreieck eher wenig ergiebig. Der hellste Stern dort sollte den Regeln entsprechend eigentlich Alpha Trianguli heißen weil die hellsten Sterne eines Sternbilds immer das "Alpha" kriegen. In dem Fall ist "Alpha Trianguli" aber der zweithellste Stern, aber trotzdem der einzige des Sternsbilds der schon in der Antike einen Eigennamen bekommen hat. "Mothallah", was arabisch ist und so viel heißt wie "Spitze des Dreiecks". Nun ja.
Der Stern ist 63 Lichtjahre von der Erde entfernt, und genaugenommen kein Stern sondern zwei Sterne. Es handelt sich um ein Doppelsternsystem bei dem sich die beiden Komponenten enorm nahe sind, so nahe dass sie nur 1,7 Tage brauchen um einander zu umkreisen und auch im Teleskop so gut wie gar nicht aufgelöst werden kann. Der hellste Stern - in dem Fall Beta Trianguli ist ebenfalls ein Doppelstern, jetzt aber 124 Lichtjahre weit weg. Gamma Trianguli, der endlich mal korrekt benannte dritthellste Stern des Bildes ist 118 Lichtjahre weit weg und ein blau-weißer sehr heißer und großer Stern.
Aber viel interessanter als die ganzen Sterne dort ist das, was man ganz am Rand des Sternbildes sehen kann. Nämlich den "Dreiecksnebel" der ausnahmsweise nicht so heißt weil er aussieht wie ein Dreieck sondern weil es sich um ein auf den ersten Blick nebelartig aussehendes Objekt handelt das sich eben im Sternbild Dreieck befindet. Entdeckt hat das Ding vermutlich der italienische Astronom Giovanni Battista Hodierna der den Nebel in einem 1654 von ihm veröffentlichten Katalog beschrieben hat. Der französische Astronom Charles Messier hat den Nebel dann als Objekt Nr. 33 in seinen "Messier-Katalog" aufgenommen, weswegen er auch oft "M33" genannt wird. Im Laufe der Zeit stellte man fest, dass der Nebel spiralförmig aussah, so wie viele andere solcher nebelartigen Objekte am Himmel. Manche dachten, es handle sich dabei tatsächlich um nebelartige Wolken beziehungsweise Ansammlungen von Sternen innerhalb unserer eigenen Milchstraße. Andere behaupteten, dass es sich um extrem weit entfernte viel größere Sterngruppen handeln müsse, so wie die Milchstraßen-Galaxie nur eben weiter weg.
Wie ich in den Sternengeschichten schon oft erzählt habe wissen wir heute, dass die "Spiralnebel" tatsächlich eigene Galaxien sind und unsere Milchstraße daher nur eine von vielen. Der Dreiecksnebel oder besser die Dreiecksgalaxie ist aber zumindest aus unserer Sicht trotzdem besonders. Einerseits weil man sie mit freiem Auge sehen kann. Zumindest dann, wenn die Bedingungen wirklich, wirklich, wirklich gut sind was aber leider zumindest in Europa kaum jemals der Fall ist. Aber zumindest theoretisch gehört sie zu den wenigen mit freiem Auge sichtbaren Objekten die sich außerhalb unserer Galaxie befinden. So wie die Andromedagalaxie, mit einer Distanz von 2,5 Millionen Lichtjahren unsere nächstgelegen Nachbargalaxie im Weltall. Und wenn Andromeda der nächste Nachbar ist, dann ist die Dreiecksgalaxie der übernächste Nachbar (die diversen Zwerggalaxien von denen manche noch näher liegen ignorieren wir jetzt einfach mal). Sie ist 3 Millionen Lichtjahre von uns entfernt aber deutlich kleiner als Milchstraße und Andromeda. Ihr Durchmesser ist mit circa 50.000 bis 60.000 Lichtjahre weniger als halb so groß wie der der Milchstraße. Dort finden sich nur circa 40 Milliarden Sterne, viel weniger als die hunderten von Milliarden Sterne bei uns. 2007 machte die Dreiecksgalaxie kurz ein paar Schlagzeilen, als man dort M33 X-7 entdeckte, ein schwarzes Loch das 16 mal so viel Masse hatte wie unsere Sonne; das damals massereichste bekannte schwarze Loch das beim Kollaps eines Sterns entstanden ist.
Milchstraße, Andromeda und Dreiecksnebel sind die drei größten Mitglieder der "Lokalen Gruppe"; also der Ansammlung von ein paar hundert Galaxien von der ich schon in Folge 371 erzählt habe. Und wenn Milchstraße und Andromeda in ein paar Milliarden Jahren miteinander verschmelzen werden, wird M33 vermutlich früher oder später auch mitmachen. Entweder sie kollidiert schon zuvor mit der Andromeda oder verschmilzt später mit "Milkomeda", der aus der Fusion von Andromeda und Milchstraße entstandenen Riesengalaxie.
Bevor es aber so weit ist, schauen wir noch schnell auf den südlichen Himmel. Denn auch dort gibt es ein Dreiecks-Sternbild das passenderweise "Triangulum Australe" heißt, also "Südliches Dreieck". So wie die meisten Sternbilder des Südhimmels wurde es erst in der Neuzeit offiziell beschrieben und hat nichts mit irgendwelchen mythologischen Deutungen zu tun. Als im 16. Jahrhundert immer mehr Seefahrer aus Europa die südlichen Meere befuhren, beschrieben sie dort auch die Sterne und immer wieder tauchten dreieckige Konstellationen auf. Das heutige südliche Sternbild finden wir das erste Mal auf einem Himmelsglobus des niederländischen Astronomen Petrus Plancius, der die diversen Berichte der Seefahrer zusammentrug. Korrekt vermessen haben es dann die niederländischen Seefahrer Pieter Dirkszoon Keyser und Frederick de Houtman und der französische Astronom Nicolas Louis de Lacaille nahm das Dreieck bei seinen Darstellungen des Himmels in den Werkzeugkasten auf, den er dort eingerichtet hat. Ich hab ja schon in früheren Folgen erzählt, dass man bei den Sternbildern des südlichen Himmels die wissenschaftlichen Instrumente der Neuzeit feiern wollte. Deswegen gibt es dort nun eben auch das Sternbild "Zirkel", das Sternbild "Winkelmaß" und das Sternbild "Südliches Dreieck", das eigentlich als eine Art frühe Wasserwaage gemeint war und ursprünglich den Namenszusatz "Libella" trug. Der verschwand dann aber irgendwann und deswegen haben wir nun eben ein südliches Dreieck.
Über das gibt es ansonsten wenig zu erzählen. Die drie hellsten Sterne sind zwar heller als die des nördlichen Gegenstücks. Fallen aber in der sternenreichen Gegend des Südhimmels in der sie sich befinden trotzdem nicht dramatsich auf. Es gibt ein paar Sternhaufen dort, ein paar Galaxien, ein paar veränderliche Sterne, ein paar Sterne mit bekannten Planeten - die natürlich aus astronomischer Sicht allesamt interessante Forschungsobjekte sind. Aber im großen und ganzen findet man im südlichen Dreieck nichts was man nicht anderswo am Himmel auch finden kann. Und da ist es fast schon wieder passend, dass diese Region des Himmels den unkreativen Namen des Dreiecks bekommen hat…

Dec 4, 2020 • 13min
Sternengeschichten Folge 419: Der Vredefort-Krater
Das größte Loch der Erde
Sternengeschichten Folge 419: Der Vredefort-Krater
Vredefort ist eine Stadt in Südafrika. Obwohl es vielleicht übertrieben ist, dem Ort die Bezeichnung "Stadt" zu widmen. Dort wohnen nur wenig mehr als 1000 Leute. Aber trotzdem ist Vredefort, in der Provinz "Freistaat", circa 126 Kilometer südlich von Johannesburg gelegen, berühmt. Nicht weil dort irgendetwas für den Rest der Welt bedeutsames vorgefallen ist. Die Stadt wurde erst 1876 gegründet. Sie nimmt eine Fläche von gerade mal 17 Quadratkilometer ein. Das, weswegen der Name "Vredefort" zumindest in bestimmten Bereichen der Wissenschaft überall bekannt ist, ist mehr 70.000 Quadratkilometer groß und entstand vor mehr als 2 Milliarden Jahren.
Die geologische Ära die damals herrschte wird "Paläoproterozoikum" genannt. Sie beginnt ungefähr 2,5 Milliarden Jahre vor der Gegenwart und endet vor 1,6 Milliarden Jahren. Die Welt war damals noch völlig anders als heute. Hätten wir eine Zeitmaschine und würden wir ins Paläoproterozoikum zurückreisen, wären wir ziemlich schnell tot. In der Atmosphäre der Erde gab es damals noch so gut wie keinen Sauerstoff. Die Kontinente waren leblose Wüsten; das einzige damals vorhandene Leben befand sich im Wasser und bestand aus einzelligen Mikroben. Aber das Paläoproterozoikum war auch genau die Zeitspanne in der sich die Erde zu dem Planeten zu wandeln begann, den wir heute kennen. Die junge Erde war noch unruhig und tektonisch sehr aktiv. Kontinente bildeten sich und zerfielen wieder; schneller als sie das heute tun (aber natürlich noch immer sehr langsam, verglichen mit menschlichen Zeitskalen). Dadurch veränderten sich Meeresströmungen; das ständige Hin-und-Her bei den Kontinenten führte dazu das immer wieder Kohlenstoff im Gestein gebunden bzw. in die Atmosphäre freigesetzt wurde. Zusammen mit den restlichen tektonischen Aktivitäten führte all das zu Klimaschwankungen und die verstärkten die Erosion des Gesteins. Oder anders gesagt: Es gelangte immer mehr Zeug vom Land in die Meere und dort warteten winzige Lebewesen, die das als Nahrung verwenden konnten. Es war eine ganz besondere Art von Bakterium, die quasi als Abfallprodukt ihres Stoffwechsels das Gas Sauerstoff freisetzten. Langsam aber stetig reicherte sich der Sauerstoff in der Atmosphäre an. Im Paläoproterozoikum war dadurch immerhin schon mehr als 1 Prozent davon in der Atmosphäre konzentriert. Das ist wenig im Vergleich zu den fast 20 Prozent die wir heute haben. Aber für die damaligen Lebewesen war das mehr als genug. Das frühe Leben auf der Erde kam nämlich wunderbar ohne Sauerstoff aus; hatte sich auch ohne Sauerstoff entwickelt - es war ja auch vorher keiner da gewesen. Das nun aber von den Bakterien produzierte hoch reaktive Gas war giftig für so gut wie alle Lebewesen und je weiter der Sauerstoffgehalt stieg, desto mehr davon starben aus.
Es war das größte Massensterben der Erdgeschichte, aber zum Glück ein Massensterben das recht langsam verlief. Einige Lebensformen passten sich an die neuen Bedingungen an und von ihnen stammen fast alle Lebewesen ab die heute auf der Erde leben und für die Sauerstoff nicht giftig sondern essentiell zum Überleben ist. Der Sauerstoff der in die Atmosphäre gelangte konnte sich dort auch zu Ozon verbinden und die Ozonschicht bilden. Die hielt nun die für Lebewesen gefährliche UV-Strahlung der Sonne von der Erdoberfläche ab und das erste Mal in der Erdgeschichte war es für das Leben nicht mehr riskant die Ozeane zu verlassen. Also breiteten sich die Lebewesen auf die Kontinente aus - wo sie seitdem nicht mehr verschwunden sind.
In diese - zumindest aus heutiger Sicht und aus Sicht des irdischen Lebens das mit Sauerstoff kein Problem hat - optimistische Zeit platzt das, um das es in dieser Folge geht. Nämlich das Ding, das für den Ruhm der Stadt Vredefort verantwortlich ist. Dass diese südafrikanische Region aus geologischer Sicht besonders ist, wusste man schon länger. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts sah man, dass sich dort eine gewaltige Struktur befindet: Seltsame kreisförmige Hügelketten die einen Kreis von mehr als 70 Kilometer Durchmesser beschreiben in deren Mitte sich die Landschaft aufwölbt; seltsame Gesteine die man so in dieser Gegend nicht findet. Geologische Schichten die nicht so verlaufen, wie sie normalerweise verlaufen sollten, und so weiter. Kurz gesagt: In dieser Ecke der musste irgendein sehr dramatisches Ereignis passiert sein, bei dem in kurzer Zeit sehr viel Energie freigesetzt wurde und die ganze Gegend ordentlich durchgerüttelt hat. Aber was?
