

Eigentlich Podcast
Micz & Flo
Reden beim Laufen und laufend Reden - über Film, Technik und Psychotherapie
Episodes
Mentioned books

Oct 12, 2023 • 1h 39min
EGL036 Webfonts – wie die Schriften eigentlich ins Internet gekommen sind...
Von den ersten Schriftdrücken auf Papier bis zu variable Fonts im Internet
Diese Episode wird wieder von einem Gast präsentiert: Marc Tobias Kunisch. Tobs und Flo haben zusammen schon früh Podcast-Erfahrungen gemacht: von 2007 - 2009 haben sie den Mindgarden-Podcast aufgenommen, der damals Themen rund um Internettechnologien und Netzkultur präsentierte. Tobs arbeitet seit 2010 bei Google und mit Unterbrechung im Google Fonts Team. Dort hat er die Position des Design Leads übernommen. Als Thema für unseren Eigentlich Podcast hat sich dann auch "Webfonts" angeboten. Wir treffen uns im Gleisdreieck-Park und steigen erstmal tiefer in die Geschichte des Buchdrucks und Typographie ab. Mit der Entwicklung von technologischen Bedingungen haben sich Schriftarten und Druckverfahren verändert. Ein großer Schritt in Richtung digitaler Typographie waren Erfindungen wie das Fotosatzverfahren und das Postscript-Format. Als dann auch noch das Internet dazukam und hochauflösende Bildschirme waren die Bedingungen reif, um Schrift in diesem Medium neu denken zu können. Schrift ist heutzutage Software, die sich flexibel den Leser- und Lesebedingungen anpassen kann. Tobs stellt dazu das Google Projekt variable Fonts vor und auch die Errungenschaften im Lizenzbereich, die mit Google Fonts eingeführt wurden.
Shownotes
Laufroute
EGL036 | Wanderung | Komoot
Links zur Episode
About Tobias Kunisch
Google Fonts – Wikipedia
https://fonts.google.com/
Geschichte der Typografie – Wikipedia
Web typography - Wikipedia
HTML5 – Wikipedia
Cascading Style Sheets – Wikipedia
Webbrowser – Wikipedia
Park am Gleisdreieck – Wikipedia
Grotesk (Schrift) – Wikipedia
Serife – Wikipedia
Times New Roman – Wikipedia
Fraktur (Schrift) – Wikipedia
Lateinisches Alphabet – Wikipedia
Geschichte des Alphabets – Wikipedia
Trajanssäule – Wikipedia
Westliche Kalligrafie – Wikipedia
Kalligrafie – Wikipedia
Johannes Gutenberg – Wikipedia
Buchdruck – Wikipedia
Textura – Wikipedia
Buchschrift – Wikipedia
Syllabary - Wikipedia
Geschichte des Buchdrucks – Wikipedia
Gutenberg-Bibel – Wikipedia
Lesbarkeit – Wikipedia
Anatomie der Buchstaben – Wikipedia
Zeilendurchschuss – Wikipedia
Nichtproportionale Schriftart – Wikipedia
Dickte – Wikipedia
Schriftgrad – Wikipedia
Linotype – Wikipedia
Monotype-Setzmaschine – Wikipedia
Arbeiterbewegung – Wikipedia
Gewerkschaften: Geschichte der Gewerkschaften - Organisationen - Gesellschaft - Planet Wissen
GAG310: Arbeitskampf, Streik und das Leben der Gewerkschaftspionierin Paula Thiede - Geschichten aus der Geschichte
Fotosatz – Wikipedia
Das Interview mit dem letzten Schriftgießer – Blog zur Druck- und Mediengeschichte
Ausbreitung des Buchdrucks – Wikipedia
Geschichte der Typografie – Wikipedia
Han-Vereinheitlichung – Wikipedia
Unicode-Konsortium – Wikipedia
Unicode – Wikipedia
Core fonts for the Web – Wikipedia
Adobe GoLive - Wikipedia
Adobe Dreamweaver – Wikipedia
Desktop-Publishing – Wikipedia
PostScript – Wikipedia
Vektorfont – Wikipedia
Computermonitor – Wikipedia
Bitmap-Schrift – Wikipedia
Antialiasing (Computergrafik) – Wikipedia
OpenType – Wikipedia
Variable font - Wikipedia
https://fonts.google.com/variablefonts
Variable fonts support in Figma
https://creativecloud.adobe.com/de/discover/article/variable-fonts-are-the-future-of-web-type
https://en.wikipedia.org/wiki/Shantell_Martin
https://fonts.google.com/specimen/Shantell+Sans
Lese- und Rechtschreibstörung – Wikipedia
Creative Commons – Wikipedia
Open Source – Wikipedia
SIL Open Font License – Wikipedia
Apache-Lizenz – Wikipedia
MIT-Lizenz – Wikipedia
Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin
Science Spectrum - Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin
Science Museum – Wikipedia
Font-Lizenz-Einmaleins | Monotype.
FontShop – Wikipedia
Helvetica (Schriftart) – Wikipedia
OH no Type Company
Noto Fonts – Wikipedia
Barriers to entry - Wikipedia
Mitwirkende
Tobias Kunisch
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Verwandte Episoden
EGL085 Eigentlich Keyboards – der mechanische Podcast
Bei der Entwicklung von Schriftarten wurden metallische Schablonen für die einzelnen Buchstaben erstellt. Aus diesen Schablonen wurden durch das Zusammenstellen der Buchstaben viele Duplikate erstellt, um Wörter zu bilden. Dies nennt man Moveable Types, bei denen Buchstaben verschoben und umgruppiert werden können, um die richtigen Wörter und Sätze zu bilden. Jeder Buchstabe hat eine unterschiedliche Breite, daher mussten das „Fleisch“, das jeden Buchstaben umgibt, ebenfalls unterschiedliche Breiten haben. In CSS gibt es immer noch Elemente dieses Systems, wie z.B. die Verwendung von Bleistücken, um Zeilenhöhen zu erzeugen (ledding). Selbst in digitalen Schriftarten hat jeder Buchstabe eine unsichtbare Box um ihn herum, um sicherzustellen, dass alle Buchstaben genügend Platz haben, um ihr individuelles Design beizubehalten, während sie in einer Linie zusammenpassen. Verschiedene Schriftarten nutzen diesen Raum unterschiedlich, so dass einige Schriftarten größer erscheinen als andere, wenn sie in derselben Größe gesetzt werden. Dieses Konzept der individuellen Buchstabenkästen stammt aus den Prinzipien des Buchdrucks, der auf beweglichen Typen und der Herstellung von Bleiformen beruhte. Im Laufe der Zeit entwickelte sich der Druckprozess mit der Einführung von Maschinen wie der Linotype und Monotype, die das Setzen von Typen effizienter machten. Ebenso ermöglichte die fotomechanische Belichtung experimentelle Techniken im Grafikdesign, bei denen Fotografie zur Anordnung von Buchstaben verwendet wurde. In den 60er und 70er Jahren wurde die Schriftgestaltung zu einem integralen Bestandteil des kreativen Ausdrucks in der Hippie-Bewegung. Bei der arabischen Typographie dauerte die Entwicklung aufgrund des Mangels an Drucktechnologien jedoch länger. Die Verbreitung der Drucktechnologie wurde durch den Kolonialismus beeinflusst, da europäische Techniken bestimmte Schreibpraktiken formten und verbreiteten. In der digitalen Welt traten Einschränkungen hinsichtlich der Zeichensätze in frühen Computern auf. Unicode wurde eingeführt, um diese Probleme anzugehen und verschiedene Schriftarten darzustellen. Das Unicode-Konsortium hat eine umfangreiche Tabelle mit Zeichen erstellt, die alle lebenden Schreibweisen repräsentieren sollen und jedem Zeichen einen eindeutigen Unicode-Punkt zuweisen. Bei der Verwendung von Computern und Telefonen verwenden wir oft Unicode-Zeichencodes, um bestimmte Schriftarten anzuzeigen. Die Geräte sind jedoch auf Standardschriften angewiesen, um diese Zeichen auf Bildschirmen anzuzeigen. Früher waren Webdesigner auf „websichere Schriften“ beschränkt, die auf den meisten Geräten vorinstalliert waren. Mit der Einführung von Webeditoren und den Fortschritten bei skalierbaren Vektorfonts und PostScript hat sich die Flexibilität und Skalierbarkeit der Schriftdarstellung erheblich verbessert.
Dazu kommt in jüngster Vergangenheit, dass die Schriften nicht mehr gedruckt, sondern ausschließlich auf Bildschirmen dargestellt werden. Die unterschiedlichen Pixel erzeugen das Bild auf dem Bildschirm. Unsere Bildschirme sind erst in letzter Zeit so gut geworden. Früher mussten Buchstaben auf unterschiedliche Größen skaliert werden. Bei dem Google Projekt „Variable Fonts“ können nun auch Zwischenwerte ausgewählt werden. Die Schriften sind individuell anpassbar und bieten auch Vorteile für Menschen mit Leseschwierigkeiten. Google Fonts hat über 1.500 Schriftfamilien im Katalog und versucht, alle stilistischen Richtungen und Sprachen abzudecken. Das Noto-Projekt zielt darauf ab, eine Schrift für jede Sprache in Unicode zu haben. Schrift ist wichtig für die Bewahrung von Kultur.

