

Sternengeschichten
Florian Freistetter
Das Universum ist voll mit Sternen, Galaxien, Planeten und jeder Menge anderer cooler Dinge. Jedes davon hat seine Geschichten und die Sternengeschichten erzählen sie. Jeden Freitag gibt es eine neue Folge - das Universum bietet genug Material für immer neue Geschichten.
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Oct 1, 2021 • 12min
Sternengeschichten Folge 462: Die Wega
Mythen-Königin und Star der Wissenschaft
Sternengeschichten Folge 462: Die Wega
Dass es da draußen am Himmel mehr als genug Sterne gibt, sollte alle Hörerinnen und Hörer mittlerweile wissen. Ebenso wie die Tatsache, dass man eigentlich über jeden Stern eine spannende Geschichte erzählen kann. Es gibt aber Sterne, die für uns Menschen und auch für die Wissenschaft eine besondere Rolle einnehmen. Dazu gehört natürlich die Sonne, aber dass muss man eigentlich nicht mehr extra erwähnen.
Man kann darüber streiten, welcher Stern nach der Sonne der für uns wichtigste Stern ist. Aber auf einer entsprechenden Liste mit Kandidaten müsste man auf jeden Fall auch die Wega listen. Dieser Stern gehört zu denen, der von der Wissenschaft am intensivsten untersucht worden ist und der auch in den Mythen der Menschheit eine prominente Rolle gespielt hat.
Fangen wir also mal mit den Grundlagen an. Die Wega findet man im Sternbild Leier. Und man findet sie dort ziemlich leicht, denn sie ist dort der hellste Stern. Es sind überhaupt nur vier andere Sterne des Nachthimmels heller als die Wega und ihre Helligkeit wird uns später noch beschäftigen.
Die Wega ist uns vergleichsweise nahe, der Abstand zur Sonne beträgt nur 25 Lichtjahre. ES handelt sich um einen jungen Stern, der ein paar hundert Millionen Jahre alt ist - so genau lässt sich das nicht sagen - aber auf jeden Fall nicht älter als eine halbe Milliarde Jahre. Wega hat eine mehr als doppelt so große Masse wie die Sonne und die fast 40fache Leuchtkraft unseres Sterns. Als großer, junger Stern ist die Wega auch sehr viel heißer als die Sonne und leuchtet bläulich weiß.
So weit die nackten Fakten - aber schon lange bevor wir dieses astronomische Wissen hatten, hat der Stern die Fantasie der Menschen angeregt. Der Name kommt - wie so oft bei den Sternen - aus dem arabischen und leitet sich von "an-nasr al-wāqi" ab, was so viel wie "herabstoßender" bedeutet und das, was da herabstößt, ist ein Adler. In der heutigen Einteilung der Sternbilder hat die Wega in der Leier aber nur indirekt mit dem Adler zu tun. Die Wega bildet nämlich zusammen mit Altair, dem hellsten Stern im Sternbild Adler und Deneb, dem hellsten Stern im Schwan das sogenannte "Sommerdreieck". Altair und Deneb sind ebenfalls sehr helle und markante Sterne und bilden zusammen mit Wega, mit man am Namen ja auch erkennen kann, am Sommerhimmel ein sehr gut zu erkennendes Dreieck.
Im alten Ägypten und in Indien wurden Wega und die Sterne in der Umgebung als Raubvogel betrachtet und über die arabische Astronomie kam der Name dann auch nach Europa. Die schönste Geschichte über die Wega kommt aber aus dem asiatischen Raum. Es gibt viele Variationen, aber meine Lieblingsversion ist die vom Kuhhirten und der Weberin. Orihime war die Tochter des Himmelsgottes und hat immer ordentlich und brav ihren Job als Weberin erledigt. Damit sie vor lauter Arbeit aber auch noch was anderes tut, hat ihr Vater sie mit Hikoboshi verkuppelt, einem Rinderhirten. Wie das so ist in Mythen und Geschichten haben sich die beiden sofort massiv ineinander verliebt. So sehr, dass sie - nicht überraschend bei jungen und verliebten Menschen - ihre Arbeit vernachlässigt haben. Es wurde keine Kleidung mehr für den Himmelsgott gewebt und niemand hat sich um die Rinder gekümmert. Der Himmelsgott war nicht mehr so begeistert von seiner Entscheidung die beiden zu verkuppeln und hat sie auf unterschiedliche Seiten des großen Himmelsflusses verbannt. Hat aber nichts geholfen, denn jetzt waren beide zu traurig, um ihre Arbeit zu machen. Also dürfen sich die beiden zumindest einmal im Jahr treffen, am 7. Tag des 7. Monates eines jeden Jahres. Allerdings nur, wenn es an diesem Tag nicht regnet, da sonst der Himmelsfluss zu breit wird, um überquert zu werden.
Am Himmel wird Orihime durch den Stern Wega symbolisiert und Hikoboshi durch Altair. Wenn der Himmel klar ist, kann man auch den Himmelsfluss zwischen den beiden erkennen, der natürlich von der Milchstraße dargestellt wird. Und am 7. Tag des 7. Monats, also im Juli, kann man beide Sterne hoch am Himmel stehen sehen. Und sogar das Happy-End kann man sehen. Denn natürlich kann die Liebe nicht einfach vom Wetter abhängen! Was tun also Orihime und Hikoboshi, wenn zu viel Wasser im Himmelsfluss ist und sich nicht treffen können? Dann kommt ein Schwarm hilfreicher Elstern und bildet eine Brücke. Und wenn man sich die Milchstraße zwischen den beiden Sternen ganz genau ansieht, dann erkennt man dort eine dunklen Bereich. Das ist die Elsternbrücke des Mythos und in der Realität eine riesige Staubwolke, die das Licht der hellen Sterne in der Milchstraße verdeckt.
Die Geschichte von Orihime und Hikoboshi wird auch heute noch jedes Jahr in Japan beim Tanabata-Fest gefeiert. Man könnte noch viel mehr Mythen über Wega erzählen. Aber die Wissenschaft hat im Laufe der Zeit ihre eigenen Geschichten über Wega erzählt.
Ein heller Stern wie die Wega hat die Astronomie natürlich immer schon interessiert. Und am 17. Juli 1850 wurde die Wega zum ersten Stern - nach der Sonne natürlich - der fotografiert wurden ist und zwar von den Astronomen William Bond und John Adams Whipple an der Sternwarte des Harvard College. 1872 hat Henry Draper das erste Sternspektrum mit dem Licht von Wega aufgenommen. Die Spektroskopie ist im 19. Jahrhundert zu einem wichtigen Instrument der Astronomie geworden: Spaltet man das Licht in seine Bestandteile auf, erhält man nicht nur den üblichen Regenbogen aus Farben, sondern sieht darin auch dunkle Bereiche. Sie entstehen, wenn das Licht auf seinem Weg aus dem Inneren des Sterns durch seine äußeren Schichten auf die dort befindlichen Atome trifft. Jedes chemische Element blockiert einen ganz charakteristischen Bereich des Lichts und dort sieht man dann eine dunkle Linie im Regenbogen. Viel wichtiger aber: Man kann damit herausfinden, woraus die Sterne bestehen und wenn man die Spektren unterschiedlicher Sterne vergleicht, kann man sie klassifizieren und in Gruppen einteilen. Für jede Einteilung braucht man aber mindestens einen Referenzpunkt und für die Spektralklassifikation wurde das die Wega.
Die Wega hat sich überhaupt als sehr praktischer Referenzsstern erwiesen. Ihre Helligkeit beträgt ziemlich genau 0 Magnituden. Das ist diese etwas gewöhnungsbedürftige Helligkeitsklassifikation in der Astronomie, über die ich ja schon früher gesprochen habe. Im antiken Griechenland hat man die hellsten Sterne am Himmel zur "0ten Größenklasse" gezählt und die, die gerade noch so zu sehen waren, zur "6ten Größenklasse". Diese Einteilung hat man später dann auf wissenschaftliche Grundlagen gestellt und wir verwenden sie noch heute. Und auch da braucht man irgendwas, mit dem man die Helligkeiten vergleichen kann, und weil die Wega mit ihrer Helligkeit nahe an der 0ten Größenklasse liegt, wurde sie auch dafür zum Referenzstern. Ebenso wie bei der Einteilung der Sternfarben, wo man einen Stern als Referenz braucht, der möglichst weiß leuchtet, was bei der Wega der Fall ist.
In anderer Hinsicht hat sich die Wega aber als ganz und gar nicht normal erwiesen. Diese spannende Geschichte fängt 1983 an, als das Weltraumteleskop IRAS auf seine Mission geschickt wurde. Es sollte - erstmals - den gesamten Himmel im Infrarotlicht katalogisiert werden. Dabei hat IRAS natürlich auch Wega im Blick gehabt und dort etwas entdeckt, was man mit dem wenig spannenden Wort "Infrarotexzess" bezeichnet. Anders gesagt: Man hat bei Wega mehr Infrarotlicht gemessen, also von dort eigentlich kommen sollte. Man kann ziemlich genau sagen, wie viel Licht bei einer bestimmten Wellenlänge ein Stern mit einer bestimmten Temperatur aussendet. Und Wega hat mehr Infrarotlicht ins All geschickt, als bei einem Stern dieser Temperatur zu erwarten war. Die Ursache: Staub! Wega ist von einer Scheibe aus Staub umgeben. Dieser Staub wird vom Licht des Sterns aufgeheizt und gibt die Wärme in Form von Infrarotlicht wieder ab. Das kommt zum normalen Infrarotlicht des Sterns dazu und deswegen sieht man dort einen Infrarotexzess.
Es war das erste mal, dass man so etwas bei einem Stern beobachtet hat. Und das war durchaus eine Sensation. Denn der Staub muss irgendwo her kommen. Ein sehr, sehr junger Stern kann durchaus von sehr viel Staub umgeben sein; das ist der Staub, der noch von der Entstehung des Sterns übrig ist und aus dem später Planeten entstehen. Wega ist zwar noch jung, aber schon zu alt für diese Art von Staub. Das, was man bei Wega sieht, ist eine "Trümmerscheibe". Also Staub, der entsteht, weil dort schon größere Himmelskörper - mindestens Asteroidengroß - miteinander kollidieren und Staub produzieren.
Das klingt jetzt nicht so spektakulär. Aber 1983 hatte man noch keine Planeten anderer Sterne entdeckt. Man wusste nicht, ob anderswo überhaupt Planeten entstehen können. Es wäre zwar unwahrscheinlich, wenn die Sonne der einzige Stern mit Planeten wäre - aber solange man anderswo nichts findet, eben auch nicht unmöglich. Der Staub bei Wega war nun zwar kein Planet. Aber auf jeden Fall ein deutliches Anzeichen, dass dort genau die Prozesse ablaufen, die ablaufen müssen, damit Planeten entstehen. Denn wenn sich aus dem ursprünglichen Staub um einen Stern herum schon Asteroiden gebildet haben, die bei durch ihre Kollisionen eine Trümmerscheibe erzeugen, dann ist das genau das, was auch auch vor 4,5 Milliarden Jahren im Sonnensystem passiert ist.
Wega war also der erste ganz konkrete Hinweis darauf, dass auch anderswo im Universum Planeten entstehen und damit auch zu finden sein müssen. Was ja dann auch 1995 passiert ist - allerdings nicht bei Wega. Dort haben wir im Laufe der Zeit zwar immer mehr Hinweise auf die Existenz von Planeten gefunden. Die Staubscheibe ist klumpig und schief, irgendwas muss also dafür sorgen, dass der Staub dort ungleichmäßig verteilt ist und die Gravitationskraft eines dort rumschwirrenden Planeten könnte genau diese Ursache sein. Aber nachweisen konnten wir so einen Planeten noch nicht.
Wir haben die Wega so ausführlich untersucht wie kaum einen anderen Stern. Aber längst noch nicht alle ihre Geschichten entdeckt.

Sep 24, 2021 • 13min
Sternengeschichten Folge 461: Antisterne
Antisternengeschichten
Sternengeschichten Folge 461: Antisterne
Heute gibt es eine Anti-Sternengeschichte. In der es dann logischerweise um Antisterne geht. Das sind keine Sterne, die irgendwie gegen alles sind; auch keine Sterne, die dunkles "Antilicht" ausschicken. Es sind Sterne, die nicht aus Materie bestehen, sondern aus Antimaterie. Beziehungsweise sind sie genau das, sofern es sie gibt. Das wissen wir nämlich noch nicht. Aber es wäre nicht unmöglich. Und wenn es sie tatsächlich geben sollte, könnten sie die Antwort auf eines der größten ungelösten Rätsel der Wissenschaft geben.
Die Frage lautet: Warum gibt es etwas? Und bevor jemand das falsch versteht: Damit ist nicht gemeint "Warum gibt es das Universum?". Obwohl das natürlich auch eine große, unbeantwortete Frage ist. Aber die Frage um die es geht, setzt kurz nach der Entstehung des Universums an. Beim Urknall entstand aus sehr, sehr viel Energie sehr, sehr viel Materie. WARUM der Urknall passiert ist, wie gesagt, eine andere Frage. Aber wenn wir sein Stattfinden mal voraussetzen, dann wissen wir aus den uns bekannten Naturgesetzen, dass Materie und Energie erstens ja quasi das gleiche sind; nichts anderes besagt ja die berühmte Formel von Albert Einstein: E=mc². Energie ist Masse und der Umrechnungskurs zwischen beiden ist das Quadrat der Lichtgeschwindigkeit. Daraus folgt also, dass es kein Problem ist, aus Energie Materie zu kriegen. Zweitens wissen wir aber auch, dass die Materie auf diese Weise immer paarweise entsteht. Wir kriegen ein Teilchen und ein dazu passendes Anti-Teilchen.
Was Antimaterie ist, habe ich in Folge 311 ja schon einmal erzählt. Es klingt immer ein bisschen geheimnisvoll, mysteriös und nach Science-Fiction. Ist aber völlig real und gar nicht so dramatisch anders. Antimaterie ist einfach nur Materie mit einer anderen elektrischen Ladung. Das Elektron zum Beispiel ist ein Elementarteilchen, das elektrisch negativ geladen ist. Und ein Anti-Elektron ist dann - vereinfacht gesagt - genau das gleiche Teilchen, nur elektrisch positiv geladen. In der Realität ist es ein wenig komplizierter, da muss man auch noch ein paar schwer zu veranschaulichende Quanteneigenschaften der Teilchen berücksichtigen. Aber im Prinzip ist ein Anti-Elektron nicht viel anders als ein Elektron; nur eben elektrisch entgegengesetzt geladen.
Das gilt auch für andere Teilchen: Ein Proton, also eines der beiden Teilchen aus denen ein Atomkern aufgebaut ist, ist elektrisch positiv geladen. Ein Anti-Proton ist negativ geladen. Obwohl man hier eigentlich ein wenig genauer sein muss. Das Proton ist ja kein Elementarteilchen, es ist aus drei Quarks zusammengesetzt. Aus einem "Down-Quark" und zwei "Up-Quarks". Auch die Quarks haben eine elektrische Ladung; das up-Quark eine positive Ladung, das Down-Quark eine negative. Die sind aber nicht gleich groß, deswegen kriegt man aus den drei Quarks am Ende eine positive Ladung raus, die das Proton hat. Und natürlich gibt es auch Anti-Quarks mit entsprechend entgegengesetzten Ladungen. Nehmen wir jetzt also nicht ein Down- und zwei Up-Quarks, sondern ein Anti-Down- und zwei Anti-Up-Quarks, kriegen wir ein Anti-Proton.
Das ist deswegen wichtig, weil es im Atomkern ja auch noch die Neutronen gibt. Die heißen so, weil sie elektrisch neutral, also weder positiv, noch negativ geladen sind. Jetzt könnte man meinen, dass es deswegen keine Anti-Neutronen geben könnte. Denn wie soll die entgegengesetzte Ladung eines neutralen Teilchens aussehen? Aber auch das Neutron ist aus Quarks zusammengesetzt. Hier sind es ein Up- und zwei Down-Quarks, deren jeweilige elektrische Ladungen sich gegenseitig gerade aufheben, so dass das Neutron am Ende elektrisch neutral ist. Wenn man nun aber ein Anti-Up- und zwei Anti-Down-Quarks nimmt, heben sich deren Ladungen ebenfalls auf und man kriegt wieder ein elektrisch neutrales Teilchen raus. Das ist dann ein Anti-Neutron, mit der gleichen neutralen Ladung wie das Neutron. Aber zusammengesetzt aus Anti-Quarks und nicht aus Quarks.
Das ist ein wenig verwirrend, aber relevant, wenn zufällig mal ein Neutron auf ein Anti-Neutron treffen sollte. Dann passiert das, was Materie und Antimaterie immer gerne machen, wenn sie sich begegnen. Genau so wie aus Energie ein Teilchenpaar von Materie und Antimaterie entstehen kann, können Materie und Antimaterie gemeinsam den umgekehrten Prozess ablaufen lassen. Das heißt dann "Annihilation" und bedeutet nichts anderes, als dass die beiden Teilchen zusammen ihre Masse wieder in Energie umwandeln können. Oder anders gesagt: Trifft Materie auf Antimaterie, dann werden beide Teilchen zerstört und nur Energie bleibt übrig.