Noch in wissenschaftlichen Arbeiten aus den 1980er und 1990er Jahren wird die "Vredefort-Struktur" als "Kryptoexplosionsstruktur" bezeichnet. "Krypto" heißt nichts anderes als "versteckt" oder "geheim" und bezieht sich nicht auf Vredefort selbst. Diese Dutzende Kilometer große Struktur konnte man kaum übersehen. "Versteckt" war die Ursache dafür und im Wesentlichen gab es zwei Möglichkeiten: Ein gewaltiges tektonisches Ereignis wie einen Vulkanausbruch. Oder ein Objekt aus dem All ist genau dort auf die Erde gefallen.
Heute sind Asteroideneinschläge für uns nichts Außergewöhnliches. In Science-Fiction-Filmen und Büchern passiert so etwas ständig; wir lesen auch immer wieder von wissenschaftlicher Forschung die sich mit Einschlagskratern beschäftigt und sehen Bilder der unzähligen Krater auf Mond, Mars und anderen Himmelskörpern des Sonnensystems. Aber man darf nicht vergessen, dass man tatsächlich lange Zeit davon überzeugt war, dass große Einschläge auf der Erde so gut wie nicht vorkommen. Bei der Geburt des Planeten, in der Frühzeit des Sonnensystems - da war so etwas möglich. Aber heute nicht mehr; nicht seit sich alles wieder beruhigt und der Planet sich gebildet hat. Die paar Krater die man zweifelsfrei auf der Erde sehen konnte mussten Vulkankrater sein oder bei extrem seltenen Ereignissen entstanden.
Die Meinung änderte sich erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als geologische Untersuchungen zum Beispiel im Nördlinger Ries in Süddeutschland zeigten, dass das Gestein dort so gewaltigen Kräften ausgesetzt war, die nur beim Einschlag eines Objekts aus dem All entstehen konnten. Dann fand man in den frühen 1990er Jahren den Chixulub-Krater in Mexiko der vor 65 Millionen Jahren entstand und konnte zeigen, dass die Folgen dieser Kollision ein Massensterben verursacht haben bei dem unter anderem die meisten Dinosaurier verschwunden sind. Man akzeptierte, dass Asteroideneinschläge auf der Erde während ihrer ganzen Geschichte vorkommen und vorgekommen sind und mit diesem neuen Blick auf die Dinge fand man auch in Vredefort eindeutige Hinweise auf einen außerirdischen Ursprung.
Aus der "Kryptoexplosionsstruktur" wurde der "Vredefort-Einschlagskrater". Im Gestein der Umgebung fand man "Strahlenkegel", also Bruchflächen mit einer ganz speziellen Form die nur bei den enorm hohen Drücken entstehen die ein Asteroideneinschlag zustande bringt. Im Jahr 2014 wurde eine spezielle Form von Gestein entdeckt, dass sich bildet wenn Magma aus dem Erdinneren langsam abkühlt. Eine Datierung zeigte ein Alter von 2,02 Milliarden Jahren - genau so alt wie der Vredefort-Krater selbst. Das Gestein muss sich also gebildet haben, als nach dem Einschlag dort ein regelrechter Lavasee gebrodelt hat.
Heute können wir halbwegs rekonstruieren was damals passiert ist. Ein Brocken aus dem All mit einem Durchmesser von 10 bis 15 Kilometer muss auf die Erde geprallt sein. Das sagt sich so einfach, aber was bei so einem Ereignis tatsächlich passiert ist für uns eigentlich unvorstellbar. Quasi in Sekunden wurde ein Krater mit mindestens 100 Kilometer Durchmesser und 40 Kilometer Tiefe ausgehoben. Ein Stück der Erde, 100 Kilometer weit und 40 Kilometer tief wurde aus dem Planeten geschlagen, oder besser gesagt: Schlagartig pulverisiert! In das entstandene Loch könnte man mehr als vier Mount Everests übereinanderstapeln! Und wenn man einen Deckel drauf legen wollte, müsste der mehr als doppelt so groß wie die Insel Mallorca sein! Dieses gewaltige Loch blieb aber nicht lange bestehen sondern verformte sich rasch. In Folge 220 habe ich ja schon ausführlich über die Entstehung von Einschlagskrater gesprochen. Der ursprüngliche Krater stürzte weiter in sich zusammen und wurde immer größer. Das durch die enormen Kräfte verformbar gemachte Gestein federte quasi zurück, ein bisschen so wie die Wasseroberfläche nachdem man einen Stein hinein geworfen hat. In der Mitte bildete sich ein Zentralberg der von ringförmigen Hügelketten umgeben ist. Als alles vorbei war, muss der endgültige Krater fast 300 Kilometer durchmessen haben, mit einer Fläche so groß wie Bayern!
Wenn damals an Land irgendwelche nennenswerten Lebewesen gelebt hätten, hätten sie dieses Ereignis nur schwer überstanden. Es war einer der gewaltigsten Asteroideneinschläge auf der Erde von denen wir wissen. Selbst in Grönland und Russland hat man noch Material gefunden das damals in Südafrika in die Luft geschleudert worden ist. Aber zum Glück war das Leben damals winzig und vor allem im Ozean. Und hat dort weiter Sauerstoff produziert. Die Erde hat diesen Treffer ebenfalls weggesteckt und im Laufe der Zeit haben Erosion und neue geologische Ablagerungen den Krater abgeschliffen und verdeckt. Heute kann man ihn nur noch aus der Luft erkennen oder wenn man vor Ort mit geologischen Kenntnissen und genauen Blick spazieren geht.
Wir haben Glück, dass wir den Vredefort-Krater überhaupt untersuchen können. Viele kleinere Krater die sich in der Vergangenheit der Erde gebildet haben sind durch die Erosion komplett verschwunden. Und viele ältere Krater als Vredefort ebenfalls obwohl in der noch tieferen Vergangenheit der Erde vermutlich noch größere Brocken auf unseren Planeten gefallen sind. Derzeit bleibt Vredefort aber noch an der Spitze, zumindest was die Größe angeht. Er ist der größte bekannte Einschlagskrater der Erde und immerhin noch der zweitälteste. Erst im Januar 2020 hat man in Westaustralien die fast nicht mehr erkennbaren Überreste eines Asteroideneinschlags gefunden, der vor 2,2 Milliarden Jahren stattgefunden haben muss. Im Gegensatz zu Vredefort ist dort aber wirklich nichts mehr zu sehen. Man hat ihn nur anhand von Gesteinsproben identifizieren können; aus der Luft oder auf Satellitenbildern sieht man gar nichts. Im Gegensatz zu Vredefort der trotz seines Alters von oben betrachtet immer noch recht beeindruckend ist. Und uns eindrucksvoll daran erinnert, dass wir in einem dynamischen Sonnensystem leben wo ab und zu sehr große Steine vom Himmel fallen können.

Nov 27, 2020 • 12min
Sternengeschichten Folge 418: Milkomeda und die galaktische Kollision
When Worlds Collide
Sternengeschichten Folge 418: Milkomeda und die galaktische Kollision
In dieser Folge der Sternengeschichten geht es um ein Himmelsobjekt das noch gar nicht existiert. Von dem wir aber wissen, dass es in der Zukunft existieren wird. Nicht nur das: Wir werden sogar ein Teil davon sein. Also nicht "wir" im Sinn von "wir Menschen". Uns wird es in dieser Zukunft mit ziemlicher Sicherheit nicht mehr geben. Aber die Erde, die Sonne und das Sonnensystem. Und die gehören zur Milchstraße, zusammen mit ein paar hundert Milliarden anderer Sterne. Die Milchstraße, unsere Heimatgalaxie, gibt es seit circa 10 Milliarden Jahren. Aber sie hat ein Ablaufdatum.
Auch Galaxien bewegen sich. Sie ziehen sich gegenseitig an; bewegen sich umeinander und aufeinander zu. Und sie können miteinander zusammenstoßen. Sie verschmelzen miteinander und zwei zuvor einzelne Galaxien bilden zusammen eine neue. Genau das wird mit unserer Milchstraße passieren. Sie wird mit ihrer Nachbargalaxie zusammenstoßen. Das klingt dramatisch. Das ist auch dramatisch. Aber es dauert noch ein bisschen bis es soweit ist. Und uns wird dabei mit ziemlicher Sicherheit nicht viel passieren.
Aber es ist ein ziemlich spannender Vorgang und den schauen wir uns deswegen ein bisschen genauer an. Und klären zuerst einmal die Ausgangssituation. Galaxien sind nicht gleichförmig im Universum verteilt. Sie bilden Gruppen, die "Galaxienhaufen". Die Gruppe, zu der wir gehören, trägt den unspektakulären Namen "Lokale Gruppe" und ich hab in Folge 371 ausführlich darüber gesprochen. Sie besteht aus ein paar hundert Galaxien; die meisten davon sind aber eher kleine Zwerggalaxien. Nur zwei sind wirklich große, quasi ausgewachsene Sternensysteme: Unsere Milchstraße und die Andromedagalaxie. Welche von beiden größer ist, ist immer noch nicht absolut klar. Früher dachte man, dass die Andromedagalaxie ein bisschen mehr Masse hat als die Milchstraße; neuere Forschung hat gezeigt, dass vermutlich doch unsere Milchstraße massereicher ist. Aber auf jeden Fall sind beide sehr groß und einandern vergleichsweise nahe. Sieht man von ein paar winzigen Zwerggalaxien ab, ist die Andromedagalaxie unser galaktischer Nachbar mit einem Abstand von 2,5 Millionen Lichtjahren. Und sie kommt auf uns zu.
Das mag für manche seltsam klingen. Denn man hört ja immer wieder, dass sich alle Galaxien im Universum voneinander entfernen, da der Kosmos sich ja seit dem Urknall immer weiter ausdehnt. Und das stimmt auch. Allerdings nur für sehr, sehr große Abstände. Wenn wir die Galaxien in anderen Galaxienhaufen betrachten, dann bewegen die sich tatsächlich alle von uns fort. Aber innerhalb unserer lokalen Gruppe liegen die Dinge anders. Hier ist die Gravitationskraft zwischen den einzelnen Galaxien stark genug, um die Gruppe trotz der Expansion des Universums zusammenzuhalten. Und manche der lokalen Galaxien bewegen sich aufeinander zu. So wie die Andromeda und Milchstraße: Aus unserer Sicht bewegt sich die Andromedagalaxie mit 110 Kilometern pro Sekunde auf uns zu.
Das heißt aber nicht unbedingt dass es auch eine Kollision geben muss. Denn die Andromeda bewegt sich nicht nur auf uns zu; es gibt auch eine seitliche Bewegung. Es kann also auch sein, dass die beiden Galaxien einfach aneinander vorbei fliegen. Um das zu klären, muss man genau diese seitliche Bewegung messen, was schwierig ist. Viel schwieriger als nur die sogenannte Radialgeschwindigkeit, also die Geschwindigkeit mit der sie auf uns zu kommt. Die kann man recht einfach messen; über den sogenannten "Dopplereffekt". Darüber hab ich auch schon oft gesprochen: Wenn sich eine Lichtquelle auf uns zu (oder von uns weg) bewegt, dann ändert sich die Frequenz - also die Farbe - des Lichts, die wir beobachten. Genau so wie sich auch die Tonhöhe einer Schallquelle ändert, wenn sie sich auf uns zu oder von uns weg bewegt (wie man bei jedem Einsatzfahrzeug hören kann). Das Licht der Sterne in der der Andromeda können wir gut auf diesen Effekt untersuchen. Um aber auch die seitliche Bewegung zu messen, müssen wir die Position der Sterne dort extrem genau bestimmen und auf Veränderungen im Laufe der Zeit untersuchen.