Sep 28, 2023 • 42min
EGL035 Rotkäppchen als Über-Ich-Mädchen-Wolf-Monster und ein Wolf der Schwangerschaft vorspielt: Gebärmutterneid, Neopsychoanalyse, Märchen Teil 5
"Biologisch betrachtet, verschafft aber die Mutterschaft, beziehungsweise die Fähigkeit zu ihr, der Frau eine ganz unbestreitbare und nicht geringe physiologische Überlegenheit." Karen Horney 1926
Was passiert, wenn das Wolfmädchen namens *Rotkäppchen* das Über-Ich in Form der Großmutter schluckt? Das erfahrt ihr in dieser Episode, deren Ausgangspunkt Erich Fromms Interpretation des Märchens ist. Fromms Deutung gibt uns die Möglichkeit auch Karen Horney, der Neopsychoanalyse und dem Gebärmutterneid Raum zu geben. Diese Episode bezieht sich auf Erich Fromms Buch "Märchen, Mythen, Träume", das wir in Folge 33 vorstellen und in dem es unter anderem darum geht, das verlorene Verständnis für die symbolische Sprache in Mythen, Märchen und Traumdeutung wiederzuentdecken. Fromm bezeichnet diese als die einzige universale Sprache der Menschheit und vergleicht auch Traumdeutungstheorien von Freud und Jung. Doch entsteht während unseres Spaziergangs eine eigene Interpretation, in der wir Mädchen und Wolf als ein und dieselbe Person betrachten. Ein Schelm wer monströses dabei denkt.
Mitwirkende
Micz Flor
(Erzähler)
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Der folgende Text wird auf der Website des Goethe Instituts als Text der Brüder Grimm vorgestellt. Andere Fassungen oder Variationen stammen z.B. von Charles Perrault oder Ludwig Bechstein.
Es war einmal ein kleines, süßes Mädchen, das hatten alle lieb, die es nur ansahen, am allerliebsten aber hatte es seine Großmutter; die wusste gar nicht, was sie alles dem Kind geben sollte. Einmal schenkte sie ihm ein Käppchen aus rotem Samt, und weil ihm das so gut stand und es nichts anderes mehr tragen wollte, hieß es nur noch das Rotkäppchen.
Eines Tages sprach seine Mutter zu ihm: „Komm, Rotkäppchen, da hast du ein Stück Kuchen und eine Flasche Wein, bring das der Großmutter hinaus; sie ist krank und schwach und wird sich daran erfreuen. Sei artig und lauf nicht vom Weg ab, sonst fällst du und zerbrichst die Flasche, und die Großmutter hat nichts. Und wenn du in ihre Stube kommst, so vergiss nicht guten Morgen zu sagen, und guck nicht erst in allen Ecken herum.“
„Ich will schon alles gut machen“, sagte Rotkäppchen zur Mutter und gab ihr die Hand darauf. Die Großmutter aber wohnte draußen im Wald, eine halbe Stunde vom Dorf. Als Rotkäppchen nun in den Wald kam, begegnete ihm der Wolf. Rotkäppchen aber wusste nicht, was das für ein böses Tier war, und fürchtete sich nicht vor ihm.
— „Guten Tag, Rotkäppchen“, sprach er. — „Schönen Dank, Wolf.“ — „Wo hinaus so früh, Rotkäppchen?“ — „Zur Großmutter.“ — „Was trägst du unter der Schürze?“ — „Kuchen und Wein; gestern haben wir gebacken, damit soll sich die kranke und schwache Großmutter stärken.“ — „Rotkäppchen, wo wohnt deine Großmutter?“ — „Noch eine gute Viertelstunde weiter im Wald, unter den drei großen Eichbäumen, da steht ihr Haus; unten sind die Nusshecken, das wirst du ja wissen“, sagte Rotkäppchen.
Der Wolf dachte bei sich: „Das junge, zarte Ding, das ist ein fetter Bissen, der wird noch besser schmecken als die Alte. Du musst es listig anfangen, damit du beide schnappst.“ Da ging er ein Weilchen neben Rotkäppchen her, dann sprach er: „Rotkäppchen, sieh einmal die schönen Blumen, die rings umher stehen, warum guckst du dich nicht um? Ich glaube, du hörst gar nicht, wie die Vöglein so lieblich singen! Du gehst ja für dich hin, als wenn du zur Schule gingst, und es ist so lustig draußen im Wald.“
Rotkäppchen schlug die Augen auf, und sah, wie die Sonnenstrahlen durch die Bäume hin und her tanzten und alles voll schöner Blumen stand. Da dachte es: „Wenn ich der Großmutter einen frischen Strauß mitbringe, wird sie sich darüber freuen. Es ist noch früh am Tag, so dass ich doch zur rechten Zeit ankomme“, lief vom Weg ab in den Wald hinein und suchte Blumen. Und wenn es eine gepflückt hatte, meinte es, weiter hinaus stünde eine schönere, und lief danach und geriet immer tiefer in den Wald hinein.
Der Wolf aber ging geradewegs zum Haus der Großmutter und klopfte an die Tür.
— „Wer ist draußen?“ — „Rotkäppchen, das bringt Kuchen und Wein, mach auf.“ — „Drück nur auf die Klinke“, rief die Großmutter, „ich bin zu schwach und kann nicht aufstehen.“
Der Wolf drückte auf die Klinke, die Tür sprang auf, und er ging ohne ein Wort zu sprechen, gerade zum Bett der Großmutter und verschluckte sie. Dann zog er ihre Kleider an, setzte ihre Haube auf, legte sich in ihr Bett und zog die Vorhänge zu.
Rotkäppchen aber war nach den Blumen herumgelaufen und erst als es so viele zusammen hatte, dass es keine mehr tragen konnte, fiel ihm die Großmutter wieder ein, und es machte sich auf den Weg zu ihr. Es wunderte sich, dass die Tür offen stand, und wie es in die Stube kam, sah es so seltsam darin aus, dass es dachte: „Ei, du mein Gott, wie ängstlich wird es mir heute zumute, und bin sonst so gern bei der Großmutter!“ Es rief: „Guten Morgen!“, bekam aber keine Antwort. Darauf ging es zum Bett und zog die Vorhänge zurück. Da lag die Großmutter und hatte die Haube tief ins Gesicht gesetzt und sah so wunderlich aus.
— „Ei, Großmutter, was hast du für große Ohren?“ — „Dass ich dich besser hören kann!“ — „Ei, Großmutter, was hast du für große Augen?“ — „Dass ich dich besser sehen kann!“ — „Ei, Großmutter, was hast du für große Hände?“ — „Dass ich dich besser packen kann.“ — „Aber, Großmutter, was hast du für ein entsetzlich großes Maul?“ — „Dass ich dich besser fressen kann.“
Kaum hatte der Wolf das gesagt, so tat er einen Satz aus dem Bett und verschlang das arme Rotkäppchen.
Als der Wolf den fetten Bissen verschlungen hatte, legte er sich wieder ins Bett, schlief ein und fing an, laut zu schnarchen. Der Jäger ging eben an dem Haus vorbei und dachte: „Wie die alte Frau schnarcht! Du musst doch einmal nach ihr sehen.“ Da trat er in die Stube, und als er vor das Bett kam, sah er, dass der Wolf darin lag. „Finde ich dich hier, du alter Sünder“, sagte der Jäger, „ich habe dich lange gesucht.“ Nun wollte er sein Gewehr anlegen, da fiel ihm ein, der Wolf könnte die Großmutter verschlungen haben, und vielleicht ist sie noch zu retten. Er schoss nicht, sondern nahm eine Schere und fing an, dem schlafenden Wolf den Bauch aufzuschneiden. Als er ein paar Schnitte gemacht hatte, sah er das rote Käppchen leuchten, und noch ein paar Schnitte, da sprang das Mädchen heraus und rief:
„Ach, wie war ich erschrocken, wie war‘s so dunkel in dem Bauch des Wolfes!“ Und dann kam die Großmutter auch noch lebendig heraus und konnte kaum atmen. Rotkäppchen aber holte große, schwere Steine, damit füllten sie dem Wolf den Leib, und als er aufwachte, wollte er fortlaufen, aber die Steine waren so schwer, dass er gleich niedersank und tot umfiel. Da waren alle drei glücklich, der Jäger zog dem Wolf den Pelz ab, die Großmutter aß den Kuchen und trank den Wein, den Rotkäppchen gebracht hatte, und erholte sich wieder, Rotkäppchen aber dachte: „Du willst dein Lebtag nicht wieder allein vom Weg ab in den Wald laufen, wenn es dir die Mutter verboten hat.“

Sep 14, 2023 • 1h 33min
EGL034 Schneewittchen: vom Narzissmus bis zur Selfie-Culture
"Spieglein, Spieglein an der Wand..."
Wir begeben uns mal wieder in die Welt der Märchen. Flo hat das Märchen Sneewittchen der 1. Fassung von 1812 aus dem KHM (Kinder- und Hausmärchen) der Gebrüder Grimm mitgebracht. Flo hat das Märchen vorher eingesprochen, weil im Laufen Vorlesen nicht zu seinen Kernkompetenzen gehört. Wir hören uns das an, während wir über den samstäglichen Kreativ- und Fressmarkt am Maybachufer spazieren. Unsere Route führt uns am Kanal am Weigandufer entlang zur Neuköllner Kolonie "Freiheit". Wir sprechen über die Unterschiede von der 1. und letzten Fassung von Schneewittchen (KHM 6. Auflage 1850). Micz hat da einiges vorbereitet, was aus einem psychoanalytischen Blickwinkel sehr spannend ist. Wir kommen auch auf die narzisstische Persönlichkeit der Mutter / Stiefmutter zu sprechen und steigen tiefer in eine Narzissmus-Betrachtung ein. Flo hebt die Kulturgeschichte des Spiegels hervor und die astronomischen Aspekte des Märchens Schneewittchen. Die sieben Zwerge stellen mit Schneewittchen eine kosmologische Ordnung dar, wie die Planeten mit der Erde auf der Eklipse um die Sonne wandern. Eine böse Entität stört diese Raum- und Zeiteinheit, das muss wiederhergestellt werden. Wir steigen auch kurz in die Welt der Farben in diesem Märchen ab, die Farben Weiß, Rot, Schwarz machen die komplette dramatische Erzählung aus, wobei Weiß für die Unschuld, das Reine, das Gute steht und Schwarz für das Böse und Vergängliche. Rot verbindet die Anziehung, den Aufbruch, das (sexuell) Attraktive, die Leidenschaft und das Leben, was eben diese Ordnung von Schwarz und Weiß stören kann. Letztlich kommen wir auf gesellschaftlich erwartete Rolle der Frau zu sprechen, die Schneewittchen einnehmen muss, um von den Zwergen und dem Prinzen akzeptiert zu werden. Sie muss vor allen Dingen schön sein und haushälterische Tätigkeiten übernehmen. Selbst wenn sie vom Apfel beißt und in einem todesähnlichen Zustand verharrt, ist sie so schön, dass der Prinz sie überall hin mitträgt wie eine Instakachel im Smartphone. Flo spricht noch über die Geschichte der Fotografie und Selfie-Culture. Am Ende sind sich Flo und Micz einig, dass das Märchen Schneewittchen unglaublich viele Interpretationsansätze bietet und in der Komplexität und Ambivalenz einen sehr verdienten Platz in der Popkultur gefunden hat.
