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Dec 11, 2025 • 13min
Rentenstreit – Debattieren in postfaktischen Zeiten
Hätte es die angeblich „jungen CDU-Abweichler“ samt ihres angedrohten „Koalitionsbruchs“ nicht gegeben, wäre die letzte Bundestagsdebatte zum Rentenpaket wohl – wie so viele vergangene Debatten zur Rente – kaum von Medien und Öffentlichkeit beachtet worden. Es kam jedoch anders und man weiß nicht, ob man sich darüber freuen oder ärgern soll, steht doch nun der Plan im Raum, noch in dieser Legislaturperiode eine „echte“ Rentenreform anzugehen. Da darf man Schlimmes erwarten, wurde der aktuelle „Rentenstreit“ doch bereits außerhalb aller Fakten geführt und erzählt. Von Jens Berger.Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.Die Erzählung oder – wie man Neudeutsch wohl sagt: das Narrativ – des Rentenstreits ist schnell erzählt:Die gesetzliche Altersrente hat ein massives Problem. Der demographische Wandel führt dazu, dass das System schon bald kollabiert. Nur die immer gigantischer werdenden Zuschüsse aus Steuermitteln sorgen dafür, dass das System überhaupt noch zahlungsfähig ist. Union und SPD haben das Problem auf die lange Bank geschoben und dies belastet die junge Generation. Die SPD will die Rente, die CDU die Wirtschaft retten und die jungen Abweichler der Union sind die Anwälte der Jüngeren.So oder so ähnlich konnten wir es in zahllosen Artikeln zum Thema lesen; so oder so ähnlich erzählten es angebliche Experten in Talkshows und Kommentaren. Nichts, aber auch wirklich gar nichts davon ist richtig.Fangen wir mit dem Punkt der angeblich so massiv gestiegenen Kosten des Rentensystems für den Steuerzahler an. Diese Debatte wird schon seit Ewigkeiten geführt. Es geht um die sogenannten Steuerzuschüsse. Was ist das? Seit es die Rentenversicherung des Bundes gibt, muss sie auch versicherungsfremde, also nicht beitragsgedeckte, Leistungen übernehmen. Der Katalog dieser Leistungen ist lang und reicht von Ersatzzeiten (z.B. Wehrdienst), Anrechnungszeiten (z.B. bei Krankheit oder Schwangerschaft), die Kindererziehungszeiten vor dem Jahr 1992, Höherbewertung der Ost-Entgelte, Kriegsfolgelasten und Frührenten bis hin zur Witwenrente. Für alle diese Leistungen gibt es einen guten politischen Grund, sie sind Bestandteil des Sozialstaats. Allen diesen Leistungen stehen jedoch keine Beiträge der Rentenversicherten gegenüber. Aus diesem Grund sollen diese Leistungen auch über den sogenannten Bundeszuschuss aus dem Steuertopf getragen werden. Es gibt jedoch zahlreiche Studien, die belegen, dass die Summe der Bundeszuschüsse konstant weit unter den tatsächlich erbrachten versicherungsfremden Leistungen liegt. 2023 lag die Differenz nach Angaben der Rentenversicherung beispielsweise bei rund 40 Mrd. Euro. Um dies einmal einzuordnen: Die zusätzliche Belastung der Sozialsysteme durch nicht aus Steuermitteln ausgeglichene versicherungsfremde Leistungen liegt lt. Studien bei rund neun Beitragspunkten – bei der paritätischen Finanzierung der Sozialsysteme könnten also sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber Bruttolohnanteile von jeweils 4,5 Prozent einsparen, wenn die versicherungsfremden Leistungen ordnungsgemäß über die Steuern finanziert würden. Wir haben es hier also nicht mit einem Problem zu tun, das ursächlich etwas mit dem Umlagesystem der Altersrente zu tun hätte. Das Problem ist vielmehr, dass die Politik allerlei versicherungsfremde Leistungen mit in die Rente gepackt hat und sich gleichzeitig weigert, diese Leistungen auch voll zu bezahlen. Denn dafür müsste man dann ja entweder Steuern erhöhen oder Ausgaben an anderer Stelle kürzen.Vollkommen falsch ist übrigens auch, dass der Steuerzuschuss – in welcher Form auch immer – immer teurer würde. Lag der Bundeszuschuss vor zwanzig Jahren noch bei 3,4 Prozent der Wirtschaftskraft, also des Bruttoinlandproduktes, liegt er aktuell bei nur 2,7 Prozent. Binnen zwanzig Jahren ist der Anteil also nicht etwa gestiegen, sondern in Relation zur Wirtschaftskraft um gute 20 Prozent gesunken.Quelle: NachDenkSeitenGanz ähnlich sehen die Zahlen aus, wenn man die Zuschüsse nicht an der Wirtschaftskraft, sondern am Volumen des Bundeshaushalts bemisst. Machten die Zuschüsse vor zwanzig Jahren noch 31 Prozent des gesamten Bundeshaushalts aus, so liegt deren Anteil heute bei nur noch 25 Prozent. Die „Delle“ im Haushaltsjahr 2021 ist übrigens ein Effekt der Coronamaßnahmen-Finanzierung und soll an dieser Stelle nicht interessieren.Quelle: NachDenkSeitenDiese Zahlen zeigen klar und deutlich: Die Kosten für den Steuerzuschuss zur gesetzlichen Rentenversicherung steigen nicht und explodieren schon gar nicht – ganz im Gegenteil sinken diese Kosten Jahr für Jahr. Die bei der Debatte immer mitschwingende Argumentation, wir könnten uns das Rentensystem in dieser Form nicht mehr leisten, ist also nachgewiesenermaßen falsch.Kommen wir zum demographischen Wandel und begeben uns dabei in vermintes Terrain. Dass jedes Jahr mehr alte Menschen in Rente gehen als junge Menschen in den Arbeitsmarkt nachwachsen, ist vollkommen korrekt. Daraus ein unabwendbares Problem für die Rentenversicherung zu machen, ist jedoch vollkommen unseriös. Die NachDenkSeiten haben auf diese Manipulation schon seit ihrer Gründung immer wieder hingewiesen. Zu den aktuellen Zahlen hatte erst vor wenigen Wochen Reiner Heyse auf den NachDenkSeiten etwas geschrieben. Kurz dazu: Die vielzitierten „Babyboomer“ gehen nicht in einigen Jahren in Rente; sie gehen es schon jetzt und der Höhepunkt dieser Entwicklung wird um das Jahr 2029 herum stattfinden – also im Jahr der nächsten regulären Bundestagswahlen. Danach geht es wieder bergab mit der Jahrgangsstärke und in zehn Jahren werden weniger Menschen in das Rentenalter eintreten als heute, Tendenz weiter abnehmend.Quelle: Reiner HeyseHeyse folgert daraus: „Die Fakten zeigen, das ´Problem´ ist temporär und durchaus im Rahmen der Umlagefinanzierung beherrschbar. Das wird seit etlichen Jahren von der Deutschen Rentenversicherung erklärt und mit sehr validen Daten belegt“. Dem ist nichts hinzuzufügen. Die Katastrophenszenarien, die sich auf den demographischen Wandel beziehen, sind interessengesteuert und kontrafaktisch.Fast spannender als das, was zu dem Thema öffentlich gesagt und geschrieben wird, ist das, was nicht erwähnt wird. Die bloße Zahl von Jungen und Alten ist für die Rentendebatte nämlich eigentlich gar nicht so wichtig. Die Rentenbeiträge müssen schließlich auch bezahlt werden. Hätten wir eine Million mehr junge Menschen, die nicht in die Kassen einzahlen, hätte dies, Demographie hin oder her, keine positive Auswirkung auf das Umlagesystem. Wichtig ist also vor allem, dass die „Jungen“, also diejenigen, die ins Umlagesystem einzahlen, ordentliche Löhne beziehen, sozialversicherungspflichtig beschäftigt sind und einer produktiven Tätigkeit nachgehen. In den 1950ern kamen auf einen Rentner rund drei bis vier Beitragszahler. Heute kommen auf einen Rentner rund zwei Beitragszahler und es werden künftig sogar noch etwas weniger. Ist das ein Problem? Nein, da ein Arbeitnehmer im Jahre 2025 wesentlich produktiver ist als ein Arbeitnehmer in den 1950ern. Die ganze Rechnung ohne den Produktivitätszuwachs zu machen, ist sinnlos. Nicht der demographische Wandel als solcher, sondern die in den letzten Jahren schlechte Produktivitäts- und Lohnentwicklung der Bundesrepublik ist ein Problem für das Rentensystem.Ein weiteres großes Problem ist die Entwicklung, dass immer mehr volkswirtschaftliche Einkünfte nicht mehr durch sozialversicherungspflichtige Arbeit, sondern durch Kapitaleinkünfte erzielt werden, die über das Umlagesystem nicht umverteilt werden und dank politischer Blockade auch nicht über Steuerzuschüsse ins System umgeleitet werden. Die Rentenversicherung ist heute eine Absicherungssystem innerhalb der Gruppe der Arbeitnehmer. Wenn man die Rente nun aber als gesamtgesellschaftliche Aufgabe definiert, müsste man auch die Finanzierungsbasis gesamtgesellschaftlich ausweiten. Aber auch hier gilt: Das Umlagesystem ist auch ohne eine solche Erweiterung tragfähig; das Rentenniveau könnte jedoch steigen, wenn man die Basis erweitert. Doch solche Debatten werden leider nicht geführt, widersprechen sie doch den Erzählungen.Doch bleiben wir bei den aktuellen Erzählungen: Wie sieht es denn mit dem angeblichen Generationenkonflikt aus? Kämpfen hier Junge gegen Alte? Diese Interpretation ist geradezu abenteuerlich. Beim konkreten „Streit“ geht es ja weniger um die aktuellen Rentner. Beim Rentenniveau und den sogenannten Haltelinien geht es um Prognosen, die das nächste Jahrzehnt betreffen. Das betrifft weniger die Alten, aber um so mehr diejenigen, die künftig in Rente gehen. Bei den Punkten, die im Rahmen der Rentendiskussion zurzeit gefordert und verhandelt werden, wie beispielsweise dem Renteneintrittsalter, geht es teils sogar um Regelungen, die weder für die heutige Rentnergeneration noch für die Boomer überhaupt eine Rolle spielen. Sollte – um ein willkürliches Beispiel zu nehmen – das Renteneintrittsalter auf 70 Jahre erhöht werden, müssten dabei gesetzliche Übergangsfristen berücksichtigt werden, sodass davon eben nicht die älteren, sondern die jüngeren Jahrgänge betroffen sind. Je nach Modell sprechen wir hier vor allem von den Jahrgängen ab Mitte der 1980er, also denen, die man landläufig in einem alten Land wie Deutschland als „die Jungen“ bezeichnet. Warum „die jungen Wilden“ der CDU nun von den Medien als Vertreter „der Jungen“ inszeniert werden, ist also ein echtes Rätsel. Würden sich diese „Abweichler“ mit all ihren Forderungen durchsetzen, hätte dies vor allem negative Folgen für ihre Generation, während die Folgen für die „Boomer“ überschaubar blieben.Es ist ohnehin unverständlich, warum in dieser Debatte derart schrille Katastrophenszenarien bemüht werden. Was sind denn eigentlich die dramatischen Folgen für „die Jungen“, von denen immer gesprochen wird? Auch dazu hatte Reiner Heyse bereits etwas auf den NachDenkSeiten geschrieben – würde man das Rentenniveau durch eine Erhöhung des Beitragssatzes stabilisieren, würde dies nach aktuellen Schätzungen der Rentenversicherung auf eine Erhöhung um 2,6 Prozentpunkte in den kommenden 15 Jahren hinauslaufen; wie bereits erwähnt, damit wäre dann auch der gesamte „Boomer-Bauch“ ausgeglichen und danach würde sich die Lage ohnehin wieder entspannen, da dann die geburtenschwächeren Jahrgänge in Rente gehen. Und wer nun meint, dies sei der Weltuntergang – in einem Szenario, bei dem kein einziger Cent zusätzlicher Steuergelder fließt und der gesamte demographische Effekt ausschließlich von den Beitragszahlern übernommen wird, käme man dann im Jahr 2040 auf einen Beitragssatz von 21,2 Prozent, also gerade mal 0,8 Prozentpunkte über dem Wert von 1998. Berücksichtigt man die paritätische Finanzierung der Rente, würden wir übrigens bei weniger als 0,1 Prozent Steigerung pro Jahr ankommen. Dies gilt wohlgemerkt für das Szenario, bei dem die kompletten Mehrkosten durch den demografischen Wandel bei Sicherung des jetzigen Rentenniveaus dem Beitragszahler aufgebürdet werden. Würde man die Lasten zum Teil auf den Steuerzahler abwälzen, wäre die Steigerung der Beiträge dementsprechend geringer. Und das ist jetzt so fürchterlich dramatisch? So dramatisch, dass die „jungen Abweichler“ angeblich ihr Gewissen über die Fraktionsdisziplin stellen? Ich habe da meine Zweifel.Wahrscheinlicher ist, dass die Union das Spielfeld für die kommenden Debatten zur „echten Rentenreform“ schon mal vorbereitet. Der Union ist schließlich daran gelegen, allerlei Grausamkeiten bei der Rente durchzusetzen – von der Teilprivatisierung bis hin zur Erhöhung des Renteneintrittsalters. Die Finanzkonzerne scharren ja bereits mit den Hufen. All diese Punkte sind beim Wähler nicht gerade beliebt und da kann es sicher nicht schaden, schon einmal einen Erzählungsrahmen zu setzen, in dem man sich als selbstloser Bewahrer des Rentensystems in Szene jetzt, der die Interessen der Jungen im Auge hat und die Rente gleichzeitig vor dem sicheren Kollaps rettet – natürlich mit „unbeliebten Reformen“. Dass dies alles nicht der Wahrheit entspricht und den Fakten zuwiderläuft, weiß ja dank der lausigen Berichterstattung niemand. So bitter es ist, die gesamte öffentliche Rentendebatte ist in einer postfaktischen Ära angekommen und das verheißt nichts Gutes.Titelbild: Juergen Nowak/shutterstock.com

Dec 11, 2025 • 12min
Bundesregierung zu Welle von Kontokündigungen bei Regierungskritikern: „Wir sind ein freies Land“
