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Redaktion NachDenkSeiten
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Nov 21, 2025 • 3min

Nackte Propaganda fürs Militär und für Rüstungsausgaben

Prominent auf der ersten Seite erschien heute in der Tageszeitung Die Rheinpfalz der oben abgebildete Artikel. „Steigende Ausgaben für das Militär … werden zu einem Jobmotor“, wird behauptet. Und es wird dabei unterschlagen, dass andere wichtige öffentliche Güter und Einrichtungen wie Schulen, Schienenwege, Straßen, Kindergärten usw. genauso mit diesem Geld produziert werden könnten. Und dies oft – anders als bei militärischen Gütern – ohne Vorleistungen aus anderen Ländern wie den USA oder Frankreich geschehen könnte. Die Überschrift könnte dann heißen: „Der Boom an Ausgaben für Schulen, Schienenwege und andere öffentliche Leistungen sichert Hunderttausende Jobs“. Albrecht Müller.Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.Der Unterschied wäre dann allerdings ein beachtlicher: Wir, die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, wir, die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler hätten etwas von unseren finanziellen Leistungen: Wir könnten unsere Kinder und Enkel auf gute Schulen schicken, wir könnten uns sogar vielleicht auf die Pünktlichkeit der Bahn verlassen und auf einen intakten öffentlichen Nahverkehr.Auch wenn dies klar sein müsste, auch wenn der Vorteil von Investitionen und mehr Geld in zivile öffentliche Leistungen für jedermann und jede Frau erkennbar sein müsste, Propaganda hat ihre Folgen. Wir müssen damit rechnen, dass solche Artikel nicht zufällig und unbeabsichtigt erscheinen. Sie werden geschrieben und gedruckt, um die Mehrheit der Menschen zu beeinflussen und um einen steigenden Anteil öffentlicher Ausgaben für das Militär zu begründen und politisch durchzusetzen. Diese erkennbare Absicht dieser Propaganda ist der einzige Grund dafür, dass die NachDenkSeiten auf solche Vorgänge aufmerksam machen. Bitte informieren Sie in Ihrer Familie und in Ihrem Umfeld über die skizzierte Militärpropaganda.Titelbild: Die Rheinfpalz
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Nov 21, 2025 • 13min

„Sicherheit ist unteilbar“ – Die Aktualität der „Charta von Paris“

Am 21. November jährt sich wieder ein epochales Ereignis, das völlig zu Unrecht in Vergessenheit geraten ist: Vor genau 35 Jahren wurde mit der „Charta von Paris“ der Kalte Krieg feierlich beendet. (Zeitweise zumindest …) – Soll der blutige Ukrainekrieg einer nachhaltigen Lösung zugeführt werden, soll tatsächlich wieder echter Friede in Europa einkehren, so gibt es nur einen Weg: Zurück zu den Prinzipien der „Charta von Paris“! Von Leo Ensel.Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.„Ich sehe keine Gegner, kein anderes Land, keine andere Nation, die wir verdächtigen, sich auf einen Krieg mit uns vorzubereiten. So nehmen wir die Welt heute wahr. Und das lässt uns hoffen, dass wir uns das Ziel setzen können, eine atomwaffenfreie und gewaltfreie Welt zu schaffen, eines der größten Ziele für die gesamte Weltgemeinschaft. Wir haben genügend andere Probleme, mit denen wir uns beschäftigen müssen. Wir haben uns in einem Wettrüsten erschöpft, das zu nichts anderem als zu einer Vergiftung der Beziehungen führte, die wir jetzt wiederherstellen müssen.“Und:„Eine neue Vision der Welt triumphiert, die Ära der Konfrontation ist vorbei, die das Gesicht Europas und der Welt prägte. Lasst uns ohne Zögern dafür sorgen, dass gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit alltäglich und selbstverständlich werden in der Kommunikation unserer großen Nationen. Möge der auf 20 Jahre geschlossene sowjetisch-deutsche Vertrag zu einem Vertrag über den ewigen Frieden werden!“So weit waren wir schon einmal!Vor genau 35 Jahren. Die beiden Zitate stammen von Michail Gorbatschow anlässlich der Unterzeichnung des deutsch-sowjetischen „Vertrags über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit“ am 9. November 1990 – ein Jahr nach dem Mauerfall und einen Monat nach der deutschen Vereinigung.Und es ging weiter.Michail Gorbatschows „neue Vision der Welt“ und seine Idee des „Gemeinsamen Europäischen Hauses“ nahmen kurz darauf bereits Gestalt an: Anderthalb Wochen später trafen sich die Staats- und Regierungschefs aller europäischen Staaten inclusive der Sowjetunion – die, wie der Warschauer Pakt, zu dieser Zeit noch existierte – sowie der USA und Kanada in der französischen Hauptstadt, wo sie am 21. November 1990 gemeinsam die „Charta von Paris – Für ein neues Europa“ unterzeichneten. Sie besiegelte das offizielle Ende des Kalten Krieges und der Teilung des europäischen Kontinents und verkündete den Beginn eines neuen Zeitalters des Friedens und der Zusammenarbeit.„Ein neues Zeitalter des Friedens“Liest man dieses bemerkenswerte Dokument heute nochmals und vergegenwärtigt man sich die Hoffnungen, die damals im Hinblick auf ein kommendes Zeitalter des Friedens, der Kooperation und der Überwindung der Teilung Europas allerorten blühten, dann kommen einem, je nach Temperament, entweder die Tränen oder die Wut steigt auf. Man lasse sich nur einmal folgende Sätze auf der Zunge zergehen:„In Übereinstimmung mit unseren Verpflichtungen gemäß der Charta der Vereinten Nationen und der Schlußakte von Helsinki erneuern wir unser feierliches Versprechen, uns jeder gegen die territoriale Integrität oder politische Unabhängigkeit eines Staates gerichteten Androhung oder Anwendung von Gewalt zu enthalten. Wir bekräftigen unser Bekenntnis zur friedlichen Beilegung von Streitfällen. Wir beschließen, Mechanismen zur Verhütung und Lösung von Konflikten zwischen den Teilnehmerstaaten zu entwickeln. Nun, da die Teilung Europas zu Ende geht, werden wir unter uneingeschränkter gegenseitiger Achtung der Entscheidungsfreiheit eine neue Qualität in unseren Sicherheitsbeziehungen anstreben.“Und dann der zentrale Satz:„Sicherheit ist unteilbar, und die Sicherheit jedes Teilnehmerstaates ist untrennbar mit der aller anderen verbunden.“Diese Maxime der „gemeinsamen Sicherheit“ war die unmittelbare Frucht des über Jahrzehnte von Politikern wie Willy Brandt, Egon Bahr, Olof Palme und Michail Gorbatschow entwickelten „Neuen Denkens“. Die Konsequenz:„Wir verpflichten uns daher, bei der Festigung von Vertrauen und Sicherheit untereinander sowie bei der Förderung der Rüstungskontrolle und Abrüstung zusammenzuarbeiten. Wir wollen ein Europa, von dem Frieden ausgeht, das für den Dialog und die Zusammenarbeit mit anderen Ländern offen und zum Austausch bereit ist, und das mitwirkt an der Suche nach gemeinsamen Antworten auf die Herausforderungen der Zukunft. Wir unterstützen uneingeschränkt die Vereinten Nationen und die Stärkung ihrer Rolle bei der Förderung von Frieden, Sicherheit und Gerechtigkeit in der Welt. Wir bekräftigen unser Bekenntnis zu den in der Charta verankerten Grundsätzen und Zielen der Vereinten Nationen und verurteilen jede Verletzung dieser Prinzipien.“Die blutige GegenwartWas aus diesen großen Hoffnungen – den Versprechen von Frieden, friedlicher Beilegung von Konflikten, Zusammenarbeit, einer Politik gemäß der UN-Charta – geworden ist und wo wir heute in Europa und der Welt stehen, das weiß jedes Kind. Ich erspare es mir und den Lesern, die lange Liste der Verstöße – zunächst und jahrzehntelang durch den Westen, dann auch durch Russland – gegen Buchstaben und (noch mehr!) Geist dieses einmaligen Dokuments der Humanität zum x-ten Male herunterzubeten. Und springe stattdessen direkt in die katastrophale Gegenwart.Der Ukrainekrieg, dieser längste auf europäischem Territorium tobende heiße Krieg seit 1945, scheint unlösbar. Unüberbrückbar antagonistisch stehen sich die Positionen Russlands und der durch den kollektiven Westen materiell, militärisch und publizistisch unterstützten Ukraine gegenüber: Russland erhebt über die Krim und das bereits eroberte Terrain in der Ostukraine hinaus weitere Gebietsansprüche und fordert eine weitgehend demilitarisierte (Rest)-Ukraine, die ihren Anspruch auf NATO-Mitgliedschaft für immer begräbt. Die Ukraine wiederum besteht auf ihrer territorialen Integrität und fordert eine möglichst rasche NATO-Mitgliedschaft oder analoge multilaterale Sicherheitsgarantien des Westens inclusive einer Militärpräsenz aus NATO-Staaten plus modernste Waffensysteme – bis hin zu weitreichenden Raketen und Marschflugkörpern, die in der Lage wären, den Kreml und zentrale Module des strategischen Sicherheitssystems Russlands zu attackieren.Auf dieser Basis scheint eine Einigung nahezu unmöglich, die, was bereits höchst kompliziert wäre, über einen permanent gefährdeten wackeligen Waffenstillstand oder allerbestenfalls eine erneute Teilung des europäischen Kontinents (inclusive einer ‚neuen Berliner Mauer‘, diesmal mehr als 1.500 Kilometer weiter östlich) hinausginge. Im ‚optimalen Falle‘ droht für die kommenden Jahrzehnte ein neuer Kalter Krieg, der jederzeit in einen heißen umkippen könnte.Back to the „Charta of Paris“!Dabei ist das Rad längst erfunden. Es sind die, ihrerseits auf der UN-Charta basierenden, Prinzipien der „Charta von Paris“. Wie die jahrhundertelange „Erbfeindschaft“ zwischen Frankreich und Deutschland oder der Nachkriegsstreit um die „verlorenen deutschen Ostgebiete“ kann auch das brandgefährliche antagonistische Gerangel um die Ukraine, das im Worst Case einen dritten Weltkrieg zu entflammen droht, nur in einer überwölbenden Sicherheitsstruktur überwunden werden: Der einzige realistische, wenn auch derzeit ‚utopisch‘ erscheinende Ausweg wäre die Rekonstruktion des Gorbatschow‘schen „Gemeinsamen Europäischen Hauses“ unter den aktuellen geopolitischen Rahmenbedingungen auf Basis des Prinzips der gemeinsamen Sicherheit. Eine Konstruktion, bei der die Frage, welches Territorium zu welchem Land gehört, langfristig immer mehr an Bedeutung verlieren würde. Es geht also um nichts Geringeres als um den kompletten Reset der europäischen Sicherheitsstruktur!Dass diese Perspektive aktuell als nahezu unmöglich erscheint und man ihre Anwälte natürlich als „naiv“ verhöhnen wird, darf uns nicht schrecken. Alle grundlegenden Veränderungen beginnen bekanntlich im Kopf! Auch der Mauerfall und die deutsche Vereinigung wurden jahrzehntelang ins Reich der Utopie verbannt – vom friedlichen Ende(?) des ersten Kalten Krieges, bei dem damals kein einziger Schuss fiel, ganz zu schweigen.Für die Menschen, die – in der offiziellen Politik oder in den Basisgruppen ‚von unten‘ – friedenspolitisch engagiert sind, würde dies nichts weniger als eine „Kopernikanische Wende in den Köpfen“ bedeuten. Genauer: Wir haben jetzt radikal ‚antizyklisch‘ zu denken und zu handeln – und zwar so, als ob ein wiedervereinter europäischer Kontinent, das „Gemeinsame Europäische Haus“ bereits existieren würde! Wir haben es uns in allem gebotenen Ernst klarzumachen: Alles, was dem Territorium zwischen Lissabon und Wladiwostok widerfährt – aktuell natürlich besonders in der Ukraine –, das betrifft uns alle, widerfährt uns allen.Diese Lösungsperspektive mental zu kultivieren, sie dauerhaft wach zu halten und immer wieder hartnäckig einzufordern, wäre eine – nein: die – zentrale Aufgabe der Friedensbewegung. Es gilt, allem schrillen Kriegstüchtigkeits- und Kampfbereitschaftsgeschrei zum Trotz, die offizielle Politik so unter Druck zu setzen, dass sie endlich die Stunde der Diplomatie eröffnet und im Millimetertempo mit der mühevollen Rekonstruktion des über Jahrzehnte verspielten Vertrauens beginnt. Denn wir sind längst schon wieder dabei, uns ein weiteres Mal in einem Wettrüsten zu erschöpfen, das die Beziehungen bereits vergiftet hat und zu noch viel Schlimmerem führen kann.Diplomatie, so der im Sommer 2022 verstorbene Genscher-Vertraute und filigrane Feinmechaniker der deutschen Vereinigung, Frank Elbe, ist ein Reparaturunternehmen. („Wenn Sie einen Wasserrohrbruch haben, dann holen Sie keinen Juristen, sondern den Klempner!“ So der Jurist.) Es ist allerhöchste Zeit, dass diese „Klempner“, will sagen: hochqualifizierte Fachleute – hoffentlich gibt es sie noch! – das Ruder übernehmen und mit dem berühmten „starken und langsamen Bohren harter Bretter mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich“ einen langjährigen „Helsinki-Prozess 2.0“ starten! Und dabei, flankierend, unterstützt werden von einer endlich aufgewachten Öffentlichkeit, die erkannt hat, was gerade auf dem Spiel steht – sprich: einer neuen starken Friedensbewegung, die diesen Namen wirklich verdient. Denn eines müssen wir mit allen Kräften verhindern: Einen vereinten eurasischen Kontinent – in Gestalt eines auf Jahrtausende verstrahlten Trümmerfelds!Es gibt nur diesen einen Ausweg.Mit freundlicher Genehmigung von Globalbridge.Titelbild: George Bush Presidential Library/OSCE/CC BY-ND 4.0
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Nov 21, 2025 • 20min

Skandal um Kulturstaatsminister und „Weimer Group“: Angeblich kein Thema für Merz und sein Kabinett