Und "extrem genau" heißt hier wirklich EXTREM genau. Man muss Veränderungen der Sternpositionen messen, die nur ein paar Tausendstel eines Pixel der Kamera des Hubble-Weltraumteleskops entsprechen. Trotz dieser Schwierigkeiten ist es aber im Jahr 2012 gelungen, die seitliche Geschwindigkeit der Andromeda zu messen. Sie liegt bei 17 Kilometer pro Sekunde und das ist zu wenig, um eine Kollision zu vermeiden. In 3,9 Milliarden Jahren werden die beiden Galaxien miteinander kollidieren. Aber: Was bedeutet das Wort "Kollision" wenn es um zwei Galaxien geht? Definitiv nichts, wo irgendwas aufeinander kracht; nichts, wo tatsächlich physische Objekte miteinander kollidieren.
Es ist einfach viel zu viel Platz zwischen den Sternen! Und es ist verdammt schwer, das irgendwie zu veranschaulichen. Wenn wir die gewaltige große Sonne mit ihrem Durchmesser von 1,4 Millionen Kilometer auf die Größe eines Tischtennisballs schrumpfen, dann wäre in diesem Maßstab der uns nächstgelegene Stern immer noch 1100 Kilometer weit weg. Und die gesamte Milchstraße immer noch 30 Millionen Kilometer groß. Ok, im Zentrum einer Galaxie stehen die Sterne dichter beieinander als in den Außenbereichen wo sich die Sonne befindet. Aber selbst wenn man das berücksichtigt, stehen - im Tischtennisballmodell der Galaxie - die Sterne im Schnitt mehr als 3 Kilometer weit auseinander. Und das gilt für die Andromeda genau so. Wir haben also zwei Objekte, die im Wesentlichen aus leerem Raum bestehen in dem sich ab und zu mal ein Stern befindet. Eine "Kollision" ist also eher ein "Durchdringen"; die Chance dass da tatsächlich zwei Sterne physisch zusammenstoßen ist also so enorm gering, dass man sie getrost ignorieren kann.
Ich habe vorhin gesagt, dass die beiden Galaxien in 3,9 Milliarden Jahren kollidieren werden. Damit ist gemeint, dass die beiden Zentren der Galaxien weniger als 80.000 Lichtjahre voneinander entfernt sind. Das hat man einfach so definiert, weil irgendwas muss man ja definieren. Die Kollision ist damit aber nicht vorbei. Die beiden Galaxien werden einander durchdringen und sich wieder voneinander entfernen. Aber nicht weit, denn durch ihre gegenseitige Anziehungskraft haben sie sich abgebremst. 2 Milliarden Jahre nach der ersten Begegnung, also in knapp 6 Milliarden Jahren von heute an, werden sie sich erneut treffen und dann miteinander verschmelzen. Aus den beiden Spiralgalaxien wird eine elliptische Galaxie entstehen, also ein gewaltiger kugelförmiger Haufen aus Sternen.
In dieser fernen Zukunft wird es keine Menschen mehr geben. Wir werden dabei nicht zusehen können und nicht in dieser neuen Galaxie leben. Aber wir haben sicherheitshalber schon mal einen Namen für sie gefunden: Die Astronomen Thomas Cox und Abraham Loeb haben in einer Arbeit aus dem Jahr 2007 den Namen "Milkomeda" für die verschmolzene Galaxie gewählt und der ist geblieben.
Unsere Sonne hat eine längere Zukunft vor sich als die Menschheit. Sie wird noch circa 6 Milliarden Jahre lang existieren und die Verschmelzung von Milchstraße und Andromeda durchaus miterleben. Ihr Schicksal ist allerdings noch nicht völlig klar. Selbstverständlich werden durch die Kollision die Bahnen und Positionen der Sterne ordentlich durcheinander geschleudert. Computersimulationen zeigen, dass wir dabei mit ziemlicher Sicherheit ein wenig nach außen rücken. Momentan befinden wir uns ja knapp 26.000 Lichtjahre vom Zentrum der Milchstraße entfernt. Nach der Verschmelzung werden wir ein Stück weiter vom Zentrum der neuen Galaxie entfernt sein. Es kann allerdings auch sein, dass wir deutlich weiter draußen landen, mehr als 50.000 Lichtjahre oder noch weiter. In 12 Prozent der Fälle sind wir bei den Simulationen auch komplett aus der Galaxie geworden worden. Für die Erde spielt das alles aber keine große Rolle. Denn einerseits wird das Sonnensystem selbst bei all dem nicht verändert; die Erde und die anderen Planeten werden weiterhin ihre Runde um die Sonne ziehen - egal wo die sich gerade rumtreibt. Und andererseits ist die Erde dann sowieso komplett unbewohnbar geworden. In den späteren Phasen ihres Lebens wird die Sonne deutlich heißer brennen als jetzt und die Temperaturen auf der Erde werden zum Zeitpunkt der Galaxienkollision schon weit über den lebensfreundlichen Werten liegen.
Es gibt übrigens doch etwas, was bei dieser Kollision tatsächlich zusammenstoßen wird. Sowohl unsere Milchstraße als auch die Andromedagalaxie haben in ihrem Zentrum ein supermassereiches schwarzes Loch. Dass in der Milchstraße ist circa 4 Millionen Sonnenmassen schwer; bei Andromeda sind es 100 Millionen Sonnenmassen. Nach der Verschmelzung werden diese beiden gewaltigen Objekte einandern im Zentrum der neuen Galaxie umkreisen. Ungefähr 17 Millionen Jahre lang, während der sich beiden schwarzen Löcher immer näher kommen und schließlich zusammenstoßen und zu einem noch gewaltigeren schwarzen Loch zu verschmelzen.
Die Milkomeda-Galaxie wird das absolut dominierende Objekt der lokalen Gruppe sein. Ansonsten gibt es dort ja nur noch Zwerggalaxien. Mit der Ausnahme der "Dreiecksgalaxie" M33. Die hat immerhin noch circa 5 Milliarden Sterne und ist 60.000 Lichtjahre groß. Momentan ist sie 3 Millionen Lichtjahre von der Milchstraße entfernt. Und nach der Entstehung von Milkomeda wird sie diese neue Riesengalaxie als Satellit umkreisen. Obwohl es auch sein könnte, dass sie schon schon vorher mit der Milchstraße verschmilzt oder in den Wirren der Kollision komplett aus der Lokalen Gruppe rausgeworfen wird. So genau lässt sich das nicht vorhersagen. Was auf jeden Fall klar ist: In allerfernster Zukunft, irgendwann in weit mehr als 100 Milliarden Jahren, werden alle anderen Galaxien der Lokalen Gruppe mit Milkomeda verschmolzen sein. Dann wird dort nur noch eine enorme Riesengalaxie sein; scheinbar allein im Universum. Alle anderen Galaxien der anderen Galaxienhaufen werden sich dann mit der Expansion des Kosmos so weit entfernt haben, dass wir sie nicht mehr sehen können. Aber "uns" wird es dann sowieso nicht mehr geben. Und einen Namen für die "letzte Galaxie des Universums" haben wir uns übrigens auch noch nicht ausgedacht…

Nov 20, 2020 • 12min
Sternengeschichten Folge 417: Fluor und sein astronomisches Geheimnis
Die Astronomie des Zähneputzens
Sternengeschichten Folge 417: Fluor und sein astronomisches Geheimnis
In der heutigen Folge der Sternengeschichten geht es um das chemische Element Fluor. Was vielleicht nicht unbedingt nach Astronomie klingt. Aber höchst astronomisch ist, wie wir noch hören werden. Im Alltag treffen wir das Fluor meistens im Badezimmer, nämlich dann wenn wir uns die Zähne putzen. Denn das Fluor kann unseren Zahnschmelz härter machen und vor Karies schützen. Was super ist, aber nicht Thema der Folge. Denn damit das hilfreiche Fluor seine Arbeit machen kann, muss es erstmal in die Zahnpastatube gelangen. Was jetzt nicht so schwer ist; in der Erdkruste ist Fluor das 13häufigste chemische Element. Da kommt es so gut wie immer gebunden vor, also in Kombination mit anderen Elementen, zum Beispiel in Form von Flussspat oder Fluorkieselsäure. Das erste Mal chemisch isoliert, also quasi in Reinform entdeckt hat das Element der französische Chemiker Henri Moissan im Jahr 1886, wofür er dann 1906 auch den Chemie-Nobelpreis bekommen hat. Da hat man also gewusst, dass es so ein chemisches Element gibt und seine Eigenschaften erforschen können. Die fundamentale Frage wurde aber immer noch geklärt: Wo kommt das Zeug her?
Und natürlich ist für das Fundament immer die Astronomie zuständig. Denn abgesehen von Wasserstoff und Helium muss jedes chemische Element irgendwo bei der Kernfusion im Inneren eines Sterns beziehungsweise durch andere astronomische Prozesse erzeugt werden. Also auch das Fluor. Bevor wir aber zur Astronomie kommen schauen wir nochmal kurz auf das Fluor selbst und das Periodensystem der Elemente. Dort finden wir das Fluor mit der Ordnungszahl 9. Weil es 9 Protonen in seinem Atomkern hat und die benachbarten Elemente sind Kohlenstoff, mit 6 Protonen; Stickstoff mit der Ordnungszahl 7, Sauerstoff mit Ordnungszahl 8 und auf der anderen Seite Neon mit der Ordnungszahl 10. So weit, so ordentlich. Jetzt schauen wir auf die Liste mit den häufigsten chemischen Elementen im Universum. Wasserstoff ist natürlich auf Platz 1, Helium auf Platz 2 - für diese beiden Elemente braucht man keine Sterne, die sind direkt beim Urknall selbst entstanden und deswegen auch so häufig. Auf Platz 3 kommt Sauerstoff, auf Platz 4 Kohlenstoff, auf Platz 5 finden wir Neon. Auf Platz 6 steht Eisen und auf Platz 7 finden wir Stickstoff. Dass Eisen so häufig ist, ist auch interessant - aber eine ganz eigene Geschichte die ich ein anderes Mal erzählen werden. Auf jeden Fall sehen wir, dass die ganzen Nachbarelemente von Fluor alle in den Top 7 auftauchen. Aber das Fluor schafft es nicht mal in die Top 20. In unserem Sonnensystem gibt es fast 5000 mal mehr Kohlenstoff als Fluor. Sauerstoff ist fast 9000 mal häufiger und selbst das obskure Neon ist noch fast 1500 mal häufiger. Was ist da los?
Nun, zuerst einmal können wir feststellen, dass der Prozess der Fluor herstellt offensichtlich nicht sehr effektiv ist. Im Inneren von normalen Sternen läuft die Fluor-Produktion tatsächlich eher spärlich. Dort wird ja vor allem Wasserstoff zu Helium fusioniert. In den Spätphasen eines normalen Sterns kriegt man dann aus dem Helium per Fusion noch Sauerstoff oder Kohlenstoff. Aus Kohlenstoff kann man Neon oder Natrium fusionieren; aus Sauerstoff kriegt man Silicium und daraus dann Eisen. Aber Fluor kommt bei diesen Reaktionen nicht vor. Zumindest nicht bei den üblichen Reaktionen was bedeutet, dass die Produktion von Fluor unüblich sein muss.
Im wesentlichen hat man drei hauptsächliche und verschiedene Möglichkeiten und Orte im Verdacht, das Fluor des Universums herstellen zu können. Zuerst einmal wären da die sehr großen Sterne. Also Sterne, die am Ende ihres Lebens bei einer gewaltigen Supernova explodieren können. Die zweite Möglichkeit wären AGB-Sterne, also Sterne mit ein wenig geringerer Masse als die Sterne vom ersten Punkt, die sich am Ende ihres Lebens aufblähen und in deren Gasschichten jede Menge unterschiedliche Kernreaktionen stattfinden können. Und dann gibt es als drittes noch die Möglichkeit von Novae. Also ein Sterne die Helligkeitsausbrüche zeigen die nicht ganz so super sind wie die bei Supernovae. Die lasse ich jetzt aber mal aus, weil diese Möglichkeit sehr hypothetisch ist und es auch keine Beobachtungsdaten dazu gibt.