Womit wir wieder bei der Materie kurz nach dem Urknall sind. Die ist jetzt entstanden und aus Symmetriegründen sollte da eigentlich gleich viel Materie wie Antimaterie im Universum vorhanden sein. Sie entstehen ja immer paarweise… und vernichten sich auch paarweise. Was eigentlich unmittelbar danach stattgefunden haben muss. Die gesammte frisch entstandene Materie und Antimaterie muss sich gleich nach ihrer Entstehung wieder gegenseitig ausgelöscht haben. Im Universum dürfte also gar keine Materie existieren; nur Energie. Jetzt wissen wir aber, dass da sehr viel Materie ist. All die Sterne, die Planeten, wir Menschen: Wir sind Materie. Irgendwas muss also damals passiert sein und dazu geführt haben, dass ein wenig Materie übrig geblieben ist. Dafür gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder es ist eben NICHT gleich viel Materie und Antimaterie entstanden. Wenn die Mengen unterschiedlich waren, konnten sie sich auch nicht komplett auslöschen. Oder aber es gab gleich viel von beidem, Materie und Antimaterie hatten aber zumindest teilweise keine Gelegenheit sich zu treffen. Wenn sich ein Teil der Antimaterie irgendwie isoliert von der Materie befunden hat und auch isoliert geblieben ist, dann konnte auch keine Annihilation stattfinden.
Das hätte aber Konsequenzen. Denn diese Antimaterie kann ja nicht einfach so von selbst verschwinden. Sie muss heute immer noch da sein. Sie kann natürlich nicht einfach so irgendwo in der Gegend rumliegen. Man muss keine Angst haben, im Supermarkt nach einer Konservendose zu greifen, nur um festzustellen, dass es eine Anti-Konserve war, bevor man in einem Lichtblitz verschwindet. Es muss genügend leerer Raum zwischen Materie und Antimaterie sein. Deswegen können wir uns auch ziemlich sicher sein, dass zum Beispiel keine Antimaterie in unserem Sonnensystem vorhanden ist. Würde zum Beispiel der Pluto aus Antimaterie bestehen, hätten wir das schon längst gemerkt. Denn zwischen den Himmelskörpern befindet sich ja jede Menge Staub. Ok, verglichen mit dem Staub auf der Erde ist im All dann doch weniger zu finden. Aber immer noch genug. Immer wieder würde ein Staubteilchen mit dem Anti-Pluto kollidieren und einen Lichtblitz erzeugen. Die Energie würde vor allem in Form von Gammastrahlung frei werden und wir würden sehen, wie der Pluto im Gammalicht leuchtet. Tut er aber nicht; wir haben auch sonst nirgendwo im Sonnensystem seltsame Quellen von Gammastrahlung gefunden.
Aber noch weiter draußen, zwischen den Sternen, ist es vielleicht anders. Sterne sind isoliert voneinander, sie sind durch enorme Distanzen von mehreren Lichtjahren getrennt. Zwischen ihnen ist so viel Platz, dass Kollision extrem unwahrscheinlich sind. So unwahrscheinlich, dass man länger warten müsste als das Universum alt ist, um rein statistisch irgendwann mal zwei davon zusammenstoßen zu sehen. Ein Stern und ein Antistern würden sich also nie begegnen. Und ein Antistern würde aus der Entfernung nicht viel anders aussehen als ein normaler Stern. Er würde aus Antiwasserstoff und Antihelium bestehen. Denn auch das ist natürlich möglich: Wasserstoff besteht aus einem Proton, das von einem Elektron umkreist wird. Lässt man dagegen ein Anti-Proton von einem Anti-Elektron (oder Positron, wie es offiziell heißt) umkreisen, dann funktioniert das genau so. Wir haben solche Anti-Atome sogar schon in Teilchenbeschleunigern künstlich hergestellt. Nur in extrem winzigen Mengen, ein paar tausend Atome, aber immerhin. Anti-Wasserstoff kann existieren und Anti-Helium ebenso. Das hat einen Kern aus Anti-Protonen und Anti-Neutronen und wird von Positronen in der Atomhülle umkreist. Und nach allem was wir wissen, läuft der Rest ebenso ab. Genau so wie in einem Stern wie der Sonne Wasserstoff zu Helium fusionieren kann und dabei Energie frei wird, würde ein Antistern Antiwasserstoff zu Antihelium fusionieren und - keine Antienergie freisetzen, sondern natürlich ganz normale Energie (Antienergie gibt es nicht).
Ein Antistern leuchtet also theoretisch genau so wie ein normaler Stern. Aber es gibt auch zwischen den Sternen ein wenig Zeug; ein bisschen Staub, ein bisschen Gas. Ab und zu käme also auch ein Antistern in Kontakt mit normaler Materie. Das würde nicht dazu führen, dass er verschwindet. Dafür reicht ein bisschen Staub nicht aus. Aber der Zusammenstoß würde ein wenig Gammastrahlung freisetzen. Und das könnte man im Prinzip beobachten.
Natürlich beobachten wir schon lange Gammastrahlung; die wird ja auch bei jeder Menge anderer kosmischer Prozesse frei. Bei Supernova-Explosionen zum Beispiel oder in der Umgebung schwarzer Löcher. Wir haben Weltraumteleskope im All, die nur nach Gammastrahlungsquellen suchen, zum Beispiel das Fermi-Teleskop. Aber vielleicht ist diesen Teleskopen ja auch unbemerkt der eine oder andere Antistern ins Netz gegangen? Genau das haben französische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Jahr 2021 überprüft. Sie haben alle Quellen durchgeschaut, die Fermi gefunden hat, immerhin 5787. Sie haben alle aussortiert, bei denen man durch andere Beobachtungen schon wusste, worum es sich handelt. Sie haben auch alle Quellen aussortiert, deren Ursprung eine ausgedehnte Region sein muss, also Galaxien, Gaswolken, und so weiter. Übrig blieben also kleine, kompakte Quellen von Gammastrahlung bei denen man nicht weiß, worum es sich handelt. Das muss nicht heißen, dass es Anti-Sterne sind. Aber es könnten Antisterne sein. 14 Stück dieser Antistern-Kandidaten hat man entdeckt. Die Forscherinnen und Forscher sagen selbst, dass es sehr viel wahrscheinlicher ist, dass es sich um irgendwas anderes handelt; bislang noch unentdeckte Neutronensterne zum Beispiel oder die aktiven Zentren ferner Galaxien. Aber vielleicht sind es ja doch Antisterne. Und wenn das so wäre, kann man aus den Beobachtungen hochrechnen, wie viele insgesamt in der Milchstraße sein müssen: Jeder 400.000te Stern wäre demnach ein Anti-Stern! Das ist eine überraschend große Zahl, wenn man berücksichtigt, dass die Milchstraße aus insgesamt knapp 200 Milliarden Sternen besteht.
Die Suche nach unbekannten Gammastrahlungsquellen reicht natürlich noch lange nicht aus, um die Existenz von Antisternen eindeutig nachzuweisen. Da brauchen wir mehr Daten und vielleicht werden wir einen Anti-Stern nie zweifelsfrei identifizieren können. Vielleicht gibt es sie gar nicht; vielleicht ist der Grund dafür, dass es Materie gibt ja auch wirklich eine noch unbekannte Asymmetrie zwischen Materie und Antimaterie. Die dann dazugeführt hat, dass nach dem Urknall tatsächlich ein wenig mehr Materie da war als Antimaterie. Auch dafür gibt es Hinweise aus Experimenten in der Teilchenphysik. Irgendwas läuft da seltsam mit der Antimaterie; das ist klar. Und irgendwann werden wir rausfinden, was das ist. Dann wissen wir auch, warum es etwas gibt im Universum und nicht einfach nur nichts.

Sep 17, 2021 • 14min
Sternengeschichten Folge 460: Antimaterie-Blitze und außerirdische Gewitter
Aliendonner und Antiblitze
Sternengeschichten Folge 460: Antimaterie-Blitze und außerirdische Gewitter
Ein Gewitter ist ein beeindruckendes Ereignis. Zumindest dann, wenn man es wirklich unmittelbar erlebt. Wer schon einmal Blitz und Donner nicht aus der Ferne und der Sicherheit des eigenen Hauses erlebt hat, sondern in freier Natur und mittendrin; wer die Blitze in nächster Nähe einschlagen sehen und den sofort darauf folgende Donner ohrenbetäubend krachen gehört hat, kann nachvollziehen, wieso die Menschen früher davor ernsthaft Angst gehabt haben. Wieso sie sich in Blitz und Donner das Wirken von Göttern vorgestellt haben. Ein Gewitter ist auch heute noch spektakulär und furchteinflößend; daran ändert auch nichts, dass wir wissen, was da passiert.
Die Details der Entstehung eines Blitzes sind erstaunlich kompliziert. Aber alles fängt mit einer Wolke an. Mit einer Cumulonimbuswolke, auf deutsch: einer Gewitterwolke. Sie kann sich bis zu 10 Kilometer hoch auftürmen, dort oben in der kalten Atmosphäre bilden sich aus den Wassertropfen, die die Wolke bilden, Eiskristalle. Dann braucht es noch starken Wind in der Wolke; Luft muss mit 5 bis 20 Meter pro Sekunde nach oben strömen. Das kann passieren, wenn die Luftfeuchtigkeit hoch genug ist, und Wasserdampf zu kleinen Wassertropfen kondensiert. Dabei wird Wärme freigesetzt und die Luft in der Wolke wird wärmer, als sie es in dieser Höhe eigentlich sein sollte. Deswegen steigt sie auf, kühlt sich dabei ab und das verstärkt die Kondensation. Dadurch wird noch mehr Wärme frei; die Luft steigt weiter und noch schneller nach oben. Hoch über dem Boden ist es kalt genug, dass die Wassertropfen gefrieren, die Eiskristalle werden immer größer, bis sie schwer genug sind, um trotz der Aufwinde nach unten zu fallen. Die schweren Hagelkörner kollidieren dabei mit den noch leichteren und nach oben strömenden Eiskristallen. Dadurch werden sie elektrisch geladen; das ist genau so, wie wenn man mit einem Stück Fell an einem Luftballon reibt, der dann statisch geladen ist. Durch die Reibung werden Elektronen aus den Atomhüllen der leichten Eiskristalle herausgelöst und an die größeren Hagelkörner abgegeben. Die einen sind nun also elektrisch negativ geladen, die anderen elektrisch positiv. Die einen sinken nach unten, die anderen steigen nach oben. Am Ende findet man oben und unten in der Wolke große Ansammlungen an Teilchen mit unterschiedlicher elektrischer Ladung. Irgendwann kommt es zu einem Ausgleich dieser Ladungen; es fließt ein elektrischer Strom: Genau das ist ein Blitz. Es kann innerhalb der Wolke blitzen, aber auch zwischen Wolke und Boden. Und ist im Detail noch viel komplizierter, als ich das jetzt dargestellt haben.
Auf jeden Fall aber wird in sehr kurzer Zeit sehr viel Energie frei. Ein typischer Blitz dauert nur einen Sekundebruchteil; es gab aber auch schon Blitze, die über 10 Sekunden gedauert haben. Im Durchschnitt legt der elektrische Strom eine Strecke von ein paar Kilometern zurück, man hat aber auch welche gemessen, die ein paar hundert Kilometer lang waren. Aber egal wo und wie lange es blitzt: Die Luft wird dabei in unmittelbarer Nähe des Blitzes schlagartig auf bis zu 30.000 Grad Celsius erhitzt. Aufgrund der elektrischen Ladung sind Blitz und die Luft im Blitzkanal von einem Magnetfeld umgeben, dass die Ausdehnung der Luft verhindert. Sie wird also extrem erhitzt und die Luftmoleküle wollen sich dadurch sehr schnell bewegen. Sie können aber wegen des Magnetfeldes nirgendwo hin, das heißt, der Druck steigt enorm an. Wenn der Blitz dann eingeschlagen hat und das Magnetfeld verschwindet, kann sich die Luft endlich ausdehnen, was sie dann auch explosionsartig tut. Das Resultat ist der Donnerknall, der jeden Blitzeinschlag begleitet.
Donner und Blitz begleiten uns Menschen schon von Anfang an. Gewitter gab es schon lange, bevor das erste Leben auf der Erde sich entwickelt hat. Jeden Tag schlagen ein paar Millionen Blitze auf der Erde ein; ein paar 100 pro Sekunde. Zu jedem beliebigen Zeitpunkt toben ein paar tausend Gewitter irgendwo auf dem Planeten. Die Wissenschaft hat sich schon immer intensiv mit den Gewittern beschäftigt - aber trotz der langen Forschungsgeschichte finden wir immer wieder etwas Neues heraus. Zum Beispiel, dass bei Gewittern Antimaterie erzeugt wird! Das wissen wir dank des Fermi-Gammastrahlenteleskops. Das Ding fliegt durchs Weltall und sucht eigentlich nach Gammablitzen im fernen Universum, zum Beispiel weil irgendwo in einer anderen Galaxie zwei Neutronensterne kollidieren. 2011 hat das Fermi-Weltraumteleskop aber auch Gammastrahlung in der Nähe von Gewitterwolken auf der Erde entdeckt. Das ist überraschend, weil Blitze zwar natürlich leuchten. Auch ein bisschen im hochenergetischen Gammalicht. Darüber hinaus hatte die von Fermi beobachtete Gammastrahlung aber eine ganz bestimmte Energie, nämlich genau die, die frei wird, wenn Elektronen mit ihren Antiteilchen, den Positronen, kollidideren, sich dabei auslöschen und so in reine Energie umwandeln. 2017 haben Forscherinnen und Forscher aus Japan die Sache dann im Detail untersucht. Und festgestellt, was passiert. Zuerst erzeugt die Blitzentladung ein kleines bisschen Gammastrahlung. Das ist normal und war zu erwarten. Die hochenergetische Strahlung kann nun aber ein Neutron aus dem Atomkern von Stickstoffatomen in der Luft herausschlagen. Dadurch entsteht ein radioaktives Isotop des Stickstoffs, das zu Kohlenstoff zerfällt. Dabei wird ein Proton im Atomkern in ein Neutron umgewandelt und bei dieser Kernreaktion wird ein Positron frei. Also das Antiteilchen des Elektrons und wenn beide aufeinandertreffen, löschen sie sich aus und erzeugen Strahlung mit der von Fermi beobachteten charakteristischen Energie.
Ein Gewitter ist also nicht nur ein beeindruckendes Naturereignis, sondern eines, das wie ein Teilchenbeschleuniger Kernreaktionen auslösen und Antimaterie produzieren kann. Und wenn schon hier bei uns auf der Erde so verrückte Sachen passieren, wie muss es dann erst auf anderen Planeten aussehen? Aber gibt es dort überhaupt Gewitter?
Damit ein Gewitter stattfinden kann, braucht es eine Atmosphäre. Damit fällt der Merkur schon mal raus, genau so wie der Mond, die ja beide keine Atmosphäre haben. Aber was ist zum Beispiel mit dem Mars? Der hat eine Atmosphäre; die ist aber extrem dünn und reicht eigentlich nicht für die Bildung von Gewitterwolken. Es gibt aber immer wieder große Staubstürme und die Staubteilchen in der Marsatmosphäre können im Prinzip eine elektrische Ladung aufbauen. Es könnte also Blitze auf dem Mars geben. 2009 glaubte man auch, konkrete Hinweise auf Blitzentladungen am Mars entdeckt zu haben. Man hat nicht die Blitze selbst beobachtet, aber Mikrowellenstrahlung die aus einem Staubsturm zu kommen schien. Weitere Beobachtungen konnten das aber nicht bestätigen. Laborexperimente mit Staubteilchen haben gezeigt, dass der niedrige Luftdruck der Marsatmosphäre verhindert, dass sich wirklich starke elektrische Ladungen aufbauen. Wenn es auf dem Mars tatsächlich blitzen sollte, dann sind die Gewitter dort auf jeden Fall sehr schwach.
Wie sieht es auf unserem anderen Nachbarplaneten aus, der Venus? Die hat ja mehr als genug Atmosphäre; sie ist extrem dicht, viel dichter als auf der Erde. Wolken gibt es dort auch. Und Blitze? Diverse Raumsonden haben immer wieder mal entsprechende Radiogeräusche beobachtet, die auf Gewitter hindeuten könnte. Die japanische Raumsonde Akatsuki hat 2020 einen Lichtblitz in der Atmosphäre der Venus gesehen, der ein Blitz gewesen sein könnte. Aber es fehlt auch hier ein eindeutiger Nachweis. Die Wolken der Venus sind auch nicht mit den Wolken der Erde zu vergleichen. Sie bestehen nicht aus Wasser und sie bewegen sich vor allem viel, viel schneller. Sie sausen um den Planeten herum, mit enormer Geschwindigkeit und das könnte die Entstehung echter, sich horizontal auftürmender Gewitterwolken verhindern.