Der Skandal um Kulturstaatsminister und Merz-Duzfreund Wolfram Weimer weitet sich mit jedem Tag weiter aus. Das von ihm und seiner Frau gegründete Medienunternehmen „Weimer Media Group“ verkauft nicht nur Netzwerk-Pakete für den „Ludwig-Erhard-Gipfel 2026“ zu je 80.000 Euro, die mit „Einfluss auf politische Entscheidungsträger“ in Form von Treffen und Gesprächen mit Bundesministern werben – sondern wirbt auch mit Medienpartnern und Ministern, die gar nicht zugesagt haben. Für Bundeskanzler Merz und sein Kabinett angeblich kein Thema, das sich zu besprechen lohnt. Ob diese Kopf-in-den Sand-stecken-Taktik aufgehen wird? Von Florian Warweg.Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.Hintergrund (teilweise auf Basis eines NDS-Artikels von Ralf Wurzbacher)Bis zu seinem Wechsel in die Politik war Wolfram Weimer Geschäftsführer der Weimer Media Group GmbH (WMG), die er gemeinsam mit seiner Frau Christiane Goetz-Weimer 2012 gegründet hatte. Das Unternehmen publiziert rund ein Dutzend Zeitschriften überwiegend im Bereich Wirtschaftsjournalismus und richtet Wirtschaftsevents aus, darunter das „Frankfurt Finance & Future Summit“, den „SignsAward“, die „Marken Gala“ sowie den nun in die Schlagzeilen geratenen „Ludwig-Erhard-Gipfel“. Dessen zwölfte Auflage steigt vom 28. bis 30. April 2026 wie stets seit 2014 im Gut Kaltenbrunn in Gmund am Tegernsee.Bis dato hatte „Deutschlands Meinungsführertreffen“, wie es der Gastgeber auf der begleitenden Webseite unbescheiden annonciert, keine größere Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Diesmal ist alles anders. Das rechtslibertäre Onlinemagazin Apollo News berichtete am Montag exklusiv über eine mögliche Interessenvermengung in Person Weimers in seiner Doppelrolle als hochgestellter Politiker und mutmaßlich monetärer Profiteur der Veranstaltung. Unter dem Titel „Korruption im Kanzleramt“ erhebt Autor Daniel Gräber den Vorwurf, der 61-Jährige verkaufe „Einfluss auf die politischen Entscheidungsträger“. Gestützt wird dieser Vorwurf von PR-Proschüren zum „Ludwig-Erhard-Gipfel“:Quelle: Apollo News„Mont Blanc“ für 80.000 Euro Weimer fungiert seit dem Machtwechsel im Mai als Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien, ist „als Staatsminister direkt dem Bundeskanzler zugeordnet und nimmt an den Sitzungen des Bundeskabinetts teil“. Er gilt, wie es heißt, als enger Vertrauter von Bundeskanzler Friedrich Merz, sei mit diesem per Du und ist ihm auch räumlich nahe. Der CDU-Chef hat einen Wohnsitz in Gmund, nicht weit vom WMG-Sitz in Tegernsee Stadt. Ihre Enge umschrieb die Süddeutsche Zeitung (SZ) Ende April mit „Tegernsee-Connection“ (hinter Bezahlschranke). Mit seiner Berufung nach Berlin hatte Weimer bekanntgegeben, dass er die Verlagsgruppe „mit sofortiger Wirkung“ verlasse. Tatsächlich firmiert er seither nicht mehr als Geschäftsführer, die Leitung ging komplett auf seine Gattin über. Allerdings hält er weiterhin die Hälfte der Firmenanteile, wie ein aktueller Handelsregisterauszug belegt. Gewinne, die die WMG mit dem Ludwig-Erhard-Gipfel mache, „fließen damit direkt in die Taschen des Staatsministers“, hält Apollo News fest, die die Recherchen zu dem Fall maßgeblich mit angestoßen hatten.Dabei geht es um recht dubiose Einnahmequellen. In Verkaufsunterlagen, die dem Magazin vorliegen, würden interessierten Unternehmen „exklusive Zugänge“ zu Spitzenpolitikern offeriert, als sogenannte Top-Assets „Premiumvernetzung in entspannter Atmosphäre am Tegernsee“ und „Einfluss auf die politischen Entscheidungsträger“ beworben. Dabei ließen sich unterschiedliche Pakete buchen. Das namens „Zugspitze“ koste 40.000 Euro plus Mehrwertsteuer, enthalte „zehn Eintrittskarten zur Konferenz für Geschäftspartner, Kunden und Unternehmensmanager“, Werbeleistungen in den WMG-Wirtschaftsmedien sowie eine „Rednerpräsenz auf der Konferenz (Panelteilnahme)“. Beim Paket „Matterhorn“ zu 60.000 Euro netto und „Mont Blanc“ zu 80.000 Euro netto komme die „Teilnahme eines Vorstands/Geschäftsführers an der exklusiven Executive Night“ hinzu.Quelle: Apollo NewsStammgast Lars Klingbeil Zitiert wird aus der Antwort einer WMG-Mitarbeiterin per E-Mail auf die Frage nach direkten Kontaktmöglichkeiten zur Bundesregierung. Sie sei „der Meinung, dass wir hier auf eines der höheren Pakete zurückgreifen sollten, nämlich das Matterhorn-Paket, das Rednerpräsenz auf der Konferenz einschließt, eine große Standpräsenz im Konferenzzentrum und die Teilnahme an der exklusiven Executive Night, wo auch die Minister teilnehmen werden“. Das Spitzenpaket „Mont Blanc“ soll zudem eine „Besprechungs-Lounge für vertrauliche Gespräche“ beinhalten. „Nicht unüblich“ seien bei derlei Veranstaltungen, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) am Dienstag schrieb, „Side-Meetings, in deren Rahmen das gezielte wie diskrete Miteinander-ins-Gespräch-Kommen zumindest erleichtert wird“.Laut Apollo News soll Cheforganisator Matthias Nieswandt einen Besuch des Bundeskanzlers in Aussicht gestellt haben. Entschieden sei das zwar noch nicht, aber „ich denke, dass wir die halbe Bundesregierung vor Ort haben werden“. Nimmt man die aktuelle Liste der „Speaker“, haben sich für kommendes Frühjahr mit Katherina Reiche und Thorsten Frei (beide CDU) sowie Dorothee Bär (CSU) und Alois Rainer (beide CSU) immerhin vier Bundesminister angekündigt. Beim letzten Termin im Mai dieses Jahres war auch Merz mit dabei, neben Ricarda Lang (Grüne) und SPD-Chef Lars Klingbeil (SPD), den Gastgeberin Goetz-Weimer im Vorfeld in einem Interview mit dem Münchner Merkur einen „Stammgast“ nannte.Kein Platz für Extremisten Seinerzeit hatte Schwarz-Rot einen Tag vor dem Treffen in Gmund die Amtsgeschäfte übernommen. Damit sei der Gipfel „quasi die Keimzelle der neuen Bundesregierung“, so Goetz-Weimer. Überhaupt mag es die Frau exklusiv. „Wir verstehen uns als Gipfel der bürgerlichen Mitte“, und es gehe darum, „Brücken zu bauen“. Allerdings nicht über alle Gräben hinweg. AfD, BSW und Die Linke lade man grundsätzlich nicht ein, denn: „Extremisten bleiben bei uns außen vor.“ Das Format beschrieb sie so: „Bei uns treffen sich seit Jahren die Top-Entscheider. Sie diskutieren bei uns die wichtigsten Fragen der Zeit auf offener Bühne und tauschen sich daneben auch vertraulich aus.“ Was ihr auch sehr gut gefalle: „Sie kommen nicht nur, um zu senden, sondern auch, um zu empfangen“, und „treffen sich auch zu vielen bilateralen Gesprächen“. Dass der Austausch gegen allerhand Geld vonstatten geht, sagte sie nicht.Ihr Gatte sieht sich zu Unrecht an den Pranger gestellt. In einem Gespräch mit Die Welt (hinter Bezahlschranke) bekräftigte er: „Natürlich sind Minister nicht käuflich.“ Ferner wies er den Vorwurf zurück, von der Veranstaltung finanziell zu profitieren, ohne allerdings in Abrede zu stellen, weiter an der WMG beteiligt zu sein. Nur so viel: „Ich habe dort keine Funktionen, auch kein Beratermandat“, es gebe „eine glasklare Trennung zwischen meiner Tätigkeit als Minister und der meiner Frau als Geschäftsführerin und Verlegerin“. Ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, den Gipfel auszusetzen, solange er Regierungsmitglied sei, wollte der Interviewer wissen. Nein, so Weimer, „das käme einem Berufsverbot für meine Frau nahe“.Kanzler muss handeln Aufschlussreich ist, wie er die Vorgänge um seine Person einordnet. Demnach begreift er sich als Opfer einer Kampagne „rechter Netzwerke“ in Gestalt von Apollo News, Nius und der AfD. „Die Rechten setzen gezielte Diffamierung als Waffe der politischen Auseinandersetzung ein.“ Das ist gewiss zutreffend, geht aber am Thema vorbei. Denn fraglos stört es auch Bürger, die sich als konservativ, politisch in der Mitte oder links davon verorten, wenn bei Politikern der Anschein entsteht, sie könnten ihr Amt mit geschäftlichen Interessen verquicken. Die meisten dürften es bereits als anstößig empfinden, dass bei Events wie dem am Tegernsee politische und ökonomische Macher auf Tuchfühlung gehen, um die Geschicke des Landes unter sich auszumachen. Das ist an sich schon problematisch genug, wenn dabei sogar Geld fließt, noch schlimmer.„Wir sehen es schon an sich kritisch, wenn ein privilegierter Zugang zu hochrangigen Politikerinnen und Politikern gegen Geld angeboten wird“, äußerte sich in einer Stellungnahme der Verein LobbyControl.„Wenn das Geld dann aber indirekt an einen amtierenden Minister fließt, erschüttert dies das Vertrauen in die Integrität der Bundesregierung und fügt dem Bild der Politik insgesamt Schaden zu.“ Der Kanzler müsse „Verantwortung übernehmen und dafür sorgen, dass die unverantwortliche Vermischung von politischem Amt und privaten Geschäftsinteressen in seinem Kabinett beendet wird“.Den Verdacht der Käuflichkeit gilt es offenbar tunlichst auszuräumen. Jedenfalls lassen die Reaktionen in der Politik erkennen, dass man die Angelegenheit sehr ernst nimmt. Jede Beteiligung am Gipfel werde derzeit überprüft, teilte die Bayerische Staatsregierung mit. Man habe zudem eine interne Compliance-Prüfung veranlasst, um zu ermitteln, „ob eine Fortsetzung der staatlichen Unterstützung weiterhin möglich ist“. Die Veranstaltung wurde in den vergangenen Jahren vom Freistaat insgesamt mit einem mittleren sechsstelligen Betrag bezuschusst.Plötzlich ganz distanziert Heikel ist im Besonderen die Rolle von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Der war an der Seite seiner Kabinettskollegen mehrfach als Schirmherr des Gipfeltreffens aufgetreten und bemerkte einmal: „Es könnte so auf Dauer ein bayerisches Davos werden“, angelehnt an das Weltwirtschaftsforum (WEF) in den Schweizer Alpen. Vielleicht hat sich das alsbald erledigt. Das Magazin Cicero raunte am Dienstag (hinter Bezahlschranke): „Markus Söder ist ein mächtiger Mann. (…) Es ist kaum vorstellbar, dass er seinen eigenen Ruf ohne Not dem amtierenden Kulturstaatsminister opfert.“ Erste Rücktrittsforderungen an Weimers Adresse kamen gestern von Seiten der FDP (ausgerechnet). Nach Informationen von Apollo News sollen mit Bär, Rainer und Frei schon drei Minister ihre Teilnahme an besagter „Executive Night“ abgesagt haben: Sie wollen nun lediglich als Redner im Hauptprogramm auftreten.Aus dem Haus Reiche verlautete: „Es liegt keine Zusage für den Ludwig-Erhard-Gipfel vor.“ Dies, obwohl sie schon länger als „Speakerin“ auf der Webseite angekündigt ist. Zu den Förderern des Events gehört auch die E.on-Tochter Westenergie, als „Member“ Teil der obersten Sponsorenkategorie. Die heutige Wirtschaftsministerin war dort bis zu ihrem Wechsel in die Politik Vorstandschefin. Seit der Auftaktkonferenz 2014 machte sie jedes Jahr ihre Aufwartung. Ähnlich oft ließ sich auch der Kanzler blicken. Von ihrer Rede beim Treffen im letzten Mai ist folgender Satz überliefert:„Sie können sich schon mal merken, wenn Sie elf Mal durchhalten, werden Sie Bundeswirtschaftsminister.“Mutmaßlich erfundene Medienpartnerschaften Neben dem bereits erwähnten Ludwig-Erhard-Gipfel am Tegernsee  veranstaltet die Weimer Media Group zudem den sogenannten „Frankfurt Finance & Future Summit“. In diesem Zusammenhang wirbt sie mit diversen renommierten Medienpartnern. Darunter der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), der englischen Wirtschaftszeitung The Economist sowie dem Wochenmagazin Focus.Doch in einer Stellungnahme erklärte die FAZ:„Auch wenn die Website der Veranstaltung ‚Frankfurt Future & Finance Summit‘ den Anschein erweckt: Die Frankfurter Allgemeine Zeitung war weder 2024 noch 2025 Medienpartner dieser Veranstaltung. Wir haben weder eine entsprechende Vereinbarung über eine Medienpartnerschaft abgeschlossen noch der Weimer Media Group die Verwendung des F.A.Z.-Logos gestattet.“Am Donnerstagvormittag waren dann die Verweise auf die angebliche Medienpartnerschaft mit der FAZ sowie den beiden anderen Medien still und heimlich von der Website entfernt worden:Ups! Weimer Media hat jetzt die FAZ, den Focus und The Economist still und heimlich von der Website des „Frankfurt Finance and Future Summit“ entfernen lassen. Alle diese Medien waren vorher als „Medienpartner“ der Veranstaltung ausgegeben werden.https://t.co/0iVay17sKp pic.twitter.com/OkvZsfUVTh— Max Roland (@maxroland20) November 20, 2025 Honi soit …Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 20. November 2025Frage WarwegZu dem legendären TOP „Möglicherweise besprochene, aber hier nicht aufgeführte Themen“: Angesichts der Involvierung von drei Bundesministern in der sich zuspitzenden Causa Weimer Media Group interessiert mich, ob die Involvierung dieser drei Minister im Rahmen des Ludwig-Erhard-Gipfels 2026 auch Thema am Kabinettstisch war.Regierungssprecher KorneliusNein.(Anmerkung FW: Wegen des Besuches des schwedischen Ministerpräsidenten musste Regierungssprecher Steffen Kornelius die BPK vorzeitig verlassen, stand im weiteren Rahmen also nicht mehr zur Beantwortung der Fragen in der Causa Weimer Media Group zur Verfügung)Frage Güler (taz)An das Wirtschaftsministerium: Überdenkt die Ministerin angesichts der Diskussionen um den Ludwig-Erhard-Gipfel ihre Teilnahme an diesem Format, und überlegt sie, eventuell nicht hinzureisen?Daran anschließend: Sieht das Justizministerium ‑ ich frage jetzt Sie, weil Herr Kornelius nicht mehr da ist ‑ angesichts dieser Diskussion einen möglichen Compliancefall, der damit in Verbindung stehen könnte?Dr. Queck (BMWE)Ich fange gerne an. ‑ Von unserer Seite kann ich sagen, dass es gar keine Zusage gibt.Kirschner (BMJV)Ich fühle mich sehr geehrt, dass Sie mich fragen, muss aber darauf verweisen, dass für das Gesetz bzw. insgesamt für das Rechtsverhältnis der Mitglieder der Bundesregierung, also das sogenannte Ministergesetz, das Bundesinnenministerium zuständig ist und wir da insofern keine Zuständigkeit haben.Zusatzfrage GülerDann kann uns vielleicht Herr Bowinkelmann helfen?Bowinkelmann (BMI)Ich kann da leider nichts ergänzen.Zusatzfrage GülerSie sehen keinen Compliancefall?Bowinkelmann (BMI)Ich kann das von hier aus nicht beurteilen.Frage Packroff (The Pioneer)Ich hätte auch gerne Herrn Kornelius dazu gefragt, aber möchte dann vielleicht noch das Forschungsministerium fragen, weil auf der Webseite auch Frau Bär als Teilnehmerin für nächstes Jahr gelistet wird. Wie sieht es da mit einer möglichen Teilnahme aus? Ändert sich daran noch etwas?Dr. Schneidewindt (BMFTR)Auch ich kann Ihnen nur sagen, dass zum jetzigen Zeitpunkt geplant ist, dass die Ministerin eine Rede zu den Themen des BMFTR auf dem Ludwig-Erhard-Gipfel halten wird.Zusatzfrage PackroffDann noch eine Frage an Sie beide: Haben Sie irgendwelche Signale innerhalb der Bundesregierung bekommen, dass eine Teilnahme unerwünscht ist oder ähnliches?Dr. Schneidewindt (BMFTR)Die Ministerin ist eingeladen worden und plant, daran teilzunehmen und eine Rede zu den Themen des BMFTR zu halten.Dr. Queck (BMWE)Ich kann nur sagen: Es lag und liegt keine Zusage vor. Insofern erübrigt sich die Frage.Zusatz PackroffFrau Reiche steht auf der Website.Dr. Queck (BMWE)Dazu müssten Sie sich bitte an den Veranstalter wenden.Frage Jung (jung & naiv)Erwartet die Ministerin, finanziell beteiligt zu werden, wenn diese Pakete für zum Beispiel 80.000 Euro verkauft werden? Frau Bär ist ja dabei. Hält sie da die Hand auf?Dr. Schneidewindt (BMFTR)Diese Formulierung möchte ich sehr deutlich zurückweisen.Wir hatten auch einige Presseanfragen dazu. Grundsätzlich gilt: Mitglieder der Bundesregierung nehmen regelmäßig an wirtschaftspolitischen Veranstaltungen unterschiedlicher Medienhäuser teil. Die Mitglieder der Bundesregierung erhalten dafür keine Leistungen oder Zahlungen. Die Ministerin wird für die noch geplante Rede selbstverständlich keine Vergütung erhalten.Zusatzfrage JungEs geht ja um die Treffen danach, die von der Weimer Media Group verkauft werden. Erwartet die Ministerin da eine Gegenleistung?Dr. Schneidewindt (BMFTR)Ich kann es gerne noch einmal vortragen: Die Ministerin plant eine Rede zu halten, und sie erhält dafür keine Vergütung. Wie ich gerade beschrieben habe, erhalten Mitglieder der Bundesregierung für die Teilnahme an solchen Veranstaltungen keine Vergütung.Frage WarwegEs gibt ja noch einen dritten Minister im Bund, nämlich den Landwirtschaftsminister. Da stellt sich natürlich dieselbe Frage: Können Sie bestätigen, dass er teilnimmt?Ich würde die Frage des Kollegen Jung auch noch einmal übernehmen: Gibt es da irgendeine Form von Honorarzahlung oder nicht?Hauck (BMLEH)Ich schließe mich dem an, was die Kollegin aus dem BFTR gesagt hat. Ich will es auch noch einmal unterstreichen: Die Mitglieder der Bundesregierung nehmen regelmäßig an wirtschaftspolitischen Veranstaltungen diverser Medienhäuser teil. Die Mitglieder der Bundesregierung erhalten dafür keine Leistungen und keine Zahlungen.Unser Minister wurde von der Weimer Media Group eingeladen zu sprechen. Nach jetzigem Stand nimmt er an der Veranstaltung als Redner teil. Es gibt auch noch die im Anschluss stattfindende Executive Night, die hier in Rede steht. Daran wird er nicht teilnehmen. Ich glaube, ansonsten ist dazu alles gesagt.Frage Steiner (freier Journalist)An die beteiligten drei Häuser: Kamen die Anfragen dazu von der Weimer Media Group oder kamen die von Wolfram Weimer?Hauck (BMLEH)Der Bundeslandwirtschaftsminister wurde direkt von der Weimer Media Group eingeladen. Weil das schon angesprochen wurde, kann ich vielleicht auch noch sagen: Bei der Einladung waren Informationen über Bezahlungen bzw. Honorare anderer Teilnehmer kein Thema.Zusatzfrage SteinerWie schaut das bei den anderen beiden Häusern aus?Dr. Schneidewindt (BMFTR)Auch bei uns war es so, dass die Einladung durch die Weimer Media Group stattgefunden hat. Das gibt mir die Gelegenheit zu sagen, dass die Ministerin auch nicht an der Executive Night teilnehmen wird.Dr. Queck (BMWE)Nach meinem Kenntnisstand ist die Einladung bei uns gleichermaßen erfolgt.Titelbild: Florian WarwegMehr zum Thema:Netzwerkeln mit Seeblick – ein Gipfel im Bayerischen lässt tief blickenAussagen des Bundeskanzlers zu Brasilien provozieren Eklat: Doch Merz verweigert jede Form der EntschuldigungErdgasspeicher UGS Rehden: Wieso hält sich die Bundesregierung nicht an ihre eigenen Gesetze?Restle, Weimer und der Rundfunk: Ein Zwangsbeitrag ist nun mal ein Zwangsbeitrag
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Nov 21, 2025 • 18min