Schauen wir uns dafür die AGB-Sterne nochmal genauer an. Diese Dinger sind ziemlich komplex; noch komplexer als ein normaler Stern, der schon ziemlich komplex ist. Es handelt sich dabei um Sterne die so viel Masse haben wie unsere Sonne beziehungsweise ein bisschen weniger oder mehr. Die ganze Geschichte der AGB-Sterne hebe ich mir für eine andere Folge auf. Aber es geht auf jeden Fall um das, was in der Spätphase des Lebens so eines Sterns passiert. Unsere Sonne, die derzeit noch in der Mitte ihres Lebens steht, fusioniert in ihrem Kern Wasserstoff zu Helium. Nur dort ist es heiß genug dafür. Irgendwann wird im Kern der Wasserstoff ausgehen, dann fällt - wie ich schon oft erzählt habe - der Strahlungsdruck der Fusion weg. Der Stern fällt dann unter seinem eigenen Gewicht ein wenig in sich zusammen, wodurch es in seinem Zentrum heißer wird als vorher. So heiß, dass jetzt auch das Helium fusionieren kann. Und weiter außen wird es jetzt heiß genug, dass der dortige noch nicht fusionierte Wasserstoff auch fusioniert werden kann. Wir haben jetzt also einen Stern, in dessen Zentrum Helium fusioniert wird und in einer weiter außen liegenden Schale findet Wasserstofffusion statt. Das Spiel setzt sich fort; aus dem Helium im Kern wird Sauerstoff und Kohlenstoff, die auch wieder fusioniert werden können. Die Heliumfusion wandert ein Stück nach außen; die Wasserstofffusion noch weiter raus. Wir kriegen also einen Stern, der aus verschiedenen Schalen besteht in denen verschiedenen Fusionsreaktionen stattfinden. Bei all diesen Reaktionen entstehen alle möglichen Reaktionsprodukte. Es fliegen alle möglichen Atomkerne und Bruchstücke von Atomkernen durch die Gegend. Und wenn die richtigen Teilchen auf die richtige Weise zusammentreffen, gibt es Fluor.
Genau so wie man Fluor in solchen Sternen machen kann, kann man es aber auch wieder zerstören. Wenn die richtigen - oder in unserem Fall dann eher die falschen - Teilchen auf ein Fluoratom treffen, dann wandelt es sich in ein anderes Element um. Wenn das Fluor also nicht rechtzeitig aus dem Inneren des Sterns in die oberflächennahen Regionen kommt, aus denen es ins All hinaus geschleudert werden kann, bringt uns das nicht weiter. Die besten AGB-Sterne für die Fluor-Produktion haben circa die dreifache Sonnenmasse, recht viel mehr als 4 oder weniger als 2 Sonnenmassen sollten es nicht sein.
Neben den AGB-Sternen habe ich vorhin auch noch Supernova-Explosionen erwähnt. Auch da fliegen jede Menge Teilchen und Atome mit sehr viel Wumms durch die Gegend was zur Produktion ungewöhnlicher chemischer Elemente führen kann, wie ich ja auch schon in Folge 412 erklärt habe. Was bei einer Supernova-Explosion auch noch in großer Menge entsteht sind Neutrinos. Diese Elementarteilchen entstehen immer und überall bei Kernreaktionen in Sternen und anderswo im Universum; der Kosmos ist voll mit ihnen. Wir merken aber nichts davon, weil sie so gut wie nie mit normaler Materie in Wechselwirkung treten. In jeder Sekunde fliegen Billiarden von Neutrinos durch unseren Körper, ohne das wir das davon mitkriegen. Aber wenn man wirklich, wirklich, wirklich viele Neutrinos auf vergleichsweise kleinem Raum hat - wie zum Beispiel bei einer Supernova-Explosion - und noch dazu jede Menge passende chemische Elemente, dann können spannende Dinge passieren. Denn ab und zu kann so ein Neutrino DOCH mit einem Atomkern in Wechselwirkung treten. Dann schubst es - vereinfacht gesagt - ein Proton aus einem Neon-Atom und das Resultat ist Fluor. Denn - wie ich zu Beginn gesagt habe - Neon hat 10 Protonen im Atomkern; Fluor hat 9 davon.
Das wirklich spannende an der Neutrino-Geschichte haben die amerikanischen AstronomInnen Catherine Pilachowski und Cameron Pace im Jahr 2015 herausgefunden. Sie haben Sterne nach Fluorwasserstoff abgesucht. Das ist ein extrem giftiges Gas das wir hier auf der Erde zum Beispiel verwenden, um Benzin herzustellen. Aber wir finden es auch im All, denn einerseits ist Fluor ein chemisches Element das sich extrem gern mit anderen Elementen verbindet und andererseits ist Wasserstoff ja überall im Kosmos. Wenn irgendwo Fluor produziert wird, dann ist es also keine schlechte Idee nach Fluorwasserstoff zu suchen. Das giftige Gas wurde in 51 Sternen entdeckt; mehr als die Hälfte der Sterne die untersucht wurden. Das war eine überraschend große Menge, denn die Sterne, die Pilachowski und Pace untersucht haben, waren normale Sterne, keine AGB-Sterne oder Supernova-Explosionen. Das Fluor das dort vorhanden ist, muss also schon vorher irgendwo anders produziert worden sein. Mit so viel Fluor wie bei der Studie gefunden wurde, hat man aber damals nicht gerechnet. Damals dachte man, dass man die Menge an Fluor im Universum durch die Produktion in AGB-Sternen erklären kann und ohne die Neutrinos bei Supernova-Explosionen auskommt. Mit den neuen Daten war das aber nicht mehr vereinbar; es muss auch noch andere Fluorquellen geben: Eben die Supernova-Explosionen.
Das Fazit dieser Geschichte: Wir wissen immer noch nicht genau wo das Fluor herkommt. Später durchgeführte Untersuchungen haben bestätigt, dass es auf jeden Fall mehrere unterschiedliche Quellen braucht. Eine einfache Antwort gibt es nicht. Was aber auch überraschend gewesen wäre. Und irgendwie ist es auch cool zu wissen, dass wir unsere Zahnpasta und unsere - hoffentlich! - gesunden Zähne zum Teil der Tatsache zu verdanken haben, dass vor langer Zeit fern im Universum große Sterne explodiert sind und dabei geisterhafte Neutrinos genau die Atome produziert haben, die wir uns auf die Zahnbürste schmieren…

Nov 13, 2020 • 10min
Sternengeschichten Folge 416: Der Schlangenträger und das 13. Sternzeichen
Alle Horoskope sind falsch!
Sternengeschichten Folge 416: Der Schlangenträger und das 13. Sternzeichen
"NASA-Sensation: Deshalb ist Ihr Sternzeichen falsch" - das war der Titel eines Artikels in einem Online-Magazin aus dem Jahr 2016. 2019 konnte man in der Zeitung "Cosmopolitan" lesen: ""13 Sternzeichen?! Hast du in Wahrheit ein ganz anderes?". Immer wieder taucht die Geschichte vom "13. Sternzeichen" auf. Da geht es zwar um Astrologie, also nicht um Wissenschaft. Der Hintergrund ist aber aus astronomischer Sicht durchaus interessant.
Fangen wir mal mit den Grundlagen an. Beziehungsweise fangen wir nicht mit den Grundlagen an. Denn das hier ist ja schließlich kein Podcast über Astrologie. Und in Folge 155 der Sternengeschichten habe ich schon ausführlich über den Unterschied zwischen Astrologie und Astronomie gesprochen und warum Astrologie kompletter Unsinn ist, könnt ihr in Folge 23 nachhören. Was aber im Zentrum der Astrologie steht und auch das zentrale Thema dieser Folge ist, das sind die Sternzeichen.
Auch wenn man nicht an Astrologie glaubt, wird man vermutlich sein Sternzeichen kennen. Und wissen, dass es 12 Stück davon gibt. Je nach dem Tag an dem man geboren wurde, ist man Schütze, Steinbock, Wassermann, Fische, Widder, Stier, Zwillinge, Krebs, Löwe, Jungfrau, Waage oder Skorpion. Was man auch oft glaubt, selbst wenn man kein Astrologie-Fan ist: Dass das Sternzeichen dadurch bestimmt wird, an welcher Position die Sonne zum Zeitpunkt der Geburt am Himmel gestanden ist. Als ich geboren wurde, war die Sonne gerade im Löwen zu sehen, also bin ich Löwe. Denn immerhin gibt es ja auch ein offizielles Sternbild das "Löwe" heißt und das man sich am Himmel anschauen kann.
Das Problem: Das stimmt nicht. Also nicht, dass es ein Sternbild "Löwe" gibt. Das stimmt schon. Aber als ich am 28. Juli 1977 geboren wurde, ist die Sonne dort nicht zu finden gewesen. Die war im Sternbild Krebs. Aus astrologischer Sicht ist das aber egal, denn der Himmel der Astrologie hat nichts mit dem realen Himmel der Astronomie zu tun. Zumindest heute. Früher war das anders und dieses Früher müssen wir uns ein wenig genauer anschauen, wenn wir das mit dem 13. Sternzeichen verstehen wollen.
Vor allem müssen wir nochmal kurz den Unterschied zwischen "Sternbild" und "Sternzeichen" betrachten, den ich in Folge 48 schon genauer erklärt habe. Der früher noch nicht existiert hat. Menschen haben immer schon zum Himmel geschaut und die hellen Punkte der Sterne zu Figuren angeordnet. Die ältesten dieser Figuren die wir heute noch kennen und zum Teil auch noch verwenden sind mehr als 2000 Jahre alt und stammen aus Babylonien. Die Menschen die damals den Himmel genau beobachtet haben, haben festgestellt, dass es da eine bestimmte Region gibt, die sich von anderen Regionen unterscheidet.
Wenn man zum Beispiel die Sonne jeden Tag zu Mittag betrachtet und ihre Position am Himmel notiert, dann wird man merken, dass das nicht immer die selbe Position ist. Kein Wunder, denn heute wissen wir ja, dass sich die Erde um die Sonne herum bewegt und wir sehen daher auch die Sonne im Laufe eines Jahres immer vor einem anderen Hintergrund. Damals dachte man, dass sich die Sonne um die Erde herum bewegt und deswegen immer woanders zu sehen ist. In unserem Fall kommt es aber auf das gleiche heraus: Die Sonne scheint im Laufe eines Jahres einen Kreis um die Erde herum zu beschreiben. Auf dieser Kreisbahn scheint sich die Sonne entlang einer Linie zu bewegen, die man "Ekliptik" nennt. In Wahrheit ist die Ekliptik die an den Himmel projizierte Bahn der Erde. Auf jeden Fall aber folgt daraus, dass die Sonne im Laufe eines Jahres sich nicht irgendwo und überall am Himmel rumtreiben kann. Sondern nur dort, wo sich die Ekliptik befindet.
Genau das ist auch schon den Babyloniern aufgefallen und deswegen waren für sie die Sternfiguren besonders interessant, die genau am Weg der Sonne gelegen sind. Denn immerhin ist die Sonne unbestritten der wichtigste Himmelskörper für uns Menschen; sie macht das Leben auf der Erde erst möglich. In fast allen frühen Kulturen ist die Sonne als Gottheit verehrt worden und deswegen ging man auch davon aus, dass die Sterne am Himmel die den Weg der Sonne säumen, irgendwie besonders sein müssen.
Von allen Sternbildern am Himmel wurden ein paar ganz besonders betrachtet. Weil sie - zum Teil - nach Tieren benannt wurden, heißen sie auch "Tierkreiszeichen" und es sind genau die Sternbilder, die in der astrologischen Deutung als Sternzeichen bezeichnet worden sind. Früher waren also Sternzeichen einfach nur eine besondere Gruppe unter allen Sternbildern des Himmels. Im Laufe der Zeit haben wir am Himmel aber immer wieder mal umsortiert. Lange hat es keine einheitlichen Regeln gegeben, verschiedene Kulturen haben zu unterschiedlichen Zeiten ganz verschiedene Sternbilder geschaffen. Und später haben verschiedene Forscher ihre ganz eigenen Systeme gebastelt um die Sterne in Bilder einzuteilen. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts hat man da ein System reingebracht und die Internationale Astronomische Union hat ein für alle Mal 88 offizielle Sternbilder am Himmel festgelegt. Mehr als die Hälfte davon sind alte Sternbilder, die wir aus der Antike übernommen haben; darunter auch die zwölf Sternbilder die in der Astrologie die Sternzeichen bilden. Für jedes Sternzeichen gibt es also ein passendes Sternbild am echten Himmel. Und die zwölf Sternbilder des Tierkreises sind auch tatsächlich genau die, die entlang der Ekliptik zu finden sind.