Shownotes
Laufroute
EGL034 | Wanderung | Komoot
Links zur Episode
Grimms Märchen – Wikipedia
Schneewittchen – Wikipedia
Aarne-Thompson-Uther-Index – Wikipedia
"Kobuto": Dokumentarfilm über das "Zentrum Kreuzberg"
Zentrum Kreuzberg – Wikipedia
Von Schneewittchen bis zum Sohn des Pilzkönigs. Märchen- und Mythenstrukturen in den Werken Marie Hermansons | Katrin Alas
Aschenputtel und ihre Schwestern – Frauenfiguren im Märchen | Gerda-Elisabeth Wittmann
Über: Bruno Bettelheim: Kinder brauchen Märchen | Heike vom Orde 2012
Medea – Wikipedia
Medea (1988) – Wikipedia
Der kaukasische Kreidekreis – Wikipedia
Selbstliebe – Wikipedia
Narzissmus – Wikipedia
Narziss – Wikipedia
Farben in Märchen | Kulturding
Zahlen im Märchen: Die Drei (Symbolik, Beispiele) - Märchenatlas
Die Zahl Sieben im Märchen (Symbolik, Beispiele) - Märchenatlas
Märchenhaftes Siebengebirge: Wie Schneewittchen hinter die sieben Berge kam | National Geographic
Ekliptik – Wikipedia
Geschichte der Astronomie – Wikipedia
Sesshaftigkeit – Wikipedia
Shiva – Wikipedia
GAG389: Spieglein, Spieglein an der Wand - Geschichten aus der Geschichte
Spiegel – Wikipedia
Spiegelsaal von Versailles – Wikipedia
Narzisstische Persönlichkeitsstörung – Wikipedia
Masturbation – Wikipedia
primärer Narzißmus - Lexikon der Psychologie
Übertragung (Psychoanalyse) – Wikipedia
ICD-10 – Wikipedia
ICD-11 – Wikipedia
Kolonie Freiheit - Anfahrt mit dem Auto oder den "Öffis"
Quartiersmanagement Weiße Siedlung: Die Weiße Siedlung
Alan Turing – Wikipedia
Selfie – Wikipedia
Geschichte und Entwicklung der Fotografie – Wikipedia
Mitwirkende
Florian Clauß
(Erzähler)
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Micz Flor
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Das Märchen Schneewittchen trägt bei Grimm den Index KHM 53. Nach dem Aarne-Thompson-Uther-Index (ATU) ordnet sich Sneewittchen mit der Nummer ATU 709 in die Gruppe „Andere übernatürliche Geschehnisse ATU 700–749“ ein, gleich neben den Sagen „Der Vater, der seine Tochter heiraten wollte“ und „Die Schwester von neun Brüdern“. Der ATU schafft mit der Sammlung von europäischen Sagen und Märchen noch mal eine bessere Vergleichbarkeit über die einzelnen Ländergrenzen hinaus.
In diesem Gespräch geht es um das Märchen Schneewittchen und verschiedene Interpretationen und Veränderungen im Laufe der Zeit. Wir erfahren, dass die Gebrüder Grimm eine niederdeutsche Version des Märchens veröffentlicht haben, in der eine Königin eifersüchtig auf die Schönheit von Schneewittchen ist und einen Jäger beauftragt, sie zu töten. Schneewittchen entkommt jedoch und findet Zuflucht bei den sieben Zwergen. Die Königin unternimmt mehrere Versuche, Schneewittchen zu töten, aber jedes Mal wird sie gerettet. Schließlich vergiftet die Königin Schneewittchen mit einem Apfel und sie fällt in einen todesähnlichen Schlaf, aus dem sie nur durch einen Kuss eines Prinzen erwacht.
Es gibt interessante Unterschiede in den verschiedenen Versionen des Märchens, zum Beispiel die verschiedenen Rollen der Zwerge. In einigen Versionen sind sie Diebe, Räuber, Riesen oder Elfen. Es ist auffällig, dass die Rolle der Stiefmutter erst später ins Märchen eingeführt wurde und dass in älteren Versionen die leibliche Mutter Schneewittchen misshandelt.
Die Rolle der Frau in Schneewittchen spiegelt das traditionelle Gesellschaftsbild wider, in dem Frauen erwartet wird, sich um den Haushalt zu kümmern, schön zu sein und eine bestimmte Rolle auszufüllen. Schneewittchen erfüllt diese Erwartungen während ihres Aufenthalts bei den Zwergen. Sie wird gewissermaßen als ein Accessoire betrachtet, das geduldet wird, solange es seine vorgegebene Rolle erfüllt. Dies erinnert an die Vorstellung der Frau als dienendes Wesen und verdeutlicht den männlichen Blick auf Frauen in der Gesellschaft.
Der magische Spiegel im Märchen hat eine tiefere Bedeutung, die in der modernen Welt relevant ist. Der Spiegel wird zum einen mit der Selbstreflexion und der Entwicklung von Eigenliebe in Verbindung gebracht. In diesem Zusammenhang werden die verschiedenen Ausprägungen des Narzissmus besprochen. Zum anderen kann er als eine Art Vorläufer der modernen Medien und der Selfie-Kultur angesehen werden. Der Spiegel scheint eine objektive Instanz zu sein, die die Wahrheit sagt. Er symbolisiert die Art und Weise, wie moderne Medien Informationen über das äußere Erscheinungsbild liefern und damit die Selbstwahrnehmung beeinflussen. Dies wird durch die Motivation der Königin, ihre Tochter umzubringen, um ihre eigene Schönheit zu bewahren, verdeutlicht. Dies erinnert an die heutige Praxis des Filterns und Retuschierens von Selfies in sozialen Medien, um ein idealisiertes äußeres Bild darzustellen.
Die Entwicklung der Fotografie und das Porträtieren sind weitere Aspekte, die in Schneewittchen reflektiert werden. Die Einführung der Fotografie um 1850 revolutionierte die Porträtmalerei und demokratisierte die Möglichkeit, gesellschaftliche Bilder zu fixieren. Dies erinnert an den gläsernen Sarg, der Schneewittchen im Märchen einfriert. In der heutigen Zeit kann der gläserne Sarg als eine Art Instagram-Fotografie angesehen werden.
Die Liebesgeschichte zwischen Schneewittchen und dem Prinzen wirft die Frage nach der wahren Natur der Liebe und Erkenntnis auf. Der Prinz verliebt sich nur in ein Spiegelbild, genauso wie die Königin, die sich selbst im Spiegel betrachtet. Beide verhaften einer äußeren Schönheit. Erst durch körperlichen Kontakt wird Schneewittchen wieder zum Leben erweckt, und sie akzeptiert bereitwillig die gesellschaftliche Rolle, die von ihr erwartet wird.
Hier der orginale Text des Märchens Sneewittchen aus dem Jahre 1812:
Sneewittchen (Schneeweißchen).
Es war einmal mitten im Winter, und die Schneeflocken fielen wie Federn vom Himmel, da saß eine schöne Königin an einem Fenster, das hatte einen Rahmen von schwarzem Ebenholz, und nähte. Und wie sie so nähte und nach dem Schnee aufblickte, stach sie sich mit der Nadel in den Finger, und es fielen drei Tropfen Blut in den Schnee. Und weil das Rothe in dem Weißen so schön aussah, so dachte sie: hätt ich doch ein Kind so weiß wie Schnee, so roth wie Blut und so schwarz wie dieser Rahmen. Und bald darauf bekam sie ein Töchterlein, so weiß wie der Schnee, so roth wie das Blut, und so schwarz wie Ebenholz, und darum ward es das Sneewittchen genannt.
Die Königin war die schönste im ganzen Land, und gar stolz auf ihre Schönheit. Sie hatte auch einen Spiegel, vor den trat sie alle Morgen und fragte:
„Spieglein, Spieglein an der Wand:wer ist die schönste Frau in dem ganzen Land?“
da sprach das Spieglein allzeit:
„Ihr, Frau Königin, seyd die schönste Frau im Land.“
Und da wußte sie gewiß, daß niemand schöner auf der Welt war. Sneewittchen aber wuchs heran, und als es sieben Jahr alt war, war es so schön, daß es selbst die Königin an Schönheit übertraf, und als diese ihren Spiegel fragte:
„Spieglein, Spieglein an der Wand:wer ist die schönste Frau in dem ganzen Land?“
sagte der Spiegel:
„Frau Königin, Ihr seyd die schönste hier,aber Snewittchen ist noch tausendmal schöner als Ihr!“
Wie die Königin den Spiegel so sprechen hörte, ward sie blaß vor Neid, und von Stund an haßte sie das Sneewittchen, und wenn sie es ansah, und gedacht, daß durch seine Schuld sie nicht mehr die schönste auf der Welt sey, kehrte sich ihr das Herz herum. Da ließ ihr der Neid keine Ruhe, und sie rief einen Jäger und sagte zu ihm: „führ das Sneewittchen hinaus in den Wald an einen weiten abgelegenen Ort, da stichs todt, und zum Wahrzeichen bring mir seine Lunge und seine Leber mit, die will ich mit Salz kochen und essen.“ Der Jäger nahm das Sneewittchen und führte es hinaus, wie er aber den Hirschfänger gezogen hatte und eben zustechen wollte, da fing es an zu weinen, und bat so sehr, er mögt ihm sein Leben lassen, es wollt nimmermehr zurückkommen, sondern in dem Wald fortlaufen. Den Jäger erbarmte es, weil es so schön war und gedachte: die wilden Thiere werden es doch bald gefressen haben, ich bin froh, daß ich es nicht zu tödten brauche, und weil gerade ein junger Frischling gelaufen kam, stach er den nieder, nahm Lunge und Leber heraus und bracht sie als Wahrzeichen der Königin mit, die kochte sie mit Salz und aß sie auf, und meinte sie hätte Sneewittchens Lunge und Leber gegessen.