Am 9. Dezember hat die DKP bekanntgegeben, dass ihr die GLS-Bank ohne weitere Begründung alle Konten gekündigt hat. Kurz vor der Kündigung hatte die Bank bei der DKP mit dem Verweis „dringend“ Informationen zu einer Spendenaktion für Kuba eingefordert. Zuvor waren dieses Jahr bereits die Konten zahlreicher regierungskritischer Journalisten wie z.B. Gaby Weber, Aya Velázquez und Flavio von Witzleben sowie von Verlagen (Mehring Verlag) und Radiostationen (Kontrafunk) aufgekündigt worden. Die NachDenkSeiten wollten vor diesem Hintergrund wissen, ob die Bundesregierung ausschließen kann, dass einzelne Ministerien Druck auf die entsprechenden Banken ausgeübt haben, und wie Kanzler Merz grundsätzlich die zunehmende Tendenz zum „Debanking“ von regierungskritischen Stimmen in Deutschland bewertet. Von Florian Warweg. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.HintergrundDie GLS-Bank, die sich selbst als „nachhaltig, sozial und kooperativ“ beschreibt und mit dem Slogan wirbt „Schafft Raum für Vielfalt“, hat zum 31. Dezember 2025 die Konten des Parteivorstands der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) sowie zahlreicher Untergliederungen gekündigt. Die Kündigung erfolgte ohne Angabe von Gründen. In einer Pressemitteilung nannte die DKP das Vorgehen allerdings „offensichtlich politisch motiviert“ und begründete dies auch: „Eine erste Irritation im Umgang zwischen der DKP und der GLS-Bank trat im September auf. Eine Mitarbeiterin der GLS-Bank bat „dringend“ um „Informationen zu der Nutzung“ der Konten. Sie präzisierte in ihrer Mail: „Insbesondere benötige ich Informationen zu der Spendenaktion für Kuba.“ Die DKP stellte alle gewünschten Angaben fristgerecht zur Verfügung, erhielt aber auch auf Nachfrage, wozu die Informationen benötigt werden, keine Antwort. Stattdessen erfolgte die schriftliche Kündigung der DKP-Konten zum 31. Dezember. Danach waren die Verantwortlichen der Bank für die DKP nicht mehr zu sprechen. Eine Vielzahl von Anrufversuchen und Mails liefen ins Leere.“Im Gespräch mit den NachDenkSeiten erklärte Klaus Leger, Leiter Finanzkommission bei der DKP, dass die GLS selbst einräumt, dass die Kündigung der Konten „nicht auf einer souveränen internen Entscheidung der GLS-Bank“ beruhte:„Am späten Nachmittag des 10. Dezember erhielt ich einen Anruf von zwei Vertretern der GLS-Bank Der erste Kontakt seit der Kündigung. Sie zeigten sich persönlich betroffen von der politischen Einordnung der Kündigung in unseren öffentlichen Stellungnahmen. Formell wichen sie nicht von der AGB-Linie ihrer Kündigung ab, machten aber deutlich, dass es Druck von außen gab und die Kündigung nicht auf einer souveränen internen Entscheidung der GLS-Bank beruht. Auf meine Frage, ob die Einflussnahme durch den Verfassungsschutz erfolgte, wollten die GLS-Vertreter nicht näher eingehen, dementierten dies aber auch nicht.“Dies war mitnichten die einzige Kontokündigung der GLS gegen kritische Geister. Erst Anfang November kündigte die GLS das Geschäftskonto der freien Journalistin Aya Velazquez, bekannt geworden u.a. durch die Veröffentlichung der ungeschwärzten RKI-Protokolle, ebenfalls ohne jede weitere Begründung: Juhu, meine erste Kontokündigung! Nachdem ich versucht habe, mein öffentliches Pseudonym als Alias anzumelden, damit meine Unterstützer bei Überweisungen keine Fehlermeldung mehr erhalten, wurde mir seitens der GLS-Bank kommentarlos das Geschäftskonto gekündigt. Ich hatte… pic.twitter.com/jN2DE6XtSS— Aya Velázquez (@aya_velazquez) November 8, 2025 Zahlreiche weitere Fälle von „Debanking“ bei regierungskritischen Journalisten, Verlagen und RadiostationenAllein in diesem Jahr gab es bereits zahlreiche weitere Konto-Kündigungen bei Journalisten, Medienportalen und Verlagen. Anbei eine unvollständige Übersicht:Anfang Dezember 2025 gab der freie Journalist Flavio von Witzleben bekannt, dass ihm die Sparkasse Karlsruhe sein Geschäftskonto gekündigt hat. Nun hat es mich auch erwischt: Die Sparkasse Karlsruhe hat ohne Angabe von Gründen mein Geschäftskonto gekündigt. Ich hatte seit jungen Jahren bei dieser Bank mein Konto und mit einem derartigen Schritt nicht gerechnet. Die Bank gefährdet damit meine Existenz. Es ist… pic.twitter.com/IP8nT9gXU9— Flavio von Witzleben (@WitzlebenFlavio) December 2, 2025 Gegenüber der Berliner Zeitung bezeichnete er den Vorgang als „Versuch der Einschüchterung“ aufgrund seiner journalistischen Tätigkeit. Auf Rückfragen seinerseits habe die Bank lediglich mitgeteilt, dass es „gravierende Gründe“ gebe, ohne dies näher auszuführen. Auch auf eine Presseanfrage der Berliner Zeitung zu den Vorwürfen und rechtlichen Fragen verweigerte die Sparkasse jede Form einer inhaltlichen Stellungnahme und erklärte lediglich:„Die Sparkasse Karlsruhe beachtet die geltende Rechtsordnung. Dazu gehört auch das Bankgeheimnis. Das bedeutet, dass sich die Sparkasse Karlsruhe nicht zu bestehenden oder nicht bestehenden Kundenbeziehungen äußert.“.Anfang Mai 2025 hatte die zur Deutschen Bank gehörende Postbank das Geschäftskonto des Mehring-Verlags sowie im Juni das Privatkonto des Geschäftsführers Wolfgang Zimmermann ohne Angabe von Gründen gekündigt. Der Verlag ist auf sozialistische Literatur spezialisiert und positioniert sich kritisch zum aktuell herrschenden Gesellschaftsmodell. In einer Pressemitteilung dazu heißt es unter anderem: „Die Kündigung des Geschäftskontos, die bereits zum 28. Juli wirksam wird, zielt darauf ab, die Arbeit des Mehring Verlags zu sabotieren und die Verbreitung seiner Bücher zu behindern. Andere Gründe dafür gibt es nicht. Der Mehring Verlag und seine Vorgänger haben seit ihrer Gründung vor 45 Jahren ein Konto bei der Postbank unterhalten, die inzwischen vollständig in die Deutsche Bank integriert worden ist, ohne dass es ein einziges Mal zu einer Beanstandung kam.Was die Kündigung des Kontos des Geschäftsführers betrifft, handelt es sich um persönliche Schikane. Es ist rein privat und steht in keinem Zusammenhang zum Verlag. (…) Die Banken arbeiten dabei eng mit dem Verfassungsschutz zusammen.“Im Februar 2025 kündigte die Commerzbank-Tochter Comdirect der Publizistin und Filmemacherin Gaby Weber ein Spendenkonto, auf dem sie Gelder für Gerichtsprozesse zur Durchsetzung des Informationsfreiheitsgesetzes sammelte. Weber führt unter anderem Klage auf Akteneinsicht zum Zwecke journalistischer Recherche gegen das Bundeskanzleramt, den BND und die Deutsche Bundesbank. In einem Beitrag für das Overton-Magazin unter dem Titel „De-Banking oder: die Rache der Bundesbank?“ schildert Weber die näheren Umstände der Kündigung. Der Radiosender Kontrafunk gab am 5. Februar 2025 bekannt, dass ihm die Volksbank Pirna ohne Angaben von Gründen das Geschäftskonto gekündigt habe: 5.765 Euro: soviele Kontoführungsgebühren hat die Kontrafunk AG im vergangenen Jahr an die Volksbank Pirna bezahlt für ein Konto, das immer im Haben war und null Risiko darstellt. Also kein schlechtes Geschäft für die Bank. Trotzdem wurden wir soeben rausgeworfen. Natürlich ohne…— kontrafunk (@kontrafunk) February 5, 2025 Die Indifferenz der deutschen JournalistenverbändeFür die zwei großen deutschen Journalistenverbände, die Deutsche Journalisten Union (DJU) sowie den Deutschen Journalisten Verband (DJV), scheint diese Welle an Kontokündigungen kein Thema zu sein. Auf Anfrage von Multipolar erklärte der DJV, laut Selbstdarstellung „einer der größten Journalismus-Organisationen in Europa“, dass bislang ja keine eigenen Mitglieder betroffen seien, zudem ließe sich die politische Motivation bei den verantwortlichen Banken „nicht beweisen“, dies sei folglich „als Grundlage für Aktivitäten zu dürftig.“Die zur Dienstleistungsgewerkschaft Verdi gehörende DJU teilte ebenfalls mit, dass man gegen „Debanking“ von Journalisten bislang nicht öffentlich tätig werden will. Zugang zu einem Bankkonto sei gesetzlich geregelt, Widersprüche gegen Kontokündigungen folglich „in geordneten Verfahren“ möglich. Den Fällen der bisher betroffenen regierungskritischen Journalisten lägen „sicherlich Einzelfallentscheidungen“ zugrunde. Aufgrund „fehlender Informationen“ könne die DJU diese Fälle auch nicht bewerten, grundsätzlich sei aber zu sagen, die Pressefreiheit in Deutschland gelte „ungeschmälert“. FazitPressefreiheit gilt laut den genannten Journalistenverbänden ungeschmälert – allerdings sollte man es mit dem Ausleben dieser „Frei-heit“ bitte nicht übertreiben, sonst könnte man recht schnell konto-frei dastehen – wie die aufgezählten Fälle recht eindringlich aufzeigen …Auszug aus der Regierungspressekonferenz vom 10. Dezember 2025 Frage WarwegDie DKP hat am 9. Dezember bekanntgegeben, dass ihr die GLS-Bank ohne weitere Begründung alle Konten gekündigt hat. Kurz vor der Kündigung hatte die Bank allerdings bei der DKP mit Verweis auf Dringlichkeit Informationen zu einer Spendenaktion für Kuba eingefordert. Vor dem Hintergrund würde mich vom Wirtschaftsministerium und vom BMI interessieren, ob beide Ministerien umfassend ausschließen können, dass sie sowie die ihnen unterstehenden Behörden wie Verfassungsschutz oder BAFA entsprechend Druck auf die Bank ausgeübt haben. – Fangen wir mit dem Wirtschaftsministerium an?BPK-Vorsitzende WefersSind Sie dafür zuständig, oder wie verhält sich das? – Das sieht mir gerade nicht so aus.Können Sie da weiterhelfen, Frau Dr. Kock?Dr. Kock (BMI)Ich kann da aus dem Stand auch nicht weiterhelfen.Zusatz WarwegGut. Vielleicht können Sie ja etwas nachreichen.Ich hätte trotzdem noch eine Nachfrage: Das sogenannte „debanking“ hat in diesem Jahr nicht nur die DKP getroffen, sondern auch einige sich regierungskritisch äußernde Journalisten wie Gabi Weber, Flavio von Witzleben, Aya Velázquez sowie Verlage, den Mehring Verlag zum Beispiel, oder Radiostationen wie Kontrafunk. Da würde mich die Haltung des Kanzlers interessieren. Besorgt ihn diese zunehmende Tendenz des „debankings“ von regierungskritischen Stimmen, oder ist das etwas, was er als durchaus legitim betrachtet?Vize-Regierungssprecher MeyerWas der Bundeskanzler als legitim betrachtet, ist Kritik an der deutschen Bundesregierung. Wir sind hier ein freies Land, in dem man die Bundesregierung selbstverständlich kritisieren kann. Das gehört, glaube ich, zu den Grundzügen unseres Zusammenlebens in einer freiheitlichen Demokratie. – Das ist das, was ich dazu sagen mag.Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 10.12.2025Mehr zum Thema:EU und Bundesregierung sanktionieren deutschen Journalisten wegen kritischen Tweets zu Kanzler MerzEU-Sanktionen gegen Journalisten – Florian Warweg und Gabriele Gysi im Gespräch mit Michael von der Schulenburg und Ruth FirmenichAnhörung in Brüssel zu EU-Sanktionen gegen deutsche Journalisten: Massiver Verstoß gegen GrundrechtePressefreiheit in Gefahr: EU-Sanktionen gegen deutsche Journalisten schaffen beunruhigenden PräzedenzfallSkandal in der BPK: Bundesregierung diffamiert deutschen Journalisten Hüseyin Doğru als „Desinformationsakteur“

Dec 11, 2025 • 6min
Weihnachtsmarkt in Zweibrücken: Soldaten mit Sturmgewehr sorgen für Polizeieinsatz – Militarisierung schreitet voran
Die Bundeswehr soll zum integralen Bestandteil der Öffentlichkeit werden. So will es die Politik. Werbeplakate, Schulbesuche, Offiziere in Uniform in den Medien: Die Präsenz des Militärischen wird immer offensichtlicher. Nun ist es zu einem Vorfall auf dem Weihnachtsmarkt in Zweibrücken durch vermummte und bewaffnete Soldaten der Bundeswehr gekommen. Santa Claus mit Maschinengewehr? Das kam bei den Besuchern des Marktes nicht gut an. Die Risiken und Nebenwirkungen der Militarisierung sind längst Realität. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.Die Bundeswehr soll kein Schattendasein mehr führen. ‚Raus in die Öffentlichkeit!‘, so lautet die Devise. Politiker sprechen von Kriegstüchtigkeit, von Aufwuchs und vom Dienst am Vaterland – und die Bundeswehr sieht die Chance, für sich und ihre Aufgaben auf Sympathiefang zu gehen. In Zweibrücken, wo das Fallschirmjägerregiment 26 der 1. Luftlandebrigade stationiert ist, ist die Bundeswehr auch auf dem Weihnachtsmarkt mit einem Stand vertreten. Bürgernähe – Gespräche führen, „informieren“, Verständnis suchen: Die Bundeswehr macht, was im Zuge der politisch gewollten „Zeitenwende“ eben zu tun ist. Doch der Schuss ging im beschaulichen Zweibrücken nach hinten los. Soldaten der Bundeswehr mit Santa-Claus-Kostüm, vermummt mit einem Tuch vorm Gesicht und bewaffnet mit Sturm- und Maschinengewehr, marschierten über den Weihnachtsmarkt zum Stand der Truppe. Daraufhin hieß es: Polizeieinsatz auf dem Weihnachtsmarkt. Wie die Rheinpfalz berichtet, waren Bürger besorgt und alarmierten die Polizei. Bei dem Einsatz stellte sich raus: Die Soldaten waren tatsächlich schwer bewaffnet und eine Waffe war mit Munition geladen. Nun prüfen die Behörden, ob ein Verstoß gegen das Waffengesetz vorliegt. Denn: Eine „Waffenschau“ war, wie der SWR berichtet, nicht angemeldet. Der Vorfall geht nun durch die Medien. Ob Saarbrücker Zeitung, Rheinpfalz, SWR, Der Spiegel: Die „Weihnachtsmänner“ mit schwerer Bewaffnung bekommen Aufmerksamkeit.Mittlerweile reagierte auch der Kommandeur des Fallschirmjägerregiments. Gegenüber der Rheinpfalz sagte er:„Bei allen Gästen, die sich bei ihrem Besuch des Weihnachtsmarktes durch die Anwesenheit von ausgerüsteten Soldaten in diesem Rahmen gestört fühlten, möchte ich mich persönlich und von Herzen entschuldigen.“Oberstleutnant Martin Holle kündigte zudem an, am Samstag ab etwa 13 Uhr selbst am Stand zu sein, um sich kritischen Fragen zu stellen.Sowohl die Entschuldigung als auch die Bereitschaft, mit der Öffentlichkeit zu reden, sind ein guter Schritt und verdienen Respekt. Das übergeordnete Kernproblem ist damit jedoch nicht gelöst.Was auch immer der Grund für das Verhalten der Soldaten war, ob Gedankenlosigkeit oder eine Fehleinschätzung der Situation: Dass die Bundeswehr sich überhaupt herausnimmt, auf einem Weihnachtsmarkt vertreten zu sein, lässt tief blicken. Weihnachtsgebäck und Weihnachtsmusik, festliche Beleuchtung, Eltern mit ihren Kindern, Glühwein, kurzum: ein kleines Stück Beschaulichkeit, bei dem es nicht das „Handwerk des Tötens“ braucht, das sich zur Schau stellt. Und schon gar nicht zu einer Zeit, wo die Politik die Republik auf Kriegstüchtigkeit trimmen will. Können die Bürger nicht einmal um die Weihnachtszeit unbelästigt von der politisch herbeihalluzinierten „Bedrohungslage“ bleiben?Was werden die Vertreter der Bundeswehr an diesem Stand wohl schon bei den Unterhaltungen mit den interessierten Bürgern sagen? Wird der Kommandeur am Samstag darüber aufklären, was unter Tiefenpolitik und geostrategischen militärischen Interventionen zu verstehen ist? Wird er darlegen, warum es sich bei dem Krieg in der Ukraine auch um einen Stellvertreterkrieg handelt? Wird er sich kritisch zur Russlandpolitik äußern und darüber aufklären, wie unsinnig es ist, einen Angriff Russlands auf die NATO zu erwarten? Wird er über die „die dunkle Seite des Westens“ im Hinblick auf Gladio sprechen? Wird er darüber reden, dass nicht nur der „Feind“ Propaganda betreibt, sondern auch die „Guten“?An einem Stand der Bundeswehr ist das zu erwarten, was nahezu immer zu erwarten ist, wenn Vertreter der Truppe öffentlich auftreten: Ein erstaunliches Maß an Kritiklosigkeit gegenüber eingeschliffenen, propagandistisch kontaminierten politischen Erzählungen.Der Vorfall selbst mag nur von begrenzter Reichweite sein: Die Risiken und Nebenwirkungen der fortschreitenden Militarisierung sind es nicht. Es bedarf dringend einer politisch wachen Bundeswehr, es bedarf dringend Soldaten und Offiziere, die ihren Verstand auch gegenüber der Propaganda aus dem Innern gebrauchen – im besten Sinne von Demokratie und Grundgesetz.Titelbild: FXQuadro/shutterstock.com