Gas-Kathi und die Wirtschaftsinkompetenz der CDU

Gas-Kathi hat einen Plan! Um Deutschlands Stromversorgung für die Zukunft sicher und bezahlbar zu machen, will Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche viele neue Gaskraftwerke bauen. Das wollte ihr Amtsvorgänger Robert Habeck übrigens auch und scheiterte mit diesem Plan in Brüssel. Auch Reiches Plan wurde bereits von der EU zerpflückt und das ist gut so, dient die gesamte Stromstrategie von Reiche doch vor allem den großen Versorgungsunternehmen und schadet der Volkswirtschaft. Leider wird das gesamte Themenspektrum jedoch in der politischen und gesellschaftlichen Debatte mit einer kaum fassbaren volkswirtschaftlichen Inkompetenz betrieben, und da nehmen sich Habecks Grüne und Reiches CDU nichts. Eine Hintergrundbetrachtung von Jens Berger.Eines der größten Mysterien der Politik ist das wirtschaftspolitische Image der CDU. In den Köpfen vieler Menschen schwirrt immer noch die Vorstellung herum, die CDU sei so etwas wie eine Mittelstandspartei, die sich – im Zweifel auch mal gegen die Interessen der Arbeitnehmer – vor allem für kleinere Unternehmen einsetzt, die das Rückgrat der deutschen Volkswirtschaft bilden. Spannend. Dabei gibt es streng genommen keine technologische Entwicklung, die die CDU nicht zu Lasten auch der kleinen Unternehmen entweder verschlafen oder sogar so lange aktiv behindert hätte. In den 1990ern hielt der damalige Kanzler Kohl die „Datenautobahn“ für „umstritten“. 2013 – also zehn Jahre nach Gründung der NachDenkSeiten und zwanzig Jahre, nachdem meine Wenigkeit zum ersten Mal von daheim im Internet surfte – verkündete Kohls Mädchen Angela Merkel bar jeder Kompetenz, dass „das Internet für uns alle Neuland“ sei und „unsere Art zu leben“ in Gefahr bringen könnte. Und auch sonst erwies sich die CDU als wenig visionär. Die digitale Revolution? Verschlafen. Die Mobilitätswende? So gut es geht verhindert. Die Energiewende? Erst verschlafen und dann vom CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier aktiv bekämpft. Die „Jobs der Zukunft“ entstanden woanders, Deutschlands Restwirtschaft sitzt zusammen mit der mehr und mehr genervten Bevölkerung auf den Altlasten und zahlt weltweit mit die höchsten Energiepreise. Wirtschaftskompetenz sieht anders aus.Und wer nun meint, die CDU hätte aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt, muss sich nur die Politik der neuen Wirtschaftsministerin Katherina Reiche anschauen. Nun gut, Reiche ist keine Unbekannte. Und warum irgendwer auf die Idee gekommen ist, die ehemalige(?) Energie-Lobbyistin und Geschäftsführerin einer E.ON-Tochter, deren Eintrag in der Lobbypedia länger als ihr Eintrag in der Wikipedia ist, zur Wirtschafts- und Energieministerin zu machen, ist ein weiteres Mysterium.Worum geht es? Da die Debatte vergleichsweise komplex ist und von verschiedenen Seiten mit allerlei Unsinn geflutet wird, hier eine grobe Übersicht.Einer der Parameter, der Deutschlands Industrie über Jahrzehnte lang begünstigt hat, waren die im internationalen Vergleich relativ geringen Energiekosten. Obgleich man auch hier monokausale Erzählungen hinterfragen sollte – die Energiekosten in Deutschland lagen auch in der alten Bundesrepublik stets im europäischen Vergleich im oberen Mittelfeld. Ein Billigenergie-Dorado war Deutschland nie, insbesondere die Industrie konnte jedoch in der Vergangenheit stets – auch dank staatlicher Subventionen – mit einem Energiekostenniveau arbeiten, das zumindest keinen dramatischen Wettbewerbsnachteil darstellte. Das änderte sich mit der Jahrtausendwende. Fossile Energieträger verteuerten sich nun deutlich. 2020 war der Importpreis für Kohle rund doppelt so teuer wie zur Jahrtausendwende. Für Deutschland entscheidend war jedoch der Wegfall des vergleichsweise preiswerten russischen Erdgases in Folge der Sanktionspakete gegen Russland ab 2022. Zwar wird Erdgas in Deutschland vor allem als Heizenergie genutzt, im Rahmen der Energiewende ist diesem Energieträger jedoch auch eine Schlüsselrolle bei der Bildung des Strompreises zuteilgeworden.Um das zu verstehen, ist ein kurzer Blick auf die regenerativen Energien nötig, und an dieser Stelle kann man die ohnehin aufgeheizte Klimadebatte ruhig einmal beiseitelassen und das Thema rein ökonomisch betrachten. In den 1990er-Jahren waren regenerative Energien wie Windkraft oder die Erzeugung von Solarstrom noch exotische Nischenfelder, deren Potenzial zwar durchaus verstanden wurde, aber zumindest wirtschaftlich noch in weiter Ferne lag. Um diese Nischentechnologien zu fördern, wurden diese Energien massiv subventioniert. Wer sich beispielsweise im Jahre 2000 eine Photovoltaik-Anlage aufs Dach bauen ließ, konnte auf die Laufzeit von 20 Jahren mit einer staatlich garantierten Einspeisevergütung von 99 Pfennig (also rund 50 Cent) pro Kilowattstunde kalkulieren. Ein großes Geschäft für die Betreiber waren diese damals noch vergleichsweise ineffizienten und teuren Anlagen übrigens nicht – verschiedene Studien nennen für diese Periode Gestehungskosten von über 40 Cent pro Kilowattstunde (ct/kWh).Diese Preise scheinen zumindest bei der CDU ja immer noch in den Köpfen herumzuspuken. Die Realität sieht jedoch heute anders aus. Die technologische Fortentwicklung hat sowohl Wind- als auch Solarenergie massiv verbilligt. Schon vor der Energiepreiskrise 2022 lagen die Gestehungskosten für Strom aus Wind- und Photovoltaik durchgängig unter den Gestehungskosten für Strom aus Kernenergie, Kohle oder Erdgas, wobei Letzteres sich seit dem Ende des Bezugs russischen Pipelinegases noch einmal verteuert hat. Heute sind die reinen Gestehungskosten (also inkl. Investitionen) für Strom aus Erdgas mit rund 15 ct/kWh rund dreimal so hoch wie Strom aus Photovoltaik-Großkraftwerken und rund doppelt so hoch wie Strom aus Windkraftwerken. Aus rein ökonomischer Perspektive macht die Energiewende also durchaus Sinn und müsste nicht zu – wie von der CDU gerne behauptet – höheren, sondern zu niedrigeren Strompreisen führen. Das Gegenteil ist jedoch der Fall, und das hat nichts mit Energieerzeugung, sondern mit den Preismechanismen auf dem Strommarkt zu tun. Dazu hatten die NachDenkSeiten bereits ausführlich berichtet. An dieser Stelle daher nur kurz: Über den Daumen gepeilt lässt sich sagen, dass der Strom in Deutschland um so günstiger wird, je seltener Strom aus Gaskraftwerken ins Netz eingespeist werden muss. Doch warum wird überhaupt teurer Strom aus Erdgas eingespeist?Das ist ganz einfach. Photovoltaik und Windenergie sind zwar günstig, stehen aber nicht immer zur Verfügung. Nachts lässt sich kein, bei stark bedecktem Himmel nur wenig Strom aus Photovoltaik gewinnen. Und wenn es landesweit eine Flaute gibt, bleiben auch die Windkrafträder stehen. Vor allem die mittlerweile berühmt-berüchtigte Dunkelflaute stellt für die Versorgungssicherheit ein großes Problem dar. Aber wie groß ist das Problem genau? Hier gibt es verschiedene Positionen. Lobbyisten der fossilen Energiewirtschaft und Gegner der Energiewende malen hier gerne Horrorszenarien an die Wand und verweisen sogar darauf, dass bei der jetzigen Stromerzeugung es jede Nacht zu dem Problem kommt, dass die logischerweise wegfallenden Kapazitäten aus der Photovoltaik dazu führen, dass Deutschland Strom aus dem Ausland importieren müsse. Das ist erst einmal korrekt, zeugt jedoch auch von ökonomischer Ahnungslosigkeit. Der europäische Strommarkt ist vernetzt, und geliefert wird – so dies technisch möglich ist – immer der günstigste Strom; unabhängig davon, in welchem Land er produziert wurde.Schaut man sich den europäischen Stromhandel in diesem Jahr an, erkennt man, das Deutschland den meisten Strom aus Dänemark (v.a. Windkraft), Frankreich (v.a. Atomenergie) und Norwegen (v.a. Wasserkraft) bezieht. Das ist kein Bug, sondern ein Feature. Liegt z.B. der Preis für dänischen Windstrom oder französischen Atomstrom nachts unter dem Strom, den ein deutsches Gaskraftwerk aufruft, wird der Strom importiert. Das nennt sich Marktwirtschaft und sollte gerade der CDU eigentlich bekannt sein. Doch an dieser Stelle fängt ein großes Problem an, das maßgeblich für die hohen Strompreise in Deutschland ist: Diese Betrachtung ist größtenteils theoretisch, da die Leitungen es physisch oft gar nicht hergeben, stets Strom vom günstigsten Anbieter zu kaufen und zu beziehen. Es nutzt dem Industriebetrieb in Mannheim oder den Stadtwerken in München wenig, dass es nachts preiswerte Überkapazitäten von Windenergie in Dänemark gibt, wenn die Leitungen es nicht hergeben, den Strom in den Süden Deutschlands zu liefern. Dann muss stattdessen ein deutsches Gaskraftwerk einspringen und teuren Strom liefern.Besonders dramatisch ist dies übrigens auch auf dem innerdeutschen Strommarkt. Hier kommt dann ein Mechanismus namens Redispatch zum Einsatz. Grob erklärt: Wenn ein Industriebetrieb oder die Stadtwerke im Süden Deutschlands an der Leipziger Strombörse für morgen 16:00 Uhr zehn Megawattstunden Strom von einem norddeutschen Windpark für 1.400 Euro einkaufen, der den Strom aber zur gebuchten Zeit gar nicht liefern kann, weil die Netzkapazität dies nicht hergibt, muss ein Gaskraftwerk aus Süddeutschland einspringen, das physisch liefern kann, für den Strom dann aber z.B. 2.500 Euro aufrufen darf. Die 900 Euro Differenz werden als Redispatch-Kosten bezeichnet und auf die uns allen bekannten Netznutzungsentgelte umgelegt, die wir alle mit jeder verbrauchten Einheit bezahlen. 2024 betrugen die Kosten dafür 11,62 ct/kWh – also rund doppelt so viel, wie günstiger Strom aus regenerativen Energien in der Herstellung überhaupt kostet.Egal, ob es sich um den grenzüberschreitenden oder den innerdeutschen Transport bzw. Handel von Strom handelt, eines lässt sich mit Sicherheit sagen: Je besser das Netz ausgebaut ist und je mehr Stromhandel es ermöglicht, desto günstiger wird es für den Verbraucher – egal, ob es sich um einen Chemieriesen oder um einen Privathaushalt handelt.Eine weitere Möglichkeit, den Strompreis massiv zu senken, wären kommunale oder regionale Batteriespeicherlösungen. Bei der politischen Debatte geht es ja meist um große Lösungen, die im Idealfall die eierlegende Wollmilchsau sein sollen; egal, ob es von Seiten der AfD und Co. um die Atomkraft oder von Seiten der Grünen und Co. um grünen Wasserstoff geht. Beides ist jedoch ökonomisch (und auch ökologisch) falsch. Im Idealfall muss gar kein Strom über hunderte oder tausende Kilometer transportiert werden. In einem gewissen Maße könnten ausreichend bemessene Batteriespeicher hier sehr hilfreich sein. Wenn in den Mittagsstunden über Photovoltaik und Windenergie in einer Gemeinde mehr Strom produziert als nachgefragt wird, riegelt man heute die Produzenten meist ab. Würde man das Potenzial jedoch voll ausschöpfen und die heute nicht nachgefragten Mengen ganz einfach speichern, um sie so nachts oder bei Flauten wieder ins Netz einzuspeisen, würde dies die Netze entlasten und zudem einen positiven Effekt auf den Strompreis haben. Waren solche Batteriespeicher noch vor wenigen Jahren so teuer, dass sie wirtschaftlich nicht wirklich sinnvoll waren, sind die Preise im letzten Jahrzehnt so stark gesunken, dass sie ökonomisch sowohl im privaten als auch im gewerblichen oder kommunalen Umfeld durchaus sinnvoll eingesetzt werden könnten. Bei einem gut ausgebauten Netz würden solche Speicher übrigens auch ganz ohne eigene Einspeisung sehr sinnvoll eingesetzt werden können, indem sie mittags die extrem preiswerten Überkapazitäten einspeichern und – auf kommunaler Ebene gerne auch zum Selbstkostenpreis – in den Tageszeiten mit hohen Strompreisen abgeben. Ja, es könnte so einfach sein. Angebot und Nachfrage, ist das so schwer zu verstehen?Aber spätestens hier kommen wir zum eigentlichen Knackpunkt der real existierenden deutschen Energiepolitik: Statt auf kommunale, flexible und intelligente Lösungen (Stichwort: Strom aus Bürgerhand) zu setzen, tut man alles in seiner Macht Stehende, um den Strommarkt Großkonzernen mit ihren Großkraftwerken zu überlassen. Auch Katherina Reiche geht genau diesen Weg. Vielleicht haben Sie sich oben im Text an der Stelle mit dem Redispatch gefragt, warum man eigentlich so wenig gegen das Problem unternimmt, wo die Nachteile für alle Stromkunden doch auf der Hand liegen. Ganz einfach – beim Redispatch verdienen sich die Betreiber von Gaskraftwerken, die einspringen müssen, eine goldene Nase, und da das Geld über die Netznutzungsentgelte aus einer Umlage stammt, die wir alle bezahlen, von der wir aber kaum was wissen, hält sich der Protest in Grenzen. Verschärfend kommt hier die fehlgeleitete politische Kommunikation hinzu: Seitens der AfD werden nicht die Energiekonzerne, sondern „die regenerativen Energien“ für die hohen Preise verantwortlich gemacht. Seitens der Grünen wird jegliche Kritik an der Umsetzung der Energiewende ohnehin lieber als „rechts“ geframt, und von kommunalen Lösungsansätzen halten auch die Grünen nicht viel – sind sie über die Lobbynetzwerke doch bereits viel zu tief im Dickicht der Konzerne verstrickt.Kommen wir nun abschließend endlich zu den Gaskraftwerken und Gas-Kathi. Mit all den genannten Informationen im Hinterkopf: Wem – außer den Betreibern dieser Kraftwerke – nützen sie? Ökonomisch ist die Frage leicht beantwortet: niemandem. Aus Sicht der Versorgungssicherheit sieht es jedoch anders aus. Die Gefahr von Dunkelflauten ist ja real, und wenn wir über die im Winter häufiger mal vorkommenden Dunkelflauten reden, die sich auch mal über ein bis zwei Wochen strecken können, sind auch Batteriespeicher natürlich keine Lösung. Gaskraftwerke als strategische Reserve sind eine schlichte Notwendigkeit, sonst könnte uns in der Tat bald durch den Wegfall der grundlastfähigen Braunkohlekraftwerke der Strom ausgehen. Hier gibt es jedoch eine einfache goldene Regel. Wir brauchen so viel Reserve-Gaskraftwerke wie nötig und so wenig wie möglich und vor allem: Je weniger diese Kraftwerke in Betrieb gehen müssen, desto besser, produzieren sie doch den teuersten Strom im Markt.Daher ist es eigentlich unerheblich, ob Habeck oder Reiche nun 10, 20 oder 50 Gigawatt an Gaskraftwerkskapazität bauen oder besser gesagt subventionieren wollen. Bei solchen Kraftwerken spielen die fixen Kosten keine so große Rolle. Die variablen Kosten und hier vor allem der Bezug von Erdgas als Energieträger sind jedoch enorm. Hinzu kommt hier ein Zielkonflikt. Im Zusammenhang mit der angestrebten Klimaneutralität wird nun Wert darauf gelegt, dass die neuen Gaskraftwerke „H2-ready“ sind oder, wie es politisch heißt, „technologieoffen“ sind. Das ist jedoch ein Teil der Klimadebatte, ökonomisch gilt hier das Prinzip des abnehmenden Grenznutzens. Dass es ökonomisch widersinnig ist, mittels Energie aus Strom Wasserstoff herzustellen und ihn unter immensen Kosten in ein Kraftwerk zu transportieren, nur um dort wieder aus Wasserstoff Strom zu machen, sollte klar sein. Was für erdgasbetriebene Kraftwerke gilt, gilt somit für vielleicht später potenziell wasserstoffbetriebene Kraftwerke um so mehr.Viel wichtiger als die Frage, wie viele dieser Gaskraftwerke nun gebaut werden, ist also die Frage, wie häufig diese Kraftwerke überhaupt angeschmissen werden müssen. Und hier kommen wir zum Netzausbau, dem viel wichtigeren Thema und dem eigentlichen Skandal.Erst vor Kurzem hat Katherina Reiche nämlich eine Auftragsstudie erstellen lassen, die wie von Geisterhand den Strombedarf für die Zukunft herunterrechnet. Mit dieser Prognose ist sie übrigens allein, ist doch eigentlich klar, dass durch die E-Mobilität, Wärmepumpen und den künftigen Ausbau von KI und Rechenzentren nicht weniger, sondern deutlich mehr Strom benötigt wird. Aber darum geht es ihr auch gar nicht. Entscheidend ist der prognostizierte Strombedarf vor allem beim Netzausbau. Den will sie nicht etwa forcieren, sondern bremsen. Der Netzausbau würde – so Reiche – die Kosten erhöhen. Das ist natürlich kompletter Unsinn, wie oben dargelegt. Größter Kostentreiber auf dem deutschen Strommarkt ist der zu langsame Netzbau! Und wenn Reiche nun den Netzausbau noch weiter verlangsamt, wird dies die deutschen Stromkosten noch weiter steigen lassen. So viel zum Thema Kompetenz.Ist Reiche inkompetent? Natürlich nicht. Gas-Kathi hat nur andere Ziele als die Öffentlichkeit. In wessen Interesse sind denn viele Gaskraftwerke bei gleichzeitig provozierten Kapazitätsengpässen im Leitungsnetz? Völlig klar – Stichwort Redispatch. Die Energiekonzerne verdienen sich eine goldene Nase, die Allgemeinheit zahlt … und die Volkswirtschaft geht vor die Hunde.Die gesamte Debatte ist aus volkswirtschaftlicher Sicht ohnehin unverständlich. Da kommt eine Partei, die angeblich den deutschen Mittelstand stärken will, daher und verfolgt eine Energiepolitik, bei der mehr Erdgas importiert werden soll. Da freuen sich die Erdgaslieferanten aus Norwegen, Katar und den USA. Das Geld für die importierten Energieträger fließt in jedem Fall aus der deutschen Volkswirtschaft ab. Der berühmte Franz-Alt-Satz „Die Sonne schickt keine Rechnung“ ist zwar auch falsch, aber eine Rechnung vom Dachdecker um die Ecke, der eine Solaranlage installiert, und vom Elektriker, der sie anschließt, erscheinen volkswirtschaftlich immer noch klüger. Aber mit wirtschaftlicher oder gar volkswirtschaftlicher Kompetenz ist es bei der CDU ja nicht so gut bestellt. Dumm nur, dass die wirtschaftliche Inkompetenz der CDU uns alle noch richtig teuer zu stehen kommt.Titelbild: photocosmos1/shutterstock.com
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Nov 21, 2025 • 12min