Sneewittchen aber war in dem großen Wald mutterseelig allein, so daß ihm recht Angst ward und fing an zu laufen und zu laufen über die spitzen Steine, und durch die Dornen den ganzen Tag: endlich, als die Sonne untergehen wollte, kam es zu einem kleinen Häuschen. Das Häuschen gehörte sieben Zwergen, die waren aber nicht zu Haus, sondern in das Bergwerk gegangen. Sneewittchen ging hinein und fand alles klein, aber niedlich und reinlich: da stand ein Tischlein mit sieben kleinen Tellern, dabei sieben Löfflein, sieben Messerlein und Gäblein, sieben Becherlein, und an der Wand standen sieben Bettlein neben einander frisch gedeckt. Sneewittchen war hungrig und durstig, aß von jedem Tellerlein ein wenig Gemüs und Brod, trank aus jedem Gläschen einen Tropfen Wein, und weil es so müd war, wollte es sich schlafen legen. Da probirte es die sieben Bettlein nach einander, keins war ihm aber recht, bis auf das siebente, in das legte es sich und schlief ein.
Wie es Nacht war, kamen die sieben Zwerge von ihrer Arbeit heim, und steckten ihre sieben Lichtlein an, da sahen sie, daß jemand in ihrem Haus gewesen war. Der erste sprach: „wer hat auf meinem Stühlchen gesessen?“ Der zweite: „wer hat von meinem Tellerchen gegessen?“ Der dritte: „wer hat von meinem Brödchen genommen?“ Der vierte: „wer hat von meinem Gemüschen gegessen?“ Der fünfte: „wer hat mit meinem Gäbelchen gestochen?“ Der sechste: „wer hat mit meinem Messerchen geschnitten?“ Der siebente: „wer hat aus meinem Becherlein getrunken?“ Darnach sah der erste sich um und sagte: „wer hat in mein Bettchen getreten?“ Der zweite: „ei, in meinem hat auch jemand gelegen?“ und so alle weiter bis zum siebenten, wie der nach seinem Bettchen sah, da fand er das Sneewittchen darin liegen und schlafen. Da kamen die Zwerge alle gelaufen, und schrieen vor Verwunderung, und holten ihre sieben Lichtlein herbei, und betrachteten das Sneewittchen, „ei du mein Gott! ei du mein Gott! riefen sie, was ist das schön!“ Sie hatten große Freude an ihm, weckten es auch nicht auf, und ließen es in dem Bettlein liegen; der siebente Zwerg aber schlief bei seinen Gesellen, bei jedem eine Stunde, da war die Nacht herum. Als nun Sneewittchen aufwachte, fragten sie es, wer es sey und wie es in ihr Haus gekommen wäre, da erzählte es ihnen, wie seine Mutter es habe wollen umbringen, der Jäger ihm aber das Leben geschenkt, und wie es den ganzen Tag gelaufen, und endlich zu ihrem Häuslein gekommen sey. Da hatten die Zwerge Mitleiden und sagten: „wenn du unsern Haushalt versehen, und kochen, nähen, betten, waschen und stricken willst, auch alles ordentlich und reinlich halten, sollst du bei uns bleiben und soll dir an nichts fehlen; Abends kommen wir nach Haus, da muß das Essen fertig seyn, am Tage aber sind wir im Bergwerk und graben Gold, da bist du allein; hüt dich nur vor der Königin und laß niemand herein.“
Die Königin aber glaubte, sie sey wieder die allerschönste im Land, trat Morgens vor den Spiegel und fragte:
„Spieglein, Spieglein an der Wand:wer ist die schönste Frau in dem ganzen Land?“
da antwortete der Spiegel aber wieder:
„Frau Königin, Ihr seyd die schönste hier:aber Sneewittchen, über den sieben Bergen istnoch tausendmal schöner als Ihr!“
wie die Königin das hörte erschrack sie und sah wohl, daß sie betrogen worden und der Jäger Sneewittchen nicht getödtet hatte. Weil aber niemand, als die sieben Zwerglein in den sieben Bergen war, da wußte sie gleich, daß es sich zu diesen gerettet hatte, und nun sann sie von neuem nach, wie sie es umbringen könnte, denn so lang der Spiegel nicht sagte, sie wär die schönste Frau im ganzen Land, hatte sie keine Ruh. Da war ihr alles nicht sicher und gewiß genug, und sie verkleidete sich selber in eine alte Krämerin, färbte ihr Gesicht, daß sie auch kein Mensch erkannte, und ging hinaus vor das Zwergenhaus. Sie klopfte an die Thür und rief: „macht auf, macht auf, ich bin die alte Krämerin, die gute Waare feil hat.“ Sneewittchen guckte aus dem Fenster: „was habt ihr denn?“ – „Schnürriemen, liebes Kind,“ sagte die Alte, und holte einen hervor, der war von gelber, rother und blauer Seide geflochten: „willst du den haben?“ – Ei ja, sprach Sneewittchen, und dachte die gute alte Frau kann ich wohl hereinlassen, die meints redlich; riegelte also die Thüre auf und handelte sich den Schnürriemen. „Aber wie bist du so schlampisch geschnürt, sagte die Alte, komm ich will dich einmal besser schnüren.“ Sneewittchen stellte sich vor sie, da nahm sie den Schnürriemen und schnürte und schnürte es so fest, daß ihm der Athem verging, und es für todt hinfiel. Darnach war sie zufrieden und ging fort.
Bald darauf ward es Nacht, da kamen die sieben Zwerge nach Haus, die erschracken recht, als sie ihr liebes Sneewittchen auf der Erde liegen fanden, als wär es todt. Sie hoben es in die Höhe, da sahen sie, daß es so fest geschnürt war, schnitten den Schnürriemen entzwei, da athmete es erst, und dann ward es wieder lebendig. „Das ist niemand gewesen, als die Königin, sprachen sie, die hat dir das Leben nehmen wollen, hüte dich und laß keinen Menschen mehr herein.“
Die Königin aber fragte ihren Spiegel:
„Spieglein, Spieglein an der Wand:wer ist die schönste Frau in dem ganzen Land?“
der Spiegel antwortete:
„Frau Königin, Ihr seyd die schönste hier,aber Sneewittchen bei den sieben Zwergelchenist tausendmal schöner als Ihr.“
Sie erschrack, daß das Blut ihr all zum Herzen lief, da sie sah, daß Sneewittchen wieder lebendig geworden war. Darnach sann sie den ganzen Tag und die Nacht, wie sie es doch noch fangen wollte, und machte einen giftigen Kamm, verkleidete sich in eine ganz andere Gestalt, und ging wieder hinaus. Sie klopfte an die Thür, Sneewittchen aber rief: „ich darf niemand hereinlassen;“ da zog sie den Kamm hervor, und als Sneewittchen den blinken sah und es auch jemand ganz fremdes war, so machte es doch auf, und kaufte ihr den Kamm ab. „Komm ich will dich auch kämmen,“ sagte die Krämerin, kaum aber stack der Kamm dem Sneewittchen in den Haaren, da fiel es nieder und war todt. „Nun wirst du liegen bleiben,“ sagte die Königin, und ihr Herz war ihr leicht geworden, und sie ging heim. Die Zwerge aber kamen zu rechter Zeit, sahen was geschehen, und zogen den giftigen Kamm aus den Haaren, da schlug Sneewittchen die Augen auf, und war wieder lebendig, und versprach den Zwergen, es wollte gewiß niemand mehr einlassen.
Die Königin aber stellte sich vor ihren Spiegel:
„Spieglein, Spieglein an der Wand:wer ist die schönste Frau in dem ganzen Land!“
der Spiegel antwortete:
„Frau Königin, Ihr seyd die schönste hier,aber Sneewittchen, bei den sieben Zwergelchenist tausendmal schöner als Ihr!“
Wie das die Königin wieder hörte, zitterte und bebte sie vor Zorn: „so soll das Sneewittchen noch sterben, und wenn es mein Leben kostet!“ Dann ging sie in ihre heimlichste Stube, und niemand durfte vor sie kommen, und da machte sie einen giftigen, giftigen Apfel, äußerlich war er schön und rothbäckig, und jeder der ihn sah, bekam Lust dazu. Darauf verkleidete sie sich als Bauersfrau, ging vor das Zwerghaus und klopfte an. Sneewittchen guckte und sagte: „ich darf keinen Menschen einlassen, die Zwerge haben mirs bei Leibe verboten.“ „Nun, wenn Ihr nicht wollt, sagte die Bäuerin, kann ich euch nicht zwingen, meine Aepfel will ich schon los werden, da, einen will ich euch zur Probe schenken.“ – „Nein, ich darf auch nichts geschenkt nehmen, die Zwerge wollens nicht haben.“ – „Ihr mögt Euch wohl fürchten, da will ich den Apfel entzwei schneiden und die Hälfte essen, da den schönen rothen Backen sollt Ihr haben;“ der Apfel war aber so künstlich gemacht, daß nur die rothe Hälfte vergiftet war. Da sah Sneewittchen, daß die Bäuerin selber davon aß, und sein Gelüsten darnach ward immer größer, da ließ es sich endlich die andere Hälfte durchs Fenster reichen, und biß hinein, kaum aber hatte es einen Bissen im Mund, so fiel[1] es todt zur Erde.