Bei Jupiter lässt sich die Frage nach außerirdischen Blitzen dagegen mit einem definitiven Ja! beantworten. Der größte Planet des Sonnensystems ist ja quasi ausschließlich Atmosphäre, ein Gasplanet ohne feste Oberfläche. Seit wir in den 1970er Jahren die Voyager-Sonden zu den Gasplaneten des äußeren Sonnensystems geschickt haben, beobachten wir auch Gewitter in der Atmosphäre des Jupiter. Das erste Mal 1979, fotografiert von Voyager 1 und seitdem immer wieder von allen möglichen Raumsonden. Die dabei frei werdenen Radiowellen passten aber nicht zu dem, was wir von den Blitzen auf der Erde kennen. Erst die Raumsonde Juno konnte 2016 ein wenig Licht auf die Angelegenheit werfen. Juno war näher an Jupiter dran als die Raumsonden zuvor und konnte mit ihren Instrumenten die Radiostrahlung der Blitze genauer vermessen als alle anderen. Und dabei feststellen, dass sich die Blitze im Prinzip so verhalten wie Blitze auf der Erde. Sie finden nur ganz woanders statt: Bei uns gibt es die meisten Gewitter in den Tropen, in der Nähe des Äquators. An den Polen der Erde blitzt es dagegen eher selten. Auf Jupiter ist es genau umgekehrt. Der Grund dafür hat vermutlich mit der Wärmeverteilung zu tun: Die Erde kriegt ihre Wärme von außen; von der Sonne. Die Sonnenstrahlung ist am Äquator am stärksten und an den Polen am schwächsten. Dort wo die meiste Wärme in der Atmosphäre sitzt, finden auch die meisten Gewitter statt. Jupiter ist viel weiter von der Sonne weg; die Sonnenstrahlung spielt dort also keine so große Rolle. Die aus dem Inneren des Riesenplaneten kommende Wärme dafür viel mehr. Oder genauer gesagt: Die äußere und die innere Wärme wirken auf Jupiter ganz anders zusammen als auf der Erde. Die Sonnenstrahlung ist auch bei Jupiter am Äquator stärker als an den Polen. Durch die von außen zugeführte Energie sind die äquatorialen Atmosphärenschichten stabiler; die an den Polen aber nicht. Dort kann das warme Gas aus den tieferen Schichten von Jupiter deshalb leichter aufsteigen; die Atmosphäre ist dort turbulenter und Gewitterwolken können sich einfacher bilden. Die Daten von Juno zeigen, dass Gewitter insgesamt auf Jupiter so häufig sind wie auf der Erde.
Auch auf Saturn hat man Gewitter beobachtet. Die Raumsonde Cassini konnte dort Gewitterstürme sehen, die monatelang dauerten. Auch auf Uranus blitzt es. Bleibt noch Neptun: Der fernste Planet des Sonnensystems ist dem Uranus sehr ähnlich. Aber Gewitter hat man dort noch nicht gesehen. Man hat zwar ein paar Ereignisse aufgezeichnet, die auf Blitze hindeuten. Aber viel zu wenig, um sicher sein zu können. Das muss nicht heißen, dass es dort keine Gewitter gibt. Es wäre überraschend, wenn das der Fall wäre, denn - wie gesagt - Uranus und Neptun sind sich sehr ähnlich. Aber eben nicht identisch; vielleicht sorgt die leicht unterschiedliche chemische Zusammensetzung der Atmosphären dafür, dass Gewitter bei Neptun ein wenig seltener sind als bei Uranus. Und dann ist Neptun ja auch viel weiter entfernt als Uranus; und dadurch auch schwerer zu beobachten. Wir müssten endlich mal wieder Raumsonden dort hinaus schicken; dann würden wir sicher auch die Blitze in der Atmosphäre von Neptun beobachten können.
Es gibt noch viele Orte, an denen wir nach Gewittern suchen können. Viele andere Sterne haben Planeten; manche davon haben Atmosphären und wo Atmosphären sind, kann es auch Blitz und Donner geben. Es ist zwar schwer, die Gewitter auf den Planeten anderer Sterne nachzuweisen. Dazu müssten wir Radiosignale von dort empfangen und dafür sind unsere Instrumente nicht gut genug. Aber irgendwann klappt es vielleicht und es wäre durchaus interessant, über die extrasolaren Gewitter Bescheid zu wissen. Aus der Häufigkeit und der Verteilung von Blitzen kann man einiges über die Vorgänge in der Atmosphäre herausfinden, in der sie stattfinden. Extrasolare Gewitter können uns also sagen, wie das Wetter auf anderen Planeten ist, wie und ob sich dort Wolken bilden, und so weiter. Wenn wir die Gewitter über längere Zeit hinweg beobachten könnten, dann könnten wir vielleicht sogar Aussagen über das Klima dort machen. Und - wie ich anfangs erzählt habe - Blitze können auch Kernreaktionen in der Atmosphäre auslösen; sie können Einfluss auf die chemische Zusammensetzung haben. Und ganz unabhängig von den besonderen Prozessen bei denen Antimaterie frei wird: Blitze sind Energie. Je mehr freie Energie verfügbar ist, desto mehr und speziellere chemische Reaktionen können stattfinden. Und wenn die chemischen Reaktionen irgendwann SEHR speziell werden, wird aus der Chemie vielleicht irgendwann Leben…

Sep 10, 2021 • 9min
Sternengeschichten Folge 459: Ist das Universum ein schwarzes Loch?
Wir sind ein Universum, holt uns hier raus!
Sternengeschichten Folge 459: Ist das Universum ein schwarzes Loch?
Leben wir in einem schwarzen Loch? Doofe Frage, könnte man meinen. Aber tatsächlich ist das eine Frage, die sehr oft gestellt wird. Es ist eine Frage, mit der sich auch die Wissenschaft beschäftigt. Es ist also auch eine Frage für die Sternengeschichten! Wir müssen aber zuerst einmal klären, was wir meinen, wenn wir fragen, ob das Universum ein schwarzes Loch ist.
Nehmen wir die Sache zuerst einmal wörtlich. Und fangen wir noch einmal kurz mit den schwarzen Löchern an. Darüber habe ich in den Folge 40 und 41 in der Sternengeschichten schon ausführlich gesprochen. Ganz simpel und in so wenig Worten wie möglich ist ein schwarzes Loch eine Region in der Raumzeit, in der ausreichend viel Masse auf ausreichend kleinem Raum konzentriert ist. So ausreichend, dass die Krümmung der Raumzeit so stark wird, dass nichts mehr aus dieser Region rauskommt. Um den Einflussbereich einer Masse zu verlassen, muss man ausreichend schnell sein. Je stärker die Raumkrümmung, desto größer die Gravitationskraft, desto schneller muss man sein. Und wenn die Raumkrümmung stark genug ist, wird diese Fluchtgeschwindigkeit irgendwann größer als die Lichtgeschwindigkeit. Nichts kann schneller als das Licht sein, also kommt aus so einer Region auch nichts mehr raus. Eine wichtige Größe die man hier kennen muss, ist der "Ereignishorizont". Das ist genau das Ausmaß der Region mit ausreichend starker Raumkrümmung. Was ein schwarzes Loch "wirklich" ist, interessiert uns vorerst nicht. Masse wird konzentriert, und irgendwann ist es dadurch möglich, dieser Masse so nahe zu kommen, dass man eine Gravitationskraft spürt, die einen nicht mehr entkommen lässt. Der Abstand zur Masse, bei dem das der Fall ist, ist der Ereignishorizont.
Die Details des Ereignishorizonts sind kompliziert; in erster Näherung kann man aber sagen, dass er nur von der Masse des schwarzen Lochs abhängt. Und von der Gravitationskonstante und dem Wert der Lichtgeschwindigkeit. Als Näherungsformel kann man annehmen, dass der Ereignishorizont gleich der Masse, multipliziert mit 1,485 mal 10 hoch minus 27 Meter pro Kilogramm ist. Setzt man die Masse der Sonne - 2 mal 10 hoch 30 Kilogramm ein, kommt man auf einen Wert von 2970 Meter. Das bedeutet, dass man die Masse der Sonne in eine Kugel mit einem Radius von 2970 Meter quetschen muss, damit ein schwarzes Loch entsteht.
Jetzt machen wir mal etwas anderes. Wir nehmen die geschätzte Masse des beobachtbaren Universums. Und berechnen, wie groß der Ereignishorizont hier wäre. Tut man das, dann kommt man auf ein Ergebnis, das ungefähr dem "Hubble-Radius" entspricht. Wir wissen ja, dass sich das Universum ausdehnt. Darüber habe ich ja erst in der letzten Folge gesprochen. Alle fernen Galaxien die wir beobachten, entfernen sich von uns. Und zwar um so schneller, je weiter sie entfernt sind. Das ist keine ECHTE Bewegung der Galaxien DURCH den Raum. Sondern etwas, was wir als sich bewegende Galaxien wahrnehmen, weil der Raum ZWISCHEN den Galaxien immer größer wird. Irgendwo, weit, weit, weit entfernt wird es also Galaxien geben, die sich so schnell von uns entfernen, dass das Licht es nicht mehr schafft, uns zu erreichen. Der Raum entfernt sich genau so schnell in die eine Richtung, wie sich das Licht in die andere Richtung ausbreitet. Oder anders gesagt: Die Galaxie entfernt sich mit Lichtgeschwindigkeit von uns. Nochmal: Die Galaxie bewegt sich nicht mit Lichtgeschwindigkeit durch den Raum. Das verbieten die Naturgesetze. Zwischen uns und dieser fernen Galaxien wird der Raum einfach so schnell so viel größer, dass wir eine Bewegung mit dieser Geschwindigkeit beobachten. Jemand an einem anderen Beobachtungsort, zum Beispiel zwischen uns und dieser fernen Galaxie, würde NICHT sehen, wie sich die Galaxie mit Lichtgeschwindigkeit entfernt. Dieser Beobachter ist ja näher dran; es ist weniger Raum dazwischen und deswegen läuft die Expansion von dieser Warte aus langsamer ab. Das ist verwirrend, man muss ein wenig darüber nachdenken bis man es verstanden hat. Aber darum geht es eigentlich auch gar nicht in dieser Folge. Es geht darum, dass wir eine Entfernung definieren können, in der sich Objekte von uns aus gesehen mit Lichtgeschwindigkeit zu entfernen scheinen. Diese Entfernung nennen wir den "Hubble-Radius" und man kann sie als den Radius des Universums betrachten. Es gibt gute Gründe, das NICHT zu tun. Wir wissen, dass das gesamte Universum viel größer ist als der Hubble-Radius. Sein muss, weil der Hubble-Radius ja vom Beobachtungsstandpunkt abhängt. Andere Beobachter anderswo im Universum würden den gleichen Wert für den Hubble-Radius berechnen, ihre "Hubble-Sphäre", also das, was innerhalb des Hubble-Radius liegt, würde aber einen ganz anderen Bereich umfassen als unsere.
Das, worauf es ankommt, ist folgendes: Die Masse des Universums, die innerhalb seines Hubble-Radius liegt, ist mehr oder weniger so groß wie die Masse, die ein schwarzes Loch mit gleichem Radius haben müsste. Folgt daraus als, dass das Universum ein schwarzes Loch ist? Nein! Das hat mehrere Gründe. Zuerst der komplizierte Grund: Der Ereignishorizont eines schwarzen Lochs ist kein fixes Ding; kein physikalisches Objekt. Da ist nicht wirklich irgendwas im All, auf das man stößt, mit dem man zusammenprallt, oder so. Würde man sich auf ein schwarzes Loch zubewegen, würde man nicht merken, dass da ein Ereignishorizont ist. Den sieht man nur von außen, wenn man sich nicht bewegt. Das ganze kann man verstehen, wenn man die mathematischen Gleichung der Allgemeinen Relativitätstheorie betrachtet. Was wir jetzt aber nicht tun wollen. Es geht nur darum, dass die Lage des Ereignishorizonts eines schwarzen Lochs von der Position und Geschwindigkeit des Beobachters abhängt. Man kann also nicht einfach sagen: Aus der Menge an Masse im Universum errechnet sich ein Ereignishorizont von X und der ist so groß wie der Hubble-Radius, deswegen ist das Universum ein schwarzes Loch. So einfach ist das mit dem Ereignishorizont nicht. Vor allem, weil die Masse im Universum extrem gleichmäßig verteilt ist. Das wäre in einem schwarzen Loch NICHT der Fall. Hier muss die Masse extrem stark konzentriert sein; ohne Leerräume dazwischen. Sonst kriegt man die nötige Raumkrümmung nicht zustande, die ein schwarzes Loch ausmacht.
Also: Das Universum sieht nicht wie ein schwarzes Loch aus. Aber was ist mit der Rechnung? Es kann doch kein Zufall sein, dass der Hubble-Radius dem Ereignishorizont eines schwarzen Lochs mit gleicher Masse so ähnlich ist? Ist es auch nicht. Ich will auch hier nicht in die mathematischen Details gehen. Aber sowohl der Berechnung des Ereignishorizonts als auch der Berechnung der Massendichte im Universum liegen die selben Gleichungen der allgemeinen Relativitätstheorie zugrunde. In beiden Formeln muss man grundlegende Naturkonstanten wie die Gravitationskonstante oder die Lichtgeschwindigkeit miteinander verknüpfen und das kann man nicht auf beliebig viele Arten tun. Will man aus diesen Konstanten und einer Masse, eine Längenskala bestimmen, hat man eigentlich nur eine Wahl und die führt dann eben in beiden Rechnungen auf das annähernd gleiche Ergebnis.
Das Universum ist kein schwarzes Loch; was man ja auch daran merkt, dass es expandiert. Das ist genau das Gegenteil von dem, was Masse in einem echten schwarzen Loch machen würde; da würde alles auf das Zentrum zu fallen. Und - wie ich in der letzten Folge sehr ausführlich erklärt habe - ein Zentrum hat das Universum ja auch nicht.
Das Universum in dem wir leben, ist großartig und faszinierend. Das gilt auch für schwarze Löcher. Dass wir IN einem schwarzen Loch leben, ist aber trotzdem enorm unwahrscheinlich. Wenn, dann sollten wir uns in dem Zusammenhang den Urknall anschauen. Vielleicht war der Urknall ein schwarzes Loch? Aber das ist eine ganz andere Geschichte, mit der wir uns ein anderes Mal beschäftigen müssen.

Sep 3, 2021 • 16min
Sternengeschichten Folge 458: Im Mittelpunkt des Universum
Alles dreht sich nur um mich
Sternengeschichten Folge 458: Im Mittelpunkt des Universum
Willkommen im Mittelpunkt des Universum! Wenn wir ehrlich sind, denken wir doch alle, dass wir der Mittelpunkt des Universums sind, oder nicht? Geht ja auch kaum anders; wir alle betrachten das Universum quasi aus dem Inneren unseres Gehirns und von dort aus kann es nur so aussehen, als würde sich alles um uns drehen. Aber heute geht es nicht um Psychologie sondern um die durchaus aus astronomischer Sicht berechtigte Frage: Wo ist der Mittelpunkt des Universums?
Aus historischer Sicht hat man dieses Zentrum lange Zeit in das Zentrum der Erde gelegt. Das lag natürlich einerseits daran, dass man nicht gewusst hat, was da draußen noch alles ist. Mit "Universum" hat man damals - wir sind jetzt in der griechischen Antike - etwas ganz anderes gemeint als das, was wir uns heute vorstellen. Das Universum war die Erde. Um die Erde herum waren ein paar himmlische Sphären, wie die Schalen einer Zwiebel. An diesen Schalen waren die Planeten montiert und ganz außen war die Schale mit den Lichtern der Sterne. Das wars; das Universum war die Erde mit ein bisschen Beiwerk drumherum. Es gab auch philosophisch-wissenschaftliche Gründe, die Erde als Zentrum zu betrachten. Über den Aufbau der Materie wusste man damals noch nicht viel; auch nicht, wie die fundamentalen Kräfte funktionieren. Man konnte auch nicht viel wissen; es gab keine Messinstrumente, Mikroskope, Teilchenbeschleuniger oder sonst irgendwas, mit dem man das herausfinden konnte. Den Leuten ist nicht viel anderes übrig geblieben, als sich mehr oder weniger logisch klingende Hypothesen auszudenken. Eine davon geht auf Aristoteles zurück: Das ist der, der die Materie in die vier klassischen Elemente Feuer, Wasser, Erde und Luft eingeteilt hat. Alles sollte aus diesen grundlegen Materieformen bestehen. Und jeder dieser Arten von Materie sollte eine ganz bestimmte Art der Bewegung innewohnen; die wäre quasi von Werk an fix eingebaut. Alles wo viel vom Element Luft enthalten ist, steigt nach oben. Denn der "natürliche Ort" der Luft ist der Himmel und alles will immer zu seinem natürlichen Ort zurück. Deswegen steigt Rauch auf und bleibt nicht am Boden liegen. Der natürlich Ort des Elements Erde dagegen ist das Zentrum des Universums. Dort will sie hin und wenn wir beobachten, dass Sachen zu Boden fallen, muss das daran liegen, dass das Zentrum des Universums unter unseren Füßen ist. Im Mittelpunkt der Erde und es ist nur logisch, dass die Erde genau diesen Mittelpunkt besetzt, denn wo sonst soll sich im Universum das ganze Zeug ansammeln?
Mit dem damaligen Wissen (oder dem Mangel daran) klingt das plausibel. Aber auch in der Antike gab es schon Gelehrte, die das anders gesehen haben und sich andere Welten wie die Erde vorgestellt haben, was die Frage nach dem Mittelpunkt dann wieder kompliziert macht. Aber wie gesagt: Mehr als spekulieren konnte man damals nicht. In der frühen Neuzeit verstand man schon ein wenig mehr. Isaac Newton hat erklärt, warum Zeug wirklich zu Boden fällt und die Sache mit der Gravitationskraft herausgefunden. Johannes Kepler hat aus Beobachtungsdaten herausgefunden, dass sich die Erde um die Sonne dreht und nicht umgekehrt; wir also nicht das Zentrum von allem sein können.
Aber selbst dann waren noch viele überzeugt, dass nun eben die Sonne im Zentrum des Universums sein müsste. Vor allem, weil man lange Zeit auch nicht wusste, was man mit dem ganzen Rest der Sterne anfangen soll. Man wusste nicht, wie weit sie entfernt sind; das konnte der deutsche Astronom Friedrich Wilhelm Bessel erst 1838 messen. Ab da wusste man: Das Universum ist sehr, sehr viel größer als die "Erde mit Beiwerk", die sich die alten Griechen vorgestellt hatten. Und warum sollte die Sonne da genau im Mittelpunkt all dieser Sterne stehen?