Dec 10, 2025 • 13min
Wie Israel während des Gaza-Kriegs die Apartheid gesetzlich verankert hat
Von westlichen Ländern immer noch als „einzige Demokratie in Nahost“ gelobt, haben israelische Parlamentarier innerhalb von nur zwei Jahren über 30 Gesetze verabschiedet, die die Rechte der Palästinenser einschränken und abweichende Meinungen bestrafen, wie ein neuer Bericht zeigt. Von Orly Noy.Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.Seit über zwei Jahren ist das öffentliche Leben in Israel in einen dichten, verwirrenden Nebel gehüllt. Es gab eine endlose Abfolge von Krisen, Konflikten und Ängsten im In- und Ausland: den Schock des Hamas-Angriffs vom 7. Oktober und Israels völkermörderische Rachekampagne gegen Gaza, den Kampf um die Rückkehr der Geiseln und gegen die Verunglimpfung ihrer Familien durch den Staat, die unbesonnenen Konfrontationen mit dem Iran. Alles zusammen hat die israelische Gesellschaft in einen Zustand der kollektiven Starre versetzt und die Tiefe des Abgrunds verschleiert, in den wir abstürzen.Das Gleiche kann man jedoch nicht von unseren Parlamentariern sagen. Wie ein beunruhigender neuer Bericht des in Haifa ansässigen Rechtszentrums Adalah zeigt, haben sie das Chaos der letzten zwei Jahre genutzt, um mehr als 30 neue Gesetze zu verabschieden, die die Apartheid und die jüdische Vormachtstellung festigen. Damit reihen sie sich in die bestehende Liste von Adalah mit mittlerweile mehr als 100 israelischen Gesetzen ein, die palästinensische Bürger diskriminieren.Eine der zentralen Feststellungen des Berichts ist ein umfassender Angriff auf die Freiheit der Meinungsäußerung, des Denkens und des Protests in vielen Bereichen. Darunter fallen Gesetze, die die Publikation von Inhalten verbieten, die „die Ereignisse vom 7. Oktober leugnen“, wie von der Knesset festgelegt, und sie schränken die Ausstrahlung kritischer Medien ein, die „der Sicherheit des Staates schaden“.Ein weiteres Gesetz erlaubt dem Bildungsministerium, Lehrkräfte zu entlassen und Bildungseinrichtungen die Finanzierung aufgrund von Ansichten zu entziehen, die es als Ausdruck der Unterstützung für oder Anstiftung zu einer terroristischen Handlung oder Organisation betrachtet. Und begleitet von einer staatlich geführten Kampagne zur Ausweisung internationaler Solidaritätsaktivisten, verbietet ein drittes Gesetz ausländischen Staatsangehörigen die Einreise ins Land, wenn sie israelkritische Stellungnahmen abgegeben oder internationale Gerichte aufgefordert haben, gegen den Staat und seine Vertreter vorzugehen.Aber das vielleicht gefährlichste Gesetzesprojekt ist eines, das sich gegen Bürger richtet, die lediglich Informationen aus Quellen konsumieren wollen, die dem Staat nicht gefallen. Nur einen Monat nach dem 7. Oktober verabschiedete die Knesset eine auf zwei Jahre befristete Verordnung – die kürzlich um weitere zwei Jahre verlängert wurde –, die den „systematischen und kontinuierlichen Konsum von Publikationen einer terroristischen Organisation” unter Strafe stellt und mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr ahndet. Mit anderen Worten: Der Gesetzgeber kriminalisiert nun Handlungen, die ausschließlich im privaten Bereich einer Person stattfinden.Laut den Erläuterungen zum Gesetzentwurf basiert dieser auf der Behauptung, dass „die intensive Auseinandersetzung mit Terrorpublikationen bestimmter Organisationen einen Indoktrinationsprozess bewirken kann – eine Form der selbstverschuldeten ‚Gehirnwäsche‘ –, der den Wunsch und die Motivation, einen Terrorakt zu begehen, auf ein sehr hohes Maß steigern kann“.Das Gesetz legt jedoch nicht fest, was unter „intensiver Exposition“ oder „kontinuierlichem Konsum“ zu verstehen ist, sodass die Dauer und die Schwelle völlig unbestimmt bleiben.Es klärt auch nicht, mit welchen Mitteln die Behörden feststellen können, dass eine Person verbotene Inhalte konsumiert hat. Wie sollen Beamte in der Praxis wissen, was jemand privat ansieht? Wie der Adalah-Bericht feststellt, würde die Lokalisierung potenzieller Verdächtiger selbst Spionageoperationen, eine Überwachung der gesamten Bevölkerung und die Kontrolle von Internetaktivitäten erfordern.Während die verbotenen „Terrorpublikationen“ derzeit nur Materialien der Hamas und des IS umfassen – eine Liste, die zu erweitern der Justizminister bereits seine Absicht bekundet hat –, haben die Gesetzgeber sich auch bemüht, den Zugang zu weiteren Informationsquellen zu unterbinden, die, Gott bewahre, die israelischen Bürger dem vollen Ausmaß der Verbrechen gegen die Menschheit aussetzen könnte, die ihre Armee in Gaza begangen hat und weiterhin begeht. Daher das sogenannte „Al-Jazeera-Gesetz”, das die israelische Öffentlichkeit von einer der weltweit vertrauenswürdigsten Informationsquellen über die Ereignisse in Gaza abgeschnitten hat.Ebenso erhebt das Gesetz gegen die „Leugnung der Ereignisse vom 7. Oktober“ die Anschläge nicht nur zu einem Verbrechen, das mit dem Holocaust vergleichbar ist, sondern reicht weit über den Bereich des Handelns hinaus in den Bereich des Denkens und der Meinungsäußerung. Es unterscheidet nicht zwischen direkten Aufrufen zu Gewalt oder Terrorismus auf der einen Seite, die bereits verboten sind, und der bloßen Äußerung einer politischen Position, einer kritischen Darstellung oder Zweifel gegenüber der offiziellen Darstellung des Staates auf der anderen Seite.„Das Gesetz ist konzipiert, um Angst zu schüren, die öffentliche Debatte zu ersticken und Diskussionen über ein Thema von öffentlichem Interesse zu unterdrücken“, stellt Adalah fest. „Es bleibt unklar, welche Handlungen den vom Gesetz verbotenen Akt der ‚Leugnung‘ darstellen, zumal der Staat bis heute weder eine offizielle Untersuchungskommission zu den Anschlägen vom 7. Oktober eingesetzt noch eine ‚offizielle Darstellung‘ der Ereignisse dieses Tages veröffentlicht hat.“Der Bericht von Adalah gibt einen guten Hinweis darauf, in welche Richtung sich Israel bewegt. Auch wenn es den Anschein hat, als befänden wir uns bereits am Grund eines Abgrunds, gibt es immer noch einen Abgrund jenseits des Abgrunds – einen, der zu neuen Gräueltaten einlädt und auf den wir mit Höchstgeschwindigkeit zusteuern.Diese verabscheuungswürdigen Gesetze haben nicht Hunderttausende auf die Straße getrieben, nicht einmal unter denen, die einst behaupteten, um das Schicksal der „israelischen Demokratie” zu fürchten. Tatsächlich wurden einige dieser Gesetze mit Unterstützung jüdischer Oppositionsparteien in der Knesset verabschiedet. Die Illusion einer Demokratie nur für Juden hat noch nie so grotesk und gefährlich ausgesehen wie heute.Der Abgrund jenseits des AbgrundsVon den ersten Tagen des Krieges an verletzte die israelische Regierung schwerwiegend die Grundrechte der Meinungs- und Protestfreiheit. Am 17. Oktober 2023 kündigte der damalige Polizeichef Yaakov Shabtai eine „Null-Toleranz“-Politik gegenüber „Aufwiegelung“ und Protesten an, und monatelang wurde jeder Versuch, gegen die Zerstörung Gazas durch die israelische Armee zu demonstrieren, mit eiserner Faust beantwortet.Die Welle neuer drakonischer Gesetze geht aber noch weiter. Neben der Schaffung der rechtlichen Infrastruktur für die systematische Verfolgung von Andersdenkenden, sowohl jüdischen als auch palästinensischen, umfasst sie Maßnahmen, die sich ausdrücklich gegen palästinensische Bürger richten, wie das sogenannte „Gesetz zur Abschiebung von Familienangehörigen von Terroristen”.Mit diesem Gesetz wurde die Definition des Begriffs „Terrorist“ – eine Bezeichnung, die fast ausschließlich für Palästinenser in Israel verwendet wird – erweitert, um nicht nur Personen einzubeziehen, die in einem Strafverfahren wegen Terrorismus verurteilt wurden, sondern auch Personen, die wegen des Verdachts auf solche Straftaten inhaftiert sind, einschließlich derjenigen, die sich in Administrativhaft befinden. Mit anderen Worten: Personen, die weder angeklagt, geschweige denn wegen irgendetwas verurteilt worden sind.Gleichzeitig verschärfte die Knesset das ohnehin schon drakonische Verbot der „Familienzusammenführung“, um palästinensische Bürger daran zu hindern, Palästinenser aus dem Westjordanland und dem Gazastreifen zu heiraten. Auch wurden die Strafen für Palästinenser erhöht, die sich „illegal“ in Israel aufhalten.Tatsächlich nutzten die Gesetzgeber den Völkermord in Gaza, um ihren seit Langem geführten demografischen Krieg gegen die Palästinenser, einschließlich derjenigen, die innerhalb der Grenzen von 1948 leben, zu eskalieren.Ein eigenes Kapitel des Berichts von Adalah dokumentiert die schweren Verletzungen der Rechte palästinensischer Gefangener und Häftlinge seit dem 7. Oktober, die laut Zeugenaussagen und anderen Berichten in Folterlagern festgehalten werden.Die gleiche Gesetzgebungswelle hat auch die Rechte von Kindern schwer verletzt, indem sie „die seit Langem bestehende rechtliche Unterscheidung zwischen Erwachsenen und Minderjährigen“ bei terroristischen Straftaten aufgehoben hat.Zusätzlich führt der Bericht detailliert aus, wie die Gesetzgebung palästinensische Bürger durch die Ausweitung des Wehrdienstes als Kriterium für Sozialleistungen und öffentliche Ressourcen benachteiligt. Ebenso benachteiligt sie bewusst palästinensische Flüchtlinge in den besetzten Gebieten durch das Verbot von Hilfsorganisationen wie UNRWA.Als jemand, der seit Langem mit dem Argument vertraut ist, dass es sinnvoll ist, „die Masken zu entfernen“ und zu zeigen, wie das israelische Regierungssystem wirklich ist – antidemokratisch, rassistisch und in der Apartheid verwurzelt –, sehe ich hier keinen Grund zum Optimismus. Angesichts des offenen Drängens der israelischen Führung in Richtung Faschismus werden nicht nur die am stärksten exponierten und schutzbedürftigen Menschen den höchsten Preis zahlen, sondern ist die Kluft zwischen dem Selbstbild einer Gesellschaft und der Realität genau der Raum, in dem politischer Wandel möglich wird. Wenn sich diese Kluft schließt und die Gesellschaft beginnt, das Bild zu akzeptieren, das ihr im Spiegel entgegenblickt, schrumpft der politische Raum für sinnvolle Veränderungen dramatisch.Der Beitrag erschien im Original bei +972 Magazine, einem unabhängigen Onlinemagazin, das von einer Gruppe palästinensischer und israelischer Journalisten betrieben wird. Übersetzung aus dem Englischen von Marta Andujo.Über die Autorin: Orly Noy, eine im Iran geborene israelische Staatsbürgerin, ist Journalistin und Vorsitzende von B’Tselem, dem israelischen Informationszentrum für Menschenrechte in den besetzten Gebieten.Titelbild: Shutterstock / Saeschie WagnerMehr zum Thema:Offener Brief von EU-Abgeordneten an Wadephul: Israel muss medizinische Hilfsgüter nach Gaza lassenPhase 2 des israelischen Völkermords: Besetzung von 53 Prozent des Gazastreifens, Morde, Segregation und gelbe LinieVon Damaskus bis Gaza: Die Doktrin der Vorherrschaft Israels hat einen grundlegenden FehlerInterview mit Pankaj Mishra: „Die Welt nach Gaza“ und der globale Kampf der Narrative zu Israel und Palästina

Dec 10, 2025 • 7min
Die Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung missbraucht Brandts guten Namen zur Werbung für Kriegsertüchtigung