Überall Brandmauern

Eine geplante und teilweise abgesagte Reise einiger AfD-Abgeordneter zum BRICS-Europa-Symposium („BRICS-Europe“) im russischen Sotschi sorgte in den letzten Tagen für Aufregung, heiße Debatten und Spekulationen. Was sind die Hintergründe, und wie glaubhaft ist die friedenspolitische Ausrichtung der AfD? Ein Kommentar von Maike Gosch.Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.Nachdem die Reisepläne bekannt geworden waren und es extremen Gegenwind durch CDU-Politiker und die Medien gab, erklärte AfD-Vorsitzende Alice Weidel letzten Dienstag vor der Presse ihr Missfallen der Reisepläne und drohte den Abgeordneten mit disziplinarischen Maßnahmen, sollten sie sich auf der Reise nicht an die Parteiauflagen halten – darunter die Vorgabe medialer Zurückhaltung. Die Vorwürfe gegen die AfD reichten von „Landesverrat“ über „Sprachrohr Moskaus“ bis zu „Instrument im hybriden Krieg“ und „Risiko für unser Land“. Die AfD-Bundesfraktion beschrieb das Ziel der Reise damit, „Gesprächskanäle offen zu halten“.Jörg Urban, Landesvorsitzender und Landtagsabgeordneter der AfD in Sachsen, EU-Abgeordneter Prof. Dr. Hans Neuhoff und Bundestagsabgeordneter Steffen Kotré nahmen schließlich am Freitag und Samstag dennoch an der Konferenz teil. Bundestagsabgeordneter und menschenrechtspolitischer Sprecher der AfD, Dr. Rainer Rothfuß, sagte seine Teilnahme auf Bitten der Parteiführung ab. Nach eigenen Aussagen wollte er damit vor dem Hintergrund des drohenden Parteiverbotsverfahrens keine zusätzliche Angriffsfläche bieten, da sich die Kritik auch stark gegen ihn persönlich und sein geplantes Treffen mit dem ehemaligen russischen Präsidenten und Social-Media-Heißsporn Dmitri Medwedew gerichtet hatte.Spiel nicht mit den Schmuddelkindern, besuch nicht ihre GipfelSeitdem überschlägt sich die Berichterstattung über den „internen Streit“ in der AfD einerseits und das angeblich „landesverräterische Verhalten“ der AfD durch ihre als „Kreml-freundlich“ bezeichneten Interviews und Aussagen um den Gipfel herum. Die Süddeutsche Zeitung titelte „Propaganda am Schwarzen Meer“ und berichtete, dass einige Journalisten sogar versucht hatten, die Reisenden bei ihrer eigenen Parteispitze anzuschwärzen, scheinbar auf die versprochenen Konsequenzen hoffend:„Eine WELT-Anfrage, inwiefern die vier Interviews [Anm. d. Red.: die Kotré russischen Medien gab] mit der Vorgabe aus der Fraktion einer „medialen Zurückhaltung“ vereinbar seien, ließ Kotré unbeantwortet. Ein Sprecher der Fraktion teilte mit: „Der Fraktionsvorstand wird die Reise von Steffen Kotré zeitnah intern auswerten.“ Über mögliche Konsequenzen wurde demnach bislang nicht entschieden.“Was ist hier eigentlich los? Man fühlt sich wie in einem „Hanni und Nanni“-Roman, Verpetzen bei der strengen Direktorin inklusive.McCarthy revisited oder: Ist denn jetzt schon Wahlkampf?Was ist der Hintergrund der Aufregung? Hat hier die CDU/CSU gerade eine Pre-Wahlkampf-Kampagne mit dem Hauptangriffspunkt „Putin-Freunde“ gegenüber der AfD losgetreten, weil die Kommunikationsstrategen festgestellt haben, dass dieses Argument bei (west-)deutschen CDU/CSU-Wählern besser verfangen würde, als sie wegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit anzugreifen? Es ist tatsächlich auffällig, wie sehr die Angriffe gegen die AfD aufgrund von angeblicher Kollusion mit „Erzfeind“ Russland in letzter Zeit noch mal verschärft wurden. Nachdem die „Angriff-der-Killerdrohnen-Kampagne“ der Regierung nicht im gewünschten Ausmaß bei der Bevölkerung verfangen hat, hatte es im Oktober Vorwürfe aus der CDU durch Thüringens Innenminister Georg Maier gegeben, die AfD würde durch detaillierte parlamentarische Anfragen für Russland „spionieren“, was natürlich ein dankbares Medienecho fand. Das Handelsblatt zitiert Maier folgendermaßen:„Besonderes Interesse zeigt die AfD für polizeiliche IT und Ausrüstung, etwa im Bereich der Drohnendetektion und -abwehr“, sagte der Minister. Auch die Ausstattung im Bevölkerungsschutz, im Gesundheitswesen und Aktivitäten der Bundeswehr seien Gegenstand von zahlreichen Anfragen. „Es drängt sich geradezu der Eindruck auf, dass die AfD mit ihren Anfragen eine Auftragsliste des Kremls abarbeitet.“Dass es dabei vielleicht gerade darum gegangen sein könnte, die Behauptungen der Bundesregierung über die angebliche Drohnengefahr parlamentarisch zu überprüfen sowie die Öffentlichkeit im eigenen Land über die eifrigen Aufrüstungs- und Kriegsbereitschaftsaktivitäten der Regierung aufzuklären, scheint dabei weder Maier noch dem Handelsblatt in den Sinn gekommen zu sein.Ein Eilverfahren der AfD gegen diesen Bericht im Handelsblatt scheiterte, weil die Zeitung nach Urteil des Landgerichts Berlin die Mutmaßungen der Politiker im Rahmen von Meinungs- und Pressefreiheit „ungefiltert und vollständig“ wiedergeben durfte. Über die Äußerungen des Innenministers schrieb das Gericht aber, sein Verdacht berufe sich „lediglich auf vage und nicht näher konkretisierte Mutmaßungen“ – was jeder erkennen konnte, der lesen kann. Dennoch war für den flüchtigen Medienkonsumenten wieder eine weitere Nebelkerze gesetzt, die irgendwie hängen bleiben wird.Versuchte also Alice Weidel vor diesem Hintergrund, durch ihr „Anziehen der Zügel“ bezüglich der Russlandreisen taktisch weitere Angriffsflächen in dieser Kampagne zu vermeiden? Oder wusste sie mehr über die weit vorangeschrittenen Verhandlungen zwischen dem US-Gesandten Witkoff und dem russischen Sonderbeauftragten Dmitriev über einen möglichen Friedensplan mit Russland, der erst gestern, am 19. November, bekannt wurde, und schätzte daher die Friedensbemühungen ihrer Parteikollegen als richtig, aber irrelevant ein?Vor dem Hintergrund des aktuell recht wackeligen Zustands der Großen Koalition – mit Streit über die Rentenpläne, internen Querelen in der CDU über das Aufrechterhalten der Brandmauer und den weiterhin sehr starken Umfragewerten – bringt sich die AfD jetzt in Stellung für eine Kooperation mit Teilen der CDU/CSU und der Duldung einer Minderheitsregierung; dann natürlich ohne Kanzler Merz. Es liegt nahe, dass zu so einem Zeitpunkt eine medienwirksame Reise nach Russland für die AfD-Führung alles andere als hilfreich ist.Es scheint, als seien für die CDU/CSU das größte Hindernis für eine Zusammenarbeit mitnichten vorgeworfene rechtsextreme und ausländerfeindliche Positionen und Äußerungen der AfD, sondern ihre Kritik an den Russland-Sanktionen sowie ihre Bemühungen um Annäherung an und Frieden mit Russland. Das scheint aktuell die wirkliche rote Linie in der deutschen Politik zu sein.Ossi vs. WessiAber wie ernst meint es die AfD mit ihrer Friedensposition, für die z.B. Rainer Rothfuß in Daniele-Ganser-artigen Vorträgen recht glaubwürdig plädiert? Und sind die Äußerungen von Weidel und anderen AfD-Granden Ausdruck eines internen Dissens innerhalb der AfD über das Thema Frieden und Frieden mit Russland (so wie aktuell innerhalb der Linken zu Israel-Gaza/Palästina), wie unter anderem die Süddeutsche Zeitung vermutet? Die von der Rosa-Luxemburg-Stiftung geförderte Studie der Informationsstelle Militarisierung (IMI) war im April 2024 zu dem Schluss gekommen, dass es sich bei der AfD nicht um eine glaubwürdige Friedenspartei handele, insbesondere, da sie sich für Aufrüstung, eine starke Armee und die nationale Rüstungsindustrie einsetze. Das widerspricht natürlich der aktuellen herrschenden Argumentation in Deutschland, dass Frieden nur durch Aufrüstung zu erreichen sei und nur Abschreckung für Sicherheit sorgt, aber geschenkt.Interessanter ist, ob es zum Thema Frieden mit Russland und Bündnis mit den USA einen Ost-West-Konflikt innerhalb der AfD gibt, personifiziert durch Tino Chrupalla auf der einen und Alice Weidel auf der anderen Seite, mit einer eher transatlantisch ausgerichteten und USA-(und besonders Trump-)freundlichen und pro-militärischen Haltung bei den Westdeutschen und einer eher russlandfreundlichen und antimilitaristischen Haltung bei den überwiegend ostdeutschen Vertretern der Partei.Ein kürzlicher innerparteilicher Streit zu einer Entscheidung für ein Werbeverbot der Bundeswehr zwischen Kommunalpolitikern aus Zwickau in Sachsen und Bundespolitikern der AfD zeigt diese Spannungen:Die AfD hatte dort einem Antrag des BSW zugestimmt, in den Liegenschaften der Stadtverwaltung und der kommunalen Unternehmen sowie auf Fahrzeugen und sonstigen Präsentationsflächen auf Werbung für Kriegsdienst und Rüstungsprodukte zu verzichten. In dem Beschluss hieß es, Grundlage der Politik des Stadtrates sowie des Handelns der Stadtverwaltung sei, dass Zwickau „eine Stadt des Friedens und der Völkerverständigung“ sei. Dagegen äußerte der verteidigungspolitische Sprecher Rüdiger Lucassen (West):„Der Antragstext liest sich wie ein Auszug aus dem Grußwort des ehemaligen Staatsratsvorsitzenden der DDR.“Hier ist also parteiintern noch einiges zu klären. Dass es auch die Möglichkeit einer Friedensposition gibt, die eine starke Armee beinhaltet, aber sich durch eine souveräne Außenpolitik auszeichnet und sich nicht in Kriege ziehen lässt und deren Einsatz sich auf die reine Landesverteidigung beschränkt, wie es einstmals (pre-1999) weitgehender Konsens auch in Westdeutschland war, sollte nicht in Vergessenheit geraten.Die AfD als Anti-ImperialistenWas bei der Debatte aus dem Fokus gerät, ist, dass es sich nicht primär um einen „Russland-Besuch“ handelte, sondern um die Teilnahme an einem BRICS-Europa-Treffen, d.h. um eine internationale Konferenz, in der es um die Beziehung zwischen den BRICS-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, Ägypten, Äthiopien, Iran, Vereinigte Arabische Emirate und Indonesien) und Vertretern Europas handelte. Es war zwar kein offizieller BRICS-Gipfel, sondern ein Symposium, das von der politischen Partei „Einiges Russland“, der internationalen Bewegung „Die andere Ukraine“ und dem Institut für Europa der Russischen Akademie der Wissenschaften organisiert wurde. Dennoch hatten zahlreiche Vertreter des Europäischen Parlamentes, europäischer nationaler Parlamente sowie Parlamentsvertreter aus China, Brasilien, Iran, Indonesien, Weißrussland, Algerien, Kuba, Kambodscha, Äthiopien und Südafrika an dem Symposium teilgenommen. Wenn man die Einschätzung der AfD als fremden- und ausländerfeindlich teilt und eine große Gefahr bei Vertretern dieser Partei für Menschen aus anderen Ländern und Kulturkreisen vermutet: Wäre es dann nicht wünschenswert, wenn AfD-Abgeordnete sich in solchen Foren mit Vertretern des Globalen Südens treffen, gegebenenfalls bestehende Vorurteile abbauen könnten und internationale Beziehungen und Freundschaften schließen würden?Auch Äthiopien war vertreten. Hier zwei Konferenzteilnehmer der Regierungspartei Prosperity Party. pic.twitter.com/RzBDeJV3QE— Prof. Dr. Hans Neuhoff (@dr_neuhoff) November 18, 2025 Aber Konstanz in der Argumentation oder Positionierung ist im aktuellen Chaos und in der emotionalen Aufheizung der politischen Landschaft vielleicht auch nicht mehr zu erwarten.Titelbild: AfD-Politiker Steffen Kotré, Hans Neuhoff und Jörg Urban mit der bulgarischen Abgeordneten Rada Lykova in Sotschi. / Dr. Neuhoff – TwitterMehr dazu:Geistige Mobilmachung gegen Russland„Ein Russland-Troll an der Spitze“ – O-Töne zu Russland-Politik der AfD„Wir erleben in Deutschland eine Militarisierung, die in mancher Beziehung an das Kaiserreich erinnert“Landesverrat? Kuscheln mit dem Feind? Hochverrat?
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Nov 20, 2025 • 11min