Auch dafür gab es - aus damaliger Sicht - nicht unplausible Gründe. Wenn man zum Himmel schaut, dann sieht man überall Sterne. Es gibt keine Richtung, in der der Himmel grundlegend anders aussieht. Wenn zum Beispiel die eine Hälfte des Himmels voll mit Sternen wäre, die andere aber komplett leer, dann wäre das ein Zeichen dafür, dass wir uns irgendwo am Rand einer Ansammlung von Sternen befinden. Wir sehen die Sterne aber überall und egal wohin wir schauen: Im Prinzip sieht alles ähnlich aus. Das haben viele als Hinweis gedeutet, dass wir uns eben doch im Zentrum befinden. Aber, wird jetzt der eine oder die andere einwenden, was ist denn mit den anderen Galaxien? Richtig - aber wir wissen ja erst seit den 1920er Jahren, dass es so etwas wie "andere Galaxien" überhaupt gibt! Bis dahin war unklar, ob die nebelartigen Gebilde am Himmel aus unvorstellbar weit entfernten Sternen bestehen oder tatsächlich einfach nur kosmische Wolken in unserer Nähe sind. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat man heftig diskutiert, wo sich die Sonne in der Milchstraße befindet und ob die Milchstraße alles ist, was im Universum existiert oder nicht. Es gab Argumente für die Behauptung, dass wir im Zentrum der Milchstraße sitzen und darüber hinaus nichts existiert; wir also im Zentrum des Universums sind. Aber auch Argumente dagegen.
Die Sache hat erst die Beobachtung von Edwin Hubble und seinen Kollegen geklärt. Sie haben gezeigt, dass es jede Menge Galaxien da draußen gibt; das wir weder im Zentrum der Milchstraße sind, noch die Milchstraße alles ist, was existiert. Aber die Sache mit dem Zentrum war immer noch unklar. Hubble hat nämlich auch gezeigt, dass sich alle anderen fernen Galaxien von uns weg bewegen. Umso schneller, je weiter sie entfernt sind. Es sieht ganz so aus, als würden wir im Mittelpunkt einer großen Expansionsbewegung stehen. Egal wohin wir schauen, alles entfernt sich von uns. Daraus folgt, dass die anderen Galaxien früher viel näher bei uns waren. Und wenn wir weit genug in die Vergangenheit schauen, dann waren sie alle genau da, wo wir jetzt sind. Ist vielleicht die Milchstraße das Zentrum des Universums, von dem aus sich alles in alle Richtungen davon bewegt?
Lassen wir die Historie jetzt mal sein und schauen wir auf das, was wir heute wissen. Die Expansion des Universums ist real; es bewegt sich tatsächlich alles von uns fort. Oder besser gesagt: Alles bewegt sich von allem anderen fort. Würden wir unsere Beobachtungen von irgendeinem anderen Punkt im Universum aus anstellen, würden wir dort genau so beobachten, dass sich alle Galaxien von uns fortbewegen. Das klingt verwirrend, ist es aber eigentlich gar nicht. Nehmen wir ein anderes Beispiel: Ich sitze auf einem Fahrrad und fahre mit 15 km/h einen schnurgeraden Radweg entlang. Vor mir auf dem Weg sind zwei schnellere Räder unterwegs; eines mit 20 km/h, eines sogar mit 25 km/h. Und hinter radelt jemand mit nur 10 km/h vor sich hin. Aus meiner Sicht stellt sich die Sache nun so dar: Ich sehe, wie sich das Rad hinter mir mit 5 km/h entfernt: Ich bin ja genau um diese 5 km/h schneller und radle dem Rad hinter mir davon. Das Rad vor mir entfernt sich aber auch mit 5 km/h von mir, weil es um diese 5 km/h schneller ist als ich. Und das Rad ganz an der Spitze entfernt sich sogar mit 10 km/h von mir. Aus meiner Sicht bewegen sich also alle anderen Räder von mir weg, umso schneller je weiter sie entfernt sind. Genau das gleiche würde aber auch die Person beobachten, die vor mir radelt. Sie ist um 5 km/h schneller als ich und sieht, wie ich mit mit diesen 5 km/h von ihr entferne. Das Rad hinter mir entfernt sich aus Sicht dieser Person sogar mit 10 km/h und das Rad an der Spitze saust mit 5 km/h davon. Auch hier sieht man also: Alle anderen Räder entfernen sich. In Wahrheit radeln wir aber alle hintereinander in die gleiche Richtung; nur eben unterschiedlich schnell. Niemand ist der Mittelpunkt von irgendwas.
Die Analagie mit den Rädern kann man nicht 1:1 auf das Universum umlegen. Aber sie zeigt, dass das mit dem Mittelpunkt schwierig ist. Wir müssen berücksichtigen, dass wir selbst uns auch bewegen. Aber wir müssen auch noch sehr viel mehr Dinge berücksichtigen. Halten wir zuerst einmal fest: Vor 13,8 Milliarden Jahren gab es den Urknall. Seitdem dehnt sich das Universum aus. Wegen dieser Expansion sehen wir, wie sich alles andere von uns entfernt, was aber nicht daran liegt, das wir der Mittelpunkt von irgendwas sind. Sondern nur daran, dass wir diese Bewegung mit allen anderen Galaxien mitmachen. Aber muss es dann nicht trotzdem einen Mittelpunkt geben? Den Ort, an dem der Urknall stattgefunden hat? Der Ort, wo diese ganze Bewegung angefangen hat?
Das klingt logisch, ist es aber nicht. Der Denkfehler liegt darin, sich den Urknall tatsächlich als Explosion vorzustellen. Bei einer Explosion ist es ja wirklich so, dass sie irgendwo an einem konkreten Ort stattfindet. Und sich danach alles von diesem Ort entfernt. Wir könnten - egal wo wir uns in der Trümmerwolke dieser Explosion befinden - schauen, wie sich das ganze andere Zeug bewegt. Das, das noch nahe am Zentrum ist, muss sich am schnellsten bewegen; die weit entfernten Trümmer sind schon langsamer geworden und wenn wir das alles genau messen, können wir ausrechnen, wo die Explosion stattgefunden hat.
Beim Universum hat aber keine Explosion stattgefunden. Die Galaxien bewegen sich nicht deswegen alle voneinander fort, weil sie bei einer Explosion vor 13,8 Milliarden Jahren in alle Richtungen davon geschleudert worden sind. Die Expansion des Universums ist eine Expansion des Raums. Das heißt: Wir sehen die Galaxien deswegen sich entfernen, weil der Raum zwischen ihnen und uns sich ausdehnt. Die Galaxien werden einfach "mitgezogen". Der Urknall war keine "Explosion", die im Raum an einem bestimmten Ort stattgefunden hat. Der Urknall war das Ereignis, bei dem der Raum erst entstanden ist. Beziehungsweise, um die ganzen philosophischen Probleme mal wegzulassen, die man immer kriegt wenn man vom ultimativen Anfang spricht, lassen wir die Zeit einfach mal nur bis FAST zum Urknall zurücklaufen. Der Raum wird immer kleiner und kleiner. Das Universum schrumpft. Es schrumpft nicht IM Raum; der Raum selbst wird immer kleiner und kompakter. Bis wir irgendwann an einem Zeitpunkt angelangt sind, an dem das ganze Universum so groß wie ein Fußball ist. Es ist kein Fußball, der irgendwo im Raum liegt. Der Fußball ist alles, was ist. Alle Orte, die heute über das ganze gewaltige Universum verstreut sind, befinden sich jetzt IN diesem Fußball. Würden wir noch weiter zurück gehen, würde alles noch weiter schrumpfen. Der Urknall war das Ereignis, bei dem diese enorm dichte Struktur aus Raumzeit angefangen hat, sich auszudehnen. Es war keine Explosion im Raum; es war ein Ereignis, bei dem alle Punkte im Raum angefangen haben, sich voneinander zu entfernen. Oder etwas anders gesagt: Beim Urknall waren alle Orte ein einziger Ort. Oder noch etwas anders ausgedrückt: Der Urknall hat an jedem Ort stattgefunden! Seit damals ist das Universum gewachsen und wir können durchaus sagen, dass heute jeder Punkt im Universum der Punkt ist, an dem der Urknall passiert ist. Weil jeder Punkt früher mit jedem anderen Punkt ein Punkt war: Der Punkt, an dem alles angefangen hat.
Das kann man sich nicht vorstellen; ich weiß. Das ist auch noch nicht einmal das komplette Bild. Wenn ich von Fußbällen und ähnlichem rede, dann stellt man sich zwangsläufig dreidimensionale Objekte im dreidimensionalen Raum vor. Wir haben es aber mit einer vierdimensionalen Raumzeit zu tun. Und mit der Unendlichkeit, die alles noch ein wenig komplizierter macht.
Aber belassen wir es einmal dabei: Wenn es kein Zentrum des Universums gibt; wenn jeder Punkt des Universums das Zentrum ist: Wie ist das dann mit der kosmischen Hintergrundstrahlung? Darüber habe ich ja in Folge 316 schon ausführlich gesprochen. Wenn wir mit Radioteleskopen zum Himmel schauen, dann sehen wir - egal in welche Richtung wir blicken - immer die gleiche Strahlung mit der gleichen Temperatur auf uns zukommen. Das ist die kosmische Hintergrundstrahlung und sie entstand 400.000 Jahre nach dem Urknall, als das Universum sich weit genug ausgedehnt und abgekühlt hatte, damit die in ihm vorhandene Energie in Form von Licht nicht mehr von den ganzen Teilchen aufgehalten wurde, sondern sich frei ausbreiten konnte. Wenn dieser Hintergrund aber überall im Universum gleich ist, kann man da nicht doch irgendwie einen Mittelpunkt daraus basteln? Müssen wir nicht doch in einem Mittelpunkt sein, wenn sie in jede Richtung gleich aussieht?
Wenn man so will, dann ja. Wir sind im Mittelpunkt des "Beobachtbaren Universums". Das ist jener Teil des Universums, den wir von der Erde aus prinzipiell beobachten können. Licht braucht Zeit um sich zu bewegen. Wir können nur das sehen, bei dem das Licht es geschafft hat, in den letzten 13,8 Milliarden Jahren bis zu uns zu gelangen. Die kosmische Hintergrundstrahlung ist ÜBERALL im Universum entstanden, gleichzeitig. Damals hat sie sich von jedem Punkt des Universums aus auf den Weg gemacht. Wenn wir heute zum Himmel schauen, dann sehen wir genau den Teil dieser Strahlung, der JETZT von allen anderen Punkten bei uns ankommt. Wären wir irgendwo anders im Universum, dann würden wir den gleichen Hintergrund sehen - die Strahlung wäre aber Strahlung, die von anderen Punkten kommt, nämlich von denen, die für diesen Ort gerade passend liegen. Es ist wie beim Mittelpunkt: Es gibt keinen einzigen Ort, an dem die kosmische Hintergrundstrahlung entstanden ist und den wir beobachten können. Sie ist überall entstanden; auch da wo wir jetzt sind. Da ist sie halt schon längst weg und anderswo.
Es gibt keinen Mittelpunkt des Universums. Oder jeder Punkt ist der Mittelpunkt des Universums. Das kann man sehen, wie man es am liebsten hat.

Aug 27, 2021 • 13min
Sternengeschichten Folge 457: Das Kreuz des Südens
Tama Rereti und die ersten Sterne am Himmel
Sternengeschichten Folge 457: Das Kreuz des Südens
Diejenigen, die diese Folge aus dem Osten Deutschlands anhören, werden bei "Kreuz des Südens" vielleicht an die Mischung aus Aprikosenlikör und Rum denken, die dort lange Zeit unter diesem Namen verkauft worden ist. Darum soll es aber heute nicht gehen. Es geht um Sterne; es geht - genauer gesagt - um ein Sternbild. Das "Kreuz des Südens" das Thema dieser Folge ist, finden wir nicht in einer Flasche, sondern am Himmel. Obwohl wir es auch auf der Flasche finden. Das Sternbild "Kreuz des Südens" gehört zu den beliebtesten und bekanntesten Sternbildern und ist deswegen eben nicht nur am Himmel zu sehen, sondern auch überall sonst. Auf Schnapsflaschen, Landesflaggen, Firmenlogos, und so weiter.
Aber bleiben wir erst mal beim Himmel. Das Kreuz des Südens ist - wie der Name schon andeutet - am südlichen Himmel zu sehen. Und mit Süden ist nicht Süddeutschland, Italien, oder sonst irgendwas in der Art gemeint. Wir müssen von Mitteleuropa viel weiter in den Süden; wir müssen bis zum Äquator, um eine Chance zu haben, das Sternbild zu sehen. Oder eben gleich auf die Südhalbkugel der Erde, von wo aus man die südliche Hälfte des Nachthimmels naturgemäß am besten sehen kann. Wenn man dort dann das Sternbild des Zentauren sucht, findet man in der Ecke des Himmels auch das Kreuz des Südens. Wenn man nicht weiß, wo der Zentaur ist, dann orientiert man sich am besten mit einer Himmelskarte. Oder man sucht die Milchstraße, denn das Kreuz des Südens liegt mitten in diesem hellen, milchigen Band, das sich vor allem am Südhimmel prächtig beobachten lässt. Sofern es dunkel genug ist, natürlich.
Das Kreuz des Südens ist klein; von allen 88 offiziellen Sternbildern des Himmels ist es das kleinste. Aber es ist auffällig! Man erkennt es - wenig überraschend - an der Kreuzform, die die vier hellsten Sterne dieses Sternbilds bilden. Und deswegen hat es für die Menschen auch schon immer eine wichtige Rolle gespielt. In Ozeanien hat man das Kreuz des Südens immer schon in die diversen Mythologien eingebaut. Auf den Inseln zwischen Australien und Papua-Neuguinea hat man die Sterne zu einem Dreizack angeordnet; ein wichtiges Instrument in einer Kultur, die von Fischerei dominiert ist. In Brasilien hat man in der Konstellation einen Rochen erkannt. Bei den Māori in Neuseeland trägt das Kreuz des Südens den Namen "Melipal" und stellt den Anker des Schiffes des Kriegers Tama Rereti dar. Damals lebten die Menschen erst kurz auf der Erde. Es gab noch keine Sterne am Himmel und nachts war es stockfinster. In der dunklen Nacht lebten die die Taniwha, mächtige und gefährliche Naturgeister und Wächter der Welt, die alle auffraßen, die sich nachts draußen herumtreiben. Tama Rereti lebte am Ufer eines großen Sees und weil seiner Familie das Essen ausging, fuhr er hinaus um zu fischen. Nach erfolgreichem Fang wollte er wieder zurück, aber plötzlich war kein Wind mehr da. Tama Rereti wartete ab und schlief ein. Währenddessen wurde sein Boot bis ans nördliche Ende des Sees getrieben; weit entfernt von seinem Dorf. Als er aufwachte, musste er feststellen, dass er es vor Einbruch der Dunkelheit nicht mehr nach Hause schaffen würde. Tama Rereti hatte keine Angst vor den Taniwha, aber er wollte trotzdem zurück nach Hause. Zuerst aber machte er sich etwas zu essen. Er briet seine Fische über dem Feuer und stellte fest, dass die Steine in seiner Feuerstelle in der Nacht zu leuchten anfingen. Das brachte ihn auf eine Idee: Anstatt über den See zurück zu ruden, auf dessen Grund die Taniwha lebten, steuerte er sein Boot hinauf in den Himmel. Dort warf er die die leuchtenden Steine links und rechts über Bord. Als er endlich zuhause ankam, war der Himmel übersäht mit leuchtenden Punkten. Am nächsten Tag bekam er Besuch von Ranginui, dem Gott des Himmels. Der war gar nicht böse darüber, was Tama Rereti mit seinem Reich angestellt hatte, sondern freute sich über die vielen neuen Lichter. Jetzt konnten die Menschen endlich auch nachts durch die Welt gehen, ohne Angst vor der Dunkelheit. Und um alle immer daran zu erinnern, wie die Sterne an den Himmel gekommen sind, bat Ranginui den Krieger, sein Kanu dauerhaft am Himmel zu belassen.
Ich habe diese sehr schöne Geschichte deswegen so ausführlich erzählt, um zu zeigen, dass es eben nicht nur die ganzen Legende aus der klassischen griechischen und römischen Mythologie gibt, die wir uns normalerweise über die Sterne erzählen. Das sind nur die Geschichten, die wir hier in Europa uns erzählen (und nicht einmal da stimmt es, denn auch hier gibt es viel mehr Kulturen als die Griechen und Römer der Antike!). Überall auf der Welt haben die Menschen zum Himmel geschaut und sich Geschichten erzählt. Wir hier im globalen Norden neigen aber gerne dazu, diese Vielfalt der Himmelsbeoachtung zu ignorieren. Aber dazu später noch mehr. Würden wir uns nur auf die griechische Antike beschränken, gäbe es über das Kreuz des Südens auf jeden Fall nicht viel zu erzählen. Man kannte dort die Sterne des Kreuz des Südens. Vor ein paar tausend Jahren war die Erdachse noch in eine andere Richtung des Himmels geneigt als heute und das Kreuz des Südens war auch von Mittel- und Nordeuropa aus sichtbar. Trotzdem ist es nicht in der Liste der 48 klassischen Sternbilder gelandet, die schon in der Antike zusammengestellt worden ist. Man hat die Sterne einfach dem Sternbild des Zentauren zugeschlagen. Und vor ungefähr 2500 Jahren war das Kreuz des Südens dann von Europa aus nicht mehr sichtbar und man hat sich vorerst nicht mehr damit beschäftigt.