Im Blog der Republik zitierte dessen Herausgeber Alfons Pieper am 7. Dezember die Mitarbeiterin der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung Christina Meyer mit der Behauptung, auch Brandt habe mit dem Aufbau der „Fähigkeit zur Verteidigung“ und eben nicht mit „militärischer Zurückhaltung“ auf die angebliche Bedrohung durch Russland reagiert. Es gibt Beispiele und Belege dafür, dass diese Einschätzung nicht stimmt, dass sie falsch ist. Ich will ein paar Belege aus der jüngeren Geschichte nennen. Albrecht Müller.Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.Zunächst hier vorweg noch das vollständige Zitat aus dem Blog der Republik:Lehren für die Gegenwart80 Jahre nach dem 2. Weltkrieg und 55 Jahre nach Brandts Kniefall schreibt Christina Meyer in einem Beitrag für die „Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung“ unter dem Titel „Lehren für die Gegenwart: Deutschland stehe vor einer doppelten Herausforderung: „Einerseits darf sich unsere Geschichts- und Erinnerungspolitik nicht in Ritualen erschöpfen, mit denen sich jüngere Menschen ohne Bezug zu den damaligen Ereignissen nicht mehr identifizieren können. Gefragt ist eine historisch-politische Bildung, die Wissen über die deutschen Verbrechen während der NS-Zeit vermittelt – erst recht in Zeiten eines erstarkenden Rechtsextremismus, der die Verbrechen des Nationalsozialismus verharmlost. Andererseits reicht es nicht mehr, die Losung „Nie wieder Krieg“ als Appell zur militärischen Zurückhaltung Deutschlands zu verstehen: Eine wehrhafte Demokratie – nach innen und nach außen – braucht nicht nur ein kritisches Geschichtsbewusstsein, sondern auch die Fähigkeit zur Verteidigung. Historische Verantwortung bedeutet auch, gegen neue autoritäre und diktatorische Regime Stellung zu beziehen. Das hätte auch Willy Brandt so gesehen.Nun also wie angekündigt Belege dafür, dass die Aussage über Willy Brandts Reaktion nicht zutrifft: Erster Beleg. Im August 1961 wurde mit politischer Unterstützung der Sowjetunion von DDR-Bausoldaten die Berliner Mauer gebaut. Das war ein historisch einmaliger Vorgang und ein brutaler Angriff auf die Lebensfähigkeit Westberlins. Willy Brandt, damals Regierender Bürgermeister von Berlin, hat dagegen protestiert und zugleich weiter auf Verständigung mit dem Osten gesetzt. Ein markanter Beleg dafür: Am 5. Juli 1963 hielten sowohl Willy Brandt als auch sein Mitarbeiter Egon Bahr bei einer Tagung der Evangelischen Akademie in Tutzing eine Rede. Die dort von ihnen präsentierte Formel für die neue Ostpolitik lautete „Wandel durch Annäherung“. Sie setzten also trotz des provokanten Mauerbaus eindeutig auf Abbau der Konfrontation zwischen West und Ost, um auf diese Weise auch eine Veränderung im Ostblock, also in der DDR und anderen Staaten Osteuropas, zu erreichen. Die Antwort auf die östliche Provokation, eine unvorstellbar brutale Provokation, die Antwort auf den Bau der Mauer war also nicht die militärische Aufrüstung, sondern die Bereitschaft zur Kooperation, zur Verständigung – eben Annäherung.Zweiter Beleg: Bei diesem Beispiel kann ich auf ein persönliches Erlebnis zurückgreifen. Ich war Anfang August 1968 Redenschreiber des damaligen Bundeswirtschaftsministers Professor Dr. Karl Schiller geworden. Sein Parlamentarischer Staatssekretär Klaus Dieter Arndt ließ mich am 21. August 1968 zur Besprechung einer Rede des Ministers zu sich kommen. Während unserer Beratung brachte seine Sekretärin einen sogenannten Ticker, eine dpa-Meldung mit den neuesten Ereignissen. Klaus Dieter Arndt las und zitierte die neueste Nachricht: Truppen des Warschauer Paktes hätten gerade Prag, die Hauptstadt der Tschechoslowakei, besetzt, um dem „Treiben“ des Reformers Dubcek ein Ende zu bereiten.Die Reaktion von Klaus Dieter Arndt war nicht, wie nach Einschätzung der Vertreterin der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung Christina Meyer zu erwarten wäre: Jetzt müssen wir aber ganz schnell aufrüsten. Klaus Dieter Arndts Reaktion war: Wir machen weiter mit der neuen Ostpolitik.Die Ostpolitik war vom ab Dezember 1966 amtierenden Außenminister Willy Brandt in die Regierungspolitik eingeführt worden. Dieser Anfang der Entspannungspolitik war in der damals amtierenden Großen Koalition mit Kurt Georg Kiesinger (CDU) als Bundeskanzler möglich, wenn auch mit Schwierigkeiten verbunden. Klaus Dieter Arndt war damals jenseits seiner Tätigkeit als Parlamentarischer Staatssekretär zuständig für die Pflege und Ausweitung des innerdeutschen Handels – ein wichtiges Bindeglied zwischen Ostdeutschland und Westdeutschland.Also, im August 1968 intervenierten die Sowjetunion und ihre Verbündeten mit Militär in Prag – und dann nur ein gutes Jahr später, am 28. Oktober 1969, erklärte der neu zum Bundeskanzler gewählte Willy Brandt in seiner ersten Regierungserklärung: „Wir wollen ein Volk der guten Nachbarn sein“. Das war dann eine deutliche Bestätigung der schon bei der Intervention der Warschauer-Pakt-Staaten in Prag erkennbaren sicherheitspolitischen Linie: Gegen alle Widerstände und trotz schlimmer gegenläufiger Ereignisse wurde die Politik der Verständigung und Entspannung durchgehalten.Die Politik der Verständigung mit dem Osten wurde dann schon ab 1970 in Verträgen mit einzelnen Staaten festgezurrt – mit dem Moskauer Vertrag, mit dem Warschauer Vertrag und dem Prager Vertrag. Kernelement dieser Verträge war der gegenseitige Gewaltverzicht.Es bleibt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung anzuraten, die Geschichte und die politischen Entscheidungen ihres Namensgebers erstmal zu studieren und kennenzulernen, bevor sie sich öffentlich und falsch dazu äußern.Titelbild: © Joseph Heinrich Darchinger / Willy Brandt und Autor Albrecht Müller am 9.10.1972 bei einer Pressekonferenz zur kommenden Bundestagswahl

Dec 10, 2025 • 11min
Blick aus Österreich: Die europäische Kriegs- und Repressionsunion – Ein Abgesang auf die EU
Wenig überraschend für die meisten Beobachter nehmen nun NATO und EU bereitwillig an der PURL Initiative (Prioritized Ukraine Requirements List – also eine Wunschliste für die Bereitstellung von Waffen für die Ukraine) der USA teil: Europäische NATO-Staaten sollen US-Waffen kaufen und sie der Ukraine zur Verfügung stellen. Im Gegenzug wurde die EU in der neuen nationalen Sicherheitsstrategie der USA scharf kritisiert u.a. wegen der aus der Sicht der Trump -Regierung zügellosen Einwanderungspolitik und wegen der Beschneidung der Meinungs- und Redefreiheit in Europa, zum Beispiel durch die Millionenklage gegen X. Von Thomas Henökl.Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.Die EU hält am NATO-Kriegsziel einer strategischen Niederlage für Russland fest. Nicht zu Unrecht sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen unlängst, die EU und NATO hätten ein symbiotisches Verhältnis. Ich meine, sie sind tatsächlich bereits miteinander verschmolzen. Ferner sagte von der Leyen, die EU koordiniere nur militärisch. In Wahrheit ist die EU nicht nur die größte Geldgeberin, sondern auch die schärfste Hetzerin im Ukraine-Krieg, und hat sich selbst eine „EU defence readiness roadmap“ verpasst, mit Hunderten Milliarden für die Aufrüstung bis 2030. Brüssel schafft damit gerade die Grundlagen für eine aktive Beteiligung an Kriegen. Die EU-NATO ist die hässliche Fratze eines Europas mit imperialen Ambitionen, ja mit imperialer Arroganz. Und um sich vor Kritik und Kontrolle durch die Bürger zu schützen, sollen nun verschärfte Zensurmaßnahmen greifen, wie etwa die gezielte Zensur durch den Digital Services Act (DSA), Chat-Kontrolle, Auskunftspflicht von Social-Media-Plattformen und Sanktionen gegen Journalisten wegen angeblicher Verbreitung von „Desinformation“. Hierin lassen sich ganz klar weitere Elemente erkennen, die zur autoritären Drift einer immer repressiveren EU führen.Für Österreich ist klar: Nur die Neutralität schützt das Land vor den möglicherweise verheerenden Folgen einer solchen Politik. Weil es aber für kleine Mitgliedstaaten wie Österreich kaum Spielraum (oder Schutzraum) gibt, sollte daher klar sein, dass längerfristig nur ein EU-Austritt der einzige Weg ist, um sich aus den Kriegsplänen der EU herauszuhalten. Weil der EU-Austritt Österreichs kurzfristig nicht mehrheitsfähig ist, ist das Mittel der Wahl die Neutralität, die uns in den letzten 70 Jahren sehr gut gedient hat. Es wäre fahrlässig, diese für den Preis eines Dabei-Seins in EU-NATO-Feldzügen aufs Spiel zu setzen. Denn mit einer glaubhaften Neutralität ist es wie mit Vertrauen: Es dauert lange, Vertrauen aufzubauen; es lässt sich aber binnen kürzester Zeit verspielen. Neutralität ist eine gelebte Haltung, die zur Förderung aktiver Friedenspolitik und gewaltfreier Konfliktlösung beitragen sollte. Heute ist die Neutralität Österreichs wichtiger denn je, weil sie uns vor den kriegerischen Absichten der EU schützen kann.Spätestens seit 2022 (und eigentlich schon seit 2014) ist die EU auf einem verheerenden Irrweg mit ihrer Ukraine-Politik – und es ist höchste Zeit für einen Kurswechsel. Aber die EU setzt noch immer, und heute mehr denn je, auf Krieg. Die europäische Außenpolitik sollte sich an Werten orientieren. Derzeit erscheint sie allerdings eher desorientiert und wertlos. Das hat mit der Weltlage zu tun, ist aber mehr noch dem strategischen und moralischen Vakuum in westlichen Politikerköpfen geschuldet.Zu den politischen Turbulenzen kommen die desaströsen ökonomischen Folgen. Das BIP des Euro-Raumes ist seit dem Beginn des Ukraine-Krieges kumulativ um vier Prozent eingebrochen. Das entspricht einer Summe von 1,3 Billionen Euro. Die Energiekosten in Europa sind dreimal so hoch wie in den USA. Zusätzlich verdienen die USA und Großbritannien Hunderte Milliarden durch den Export von Öl und Gas in die EU. Die europäische Industrieproduktion schrumpft (-2.5 Prozent im Jahr 2024), Preise für Konsumenten stiegen um etwa 20 Prozent. Das ist das Ergebnis einer völlig irren Politik der EU-Idiokratie.Ernüchtert – wenn auch keineswegs überrascht – durch die Berichte von der Ostfront, verfestigt sich der Eindruck, dass die EU, die im Übrigen nicht nur in dieser Frage zusehends an Rückhalt in der Bevölkerung verliert (siehe Slowakei, Tschechien und Ungarn), mit ihrer Ukraine-Politik komplett auf dem Holzweg ist. Tatsächlich macht sich blanke Panik in den Reihen von EU-NATO-Eliten breit, weil sich die USA unter Donald Trump mehr und mehr aus dem verlorenen Stellvertreterkrieg zurückziehen und den Konfliktparteien einen Friedensplan vorgelegt haben. Und da in den Staatskassen der Mitgliedstaaten mittlerweile gähnende Leere herrscht, wollen die europäischen Staatenlenker nun das eingefrorene Auslandsvermögen Russlands zur Finanzierung des Krieges heranziehen – ein beispielloser Vorgang, der selbst im Zweiten Weltkrieg tabu war. Die Alternative zum Raub russischer Reserven ist die gemeinsame Verschuldung der EU, also die Einführung von Eurobonds.Kein gutes Haar in dieser SuppeVerzweifelte Versuche, durch die seit 2022 eingeschlagene Linie des europäischen Kadavergehorsams den USA gegenüber den amerikanischen Präsidenten doch noch für den verlorenen Krieg gegen Russland zu begeistern, blieben erfolglos. Donald Trump ist schlicht nicht bereit, den Feldzug bis zum bitteren Ende zu führen. Seine (so wichtigen) Schritte, den Dialog mit Wladimir Putin zu suchen, treffen auf blankes Entsetzen der Europäer. Diese haben alles auf die Kriegskarte gesetzt, und eine Verhandlungslösung scheint ihnen noch gefährlicher als die völlige Niederlage der Ukraine – und dies, obwohl die Fortsetzung der Kampfhandlungen den sicheren Tod Tausender weiterer Soldaten bedeuten wird.Für die Ukraine räumen dies mittlerweile auch westliche „Sicherheitsexperten und Militärstrategen“ ein. Fakt ist auch: Der US deep state (CIA, State Department, USAID, National Endowment for Democracy) blockierte dort seit März 2022 jeden Versuch einer diplomatischen Lösung. Radikale US-Republikaner wie auch Demokraten agitierten bereits seit Jahren – und verstärkt seit dem US-Präsidentschaftswahlkampf 2014 – gegen Russland. Sie nutzen dabei jede Gelegenheit für eine aggressive Politik der Erpressung im Interesse der USA und für nahezu unverhohlenes Lobbying zugunsten der US-Waffenindustrie. Die Architekten dieser Politik, wie etwa Vize-Außenministerin Victoria Nuland (die für ihren Ausspruch „fuck the EU“ anlässlich des vom CIA ausgeführten Maidan-Coup im Jahr 2014 unfreiwillig berühmt geworden ist), gehen dafür, ohne mit der Wimper zu zucken, über Leichenberge. Jetzt ist es die EU, die mit aller Kraft eine Verhandlungslösung sabotiert. Desaströs ist dies vor allem, weil eine solche Blockade keine ehrliche Diskussion zulässt und keine Exit-Strategie vorzuweisen hat. Realistisch betrachtet, ist Russland militärisch nicht beizukommen, und der Preis gemessen an menschlichem Leid für diese Fehleinschätzung ist himmelschreiend.Die Ukraine ist letztlich das Bauernopfer, und der blutige Stellvertreterkrieg sei „das beste Investment, um Russland entscheidend zu schwächen”, wie immer wieder gesagt wurde. Der Friede in Europa ist dem grenzenlosen Starrsinn und der alles verschlingenden Gier der Eliten zum Opfer gefallen. Europäische Machthaber wollen kein Ende des Krieges, weil es für sie bedeuten würde, ihre Fehler einzuräumen und die Konsequenzen zu tragen, was letztlich zu ihrer Entmachtung führen würde. Hinzu kommt, dass auch die Hinterzimmer-Deals unserer Entscheidungsträger mit der Rüstungsindustrie oder dem Energiesektor zutage treten. Nach und nach erfahren wir von den Verstrickungen etwa des britischen Ex-Premiers Boris Johnson im schier bodenlosen ukrainischen Korruptionsmorast.Ja, wir erleben turbulente Zeiten, die Besonnenheit, Innehalten und eine ideologiefreie Debatte erfordern würden. Die „geopolitische“ Von-der-Leyen-Kommission hat davon allerdings kaum etwas erkennen lassen. Man mag darüber uneins sein, aber Ursula von der Leyen hat mittlerweile die Kommission Jacques Santer als schlechteste EU-Kommission aller Zeiten weit hinter sich gelassen. Es ist eigentlich so ziemlich alles schiefgelaufen am Brüsseler Ponyhof; von der Pfizer-Impfstoff-Causa und den Covid-Inflationsbeheizungsmaßnahmen, grassierender Korruption, der Einführung der totalen Überwachung bis hin zu Migrationsfiasko und Klimahysterie einer Kontroll- und Zensur-Union, die uns ein für alle Mal die Freude am Leben verderben will. Und während die EU sich vom Friedensprojekt in eine NATO-Filiale mit deutlichen autoritären Zügen verwandelt hat, fällt Kaja Kallas, die Hohe Außenbeauftragte, vor allem mit blindem Russland-Hass auf und isoliert Europa in der Welt, anstatt – wie eigentlich von der EU-Topdiplomatin zu erwarten wäre – mit dem Ziel einer friedlichen Beilegung von Konflikten mit den Kriegsparteien zu verhandeln. Auch in der Diskussion um eine angemessene Reaktion auf den Konflikt in Nahost wurde geschichts- und identitätspolitischer Missbrauch betrieben, und wir werden allzu leicht von einer durchaus unverschämten und gerne auch übergriffigen zionistischen Lobby in Geiselhaft genommen. Den Blutzoll für unsere ahistorische Verblendung zahlten und zahlen noch immer unschuldige Zivilisten im Gazastreifen und Westjordanland, die seit 1948 unter dem Joch des israelischen Apartheitsstaates leiden.Ein Mitgliedstaat wie Österreich sollte sich nicht länger vor den hoffnungslos festgefahrenen Karren von unredlichen und skrupellosen Akteuren spannen lassen. Es wäre dagegen klug, wegen eines möglichen Austritts aus der EU zumindest eine verstärkte Zusammenarbeit mit den Ländern Mittel- und Osteuropas zu suchen. Zusammen mit Tschechien, der Slowakei und Ungarn könnte sich Österreich die EU-Willkür und Kriegslüsternheit wirkungsvoll vom Leibe halten.Titelbild: Shutterstock AI