Nur: Es sind nicht alle Sternbilder, die entlang der Ekliptik zu finden sind. Dort liegen nicht nur die Sternbilder, deren Namen wir aus dem Zeitungshoroskop kennen. Sondern auch eines, das dort nicht aufscheint: Ophiuchus, der "Schlangenträger". Auch dieses Sternbild gibt es schon lange, es gehört zu den alten Sternbildern der Antike. Man hat es damals aber ignoriert und nicht zu den Tierkreiszeichen bzw. zu den Sternzeichen gezählt. Vermutlich, weil man "12" einfach als die schönere Zahl betrachtet hat; da ließ sich mythologisch viel mehr reininterpretieren. Und auch mathematisch war es viel praktischer, die Ekliptik einfach in 12 Abschnitte zu teilen und nicht in 13. "13" ist eine Primzahl; "12" dagegen eine Zahl die man durch 1, 2, 3, 4, 6 und 12 teilen kann, was zum Rechnen immer angenehm ist.
Die Astrologie und die Astronomie haben sich damals gemeinsam entwickelt. Bzw. gab es damals einfach keinen Unterschied; man hat den Himmel betrachtet, hat probiert die Bewegung der Planeten zu verstehen und zu verstehen, was es mit diesen ganzen leuchtenden Dingern auf sich hat. Und ein Weg, wie man probiert hat Sinn in die Angelegenheit zu bringen, war es, eine Verbindung zwischen Himmel und Erde aufzustellen; eine Verbindung zwischen dem, was oben im "Reich der Götter" abgeht und unten mit dem Schicksal der Menschen. Heute wissen wir, dass es so eine Verbindung wie sie die Astrologie behauptet nicht gibt. Wo die Sonne und die Planeten am Himmel zu sehen sind, hat absolut keinen Einfluss auf unser Schicksal. Die Astronomie hat im Laufe der Zeit immer mehr über das reale Universum rausgefunden; die Astrologie ist das, was von damals noch übrig geblieben ist wenn man all die echten wissenschaftlichen Erkenntnisse abzieht. Die Astrologie hat daher auch alle Entdeckungen und Reformen ignoriert die im Laufe der Zeit gemacht worden sind. Der Himmel der Astrologie ist ein komplett fiktiver Himmel der nichts mit dem realen Himmel zu tun hat.
Zwischen Ende November und Mitte Dezember kann man die Sonne im Sternbild des Schlangenträgers finden. Laut Astrologie ist jemand, der in diesem Zeitraum geboren wurde aber vom Sternzeichen her ein Schütze. Die Astrologie teilt die Ekliptik immer noch in 12 gleich große Abschnitte denen die zwölf antiken Tierkreiszeichen zugeordnet sind. Am realen Himmel sind die realen Sternbilder aber unterschiedlich groß und die Sonne verbringt unterschiedlich viel Zeit in ihnen. Und eben auch ein paar Wochen im Sternbild Schlangenträger. Was aus astrologischer Sicht komplett egal ist - wenn man sich sowieso ein von der Realität komplett unabhängiges System aufbaut, dann kann man auch das ignorieren. Und aus astronomischer Sicht ist es gewissermaßen auch egal. Denn einerseits ist die Astrologie wissenschaftlich gesehen sowieso Unsinn. Und andererseits ist die Sache mit den Sternbildern und Sternzeichen zwar historisch interessant. Aber ein Sternbild ist ja kein reales Objekt im Universum. Die Sterne die ein Sternbild formen gehören ja nicht zusammen. Wir sehen sie nur zufällig von der Erde aus genau so an unserem Himmel stehen. In Wahrheit sind manche von ihnen nahe der Sonne, manche sind weit weg. Würden wir den Himmel von irgendeinem anderen Planeten im Universum aus betrachten, würden wir dort auch völlig andere Sternenkonstellationen sehen.
Die Figuren der Sternbilder existieren nur in unserer Vorstellung. Das macht sie für uns nicht weniger interessant; genau das macht das Universum ja erst menschlich. Wir brauchen all die Geschichten am Himmel um mit der unvorstellbaren Größe und Unmenschlichkeit des realen Universums klar zu kommen. Man muss sich aber definitiv keine Sorgen darüber machen, das "falsche Sternzeichen" zu haben. Die Astrologie hat nichts mit der Realität zu tun; wer gerne ein anderes Sternzeichen haben möchte, kann sich einfach selbst etwas passendes ausdenken. Anregungen für die eigene Fantasie sollte man am Himmel mehr als genug finden.

Nov 6, 2020 • 12min
Sternengeschichten Folge 415: Die Nacht in der der Mond verschwand
Zur Helligkeit von Finsternissen
Sternengeschichten Folge 415: Die Nacht in der der Mond verschwand
"In der fünften Nacht des Monats Mai schien der Mond hell am Abend. Danach wurde sein Licht Stück für Stück immer schwächer so dass es komplett verschwunden war als die Nacht begann. Es war so komplett ausgelöscht, das weder das Licht noch der Himmelskörper oder sonst irgendwas vom Mond sichtbar war. Und so ging es weiter bis fast zum nächsten Tag, als der Mond wieder hell und voll schien."
Das steht genau so in der Peterborough Chronicle, einer Chronik zur englischen Geschichte aus dem 12. Jahrhundert. Beziehungsweise steht das dort natürlich nicht genau so; es steht dort in englisch geschrieben oder noch genauer gesagt, es steht dort auf mittelenglisch, also der Version des Englischen die man im 12. Jahrhundert in Angelsachsen gesprochen hat ("England" oder gar "Großbritannien" gab es damals noch nicht). Aber es soll heute ja nicht um Sprachwissenschaft gehen oder Geschichte. Sondern um Astronomie. Und da fragt sich der eine oder der andere vielleicht, was da jetzt so besonders an diesem Zitat ist. Da hat halt eine Mondfinsternis stattgefunden; warum die Aufregung?
Ja, warum die Aufregung? Tatsächlich beschreibt der unbekannte Chronist hier eine Mondfinsternis. Der Eintrag bezieht sich auf das Jahr 1110 und - wie wir heute immer noch problemlos berechnen können - fand am 5. Mai 1110 eine Mondfinsternis statt, die von Europa aus sichtbar war. Aber wer schon mal eine Mondfinsternis gesehen hat wird merken, dass an dem Text irgendwas seltsam ist. Wenn die Erde genau zwischen Sonne und Mond steht und der Erdschatten den Mond verdunkelt: Dann wird er nicht völlig finster. Ein wenig Sonnenlicht wird noch durch die Atmosphäre der Erde hindurch in Richtung Mond gestreut. Vor allem der rote Anteil des Lichts, weswegen der Mond nicht dunkel ist, sondern rötlich leuchtet - wie ich auch schon ausführlich in Folge 295 der Sternengeschichten erzählt habe.
Der Chronist hat sich aber extra bemüht darauf hinzuweisen, dass das Licht des Mondes komplett ausgelöscht war. Es war kein Licht des Mondes zu sehen; auch nicht der verdunkelte Mond. Es war gar nichts zu sehen. "Und?", denkt sich jetzt vielleicht wieder die eine oder der andere. Dann war es halt bewölkt. Das kommt vor, vor allem in England… Der Chronist hat aber im folgenden Text noch hinzugefügt: "Die ganze Nacht über war der Himmel sehr klar und die Sterne schienen überall am Himmel sehr hell".
Also: Klarer Himmel, eine Mondfinsternis - aber eine Mondfinsternis die so eigentlich nicht vorkommen sollte. Es war eine "dunkle Finsternis", was ein wenig unsinnig klingt. Aber weil eine Mondfinsternis eben normalerweise nicht dunkel ist, macht dieser Begriff durchaus Sinn. Übrigens gibt es eine eigene Skale mit der man die Dunkelheit einer Mondfinsternis klassifizieren kann. Sie wurde nach dem französischen Astronom André Danjon benannt und heißt demnach "Danjon-Skala". Die Helligkeit der Finsternis (ja, tut mir leid - aber das kann man nicht anders ausdrücken) wird dabei durch eine Zahl L beschrieben die Werte zwischen 0 und 4 annehmen kann. Bei L=4 hat man eine Mondfinsternis bei der der Mond orange erscheint, mit einem sehr hellen, fast schon bläulichen Rand. Bei L=3 kriegt man eine eher hellrote Mondscheibe zu sehen, bei L=2 ist der Mond dunkelrot und bei L=1 fast schon grau-bräunlich. Bei einem Wert von L=0 ist der Mond dann quasi unsichtbar.
Wie hell eine Finsternis erscheint hängt von unterschiedlichen Faktoren ab, zum Beispiel davon, wie zentral der Schatten der Erde auf den Mond trifft. Wenn der Mond vom Erdschatten quasi nur gestreift wird, dann ist er heller als sonst. Aber, wie ich vorhin schon gesagt habe, selbst wenn der Erdschatten ganz zentral auf den Mond trifft, dann sollte immer noch ein bisschen Sonnenlicht durch die Erdatmosphäre in Richtung Mond gelenkt werden so dass er nicht komplett finster erscheinen kann. Wie das passiert hängt vom Zustand der Atmosphäre ab. Zum Beispiel davon, wie staubig sie gerade ist.
Staub, selbst wenn die Staubteilchen enorm klein sind, können einen großen Einfluss auf das Licht haben. Vor allem dann, wenn das Licht eine große Strecke durch die Atmosphäre zurück legen muss. Das kann man leicht selbst beobachten: Wenn die Sonne mittags hoch am Himmel steht, kommt ihr Licht senkrecht auf die Erde und bewegt sich senkrecht durch die Atmosphäre hindurch. Wenn das Sonnenlicht dagegen morgens oder abends seinen Weg zu uns zurück legt, hat es eine wesentlich längere Strecke durch die Atmosphäre vor sich weil es jetzt quasi nicht von oben sondern "von der Seite" kommt und sehr viel länger durch die dichten, bodennahen Schichten der Lufthülle hindurch muss. Also genau dort, wo sich auch der meiste Staub befindet. Ein bisschen Staub ist immer in unserer Atmosphäre und der hindert das Licht an der Ausbreitung. Wie er das genau tut hängt von der Wellenlänge des Lichts ab, also von seiner Farbe. Kurzwelliges, blaues Licht wird am einfachsten gestreut und kreuz und quer in alle Richtungen abgelenkt. Das langwelligere rötliche Licht kommt leichter durch und deswegen erreicht uns morgens und abends mehr rotes Licht von der Sonne als blaues. Darum können Sonnenauf- und untergänge auch so schön orange/rot leuchten während das Sonnelicht mittags grell weiß ist: Hier sind noch alle Farben drin und mischen sich zu weiß.
Wenn man sich den Sonnenuntergang in einer Gegend anschaut in der sehr viel Schmutz und Staub in der Luft ist, in großen, schmutzigen Städten zum Beispiel, dann ist dieser Effekt besonders stark. Dann wird das rote Leuchten des Sonnenuntergangs ganz besonders intensiv. Und wenn genug Staub in der Luft ist, dann wird das ganze noch extremer. Wenn wir dann eine Mondfinsternis haben, dann wird kaum noch Sonnenlicht in Richtung der verdunkelten Mondscheibe gestreut und wir kriegen eine dunkle Finsternis.
Nur: Wo kommt dieser Staub her? Im Angelsachsen des 12. Jahrhunderts wird sich die industrielle Luftverschmutzung ja eher in Grenzen gehalten haben. Es gibt aber noch andere Quellen und das sind Vulkane! Die brechen immer wieder mal aus und spucken dabei jede Menge Staub in die Luft. Ist der Vulkanausbruch stark genug, dann kann sich der Staub über weite Teile der Atmosphäre verteilen. Und dann kann genau das passieren, was in der alten Chronik beschrieben wird: Man beobachtet einen klarer Himmel mit leuchtenden Sternen. Aber wenn dann eine Mondfinsternis stattfindet, muss das Licht der Sonne durch staubige Bereiche der Atmosphäre hindurch, schafft das nicht und die Finsternis bleibt unerwartet dunkel.