Das hat sich erst im 16. Jahrhundert wieder geändert, als die Menschen aus Europa anfingen, auf ihren Entdeckungs- und Eroberungsfahrten auch die südlichen Ozeane zu bereisen. Den christlich geprägten Leuten ist das Kreuz am Himmel natürlich sofort aufgefallen und gegen Ende des 16. Jahrhunderts tauchte es dann auch auf den ersten Himmelskarten auf. Es war vor allem auch deswegen ein sehr nützliches Sternbild, weil man damit die Richtung zum Südpol bestimmen konnte. Genau so wie man auf der Nordhalbkugel der Erde die Konstellation des Großen Wagens nutzen kann, um die Nordrichtung zu bestimmen, geht das auf der Südhalbkugel mit dem Kreuz des Südens. Dazu muss man nur die längere Achse des Kreuzes ungefähr um das 4,5fache verlängern.
Die Sterne, die das Kreuz des Südens bilden, sind aus astronomischer Sicht nicht weiter aufsehenerregend. Der hellste Stern - Acrux - ist 321 Lichtjahre von der Erde entfernt und besteht eigentlich aus drei Sternen. Wir sehen aber nur den hellsten der drei, der wirklich hell leuchtet und kaum übersehen werden kann. Der zweithellste Stern ist Becrux, ein blauer Riesenstern, 353 Lichtjahre weit weg. Gacrux, der dritthellste Stern ist nur 88 Lichtjahre weit weg und einer der uns nächstgelegenen roten Riesensterne. Decrux, der vierthellste Stern, ist 345 Lichtjahre weit weg und langsam fragt sich sicher der eine oder die andere, was das für komische Namen sind? Acrux, Becrux, Gacrux und Decrux? Klingt ein bisschen wie in einem Asterix-Heft - die Namen haben aber wieder mit unserer Ignoranz anderer Kulturen zu tun. Viele der hellen Sterne am nördlichen Himmel haben Eigennamen. Sirius, Polaris, Beteigeuze, Vega, und so weiter. Das sind die Namen, die Griechen, Römer und Araber im Laufe der Zeit vergeben haben und die wir heute noch benutzen. Für Sterne auf der Südhalbkugel, die wir vom Norden aus nicht sehen können, gibt es solche Namen nicht. Beziehungsweise gibt es natürlich Namen, nämlich die, die von den Menschen in Australien, Neuseeland, Südamerika, Afrika, und so weiter vergeben worden sind. Aber das hat uns nicht interessiert; wir haben uns daher an die Katalogbezeichnungen gehalten. 1603 hat der deutsche Astronom Johann Bayer ein weit verbreitetes System eingeführt: Sterne werden nach dem Sternbild benannt in dem sie sich befinden und anhand ihrer Helligkeit sortiert. Der hellste Stern bekommt den griechischen Buchstaben "Alpha", gefolgt vom lateinischen Namen des Sternbilds. "Alpha Centauri" zum Beispiel: Der hellste Stern im Sternbild Zentaur. Oder "Beta Geminorum", der zweithellste Stern im Sternbild Zwilling, den wir besser unter seinem Namen "Pollux" kennen. Das Kreuz des Südens hat den lateinischen Namen "Crux" und die Sterne dort heißen im Bayer-Katalog dann eben Alpha Crucis, Beta Crucis, Gamma Crucis, und so weiter. Was einfach zu "Acrux", "Becrux", "Gacrux" und "Decrux" verkürzt worden ist. Seit 2016 sind das sogar die von der Internationalen Astronomischen Union (IAU) offiziell anerkannten Namen der Sterne. Es wäre nett gewesen, diese eher doofen Namen zu verwerfen und sich an den traditionellen Namen zu halten, die auf der Südhalbkugel immer schon verwendet worden sind. Aber zumindest bei "Epsilon Crucis" hat man genau das gemacht. Der hieß - zum Glück - noch nicht "Epcrux". Und deswegen hat die IAU ihm den Namen "Ginan" gegeben. Das ist ein Begriff, den das Wardaman-Volk aus dem nördlichen Australien verwendet. Sie beschreiben damit ein Konzept aus ihren Mythen über die Erschaffung der Welt. Ginan war eine Art Tasche, voller Lieder, aus denen die Welt entstanden ist.
In Australien hat man überhaupt einen ganz besonderen Blick auf den Himmel. Die Sternbilder dort sind nicht immer nur STERNbilder. Wenn man das Kreuz des Südens in einer klaren und dunklen Nacht beobachtet, dann erkennt man dort einen dunklen Fleck. So als würde eine dunkle Wolke vor den Sternen liegen. Genau das ist auch der Fall: Man kann dort den "Kohlensack" sehen, eine sogenannte Dunkelwolke. Die fällt vor allem deswegen auf, weil sie von uns aus gesehen direkt vor der Milchstraße mit ihren unzähligen Sternen steht. Solche Wolken aus Gas und Staub gibt es überall zwischen den Sternen; sie sind oft mehrere hundert Lichtjahre groß und die Regionen, in denen neue Sterne entstehen. Meistens können wir diese Wolken ohne optische Hilfsmittel nicht sehen, aber wenn sie am Himmel gerade vor der sternenhellen Region der Milchstraße stehen, fallen sie natürlich auf. Die Aborigines in Australien haben sie auch gesehen und daraus ihre eigenen Konstellationen gebastelt. Der Kohlensack ist - gemeinsam mit anderen Dunkelwolken - Teil des "Himmels-Emu", eine von dunklen Flecken gebildete Figur die einem Emu ähnelt.
Das Kreuz des Südens ist ein wunderbares Beispiel für den Einfluss, den Sterne immer schon auf uns gehabt haben. Die ganze Welt ist voll mit Geschichten über diese Sterne. Wir finden das Kreuz des Südens heute auf den Flaggen von Brasilien, Australien, Neuseeland, Papua-Neuguinea und Samoa. Jede Menge Bundesstaaten dieser Länder haben es auch auf ihren regionalen Fahnen. In der brasilianischen Hymne singt man "A imagem do Cruzeiro resplandece", was so viel heißt wie "Das Bild des Kreuzes scheint"; in Australien lautet eine Zeile der Hymne "Beneath our radiant Southern Cross we'll toil with hearts and hands". Man besingt das Kreuz in Samoa; es taucht in der Popmusik auf, in der Literatur, im Logo der Europäischen Südsternwarte, auf den australischen Münzen, dem Vereinswappen des brasilianischen Fußballvereins Cruzeiro Belo Horizonte und dem Logo von Mercosur, dem "Gemeinsamen Markt Südamerikas", eine internationale Wirtschaftsorganisation ähnlich der frühen Europäischen Union.
Und wenn wir von den staatlichen und wirtschaftlichen Symbolen weg und in die wunderbaren und vielfältigen Mythen der Völker dieser Erde schauen, dann ist das Kreuz des Südens auch dort überall zu finden. Die Sterne haben uns von Anfang an begleitet und bis heute nicht losgelassen. Seien wir also dankbar, dass Tama Rereti sie damals an den Himmel gesetzt hat.

Aug 20, 2021 • 14min
Sternengeschichten Folge 456: Der interstellare Komet Borisov
Fremd und ursprünglich
Sternengeschichten Folge 456: Der interstellare Komet Borisov
Am 30. August 2019 beobachtete der russische Hobby-Astronom Gennadi Borissow den Himmel. Obwohl die Astronomie bei ihm mehr als nur ein Hobby ist. Borissow hatte nie Astronomie studiert, aber er kannte sich am Nachthimmel aus. Sein Job am Sternberg-Institut für Astronomie der Moskauer Lomonossow-Universität war zwar nicht die Forschung, aber die technische Betreuung der Teleskope. Das Gerät, mit der an diesem Abend den Himmel beobachtete, stand aber nicht in Moskau und gehörte auch nicht der Lomonossow-Universität. Es war ein selbstgebautes Teleskop mit einem 65 Zentimeter großen Spiegel und es stand in seiner eigenen, kleinen Sternwarte auf der Halbinsel Krim. Von dort aus sah er einen Lichtpunkt, der sich zwischen den anderen Lichtpunkten über den Himmel bewegte. Nur sehr langsam, es war kein Flugzeug oder Satellit. Außerdem wusste Borissow, nach was er suchte. Immerhin hatte er bis dahin schon neun Kometen und einen Schwung Asteroiden entdeckt. Er berechnete die Koordinaten des unbekannten Dings am Himmel, sah in den entsprechenden Datenbanken nach und stellte fest: Er war der erste, der es gesehen hatte. Die Entdeckung eines bis dahin noch unentdeckten Himmelskörpers ist immer etwas besonderes; egal ob man die Suche nur als Hobby oder als Beruf betreibt. WIE außergewöhnlich die Entdeckung von Borrisow war, sollte sich aber erst noch zeigen.
Die ersten Berechnungen der Bahn des Himmelskörpers deuteten darauf hin, dass es sich um einen erdnahen Asteroid oder Kometen handeln könnte. Ein Objekt also, dass sich in der Nähe der Erdbahn befindet; in diesem Fall sogar eines, das die Bahn der Erde kreuzt. Was natürlich das Interesse an dem Ding deutlich erhöhte. Jede Menge andere Menschen begannen es zu beobachten, um möglichst schnell möglichst gut über die Umlaufbahn Bescheid zu wissen. Immerhin bestand ja die Möglichkeit, dass es vielleicht mit der Erde kollidiert. Je mehr Daten bekannt wurden, desto seltsamer wurde die Sache. Im Herbst 2019 war die Sache dann klar: Das Objekt hatte keine "Umlaufbahn". Es bewegt sich nicht um die Sonne herum. Beziehungsweise tut es das nur einmal. Es kam von außerhalb des Sonnensystems, würde im Dezember 2019 sich der Sonne maximal angenähert haben um sich dann wieder auf den Weg hinaus und zurück in den interstellaren Raum zu machen, aus dem es gekommen war.
Gennadi Borissow hatte etwas gefunden, was erst ein einziges Mal vorher jemand gefunden hatte: Einen interstellaren Himmelskörper, der auf einen kurzen Besuch in unser Sonnensystem gekommen war. Am 9. Oktober 2017 hatte der Astronom Robert Weryk von der Universität Hawaii den interstellaren Asteroid 'Oumuamua gefunden, von dem ich in Folge 349 der Sternengeschichten mehr erzählt habe. Die Entdeckung damals war eine Sensation. Man hatte zwar damit gerechnet, dass es solche Himmelskörper geben muss. Und auch damit, dass man sie früher oder später finden wird. Aber die Realität ist dann doch immer aufregender als man sie sich vorstellt. 'Oumuamua war ganz anders als die Asteroiden die wir aus unserem Sonnensystem kennen. Seine Form war ungewöhnlich, ebenso wie die Art seiner Bewegung durch das Sonnensystem. Manche ließen sich sogar dazu hinreißen, ihn zu einem außerirdischen Raumschiff oder einer Alien-Raumsonde zu erklären. Dafür gibt es natürlich keine Belege; stattdessen deuten die Daten darauf hin, dass es sich um ein Bruchstück eines dem Pluto ähnlichen Himmelskörpers handelt der einen anderen Stern umkreist. So wie unser Pluto muss sich auch dieser andere eisige Himmelskörper fern von seinem Stern befinden und so wie Pluto muss er von einer dicken Schicht aus gefrorenem Stickstoff bedeckt sein. Bei den chaotischen Prozessen in der Frühzeit eines Sonnensystems ist durch eine Kollision ein Stück dieses Eises ins All und in den interstellaren Raum geschleudert worden. Bei seiner langen Reisen durch die Galaxie haben die Verwitterungsprozesse durch die kosmische Strahlung aus dem Stickstoffeisberg das seltsam geformte Ding gemacht, das schließlich durch unser Sonnensystem geflogen ist. Und als sich 'Oumuamua dann der Sonne genähert hat, ist der Stickstoff aufgetaut, als Gas davon geströmt und hat so einen zusätzlichen Schub erzeugt, der die Bewegung des Asteroids verändert hat. Weil es sich um gefrorenen Stickstoff gehandelt hat und nicht um das Eis, das normalerweise in Asteroiden und Kometen zu finden ist, konnten wir das mit unseren darauf ausgelegten Beobachtungen nicht sehen.
'Oumuamua war ein außergewöhnlicher Besucher und leider so schnell verschwunden wie er aufgetaucht war. Wir hatten keine Chance, ihn genauer zu beobachten. Umso gespannter haben alle auf den nächsten interstellaren Asteroiden beziehungsweise Kometen gewartet. Würde der auch so seltsam sein? Oder vielleicht noch seltsamer? Nun, zuerst einmal bekam das Ding, das Gennadi Borissow gefunden hatte, seine offizielle Bezeichnung "2I/Borisov". "2I" für das zweite interstellare Objekt das entdeckt wurde und "Borisov" nach der Person, die es gefunden hat. Man hat diese Klassifizierung nach der Entdeckung von 'Oumuamua eingeführt; einerseits um die interstellaren Besucher von denen unseres eigenen Sonnensystems abzugrenzen. Und andererseits, weil es nicht so einfach ist, sie in die bisherigen Klassen der "Asteroiden" und "Kometen" einzusortieren. Das ist ja schon in unserem Sonnensystem nicht so einfach. Beide Arten von Himmelskörpern sind auf die gleiche Weise entstanden; aus dem Staub und Gas in der ursprünglichen Materialscheibe die die gerade erst geborene Sonne vor 4,6 Milliarden Jahren umgeben hat. Die Kometen haben sich ein bisschen weiter weg von ihr gebildet, dort wo es kühler war. Sie haben deswegen mehr gefrorene Gase mitbekommen als die Asteroiden, die sich näher an der Sonne gebildet haben. Wenn ein Komet der Sonne nahe kommt, dann können diese gefrorenen Gase auftauen, sich ausdehnen und Staub von der Oberfläche mit sich ins All reißen. Das erzeugt dann die hell leuchtende Kometenwolke mit dem langen Schweif. Bei Asteroiden dagegen passiert nix, wenn sie in der Nähe der Sonne vorbei fliegen. Manchmal aber eben schon, wenn so ein Asteroid zufällig auch mehr Eis enthält. Und manchmal passiert auch bei Kometen nix, wenn sie ihr Eis schon verloren haben. 'Oumuamua aber hat sich von Anfang an weder wie ein klassischer Asteroid, noch wie ein typischer Komet verhalten.
Bei Borissow dagegen war die Sache klar: Er sah genau so aus, wie wir uns einen typischen Kometen vorstellen. Zuerst einmal war er deutlich größer als 'Oumuamua. Der war knapp 200 Meter groß und vermutlich sehr lang und flach; Borisov dagegen ein annähernd rundes Objekt mit einem Durchmesser von 500 bis 1000 Metern. Genau so wie es auch die Kometen in unserem Sonnensystem üblicherweise sind. Als er sich der Sonne genähert hat, fing Eis an seiner Oberfläche an aufzutauen; man konnte beobachten wie die Umgebung von Borisov immer staubiger wurde; in unmittelbarer Nähe der Sonne ist sogar ein kleines Stück abgebrochen. Diese entkommende Gas hat die Bahn des Kometen ein wenig verändert - alles so wie bei den Kometen in unserem Sonnensystem. Ein paar Dinge waren dann aber doch sehr anders.
Natürlich zuerst einmal die Umlaufbahn: Borisov bewegte sich nicht in der Ebene, in der sich die Planeten und die meisten anderen Himmelskörper im Sonnensystem bewegen. Er kam in einem Winkel von 45 Grad zu dieser Ebene. Was aber auch noch nicht so außergewöhnlich ist; auch unsere eigenen Kometen kommen aus allen Richtungen angeflogen; sie stammen ja aus der Oortschen Wolke, die das Sonnensystem kugelförmig begrenzt, wie ich in Folge 321 erzählt habe. Sie tun das aber wesentlich langsamer als Borisov: Der war mit einer Geschwindigkeit von 32 Kilometern pro Sekunde unterwegs! Bei dem Tempo reicht die Gravitationskraft der Sonne nicht aus, um ihn festzuhalten. Nachdem Borisov also im September 2019 die Bahn des Jupiter passiert hatte, ging sein Flug unaufhaltsam weiter. Am 26. Oktober kreuzte er die Ebene der Ekliptik, also die vorhin erwähnte Ebene in der sich die Erde und die anderen Planeten um die Sonne bewegen. Am 8. Dezember 2019 hat er den sonnennächsten Punkt seiner Bahn erreicht - war dabei aber noch knapp 300 Millionen Kilometer von ihr entfernt. Am 28. Dezember 2019 erreichte er auf seiner Bahn den erdnächsten Punkt; ebenfalls bei einem Abstand von fast 300 Millionen Kilometern. Und seitdem entfernt er sich von uns. Bis er das Sonnensystem komplett verlässt, werden zwar noch ein Jahrhundert oder zwei vergehen. Aber aus dem Blickfeld unserer Teleskope ist er schon viel früher verschwunden, circa ein Jahr nach seiner Entdeckung war es auch schon wieder vorbei.