Die Königin aber freute sich, ging nach Haus und fragte den Spiegel:
„Spieglein, Spieglein an der Wand:wer ist die schönste Frau in dem ganzen Land?“
da antworte er:
„Ihr, Frau Königin, seyd die schönste Frau im Land!“
„Nun hab ich Ruhe“ sprach sie, „da ich wieder die schönste im Lande bin, und Sneewittchen wird diesmal wohl todt bleiben.“
Die Zwerglein kamen Abends aus den Bergwerken nach Haus, da lag das liebe Sneewittchen auf dem Boden und war todt. Sie schnürten es auf, und sahen, ob sie nichts giftiges in seinen Haaren fänden, es half aber alles nichts, sie konnten es nicht wieder lebendig machen. Sie legten es auf eine Bahre, setzten sich alle sieben daran, weinten und weinten drei Tage lang, dann wollten sie es begraben, da sahen sie aber daß es noch frisch und gar nicht wie ein Todter aussah, und daß es auch seine schönen rothen Backen noch hatte. Da ließen sie einen Sarg von Glas machen, legten es hinein, daß man es recht sehen konnte, schrieben auch mit goldenen Buchstaben seinen Namen darauf und seine Abstammung, und einer blieb jeden Tag zu Haus und bewachte es.
So lag Sneewittchen lange, lange Zeit in dem Sarg und verweste nicht, war noch so weiß als Schnee, und so roth als Blut, und wenns die Aeuglein hätte können aufthun, wären sie so schwarz gewesen wie Ebenholz, denn es lag da, als wenn es schlief. Einmal kam ein junger Prinz zu dem Zwergenhaus und wollte darin übernachten, und wie er in die Stube kam und Sneewittchen in dem Glassarg liegen sah, auf das die sieben Lichtlein so recht ihren Schein warfen, konnt er sich nicht satt an seiner Schönheit sehen, und las die goldene Inschrift und sah, daß es eine Königstochter war. Da bat er die Zwerglein, sie sollten ihm den Sarg mit dem todten Sneewittchen verkaufen, die wollten aber um alles Gold nicht; da bat er sie, sie mögten es ihm schenken, er könne nicht leben ohne es zu sehen, und er wolle es so hoch halten und ehren, wie sein Liebstes auf der Welt. Da waren die Zwerglein mitleidig und gaben ihm den Sarg, der Prinz aber ließ ihn in sein Schloß tragen, und ließ ihn in seine Stube setzen, er selber saß den ganzen Tag dabei, und konnte die Augen nicht abwenden; und wenn er aus mußte gehen und konnte Sneewittchen nicht sehen, ward er traurig, und er konnte auch keinen Bissen essen, wenn der Sarg nicht neben ihm stand. Die Diener aber, die beständig den Sarg herumtragen mußten, waren bös darüber, und einer machte einmal den Sarg auf, hob Sneewittchen in die Höh und sagte: „um so eines todten Mädchens willen, werden wir den ganzen Tag geplagt,“ und gab ihm mit der Hand einen Stumpf in den Rücken. Da fuhr ihm der garstige Apfelgrütz, den es abgebissen hatte, aus dem Hals, und da war Sneewittchen wieder lebendig. Da ging es hin zu dem Prinzen, der wußte gar nicht, was er vor Freuden thun sollte, als sein liebes Sneewittchen lebendig war, und sie setzten sich zusammen an die Tafel und aßen in Freuden.
Auf den andern Tag ward die Hochzeit bestellt, und Sneewittchens gottlose Mutter, auch eingeladen. Wie sie nun am Morgen vor dem Spiegel trat und sprach:
„Spieglein, Spieglein an der Wand:wer ist die schönste Frau in dem ganzen Land!“
da antwortete er:
„Frau Königin, Ihr seyd die schönste hier,aber die junge Königin ist tausendmal schöner als Ihr!“
Als sie das hörte, erschrack sie, und es war ihr so Angst, so Angst, daß sie es nicht sagen konnte. Doch trieb sie der Neid, daß sie auf der Hochzeit die junge Königin sehen wollte, und wie sie ankam, sah sie, daß es Sneewittchen war; da waren eiserne Pantoffeln im Feuer glühend gemacht, die mußte sie anziehen und darin tanzen, und ihre Füße wurden jämmerlich verbrannt, und sie durfte nicht aufhören bis sie sich zu todt getanzt hatte.
https://de.wikisource.org/wiki/Sneewittchen_(Schneewei%C3%9Fchen)_(1812)

Aug 31, 2023 • 58min
EGL033 Märchen, Mythen, Träume: Erich Fromms Ansatz zur Traumdeutung in Abgrenzung von S. Freud und C. G. Jung (Märchen Teil 3)
Wir sind der Autor, es ist unser Traum, wir haben die Handlung erfunden.
In dieser Episode betrachten wir Erich Fromm und sein Buch “Märchen, Mythen, Träume” als Teil der Eigentlich-Serie über Märchen. Erich Fromm betrachtet in seinem Text die Verbindung zwischen Traumdeutung und Märcheninterpretation. Er beginnt mit einer Betrachtung des Symbolismus und unterscheidet zwischen manifesten und latenten Inhalten in Mythen und Märchen. Dies führt ihn zur Traumdeutung, bei der ebenfalls Symbole und latente Inhalte gedeutet werden. Fromm stellt die Ansätze von Sigmund Freud und Carl Gustav Jung zur Traumdeutung vor, grenzt sich jedoch von beiden ab. Er argumentiert, dass weder Jungs mythische Ansätze noch Freuds Fokus auf irrationale libidinöse Kräfte ausreichend sind. Stattdessen betont er, dass das Denken und Fühlen durch unser Handeln beeinflusst wird. Zuletzt wollten wir Fromms Interpretation des Rotkäppchen Märchens vorstellen, die haben wir dann aber um einen Monat in die Zukunft verschoben.
Shownotes
Laufroute
EGL033 | Wanderung | Komoot
Links zur Episode
Helmut Johach: 'Erich Fromms Einfluss auf die Humanistische Psychologie' (Auszug)
'Erich Fromms Einfluss auf die Humanistische Psychologie' rezensiert von Prof. Dr. Manfred Gerspach
Erwähnt: Erich Fromms 'Haben oder Sein'
Erwähnt: Erich Fromms 'Die Kunst des Liebens'
Das Buch Jona und der Bauch des Fisches
Inception, der Film
Erich Fromms Plakette am Bayrischen Platz 1 verweist mittels QR auf mehr Informationen
Perlentaucher-Besprechung: Der Ego-Tunnel - Vom Mythos des Selbst zur Ethik des Bewusstseins
Half-Brained Ducks in a Row - science.org
Freuds Traumdeutung erschien am 4. November 1899 und wurde auf das Jahr 1900 vordatiert.
Supernova im Orion? Was Beteigeuzes Verdunkelung bedeutet - nationalgeographic.de
Sensationsfund: Der Schauplatz der biblischen Sintflut - Tagesspiegel
Die Sintflut in der Bibel. Von der Strafe zur Gnade Gottes - DLF
Mitwirkende
In Schöneberg teilten sich die Wolken und diese Episode: Der Besprechung des Buchs „Märchen, Mythen, Träume: Eine Einführung in das Verständnis einer vergessenen Sprache“ von Erich Fromm sollte auch Fromms Interpretation des Märchens Rotkäppchen beigefügt werden. Das haben wir dann kurzerhand gesplittet und zwei Episoden daraus gemacht. Die vorliegende Episode reflektiert das Buch und zitiert Erich Fromm. (Rotkäppchen ist eine eigene Episode mit der Nummer 35.)
Wenn wir schlafen, erwachen wir zu einer anderen Daseinsform. Wir träumen. Wir erfinden Geschichten, die sich nie ereignet haben und für die es im wirklichen Leben manchmal keine Entsprechung gibt. Manchmal sind wir der Held, manchmal der Bösewicht; manchmal erleben wir die herrlichsten Dinge und sind glücklich; oft werden wir in höchsten Schrecken versetzt. Doch welche Rolle wir auch immer im Traum spielen, wir sind der Autor, es ist unser Traum, wir haben die Handlung erfunden.
Erich Fromm: Märchen, Mythen, Träume (2007) Seite 12
Verwandtschaft der Traumdeutung und der Interpretation von Märchen
Fromm bekommt schnell die Kurve Traumdeutung und Interpretation von Märchen gemeinsam zu betrachten. Seine Ausführungen beginnt er mit einem Blick auf Symbolismus, gefolgt von der Unterscheidung manifester und latenter Inhalte in Mythen und Märchen. Daraus baut er zügig eine Brücke in die Traumdeutung, werden dabei doch ebenso Symbole und latente Inhalte gedeutet. Fromm stellt Sigmund Freuds und Carl Gustav Jungs Ansätze zur Traumdeutung vor, um sich anschließend von beiden abgrenzt wenn er schreibt:
Es ist weder Jungs mythisches Reich mit seinen aus der Gattungsgeschichte ererbten Erfahrungen, noch Freuds Sitz irrationaler libidinöser Kräfte. Wir müssen es vielmehr gemäß dem Grundsatz verstehen: ‚Was wir denken und fühlen, wird von dem beeinflusst, was wir tun.‘
Erich Fromm: Märchen, Mythen, Träume (2007) Seite 29
Damit gibt er uns auch eine schöne Zusammenfassung, bevor wir jetzt — auch wieder mit Zitaten Fromms — etwas mehr ins Detail gehen.
Sigmund Freud: Das Unbewusste als treibende, drängende Kraft
Fromm erinnert uns:
Es war Freud, der zu Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts die alte Auffassung neu bestätigte, dass die Träume sinn- und bedeutungsvoll sind, dass wir nichts träumen, was nicht ein wichtiger Ausdruck unseres Innenlebens ist, und dass man alle Träume verstehen kann, wenn man nur den Schlüssel dazu besitzt.
Erich Fromm: Märchen, Mythen, Träume (2007) Seite 26
Sigmund Freuds Theorien betont die Verbindung zwischen verdrängten Wünschen und symbolischen Trauminhalten. Freud interpretiert Träume als Kanäle, durch die verbotene oder unterdrückte Wünsche ans Licht kommen, oft verpackt in verschlüsselte Bilder. Sein Ansatz ist stark psychoanalytisch geprägt und konzentriert sich auf die Entschlüsselung latenter Bedeutungen hinter den manifesten Trauminhalten.