Dec 10, 2025 • 10min
Bundeswehrsoldat zu Merz: „Ich gehe davon aus, dass ich nicht älter als 40 Jahre werde“ – Kanzler lässt Frage unbeantwortet
„Die Arena – ihre Fragen an Bundeskanzler Friedrich Merz“ – so lautete der Titel einer ARD-Sendung am Montagabend. In dem Format stellt auch ein Bundeswehrsoldat eine Frage. Der Kanzler verliert sich in Allgemeinplätzen, ohne die Frage zu beantworten. Der Soldat wollte von Merz wissen, wie er – der Kanzler – die Söhne und Töchter der Republik auf das Sterben im Krieg vorbereiten will. Eine Kurzanalyse von Marcus Klöckner.Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.Da sitzt in der ARD-Sendung „Die Arena“ ein Soldat, der eine Frage stellt, an der es einerseits sehr viel zu kritisieren gibt, die aber andererseits durchaus ihre Berechtigung hat – wenn sie kritisch eingebettet worden wäre. Und da ist ein Kanzler, der eine Antwort gibt, ohne die Frage zu beantworten. Aber der Reihe nach.Der Berufssoldat, der seit zehn Jahren bei der Bundeswehr ist, sagt zu Merz:„Ich gehe tatsächlich davon aus, dass ich nicht älter als 40 Jahre werde.“ Dann schiebt der Soldat hinterher „in der aktuellen Sicherheitslage“. Schließlich kommt er zu seiner Frage: „Wie wollen Sie junge Leute darauf vorbereiten?“Da sitzt also ein Angehöriger der Bundeswehr, der öffentlich ausspricht, dass er in Anbetracht der gegenwärtigen „Sicherheitslage“ mit spätestens 40 Jahren tot sein wird. Anders gesagt: Da ist der große Krieg im Kopf bereits ausgemachte Sache. Der Krieg zwischen Russland und der NATO wird stattfinden, und er – genauso wie seine Kameraden – werden bald im Krieg sterben. Die Ausführungen implizieren das.Man muss sich anschauen, wie der Soldat diese Frage stellt. Hier sitzt niemand, der die Politik kritisiert. Hier sitzt jemand, der geradezu etwas Ungeheuerliches auf eine Weise ausspricht und ihm begegnet, als würde es sich bei dem, was er zu kommen erwartet, um ein Naturgesetz handeln.Was hätte dieser Soldat, der doch – wie alle anderen Soldaten auch – für das Konzept des „Bürgers in Uniform“ zu stehen hätte, an dieser Stelle alles sagen können! Nach all den Geschehnissen des Zweiten Weltkriegs sollte Deutschland doch eine Armee haben, deren Angehörige in der Lage sind, Politik kritisch zu hinterfragen und – bei aller Verpflichtung zum Gehorsam, die es auch heute noch gibt – jederzeit in der Lage sind, den eigenen Verstand auch im Hinblick auf die politischen Verhältnisse zu gebrauchen.Im weiteren Verlauf wird das Problem noch deutlicher. Hier sitzt ein Soldat, der allem Anschein nach die politische Erzählung von der russischen Bedrohung als Realität betrachtet.Was hätte der mündige Bürger in Uniform an dieser Stelle nicht nur alles sagen, sondern auch fragen können!Warum, Herr Bundeskanzler, unterstützt ihre Politik einen Stellvertreterkrieg?Warum setzen Sie die Politik der Konfrontation gegenüber Russland fort?Warum erzählen Sie uns etwas von einer russischen Bedrohung?Warum sollte Russland es wagen, die NATO-Staaten anzugreifen?Was soll das Ziel eines solchen Angriffs sein?Warum ist die Politik von anti-russischer Propaganda durchzogen?Das sind nur einige Fragen, die auch ein Soldat hätte stellen dürfen.Stattdessen erfolgt eine berechtigte Frage, deren kritisches Potenzial aber vom Fragesteller selbst beschnitten wird, indem er jene Politik, die eine solche Frage überhaupt erst notwendig macht, nicht dekonstruiert.Bei Lichte betrachtet hat der Soldat vermutlich recht, wenn er sagt, unter der eingeschlagenen Marschrichtung sei er mit 40 nicht mehr am Leben. Und natürlich ist die Frage unter Beachtung der aktuellen Situation angebracht, vom Kanzler wissen zu wollen, wie er gegenüber den jungen Söhnen und Töchtern des Landes ihren möglicherweise bald erfolgenden Kriegstod kommuniziert.Schließlich: Wenn ein Land die Losung „Kriegstüchtigkeit“ ausgibt und ständig davor gewarnt wird, bis spätestens 2030 könne es zu einem heißen Krieg mit Russland kommen, ist eine solche Frage angebracht.Die Antwort des Kanzlers zeigt: Falsch gestellt, wird selbst eine solche Frage eher zu einer Steilvorlage für die Politik (ab Minute 3:00):„Herr Seibel, warum bauen wir die Bundeswehr wieder auf? Und warum habe ich gesagt, Deutschland soll eines Tages die stärkste konventionelle Armee in Europa haben? Ganz einfach. Ich wiederhole immer wieder einen Satz: ‚Wir wollen uns verteidigen können, damit wir uns nie verteidigen müssen.‘ [Applaus aus dem Publikum] Das ist der entscheidende Punkt. Das ist das, was wir in der Verteidigungspolitik jetzt machen, in der Außen- und Sicherheitspolitik. Die Welt um uns drum herum hat sich total verändert. Und zwar nicht nur in eine Himmelsrichtung, sondern in alle. Und insofern brauchen wir Streitkräfte, aber ich bin unverändert davon überzeugt: Wir haben jetzt 70 Jahre NATO-Mitgliedschaft der Bundesrepublik Deutschland. Wir haben die längste Zeit von Frieden und Freiheit in Europa, in diesem Teil, in dem wir leben. Ich möchte, dass meine Kinder und Enkelkinder und auch ihre Generation auch weiter in Frieden und in Freiheit lebt. Und dafür müssen wir uns verteidigen können.“Angemerkt sei: Mehrmals ist bei den Ausführungen zu beobachten, wie der Soldat zustimmend nickt.Auf der analytischen Ebene gilt es weiter anzumerken: Der Kanzler reagiert auf die Frage des Soldaten mit zwei eigenen, selbst gesetzten Fragen. Damit wählt Merz eine Vorgehensweise, die immer wieder in der Politik zu beobachten ist: Er beantwortet die überaus unangenehme Frage nicht direkt, sondern wählt einen langen Weg, um sich über selbstgestellte Fragen und die sich dann darauf anschließenden Ausführungen von der Frage wegzubewegen. Schon an dieser Stelle wäre es vonseiten der Moderation angebracht gewesen, sofort einzuhaken. Das blieb aus, und so kann Merz weiterreden. Die Aussage, er wolle die stärkste konventionelle Armee Europas, bleibt kritiklos im Raum stehen. Die Aussage bezüglich der Absicht, sich verteidigen zu können, um sich nicht verteidigen zu müssen, ist eine Phrase, der ebenfalls kritisch vonseiten der Moderation zu begegnen gewesen wäre. Die Aussage, dass sich die „Welt um uns herum“ „total verändert“ habe, verschleiert. Nicht „die Welt“ hat sich verändert, sondern eine Politik, die auf konkrete Entscheidungen und Weichenstellungen von konkret benennbaren Personen zurückzuführen ist, hat zu einer „Veränderung“ geführt.In der gesamten „Antwort“ von Merz erfolgt nicht die Antwort auf die Frage: „Wie wollen Sie die jungen Leute darauf (auf den Kriegstod) vorbereiten?“Merz verliert sich in Allgemeinplätzen und lenkt durch gefällige Antworten von der eigentlichen Frage ab.Die Moderatorin fragt den Soldaten dann, ob ihm die Antwort ausreiche. Er antwortet darauf wie folgt:Jein. Ich bin Berufssoldat. Mich muss man nicht überzeugen. Es geht mir eher darum (…), glauben Sie, dass die noch Jüngeren als ich, die jetzt nächstes Jahr in den Wehrdienst gehen (…), die sind ja auch überzeugt, aber glauben Sie, dass die, die nicht freiwillig kommen, dass die (…).Merz antwortet und merkt an, dass man auf Freiwilligkeit setze, aber wenn der erstrebte „Aufwuchs“ der Bundeswehr nicht gelingt, man wieder „über Wehrpflicht reden“ müsse.Das war es. An dieser Stelle schwenkt der Soldat dann selbst von seiner Frage weg, fokussiert auf die Wehrpflicht.Folgendes kommt an dieser Stelle der Sendung zum Vorschein:Ein Angehöriger der Bundeswehr ist zu sehen, der mit erschreckender Naivität das Ungeheuerliche längst für sich akzeptiert zu haben scheint.Ein Kanzler, der eine immerhin klar gestellte Frage unbeantwortet lässt und um den heißen Brei herumredet.Eine Moderation, die dem öffentlich-rechtlichen Auftrag, Politik kritisch zu hinterfragen, nicht nachkommt – aus welchen Gründen auch immer.Titelbild: Screenshot tagesschau via YouTube

Dec 10, 2025 • 25min
Gottes mächtigstes Land – wieder und für immer!
In seiner National Security Strategy fordert US-Präsident Donald Trump Eingriffe der „gottgegebenen Nation“ auf allen Kontinenten. Gegen Russland und China hält er sich (noch) zurück, aber Vasallen wie die in Europa sollen bluten, noch mehr als jetzt schon. Von Werner Rügemer.Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.„Make America Great Again“: Diese seine Wahlkampfparole fasste Trump jetzt in einer umfassenden Strategie zusammen. Er gibt sich als Friedensstifter, aber „Frieden“ wie im Nahen Osten ist vor allem Vorwand für neue Investitionen. Mit seiner jüngeren, aggressiveren, global noch wenig präsenten Kapitalfraktion sucht er Lücken in der bisherigen Globalisierung. Die Großkonflikte werden für später aufgehoben.[1]Grundsätze für die erneute Weltführung„Amerika bleibt, mit seinen gottgegebenen natürlichen Rechten … die größte und erfolgreichste Nation der Menschheitsgeschichte und die Heimat des Friedens auf Erden,“ so beginnt Trumps Denkschrift. Diese Führungsstellung der USA soll nach den Fehlern von Regierungen der Demokraten-Partei – Bill Clinton, Barack Obama, Joe Biden – nicht nur wiederhergestellt werden, sondern: Damit „unser Land noch größer wird, als es je war“, stellt Trump folgende Leitlinien auf:*Militär:„Um unser nationales Interesse zu schützen, wollen wir das mächtigste, tödlichste und technologisch am höchsten entwickelte Militär der Welt, wir wollen es rekrutieren, trainieren, ausrüsten, einsetzen, Kriege verhindern oder sie notfalls schnell und endgültig gewinnen, mit möglichst geringen Verlusten für unsere eigenen Kräfte.“*Wirtschaft:„Wir wollen die stärkste, dynamischste, innovativste, am höchsten entwickelte Wirtschaft der Welt, Grundstein unserer globalen Führung und notwendig für unser Militär, mit der robustesten industriellen Basis, auch für die Militärproduktion.“*Energie:„Wir wollen den robustesten, produktivsten, innovativsten Energiesektor der Welt, nicht nur für das amerikanische Wirtschaftswachstum, sondern auch als eine unserer führenden Exportindustrien.“*Soft power:„Wir wollen die Vereinigten Staaten weiter erhalten als einzigartige ‘soft power’, mit der wir unseren Einfluss über die ganze Welt ausüben, für unser nationales Interesse. Nur mit geistiger und kultureller Gesundheit ist langfristige nationale Sicherheit möglich, also mit Religion, Patriotismus, Familie … Dafür wollen wir unsere Ruhmestaten und Helden in Ehren halten und aufblicken zu einem neuen goldenen Zeitalter.“Modernisierung der Monroe-DoktrinTrump beruft sich auf die Monroe-Doktrin: Er aktualisiert sie für die Gegenwart.1823 hatte der US-Kongress die „Monroe-Doktrin“ beschlossen, benannt nach dem damaligen Präsidenten James Monroe. Er gehörte zu den US-Gründungsvätern. Die Doktrin legt das „Interventionsverbot für ausländische Kräfte“ fest: Die USA, gegründet mit 13 Bundesstaaten an der Ostküste Nordamerikas, inzwischen erweitert auf 24 Staaten, dürfen, so die Doktrin, bei ihrer weiteren militärisch-wirtschaftlich-politischen Expansion auf dem nordamerikanischen Territorium in Richtung Ostküste nicht durch andere Staaten behindert werden! Das richtete sich vor allem gegen die europäischen Kolonialmächte England und Frankreich.„Nationales Interesse“ nach US-Verständnis und nach der Monroe-Doktrin besagt also: Der Staat USA darf sich mit allen Mitteln über sein bisheriges Staatsgebiet hinaus ausdehnen, auch mit militärischer Hilfe. Wenn andere Staaten die USA daran hindern wollen, darf gegen sie Krieg geführt werden.Dazu gehörte auch das Recht, auf eroberten Gebieten die Einwohner zu enteignen, zu vertreiben und notfalls zu töten, also auch Völkermord: Er wurde im Gefolge der Monroe-Doktrin 1830 durch den Indian Removal Act eingeleitet (Gesetz zur Entfernung der Indianer).Dazu gehörte auch das Recht, Krieg zum Beispiel gegen den Staat Mexiko zu führen, ihm Gebiete abzunehmen, daraus neue US-Staaten wie New Mexico, Kalifornien, Utah, Nevada zu bilden und dort auch die Sklaverei wieder einzuführen, die in Mexiko abgeschafft worden war.[2]Zusammengefasst: „Nationale“ Sicherheit der USA bedeutet Zugriff nicht nur auf den Staat USA, sondern auf die ganze Erde, im Prinzip auf alle anderen Staaten und mit Praktiken, die in den USA selbst gelten.Verteidigungsministerium heißt wieder KriegsministeriumTrump selbst beruft sich namentlich auf zwei wichtige US-Politiker des 19. Jahrhunderts, die für diese strukturellen US-Praktiken stehen:Alexander Hamilton: Er gehörte zu den US-Gründungsvätern. Er war der erste Finanzminister, gründete die erste eigene US-Bank, erweiterte die Staatsverschuldung und verhängte Zölle auf Importe.William McKinley: Dieser US-Präsident führte Ende des 19. Jahrhunderts Krieg gegen die Kolonialmacht Spanien; im Sinne der Monroe-Doktrin erweiterten sich die USA um die Philippinen (US-Protektorat bis 1945), Puerto Rico und Guam (von den USA bis heute annektiert), sicherten sich den Zugriff auf Kuba, besetzten auch die Insel Hawaii und machten sie später zu einem weiteren Bundesstaat.So haben die USA seit Beginn als einziger wichtiger Staat kein Außenministerium, sondern bis heute ein Staats-Ministerium: Das „nationale Interesse“ des US-Staats bezieht sich auf jedes von den USA selbst definierte Gebiet der Erde.Deshalb hatten die USA seit der Gründung auch kein Verteidigungsministerium, sondern ein Kriegsministerium (Department of War): Es wurde erst 1947 in „Verteidigungs“-Ministerium umbenannt, als Beschönigung für die nach dem Zweiten Weltkrieg geführten Kriege und Regime Changes. Aber mit der aktualisierten Monroe-Doktrin hat die Trump-Regierung das Ministerium wieder in Department of War rückbenannt, wie zu Monroes Zeit und wie die längste Zeit überhaupt.Die jüngere, aggressivere Kapitalisten-Fraktion mit ihrer politischen Führungsfigur Trump macht also nichts grundsätzlich Neues, sondern spricht die traditionelle US-Praxis nur offener aus – zurück zu den Anfängen und zu den Praktiken, die sowieso die längste Zeit galten.Deshalb auch: Der „Kalte Krieg“ ist endgültig zu Ende, heißt es in der National Security Strategy Trumps. Deswegen ist auch Schluss zum Beispiel mit „Entwicklungshilfe“: Jetzt wird investiert! Deswegen ist auch Schluss mit dem Beschönigungsgelaber der „Verteidigung“: Jetzt ist wieder Krieg!Allerdings: Der „große Krieg“ wird erstmal heruntergeschraubt. Gegen die wichtigsten Gegner Russland und China sollen erstmal die Vasallen in Europa wie in Asien in den nächsten Jahren aufrüsten, aufrüsten und US-Rüstungsgüter kaufen. Sie sollen, wie bisher schon die Ukraine und Israel, zu US-Stellvertreter-Kriegern aufgebaut werden.Durchdringung der „Westlichen Hemisphäre“„Was wollen wir in und von der Welt?