Auch hier hat die Zeit nicht gereicht, so viele Daten zu sammeln, wie man wollte. Aber die Daten, die man sammeln konnte, waren dennoch beeindruckend. Man konnte zum Beispiel nachweisen, dass Borisov sehr viel gefrorenes Kohlenstoffmonoxid enthält. Das ist ein Zeichen dafür, dass er dort, wo er entstanden ist, nie recht nahe an seinen Stern gekommen sein kann. Er muss sich in den äußersten, sehr kalten Regionen der Materialscheibe gebildet haben, die den Stern umgeben hat, von dem er kommt. Nur dort kann das Kohlenstoffmonoxid in dieser Form und Menge existieren. Und von dort ist es auch nicht schwer, durch irgendwelche gravitative Störungen in den interstellaren Raum zu gelangen. Wie viel Zeit er dort verbracht hat, wissen wir nicht. Aber es ist wahrscheinlich, dass die Sonne der erste Stern in seinem Leben ist, dem Borisov eine nahe Begegnung abgestattet hat. Das zeigen Beobachtungen die an der Europäischen Südsternwarte in Chile durchgeführt worden sind. Dort hat man sich angeschaut, wie sehr das Licht polarisiert wird, das von der Staubhülle reflektiert wird, in die Borisov sich bei der Annäherung an die Sonne gehüllt hat. Die Polarisation gibt an, in welche Richtung die Lichtwellen schwingen und wie stark sich diese Richtung ändert. Das wiederum hängt von den Eigenschaften der Staubteilchen ab und die werden unter anderem durch den Grad der Verwitterung bestimmt. Natürlich gibt es im All keinen Wind oder kein fließendes Wasser; aber es gibt Erosion, wie ich in Folge 130 schon mal erklärt habe. Die wird zum Beispiel durch die kosmische Strahlung verursacht, die in der Nähe von Sternen besonders stark ist oder durch Einschläge von Mikrometeoriten, die man auch vor allem innerhalb von Planetensystemen findet. Den Grad der Verwitterung kann man an der Polarisation ablesen und bei Borisov waren die Daten außerordentlich. Seine Oberfläche ist so gut wie gar nicht verwittert; es ist der ursprünglichste Himmelskörper den wir bis jetzt beobachtet haben. Seit er - wann auch immer - entstanden ist, ist im quasi nichts zugestoßen, dass ihn verändert hat. Auch die Asteroiden und Kometen in unserem Sonnensystem sind sehr ursprüngliches Material aus der Zeit der Planetenentstehung vor 4,5 Milliarden Jahren. Deswegen erforschen wir sie ja auch so intensiv. Aber sie sind eben nicht GANZ ursprünglich, weil sie den Bedingungen im Sonnensystem ausgesetzt waren. Borisov aber war so frisch, wie ein Komet nur sein kann.
So lange zumindest, bis ihn die Sonne kaputt gemacht hat. Auf später gefundenen alten Aufnahmen die den Kometen zeigen konnte man ableiten, dass er irgendwann Anfang Dezember 2018 angefangen haben muss, ein wenig aufzutauen. Von da an verlor er ungefähr 2 Kilogramm Staub pro Sekunde ans All und ein paar Dutzend Kilo Eis. Das ging so weiter bis dann im März 2020 - wie oben schon erwähnt - sogar ein ganzes Stück vom Kometen abgebrochen ist. Nach seinem Besuch im Sonnensystem ist Borisov also nicht mehr so ursprünglich wie zuvor. Trotzdem wäre es schön gewesen, ihn ein bisschen besser erforschen zu können. Aber ihm eine Raumsonde nachzuschicken, ist quasi unmöglich. Dafür ist er viel zu schnell. Und wir haben ihn zu spät entdeckt, um eine Mission vorzubereiten. Um Objekte wie Borisov oder 'Oumuamua aus der Nähe zu erforschen, bräuchten wir eine Raumsonde, die quasi schon im Standby-Modus im All wartet und sofort losfliegt, wenn wir einen neuen interstellaren Besucher entdecken.
Und das werden wir! Wir wissen, dass es Milliarden von ihnen zwischen den Sternen geben muss. Überall dort wo sich Planeten bilden, werden auch Asteroiden und Kometen - und Eisberge, wie bei 'Oumuamua - in den interstellaren Raum geschleudert. Der Weltraum ist zwar groß. Aber ab und zu kommen sie zu uns auf Besuch. Mit etwas Glück sind wir bei den nächsten Malen besser vorbereitet.

Aug 13, 2021 • 16min
Sternengeschichten Folge 455: Die Geschichte der aktive Galaxienkerne
Aktiv sein im Kosmos
Sternengeschichten Folge 455: Die Geschichte der aktive Galaxienkerne
Die Geschichte der aktiven Galaxienkerne beginnt zu einer Zeit, als wir noch nicht einmal so richtig wussten, was "Galaxien" eigentlich sind. 1909 wollte der amerikanische Astronom Edward Fath herausfinden, worum es sich bei den "Spiralnebeln" handelte. Also den Dingern, die man im Teleskop am Himmel sehen konnte und die nebelförmig aussahen und spiralig. Wie ich schon in Folge 49 der Sternengeschichten zur "Großen Debatte" erzählt habe, gab es damals ja zwei Meinungen. Die einen dachten, es wären tatsächlich spiralförmige Nebel. Also große Mengen an Gas die sich zwischen den Sternen befinden. Die anderen waren der Ansicht, dass die Spiralnebel nur so aussehen wie Nebel. In Wahrheit aber aus Milliarden von Sternen bestehen, die aber so weit entfernt sind, dass sie uns wie eine diffuse Wolke erscheinen. Im ersten Fall wären die Sterne die wir am Himmel sehen alle Sterne die es gibt; die Milchstraße also die einzige Ansammlung von Sternen im Universum. Im zweiten Fall wäre die Milchstraße nur eine von vielen solcher Ansammlungen von Sternen, die durch unvorstellbar große Leerräume voneinander getrennt sind. Sie wäre nur eine Galaxie unter vielen. Wir wissen heute, dass das genau so ist. Das wissen wir aber erst seit den 1920er Jahren. Als Edward Fath an der Lick-Sternwarte durch das Telekop geschaut hat, war die Sache noch offen. Er wollte das Licht der Spiralnebel untersuchen und nach Emissions- und Absorptionslinien suchen.
Darüber habe ich ja erst in Folge 449 gesprochen, zur Sicherheit aber noch einmal eine kurze Erinnerung: Man kann Licht in seine Bestandteile aufspalten, also schauen, wie viel Licht einer bestimmten Wellenlänge in der Mischung enthalten ist. Macht man das, kann man in diesem "Lichtspektrum" unter Umständen helle und dunkle Linien sehen. Die dunklen Linien sind Absorptionslinien und sie entstehen, wenn zum Beispiel das Licht eines Sterns beim Durchgang durch seine äußeren Atmosphärenschichten ein wenig blockiert wird. Unterschiedliche chemische Elemente blockieren unterschiedliche Wellenlängen und genau dort sieht man dann im Spektrum dunkle Linien. Helle Linien, also die Emissionslinien, kriegt man, wenn zum Beispiel interstellare Gaswolken durch Strahlung von außen zum Leuchten angeregt werden. Auch hier sendet jedes Element sein eigenes Muster an Linien aus. Fath wollte also wissen: Entspricht das Licht der Spiralnebel eher dem Licht, das ein Haufen Sterne aussenden würde; also mit einem Spektrum das vor allem dunkle Linien enthält. Oder ähnelt es mehr dem Licht, das man von einer großen Gaswolke kriegt, die Emissionslinien aussendet.
Die meisten Spiralnebel, die er beobachtete, haben tatsächlich Linien gezeigt, die mehr zu einer großen Ansammlung von Sternen passen. Ein Nebel aber, der heute die Bezeichnung NGC 1068 trägt, zeigte zusätzlich auch helle Emissionslinien - und wir kommen später noch darauf zurück. Fath jedenfalls konnte die Frage nach der Natur der Nebel nicht abschließend klären, das gelang erst Edwin Hubble, der 1923 den Abstand zum Andromedanebel bestimmte und dabei nachwies, das es sich um eine "Andromedagalaxie" handeln muss. Im Zuge der Forschung die dafür nötig war, mussten auch Edwin Hubble und seine Kollegen, jede Menge Lichtspektren von Galaxien (und ich sage ab jetzt immer Galaxien, auch wenn ich von einer Zeit rede, in der man noch "Nebel" dazu gesagt hat) beobachten. Und fanden dabei immer wieder Emissionslinien. Der erste, der diese hellen Linien systematisch untersucht hat, war der amerikanische Astronom Carl Seyfert. Er hat 1943 eine Arbeit über die Beobachtung von sechs Galaxien veröffentlicht. Alle zeigten eine Lichtspektrum, das von Sternen zu stammen schien, dem aber jede Menge helle Linien überlagert waren. Seine Messungen waren genau gunug, um nachzuweisen, dass sich die von ihm beobachteten Emissionslinien von denen unterscheiden, die man in normalen Gaswolken sehen würde. Die Position der Linien im Lichtspektrum kann einem sagen, aus welchem Material das Zeug besteht, dass die Linien verursacht. Man kann aber auch die Breite der Linien messen und erhält daraus Informationen über die Bewegung dieses Materials. Das ist im Detail recht kompliziert, wird aber unter anderem durch rotierendes Zeug verursacht. Bei einer rotierenden Scheibe aus Gas etwa, kommt aus unserer Sicht immer ein Teil des Gases auf uns zu, während sich einer anderer von uns weg bewegt. Diese Bewegung verschiebt die Spektrallinien ein wenig; einmal in die eine Richtung und einmal in die andere. Die Effekte überlagen sich und wir beobachten eine Linie, die ein wenig breiter ist als sie sein sollte. Linienverbreiterungen können aber auch entstehen, wenn die Gasteilchen sich sehr schnell bewegen, weil sie sehr heiß sind, also viel Energie abbekommen haben; zum Beispiel durch Kollisionen mit anderen Gasteilchen oder durch Strahlung heißer Sterne in der Umgebung. Jedenfalls: Seyfert konnte nachweisen, dass die Linien in den Galaxien die er beobachtet hat, anders aussehen als die Linien, die man von den Gaswolken in unserer Milchstraße kennt.
Das waren sehr interessante Ergebnisse, die damals aber als nicht interessant genug angesehen wurden, um sich wirklich intensiv mit dem Phänomen zu beschäftigen. Das fing erst nach dem zweiten Weltkrieg an, in den 1950er Jahren und dank einer ganz neuen Disziplin. Über die Geschichte der Radioastronomie habe ich ja schon in Folge 223 gesprochen - ab 1945 begann man diese neue Technik auch in der Astronomie einzusetzen. Man stellte fest, dass auch Sterne langwelliges Licht in Form von Radiostrahlung abgeben. Und fand ein paar extrem starke Radioquellen am Himmel. Zuerst waren diese Objekte nur im Radiolicht sichtbar; aber schon kurze Zeit später war man auch in der Lage, mit normalen Teleskopen die Objekte zu identifizieren, aus denen diese starke Radiostrahlung kam. Es waren Galaxien und das war überraschend. Denn die - wie man da ja schon wusste - waren enorm weit weg. Und trotzdem so enorm hell im Radiolicht. Was auch immer dort diese starke Strahlung produziert musste wahnsinnig viel davon produzieren. Man wusste nicht wirklich, was die Ursache dafür sein konnte. Extrem heißer Staub, lautete ein Vorschlag - aber so heißen Staub kann es eigentlich nicht geben und das würde auch nicht so wirklich zu den Beobachtungen passen. Oder die Wechselwirkung zwischen Magnetfeldern der Galaxien und schnellen, elektrisch geladenen Teilchen, die von Sternen in der Umgebung ins All geschleudert werden. Das wäre prinzipiell möglich und hätte auch halbwegs gepasst. Und wurde deswegen eine Zeit lang als Erklärung für die Existenz dieser extragalaktischen Radioquellen akzeptiert.
Dann kam die Entdeckung der Quasare. Darüber habe ich in Folge 52 schon ausführlich gesprochen. In den 1960er Jahren began man an der Sternwarte der Universität von Cambridge mit einer umfassenden Katalogisierung der Radioquellen am Himmel. Gleichzeitig suchte man mit normalen Teleskopen nach den Gegenstücken im für unsere Augen sichtbaren Licht. Man fand jede Menge neue Radiostrahler, die aber gar nicht wie Nebel oder Galaxien aussahen. Sondern sich im normalen Licht einfach nur als Lichtpunkte zeigten. Deswegen hat man sie "Quasi Stellare Radioquellen" genannt oder kurz "Quasare". Eines dieser Objekte hat eine besondere Rolle in dieser Geschichte gespielt: 3C 273. Das "3C" steht für den "Dritten Cambridge Katalog der Radioquellen" und es geht um das 273te Objekt in diesem Katalog. Bis zu seiner Untersuchung wusste man nicht so recht, was die Quasare sind; man hielt sie für seltsame veränderliche Sterne, auch wenn das nicht so wirklich zu den Daten passte. 1963 konnten die Astronomen Maarten Schmidt und Bev Oke dann aber die Distanz zu 3C 273 messen. Das Ding war ein paar Milliarden Lichtjahre weit weg und damit definitiv kein Stern, egal wie seltsam. Es musste sich um eine Galaxie handeln, die so weit weg ist, dass wir nicht mehr als einen schwach leuchtenden Punkt sehen. Aus der aber aus irgendeinem Grund enorm viel Energie kommt. Immer mehr Quasare konnten als extragalaktische Objekte identifiziert werden. Und langsam fingen die Puzzleteile an, sich zu verbinden.
Schon 1958 dachte der armenischen Astronom Victor Ambartsumian bei einer Konferenz darüber nach, dass in den Zentralregionen ferner Galaxien gigantische Explosionen stattfinden könnten. In den galaktischen Zentren müssten sich irgendwelche Himmelsobjekte mit gigantischer Masse befinden, die dafür verantwortlich sind. Welcher Natur diese Dinger sein könnten, konnte er auch nicht sagen. Sicherlich keine Sterne. Aber seine Idee der "aktiven Galaxienzentren" war im Gespräch und verbreitete sich immer weiter. Es kristallisierte sich langsam ein Bild heraus: In den Zentren mancher Galaxien passieren außergewöhnliche Dinge. Dort wird enorm viel Energie frei. Einerseits in Form von Radiowellen, weswegen wir am Himmel jede Menge Quasare sehen können. Andererseits aber auch hochenergetische Strahlung, die Gas und anderes Zeug zum Leuchten anregt und so die hellen Emissionslinien im Spektrum erzeugt.
Weitere Beobachtungen zeigten, dass es wirklich nur die Zentralregion einer Galaxie sein konnte, die da so leuchtet und wohl auch nur ein kleiner Teil davon. Das hat man aus den Helligkeitsänderungen geschlossen: Wie schnell sich die Helligkeit eines Objekts ändern kann, hängt unter anderem von seiner Ausdehnung ab. Bei einem großen Objekt mitteln sich die Helligkeitsschwankungen über seine Oberfläche zum Teil raus; je kleiner es dagegen ist, desto schneller kann es gehen. Vielleicht hilft auch dieser etwas hinkende Vergleich: Wenn ich meine Hand vor eine Taschenlampe halte, ist das Licht sofort nicht mehr zu sehen und es ist sofort wieder zu sehen, wenn ich sie wieder wegnehme. Will ich dagegen eine hell leuchtende Videowand verdunkeln, dann dauert es ein bisschen, bis ich irgendeine Barrikade weit genug davor geschoben habe, so dass das Licht blockiert ist. Auf jeden Fall wusste man im Laufe der 1960er Jahre: Irgendwas in den Zentren mancher Galaxien setzt enorm viel Energie frei.
Es gab viele Hypothesen: Vielleicht eine Art Kettenreaktion von Supernova-Explosionen? Wenn die Sterne dort enorm dicht beieinander stehen und einer davon am Ende seines Lebens explodiert, könnte die Schockwelle die anderen Sterne ebenfalls zur Explosion bringen. Oder vielleicht sitzt da eine Art von "Mega-Stern", der ein paar Millionen mal mehr Masse hat als ein normaler Stern und entsprechend hell leuchtet? 1964 hatten der in Österreich geborene und vor den Nazis nach Amerika geflüchtete Astronom Edwin Salpeter und der sowjetische Physiker Jakow Seldowitsch die gleiche Idee: Was, wenn im Zentrum dieser Galaxien ein enorm massereiches schwarzes Loch sitzt? Und Material sich - angetrieben durch seine Gravitationskraft - enorm schnell um das schwarze Loch dreht? Es würde aufgeheizt werden und dabei jede Menge Strahlung abgeben. Die Idee wurde aber eher ignoriert; erst als der britische Astronom Donald Lynden-Bell sich die Sache 1969 nochmal genauer ansah, wurde sie populär. Er behauptete, dass supermassereiche schwarze Löcher in den Zentren von Galaxien häufig sein sollten und zeigte, dass sich dadurch all die Phänomene erklären lassen, die man in den letzten Jahrzehnten dort beobachtet hatte.
Womit wir jetzt fast schon bei der Gegenwart angekommen sind. Den letzten Rest der Forschungsgeschichte überspringen wir am besten und schauen auf das, was wir heute über die aktiven Galaxienkerne wissen. Beziehungsweise über die AGNs, die "active galactic nuclei", wie der Fachbegriff heißt. Der typische Fall eines AGN sieht so aus: Im Zentrum einer großen Galaxien befindet sich ein schwarzes Loch mit einer Masse von etwa 100 Millionen Sonnenmassen. Das ist, wie gesagt, ein durchschnittlicher Fall. Es können auch "nur" ein paar Millionen Sonnenmassen sein, oder auch ein paar Milliarden. So ein schwarzes Loch hat einen Ereignishorizont von etwa 300 Millionen Kilometern; das entspricht dem doppelten Abstand zwischen Erde und Sonne. Damit aus dem schwarzen Loch aber auch ein aktiver Galaxienkern wird, braucht es ausreichend viel Material. Gas und Staub vor allem, und das ganze Zeug muss in die Nähe des schwarzen Lochs gelangen. Dort kann es dann eine schnell rotierende Scheibe um den Ereignishorizont bilden. Dabei wird es aufgeheizt und setzt Strahlung frei; das verursacht die Emissionslinien, die Fath das erste Mal in der Galaxie NGC 1608 beobachtet hatte und weil die Scheibe schnell rotiert, sind die Linien verbreitert, wie Seyfert es in seinen Daten gesehen hatte. Es verursacht auch die Radiostrahlung, die man bei den Quasaren sehen konnte.