Die Beobachtung einer dunklen Finsternis ist ein gutes Indiz dafür, dass zu dieser Zeit irgendwo auf der Erde ein Vulkan ausgebrochen ist. Nur: Wo genau? Diese Frage hat im April 2020 eine Gruppe von Wissenschaftler aus der Schweiz, Frankreich, England und Irland beschäftigt. Sie haben alte Texte nach Hinweisen auf dunkle Finsternisse durchsucht. Und dann ihren Blick von den Büchern weg und Datenbanken zugewandt. Datenbanken in denen Informationen über Eisbohrkerne und Baumringe gespeichert waren. Beides sind hervorragende Möglichkeiten etwas über den Zustand der Atmosphäre in der Vergangenheit zu erfahren. Wenn es irgendwo auf der Erde ordentlich staubt, dann landet der Staub auch auf dem Eis. Jedes Jahr im Winter entsteht eine neue Eisschicht und wenn es sich um eine Gegend handelt in der das Eis nicht auftaut - wie in den Polarregionen der Erde - dann kriegt man so ein wunderbares Archiv. Man muss nur noch die Staubschicht finden, die Eisschichten abzählen und schon weiß man, wann es staubig war. Im Eis wird natürlich auch immer Luft eingeschlossen und auch die kann man noch Jahrhunderte und Jahrtausende später analysieren und so herausfinden, was da so alles passiert ist. An den Baumringen wiederum kann man ablesen, wie die Temperaturen in der Vergangenheit waren. Je nach Klima wachsen die Bäume schnell oder langsam, sind die Ringe dick oder dünn. Und so ein Vulkanausbruch mit all dem Staub sorgt auch, wenn er groß genug ist, für eine globale Abkühlung.
Aus all diesen Daten haben die Forscher rekonstruieren können, dass es im Jahr 1108 im Sommer enorm kalt war, viel kälter als lange Zeit davor oder danach. Und sie stellten fest, dass die Menge an Schwefelstaub in der Atmosphäre in der Mitte des Jahres 1108 anstieg und bis zum Ende des Jahres noch weiter wuchs. Und in der Mitte des Jahres 1110 gab es dann noch eine weiteren Anstieg von Schwefel. Was nichts anderes bedeutet als: Zwischen 1108 und 1110 müssen mehrere Vulkanausbrüche stattgefunden haben. Welcher Vulkan dafür verantwortlich ist, ist unbekannt. Aber auch hier gibt es Hinweise in alten Texten. Auf der japanischen Insel Honshū, circa 150 Kilometer von Tokio entfernt befindet sich der 2568 Meter hohe Asama. Es handelt sich dabei um einen der aktivsten Vulkane der Region und in der Vergangenheit sind jede Menge Ausbrüche aufgezeichnet worden. Unter anderem im Tagebuch eines Adeligen aus dem 12. Jahrhundert der von einer Eruption im August 1108 berichtet. Aus seinen Beschreibungen kann man schließen, dass die Sache durchaus gewaltig war und die Menge an Staub würde reichen um das zu erklären, was man in den Baumringen und Eisbohrkernen gesehen hat. Und es ist nicht unwahrscheinlich, dass ein so aktiver Vulkan mit einer Eruption nicht zufrieden ist. Aus der jüngeren Vergangenheit des Asama kennen wir etwa Ausbrüche in den Jahren 2009, 2008, 2004, 2003, 1983, 1982, und so weiter. Immer wieder ist der Vulkan mehrmals im Abstand weniger Monate oder Jahre ausgebrochen. Es ist daher absolut plausibel dass er auch zwischen 1108 und 1110 ausgebrochen ist und den Staub in die Atmosphäre der Erde gepustet hat der die dunkle Finsternis am 5. Mai 1110 verursacht hat.
Diese Geschichte ist nicht unbedingt revolutionär. Sie ändert nicht unser Weltbild; sie verrät uns nichts neues über die fundamentalen Geheimnisse des Kosmos. Aber sie zeigt hervorragend wie wunderbar Wissenschaft funktionieren kann. Ein alter historischer Text; modernes astronomisches Wissen; Eisbohrkerne aus Grönland und jahrhunderte alte Bäume: All das wird kombiniert um die Konsequenzen einer bisher unbekannten Abfolge von Vulkanausbrüchen in Japan zu rekonstruieren. Und gleichzeitig das Rätsel der Nacht zu lösen, in der der Mond verschwunden ist.

Oct 30, 2020 • 13min
Sternengeschichten Folge 414: Terraforming am Mars
Wir machen uns die Welt widdewie sie uns gefällt
Sternengeschichten Folge 414: Terraforming am Mars
Heute geht es um etwas, das in Science-Fiction-Büchern immer wieder gemacht wird. Etwas, das in der Realität noch nie gemacht wurde und etwas, das trotzdem seit Jahrzehnten von der Wissenschaft erforscht wird: Terraforming. So bezeichnet man die absichtliche Umwandlung eines für Menschen unbewohnbaren Himmelskörpers so dass Menschen dort leben können. In unserem Sonnensystem gibt es nur einen Himmelskörper auf dem wir Menschen "einfach so" leben können, also ohne das wir spezielle Vorkehrungen treffen müssen. Nämlich die Erde. Überall sonst, auf dem Mond, auf dem Mars und den ganzen restlichen Planeten, Monden und Asteroiden können wir entweder absolut gar nicht leben oder nur wenn wir massive Schutzmaßnahmen treffen; wenn wir künstliche Habitate bauen, Raumanzüge tragen, alles was wir zum Leben brauchen von der Erde mitbringen, und so weiter.
Das ist unpraktisch, das ist aufwendig und das ist auch teuer. Sieht man mal davon ab, dass wir - ausgenommen die kurzen Ausflüge auf den Mond in den 1960er und 1970er Jahren - sowieso noch nie anderswo als auf der Erde rumgelaufen sind, sind das natürlich deprimierende Aussichten für die Zukunft. Zumindest dann, wenn wir uns die Zukunft so vorstellen wie in der Science Fiction; also eine Zukunft in der wir Menschen eben nicht nur auf der Erde leben. Es ist nicht unrealistisch, dass wir in der Zukunft ein paar Dutzend oder Hundert Menschen in künstlichen und vermutlich unterirdischen Habitaten auf dem Mond oder gar dem Mars unterbringen. Aber etwa den Mars besiedeln, also große Mengen an Menschen in einer halbwegs lebensfreundlichen Umwelt ein halbwegs normales Leben zu ermöglichen: Das scheint quasi unmöglich.
Dazu muss man sich den Mars nur mal ansehen. Die durchschnittliche Temperatur dort beträgt minus 60 Grad Celsius. Der Luftdruck auf dem Mars ist mehr als hundert Mal geringer als der Luftdruck auf der Erde und das bisschen "Luft" auf dem Mars besteht fast komplett aus Kohlendioxid. Auf dem Mars gibt es also so gut wie nichts, das man einatmen kann und das WAS man einatmen könnte, würde uns umbringen, wenn wir es tatsächlich einatmen. Die Temperatur auf dem Mars ist viel zu gering als dass dort flüssiges Wasser existieren könnte, weswegen dort auch keine Pflanzen wachsen oder irgendeine andere Art von Leben existieren kann. Ein paar Mikroorganismen vielleicht, die irgendwo tief im Marsboden stecken - aber definitiv keine Menschen.
Der Mars ist eine trockene, eiskalte Wüste die noch dazu völlig ungeschützt der gefährlichen kosmischen Strahlung aus dem All ausgesetzt ist, da der Planet im Gegensatz zur Erde kein Magnetfeld und keine dicke Atmosphäre hat, die davor Schutz bieten könnte. Der Mars ist also in seinem derzeitigen Zustand absolut lebensfeindlich. Das zu ändern ist genau das, was das Ziel von "Terraforming" ist.
Sieht man von diverser früher Science-Fiction-Literatur ab, dann findet man die erste echte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Thema in einem Fachartikel aus dem Jahr 1961 in dem der berühmte Astronom Carl Sagan sich darüber Gedanken gemacht hat, wie man die Atmosphäre der Venus lebensfreundlicher gestalten kann. 1973 schrieb Sagan dann auch einen Artikel über mögliche Methoden den Mars zu terraformen. In den 1970er Jahren hat auch die NASA einige Studien zu dieser Frage durchgeführt und danach diverse andere Forscherinnen und Forscher.
Es würde zu weit führen, all das im Detail zu besprechen. Aber im Prinzip kann man beim Terraforming des Mars zwei grundlegende Phasen unterscheiden. Zuerst einmal muss man den Planeten irgendwie aufwärmen. Die Temperatur muss auf jeden Fall über den Gefrierpunkt des Wassers gehoben werden; ohne flüssiges Wasser auf der Oberfläche wird es nichts mit dem Terraforming. Und dann muss man die Zusammensetzung der Atmosphäre so verändern, dass sie für uns Menschen atembar ist.
Wie wärmt man einen Planeten auf? Vorschläge gibt es genug: Man könnte zum Beispiel riesige Spiegel im Weltall montieren um damit Licht und Wärme zum Mars zu leiten. Carl Sagan schlug 1973 vor, dunkles Material - also zum Beispiel Ruß oder Staub - von der Erde zum Mars zu transportieren und dort auf die Polkappen zu werfen. Die bestehen aus Eis - nicht nur aus gefrorenem Wasser sondern vor allem aus gefrorenem Kohlendioxid. Beides ist aber weiß und kann Licht daher recht gut reflektieren. Würde man es schaffen, die Polkappen dunkel zu färben, dann würden sie das Sonnenlicht absorbieren können und würden sich aufwärmen. Das Kohlendioxid würde auftauen, gasförmig werden und die Atmosphäre würde dichter. Eine dichte Atmosphäre aus Kohlendioxid würde - wie wir hier auf der Erde ja gerade erleben - einen Treibhauseffekt starten der zu einer Erwärmung des ganzen Planeten führt. Den gleichen Effekt könnte man auch erreichen, wenn man irgendwelche dunklen Algen auf dem Eis der Marspole wachsen lassen könnte. Oder einfach ein paar Asteroiden auf den Mars werfen könnte. So ein Asteroid enthält auch jede Menge gefrorenen Stoffe die sich beim Einschlag in der Marsatmosphäre verteilen würden. Vor allem Wasserdampf - ebenfalls ein starkes Treibhausgas - würde so in die Marsatmosphäre gelangen und zu einer Erwärmung führen.
Wir könnten es auch mit noch stärkeren Treibhausgasen probieren. Dazu gehören etwa die Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffe oder FCKWs. Die kennen wir als die Gase, die in den 1980er Jahren die Ozonschicht der Erde ruiniert haben. Sie sind aber nicht nur schlecht für die Ozonschicht, sondern auch extrem starke Treibhausgase; viel stärker als Kohlendioxid, Methan, Wasserdampf oder alles was es da sonst noch so gibt. FCKWs entstehen aber nicht natürlich; wir müssten sie künstlich erzeugen und zum Mars bringen. Und das in enormen Mengen: Man schätzt, dass mindestens 40 Millionen Tonnen davon nötig sind um die Temperatur so weit zu erhöhen, dass die CO2-Gletscher der Marspole gasförmig werden. 40 Millionen Tonnen! Das ist dreimal so viel wie wir hier auf der Erde zwischen 1972 und 1992 produziert haben. Und abgesehen, dass wir kein Raumfahrzeug haben das auch nur annähernd in der Lage ist, solche Mengen an Material von der Erde zum Mars zu bringen würden diese 40 Millionen Tonnen - die wir sowieso nicht produziert bekommen - nicht mal reichen. Denn im Laufe der Zeit bauen sich die FCKWs wieder ab und man müsste jedes Jahr fast 200.000 Tonnen von dem Zeug nachliefern.