“, heißt es weiter in Trumps Nationaler Sicherheitsstrategie. Die Antworten sind gegliedert nach den wichtigsten US-Einflussgebieten der Erde und nach der Rangfolge ihrer Wichtigkeit.An erster Stelle steht die „westliche Hemisphäre“. Das sind die „reichen Staaten“, der traditionell sogenannte „Westen“, der seit Ende des Zweiten Weltkriegs von den USA geführt wird: militärisch, aber auch mit Präsenz von Banken, Konzernen, Stiftungen, Beratern, Agenturen, nicht zuletzt auch Geheimdiensten.Diese Alliierten bzw. Vasallen sollen die USA beim Kampf gegen „Massenmigration, Drogen-Terroristen und andere kriminelle Organisationen“ unterstützen. Das sind die direkt rechtsradikalen Narrative, die für die Trump-Regierung auch in den USA gelten. Real aber geht es vor allem darum: Diese „westliche Hemisphäre“ soll frei bleiben vom Zugriff „feindlicher Kräfte“ auf wichtiges Eigentum. Und die US-Alliierten sollen wichtige Lieferketten schützen und sollen den USA den „dauerhaften Zugang zu strategischen Schlüsselstellungen sichern“. Die USA sollen auf dieser Grundlage ihre vielgestaltige, umfassende Führungsposition ausbauen können. Die „feindlichen Kräfte“: Das ist vor allem China, das in pragmatischer Einsicht allerdings vorsichtig behandelt und nicht beim Namen genannt wird.Dass Trump nationalistische, reaktionäre bis faschistoide Kräfte unterstützt, das hat er schon bei der rassistischen, nationalistischen, rechtsextremen Truppe um den ukrainischen Präsidenten Selenskyj gezeigt, ebenso in der fundamentalen Unterstützung für die Regierung seines seit drei Jahrzehnten wichtigsten politischen Freundes, seines „Bibi“ Netanjahu in Israel.Merz & Co. unterwerfen sich dem mächtigsten Rechtsextremisten der WeltIn Deutschland hat Trump sich die AfD geködert, ok. Darüber regen sich unsere kaputten Führungsmedien auf. Aber seine rechtsextreme Realpolitik zieht Trump ja schon längst mit den führenden Politikern Europas durch, mit Friedrich Merz/Deutschland, Macron/Frankreich, Starmer/England, Tusk/Polen und mit Kaja Kallas und Ursula von der Leyen/EU:Verdoppelung der Rüstungsbudgets der europäischen NATO-Mitglieder auf fünf Prozent des BIP, mithilfe extremer Staatsverschuldung und mit SozialkürzungenDeindustrialisierung mit Verlagerung von Unternehmensteilen in die USA, mit dortigen hohen Subventionen und niedrigen EnergiepreisenZustimmung zu den Zöllen auf Autos, Stahl und Aluminium aus Europanoch mehr Käufe von US-Rüstungsgütern und des teuren und zugleich extrem umweltschädlichen US-FrackinggasesDigitalisierung der EU-Staaten durch die großen US-Digitalkonzerne, die zudem ihre Daten an US-Behörden weitergeben und in den EU-Staaten so gut wie keine Steuern zahlen.Auch Unterwerfung unter Trumps Israel-PolitikUnd nicht zuletzt: Kräftige Unterstützung für den Völkermord und die Enteignungs- und Vertreibungspolitik des rassistischen, nationalistischen, faschistoiden US-Stellvertreter-Kriegers Israel, und jetzt auch Unterstützung für den gefaketen Gaza-„Friedensplan“, unter dem die Vertreibung, Aushungerung, Tötung der Palästinenser weitergeht, im Gaza wie verstärkt in der Westbank.Europa: Nicht beteiligt an Ukraine-VerhandlungenDie europäischen US-Vasallen nörgeln daran herum, dass Trump sie an den Waffenstillstandsverhandlungen mit der Ukraine nicht beteiligt. Aber das ist doch die Lage: Die USA haben diesen Krieg seit drei Jahrzehnten vorbereitet, finanziert, 2014 den definitiven Regime Change organisiert und seitdem den Krieg angeführt.Und dem haben die jetzt nörgelnden Vasallen zugestimmt, haben nach US-Vorgaben immer mehr mitgeholfen. Die USA, mit britischer Hilfe, haben das Militär ausgebildet, haben die meisten Rüstungsgüter geliefert, haben auch darüber entschieden, welche Satelliten geliefert werden und welche nicht. Und die USA führen den Krieg der Ukraine auch operativ über die US-Satelliten im Weltraum, über US-Geheimdienste und über das Military Command in Wiesbaden.Noch nie gehört, Herr Merz?Auch die asiatischen Vasallen werden hergenommenTrumps Nationale Sicherheitsstrategie stellt an zweite Stelle den Indopazifik: „Der Indopazifik mit seinen zentralen Seewegen soll offen und frei gehalten werden“ gegen „fremde Akteure, die die amerikanische Wirtschaft schädigen“. „Verlässliche Lieferketten“ sollen ebenso gewährleistet werden wie „der Zugang zu kritischen Materialien“. Dies ist, verhalten formuliert, gegen China gerichtet und verbunden mit Aufrüstungen und Investitionen der alliierten US-Staaten in Asien.So zwingt die Trump-Regierung Japan, Südkorea, Taiwan und die Philippinen: Militärbudgets erhöhen! In den USA investieren! Das sind die Staaten der „Ersten Inselkette“, die China am nächsten liegen. Sie sollen wie die europäischen NATO-Staaten ihre Militärausgaben auf fünf Prozent des BIP erhöhen. Sie leiden selbst unter wirtschaftlichem Rückgang wie in Europa vor allem Deutschland, sollen aber auch noch mehr in den USA investieren. Und sie sollen noch mehr US-Militärs aufnehmen, mit direkter Präsenz oder als Berater.Das gilt in anderer Weise auch für Australien. Übrigens baut dort der „deutsche“ Rüstungskonzern, dessen führende Aktionäre inzwischen aus den USA kommen und der inzwischen die meisten Filialen in den USA betreibt, eine neue Filiale für den Bau von Panzern, die den dortigen Bedingungen angepasst sind.Naher Osten: Groß-Israel mit arabischen StaatenIn der Nationalen Sicherheitsstrategie heißt es an dritter Stelle zum Nahen Osten: „Wir wollen verhindern, dass eine gegnerische Macht im Mittleren Osten eindringt, Zugriffe auf seine Öl- und Gasreserven bekommt und die Engpässe der Seewege blockiert.“Dazu gehört die Umgestaltung des Nahen Ostens durch Israel, das während des Gaza-Krieges auch seine bisherige Besatzungszone in Syrien ausgebaut hat, ein halbes Dutzend Militärstützpunkte betreibt. Israel bombardiert mit oder ohne US-Zustimmung in Syrien und auch im Libanon, bombardierte den Iran, was die US-Regierung mit der Operation Midnight Hammer zuspitzte.Das von Trump eingefädelte Gaza-„Waffenstillstandsabkommen“ bringt nicht einmal einen Waffenstillstand, hat die militärische Besetzung des Gazastreifens durch Israel sogar noch erweitert und erkennt keinerlei palästinensische Vertretung an.Mithilfe der Abraham Accords hat Trump seit seiner ersten Amtszeit schrittweise Golf- und weitere arabische und muslimische Staaten mit Israel (irgendwie) versöhnt und die Unterstützung für die Palästinenser beendet. In Fortsetzung und Vollendung dessen, was auch Demokraten-Regierungen der USA, mit EU-Unterstützung, jahrzehntelang vorbereitet haben: Israel übt im Nahen Ost jetzt nach dem Gaza-Krieg eine (stellvertretende) „imperiale Macht“ aus: Das stellt sogar das führende US-Leitmedium fest, die New York Times: „’Imperial Israel’ in the New Middle East“: „Israels Zugriff reicht schier überall hin, indem es ständig regionale Feinde bombardiert.“[3]So soll mithilfe des US-Stellvertreter-Kriegers der erweiterte Nahe Osten als neues Investitionsgebiet erschlossen werden: nicht nur zunächst der Gazastreifen, und auch die Westbank. Vor allem aber sind die führenden US-Digital-, Rüstungs-, Energie- und Tourismuskonzerne in den Golf-Staaten aktiv. Die müssen ohnehin Abschied von Öl und Gas nehmen, investieren aber Hunderte Milliarden Dollar auch in den USA. So vereinbarte die US-Regierung mit dem Prinzen von Saudi-Arabien, dass seine Staatsfonds mindestens eine Billion (in den USA: „trillion“) Dollar in den USA investieren, auch in Rüstung.[4]Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) organisierten vom 8. bis 10. Dezember 2025 im Palast des Ölkonzerns Adnoc das nach eigener Aussage „größte Medienevent der Welt“ mit 60.000 Teilnehmern aus 132 Staaten, mit Medienvertretern, PR-Agenturen und Unternehmen in den Bereichen Digitalmedien, Spiele, Musik, Marketing, „um den Journalismus zu transformieren“ – gewiss ein dringlicher Wunsch von Trump, und nicht nur von ihm.[5]Globaler Süden: USA noch aggressiverIn Trumps Denkschrift heißt es: „Amerika und seine Alliierten haben bis jetzt noch keinen gemeinsamen Plan für den sogenannten Globalen Süden, auch hinsichtlich dessen riesiger Ressourcen.“ Weiter heißt es, dass Europa, Japan, Südkorea und andere dort zwar sieben Billionen Dollar investiert haben, dass „multinationale Banken“ dort Kredite laufen haben – aber vor allem die USA sind kaum präsent, und China ist längst vorgedrungen.Traditionell liegt für das US-Imperium eigentlich der lateinamerikanische „Hinterhof“ am nächsten. Aber den haben die von der Demokraten-Partei und ihren Regierungen vor allem geförderten Digitalkonzerne bei ihrer Globalisierung sträflich vernachlässigt, so Trump. Das will er jetzt nachholen, möglichst schnell, punktuell, unsicher. Genaueres steht in der Strategie-Erklärung nicht.PanamakanalVergleichsweise leicht zu erfüllen war Trumps Wunsch: Wir wollen Panama wiederhaben, das hat uns doch über 100 Jahre lang gehört! Einen ersten Schritt ermöglichte der inzwischen größte US-Investor BlackRock. Er war zwar eng mit den US-Regierungen von Bill Clinton, Barack Obama und Joe Biden verbunden, wurde durch sie groß, hat sich aber schnell zu Trump bekannt. BlackRock kaufte Anfang 2025 die beiden Häfen des Panamakanals: So landen die Gebühren in den USA, und die USA kontrollieren die Durchfahrt.Argentinien: Milliardenhilfe für Kettensäge-PolitikerWie auch in Europa und weltweit sucht Trump nationalistische, rechtsextreme, auch faschistoide Medien, Partner, Parteien. So förderte er den Elon-Musk-Imitator, den Kettensäge-Neoliberalen Javier Milei in Argentinien: Obwohl der Staat nach der Ukraine zu den am meisten überschuldeten Staaten gehört, bekam er von der Trump-Regierung eine Extrahilfe von 20 Milliarden Dollar, die er von keiner Bank bekommen hätte.[6]Venezuela: Militärischer Regime ChangeDie Entwicklung Venezuelas zu einem postkolonialen, souveränen Staat, vor allem seit Präsident Hugo Chávez, wurde von allen US-Regierungen bekämpft, mithilfe von NGOs in Venezuela wie auch mit externen Sanktionen, auch etwa mithilfe des US-finanzierten Alternativ-Präsidenten Guaidó, der dann doch keinen Erfolg hatte. Trump will den jetzigen Präsidenten Nicolas Maduro absetzen, hat 50 Millionen Dollar Belohnung für seine Verhaftung ausgeschrieben.[7] Verschwörungspraktischer Vorwand: Maduro ist der Drogenchef Südamerikas und bedroht damit die „nationale Sicherheit“ der USA.Das US-Militär hat inzwischen mehrere Schiffe versenkt und hundert Menschen getötet, auch Überlebende solcher Attacken. Im annektierten US-Gebiet Puerto Rico hat Trump den Militärstützpunkt wiederbelebt und Tausende Soldaten postiert. Die US-Geheimdienste sind eingeschaltet. Ein Militärschlag wird ausgeführt, sobald er als aussichtsreich gilt.Dass die Drogen-Verschwörung nur ein Vorwand ist, wird in aller Öffentlichkeit auch dadurch bestätigt: Trump hat Juan Orlando Hernandez begnadigt. Der Ex-Präsident von Honduras war in die USA verschleppt und wegen Drogenhandels zu 45 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Jetzt, nach vier Jahren, ist er wieder ein freier Mann – und ein erhoffter Mittäter Trumps in Lateinamerika.[8]Afrika und periphere RegionenDie Trump-Regierung sucht auch weitere Lücken in der bisherigen Globalisierung, in „peripheren Regionen“ auf allen Kontinenten. Überall geht es auch um das Zurückdrängen Chinas. Die genauen Maßnahmen werden im Strategie-Konzept gerade hier überhaupt nicht erwähnt.In Afrika geht es zunächst um seltene Erden und andere „kritische Mineralien“, die für den von den Trump-Kapitalisten hochbeschleunigten KI-Hype noch mehr benötigt werden als bisher. Der aufsteigende US-Stellvertreter-Krieger Vereinigte Arabische Emirate – sie beherbergen den für die Golfregion zentralen US-Militärstützpunkt Gulf Air Warfare Center – unterstützen deshalb die terroristische Paramilitär-Organisation Rapid Support Forces (RSF) im Sudan.[9]Trump hat wie im bekannten Fall des Gaza-„Friedensabkommens“ die Methode entwickelt, kurzfristig Konfliktparteien zusammenzurufen, „Frieden“ oder „Waffenstillstand“ zu verkünden und dabei für US-Unternehmen aus seinem Umkreis langfristige Investitionen zu sichern – auch wenn die Konflikte weitergehen. Dies gilt etwa für Armenien mit Aserbaidschan, wo Trump den langfristigen Betrieb des Sangesur-Korridors gesichert hat. Ähnliches gilt für Demokratische Republik Kongo mit Ruanda, für Indien mit Pakistan, für Thailand mit Kambodscha, für Ägypten mit Äthiopien, für Serbien mit Kosovo.