Der ukrainische Korruptionsskandal als Inszenierung – Selenskyj soll stürzen

Vertraute aus dem Umfeld Selenskyjs sollen in großem Stil Geld unterschlagen und gewaschen haben. Der Korruptionsskandal in der Ukraine hat das Potential, Selenskyj zu stürzen. Die Fäden laufen dabei in den USA zusammen. Der Skandal ist eine Inszenierung, durch die ein weiterer Umsturz legitimiert werden soll. Er ist zudem Ausdruck eines Machtkampfes zwischen Brüssel und Washington darüber, wer in der Ukraine das Sagen hat. Für Washington gilt dabei weiterhin das Prinzip „Fuck the EU!“ Von Gert-Ewen Ungar.Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.Dieser Artikel liegt auch als gestaltetes PDF vor. Wenn Sie ihn ausdrucken oder weitergeben wollen, nutzen Sie bitte diese Möglichkeit. Weitere Artikel in dieser Form finden Sie hier.Die Ukraine erschüttert ein Korruptionsskandal, in den das direkte Umfeld Selenskyjs involviert ist. Im Zentrum des Skandals steht der Selenskyj-Vertraute Timur Minditsch, der sich inzwischen ins Ausland abgesetzt hat. Die ukrainische Antikorruptionsbehörde NABU hat ein System der Geldwäsche und Korruption aufgedeckt. Es geht bisher um 100 Mio. Dollar. Die Beweise, unter anderem abgehörte Telefongespräche, hat die Behörde öffentlich gemacht.Spätestens an dieser Stelle sollte man hellhörig werden. Eine Ermittlungsbehörde gibt in einem laufenden Verfahren Beweise an die Öffentlichkeit? Und nicht nur das. Sie bereitet das Material als sendefähige Dokumentation auf, die professionellen Anforderungen an Ästhetik und Stil entspricht und daher sofort übernommen werden kann. Sie verspricht obendrein eine Fortsetzung der Geschichte und einen sich steigernden Spannungsbogen. Für eine Ermittlungsbehörde ist das Agieren von NABU gelinde gesagt mehr als unüblich.Der Grund dafür ist einfach. Die angeblich unabhängige Ermittlungsbehörde ist nicht unabhängig. Sie wird vom FBI kontrolliert. Der US-Dienst unterhält ein eigenes Büro in dem Gebäude, in dem auch NABU ansässig ist. Die NABU-Ermittler erstatten dem FBI regelmäßig Bericht. Die ukrainische Zeitung Zerkalo Nedeli berichtete am 11. November von einem Besuch von hochrangigen Vertretern des FBI bei NABU. Es handele sich dabei um einen routinemäßigen Austausch, schreibt das Blatt. Die Aufgabe der US-Beamten sei die Koordinierung aller Ermittlungen der Behörde. Die Grundlage für die Arbeit des FBI bei NABU sei ein Memorandum zwischen der Ukraine und den USA.Am selben Tag trat NABU mit ersten Ermittlungsergebnissen an die Öffentlichkeit. Wenige Stunden nach der Veröffentlichung gibt es erste Massenproteste in Kiew gegen Selenskyj und seine Regierung. Die USA haben sich auch nach dem Maidanputsch den Durchgriff auf die Ukraine und die ukrainische Gesellschaft gesichert.Erstaunlich ist aber nicht nur das Agieren der ukrainischen Antikorruptionsbehörden. Erstaunlich ist auch, was angesichts der Aufdeckungen in der EU passiert. Das lässt sich im Kern mit einem Wort zusammenfassen: nichts. Die Berichterstattung ist angesichts des Ausmaßes des Skandals spärlich. In Brüssel, Berlin und Paris hält man weiterhin am Plan fest, die Ukraine vollumfänglich zu unterstützen. Deutschland überwies gerade weitere 60 Millionen in einen Energieunterstützungfonds für die Ukraine. Dem Geld wirft Kanzler Merz lediglich noch die Bemerkung hinterher, das mit der Korruption müsse aber nun wirklich angegangen werden. Für das kommende Jahr hat Bundeskanzler Merz die direkte finanzielle Unterstützung der Ukraine um 3 Milliarden Euro auf insgesamt 11,5 Milliarden Euro aufgestockt.Während die EU so tut, als sei nichts gewesen, verhandeln Russland und die USA im Geheimen, um eine Lösung im Ukraine-Konflikt zu finden. Weder die Ukraine noch Vertreter der EU sind dazu eingeladen. Die Trump-Administration hat laut dem Nachrichtenportal Axios einen 28 Punkte umfassenden Plan nach dem Vorbild des Gaza-Friedensplans ausgearbeitet. Der US-Sondergesandte Steve Witkoff soll den Plan Kirill Dmitrijew unterbreitet haben. Dmitrijew ist Leiter des staatlichen russischen Anlagefonds und war beim Gipfeltreffen zwischen Russlands Präsident Putin und Donald Trump in der Stadt Anchorage in Alaska Mitglied der russischen Delegation. Die USA und Russland arbeiten weiter an einer Lösung des Konflikts, aus der EU und auch aus Deutschland kommt weiterhin kein Beitrag, sie werden im Gegenteil draußen gehalten.Der US-Plan sieht demnach vor, dass die Ukraine all die Gebiet abtritt, die Russland für sich beansprucht. Im Gegenzug soll die Ukraine Sicherheitsgarantien erhalten. Der Plan käme tatsächlich einer Kapitulation der Ukraine gleich. Der bleibt inzwischen allerdings auch kaum eine andere Wahl. Die Verlängerung des Konflikts durch immer weitere Waffenlieferungen hat nicht zu einer Stärkung der Verhandlungsposition der Ukraine geführt, wie das beabsichtigt war, sondern zu deren Schwächung. Auf diese Folge hat Moskau zwar immer wieder hingewiesen, aber sie wurde abgetan.Die Ukraine verliert den Krieg. Ukrainische Truppen desertieren laut Berichten des russischen Verteidigungsministeriums, aber auch laut unabhängigen Kriegsberichterstattern in Scharen. Die Bilder von Zwangsrekrutierungen, die in Russland gezeigt werden, mehren sich nicht nur an Zahl. Auch das Vorgehen der ukrainischen Rekrutierer wird immer brutaler. In Interviews mit dem russischen Fernsehen berichten ukrainische Kriegsgefangene von einem umfassenden Mangel an so ziemlich allem auf der ukrainischen Seite der Front. Es fehle an Munition, an Nahrung und sogar an Trinkwasser.Nun sind solche Berichte mit Vorsicht zu genießen. Was sie allerdings stützt, ist, dass die EU händeringend nach Möglichkeiten sucht, wie sie die Ukraine in den kommenden beiden Jahren finanziell unterstützen kann. Nicht nur die Ukraine hat kein Geld, auch die EU kann ihrem Willen zur Unterstützung der Ukraine immer seltener Taten und vor allem Schecks folgen lassen.Der Ukraine fehlen für das kommende Jahr laut Schätzung der EU-Kommission 71 Milliarden Euro. Für die kommenden zwei Jahre wird der Finanzbedarf der Ukraine auf insgesamt 137 Milliarden Euro geschätzt. Auch die EU kann diese Mittel nicht aufbringen. Sie sinnt daher darauf, in der EU eingefrorene russische Vermögen als Sicherheit für sogenannte Reparationskredite zu hinterlegen. Die Folgen, die diese De-facto-Beschlagnahmung der russischen Gelder für das Finanzsystem, allen voran für den Euro, hätte, sind kaum abzusehen. Es gibt daher Widerstand. Die Clearingstelle Euroclear droht, die EU zu verklagen, sollte sie ihre Drohung wahr machen und die russischen Gelder beschlagnahmen. Die Idee der Kommission, man könnte stattdessen Eurobonds ausgeben, für die dann die EU-Mitgliedstaaten haften, dürfte auf keine große Gegenliebe in den Hauptstädten der EU-Länder stoßen. Die Risse im EU-Gefüge werden immer deutlicher sichtbar. Die Ukraine kann ihre staatlichen Strukturen seit geraumer Zeit nicht aus eigener Kraft aufrechterhalten. Dass man in Deutschland und der EU dennoch von einer „souveränen Ukraine“ redet, wirkt allein vor diesem Hintergrund absurd.Die Ukraine ist nicht souverän. Allerdings gibt es einen Streit darum, wer in der Ukraine das Sagen hat. Dies macht der Vorgang um die Korruptionsvorwürfe deutlich. Die EU beansprucht die Führerschaft in der Ukraine für sich. Das Ziel bleibt, über die Aufrüstung der Ukraine einen Sieg über Russland erringen zu wollen. Dazu fehlen jedoch die Mittel.Die Pläne der USA, gemeinsam mit Russland über die EU und die Ukraine hinweg den Konflikt regulieren zu wollen, zeigt, dass neben Brüssel auch Washington die Kontrolle über die Geschehnisse in der Ukraine für sich beansprucht. Der Realitätssinn ist dabei in Washington deutlich stärker ausgeprägt als in Brüssel. Dass die Korruptionsvorwürfe jetzt erhoben werden, deutet auf ein fein abgestimmtes Timing. Der Druck auf Selenskyj soll erhöht werden.Inzwischen tauchen Gerüchte auf, dass Selenskyj territorialen Abtretungen an Russland unter der Bedingung zugestimmt haben soll, dass ihm persönliche Immunität und Schutz zugesichert wird. Die Ankündigung der Ermittlungsbehörde NABU, noch weitere spannende Enthüllungen auf Lager zu haben, scheint seine Wirkung auf den inneren Machtzirkel Kiews zu entfalten.Die Korruptionsgeschichte entpuppt sich immer deutlicher als Inszenierung. Bitte nicht falsch verstehen: Natürlich ist die Ukraine bis in die politischen Eliten hinein hoch korrupt. Daran besteht kein Zweifel. Nur scheint man in den USA die Entscheidung getroffen haben, Kiew genau jetzt über den seit langem ausgelegten Fallstrick stolpern zu lassen.Washington ist des Spiels von Selenskyj offenbar überdrüssig, der gemeinsam mit der EU versucht, den Krieg zu verlängern und die USA wieder tiefer in den Konflikt zu ziehen. Man hat sich für seine Beseitigung mittels politischer Intrige entschieden. Regimechanges sind seit dem Sturz von Irans Premierminister Mossadegh im Jahr 1953 ein von den USA gern angewandtes Mittel, das immer weiter ausgefeilt wurde. Aus US-Sicht gilt zudem weiterhin, was schon 2014 nach dem Maidan-Putsch galt: „Fuck the EU“. Brüssel wird erneut klar aufgezeigt, dass die EU nicht über das Schicksal Europas bestimmt. Für die Legitimation des Sturzes von Selenskyj führt man eine komplett durchchoreographierte Inszenierung auf, durch die alle weitere Entwicklung in der Ukraine plausibel und gerecht erscheint. Es ist zu erwarten, dass die deutschen Medien, dass Brüssel, Berlin und Paris sich noch etwas zieren, um dann auf diese Geschichte einzuschwenken. Dass damit der Konflikt mit Russland zu Ende geht, ist allerdings nicht zu erwarten. Die EU will die Konfrontation mit Russland. Sie wird Möglichkeiten finden, weiter zu eskalieren. Nur der Ukraine als Mittel zur Eskalation wird vorerst wohl eine Pause gegönnt.Titelbild: Shutterstock AI – Dieser Inhalt wurde von einem Algorithmus mit künstlicher Intelligenz (KI) erstellt.
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Nov 20, 2025 • 13min