Aber tun wir mal so, als könnten wir den Mars irgendwie weit genug aufwärmen. Dann haben wir eine Atmosphäre die ein wenig dichter ist als jetzt. Und Menschen könnten vielleicht sogar ohne Druckanzug auf der Oberfläche des Mars rumlaufen. Aber diese Atmosphäre würde immer noch fast komplett aus CO2 bestehen. Wie kriegen wir das sortiert? Wir Menschen brauchen Sauerstoff zum Atmen; wir brauchen außerdem irgendein Gas wie Stickstoff, das uns nicht schadet und das den Großteil der Atmosphäre ausmachen kann, denn eine reine Sauerstoffatmosphäre wäre ebenfalls nicht sonderlich praktisch für Lebewesen. Sauerstoff ist ein Element das chemisch sehr gerne und schnell und oft mit anderen Elementen reagiert. Darum brennen Dinge ja auch so gut, wenn viel Sauerstoff in der Nähe ist. In einer reinen Sauerstoffatmosphäre würde es ständig brennen und auch aus diversen anderen biologisch-chemischen Gründen ist es nicht gut wenn wir zuviel davon haben.
Auf dem Mars gibt es zwar jede Menge Gase, die derzeit noch irgendwo gefroren als Eis oder im Gestein eingeschlossen rumliegen. Die gasförmig würden, wenn der Mars wärmer wird. Aber ob es auch genug dieser Gase gibt, so dass am Ende eine brauchbare Atmosphäre für uns daraus wird, wissen wir nicht. Je nach Schätzung reicht es oder reicht es nicht. Und es wäre sehr überraschend, wenn auf dem Mars plötzlich exakt die chemische Zusammensetzung auftaut die wir zum Leben brauchen. Das wird mit Sicherheit nicht so sein. Wir müssen selbst dafür sorgen, zum Beispiel in dem wir den Mars mit Pflanzen besiedeln, die in der Lage sind das CO2 in Sauerstoff umzuwandeln und so für einen dauerhaften Nachschub sorgen.
Schauen wir uns so einen Terraforming-Prozess mal an. Stellen wir uns vor, wie kriegen FCKWs auf dem Mars oder schaffen es vielleicht sogar, die direkt am Mars zu produzieren. Um den Mars so weit aufzuwärmen dass das gefrorene CO2 dort gasförmig wird, braucht es Energie. Ungefähr so viel Energie wie 10 Jahre an kontinuierlicher Sonnenstrahlung dort liefern kann. Könnte man diese 10 Jahre Sonnenenergie komplett nutzen, hätte man danach jede Menge CO2 in der Atmosphäre, die obersten 10 Meter des Marsbodens aufgetaut, ebenso wie eine circa 10 Zentimeter dicke Schicht aus Wassereis, die mit dieser Energie flüssig werden könnte. Aber natürlich kann man die Sonnenenergie nicht komplett nutzen. Wenn man von 10 Prozent nutzbarer Sonnenenergie ausgeht - was durchaus ambitioniert ist - dann würde es 100 Jahre dauern. Was aber nur der Anfang ist, man muss schon noch ein bisschen mehr Wärme in den Mars pumpen. Allein für das Aufwärmen des Mars muss man also ein paar Jahrhunderte einplanen. Und das gilt nur, wenn es dort überhaupt ausreichend CO2 gibt! Wenn wir den Mars um 20 Grad aufwärmen, reicht das, um das CO2 aufzutauen das in den Polen und im Boden steckt. Wenn das ausreichend viel CO2 ist, dann kann der einsetzende Treibhauseffekt dafür sorgen, dass der Mars immer wärmer wird. Reicht es nicht, dann muss man noch irgendwie mit Chemie, mit Bakterien oder anderen Methoden dafür sorgen, dass im Marsgestein gebundenes CO2 gasförmig wird. So oder so dauert diese Phase ein paar hundert bis ein paar tausend Jahre. Jetzt könnte man dort Pflanzen ansiedeln, die aus dem CO2 Sauerstoff machen. Pflanzen sind aber nicht so wahnsinnig effizient dabei Energie zu verwerten. Das heißt die Sauerstoffproduktion würde sehr lange dauern. Bis eine für Menschen atembare Atmosphäre entstanden wäre, müssten ein paar zehntausend bis hunderttausend Jahre vergehen.
Den Mars zu terraformen ist also prinzipiell nicht unmöglich. Es gibt kein Naturgesetz das dagegen spricht. Aber es würde extrem lange dauern. Es wäre kein nachhaltiger Prozess, da der Mars ein kleiner Planet ist und eine dichte Atmosphäre nicht dauerhaft halten kann. Egal welche Methoden wir einsetzen, wir müssten sie immer wieder einsetzen. Sieht man mal davon ab, dass so ein Terraforming absurd aufwendig, komplex und teuer wäre, dann scheint es kaum vorstellbar, dass wir Menschen so ein Projekt das mindestens ein paar Jahrtausende dauert, irgendwie hinbekommen. Wir kriegen es ja nicht mal hin, die Zusammensetzung der Atmosphäre auf der Erde zu korrigieren. Die haben wir mit dem menschengemachten CO2 in nur 150 Jahren ruiniert und um den so verursachten Klimawandel abzuwenden bzw zu korrigieren würden wir "nur" ein paar Jahrzehnte brauchen. Aber nicht einmal das schaffen wir ordentlich - es ist also zweifelhaft ob das Terraforming des Mars irgendwann etwas anderes sein wird als Science Fiction.
Und dann stellt sich auch die Frage: Sollten wir das überhaupt machen? Noch haben wir kein Leben auf dem Mars entdeckt. Aber es ist nicht unmöglich, dass da doch noch irgendwo Mikroorganismen leben. Und deren Welt würden wir durch ein Terraforming komplett zerstören. Haben wir das Recht, einen kompletten Planeten umzugestalten? Denn selbst wenn auf dem Mars überhaupt nichts lebt, ist er doch eine eigene Welt und eine einzigarte Welt die es so kein zweites Mal im Universum gibt. Vielleicht sollten wir lieber darüber nachdenken, wie wir diese Welt erforschen und verstehen können, anstatt sie kaputt zu machen.

Oct 23, 2020 • 20min
Sternengeschichten Folge 413: Wie die Sonne nicht leuchtet
Glühender Stein oder elektrische Kugel?
Sternengeschichten Folge 413: Wie die Sonne nicht leuchtet
In dieser Folge der Sternengeschichten erfahrt ihr, wie die Sonne nicht leuchtet. Wie die Sonne ihre Energie produziert habe ich ja schon in den Folgen 168 und 169 erklärt; sehr ausführlich. Sie tut das durch Kernfusion, aber darum soll es ja heute nicht gehen. Sondern darum, wie sie ihre Energie nicht produziert. Und nein, das ist bei weitem keine so blöde Idee für ein Thema wie es klingt. Denn es hat erstaunlich lange gedauert bis wir herausgefunden haben, wie unser Stern funktioniert und auch wenn der Weg dorthin voll mit falschen Ideen ist, ist es ein sehr interessanter Weg auf dem man jede Menge lernen kann.
Die Sonne gehört ja zu den Himmelskörpern die man nicht erst extra entdecken muss. Übersehen kann man sie ja kaum wenn sie tagsüber unsere Welt erleuchtet. Aber mehr als dass da ein helles Licht am Himmel ist, das sich über diesen Himmel bewegt und immer wieder für eine gewisse Zeit verschwindet, wusste man lange Zeit nicht. Schon gar nicht, was die Ursache für ihr Licht ist. Zuerst - also in vorhistorischer Zeit; also in der Zeit vor ein paar Tausend Jahren die wir Bronzezeit oder Steinzeit nennen, musste man sich darauf beschränken, den Lauf der Sonne am Himmel der Erde zu verstehen. Dass es in Wahrheit gar nicht die Sonne ist die sich bewegt sondern die Erde, die sich um ihre Achse dreht, wusste damals niemand und es konnte auch niemand wissen. Man konnte nur das wissen, was man direkt sehen konnte. Und das war die Bewegung der Sonne am Himmel, die sich wunderbar dafür eignete, einen Überblick über die Zeit zu behalten. Auch darum soll es heute aber nicht gehen; wie das funktioniert hat, habe ich schon mal in Folge 89 erzählt.
Ein bisschen später, also um die Zeitenwende vor knapp 2000 Jahren herum stellte man im antiken Griechenland erste Vermutungen über die Größe zur Sonne und ihre Distanz zu Erde auf. Meistens waren die Resultate dieser Überlegungen weit von der Realität entfernt - aber immerhin fing man mal damit an, sich solche Gedanken zu machen und die Sonne als Objekt zu betrachten und nicht als Manifestation der Götter.
Und hier treffen wir auf Anaxagoras. Der Mann mit dem Namen der klingt wie aus einem Harry-Potter-Roman war ein griechischer Philosoph der im 5. Jahrhundert vor Christus lebte. Er war einer der ersten, der das Universum ohne Rückgriff auf Götter zu erklären versuchte. Im Gegensatz zu seinen Zeitgenossen stellte er sich die Sonne schockierenderweise nicht als Gottheit vor. Sondern als einen Stein. Einen sehr großen Stein; größer als die Peloponnes, also die griechische Halbinsel die Athen gegenüber liegt. Sie hat eine Fläche von circa 22.000 Quadratkilometer; ungefähr ein Viertel der Fläche von Österreich, ein Drittel der von Bayern oder die Hälfte der Fläche der Schweiz. Was aus damaliger Sicht wie ein wirklich großer Stein gewirkt haben muss. Und dieser Stein müsste glühendheiß sein, deswegen würde die Sonne leuchten. Das klingt ein wenig absurd, aber Anaxagoras war - zumindest was diese eine Sache angeht - quasi der erste Sonnenphysiker. Er wollte erklären wie die Sonne leuchtet und hat dafür nicht auf irgendeine religiöse-magische Erklärung zurückgegriffen, sondern auf ein natürliches Phänomen das er auch in seinem Alltag beobachten konnte- Dass er damit völlig daneben lag, schmälert seine Leistung ein wenig. Aber nicht viel. Man muss sich erst einmal trauen, so einen Gedanken zu haben - in einer Zeit, in der es allen anderen als vollkommen normal erscheint dass das leuchtende Ding am Himmel eine Gottheit ist, braucht man viel kreativen Erklärungswillen um sich eine andere Ursache auszudenken. Und gefährlich war es außerdem: Anaxagoras wurde angeklagt, weil er die Göttlichkeit der Sonne in Frage stellte und zum Tode verurteilt. Einflußreiche Freunde konnten ihn davor bewahren; aber er wurde verbannt und ins Exil geschickt - bis zu seinem Tod konnte Anaxagoras nicht mehr nach Athen zurück kehren.
In der Zeit nach der Antike ist jede Menge passiert. Forscher haben Sonnenflecken beobachtet; haben darüber spekuliert ob sich die Sonne um die Erde bewegt oder die Erde um die Sonne; sie haben darüber nachgedacht wie weit die Sonne weg ist, ob dort Götter oder Geister wohnen, und so weiter. Aber so interessant diese Geschichte sind - wir wollen uns mit der Energie der Sonne beschäftigen. Und springen daher gleich in die Neuzeit. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts stellte Johannes Kepler seine Gesetze zur Bewegung der Planeten auf. Und kurz danach veröffentlichte Isaac Newton seine revolutionäre neue und mathematische Beschreibung der Welt, inklusive dem Gravitationsgesetz. Damit konnte Newton auch die Masse der Sonne berechnen. Zumindest im Prinzip. Er konnte auf jeden Fall das Verhältnis zwischen Erdmasse und Sonnenmasse bestimmen; um den absoluten Wert zu berechnen, also um sagen zu können dass die Masse der Sonne so und so viel Kilogramm beträgt hätte Newton den genauen Wert der Gravitationskonstante kennen müssen. Das ist eine Zahl die die Stärke der Gravitationskraft beschreibt; die man aber damals noch nicht gut bestimmen konnte. Newton musste also schätzen und er hat sich leider ein wenig verschätzt. Aber immerhin fing man langsam an, der Realität näher zu kommen. Die Sonne musste sehr viel größer und sehr viel schwerer als die Erde sein. Sie musste außerdem vermutlich ein Stern sein. Oder andersherum: Die vielen leuchtenden Punkte am Nachthimmel mussten ähnliche Objekte wie unsere Sonne sein - nur eben weiter weg weswegen wir sie schwächer leuchten sehen. Aber warum die Sonne leuchtet wusste man immer noch nicht so wirklich.