Die Kritik an Freuds Konzeption besteht vor allem auch darin, dass sich alles auf das alte bezieht, auf verdrängtes, un- und vorbewusstes, was nach oben drängt und im Traum nicht gut in Schach gehalten werden kann. Aber haben Träume nicht auch das Potential nach vorne zu Blicken, Pläne und Lösungen anzuregen? Carl Gustav Jung schreibt dazu: „Die Seele ist Durchgangspunkt, daher notwendigerweise nach zwei Seiten bestimmt. Sie gibt einerseits ein Bild vom Niederschlag alles Vergangenen, und in diesem andererseits ein Bild der keimenden Erkenntnis alles Kommenden, insofern die Seele selber die Zukunft schafft.“ (C. G. Jung, 1968, S. 205, vgl. Erich Fromm: Märchen, Mythen, Träume (2007) Seite 68)
Carl Gustav Jung: Archetypen und individuelle Entwicklung
Jungs Ansatz zur Traumdeutung ist geprägt von seiner Theorie des kollektiven Unbewussten und der Bedeutung von Archetypen. Er argumentiert, dass Träume nicht nur persönliche, sondern auch universelle, kulturelle und symbolische Elemente enthalten. Für Jung sind Träume eine Art, sich mit tiefen Schichten des Selbst und dem kollektiven Erbe der Menschheit zu verbinden.
Fromm streut Salz direkt in Jungs spirituelle Öffnung (oder Wunde?). Ich finde den folgenden Text sehr hilfreich, um neben C. G. Jungs transzendentem Ansatz vor allem auch Erich Fromms Abgrenzung von dieser zu verstehen. Deshalb lasse ich die längere Textpassage aus Fromms Buch mal laufen:
Aber Jung geht noch weiter und behauptet, diese Tatsache sei „ohne Zweifel ein grundlegendes religiöses Phänomen“, und die Stimme, die in unseren Träumen spreche, sei nicht unsere eigene, sondern komme aus einer Quelle, die uns transzendiere. Auf den Einwand, „dass die von der Stimme vertretenen Gedanken nichts anderes seien als die Gedanken des Individuums selbst“, antwortete er (C. G. Jung, 1937, S.41f.):„Das mag sein; aber ich würde einen Gedanken nur dann meinen eigenen nennen, wenn ich ihn gedacht habe, ebenso wie ich Geld nur dann als mein eigenes bezeichnen würde, wenn ich es bewusst und legitim erworben habe. Wenn jemand mir das Geld als Geschenk gibt, werde ich zu meinem Wohltäter sicherlich nicht sagen: „Ich danke dir für mein Geld“, obwohl ich nachher zu einer dritten Person sagen könnte: „Dies ist mein eigenes Geld.“ Mit der Stimme bin ich in einer ähnlichen Lage. Die Stimme gibt mir gewisse Inhalte, genau so, wie ein Freund mir seine Ideen mitteilen würde. Es wäre weder anständig noch wahrheitsgemäß, sondern ein Plagiat, zu behaupten, dass, was er sagt, ursprünglich und zuerst meine eigenen Ideen gewesen seien.“
Erich Fromm: Märchen, Mythen, Träume (2007) Seite 68
Erich Fromm: Träume mit Potential im umgebender Gesellschaft
Erich Fromm bring eine sozialere Dimension in die Traumdeutung ein. Er betont, dass Träume nicht nur individuelle, sondern auch soziale und kulturelle Bedeutung haben. Fromm sieht Träume als Reflektion der gesellschaftlichen Umstände und als Ausdruck von individuellen Anpassungen an die soziale Realität. Sein Ansatz legt Wert auf Authentizität und Selbstverwirklichung, während er gleichzeitig die Wechselwirkungen zwischen dem persönlichen und dem gesellschaftlichen Kontext betont.
Und dann ist die Zeit auch schon um! Die letzten Schleifen liefen wir in einem Park, denn Flo rechnete bei der Planung der Route nicht mit Überstunden. Deshalb verschieben wir die Rotkäppchen-Interpretation in die übernächste Episode.

Aug 17, 2023 • 2h 5min
EGL032 Beau is afraid: Ari Asters überladenes surrealistisches Werk, das Ängste, Schuldgefühle und Traumata visualisiert
"Thank you, sorry, thank you!"
Wie vor einem Jahr ist Chris wieder zu Besuch in Berlin und auch diesmal nehmen Chris und Flo nach Midsommar einen Podcast über das neueste Werk von Ari Aster auf: Beau is afraid. Wir beide verehren den Hauptdarsteller Joaquim Phoenix sehr. Wir unterhalten uns über das tragische Schicksal von Joaquims Bruder River Phoenix, über die Erfolge der Produktionsfirma A24 und Ari Asters Filmografie, bevor wir dann zum eigentlichen Kernstück des Podcast kommen: dem Film "Beau is afraid". Wir sind uns einig, dass die ersten beiden Teile des Films, die Szenen in und um Beaus Wohnung und die Familiengeschichte in der Vorstadt, die stärksten Teile des Films sind. Angst, Schuld und Trauma werden hier in verschiedenen Varianten des gesellschaftlichen und familiären Zusammenlebens ausgelotet, die alptraumhafte Zustände annehmen. Chris bemerkt, dass Beau im Alltag mit einer Sprachfloskel eine Strategie entwickelt hat, mit der er seine Angst in der Konfrontation mit seiner Umwelt bewältigen möchte: "Thank you, sorry, thank you." Doch damit schliddert er von einer katastrophalen Situation in die nächste, ohne die Möglichkeit zu bekommen, die Situation selbst in die Hand nehmen zu können. Der Zuschauer könnte annehmen, dass Beau in einer fast schuldlosen Weise seinem Schicksal ausgeliefert sei, wäre da nicht seine Mutter. Die zweite Hälfte des Films wird von einem Mutter-Sohn Konflikt dominiert, der manchmal so banal ist, dass nur die überladenen und ausschweifenden Bilderwelten von Ari Aster der Leinwand etwas Gehaltvolles geben können. Der Film schafft trotz allem und gerade dank der genialen Kameraführung und des ausschweifenden Set-Designs mächtige Bilder, die im Kopf hängen bleiben. Wir tauchen in verschiedenen Tiefen des Films ab, sind uns uneins über die Bedeutung des Ganzen, finden aber schöne Referenzen in anderen Werken und gesellschaftlichen Phänomenen. Unsere Route führt uns durch das periphere Lichtenberg an einem heißen Nachmittag unter der Woche, das so leer und leblos wirken kann wie das Ende des Films Beau is afraid.
Shownotes
Laufroute
EGL032 | Wanderung | Komoot
Links zur Episode
Ari Aster – Wikipedia
Beau Is Afraid - Wikipedia
A24 (Unternehmen) – Wikipedia
Hereditary (film) - Wikipedia
Midsommar - Wikipedia
Joaquin Phoenix - Wikipedia
Parker Posey - Wikipedia
Nathan Lane - Wikipedia
Stephen McKinley Henderson - Wikipedia
Gladiator (2000 film) - Wikipedia
River Phoenix - Wikipedia
Inherent Vice (film) - Wikipedia
Fear and Loathing in Las Vegas (film) - Wikipedia
Inherent Vice - Wikipedia
Thomas Pynchon - Wikipedia
My Own Private Idaho - Wikipedia
Speedball (Droge) – Wikipedia
Gus Van Sant - Wikipedia
Kurt Cobain - Wikipedia
Stand by Me (film) - Wikipedia
The Family International - Wikipedia
People for the Ethical Treatment of Animals - Wikipedia
Last Days (2005 film) - Wikipedia
Comic Relief (Stilmittel) – Wikipedia
Narzissmus – Wikipedia
Station Eleven (miniseries) - Wikipedia
Oxycodon – Wikipedia
Opioidkrise in den Vereinigten Staaten – Wikipedia
Fentanyl - Wikipedia
All the Beauty and the Bloodshed - Wikipedia
Laura Poitras - Wikipedia
Edward Snowden – Wikipedia
Citizenfour – Wikipedia
Nan Goldin - Wikipedia
Sackler family - Wikipedia
Brown recluse spider - Wikipedia
Pawel Pogorzelski - Wikipedia
Die Archetypen und das kollektive Unbewußte von C. G. Jung — Gratis-Zusammenfassung
Gernhardt, Robert: Reim und Zeit | Reclam Verlag
The Strange Thing About The Johnsons (2011) A Short Film by Ari Aster - YouTube
Das siebente Siegel – Wikipedia
Fanny und Alexander – Wikipedia
Mitwirkende
Chris Flor
(Erzähler)
Florian Clauß
Bluesky
Mastodon
Soundcloud
Website
Verwandte Episoden
EGL056 Veganes Kochen mit Tipps und Tricks aus der täglichen Küche
Der Film „Beau is afraid“ von Ari Aster entführt die Zuschauer in ein dichtes Gewebe von Ängsten, Neurosen und Traumata. Mit Hauptdarsteller Joaquin Phoenix, der in dem Film einen verstörten und ängstlichen End-40er mit grauen Haaren verkörpert, gelingt es dem Regisseur, eine Vielzahl archaischer Motive aus der Antike und der Gegenwart zu verweben. Das Ergebnis ist eine surreale und alptraumhafte Komödie, die von familiären Schlachtfeldern und toxischen Beziehungen geprägt ist.
Eine der stärksten Motive im Film ist die Mutter-Sohn-Beziehung. Von Anfang an wird der Hauptfigur Beau eine tiefe Angst und Schuld attestiert, die er mithilfe von Tabletten zu ertragen versucht. Der Film lässt sich nicht ohne einen psychologisierenden Blick betrachten, da er sich intensiv mit den individuellen und gesellschaftlichen Ängsten auseinandersetzt.