[10]Die Grenzen von Trumps nationaler GlobalstrategieDie allermeisten Investoren, Unternehmer, Spekulanten, Immobilienhaie im Umkreis Trumps, die vielfach auch in der Regierung vertreten sind, sind bisher global noch kaum vertreten. Der kurzzeitig in der Regierung mitmischende Elon Musk war eine Ausnahme. Trump und sein Schwiegersohn Jared Kushner haben zwar Golfplätze in Schottland, in den Golfstaaten und Immobilien auch in israelischen Siedlungen im Westjordanland, aber sie wollen eben auch mit großen Unternehmensinvestitionen global nachholen. Deshalb suchen sie die Lücken, und deshalb sind sie aggressiver.Aber sie verschätzen sich – nicht in allen Fällen, aber im Prinzip. Trumps Vorbild an der ungehindert aufsteigenden Großmacht im 19. Jahrhundert, die direkte Kombination von Militär, Enteignung, Investitionen und Regime Changes im lateinamerikanischen und dann auch asiatischen Hinterhof – das ist Nostalgie.Sicher, die UNO, die historisch bisher größte Leistung der Menschheit für eine internationale Ordnung, ist in allen wichtigen Kriegen und Konflikten immer hilfloser geworden – aber ja vor allem durch den Mitgründer USA selbst. Die USA haben von Anfang an immer mehr neben und auch gegen die UNO ihre Kriege und Regime Changes durchgezogen, mit jeweils zusammengerufenen „Koalitionen der Willigen“, oder eben auch ohne solche. Darüber konnte sich Trump bei seinem Auftritt vor der UNO im September 2025 so vordergründig lustig machen, sodass selbst die ansonsten Trump-folgsamen deutschen Leitmedien die Fakes erkannten.[11]Der von Trump in seiner Denkschrift nebenbei mal erwähnte „Rest der Welt“ hat sich aber schon seit etwa drei Jahrzehnten schrittweise immer weiter selbst organisiert, auch neben der UNO. Dass die USA mit dem korrumpierten ersten Regierungschef des nachsozialistischen Russlands, Boris Jelzin, dann doch keinen Erfolg hatten, sondern mit der Nachfolgeregierung unter Putin mit einem zunehmend souveränen, wichtigen, immer weiter global vernetzten Staat konfrontiert sind – das war einer der Anfänge für das Ende der US-Vorherrschaft. Das sollte mit dem US-Stellvertreter-Krieger Ukraine gekippt werden – aber dass das nicht gelungen ist, muss selbst die Trump-Truppe jetzt eingestehen und versucht, daraus noch ein paar Vorteile herauszuholen, zulasten der europäischen „Freunde“.Vor allem die zudem nicht-militärische, wirtschaftliche, kooperative, global sich schnell erweiternde und vertiefende Multipolarität mit den Formaten BRICS, CELAC (Lateinamerika), FOCAC (Afrika), SCO (Asien), EEF (Ostasien) praktizieren eine Alternativ-Struktur, der die USA nichts mehr entgegenzusetzen haben – was sie aber gerade deshalb umso gefährlicher macht.[12]Titelbild: Shutterstock AI – Dieser Inhalt wurde von einem Algorithmus mit künstlicher Intelligenz (KI) erstellt.[«1] National Security Strategy of the United States of America, Washington, The White House, November 2025[«2] Genaueres auch zum Folgenden siehe Werner Rügemer: Verhängnisvolle Freundschaft, 4. aktualisierte Auflage, Köln 2024, Seite 12-89[«3] ‘Imperial Israel‘ in the New Middle East, New York Times 28.11.2025[«4] Fact Sheet: President Donald J. Trump Solidifies Economic and Defense Partnership with the Kingdom of Saudi-Arabia, The White House November 18, 2025[«5] Bridge Summit Looks to Become the Largest Cross-Sector Media Event in the World, New York Times 28.11.2025[«6] Trump unterstützt Milei mit 20 Milliarden Dollar, amerika21.de 14.10.2025[«7] USA verdoppeln Belohnung für Festnahme Maduros, tagesschau.de 8.8.2025[«8] Begnadigung durch Trump – Honduras Ex-Präsident aus Gefängnis entlassen, Der Spiegel 2.12.2025[«9] Why is the UAE involved in Sudan’s bloody war? middleeasteye.net 4.11.2025[«10] How many wars has President Trump really ended? bbc.com/news 15.10.2025[«11] Trump bei UN-Vollversammlung. Eine Rede voller Falschbehauptungen, tagesschau.de/faktenfinder/trump-rede-un-100.html 24.9.2025[«12] Werner Rügemer: Trump’s „America First“ – A Change in US Strategy, World Marxist Review 2/2025, dx.doi.org/10.62834/8j5fth62

Dec 9, 2025 • 18min
Die Fallstricke des Friedensschlusses
Es ist eine alte Wahrheit: Einen Krieg zu beginnen ist leichter, als ihn zu beenden. Das ist auch jetzt so. Das Weiße Haus hat zwar wieder aufs Gaspedal gedrückt, doch die anderen Akteure des Konflikts haben es nicht eilig. Moskau wartet ab, Kiew versucht, das ihm vorgelegte Ultimatum „auszumanövrieren“, und Brüssel stemmt sich verzweifelt dagegen und sucht seinen Platz in einer zusehends aus den Fugen geratenen Welt. Alle warten darauf, dass sich die Beilegung des Konflikts gemäß ihren eigenen Interessen entwickelt. Eine solche Situation kann jedoch nicht eintreten, weshalb die derzeitigen Vorbereitungen für ein Friedensabkommen naturgemäß ein langsamer und viel Geduld erfordernder Prozess sind. Ein Beitrag von Gábor Stier, aus dem Ungarischen übersetzt von Éva Péli.Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.„Wir Ukrainer wollen natürlich einen vollständigen Sieg erringen und den Zusammenbruch des russischen Imperiums. Wir dürfen es aber auch nicht ablehnen, den Krieg ohne einen vollständigen Sieg über Russland einzufrieren, ihn für lange Zeit zu beenden“, so Walerij Saluschnyj, der frühere Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte, der die Ukraine als Sicherheitsgarantie sogar mit Atomwaffen ausstatten würde. Laut dem General, der derzeit als Botschafter in London tätig ist, enden Kriege nicht immer mit dem Sieg der einen und der Niederlage der anderen Seite. Der Zweite Weltkrieg war in dieser Hinsicht eine seltene Ausnahme; die überwiegende Mehrheit der Kriege endet mit einer Niederlage beider Seiten, gegenseitiger Erschöpfung und anschließendem Kompromiss. Er befürwortet den immer schwerer abwendbaren Friedensschluss, konzipiert diesen aber als eine Art Pattsituation, um eine drohende Niederlage in ein Unentschieden umzuwandeln. Selbstverständlich schwingt dabei auch die Andeutung mit, dass die territorialen Verluste keine endgültige Tatsache darstellen.Die Aussagen von Saluschnyj verdeutlichen zugleich die fundamentalen Dilemmata, die Friedensschlüsse generell prägen. Die vielleicht schwierigste Frage ist dabei, ob Frieden überhaupt geschlossen werden kann, ohne territoriale Zugeständnisse zu machen. Außerdem stellt sich die Frage, was wichtiger ist: die territoriale Unversehrtheit von Staaten oder das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Diese beiden Prinzipien lassen sich oft nur schwer miteinander vereinbaren. Für einen dauerhaften Frieden müssen die Akteure die Ursachen des Problems beseitigen. Nicht zuletzt muss die Frage gestellt werden, ob ein Friedensschluss gerecht sein kann. Wenn Kriege beendet werden, spiegeln die Ergebnisse meist die herrschenden Kräfteverhältnisse wider, und der Frieden belohnt den Stärkeren. Ein solcher Frieden wird aber nur Bestand haben, wenn er den Verlierer nicht zutiefst demütigt.Dayton, Versailles, Wien: Was die Geschichte lehrtEin eklatant negatives Beispiel liefern die Pariser Vorortverträge, die den Ersten Weltkrieg beendeten und stark vom Wunsch nach Rache geprägt waren. Da die Sieger die Besiegten von den Friedensverhandlungen ausschlossen, reifte in diesen rasch der Wunsch nach Revanche. Als positives Gegenstück dient der Wiener Frieden von 1815. Er beendete die Napoleonischen Kriege. Das funktionierte nicht zuletzt, weil die Vertragsparteien alle Kriegsteilnehmer zu den Verhandlungen einluden, darunter auch das besiegte Königreich Frankreich.Nach den großen, auch von Saluschnyj erwähnten Kriegen fällt der Friedensschluss in der Regel leichter, da die Lage eindeutig ist: Der Sieger diktiert die Bedingungen. Verliert der Aggressor, kann dieser Friede sogar gerecht sein. In Konflikten ohne klaren Sieger können die Parteien den Krieg einfacher beenden, wenn sie notgedrungen größere Kompromissbereitschaft zeigen. Das ist allerdings keine Garantie für dauerhafte Stabilität. Der Frieden von Dayton beendete den Bosnienkrieg, brachte aber wegen der oberflächlichen Behandlung der Konfliktursachen nur einen langen, temporären Waffenstillstand. Die Glut schwelt unter der Asche. Lässt der äußere Druck nach, wird die stärkste Partei den Widerstand der anderen brechen und den Frieden durchsetzen, den sie sich wünscht.Es heißt nicht umsonst, dass es leichter ist, einen Krieg zu beginnen, als ihn zu beenden. Auch in diesem Fall hat der Friedensschluss zahlreiche Fallstricke.Proxy-Krieg und Schuldfrage: Wer sitzt am Tisch?Der Rahmen der Friedensschaffung wird von vornherein dadurch bestimmt, dass die Ukraine tatsächlich einer der Hauptschauplätze der Konfrontation um die sich wandelnde Weltordnung ist. In Wahrheit handelt es sich um einen Stellvertreterkrieg, in dem die Ukraine lediglich ein Werkzeug und ein Aufmarschgebiet ist. Tatsächlich stehen sich der Westen unter Führung der Vereinigten Staaten und Russland gegenüber. Hinzu kommt, dass hinter Russland der sogenannte Globale Süden, allen voran China, steht, dem der Ausgang des Krieges keineswegs gleichgültig ist.Die Situation wird weiter dadurch verkompliziert, dass die Vereinigten Staaten, die auf dem Weg zum Ausbruch des Krieges eine schwerwiegende und keineswegs positive Rolle spielten, nun ein Ende des Konflikts anstreben. In dieser Frage geraten sie mit ihren Verbündeten aneinander – den europäischen „Willigen“, die vorerst noch die Ukraine im Krieg halten und damit den Druck auf Russland aufrechterhalten wollen.Im Gegensatz zu den meisten Fällen ist zudem die Frage nach der Verantwortung für den Ausbruch des Krieges nicht eindeutig. Es fällt daher schwer, festzulegen, was tatsächlich ein gerechter Friede wäre.Es stimmt zwar, dass Russland am 24. Februar 2022 die Invasion begann und dies völkerrechtlich eine Aggression darstellt, doch führte ein langer Weg dorthin. Eine schwerwiegende Verantwortung für den Ausbruch des Krieges tragen in erster Linie die Vereinigten Staaten, die Europäer als deren Vasallen. In dieser Reihe darf auch die Ukraine nicht fehlen. Diese wurde ab 2014 in jeder Hinsicht zur Bastion des Westens gegen Russland und boykottierte die Umsetzung der Minsker Abkommen nachweislich mit europäischer Unterstützung. Außerdem muss bedacht werden, dass alle beteiligten Parteien im Krieg feststecken, obwohl sie das ursprünglich nicht beabsichtigten.Russland wollte einen Machtwechsel, eine Art „Kabul-Szenario“, womit es seinen Einfluss über die zur „Anti-Russland“ gewordene Ukraine zurückgewonnen hätte. Auch der von den USA geführte Westen hat erst Blut geleckt, als er spürte, dass Russland schwächer war, als er dachte. Die angelsächsische Linie torpedierte daraufhin das Abkommen von Istanbul. Die USA glaubten, Russland in dieser Situation schnell in die Knie zwingen zu können. Deshalb verstärkten sie die militärische Unterstützung für die Ukraine. Kiew wiederum steigerte sich immer mehr in die Vorstellung hinein, den Verlauf des Krieges umkehren, die verlorenen Gebiete zurückerobern und Russland mit dem Westen im Rücken einen verheerenden Schlag versetzen zu können.Alle irrten sich, und nun dauert der erbitterte und blutige Krieg schon fast vier Jahre an. Jeder Akteur möchte den Konflikt ohne Gesichtsverlust beenden, doch die Realität setzt sich immer mehr durch.Russland hat Ende 2023 eindeutig die strategische Initiative an den Fronten übernommen. Die Zermürbung funktioniert immer effektiver, kommt aber wegen der Schonung der Soldaten und des massiven Auftretens von Drohnen nur langsam voran. Gleichzeitig spürt auch die Wirtschaft den Sanktionsdruck und die Last des Krieges, und auch die Gesellschaft würde ein Ende der „speziellen Militäroperation“ begrüßen. Moskau kann den Krieg im derzeitigen Tempo sicher noch zwei bis drei Jahre aufrechterhalten, aber letztendlich schwächt er das Land. Deshalb wäre Moskau zu bestimmten Kompromissen, aber grundsätzlich unter seinen eigenen Bedingungen zum Friedensschluss bereit.Washingtons Agenda: Trump setzt Kiew unter ZugzwangDem versucht auch das Weiße Haus den Weg zu ebnen, denn für Donald Trump ist dieser Konflikt auf der Prioritätenliste nach unten gerutscht. Washington würde sich bereits auf Wirtschafts- und geopolitische Geschäfte sowie Abkommen mit Russland konzentrieren und gegebenenfalls China einbeziehen. Zu diesem Zweck würde es Kiew nicht nur zu territorialen Zugeständnissen zwingen, sondern diese auch anerkennen. Dadurch verlören die Sanktionen ihre Rechtsgrundlage und der Weg für Investitionen wäre frei.Die eigentliche Frage ist, wie groß der Spielraum von Trump im Inland und innerhalb des westlichen Blocks ist. Diesen hat er erheblich erweitert, indem er Joseph Biden für den Krieg verantwortlich machte, wodurch er leicht bestimmte Tabus brechen kann. Das Weiße Haus kann es sich jedoch trotz der verlockenden Aussichten nicht erlauben, dass die Ukraine zusammenbricht und Russland zu viel gewinnt.Europas Tragödie: Geisel zwischen Putin und TrumpDie Ukraine ist aufgrund der militärischen und innenpolitischen Lage in die Enge getrieben. Sie versucht, diesen Krieg am Verhandlungstisch irgendwie auf ein Unentschieden hinauslaufen zu lassen. Die Entschlossenheit in Trumps Umfeld und die immer knapper werdenden europäischen Gelder verheißen Kiew jedoch nicht viel Gutes.Kiew muss auf die NATO-Mitgliedschaft verzichten. Die Beibehaltung einer 800.000 Mann starken Armee erscheint unrealistisch, und den noch kontrollierten Teil des Gebiets Donezk muss die Ukraine entweder aufgeben oder verliert ihn in einem andauernden Krieg. Wolodymyr Selenskyj kann nur zwischen schlecht und noch schlechter wählen und muss nicht nur über die Zukunft der Ukraine, sondern auch über seine eigene nachdenken.Die Tragödie Europas besteht darin, dass es ausgehend von einem falsch verstandenen sicherheitspolitischen Konzept – die Ukraine wird der Arm Europas, die östliche Verteidigungslinie – und auf der Flucht vor inneren Problemen, die es dadurch vertuscht, in einen Konflikt geraten ist, für dessen Austragung es weder Geld noch eine angemessene industrielle Basis hat und auch nicht viel opfern will. Europa überhöht nicht nur die russische Gefahr und schürt Hysterie. Es nutzt die Ukraine vielmehr zynisch als Stellvertreter, wobei es sich auf hehre moralische Prinzipien beruft. Dabei agiert Europa selbst als Stellvertreter der USA. Es hätte aussteigen oder zumindest durch Erzwingen des Friedens zurücktreten müssen, als Nord Stream auf US-amerikanischen Vorschlag gesprengt wurde. Spätestens aber bei Trumps Rückkehr.Stattdessen ist Europa jedoch immer mehr zur Geisel des Ukraine-Konflikts geworden. In dieser Eigenschaft steht es nicht nur Putins Russland, sondern auch Trumps Amerika gegenüber.