Wilhelm Herschel, der große Astronom der im 18. Jahrhundert den Planeten Uranus entdeckt hat, war der Meinung, die Sonne wäre erstens eine Kugel mit fester Oberfläche, zweitens relativ kühl und würde nur deswegen leuchten, weil sie von einer Schicht aus leuchtenden Wolken umgeben ist. Darüber hinaus war er der Meinung, die Sonne wäre bewohnt, wie ich in Folge 333 erzählt habe. Warum die Wolken leuchten, konnte er aber auch nicht erklären. Damals schwirrten jede Menge aus heutiger Sicht seltsame Ideen durch die Welt. Vielleicht enthalten alle Dinge irgendeinen mysteriösen "Wärmestoff" der von den Strahlen der Sonne aktiviert wird. Und dort wo viel Wärmestoff vorhanden ist, wird es heiß; wo es weniger davon gibt, bleibt es kühl. Die Anhänger dieser Theorie bezweifelten stark, dass es auf der Sonne heiß ist oder dass da gar irgendeine Art von Feuer brennen würde. Andere hatten die Idee, dass die Sonne eine elektrische Kugel ist, also quasi eine Glühlampe, die den Strom für ihr Leuchten durch ihre schnelle Bewegung durchs All erzeugt. Auch hier wäre die Sonne eher kalt und kein "Feuer". In einem physikalischen Nachschlagewerk aus dem Jahr 1798 konnte man damals lesen "Das Beste ist also wohl, aufrichtig zu gestehen, daß man von der Beschaffenheit, dem Stoffe und der Bewohnbarkeit des Sonnenkörpers gar nichts zu sagen wisse.".
Tja. Dann kam das 19. Jahrhundert und es kamen der Physiker Gustav Robert Kirchhoff und der Chemiker Robert Wilhelm Bunsen. Zwischen 1857 und 1863 entwickelten die beiden in Heidelberg das, was wir heute "Spektralanalyse" nennen. Also eine Methode, wie man Licht so untersuchen kann um herauszufinden, aus welchem Material das besteht, was das Licht aussendet und - unter anderem - welche Temperatur dieses Material haben muss. In der Realität ist es natürlich ein wenig komplizierter. Aber Kirchhoff und Bunsen stellten auf jeden Fall fest, dass das Sonnenlicht aus einer heißen, glühenden Umgebung kommen muss. Und stellten sich die Sonne als festes oder flüssiges, extrem heißes Objekt vor dessen glühende Oberfläche wir leuchten sehen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts konnte man die Sonne dann auch im Teleskop immer genauer beobachten; unter anderem die Sonnenflecken. Und aus der Untersuchung ihrer Bewegung konnte man feststellen: Die Sonne muss gasförmig sein.
Also eine sehr große, sehr schwere, sehr heiße Kugel aus Gas. Das ist schon ein wenig besser als ein glühender Stein der so groß wie eine griechische Halbinsel ist. Aber die Frage nach der Energie bleibt immer noch offen. Der deutsche Arzt Julius Robert Mayer hatte in der Mitte des 19. Jahrhunderts eine ziemlich gute Idee. Mayer war zwar Arzt - aber trotzdem einer der ersten, der den so enorm wichtigen "Ersten Hauptsatz der Thermodynamik" formuliert hat. Der in seiner einfachsten Version besagt: Energie muss immer erhalten bleiben. Energie kann sich zwar von einer Form in eine andere Form umwandeln. Aber nicht einfach verschwinden. Diese Idee wandte er auch auf die Sonne an und behauptete: Ständig fallen Asteroiden, Kometen und anderer Kleinkram in die Sonne. Diese Objekte sausen mit hohem Tempo durchs Sonnensystem. Sie haben also jede Menge Bewegungsenergie. Wenn sie auf die Sonne treffen, dann kann diese Bewegungsenergie nicht einfach verschwinden. Sie muss umgewandelt werden und zwar in Wärmenergie. Genau deswegen ist die Sonne so heiß und genau deswegen leuchtet sie auch!
Das ist keine blöde Idee. Die Sonne könnte so leuchten; wir wissen, das Asteroideneinschläge jede Menge Wärme produzieren. Aber damals wusste man auch noch nicht, wie alt die Sonne eigentlich ist. Und damit wusste man auch nicht, wie viel Energie die Sonne eigentlich benötigt. Wenn die Sonne nur ein paar tausend Jahre alt ist, dann kann man sich theoretisch auch eine gigantische Kugel aus Kohle vorstellen die halt zufällig durch irgendwas angezündet worden ist und seitdem vor sich hin brennt. Wenn die Sonne viel älter ist, braucht man allerdings eine Energiequelle die länger durchhält als ein bisschen Kohle. Mayers Theorie mit den Meteoriten könnte eine sehr alte Sonne jedenfalls nicht ausreichend mit Energie versorgen. Genau so wenig wie eine andere, ebenfalls nicht so blöde Idee, die von verschiedenen Leuten geäußert wurde; insbesondere aber von Hermann von Helmholtz und William Thompson, dem Lord Kelvin - beides sehr berühmte Physiker des 19. Jahrhunderts. Das Prinzip wird deswegen auch Kelvin-Helmholtz-Kontraktion genannt. Auch dabei geht es um die Umwandlung von Bewegungsenergie in Wärme: Wenn eine große Masse unter ihrer eigenen Schwerkraft in sich zusammenfällt, dann wird dabei Wärmeenergie frei. Das war für Kelvin die einzige plausible Energiequelle für die Sonne. Er hatte Daten über die Wärmemenge in der Erde benutzt um das Alter unseres Planeten abzuschätzen. Und ging davon aus, dass Erde und Sonne ungefähr gleich alt sein müssen. So kam er zu dem Ergebnis, dass die Sonne höchstwahrscheinlich ein paar Dutzend Millionen Jahre alt ist. So lange leuchtet keine chemische Energiequelle; also keine Verbrennung. Egal was man anzünden würde, nichts würde so lange brennen. Wenn die Sonne aber eine große Gaskugel ist und unter ihrem eigenen Gewicht langsam immer kleiner wird, würde das ausreichend Energie für ein paar Millionen Jahre liefern.
Was richtig ist. Der Effekt existiert; wir beobachten das zum Beispiel bei den Gasplaneten Jupiter und Saturn die genau mit diesem Mechanismus Wärme produzieren. Aber für die Sonne reicht es nicht. Denn die ist viel älter; genau so wie die Erde. Kelvin wusste damals noch nichts über die Radioaktivität des Gesteins im Inneren der Erde, die ebenfalls Wärme produziert. Deswegen war seine Schätzung falsch und radioaktive Methoden machten es dann im frühen 20. Jahrhundert möglich, das Alter der Sonne deutlich nach oben zu korrigieren.
Und im 20. Jahrhundert kam dann auch die Person, die uns endlich erklären konnte, wie die Sonne leuchtet. Albert Einstein und mit ihm die berühmteste Formel der Welt: E=mc². Energie und Masse können ineinander umgewandelt werden. Durch die Fusion von Atomkernen kann man Energie freisetzen, wie ich in Folge 363 der Sternengeschichten genauer erklärt habe. Und genau das macht die Sonne: Sie hat jede Menge Kerne von Wasserstoffatome und genau die fusioniert sie zu Helium. Kernfusion erzeugt JEDE MENGE Energie und die Sonne hat genug Wasserstoff um Milliarden Jahre lang damit zu leuchten. Ganz gelöst war das Problem aber immer noch nicht. Denn damit die Kernfusion funktioniert muss die Temperatur im Inneren der Sonne hoch genug sein. Das war sie aber nach allem was man damals wusste nicht.
Es brauchte auch noch die zweite große wissenschaftliche Revolution; ebenfalls mit ausgelöst durch Albert Einstein: Um die Energiequelle der Sonne zu verstehen war auch noch die Quantenmechanik nötig. Und ein komplett absurdes Phänomen das "Tunneleffekt" genannt wird. Den erkläre ich jetzt nicht im Detail. Aber die Kurzversion geht so: Wenn zwei Wasserstoffatome aufeinander treffen und nicht schnell genug sind, prallen sie einfach voneinander ab. Aber nicht immer! Weil laut Quantenmechanik ein Teilchen eben eigentlich kein Teilchen ist, sondern immer auch ein bisschen eine Welle (oder genauer gesagt: Halt weder Welle noch Teilchen sondern etwas, was keinen konkreten Ort hat), kann es sein, dass es doch mit der Fusion klappt. Man kann sich das so vorstellen wie eine Wand, die überwunden werden muss, damit zwei Atome fusionieren können. Sind die Atome schnell genug, können sie über die Wand hüpfen und sich treffen. Sind sie zu langsam, dann prallen sie von der Wand ab. Aber weil so ein Atom eben keinen konkreten Ort hat sondern immer ein bisschen durch die ganze Gegend "verschmiert" ist, ist es immer auch ein bisschen schon hinter der Wand. Das klingt schwer vorstellbar, ist aber so. Genau das besagen die Gesetz der Quantenmechanik und die sind im Experiment mehr als gut bestätigt. In unserem Bild würde das bedeuten: Wenn ein Atom oft genug auf die Wand zufliegt, wird es irgendwann einmal nicht zurückprallen sondern einfach durchfliegen. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist enorm gering. Im echten Leben könnte man zum Beispiel einen Ball länger gegen eine Wand werfen als das Universum alt ist und hätte trotzdem so gut wie keine Chance, dass er irgendwann glatt durchgeht. Bei Atomen stehen die Chancen ein bisschen besser und vor allem gibt es in der Sonne ENORM VIELE Atome. Es passiert zwar nicht oft, aber bei so vielen Atomen ist immer eines dabei, bei dem es gerade klappt, obwohl es eigentlich zu langsam für eine Fusion wäre. In Summe reicht das, um ausreichend viele Atome fusionieren zu lassen, um die Sonne zum Leuchten zu bringen. Das konnte man 1929 nachweisen - komplett gelöst war die Sache aber immer noch nicht.
Denn es gibt verschiedene Wege wie man durch Kernfusion Energie produzieren kann. Auch hier spare ich mir die Details. Aber man wusste zwar, dass die Sonne Energie aus Kernfusion bezieht. Aber nicht, wie genau sie das tut, also auf welchem Weg und mit welchen Zwischenschritten sie aus Wasserstoff Helium macht. Man kannte die Möglichkeiten die in Frage kommen - wusste aber nicht, welche davon in der Sonne stattfand. Dazu hätte man ins Innere der Sonne schauen müssen, was nicht möglich war. Bis zu den 1960er Jahren: Da gelang es das erste Mal, Neutrinos zu messen, die aus dem Inneren der Sonne zur Erde gelangt waren. Neutrinos sind Elementarteilchen die ua bei Fusionsreaktionen erzeugt werden. Aber enorm schwer zu messen sind, wie ich in Folge 103 erklärt habe. Als man sie dann in den 1960er und 1970er Jahren doch messen konnte, konnte man auch zwischen den verschiedenen Fusionswegen unterscheiden. Die verschiedenen Arten der Kernfusion produzieren unterschiedliche Neutrinomengen und jetzt wusste man endlich, was in der Sonne abläuft (die Proton-Proton-Reaktion, aber das ist wieder eine andere Geschichte).
Vollständig geklärt ist die Sache immer noch nicht; es gibt noch das eine oder andere offene Detail. Aber im großen und ganzen haben wir ein recht gutes Verständnis davon wie die Sonne ihre Energie produziert. Zu sehen, wie lang dieser Weg war, ist aber dennoch instruktiv. Heute ist es Standardwissen, dass die Kernfusion die Energiequelle der Sonne ist. Aber die längste Zeit über haben wir genau das NICHT gewusst. Noch in den 1960er Jahren konnten wir nicht genau sagen, warum die Sonne leuchtet! Das kann man ruhig im Gedächtnis behalten. Das Wissen das uns heute selbstverständlich erscheint, mussten wir dem Universum meist mühsam entreißen…