Absage mit Ansage – Eröffnung von Stuttgart 21 verspätet sich schon wieder

Die erste echte Amtshandlung der neuen DB-Chefin lässt hoffen. Der Starttermin für S21 wird auf unbestimmte Zeit verschoben. Ob das von Einsicht zeugt, ein Umdenken bedeutet oder doch nur die nächste Station einer endlosen Hängepartie markiert, muss sich zeigen. Projektgegner geben sich gebremst zuversichtlich, dass wenigstens Teile der oberirdischen Infrastruktur gerettet werden könnten. Die Alternative wäre der Verkehrskollaps. Von Ralf Wurzbacher.Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.Eines muss man der neuen Chefin lassen: Evelyn Palla hält nichts von Schönfärberei. Kaum im Amt, verkündete sie, „es wird erst mal nicht besser“. Läuft es schlecht, und davon ist bei der Deutschen Bahn (DB) auszugehen, könnten die Widrigkeiten zunächst sogar zunehmen. Sprich: noch mehr Zugausfälle, noch mehr Verspätungen, noch mehr Chaos. Ein Indikator dafür ist die Zahl der Baustellen. 2024 waren es 21.000, in diesem Jahr könnten es 26.000 sein, im kommenden „voraussichtlich über 28.000“. Das Schienennetz ist inzwischen so verschlissen, dass der Rückstau bei der Schadensbehebung immer länger wird. Es gehe vor allem darum, so die gebürtige Südtirolerin, „den Abwärtstrend zu stoppen“.Weht durch den Berliner Bahn-Tower ein neuer Führungsstil? Von wegen Ehrlichkeitsoffensive statt Pünktlichkeitsoffensive. Die Realitäten zur Kenntnis nehmen, nicht länger verdrängen. Das wäre immerhin ein erstes Anzeichen von Emanzipation. Während ihre ausschließlich männlichen Vorgänger stets Hui versprachen und Pfui ernteten, dreht Palla den Spieß um. Zum Auftakt auf schlecht Wetter machen und schauen, was passiert. Und sobald sich irgendwann doch einmal ein Lichtlein zeigt, träumen alle gleich vom Sonnenaufgang.Auf Aufrichtigkeit setzt die Neue jetzt auch bei Stuttgart 21. Wie am Mittwoch die Runde machte, wird sich die Fertigstellung des Projekts weiter verzögern und die Eröffnung auf unbestimmte Zeit verschoben. Offenbar hat Palla auch hier das Heft des Handelns ergriffen. Nach einem Spiegel-Bericht (hinter Bezahlschranke) informierte sie gestern den DB-Aufsichtsrat über das Unvermeidliche, das der geschasste Richard Lutz offenbar nicht wahrhaben wollte. Bereits im Sommer, noch vor ihre Berufung, hatten Analysen der DB Projekt Stuttgart–Ulm GmbH sowie des Beratungsunternehmens Price Waterhouse Coopers (PwC) gezeigt, dass der bisherige Zeitplan nicht einzuhalten ist. Nach einer neuerlichen Prüfung habe die 52-Jährige die Konsequenzen gezogen, schrieb das Magazin.17 Jahre und kein Ende Zuletzt wurde der Dezember 2026 als Termin gehandelt, zu dem man wenigstens Teile von S21 in Betrieb nehmen wollte. Der Fernverkehr und mit Einschränkungen der Regionalverkehr sollten ab dann über den neuen Tiefbahnhof abgewickelt werden, der oberirdische Kopfbahnhof parallel bis zu einer Komplettlösung weiter genutzt werden, bis spätestens Juli 2027. Alles wieder hinfällig und kein Ende der Misere in Sicht. Während bisher mit jeder Absage prompt eine neue Ansage gemacht wurde, wann es endlich losgehen werde, verkneift man sich nun jede Festlegung. Wie es heißt, traut man sich wohl frühestens Mitte kommenden Jahres eine Prognose zu. Das lässt immerhin hoffen, dass die neue Führung alles auf den Prüfstand stellt, samt der Option des Erhalts des Kopfbahnhofs und überirdischer Gleisanlagen.„In einem ist die Bahn zuverlässig – sie verspätet sich garantiert, auch nächstes Jahr“, kommentierte Carl Waßmuth von „Bahn für alle“ die Neuigkeiten. „Es wird mindestens 17 Jahre gedauert haben, einen Bahnhof so umzubauen, dass er schlechter funktioniert und im Brandfall gefährlicher ist“, bemerkte der Bündnissprecher gegenüber den NachDenkSeiten. Die hatten wiederholt berichtet, dass S21 faktisch ein Kapazitätskiller ist, weil sich im unterirdischen Bahnhof deutlich weniger Züge abfertigen lassen als im bisherigen Kopfbahnhof. Schließlich soll dieser nicht weichen, um den Bahnbetrieb zu optimieren, sondern um Platz zu schaffen für die Bebauung profitabler Grundstücke.Auf Hefekuchen gebaut Dazu kommen erhebliche Sicherheitsrisiken, die sich aus der Enge unter Tage sowohl beim Bahnhof als auch in den etlichen Tunneln ergeben, die mit S21 zusammenhängen. Das im Stuttgarter Untergrund gehäuft vorkommende Mineral Anhydrit quillt bei Berührung mit Wasser auf wie ein Hefekuchen. Zum Schutz gegen hohen Außendruck, der die Fahrtrasse anheben oder die Wände zerbersten könnte, wurden die Röhren dicker als üblich gebaut, wodurch innen weniger Platz bleibt. Von Warnungen durch Experten, im Ernstfall drohten Hunderte bis Tausende Todesfälle, wollen der DB-Konzern und seine Projektpartner allerdings nichts hören. Arno Luik, einer der profiliertesten Kritiker der Bahn und Autor des Bestsellers „Schaden in der Oberleitung“ ahnt Schlimmes: „Man schafft durch die Verschwendung von zig Milliarden Euro Steuergeldern mit diesem Monstrum in der Tiefe absehbar eine Katastrophe“, sagte er heute im Gespräch mit den NDS.Tatsächlich finden sich unter den von der Bahn aufgeführten Ursachen für die nicht enden wollende Hängepartie auch die Punkte „Brandschutzauflagen“ und der „geologisch anspruchsvolle Untergrund“. Verwiesen wird ferner auf aufwändige Genehmigungsverfahren durch geänderte Gesetze beim Artenschutz und im Speziellen die Herausforderungen der Digitalisierung. Im Zentrum steht hierbei der sogenannte Digitale Knoten Stuttgart, ein Pilotprojekt, mit dem man die Leit- und Sicherungstechnik im städtischen Großraum modernisieren will. Ganz aktuell ist von Problemen mit der Zulassung und Freigabe der Technik des japanischen Konzerns Hitachi die Rede.Rettungsanker ETCSDie Probleme dürften noch weiter reichen. Ziel ist die Umstellung auf das European Train Control System (ETCS), mit dem sich angeblich verlässlicher und in engerer Taktung verkehren lasse. ETCS ist jedoch in erster Linie eine Sicherheitstechnologie, keine, die per se den Betrieb schneller macht. Mit ihm werden Loks und Triebwägen automatisiert und es wird sanfter gebremst, was die Zugfrequenzen gerade in Bahnhöfen sogar verringern könnte, wie etwa der Physiker und Analyst Christoph Engelhardt im Juni 2024 im NDS-Interview zu bedenken gab. Von den S21-Verantwortlichen als Heilsbringer verkauft, ist die Technologie eher ein Rettungsanker in der Hoffnung, damit die drohenden Kapazitätseinbußen zu kompensieren.Mit Blick auf die Tunnel ist ETCS eher sogar eine Notlösung. Die gängige Stellwerkstechnik ließ sich dort aus Platzmangel gar nicht einbauen. Das System ist überdies extrem teuer und nicht ausgereift. Seit über drei Jahren auf der neuen ICE-Strecke Wendlingen–Ulm im Einsatz, erwies es sich wiederholt als störanfällig. Ein im Juli 2024 bekannt gewordenes Geheimgutachten im Regierungsauftrag bezifferte die Gesamtausgaben für eine bundesweite Umrüstung mit 69 Milliarden Euro. Dabei werde es nicht vor 2043 flächendeckend einsatzfähig sein, und amortisieren sollen sich die Investitionen frühestens 2064.Milliardengrab erster StundeBei dieser Preisklasse drohen die S21-Kosten weiter aus dem Ruder zu laufen. Die erste Finanzierungsvereinbarung von 2009 bezifferte diese mit unter 3,1 Milliarden Euro und bei Baubeginn war die Inbetriebnahme für Ende 2019 avisiert. Die letzte Schätzung aus dem Jahr 2023 beläuft sich inklusive Risikopuffer auf 11,45 Milliarden Euro, wobei der Puffer schon ausgereizt sein soll. Vorsicht Falle: Die Kostenschübe, die das Projekt in 15 Jahren hingelegt hat, waren bloß vorgetäuscht und das vorläufige Maximum schon vor über einem Jahrzehnt eingepreist. Den Verantwortlichen war mindestens seit 2013 bewusst, welche finanziellen Dimensionen die Unternehmung annehmen wird. Entsprechende Hochrechnungen bewegten sich schon damals zwischen 10,7 und 11,3 Milliarden Euro.„Wir haben jetzt viele Wetten darauf gewonnen, dass der Tiefbahnhof nicht Ende nächsten Jahres in Betrieb genommen und auch der Kopfbahnhof nicht ein halbes Jahr später abgerissen wird“, äußerte sich das „Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21“ zum nächsten DB-Offenbarungseid. Die Bahn schiebe die Schuld einmal mehr auf andere und auf widrige Umstände, sagte Geschäftsführer Werner Sauerborn den NDS. „Die Gründe liegen in strukturellen Funktionsdefiziten des Tiefbahnhofs, die allen, die es wissen wollten, und dazu gehören viele Politiker leider schon lange nicht mehr, längst hätten bekannt sein können.“ Das ist auch auf Baden-Württembergs Verkehrsminister Winfried Hermann gemünzt. Der polterte in Richtung DB-Führung, Zusagen seien „offensichtlich windig oder falsch“ gewesen und: „Wir fühlen uns getäuscht“. Der Grünen-Politiker ist Mitglied im S21-Lenkungskreis. Dass ihm in dieser Position die ganzen Unwägbarkeiten des Projekts verborgen geblieben sein sollen, erscheint abwegig.Rot für Immobilienmafia „Die neuerliche Verschiebung des ohnehin mehr symbolischen als realen Eröffnungszeitpunkts belegt einmal mehr die Unfähigkeit, solche Großprojekte straff und konsistent zu planen“, findet Heiner Monheim, Sprecher von „Bürgerbahn – Denkfabrik für eine starke Schiene“. Selbst mit den vielen zusätzlichen Baumaßnahmen „wird ein für alle Bahnverkehrssegmente befriedigender Betrieb nicht möglich sein“, erklärte er gegenüber den NDS. Immer mehr „Notnägel“ würden erfunden, um das Projekt zu „retten“, und „es tut weh, zu sehen, wie im ganzen sonstigen Netz Sanierungs- und Reaktivierungsmaßnahmen unerledigt bleiben, weil man es nicht lassen kann, dieses unsinnige Großprojekt vor die Wand zu fahren“. Es brauche, so Monheim, „endlich eine Generalsanierung der ‚Bahnstrategien‘ anstelle der jetzt schon wieder aus dem Ruder laufenden Korridorsanierung“, bei der hochfrequentierte Streckenabschnitte über Monate total gesperrt werden.Ob Palla dafür die richtige Frau zum richtigen Zeitpunkt ist? Sie habe die Chance, „die Notbremse zu ziehen“, meint Waßmuth von „Bahn für alle“. Mindestens ein Teil der oberirdischen Gleise könne erhalten bleiben. Sein Verband hat mit dem Konzept „Zukunftsbahn für alle“ aufgezeigt, was eine gemeinnützige Bahn im Interesse von Fahrgästen, Beschäftigten und Klima alles könnte. „Viele kleine Engpässe beseitigen, bringt mehr und kostet viel weniger als die zerstörerischen Großprojekte in Stuttgart, München, Hamburg und Frankfurt“, betonte Waßmuth.  Auch beim „Aktionsbündnis gegen S21“ besteht noch Resthoffnung, „dass die auf dem Tisch liegenden klimaschonenden, den Bahnverkehr verbessernden und kostensparenden Optionen nicht weiter ignoriert werden“. Zumindest habe es den Anschein, als habe sich Palla das Projekt „genauer angeschaut und jetzt erst mal die Ampel auf Rot gestellt“.„Darf nie an Netz“Und dann? Die DB-Chefin müsse die Reißleine ziehen und den geplanten Abbau der oberen Gleisflächen sofort stoppen, fordert der verkehrspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion der Partei Die Linke, Luigi Pantisano. Andernfalls sei ein „Verkehrskollaps am Verkehrsknoten Stuttgart sicher“, äußerte er in einer Stellungnahme. „Die eigentlichen Treiber dieses Projekts sind nicht die Bedürfnisse der Fahrgäste, sondern die Interessen der Immobilienmafia und einer Politik, die die Bahn noch immer als profitables Geschäft versteht.“ Pantisano wünscht sich eine Bahn, die „endlich gemeinwohlorientiert wirtschaftet“, wobei Pünktlichkeit, Verlässlichkeit und Bezahlbarkeit im Mittelpunkt stehen müssten. Hohe Managerboni und leere Versprechungen dürften nicht länger bestimmend sein.Drastischer drückte es Luik aus. „Die S-21-Schlamasseltäter sollen endlich zugeben: Wir schaffen es nicht. Wir können es nicht. Egal wie viele Milliarden wir noch in diesem Loch versenken.“ Gebe es noch einen Hauch von Ratio, ginge es nach Recht und Gesetz und Verantwortung, „dann darf S21 nie ans Netz“.Titelbild: Markus Mainka/shutterstock.com
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Nov 20, 2025 • 16min

Aussagen des Bundeskanzlers zu Brasilien provozieren Eklat: Doch Merz verweigert jede Form der Entschuldigung