„Wheeler-Dealer“-Diplomatie: Trumps Team verhandeltIn dieser Situation erhielt die Friedensschaffung nach dem US-amerikanisch-russischen Gipfel in Alaska neuen Schwung. Trump ist in jüngster Zeit anscheinend ausgestiegen und überließ die Verhandlungen seinem Vizepräsidenten James D. Vance und dessen Team – so stieß Daniel Driscoll anstelle von Keith Kellogg zu dem Prozess – sowie seinem Außenminister Marco Rubio. Neu ist, dass neben Steve Witkoff, einem Vertrauten des Präsidenten, der bereits erfolgreich mit Moskau verhandelt hat, auch Trumps Schwiegersohn Jared Kushner, der sich ebenfalls in der Friedensschaffung im Nahen Osten bewährt hat, in die Gespräche eingebunden wurde. Von US-Seite werden die Gespräche nach wie vor raffiniert und trickreich geführt, wobei der Feilsch-Charakter an den Dayton-Prozess erinnert [Anm. Red.: Verhandlungen zum Ende des Bosnienkrieges in den 1990er-Jahren].Derzeit sprechen wir nicht von mehr als einer Abstimmung – einer Klärung von Standpunkten, die naturgemäß inmitten eines enormen Medienrummels und von Indiskretionen abläuft. In dieser Situation drückt das Weiße Haus aufs Gaspedal, die europäischen „Willigen“ versuchen von außen, auf die Bremse zu treten. Die Ukrainer nutzen ihren verbleibenden Spielraum maximal aus, um bessere Bedingungen auszuhandeln, während Moskau beobachtet, was dabei herauskommt und worauf es reagieren muss.Der Kreml könnte nun auch das kleinere Kopfzerbrechen bereiten, mit wem er auf US-Seite überhaupt verhandeln soll. Trump ist nicht bereit, auf Details einzugehen, und würde sich lieber erst in der Endphase einschalten. Steve Witkoff bietet sich an; er reiste bereits nach Moskau und ist empfänglich für die russischen Vorstellungen. Er ist jedoch im Staatsapparat der USA isoliert und politisch angreifbar, was die Abhörung und Veröffentlichung seines Gesprächs mit Putins außenpolitischem Berater Juri Uschakow deutlich zeigt. Er akzeptiert die russischen Interessen, verpackt sie neu, wobei sie dann im Dickicht der geopolitischen und innenpolitischen Auseinandersetzungen verloren gehen. Der in den letzten Wochen aktiv gewordene Marco Rubio ist nicht begeistert von der Anerkennung russischer Ziele und findet schwer einen gemeinsamen Nenner mit Sergej Lawrow, der gegenüber Kirill Dmitrijew die Rolle des „bösen Polizisten“ spielt. Dan Driscoll ist in Erscheinung getreten, aber der Kreml versteht offenbar noch nicht, in welcher Funktion er handelt und was sein tatsächlicher Auftrag ist.Die roten Linien: Juristische Garantien für RusslandEs steht außer Zweifel, dass der ursprüngliche 28-Punkte-Plan einen Großteil der Prioritäten Russlands widerspiegelt. Einige Bestimmungen widersprechen jedoch direkt den wichtigsten Forderungen Moskaus. Dazu zählt die erlaubte Größe der ukrainischen Armee, das Fehlen eines Verbots von Langstreckenwaffen oder, dass der Plan erwähnt, Kiew könne Moskau oder St. Petersburg potenziell angreifen. Zudem lässt die Formulierung zu, den Inhalt allzu weit auszulegen, weshalb die Gefahr besteht, dass der Plan in der Umsetzungsphase verwässert wird. Nicht umsonst betonte der russische Präsident Wladimir Putin, diese Punkte müssten, nachdem die Parteien sie eingehend erörtert haben, noch in die Sprache der Diplomatie übertragen werden. Ein weiteres Hindernis ist, dass Moskau es für unmöglich hält, ein rechtsgültiges Abkommen mit Kiew zu schließen, weil in der Ukraine die verfassungsrechtliche Krise herrscht.Deshalb liegt der Schwerpunkt nun darauf, dass Russland Garantien vom Westen erhält, einschließlich der juristischen Anerkennung der Krim, des Donbass sowie der Regionen Saporischschja und Cherson entlang der Kontaktlinie als russisches Territorium. Nicht de facto, sondern de jure.Putin ist auch besorgt über das in den Vereinigten Staaten herrschende innenpolitische Chaos, die keineswegs eindeutige Haltung zu Russland und die Unsicherheit der Beziehungen. Es interessiert ihn nicht, ob Russland zum G7-Gipfel eingeladen wird oder nicht. Er ist jedoch bereit, mit Europa über eine neue Konstruktion des Sicherheitssystems zu diskutieren.In diesem Zusammenhang äußerte sich der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán, bereits im Wissen um seine Moskauer Gespräche, dahingehend, dass Europa die militärische Sicherheit und das militärische Gleichgewicht, das die Grundlage für den Frieden bildet, wiederherstellen müsse. Orbán betonte gegenüber der Zeitung Die Welt: „Die einzig mögliche dauerhafte Lösung ist, dass die Ukraine nach dem Krieg wieder zu dem Pufferstaat wird, der sie einst war.“Endspiel auf Zeit: Warum der Frieden noch lange dauertMoskau wird erst jetzt mit dem Verhandlungsgegenstand konfrontiert. Es gab den 28-Punkte-Plan, dann wurden daraus 19, dann 22, schließlich sind es derzeit 20. Aber auch das entwickelt sich weiter, da Selenskyj zahlreiche brennende Fragen direkt mit Trump besprechen möchte. Auf Basis des Alaska-Abkommens entsteht derzeit nur langsam ein Konzept für ein Friedensabkommen, dessen Konturen noch äußerst verschwommen bleiben. Der Kreml benötigt einen offiziellen, schriftlichen Text, aber dieser existiert noch nicht. Am wichtigsten aber: Es ist nicht ersichtlich, was Putin dazu zwingen sollte, seine aus westlicher Sicht als maximalistisch geltenden Ziele zu überdenken oder seine grundlegenden Forderungen aufzugeben.Putin stützt sich heute mehr denn je auf die russische Militärmacht. Er ist sichtlich davon überzeugt, den Moment abwarten zu können, in dem Kiew endlich gezwungen ist, zu russischen Bedingungen zu verhandeln. Der Kreml kalkuliert: Wenn die Amerikaner helfen, diesen Fortschritt zu beschleunigen, ist das hervorragend. Falls nicht, weiß Putin, wie er handeln muss.Das ist die aktuelle Situation. Der Prozess ist noch weit davon entfernt, Detailfragen zu klären wie beispielsweise die Demarkationslinien, wann der Abzug aus den Gebieten erfolgen soll, wem das Atomkraftwerk Saporischschja gehört oder wie die strategisch wichtige Insel an der Mündung des Dnepr zuzuordnen ist. Diese steht derzeit unter russischer Kontrolle, liegt aber außerhalb der vier betroffenen Regionen. Ganz zu schweigen davon, wer den Waffenstillstand wie überwachen wird. Es wäre also wirklich eine echte Weihnachtsüberraschung, wenn der Frieden noch in diesem Jahr einkehren würde. Wir dürften aber auch nicht sehr überrascht sein, wenn wir auch am nächsten Weihnachtsfest noch die Chancen auf Frieden abwägen.Der Artikel erschien zuerst im ungarischen Original in der Wochenzeitung „Demokrata“.Titelbild: Tomas Ragina / Shutterstock

Dec 9, 2025 • 7min
Wieso hat Innenminister Dobrindt Aufzeichnungen zu Treffen mit Verfassungsrichtern vernichtet?
Bereits vor einigen Wochen war das Abendessen vom Bundeskabinett mit den 16 Verfassungsrichtern hinter verschlossenen Türen im Kanzleramt Thema auf der Bundespressekonferenz. Jetzt ist kürzlich durch eine Presseanfrage herausgekommen, dass Innenminister Alexander Dobrindt seine Aufzeichnungen von diesem Abend zum Thema „Wie zukunftsfähig ist das Grundgesetz?“ vernichtet hat. Die NachDenkSeiten wollten vor diesem Hintergrund wissen, aus welchen Motiven er sich dieser Aufzeichnungen entledigt hat. Von Florian Warweg.Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.HintergrundAm 9. Oktober informierte das Bundeskanzleramt in einer knappen Mitteilung über ein anstehendes gemeinsames Abendessen von Vertretern der Bundesregierung mit den Richtern des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG):„Am Donnerstagabend nehmen der Bundeskanzler und das Bundeskabinett an einem Abendessen mit den Richterinnen und Richtern des Bundesverfassungsgerichts im Bundeskanzleramt teil. Diese Treffen finden seit Jahrzehnten regelmäßig statt und sind ein traditionelles Zeichen der gegenseitigen Wertschätzung zwischen zwei Institutionen des demokratischen Verfassungsstaates.“Was dabei konkret besprochen wurde, ist bis heute nicht bekannt. Dieser Vorgang ist keine Kleinigkeit. Mit dem Abendessen wurden die Grenzen der Gewaltenteilung zwischen zwei zentralen Verfassungsorganen, dem Bundesverfassungsgericht und der Bundesregierung, die in einem Rechtsstaat klar gezogen sein sollten, bewusst verwischt. Dies zudem zu einem hochsensiblen Zeitpunkt.Denn die im Bundeskanzleramt mit Kanzler und Bundesministern dinierenden obersten Verfassungsrichter werden sehr wahrscheinlich in naher Zukunft Entscheidungen mit massiven Auswirkungen auf die aktuelle Bundesregierung fällen. Da wäre beispielsweise die anstehende Klage des BSW in Karlsruhe zur Neuauszählung der Bundestagswahl. Die Folgen einer Neuauszählung, die nach aktuellem Stand sehr wahrscheinlich das BSW in den Bundestag bringen würde, wären für die amtierende Bundesregierung und Kanzler Merz fatal: Die Koalition aus CDU und SPD hätte keine Mehrheit und der Kanzler keine Legitimation mehr.Und ausgerechnet in so einem Moment trafen sich Verfassungsrichter und Bundesregierung zu einem Dinner hinter verschlossenen Türen, bei dem weder protokolliert noch sonst irgendwie das Gesprochene festgehalten wurde. Der Grad an Transparenz zu diesem Treffen zwischen Judi- und Exekutive beschränkt sich mehr oder weniger auf die Veröffentlichung des damaligen Menüs (gebratener Hirschkalbrücken zu geschmortem Sellerie und Feigentarte) sowie die Themen der das Treffen einleitenden Impulsreferate: Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) und Verfassungsrichter Henning Radtke hielten je einen Vortrag zu „Repräsentation und direkte Demokratie“ und Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) sowie Richterin Christine Langenfeld referierten zu „Offene Verfassung und veränderte Weltordnung: Wie kann sich die Offenheit des Grundgesetzes gegenüber der internationalen Gemeinschaft und der europäischen Integration angesichts veränderter internationaler Rahmenbedingungen weiterhin bewähren?“.Gericht und Innenministerium mauern …Auf Anfrage der WELT erklärte die Pressestelle des Bundesverfassungsgerichts, dass die Impulsreferate der Richter nicht ausformuliert vorlägen – ebenso wenig gäbe es Notizen, die den tatsächlich vorgetragenen Inhalt wiedergeben würden. Das Bundesinnenministerium (BMI) wiederum nahm zunächst die Haltung ein, dass die Rede von Dobrindt nicht öffentlich gewesen sei, daher könne auch das Manuskript nicht weitergegeben werden. Im weiteren Verlauf erklärte das BMI dann gegenüber WELT, dass Dobrindt für den Vortrag nicht wie sonst üblich einen Entwurf seiner Fachabteilung verwendet hätte, sondern in dem Fall die Rede „auf Basis eigener Notizen“ gehalten habe. Weiter heißt es aus seinem Ministerium zu der Angelegenheit: „Mithin liegt die tatsächlich gehaltene Rede im BMI nicht vor und ist dem Haus unbekannt. Seine eigenen Aufzeichnungen liegen nicht mehr vor.“Abschließend erklärt die Pressestelle des BMI auf die Frage, ob Dobrindt damit gegen die Aufbewahrungspflichten für Minister verstoßen hat: „Verwaltungsvorschriften, die einen Behördenleiter dazu verpflichten seine Äußerungen und Reden zu dokumentieren, gibt es in Deutschland nicht.“Doch diese Darstellung ist umstritten. So führt beispielsweise der Archivrechtler Thomas Henne, der als Professor an der Archivschule Marburg lehrt, gegenüber der WELT aus, dass diese Behauptung des BMI so nicht stimme, und verweist in dem Zusammenhang auf die sogenannte „Registraturrichtlinie für das Bearbeiten und Verwalten von Schriftgut in Bundesministerien“. Diese Richtlinie verlangt „die Schriftlichkeit und Nachvollziehbarkeit des Verwaltungshandelns“ – aus den Akten müsse sich folglich der vollständige Sach- und Bearbeitungszusammenhang ergeben. Abschließend erklärt der Jurist: „Gemäß der Registraturrichtlinie ist der Minister verpflichtet, die Notizen zu seiner Rede zu den Akten zu geben. Nur die Übernahme der Notizen in die Akte führt zu dem nötigen transparenten, nachvollziehbaren Verwaltungshandeln.“Doch auch wenn das Wegwerfen seiner Notizen den genannten Vorgaben widerspricht, hat Dobrindt formell nichts zu befürchten. Denn besagte „verpflichtende“ Richtlinie sieht keinerlei Sanktionsmöglichkeit gegen Minister bei entsprechenden Verstößen vor. Honi soit …Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 3. Dezember 2025 Frage WarwegWir hatten bereits vor einigen Wochen das Thema des illustren Abendessens des Bundeskabinetts mit den 16 Verfassungsrichtern hinter verschlossenen Türen im Kanzleramt. Jetzt ist kürzlich herausgekommen, dass Innenminister Dobrindt seine Aufzeichnung von diesem Abend zum Thema „Wie zukunftsfähig ist das Grundgesetz?“ vernichtet hat. Da würde mich interessieren: Aus welchen Motiven hat sich der Innenminister denn dieser Aufzeichnungen entledigt?Zanetti (BMI)Ich weise erst einmal die Aussage, er habe sich irgendetwas entledigt, zurück. Zum Einzelfall kann ich jetzt hier keine Auskunft geben, würde aber gegebenenfalls etwas nachliefern.Anmerkung der Redaktion: Eine Nachlieferung durch das BMI erfolgte bis zur Veröffentlichung des Artikels nicht.Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 03.12.2025Mehr zum Thema:Bundesregierung verweigert Transparenz über Abendessen mit Richtern des BundesverfassungsgerichtsWas besprachen Kanzler Merz und sein Kabinett beim Abendessen mit den Richtern des Bundesverfassungsgerichts?„Staat muss Kritik aushalten“ – Was sagt Bundesregierung zur Klatsche durch Bundesverfassungsgericht?Wenn das Bundesverfassungsgericht Regierungsversagen sekundiert