Das Modell erklärt auch, wieso wir Quasare und aktive Galaxienkerne nur in so großer Entfernung sehen. Wir blicken bei diesen Distanzen ja in die Vergangenheit; wir sehen Galaxien so, wie so vor Milliarden Jahren waren, als das Universum noch jung war. Damals war in den Galaxien noch jede Menge Gas und Staub vorhanden; damals waren die Voraussetzungen vorhanden, damit die schwarzen Löcher in den Galaxienkernen aktiv werden konnten. In alten Galaxien, wie unserer Milchstraße, ist das anders. Hier ist das Material schon weitestgehend verbraucht. Es sind Sterne daraus entstanden beziehungsweise hat es die Aktivität des schwarzen Lochs aus der Galaxien hinaus geschleudert. Auch im Zentrum der Milchstraße sitzt natürlich ein schwarzes Loch. Aber es ist nicht mehr aktiv, zumindest nicht sehr. Wir beobachten schon auch Strahlung aus dem galaktischen Zentrum, aber in viel geringerem Ausmaß als bei den fernen Galaxien aus der Vergangenheit.
Mittlerweile sind Existenz und Natur der aktiven Galaxienkerne immer wieder erforscht und bestätigt worden. Wir wissen, dass sie eine zentrale Rolle spielen, wenn wir das Universum verstehen wollen. Die aktiven Galaxienkerne haben einen großen Einfluss auf den Rest der Galaxie; sie können die Entstehung neuer Sterne auslösen oder verhindern. Durch die Beobachtung der aktiven Galaxienkerne können wir die grundlegende Struktur des Universums erforschen; die Verteilung und Entwicklung der Materie oder die Gültigkeit von Quantenmechanik und Relativitätstheorie prüfen. Aber so interessant all das auch ist - es ist ein Thema für eine andere Folge der Sternengeschichten.

Aug 6, 2021 • 14min
Sternengeschichten Folge 454: Die ersten Sterne des Universums
Wo leuchtet das erste Licht?
Sternengeschichten Folge 454: Die ersten Sterne des Universums
Eigentlich hat die Astronomie kein großes Problem damit, Sterne zu finden. Das Universum ist voll damit, egal wohin man den Blick richtet - man wird Sterne sehen. Sehr oft stören sie sogar, weil ihr Licht das überstrahlt, was man eigentlich sehen will. Im Allgemeinen will man ja einen ganz bestimmten Stern beobachten; eine ganz bestimmte Galaxie oder Planet. Und wenn dann überall Sterne rumleuchten, kann das nervig sein. Eine ganz bestimmte Art von Stern hat sich den Teleskopen der astronomischen Forschung aber noch nicht gezeigt. Es geht um die allerersten Sterne des Universums.
Sterne existieren nicht ewig. Sie entstehen irgendwann und irgendwann verschwinden sie auch wieder. Unsere Sonne ist vor 4,6 Milliarden Jahre entstanden. Sie war also definitiv nicht der erste Stern im Universum, denn das ist schon 13,8 Milliarden Jahre alt. Es gibt aber natürlich auch ältere Sterne. Und irgendwann muss es die allerersten Sterne gegeben haben. In der Astronomie teilt man die Stern in "Populationen" ein. Unsere Sonne gehört zur Population I; das sind Sterne, die - so wie sie - vor ein paar Milliarden Jahren entstanden sind und zur Zeit gerade quasi in der Blüte ihres Lebens stehen. Sterne, die schon circa 10 Milliarden hinter sich haben und damit deutlich vor der Sonne entstanden sind, gehören zur Population II. Es gibt sie noch im Universum, wir haben schon jede Menge davon beobachtet. Man findet sie meistens in den Außenbereichen von Galaxien. Aber trotz ihres hohen Alters waren auch sie nicht die ersten Sterne.
Das wissen wir aufgrund ihrer Metallizität. Davon habe ich in Folge 337 der Sternengeschichten mehr erzählt. Als "Metall" gilt in der Astronomie alles, was kein Wasserstoff und kein Helium ist. Wir wissen natürlich schon, dass das chemisch nicht korrekt ist. Aber es macht Sinn, den ganzen Rest der chemischen Elemente zusammenzufassen, selbst wenn die - aus historischen Gründen immer noch verwendete - Bezeichnung "Metalle" nicht ganz richtig ist. Denn nach dem Urknall gab es im Universum nur Wasserstoff und Helium. Sehr viel mehr Wasserstoff als Helium und sonst nichts. Aus den Elementarteilchen der beim Urknall entstandenen Materie haben sich nur diese beiden einfachsten Atome gebildet. Für mehr hat die Zeit nicht gereicht; es haben nur ein paar Minuten lang die Bedingungen geherrscht, unter denen sich Atomkerne bilden konnten. Mehr als Wasserstoff und Helium war da nicht drin. Ok, es sind noch vereinzelt Atome von Lithium und Beryllium entstanden, das dritt- und vierteinfachste Element. Aber in wirklich verschwindend geringen Mengen und für alle anderen Atomkernen muss man so viele Kernbausteine zusammenbasteln, dass das in den paar Minuten nach dem Urknall nicht geklappt hat.
Sterne wie die Sonne bestehen zwar - wie alle Sterne - so gut wie komplett aus Wasserstoff und Helium. Aber schon bei ihrer Entstehung hat sie ein paar Metalle gehabt. Die waren in der großen Gaswolke vorhanden, aus der sie sich gebildet hat. Und wo kommen die her? Von anderen Sternen, die diese Elemente im Laufe ihres Lebens durch Kernfusion in ihrem Inneren erzeugt und dann an ihrem Lebensende bei großen Explosionen durch den Kosmos geschleudert haben. Auch die älteren Sterne der Population II enthalten Metalle. Weniger als die der Population I, aber immer noch so viele, dass wir daraus schließen können, dass sie ebenfalls nicht von Anfang an da gewesen sein können. Auch sie müssen ihre Metalle von anderen Sternen bekommen haben, die vor ihnen existiert haben.
Genau darum geht es: Um Sterne, die KEINE Metalle enthalten. Um Sterne, die nur aus Wasserstoff und Helium bestehen. Sterne der Population III: Die ersten Sterne im Universum. Es muss sie gegeben haben. Denn irgendwo müssen die ganzen chemischen Elemente, die weder Wasserstoff noch Helium sind, ja hergekommen sein. Das kann nur durch die Kernfusion im Inneren von Sternen passiert sein. Und wenn nach dem Urknall nur Wasserstoff und Helium vorhanden waren, dann müssen logischerweise die allerersten Sterne ausschließlich aus Wasserstoff und Helium bestanden haben. In ihrem Inneren haben sie die ersten NEUEN chemischen Elemente produziert und den Kosmos nach ihrem Tod damit angereichert. Wir haben keinen Zweifel an der Existenz von Sternen der Population III. Aber es ist enorm schwierig, sie zu finden.
Wir gehen davon aus, dass diese allerersten Sterne enorm gewaltig waren. Je komplexer ein Atom ist, desto leichter kann es Energie loswerden. Ich erspare mir die ganzen Details der Quantenmechanik: Aber es läuft darauf hinaus, dass ein Atom nur dann Energie abstrahlen kann, wenn eines der Elektronen aus seiner Hülle seine Position ein wenig verändert. Komplexere Atome haben mehr Elektronen und mehr Möglichkeiten für solche Übergänge. Wasserstoff besteht aber nur aus einem Kernbaustein und einem Elektron drum herum. Bei Helium sind es zwei Elektronen. Das ganze Wasserstoff-Helium-Gemisch das nach dem Urknall vorhanden war, war also einerseits schon mal warm, weil es so kurz nach dem Urknall generell wärmer war als heute. Und andererseits konnte es diese Wärme nicht so gut loswerden, wie das eine interstellare Gaswolke heute tun kann, in einem kälteren Universum und durchsetzt mit allen möglichen schweren Elementen, die Wärme gut abstrahlen können. Die Temperatur einer solchen Wolke bestimmt aber, wann und wie sie unter ihrer eigenen Gravitation kollabieren kann. Was sie tun muss, damit aus einer diffusen Wolke ein echter Stern wird. Je heißer sie ist, desto schneller bewegen sich die Teilchen. Und je schneller die sich bewegen, desto länger können sie dadurch der Gravitationskraft, die die Wolke zusammenfallen lassen will, etwas entgegensetzen. Oder anders gesagt: In einer wärmeren Wollke braucht es sehr viel mehr Masse und damit eine stärkere Gravitationskraft, wenn man einen Stern kriegen will.
Heute liegt die theoretische Obergrenze für die Masse eines Sterns bei ungefähr dem 150fachen der Sonnenmasse. Das ist keine fixe Grenze; wir wissen nicht ganz genau, wie schwer ein Stern heute wirklich werden kann. Es gibt auch heute noch Bedingungen, unter denen ein Stern vielleicht mehr Masse haben kann. Aber damals, als das Universum daran ging, das erste Mal Sterne entstehen zu lassen, muss die Grenze bei ein paar hundert Sonnenmassen gelegen haben; vielleicht sogar dem 1000fachen der Sonnenmasse.
Jetzt könnte man meinen, dass das die Suche einfacher macht. Ein massereicher Stern sollte ja einfacher zu finden sein als ein winziger Zwergstern, oder? Im Prinzip schon. Aber je mehr Masse ein Stern hat, desto heißer ist es in seinem Inneren. Und desto schneller läuft dort die Kernfusion ab. Ein massereicher Stern hat seinen Brennstoff also deutlich früher aufgebraucht als ein kleiner Stern, der quasi auf Sparflamme brennt. Unsere kleine Sonne hat eine Lebensdauer von 10 bis 12 Milliarden Jahren. Ein gewaltiger Stern der Population III wäre nach 2 bis 5 Millionen Jahren schon durch. Das heißt, das mit Sicherheit keiner dieser gewaltigen Sterne vom Anfang des Universums bis heute überlebt hat. Jetzt wiederum könnte man auf die Idee kommen, dass die Suche nach ihnen dadurch komplett aussichtslos wäre. Wie sollen wir etwas finden, was seit mehr als 13 Milliarden Jahren nicht mehr existiert? Aber da kommen die großen Entfernungen in der Astronomie ins Spiel. Wenn wir Licht beobachten, dass sehr, sehr lange zu uns unterwegs war, dann blicken wir zurück in die Vergangenheit. Eine Galaxie, deren Licht 13 Milliarden Jahre bis zu uns gebraucht hat, erscheint uns so, wie sie vor 13 Milliarden Jahren ausgesehen hat, als das Universum selbst quasi noch ein Kind war.
Wir sind in der Lage, so weit zurück zu schauen. Unsere Teleskope können solche alten - oder jungen, je nachdem wie man es betrachtet - Galaxien sehen. Ihr Licht haben sie nur ein paar hundert Millionen Jahre nach dem Urknall hinaus in den Kosmos gestrahlt. Der aber dehnt sich ja aus. Während das Licht unterwegs war, ist der Raum den es durchquert, immer mehr geworden. Deswegen ist ein Teil dieses Lichts heute eben immer noch unterwegs und wir haben eine Chance, es zu detektieren. Die Suche nach dem Licht der allerersten Sterne ist also durchaus schwierig, aber nicht chancenlos. Wir haben Sterne beobachtet, die enorm alt sind und enorm wenig Metalle enthalten. Aber eben noch keinen, der wirklich fast so alt wie das Universum selbst und frei von Metallen ist.
Oder vielleicht doch: Im Jahr 2015 hat ein portugiesisch-niederländisches Team aus Lisabon und Leiden eine Galaxie entdeckt, deren Licht wirklich lange unterwegs war. 12,9 Milliarden Jahre - wir sehen sie also sie, wie sie ausgesehen hat, als das Universum selbst nur knapp 800 bis 900 Millionen Jahre alt war. Wie man sich denken kann, leuchtet eine so weit von uns entfernte Galaxie nur schwach. Diese hier war aber sehr viel heller, als man es erwartet hätte. Jetzt ist es an sich nicht ungewöhnlich, das weit entfernte Galaxien aus der Frühzeit des Universums viel Strahlung abgeben. Das liegt an den aktiven Galaxienkernen, also den Zentren ferner Galaxien, in denen Materie um ein gigantisches schwarzes Loch kreist und dabei Unmengen an Energie abgibt. In aktiven Galaxien sieht man aber vor allem Röntgen- und Radiostrahlung und die konnte man hier nicht sehen. Stattdessen war da nur helles Licht, wie man es von Sternen erwartet. Und eine genaue Analyse zeigte: In der hellen Regionen gibt es nur Anzeichen von Wasserstoff. Und Helium. Und sonst nichts.
Die Galaxie - den Namen CR7 trägt, was einerseits für die Katalognummer 7 des Beobachtungsprojekts "Cosmic Redshift" steht, andereseits aber, leider, auch für den Spitznamen des portugiesischen Fußballers Christian Ronaldo und seine Rückennummer 7 - diese Galaxie also zeigte ganz klar die Spuren des Lichts von Sternen der Population III. Aber nicht alle waren mit der Interpretation der Daten einverstanden - zwei Jahre später veröffentlichte ein britisches Forschungsteam ihre eigenen Beobachtungen von CR7 und zeigten, dass sie einerseits die früheren Daten nicht reproduzieren konnten und andererseits die restlichen Beobachtungen durchaus mit einer normalen aktiven Galaxie vereinbar sind, in der zwar alte Sterne existieren, aber keine Sterne der Population III. Es ist eben schwer, so weit entfernte Objekte mit der nötigen Genauigkeit zu beobachten, um eindeutige Aussagen machen zu können. Klarheit werden erst neue Beobachtungen bringen, die mit besseren Instrumenten durchgeführt werden.
Vielleicht lohnt es sich aber doch, auch in unserer Nähe nach den ersten Sternen zu suchen. Ein indisches Forschungsteam hat 2017 eine Arbeit veröffentlicht, in der sie argumentiert, dass nicht alle der ersten Sterne solche Massemonster gewesen sein müssen. Ihre Simulationen zeigen, dass bei manchen der Entstehungsprozess quasi unterbrochen werden kann, so dass sie am Ende nur eine Masse haben, die sogar noch kleiner als die der Sonne ist. Damit würde sich ihre Lebensdauer dramatisch erhöhen; sie könnten dann tatsächlich auch heute noch im Universum existieren. Unklar ist allerdings, wo man am besten nach ihnen suchen sollte. Manche meinen, dass sie überall zwischen den normalen, jüngeren Sternen verteilt sind. Manche sagen voraus, dass man sie eher im Zentrum der Milchstraße finden kann; andere dagegen, dass man viel mehr in den Außenbereichen der Galaxie suchen muss. Kurz: Wenn es sie überhaupt gibt, dann können sie nach dem was wir jetzt wissen, überall sein.
Womit wir wieder beim Problem vom Anfang wären: Es gibt einfach verdammt viele Sterne. Irgendwo müssen auch die allerersten Sterne sein. Entweder hier in unserer Umgebung, in unserer eigenen Milchstraße. Oder vielleicht weit entfernt in Raum UND Zeit, so dass sie uns nur der astronomische Blick in die Vergangenheit zeigen kann. Fest steht nur: Es muss sie geben. Und wenn wir in der Astronomie wissen, dass es eine bestimmte Art von Himmelskörper geben MUSS, dann geben wir keine Ruhe, bis wir die Dinger auch gefunden haben!

Jul 30, 2021 • 19min
Sternengeschichten Folge 453: Das elektrische Universum und das mächtige Gefühl des Staunens
Alles ist elektrisch
Sternengeschichten Folge 453: Das elektrische Universum und das mächtige Gefühl des Staunens
In den Sternengeschichten habe ich auch immer viel von der historischen Entwicklung der Astronomie erzählt. Weil es spannend ist, weil es interessant ist zu wissen, wer wann was herausgefunden hat und vor allem wie. Dadurch lernt man nämlich auch, welche Fehler wir auf dem Weg zur Erkenntnis gemacht haben. Und wir haben jede Menge davon gemacht! Es ist ein Vorurteil zu denken, die Wissenschaft würde behaupten, alles letztgültig verstanden zu haben. Ganz im Gegenteil; wenn es so wäre, dann bräuchte es ja keine Wissenschaft mehr. Allen Forscherinnen und Forschern ist mehr als deutlich bewusst, wie viel wir noch nicht wissen. Daraus folgt aber auch nicht, dass alles, was wir jetzt wissen, Gefahr läuft, irgendwann falsch zu sein. Isaac Newton und Albert Einstein sind ein gutes Beispiel dafür. Newton hat im 17. Jahrhundert ein Modell aufgestellt, mit dem er unter anderem beschreiben konnte, wie sich die Himmelskörper bewegen. Albert Einstein hat im frühen 20. Jahrhundert das gleiche getan. Newtons Gravitationstheorie war höchst erfolgreich; sie war quasi die Grundlage auf der die moderne Naturwissenschaft erst aufgebaut werden konnte. Mit Newtons Theorie konnte man die Bewegung der Himmelskörper sehr viel genauer vorhersagen als heute. Man konnte damit erklären, wie Ebbe und Flut funktionieren, warum die Erde so aussieht, wie sie aussieht, und so weiter. Newtons Beschreibung der Natur war super. Aber war sie auch "richtig"? Manche Dinge ließen sich damit nur schlecht beschreiben. Die Bewegung des Planeten Merkur, zum Beispiel. Newton konnte außerdem nicht erklären, WARUM die Gravitation eigentlich zwischen den Himmelskörpern wirkt, er konnte nur mathematisch beschreiben, wie sie es tut. Albert Einsteins Theorie der Gravitation - die allgemeine Relativitätstheorie - konnte dagegen sehr gut erklären, wie Merkur sich bewegt, wie ich in Folge 222 ausführlich erzählt habe. Sie hat die Gravitation als Auswirkung der Krümmung von Raum und Zeit beschrieben. Einsteins Theorie konnte all das, was Newtons Theorie konnte, nur deutlich besser und sie konnte darüber hinaus auch völlig neue Phänomene vorhersagen und erklären, die komplett außerhalb von Newtons Reichweite liegen.