Friedrich Merz hat mit einer allgemein als abfällig interpretierten Aussage über Brasilien und insbesondere die Amazonas-Metropole Belém einen diplomatischen Eklat bei einem der bisher engsten Partner Deutschlands auf dem südamerikanischen Kontinent ausgelöst. Da Merz keine 20 Stunden bei der Weltklima-Konferenz in Belém verbracht hatte, wollten die NachDenkSeiten wissen, was der amtierende Kanzler denn außer Hotel und Tagungsort überhaupt zu Gesicht bekommen hat, was so sein Missfallen erregt hat, um sich entsprechend öffentlich zu äußern. Zudem kam die Frage auf, ob er plane, der Forderung nach einer Entschuldigung nachzukommen, um die Wogen wieder zu glätten. Von Florian Warweg.Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.HintergrundKurz nach seiner Rückkehr vom Weltklimagipfel in Belém, einer der wichtigsten Städte im brasilianischen Amazonasgebiet und wegen der vielen Mangobäume in der Innenstadt auch als „cidade das mangueiras“ (Stadt der Mangobäume) bekannt, hielt Bundeskanzler Friedrich Merz am 13. November eine Rede beim Handelskongress in Berlin. Dort sagte er im Wortlaut:„Meine Damen und Herren, wir leben in einem der schönsten Länder der Welt. Ich habe einige Journalisten, die mit mir in Brasilien waren, letzte Woche gefragt: Wer von euch würde denn gerne hierbleiben? Da hat keiner die Hand gehoben. Die waren alle froh, dass wir vor allem Dingen (sic!) von diesem Ort, an dem wir da waren, in der Nacht von Freitag auf Samstag wieder nach Deutschland zurückgekehrt sind.“Es war, nicht ganz unironisch in diesem Kontext, der staatlich finanzierte deutsche Auslandssender Deutsche Welle, welcher die Aussagen von Merz in Berlin in Brasilien verbreitete, ganz dem offiziellen DW-Auftrag folgend, „Träger der auswärtigen Kulturpolitik der Bundesrepublik Deutschland“ zu sein …Merz enaltece Alemanha após viagem a Belém: "Todos ficaram felizes por termos voltado, principalmente por sair daquele lugar." pic.twitter.com/dpRmtgT2Du— DW Brasil (@dw_brasil) November 17, 2025 Drastische Reaktionen in Brasilien: „Hitlers Vagabunden-Sohn“„Der Kommentar des Kanzlers war unsensibel. Wenn wir jemanden in unserem Haus empfangen, öffnen wir nicht nur unsere Herzen, sondern auch unseren heiligen Raum.“Mit diesen Worten zitiert die Tagesschau etwa Ady Kayany, einen bekannten Vertreter vom indigenen Amazonas-Volk der Xukuru.Brasiliens Präsident Lula da Silva zeigte sich etwas entspannter und riet Merz, Belém und den Bundesstaat Pará doch erst einmal besser kennenzulernen, bevor er sich vorschnell ein Urteil bildet:„Er hätte in Pará in eine Bar gehen sollen. Er hätte in Pará tanzen sollen. Er hätte die Küche von Pará probieren sollen, dann wäre ihm klar geworden: Berlin hat nicht mal 10 Prozent der Lebensqualität, die Belém und der Bundesstaat Pará zu bieten haben. Ich hab doch allen gesagt, esst ein bisschen Manicoba! (typisches Gericht aus Belém, was rund eine Woche Zubereitungszeit braucht und u.a. aus gemahlenen Maniok-Blättern und Schweinfleisch besteht).Der Bürgermeister von Belém, Igor Normando, ging härter mit Merz ins Gericht: Dessen Kommentar sei „unglücklich, arrogant und voreingenommen“. Die Mehrheit der Besucher aus aller Welt hätte sich fasziniert von der Stadt gezeigt, „aber jeder gebe eben, was er habe“, so Normando weiter.Helder Barbalho, der Gouverneur des Bundesstaates Pará, fand ebenfalls deutliche Worte:„Eine voreingenommene Äußerung offenbart mehr über den, der das sagt, als über das, worüber er spricht.“Wirklich derb wurde es beim Bürgermeister von Rio de Janeiro, Eduardo Paes. Dieser bezeichnete Bundeskanzler Merz auf der Plattform X als „Hitlers Vagabunden-Sohn“.Auch in Deutschland und international sorgte die Aussage des Kanzlers mindestens für Unverständnis. So fordert unter anderem die Umweltschutzorganisation Greenpeace eine Entschuldigung des Bundeskanzlers. „Friedrich Merz muss sich bei der Bevölkerung von Belém entschuldigen“, forderte unter anderem der Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland, Martin Kaiser. Die Vertreter der deutschen Nichtregierungsorganisationen in Belém hätten sich allesamt für den Kanzler fremdgeschämt. Man erlebe eine super organisierte COP und erfahre große Gastfreundschaft von Seiten der Brasilianer.Ähnlich äußerte sich auch David Ryfisch von Germanwatch und verwies darauf, dass „so ein Kommentar“ der deutschen Verhandlungsdelegation auf dem Klimagipfel „ganz und gar nicht“ helfe. Abschließend erklärte er:„Ich glaube, Merz versteht nicht, was so ein diplomatischer Affront bedeutet, wie das hier aufgenommen wird – gerade, wo wir auch in die heiße Phase der Verhandlungen gehen.“Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 19. November 2025 Frage Dr. Rinke (Chefreporter Reuters)Herr Kornelius, die Äußerungen des Kanzlers auf dem Handelskongress letzte Woche zieht immer weitere Kreise. Auch Präsident Lula hat sich dazu geäußert und Tanzempfehlungen gegeben. Folgt der Kanzler der Aufforderung einiger, sich für die Bemerkung zu entschuldigen? Sehen Sie einen Schaden für Deutschlands Ansehen zumindest in Brasilien?Regierungssprecher KorneliusLassen Sie mich noch einmal den Rahmen ziehen, weil ich eine gewisse Erregungsbereitschaft bei diesem Thema feststelle, die mit den Tatsachen wenig zu tun hat.Der Bundeskanzler hat während seiner sehr kurzen Reise nach Belém die Klimapolitik der Bundesregierung erläutert. Er hat einen namhaften Beitrag für den Waldfonds in Aussicht gestellt. Er hat ein sehr produktives und vorwärts‑ bzw. zukunftsgewandtes Gespräch mit dem brasilianischen Präsidenten Lula da Silva geführt. Er hat bedauert, dass er aus Zeitgründen keine Möglichkeit hatte, an den Rand des Amazonas zu reisen, wie es der Umweltminister gestern getan hat. Er wollte dort auch die überwältigende Natur der Region besser kennenlernen. Das ging aus Zeitgründen leider nicht. Er hat allerdings dennoch einen kleinen Eindruck von der Dimension der Landschaft erfahren, als er am Abend bei einem Besuch einer kleinen Insel mit einem Schnellboot den Rio Guajará überquert hat. Das ist der große Arm im Mündungsdelta des Amazonas.In einer Pressekonferenz hat er Brasilien als wichtigstes Partnerland Deutschlands bezeichnet. Ich kann ihn zitieren. Ich kann es Ihnen aus Zeitgründen aber auch gern nachreichen. Insofern glaube ich, dass kein Zweifel daran besteht, dass Brasilien geostrategisch und wirtschaftlich unser wichtigster Partner in Südamerika ist. Wir wollen die Beziehungen zu Brasilien einschließlich der Wirtschaft und des Handels weiter stärken. Dem dient übrigens im kommenden Jahr auch die Hannover Messe, deren Besuch Präsident Lula in Aussicht gestellt hat. Deutschland unterhält eine strategische Partnerschaft mit Brasilien. Die bilaterale Zusammenarbeit ist eng und vertrauensvoll. Insofern war der Eindruck des Bundeskanzlers von dieser sehr kurzen Lateinamerikareise durchaus sehr positiv.Lassen Sie mich vielleicht noch etwas zu dem Satz, der als inkriminierend dargestellt wird, sagen. Die Bemerkung bezog sich im Kern auf den Wunsch der Delegation, nach einem sehr anstrengenden Nachtflug und einem langen Tag in Belém die Rückreise anzutreten. Wenn der Bundeskanzler sagt, wir lebten in einem der schönsten Länder der Welt, dann heißt das nicht, das andere Länder nicht auch sehr schön sind. Aber ich glaube, dem deutschen Bundeskanzler steht es ganz gut an, wenn er Deutschland auch als eines der schönsten Länder der Welt bezeichnet.Zusatz Dr. RinkeDas war noch keine Antwort auf die Frage, ob er sich entschuldigt, wozu er aufgefordert wurde, und ob Sie einen Schaden in den Beziehungen sehen.KorneliusZweimal nein.Frage JungWaren die mitreisenden Minister auch so angewidert von der Stadt? Umweltministerium, Entwicklungsministerium, bitte!KorneliusDer Bundeskanzler ist ohne mitreisende Minister nach Brasilien geflogen.Zusatz JungAber sie waren ja auch da.KorneliusDa müssen Sie die ‑ ‑ ‑Zusatz JungDa haben die wahrscheinlich … (akustisch unverständlich)KorneliusAußerdem glaube ich, dass Ihre Kategorisierung falsch ist. Sie unterstellen, der Bundeskanzler sei von der Stadt angewidert gewesen. Das ist nicht richtig.Zusatz JungDas ist meine Interpretation.KorneliusDas habe ich festgestellt.Zusatz JungDas müssen Sie mir überlassen. Das sagen Sie auch immer, und Sie waren ja auch nicht gefragt.KorneliusSie wollen trotzdem von mir Dinge hören.Zusatz JungWenn sich jemand abfällig über eine Stadt äußert, dann kann man fragen, ob die anderen Mitglieder der Bundesregierung, die auch vor Ort waren, das ebenso erlebt haben. Dann haben wir vielleicht ein besseres Meinungsbild der Bundesregierung. ‑ Das BMZ auch noch!Zimmermann (BMUKN)Ich kann gern etwas für das Bundesumweltministerium sagen, möchte aber vorwegschicken, dass ich das nicht im Kontext des gerade besprochenen Komplexes sehen will. Aber wenn ich die Frage so verstehen darf, dass es darum geht, wie es Bundesumweltminister Schneider und auch insgesamt der deutschen Delegation in Belém gerade geht, dann würde ich sagen: Die Eindrücke und Gespräche vor Ort sind sehr positiv und, soweit ich weiß, in keiner Weise belastet. Die Kooperation mit der brasilianischen COP-Präsidentschaft ist sehr gut. Bundesumweltminister Schneider hat sich kürzlich auch schon selbst geäußert, wie es ihm in Belém im Austausch mit den brasilianischen Partnern und Menschen vor Ort geht.Schöneck (BMZ)Ich kann einen ähnlichen Eindruck von Ministerin Alabali Radovan mitteilen. Sie hatte vor Ort sehr interessante und spannende Gespräche, gerade auch mit der indigenen Bevölkerung. Insofern habe ich nichts weiter hinzuzufügen.Zusatzfrage JungSollte sich der Kanzler aus Sicht der Ministerin entschuldigen? Das könnte ja die Entwicklungszusammenarbeit belasten.Schöneck (BMZ)Wie der Regierungssprecher bereits ausgeführt hat, sehen wir keine Belastung der Beziehungen.Frage WarwegDer Kanzler hat in Belém keine 20 Stunden verbracht. Vor dem Hintergrund würde mich interessieren, was er außer Hotel und Tagungsort in Belém gesehen hat, das sein Missfallen so provoziert hat, dass er sich entsprechend geäußert hat. War es das allgemeine Stadtbild? Vielleicht könnten Sie das noch konkretisieren.KorneliusIch muss wiederholen, dass sich der Bundeskanzler nicht mit Missfallen geäußert hat. Er hat gesagt, wir lebten in einem der schönsten Länder der Welt. Das hat er auf Deutschland bezogen. Ich kann noch einmal sagen, dass Brasilien sicherlich auch zu den schönsten Ländern der Welt gehört. Aber dass der deutsche Bundeskanzler hierbei eine kleine Hierarchisierung vornimmt, ist, glaube ich, nicht verwerflich.Was er gesehen hat, habe ich vorhin geschildert. Es war ein sehr kurzer Tag. Er war sehr lange Zeit in dem Konferenzzentrum. Am Abend gab es tatsächlich noch einen kurzen Abstecher über das Amazonasdelta in ein Restaurant, wo er übrigens auch, dem Rat des brasilianischen Präsidenten folgend, brasilianisch gegessen hat. Das war sehr gut.Zusatzfrage WarwegDass Sie das jetzt ein bisschen nonchalant behandeln, ist klar. Aber die Kollegen haben ausgeführt, dass das in Brasilien zu einem veritablen diplomatischen Eklat geführt hat. Lula hat sich noch halbwegs abwägend geäußert, aber es gibt sehr wohl viel kritischere Stimmen, auch aus der Zivilgesellschaft, die ‑ ich greife dieses Thema noch einmal auf ‑ eine Entschuldigung von Herrn Merz gefordert haben. Auch dieses Thema haben Sie bisher umgangen. Das lässt sich ja relativ leicht mit „Ja, er wird sich entschuldigen“ oder „Nein, er wird sich nicht entschuldigen“ beantworten.KorneliusIch habe das Thema vorhin beantwortet. Außerdem denke ich, dass es allen Teilnehmern in dieser Diskussion ganz gut anstünde, den Kontext dieses Zitats zu sehen. Ich habe es mehrfach erklärt und kann es nur noch einmal wiederholen: Dem Bundeskanzler liegt es fern, sich abfällig über Brasilien zu äußern. Er hat sich in einem Vergleich geäußert. Nebenbei hat er diese sehr kurze Reise nach Brasilien sehr intensiv genutzt, um die exzellenten Beziehungen, die Deutschland zu Brasilien hat, zu vertiefen.Zuruf WarwegEr hat ja auch noch eine entsprechend konnotierte Frage an die betreffenden Journalisten gestellt.Titelbild: Screenshot NDSMehr zum Thema:Putschversuch in Brasilien: Was bisher bekannt istBundesregierung zu US-Invasionsflotte vor der venezolanischen Küste und Kopfgeld auf Maduro: „Bilaterale Angelegenheit“Geplatzter China-Besuch von Außenminister Wadephul: Arroganz oder peinlicher Planungsfehler?Bundesregierung verweigert Transparenz über Abendessen mit Richtern des Bundesverfassungsgerichts
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Nov 20, 2025 • 6min