Eine interessante Parallele zum Film „Beau is afraid“ lässt sich in Laura Poitras‚ Dokumentarfilm „All the Beauty and the Bloodshed“ finden, der über die Fotografin Naan Goldin und ihre Aktivismus gegen die Familie Sackler berichtet. Goldin wurde 2014 von einer Medikamentenabhängigkeit von dem Schmerzmittel Oxycontin betroffen, was als Teil der dritten Welle der Drogentoten-Epidemie angesehen wird, die durch eine Opium-Krieg im eigenen Land hervorgerufen wurde.
Ein weiteres herausragendes Element im Film ist eine Theatergruppe, die als eine Art Parallelgesellschaft und einzige normale Entität in einer verschobenen „Normalgesellschaft“ dargestellt wird. Diese Parallele erinnert an den Roman „Station Eleven“ und wirft Fragen nach dem Wert von Kunst und der Bedeutung von Gemeinschaft in einer dystopischen Welt auf.
In einer kritischen Analyse des Films lässt sich feststellen, dass Ari Aster mit „Beau is afraid“ auf hohem Niveau gescheitert ist. Der Film wirkt überladen und es fehlt ihm an einer klaren Struktur. Der Regisseur nimmt sich die Freiheit, das zu machen, was er will, doch leider fehlt es an Disziplin und Klarheit, die in seinem früheren Werk „Midsommar“ noch zu finden waren. Stattdessen werden die Zuschauer in den unklaren Gefilden und Willkürlichkeiten des Regisseurs zurückgelassen.
Die Bilderwelten und die surrealistischen Elemente des Films sind beeindruckend, aber es fällt schwer, einen roten Faden oder eine verständliche Struktur in ihnen zu erkennen. Ari Aster lässt den Zuschauer in einem Irrgarten der Angst zurück, ohne eine klare Allegorie oder eine Möglichkeit der Interpretation anzubieten. Die Handlung wird zunehmend verwirrend, und ab der 90. Minute fühlt man sich als Zuschauer nur noch der Einbildungskraft des Regisseurs ausgeliefert.
Die Paranoia, die als Kernbestandteil der amerikanischen Gesellschaft betrachtet wird, ist ein ergiebiges Thema, das Ari Aster in „Beau is afraid“ anspricht. Die ökonomische Abhängigkeit und die Überwachung erzeugen eine Paranoia, die wiederum Ängste und Verrücktheiten auslöst. Leider bleibt der Film in der Umsetzung hinter seinen Möglichkeiten zurück. Der Mutter-Sohn-Konflikt und die verwirrenden Animationen dominieren die Handlung, während die gesellschaftliche Diagnose und die Paranoia in den Hintergrund geraten.
Insgesamt ist „Beau is afraid“ ein Film, der mit vielversprechenden Ansätzen startet, aber letztendlich an einer Überladung und mangelnder Klarheit scheitert. Ari Aster packt zu viele Elemente und Ideen in den Film, ohne ihnen eine klare Struktur zu geben. Der Film bietet einen Einblick in individuelle Ängste und gesellschaftliche Paranoia, verliert jedoch zunehmend an Fokus und lässt den Zuschauer mit einem Rätsel zurück. Trotz einiger beeindruckender Momente bleibt die Substanz des Films letztendlich unausgeschöpft und führt zu einer enttäuschenden Erfahrung.
Fotos zur Laufroute

Aug 3, 2023 • 2h 5min
EGL031 Oppenheimer Film: Die Trinity der Atombombe-Urteil-Intrige Zeitstränge
„Jetzt bin ich der Tod geworden, der Zerstörer der Welten.“
Im Delphi Filmpalast am Zoo sahen wir Christopher Nolans Film "Oppenheimer" und beginnen -- während der Abspann noch läuft -- vor dem Kino mit einer Reflektion des Films. Es geht im Film um die Lebensgeschichte von J. Robert Oppenheimer, einem amerikanischen Physiker, der eine zentrale Rolle bei der Entwicklung der Atombombe während des Zweiten Weltkriegs spielte. Nolans Blockbuster beginnt mit Oppenheimer, der seine Lebensgeschichte vorlesen möchte. Er tut dies in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg vor einem Untersuchungsausschuss, also auch nach der Glanzzeit von J. Robert Oppenheimer, dem charismatischen Wunderkind der Wissenschaft. Seine Erzählung trägt uns zurück in die Studienzeit Oppenheimers begleitet. Zu den beiden Zeitebenen "Werdegang" und "Untersuchungsausschuss" kommt noch ein dritter hinzu: "Intrige". Erst wenn alle drei Stränge sich ineinanderfalten und die Trinity von Atombombe-Urteil-Intrige explodiert, kommt der Film zum Urteil: alleine wenn etwas passieren kann, ist alles schon zu Ende.
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Links zur Episode
Robert Oppenheimer – Wikipedia
Christopher Nolan – Wikipedia
Manhattan-Projekt – Wikipedia
Anterograde Amnesie beschreibt die Störung in Memento
Die Armbrust und geächtete Kriegsmittel
Prometheus – Wikipedia
Otto Hahn – Wikipedia
Trinity-Test – Wikipedia
Krieg – Wikipedia
Mitwirkende
Micz Flor
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In der Nähe des Bahnhof Zoos, vor dem Delphi Kino beginnen wir Aufnahme und Reflektion des Films „Oppenheimer“. Christopher Nolans Blockbuster entführt uns auf eine filmische Reise in das Leben des charismatischen Wissenschaftlers J. Robert Oppenheimer. Wir nehmen den Film im Handgepäck mit, versuchen die Echtzeit-Reflektion jedoch mit einer Formulierung unserer emotionalen Färbung direkt nach dem Ende zu beginnen. Was wir erleben ist Wut und Hoffnungslosigkeit — und das ist keine Antwort auf die Inhalte sondern die Wirkung des Films.
Wir verheddern uns in den Nebenstraßen Charlottenburgs genauso wie in der Filmografie Nolans. Nachreichen möchten wir hier, dass der Schauspieler in Memento Guy Pearce heißt und später in „The Time Machine“ (2002) die Hauptrolle spielt, der lose auf dem gleichnamigen Roman von H. G. Wells basiert.
„Oppenheimer“ bezieht sich stark auf die Biografie „American Prometheus: The Triumph and Tragedy of J. Robert Oppenheimer“ von Kai Bird und Martin J. Sherwin. Nolan nimmt uns mit auf Oppenheimers akademischen Werdegang, seine Beiträge zur theoretischen Physik und den unaufhaltsamen nuklearen Countdown. Oppenheimer selbst wird nicht nur als charismatischer Intellektueller dargestellt, sondern auch als Autor und Regisseur des Manhattan-Projekts. Er stellt ein Team führender Wissenschaftler:innen zusammen, um die Theorie der Quantenmechanik mit der Praxis der Kernspaltung zu vereinen.
Doch der Film zeigt nicht nur das Licht des Projektors und der Bombe, sondern auch die Schatten, die entstehen, wenn das Licht ausgeht. Die McCarthy-Ära schlägt zu, und Oppenheimers politische Vergangenheit und fortschrittliche Ansichten ziehen ihn in die Hitze der Antikommunismus-Hysterie. Eine erschütternde Kettenreaktion beginnt, die sein Leben auf den Kopf stellt.
In Nolans Werk entfaltet sich die Lebensgeschichte von Oppenheimer in verschiedenen Zeitebenen: „Werdegang“, „Untersuchungsausschuss“ und „Intrige“. Über die Intrige, die in schwarz/weiß gefilmt wurde, spekulieren wir am meisten, auch weil sie sich am meisten wie Spekulation anfühlt. An diesem Punkt zerfällt das Gefühl des Biopics, denn wir können nicht mehr alles glauben, was da projiziert wird.
Erst wenn diese Stränge sich ineinanderfalten, platzt der Erzählknoten so richtig und wir erleben die explosive Trinität von Atombombe, Urteil und Intrige.

Jul 20, 2023 • 59min
EGL030 Soylent Green: Eine düstere Vision der Zukunft und die Kritik an Ressourcenknappheit und sozialer Ungerechtigkeit
Soylent Green isst Menschenfleisch
Wir starten unsere Episode im ruhigeren Teil des Treptower-Parks. Flo bringt wieder einen Film als Thema mit: Wir sprechen über den Filmklassiker "Soylent Green", der eine dystopische Zukunftsvision von Überbevölkerung, Umweltzerstörung und Ressourcenknappheit zeigt. Der Film erschien ein Jahr nach dem Bericht "Die Grenzen des Wachstums" des Club of Rome und gehört somit zu den ersten Ökodystopien. Der Regisseur Richard Fleischer inszenierte den Film im Jahre 1973. Fleischer hat sich in Hollywood eher als B-Picture Regisseur etabliert. Auch, weil er sich nicht von den Studiobossen in seine Filme reinreden ließ. Er hat in unterschiedlichen Genres Filme geschaffen, mit einer eigenen starken Ästhetik und mit vielen namenhaften Schauspielern wie Charlton Heston, Kirk Douglas oder Arnold Schwarzenegger zusammengearbeitet.
Flo erzählt im ersten Teil der Episode die Geschichte des Films nach und Micz kann noch einige Szenen aus seiner Erinnerung beisteuern. Der Film hat starke Bilder geschaffen, die sich lange ins Gedächtnis einschreiben: ein von schlafenden Menschen übersäumtes Treppenhaus oder Radlader, die die Demonstranten willkürlich in Containern wegbaggern und natürlich das monströse Ende des Films: "Soylent Green is people", noch treffender im Deutschen: "Soylent Green ist Menschenfleisch". Uns treibt die Frage, wie unwissender Kannibalismus in einer desolaten Gesellschaft geduldet werden kann. Uns treibt auch in der Diskussion die Zukunftsvision des Filmes - was ist nach über 50 Jahren eingetroffen und was nicht: Überbevölkerung, mächtige Megacorps, Klimaerwärmung, die massive Kluft zwischen Arm und Reich.