Ist Einsteins Theorie also richtig und Newtons Theorie falsch? Das kann man so sagen, aber man sollte es eigentlich nicht. Die absoluten Kategorien "richtig" und "falsch" lassen sich hier nicht anwenden. Newtons Gravitationstheorie beschreibt das Universum schlechter als das von Einstein. Aber in vielen Fällen immer noch ausreichend genau. Wenn es zum Beispiel darum geht, die Bewegung von Planeten zu berechnen, weil man eine Raumsonde zum Mars schicken will, dann kommt man mit Newtons Theorie immer noch wunderbar aus. Wenn ich berechnen will, wie ein Flugzeug fliegt; wie schnell ein Ball zu Boden fällt oder wie stark die Stützpfeiler einer Brücke sein müssen: Dann rechnen wir das heute immer noch mit Newtons Theorie aus und nicht mit der von Albert Einstein. Wir tun das, obwohl wir wissen, dass Einsteins Theorie besser ist. Aber wir wissen auch, dass die Unterschiede zwischen den beiden Modellen in sehr, sehr vielen Fällen nur minimal sind und keine Rolle spielen. Statt uns auf "richtig" und "falsch" zu konzentrieren, sollten wir lieber von Erweiterungen sprechen. Albert Einstein hat Newtons Theorie nicht widerlegt oder ersetzt. Sondern erweitert. Oder anders gesagt: Die Gravitationstheorie von Newton war eine Annäherung an die genauere Beschreibung, die Albert Einstein gefunden hat. Die allgemeine Relativitätstheorie wird erst dann relevant, wenn sehr starke Gravitationskräfte im Spiel sind oder Geschwindigkeiten, die nahe an der Lichtgeschwindigkeit liegen. Dort wo das nicht der Fall ist, liefern beide Theorien quasi identische Ergebnisse.
Das ist es, was Wissenschaft eigentlich Tag für Tag versucht: Eine immer genauere und bessere Beschreibung der Realität zu finden. Die dabei aber immer das bestehende Wissen inkludieren muss. Denn das basiert ja auf realen Beobachtungen. Newton hat seine Theorie aufgestellt, um die tatsächlich am Himmel zu sehende Bewegung der Himmelskörper mathematisch zu beschreiben. Eine Erweiterung von Newtons Theorie kann da nicht einfach komplett andere Ergebnisse liefern, sie muss die Realität ebenso genau beschreiben und dann noch besser sein.
Die Geschichte der Wissenschaft ist voll mit "falschen" Theorien wie Newtons Gravitation. Nur dass die eben nicht wirklich "falsch" sind, sondern meistens eben einfach nur dem bestmöglichen Stand der damaligen Erkenntnis entsprochen haben. Und modifiziert beziehungsweise erweitert worden sind, als man bessere Erkenntnisse, neue und genauere Daten oder unerwartete Entdeckungen gemacht hat. Eine veraltete Theorie ist nicht zwingend falsch und war im Allgemeinen echte Wissenschaft, als sie noch nicht veraltet war. Aber natürlich gibt es Ausnahmen. Im Laufe der Geschichte sind auch immer wieder Theorien aufgetaucht, die alles Bestehende komplett in Frage gestellt und ein völlig neues Bild des Universums präsentiert haben. Albert Einsteins spezielle Relativitätstheorie war so ein Fall; also jetzt nicht die Sache mit der Gravitation, sondern das mit "Nichts kann schneller als Licht sein" und "Bewegte Uhren gehen langsamer", und so weiter. Das war tatsächlich ein radikaler Wandel; bis dahin dachte man, dass Raum und Zeit getrennt voneinander existieren und absolut sind, also quasi einfach nur eine Bühne, auf der alles andere stattfindet. Einstein hat behauptet, dass beide Phänomene zusammenhängen und diese "Raumzeit" tatsächlich auch "etwas" ist. Er hat gezeigt, dass die Zeit unterschiedlich schnell vergeht, je nachdem wie schnell man sich bewegt. Und so weiter. Das waren dramatische Behauptungen. Aber Einstein konnte Vorhersagen machen, die immer und immer wieder bestätigt wurden. Und er konnte zeigen, dass seine Theorie auch all das was vorher da gewesen war, umfasst und erklären kann. Die Entwicklung der Quantenmechanik war ein ähnlich radikaler Wandel des Weltbildes.
Aber nicht immer, wenn jemand behauptet, das Universum sei radikal anders als man bisher geglaubt hat, hat man es auch mit echter Wissenschaft zu tun. Womit wir jetzt endlich beim "elektrischen Universum" aus dem Titel der Folge sind. Damit wird keine in sich konsistene Theorie zur Beschreibung des Kosmos bezeichnet. Es handelt sich eher um eine von verschiedensten Leuten zusammengetragene und immer wieder unterschiedlich interpretierte Sammlung an Gedanken, die alle auf einer Grundthese basieren: So gut wie alle Phänomene im Universum werden durch elektrische Kräfte verursacht. Das steht im Widerspruch zu den derzeitigen Erkenntnissen von Astronomie und Physik. Hier ist die Gravitationskraft die Kraft, die das Universum auf großen Skalen dominiert. Die Bewegung der Planeten um die Sonne; die Entstehung von Sternen, die Eigenschaften von Galaxien, die Bildung von Planeten: Und so weiter - all das können wir nur verstehen, wenn wir die Gravitation berücksichtigen. Im Kontext des "elektrischen Universum" wird das aber als falsch angesehen; hier verlässt man sich auf die Elektrizität.
Der Urspung dieser Hypothese lässt sich nicht eindeutig zurück verfolgen. Im Jahr 1883 hat ein anonymer englischer Autor, der sich selbst "Torpedo" genannt hat, ein Heftchen mit dem Titel "Das elektrische Universum: Leuchtende Gedanken zur Überlegung und Fakten aus vielen Quellen" veröffentlicht. Darin erklärt er, dass die Dinge nicht so sind, wie man sie uns glauben machen will. Und in Wahrheit alles ganz anders ist. Die Astronomie wisse zum Beispiel gar nicht, wie Licht und Wärme von der Sonne funktionieren würden. Warum etwa ist es in England im Dezember und Januar so viel kälter als im Juni, wo doch die Erde auf ihrer elliptischen Bahn näher an der Sonne sei als im Sommer? Mit der Neigung der Erdachse hätte das nichts zu tun, so Torpedo, das könne auch gar nicht sein. Denn Licht sei zwar Licht, aber er könne sich nicht vorstellen, dass auch Wärme so funktioniert wie ein Lichtstrahl. Wenn die Sonne ein heißes Objekt sei, dann müsse es wärmer sein, wenn wir näher dran sind und Ende. Und weil es im englischen Winter kalt ist, könne die Sonne nicht heiß sein. Die Wärme die wir auf der Erde spüren, käme stattdessen durch elektrische Effekte in unserer Atmosphäre zustande.
1883 ist schon ein bisschen her. Aber auch damals hätte jemand wie Torpedo eigentlich schon wissen können, dass diese Argumentation Unsinn ist. Ja, es stimmt: Die Erde kommt auf ihrer Bahn der Sonne tatsächlich Anfang Januar am nächsten. Das hat aber nichts damit zu tun, dass es bei uns im Winter kalt ist. Was man - auch im 19. Jahrhundert - leicht dadurch feststellen kann, dass auf der südlichen Hälfte der Erde die Temperaturen im Januar alles andere als kalt sind. In Australien befindet man sich dann etwa mitten im Hochsommer. Die Jahreszeiten werden - wie man heute schon in der Schule lernt - tatsächlich durch die Neigung der Erdachse verursacht. Im Winter trifft das Sonnenlicht unter einem flacheren Winkel auf die Erde und die Sonne steht auch kürzer am Himmel und deswegen erreicht uns weniger Energie. Und dass Wärme tatsächlich nichts anderes als Licht ist, das wir mit unseren Augen nicht sehen können, kann man sich heute mit jeder Wärmebildkamera ansehen (oder auch jeder Handykamera, die einem zum Beispiel das ansonsten unsichtbare Infrarotlicht zeigt, das aus einer Fernbedienung kommt). Torpedo schreibt noch seitenweise weiter, bevor er dann dazu übergeht, die Leute um Geld zu bitten, um von ihm das Geheimnis des Perpetuum Mobiles zu kaufen und seltsame Gedanken über Religion äußert.
Absurde Thesen über das Universum und Pseudowissenschaft findet man in der Geschichte in großer Menge; und über irgendein komisches Flugblatt aus dem 19. Jahrhundert müsste man eigentlich gar nicht diskutieren. Die Idee des "elektrischen Universums" existiert aber auch heute noch. Nicht in der Welt der echten Wissenschaft - aber abseits davon taucht es immer wieder auf. Es ist, wie gesagt, nicht möglich, einen allgemeinen Überblick darüber zu geben, was diese Hypothese umfasst. Es gibt keine einheitliche Theorie des elektrischen Universums, nur jede Menge überall verstreute Gedanken. Die aber nicht sonderlich tiefgehender sind als die von Torpedo im 19. Jahrhundert. Ein Beispiel: Auch die modernen Anhänger des elektrischen Universums sind der Meinung, die Sonne wäre kein heißer Ball aus Gas, in dem Kernfusion stattfindet und der deswegen Licht und Energie produziert. Stattdessen sei die Sonne eine "elektrische Entladung", die über einen entsprechenden "galaktischen Stromkreis" versorgt wird. Auch die Planeten sind nicht entstanden, als sich Material in einer Scheibe aus Gas und Staub durch Gravitationskraft zusammengeballt hat, sondern verdanken ihrer Existenz elektrischen Phänomenen. Jetzt seien sie zwar in elektrische Felder gehüllt, die die elektrischen Kräfte im Sonnensystem abschirmen, weswegen es so aussieht, als spiele nur die Gravitationskraft eine Rolle. Das aber könne sich jederzeit ändern… und elektrische Entladungen überall stattfinden. Die vielen Krater, die man auf diversen Himmelskörper sehen kann, seien ein Beleg dafür. Denn die Krater sind ja alle annähernd kreisförmig; wenn sie aber durch Kollisionen mit Asteroiden entstanden sind, müssten sie ja auch oval, langgestreckt und so weiter sein, je nachdem unter welchem Winkel das Objekt auftrifft. Stattdessen würden die Krater durch gigantische Blitzentladungen entstehen.
Und so weiter. So gut wie alles, was die moderne Astronomie herausgefunden hat, wird von Anhängern des elektrischen Universums angezweifelt. Angefangen bei der Entstehung des Universums selbst bis hin zu den Zeitskalen (Die Erde sei vielleicht viel jünger als die Geologie behauptet). Nichts ist so, wie die Wissenschaft behauptet, alles ist ganz anders, nämlich elektrisch. Natürlich lässt sich jede dieser Behauptungen widerlegen. Am Ende landet man aber immer da, wo man auch schon bei Torpedo im 19. Jahrhundert war. Er hat damals argumentiert: Ich kann mir nicht vorstellen, wie die Jahreszeiten entstehen. Also kann es nicht so sein, wie die Wissenschaft behauptet. Und genau so läuft es heute immer noch: Ja, es klingt auf den ersten Blick seltsam, dass alle Krater annähernd rund sind, egal unter welchem Winkel die Asteroiden einschlagen. Aber wenn man WIRKLICH darüber nachdenkt, die entsprechenden Kräfte und freiwerdenden Energien berechnet (wobei man natürlich die Gravitation berücksichtigen muss), dann sieht man leicht, dass diese Energie so gewaltig ist, dass der Krater durch eine Explosion verursacht wird, die dann eben immer einen kreisförmigen Krater erzeugt - wie ich auch in der Folge 220 im Detail erklärt habe.
Und ja, es ist auch schwer, sich die Quanteneffekte im Inneren der Sonne anschaulich vorzustellen. Das heißt aber nicht, dass sie nicht da sind und man kann deswegen nicht folgern - wie die Anhänger des elektrischen Universums es tun - dass dort keine Kernfusion möglich ist. Man darf sich nicht wundern, dass die Welt seltsam wirkt, wenn man sie an den Grenzen der eigenen Vorstellungskraft misst. Aus "Ich kann mir nicht vorstellen, wie das funktioniert" darf man eben gerade nicht folgern "Wenn ich mir nicht vorstellen kann, wie das funktioniert, dann KANN es auch nicht funktionieren". Isaac Newton konnte sich auch nicht vorstellen, WIE die Gravitationskraft zwischen den Planeten wirkt. Aber er wusste, wie er diese Wirkung mathematisch sehr genau beschreiben konnte. Und das hat ihm gereicht. Er hat seine Theorie deswegen nicht einfach verworfen. Und später kam dann ja eh Einstein und hat das erklärt, was Newton sich noch nicht vorstellen konnte.
Es wäre leicht, sich über die Anhänger des elektrischen Universums lustig zu machen. Genau so leicht wäre es, diejenigen zu verspotten, die denken, die Erde wäre eine Scheibe (die gibt es ja leider auch). Aber das wäre weder zielführend, noch angemessen. Ja, das elektrische Universum ist durch nichts belegt. Es ist eben gerade KEINE Theorie, die alles das erklären kann was wir schon wissen und das besser als es bisher möglich war. Es kann die Realität nur schlechter beschreiben als die Theorien, die es ersetzen will; ganz viele Phänomene kann das elektrische Universum gar nicht erklären und am wichtigsten: Die allermeisten Aussagen sind durch reale Beobachtungen und bestehendes Wissen schlicht und einfach widerlegt. Trotzdem wäre es zu einfach, die Leute, die sich das alles ausgedacht haben, "dumm" zu nennen. Das elektrische Universum ist eine schlechte, konfuse, sehr oft falsche und in sich widersprüchliche Beschreibung des Kosmos. Aber sie zeigt auch den dringenden Wunsch, dieses Universum verstehen zu wollen! Genau hier trifft die Pseudowissenschaft auf die echte Wissenschaft. Beide sind davon getrieben, zu wissen, wie alles funktioniert! Ich als Astronom kann diesen Wunsch oder besser gesagt, diesen Drang absolut verstehen! Und ich kann auch verstehen, dass es oft wahnsinnig hart und kompliziert ist, sich das nötige Wissen und die nötigen Methoden anzueignen, die man braucht, wenn man diesem Drang auf eine wissenschaftlich brauchbare Art und Weise nachkommen will. Man muss Jahre an der Universität bringen; muss lernen, muss rechnen, und scheitert unterwegs immer wieder. Das bis zum Ende durchzuziehen ist schwer und nicht unbedingt deswegen, weil man einfach zu blöd dafür wäre. Man braucht auch Glück; man braucht aber vor allem die Möglichkeiten, sich all diese Jahre dem Studium widmen zu können. Das können nicht alle. Und deswegen ist es verständlich, wenn man dann von außen auf die Erkenntnisse der modernen Wissenschaft blickt und sich denkt: Das verstehe ich nicht. Das klingt seltsam. Das klingt nicht logisch. Das muss falsch sein.
Und wenn man dann trotzdem verstehen will, wie die Welt funktioniert, dann sucht man sich eben einen eigenen Weg! Der dann aber leider oft in die Irre führt und bei so etwas wie dem elektrischen Universum oder der flachen Erde landet. Der Astronom Carl Sagan hat einmal gesagt: "Die Wissenschaft vermag ein mächtiges Gefühl des Staunens zu wecken. Aber das gelingt auch der Pseudowissenschaft. Spärliche und schlechte populärwissenschaftliche Darstellungen lassen ökologische Nischen frei, welche die Pseudowissenschaft prompt ausfüllt."
Wir alle sind von diesem "mächtigen Gefühl des Staunes" angetrieben. Die Wissenschaft sollte den Menschen dabei helfen, es selbst erleben zu können und sich nicht über diejenigen lustig machen, die es dort befriedigen, wo es aus ihrer Sicht befriedigt wird. Wenn die Wissenschaft sich nicht darum kümmert, ihre Erkenntnisse so zu erklären, dass ALLE die das möchten daran teil haben können; wenn sie sich nicht darum kümmert, ihre Erkenntnisse auch verständlich für alle darzustellen - dann darf sie sich auch nicht wundern, wenn die Menschen sich abwenden. Wir treiben Wissenschaft, um das "mächtige Gefühl des Staunens" selbst erleben zu können. Mindestens ebenso wichtig wie die Forschung sollte es uns aber auch sein, dieses Gefühl an alle anderen Menschen zu vermitteln.