Bundestagswahl: „Wer nicht nachzählen will, ist kein Demokrat“

Die fortgesetzte Verweigerung der Überprüfung der Bundestagswahl ist skandalös und inakzeptabel: Damit führt eine radikalisierte Mitte den hysterisch ausgerufenen „Kampf für die Demokratie“ selber ins Absurde. Ein Kommentar von Tobias Riegel.Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.Trotz eines historisch knappen Ergebnisses und zahlreicher Indizien für mandatsrelevante Unregelmäßigkeiten: Neun Monate nach der Bundestagswahl muss das BSW immer noch um die Überprüfung des Wahlergebnisses kämpfen, wie die Tagesschau berichtet. Ignoriert wird mit diesem Verhalten folgende Tatsache: „Jeder Demokrat sollte ein Interesse haben, dass die Korrektheit von Wahlergebnissen über jeden Zweifel erhaben ist.“ Mit diesen Worten richtet sich das BSW in einem Aufruf an den Wahlprüfungsausschuss des Deutschen Bundestages. Zu den Erstunterzeichnern des Aufrufs zählen 22 Persönlichkeiten aus Kultur, Politik und Wissenschaft, unter anderem der Kabarettist Dieter Hallervorden, der Rapper Massiv und der Soziologe Michael Hartmann.Weitere Informationen zum Vorgang und zu dem Aufruf fanden sich in den letzten Wochen etwa im Spiegel oder im ZDF oder bei Focus oder bei T-Online. N-TV berichtete über eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa: 36 Prozent der Befragten würden demnach eine Neuauszählung begrüßen, 30 Prozent lehnen sie ab, 21 Prozent ist es gleichgültig.Wie man die Forderung nach einer Neuauszählung unterstützen kann, beschreibt das BSW unter diesem Link.So ein Zufall: Berichte zu „Russland-Kontakten“ des BSWWie es der „Zufall“ will, wurde der Kampf für eine Neuauszählung in den vergangenen Wochen begleitet von einer (nochmals intensivierten) Meinungsmache bezüglich angeblicher „Russland-Kontakte“ von BSW-Akteuren: Der Spiegel schreibt von „bestätigten Kontakten einzelner BSW-Abgeordneter mit Vertrauten des russischen Präsidenten“. T-Online berichtet von „Wagenknechts Kanal zum Kreml“ und behauptet in einem weiteren Artikel: „Kreml arbeitet mit AfD und BSW gegen Merz.“„Es ist im Interesse der Wählerinnen und Wähler, dass hier nicht etwas hopplahopp gemacht wird“Für die Überprüfung der Wahl zuständig ist laut Grundgesetz zunächst der Bundestag selbst. Die Überprüfung übernimmt der Wahlprüfungsausschuss. Dem Gremium gehören neun Bundestagsabgeordnete an: drei von der Union, zwei von der SPD, zwei von der AfD und jeweils einer von Grünen und Linken. „Es ist im Interesse der Wählerinnen und Wähler, dass hier nicht etwas hopplahopp gemacht wird, sondern sehr, sehr gründlich vorgegangen wird“, sagt die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Irene Mihalic, angesichts der inakzeptabel langen Frist, die sich der Ausschuss nimmt, um tätig zu werden. Wann genau das abschließende Ergebnis zum BSW-Einspruch vorliegt, ist darum immer noch unklar. Die Grünenpolitikerin Mihalic sagte kürzlich: „Ich bin mir sehr sicher, dass der Wahlprüfungsausschuss das bis zum Jahresende hinbekommt.“Der Zustand ist inakzeptabel Der Zustand, dass der aktuelle (unter schwerem Vorbehalt stehende) Bundestag selber über die Rechtmäßigkeit der eigenen Zusammensetzung entscheiden soll, ist inakzeptabel.Und wie passt die Verweigerungshaltung der Abgeordneten zum von ihnen zelebrierten hysterischen „Kampf für die Demokratie“? Eine „radikalisierte Mitte“ im Bundestag arbeitet auch durch das aktuelle Verhalten zur Neuauszählung fleißig daran, dass sich noch mehr Bürger vom parlamentarischen Betrieb abwenden. Der Fall Bundestagswahl/BSW ist ein Paradebeispiel für die Frage von Wahlüberprüfungen: Wann sollte überhaupt etwas überprüft werden, wenn nicht in diesem deutlichen Fall? Denn: Es war historisch knapp. Und es gibt massenhaft Indizien für Unregelmäßigkeiten. „Es gibt keine systematischen Wahlfehler“ Exemplarisch für die Argumentation gegen die Neuauszählung soll hier die Berliner Staatsrechtsprofessorin Sophie Schönberger zitiert werden. Sie sieht laut Redaktionsnetzwerk Deutschland keine Veranlassung, die Bundestagswahl neu auszuzählen: „Es gibt keine systematischen Wahlfehler. Das Wahlprüfungsverfahren ist nicht dafür da, zu sagen, vielleicht lassen sich noch irgendwo Stimmen finden, sondern es ist dafür da, um Wahlfehler aufzuspüren.“ Es sei „schlicht nicht vorgesehen, auf reinen Verdacht hin nachzuzählen“.Vielleicht sollte sich Frau Schönberger dieses Interview mit dem BSW-EU-Abgeordneten Fabio de Masi anschauen. Zum einen, was die dort beschriebenen substanziellen und mandatsrelevanten Unregelmäßigkeiten beim Wahlprozess angeht, zum anderen bezüglich Fabio de Masis Urteil über Personen, die die überfällige Nachzählung ablehnen: „Wer nicht nachzählen will, ist kein Demokrat.“Titelbild: EUS-Nachrichten / ShutterstockMehr zum Thema:Wahlrecht absurd: Der Umgang mit dem BSW bleibt demokratiefeindlich und unfairProfessoren fordern Neu-Auszählung der Bundestagswahl: „Es geht um das Vertrauen in den demokratischen Verfassungsstaat“
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Nov 19, 2025 • 13min

Netzwerkeln mit Seeblick – ein Gipfel im Bayerischen lässt tief blicken

Alljährlich versammeln sich am Tegernsee Deutschlands gesellschaftliche Eliten im Geiste Ludwig Erhards zum „Meinungsführertreffen“. Das kommende Stelldichein Ende April sorgt bereits jetzt für Schlagzeilen. Der Veranstalter verkaufe Wirtschaftsleuten „Kontakte zu politischen Entscheidungsträgern“, lautet der Vorwurf. An sich wäre das kaum der Rede wert, weil heute nicht unüblich. Zum Aufreger wird es ausnahmsweise dadurch, dass der mutmaßliche Verkäufer ein hohes Regierungsamt innehat. Von Ralf Wurzbacher.Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.Bis zu seinem Wechsel in die Politik war Wolfram Weimer Geschäftsführer der Weimer Media Group GmbH (WMG), die er gemeinsam mit seiner Frau Christiane Goetz-Weimer 2012 gegründet hatte. Das Unternehmen publiziert rund ein Dutzend Zeitschriften überwiegend im Bereich Wirtschaftsjournalismus und richtet Wirtschaftsevents aus, darunter das „Frankfurt Finance & Future Summit“, den „SignsAward“, die „Marken Gala“ sowie den nun in die Schlagzeilen geratenen „Ludwig-Erhard-Gipfel“. Dessen zwölfte Auflage steigt vom 28. bis 30. April 2026 wie stets seit 2014 im Gut Kaltenbrunn (Bild oben) in Gmund am Tegernsee.Bis dato hatte „Deutschlands Meinungsführertreffen“, wie es der Gastgeber auf der begleitenden Webseite unbescheiden annonciert, keine größere Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Diesmal ist alles anders. Das rechtslibertäre Onlinemagazin Apollo News berichtete am Montag exklusiv über eine mögliche Interessenvermengung in Person Weimers in seiner Doppelrolle als hochgestellter Politiker und mutmaßlich monetärer Profiteur der Veranstaltung. Unter dem Titel „Korruption im Kanzleramt“ erhebt Autor Daniel Gräber den Vorwurf, der 61-Jährige verkaufe „Einfluss auf die politischen Entscheidungsträger“.„Mont Blanc“ für 80.000 EuroWeimer fungiert seit dem Machtwechsel im Mai als Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien, ist „als Staatsminister direkt dem Bundeskanzler zugeordnet und nimmt an den Sitzungen des Bundeskabinetts teil“. Er gilt, wie es heißt, als enger Vertrauter von Bundeskanzler Friedrich Merz, sei mit diesem per Du und ist ihm auch räumlich nahe. Der CDU-Chef hat einen Wohnsitz in Gmund, nicht weit vom WMG-Sitz in Tegernsee Stadt. Ihre Enge umschrieb die Süddeutsche Zeitung (SZ) Ende April mit „Tegernsee-Connection“ (hinter Bezahlschranke). Mit seiner Berufung nach Berlin hatte Weimer bekanntgegeben, dass er die Verlagsgruppe „mit sofortiger Wirkung“ verlasse. Tatsächlich firmiert er seither nicht mehr als Geschäftsführer, die Leitung ging komplett auf seine Gattin über. Allerdings hält er weiterhin die Hälfte der Firmenanteile, wie ein aktueller Handelsregisterauszug belegt. Gewinne, die die WMG mit dem Ludwig-Erhard-Gipfel mache, „fließen damit direkt in die Taschen des Staatsministers“, hält Apollo News fest.Dabei geht es um recht dubiose Einnahmequellen. In Verkaufsunterlagen, die dem Magazin vorliegen, würden interessierten Unternehmen „exklusive Zugänge“ zu Spitzenpolitikern offeriert, als sogenannte Top-Assets „Premiumvernetzung in entspannter Atmosphäre am Tegernsee“ und „Einfluss auf die politischen Entscheidungsträger“ beworben. Dabei ließen sich unterschiedliche Pakete buchen. Das namens „Zugspitze“ koste 40.000 Euro plus Mehrwertsteuer, enthalte „zehn Eintrittskarten zur Konferenz für Geschäftspartner, Kunden und Unternehmensmanager“, Werbeleistungen in den WMG-Wirtschaftsmedien sowie eine „Rednerpräsenz auf der Konferenz (Panelteilnahme)“. Beim Paket „Matterhorn“ zu 60.000 Euro netto und „Mont Blanc“ zu 80.000 Euro netto komme die „Teilnahme eines Vorstands/Geschäftsführers an der exklusiven Executive Night“ hinzu.Quelle: Apollo NewsStammgast Lars Klingbeil Zitiert wird aus der Antwort einer WMG-Mitarbeiterin per E-Mail auf die Frage nach direkten Kontaktmöglichkeiten zur Bundesregierung. Sie sei „der Meinung, dass wir hier auf eines der höheren Pakete zurückgreifen sollten, nämlich das Matterhorn-Paket, das Rednerpräsenz auf der Konferenz einschließt, eine große Standpräsenz im Konferenzzentrum und die Teilnahme an der exklusiven Executive Night, wo auch die Minister teilnehmen werden“. Das Spitzenpaket „Mont Blanc“ soll zudem eine „Besprechungs-Lounge für vertrauliche Gespräche“ beinhalten. „Nicht unüblich“ seien bei derlei Veranstaltungen, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) am Dienstag schrieb, „Side-Meetings, in deren Rahmen das gezielte wie diskrete Miteinander-ins-Gespräch-Kommen zumindest erleichtert wird“.Laut Apollo News soll Cheforganisator Matthias Nieswandt einen Besuch des Bundeskanzlers in Aussicht gestellt haben. Entschieden sei das zwar noch nicht, aber „ich denke, dass wir die halbe Bundesregierung vor Ort haben werden“. Nimmt man die aktuelle Liste der „Speaker“, haben sich für kommendes Frühjahr mit Katherina Reiche und Thorsten Frei (beide CDU) sowie Dorothee Bär (CSU) und Alois Rainer (beide CSU) immerhin vier Bundesminister angekündigt. Beim letzten Termin im Mai dieses Jahres war auch Merz mit dabei, neben Ricarda Lang (Grüne) und SPD-Chef Lars Klingbeil (SPD), den Gastgeberin Goetz-Weimer im Vorfeld in einem Interview mit dem Münchner Merkur einen „Stammgast“ nannte.Kein Platz für Extremisten Seinerzeit hatte Schwarz-Rot einen Tag vor dem Treffen in Gmund die Amtsgeschäfte übernommen. Damit sei der Gipfel „quasi die Keimzelle der neuen Bundesregierung“, so Goetz-Weimer. Überhaupt mag es die Frau exklusiv. „Wir verstehen uns als Gipfel der bürgerlichen Mitte“, und es gehe darum, „Brücken zu bauen“. Allerdings nicht über alle Gräben hinweg. AfD, BSW und Die Linke lade man grundsätzlich nicht ein, denn: „Extremisten bleiben bei uns außen vor.“ Das Format beschrieb sie so: „Bei uns treffen sich seit Jahren die Top-Entscheider. Sie diskutieren bei uns die wichtigsten Fragen der Zeit auf offener Bühne und tauschen sich daneben auch vertraulich aus.“ Was ihr auch sehr gut gefalle: „Sie kommen nicht nur, um zu senden, sondern auch, um zu empfangen“, und „treffen sich auch zu vielen bilateralen Gesprächen“. Dass der Austausch gegen allerhand Geld vonstatten geht, sagte sie nicht.Ihr Gatte sieht sich zu Unrecht an den Pranger gestellt. In einem Gespräch mit Die Welt (hinter Bezahlschranke) bekräftigte er: „Natürlich sind Minister nicht käuflich.“ Ferner wies er den Vorwurf zurück, von der Veranstaltung finanziell zu profitieren, ohne allerdings in Abrede zu stellen, weiter an der WMG beteiligt zu sein. Nur so viel: „Ich habe dort keine Funktionen, auch kein Beratermandat“, es gebe „eine glasklare Trennung zwischen meiner Tätigkeit als Minister und der meiner Frau als Geschäftsführerin und Verlegerin“. Ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, den Gipfel auszusetzen, solange er Regierungsmitglied sei, wollte der Interviewer wissen. Nein, so Weimer, „das käme einem Berufsverbot für meine Frau nahe“.Kanzler muss handeln Aufschlussreich ist, wie er die Vorgänge um seine Person einordnet. Demnach begreift er sich als Opfer einer Kampagne „rechter Netzwerke“ in Gestalt von Apollo News, Nius und der AfD. „Die Rechten setzen gezielte Diffamierung als Waffe der politischen Auseinandersetzung ein.“ Das ist gewiss zutreffend, geht aber am Thema vorbei. Denn fraglos stört es auch Bürger, die sich als konservativ, politisch in der Mitte oder links davon verorten, wenn bei Politikern der Anschein entsteht, sie könnten ihr Amt mit geschäftlichen Interessen verquicken. Die meisten dürften es bereits als anstößig empfinden, dass bei Events wie dem am Tegernsee politische und ökonomische Macher auf Tuchfühlung gehen, um die Geschicke des Landes unter sich auszumachen. Das ist an sich schon problematisch genug, wenn dabei sogar Geld fließt, noch schlimmer.„Wir sehen es schon an sich kritisch, wenn ein privilegierter Zugang zu hochrangigen Politikerinnen und Politikern gegen Geld angeboten wird“, äußerte sich in einer Stellungnahme der Verein LobbyControl. „Wenn das Geld dann aber indirekt an einen amtierenden Minister fließt, erschüttert dies das Vertrauen in die Integrität der Bundesregierung und fügt dem Bild der Politik insgesamt Schaden zu.“ Der Kanzler müsse „Verantwortung übernehmen und dafür sorgen, dass die unverantwortliche Vermischung von politischem Amt und privaten Geschäftsinteressen in seinem Kabinett beendet wird“.Den Verdacht der Käuflichkeit gilt es offenbar tunlichst auszuräumen. Jedenfalls lassen die Reaktionen in der Politik erkennen, dass man die Angelegenheit sehr ernst nimmt. Jede Beteiligung am Gipfel werde derzeit überprüft, teilte die Bayerische Staatsregierung mit. Man habe zudem eine interne Compliance-Prüfung veranlasst, um zu ermitteln, „ob eine Fortsetzung der staatlichen Unterstützung weiterhin möglich ist“. Die Veranstaltung wurde in den vergangenen Jahren vom Freistaat insgesamt mit einem mittleren sechsstelligen Betrag bezuschusst.Plötzlich ganz distanziert Heikel ist im Besonderen die Rolle von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Der war an der Seite seiner Kabinettskollegen mehrfach als Schirmherr des Gipfeltreffens aufgetreten und bemerkte einmal: „Es könnte so auf Dauer ein bayerisches Davos werden“, angelehnt an das Weltwirtschaftsforum (WEF) in den Schweizer Alpen. Vielleicht hat sich das alsbald erledigt. Das Magazin Cicero raunte am Dienstag (hinter Bezahlschranke): „Markus Söder ist ein mächtiger Mann. (…) Es ist kaum vorstellbar, dass er seinen eigenen Ruf ohne Not dem amtierenden Kulturstaatsminister opfert.“ Erste Rücktrittsforderungen an Weimers Adresse kamen gestern von Seiten der FDP (ausgerechnet). Nach Informationen von Apollo News sollen mit Bär, Rainer und Frei schon drei Minister ihre Teilnahme an besagter „Executive Night“ abgesagt haben: Sie wollen nun lediglich als Redner im Hauptprogramm auftreten.Aus dem Haus Reiche verlautete: „Es liegt keine Zusage für den Ludwig-Erhard-Gipfel vor.“ Dies, obwohl sie schon länger als „Speakerin“ auf der Webseite angekündigt ist. Zu den Förderern des Events gehört auch die E.on-Tochter Westenergie, als „Member“ Teil der obersten Sponsorenkategorie. Die heutige Wirtschaftsministerin war dort bis zu ihrem Wechsel in die Politik Vorstandschefin. Seit der Auftaktkonferenz 2014 machte sie jedes Jahr ihre Aufwartung. Ähnlich oft ließ sich auch der Kanzler blicken. Von ihrer Rede beim Treffen im letzten Mai ist folgender Satz überliefert. „Sie können sich schon mal merken, wenn Sie elf Mal durchhalten, werden Sie Bundeswirtschaftsminister.“Titelbild: Screenshot ludwig-erhard-gipfel.de

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