Mitten in unserem Gespräch werden wir auf offener Wiese angegriffen: wilde Junikäfer wirbeln in der Abenddämmerung um unsere Köpfe und Mikros, so dass wir Reißaus nehmen müssen. Der Angriff trifft nicht nur uns, sondern sämtliche Parkbesucher. Wie sich später in einem Zeitungsartikel herausstellt, suchen die Junikäfer am Abend den Schutz von Bäumen, um sich zu paaren. Für die Junikäfer waren wir also nichts weiter als laufende und sprechende Bäume. Tsss…
Shownotes
Laufroute
EGL030 | Wanderung | Komoot
Links zur Episode
Film – Eigentlich-Podcast
Archenhold-Sternwarte – Wikipedia
Zelluloidfilm – Wikipedia
Sojasauce – Wikipedia
… Jahr 2022 … die überleben wollen – Wikipedia
Richard Fleischer – Wikipedia
Charlton Heston – Wikipedia
Planet der Affen (1968) – Wikipedia
Amityville III – Wikipedia
Christoph Schlingensief – Wikipedia
20.000 Meilen unter dem Meer (1954) – Wikipedia
Die phantastische Reise – Wikipedia
Doktor Dolittle (1967) – Wikipedia
Der Frauenmörder von Boston – Wikipedia
Arnold Schwarzenegger – Wikipedia
Conan der Zerstörer – Wikipedia
National Rifle Association – Wikipedia
Science-Fiction-Film – Wikipedia
Science-Fiction-Filme der 1970er Jahre – Wikipedia
Der Omega-Mann – Wikipedia
Flucht ins 23. Jahrhundert – Wikipedia
Club of Rome – Wikipedia
Die Grenzen des Wachstums – Wikipedia
Thriller – Wikipedia
Megacorporation – Wikipedia
New York 1999 – Wikipedia
Gerippter Brachkäfer – Wikipedia
GAG100: Der Fall der „Mignonette“ und seine Folgen - Geschichten aus der Geschichte
Die Körperfresser kommen (Film) – Wikipedia
Holocaust – Wikipedia
The Texas Chain Saw Massacre - Wikipedia
Blood Diamond – Wikipedia
Matrix (Film) – Wikipedia
Junikäfer erobern Berlin: Darum rempeln sie Menschen an
Mitwirkende
Florian Clauß
(Erzähler)
Bluesky
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Micz Flor
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Der Film Soylent Green aus dem Jahr 1973, unter der Regie von Richard Fleischers, gilt als Meilenstein des Science-Fiction-Films und als einer der ersten Ökothriller. Der deutsche Titel lautet „Soylent Green … Jahr 2022 … die überleben wollen„. Dieser Film erschien ein Jahr nach dem Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome und zählt somit zu den ersten Ökodystopien.
„Soylent Green“ spielt in einer überbevölkerten und umweltzerstörten Zukunft im Jahr 2022. Die Gesellschaft ist von einer massiven Kluft zwischen Arm und Reich geprägt. Die Straßen sind voller lethargischer schlafender Menschen, und die Bilder, die der Film erzeugt, sind stark und beklemmend. Die Menschen tragen merkwürdige Uniformen, die fast wie Lageranzüge wirken. Der Film folgt der Dramaturgie des klassischen Detektivfilms der 70er Jahre. Der Protagonist, Detective Robert Thorn, gespielt von Charlton Heston, untersucht einen Mordfall in der reichen Oberschicht von New York City. Dieser Mord steht in Verbindung mit dem Lebensmittelunternehmen „Soylent Corporation“.
In dieser dystopischen Zukunft lebt die Bevölkerung in Armut und ernährt sich hauptsächlich von künstlichen Lebensmitteln, die von der Soylent Corporation hergestellt werden. Echte Lebensmittel sind selten geworden und nur den Reichen vorbehalten. Während seiner Ermittlungsarbeit teilt Detective Thorn das echte Essen aus dem Haushalt des Ermordeten mit seinem Mitbewohner Sol Roth, gespielt von Edward G. Robinson, der noch aus früheren Tagen echte Lebensmittel kennt.
Der Film kritisiert nicht nur die soziale Ungerechtigkeit, sondern auch die Ausbeutung der Ressourcen und die Profitgier der Großkonzerne. Er stellt eine düstere Zukunftsvision dar und dehumanisiert die Gesellschaft. Es werden Themen wie Überbevölkerung, Umweltzerstörung und moralische Verdorbenheit aufgegriffen. Dabei wirft der Film Fragen auf, die auch heute noch relevant sind: Was ist aus den Prognosen von 1973 geworden? Ressourcenknappheit, Überbevölkerung, Verteilungsgerechtigkeit, Verlust der menschlichen Würde, die Verwebung zwischen Megakonzernen und dem Staat, Artensterben und Klimaerwärmung sind Themen, die heute aktueller sind als je zuvor.
Der Film „Soylent Green“ legt weniger Wert auf die Darstellung zukünftiger Technologien, sondern konzentriert sich stattdessen auf die ästhetische Darstellung einer Gesellschaft in Verfall. Die Bilder, die der Film erzeugt, sind eindrucksvoll und verstörend. Die Uniformen, die lethargischen Menschen und die Wasserknappheit vermitteln eine beklemmende Atmosphäre. Der Film zeigt eine patriarchalische Struktur und verdeutlicht die Verfügbarkeit von Waffen als Mittel zur Machtausübung.
Ein zentraler Aspekt des Films ist der industrialisierte Sterbeprozess, der als normaler Teil des Lebens dargestellt wird. In einer Szene wird ein Dialog gezeigt, in dem die Menschen ihren eigenen Tod musikalisch untermalen können. Diese Szene verdeutlicht die Entmenschlichung der Gesellschaft und den Verlust der menschlichen Würde.
Ein weiteres erschütterndes Element des Films ist die Enthüllung, dass das Produkt „Soylent Green“ aus recyceltem menschlichem Gewebe hergestellt wird. Detective Thorn verfolgt die Spur bis in die Fabrik, in der Soylent Green produziert wird. Dort sieht er, wie menschliche Körper in Säcke auf Laufbändern geladen werden und am Ende grüne Täfelchen als Nahrung herauskommen. Diese schockierende Wahrheit soll von der Regierung und der Soylent Corporation vertuscht werden, weshalb der Mord begangen wurde.
Der Film endet mit einem Kampf zwischen Detective Thorn und dem ehemaligen Leibwächter in der Fabrik. Thorn überlebt nur knapp und bittet seinen Vorgesetzten, die Wahrheit zu verbreiten: „Soylent Green ist Menschenfleisch“ („Soylent Green is people“).
„Soylent Green“ ist ein Thriller, der über die Grenzen des Science-Fiction-Genres hinausgeht. Er stellt eine düstere Zukunftsvision dar und regt zum Nachdenken über Themen wie Überbevölkerung, Ressourcenknappheit, soziale Ungerechtigkeit und die Rolle von Großkonzernen in der Gesellschaft an. Der Film hinterlässt beim Zuschauer ein Gefühl der Beklemmung und zeigt, dass die Realität von 1973 heute in vielen Aspekten erschreckend aktuell ist.

Jul 6, 2023 • 1h 4min
EGL029 Gestalttherapie Teil 2: Phänomenologie, Emotionsfokussierte Therapie, Techniken
"Lose your mind and come to your senses"
Auf der Reise von Schöneberg nach Kreuzberg beschäftigen wir uns mit der Gestalttherapie und beginnen mit Ergänzungen aus der letzten Episode zum Thema. Zunächst erläutern wir den Unterschied zwischen den Kontaktfunktionen Deflektion und Egotismus. Deflektion bezeichnet den Versuch, unangenehme Erfahrungen zu vermeiden oder abzulenken, während Egotismus eine selbstbezogene Haltung ist, bei der der Fokus auf den eigenen Bedürfnissen liegt und Interaktion mit anderen vernachlässigt. Wir lassen die Phänomenologie erscheinen, die Unterscheidung zwischen Husserls transzendentaler Phänomenologie und Schmitz' leibphänomenologischer Perspektive. Auch spazieren wir durch die emotionsfokussierter Psychotherapie mit ihren primären und sekundären Emotionen, die von Leslie Greenberg entwickelt wurde. Primäre Emotionen sind grundlegende und unmittelbare Reaktionen auf bestimmte Situationen oder Ereignisse, während sekundäre Emotionen als Reaktionen auf primäre Emotionen entstehen und weniger direkt mit den Bedürfnissen einer Person verbunden sind. Schließlich gelangen wir nach Kreuzberg und zum *eigentlichen* Gegenstand der Episode: den Techniken der gestalttherapeutischen Arbeit. In der Gestalttherapie liegt der Fokus jedoch weniger auf spezifischen Techniken, sondern vielmehr auf dem Prozess der Selbsterforschung, des Gewahrseins und des unmittelbaren Erlebens der Klient:innen. Techniken dienen als Mittel zur Unterstützung dieser Ziele und können je nach Therapeut und Situation variieren. Auf unserer Website ein Zitat des Gründers Fritz Perls, wie er gegen Techniken wettert.
Shownotes
Der Stuhl-Dialog in der psychodynamischen Therapie
Laura (bzw. Lore) Perls, geboren in Pforzheim
Fritz Perls
Paul Goodman
Ralph F. Hefferline: Der unbekannte Gestalttherapeut
The Paul Goodman Reader at the Internet Archive
Fritz Perls: Was ist Gestalttherapie? Ein fast vergessenes Interview
Nationaldenkmal für die Befreiungskriege von Karl Friedrich Schinkel im Viktoriapark
Osteria No 1
5-Why-Methode
Agile Softwareentwicklung
Mitwirkende
Micz Flor
(Erzähler)
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Florian Clauß
Bluesky
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Unsere Tour führt uns von Schöneberg über die Monumentenbrücke nach Kreuzberg. Diese Episode über die Praxis und Techniken der Gestalttherapie hat eine ähnliche Zweiteilung. So werden erst in Kreuzberg die praxisnahen Techniken vorgestellt. Die erste Hälfte der Tour durch Schöneberg verwendet Micz darauf ein paar Korrekturen zur letzten Episode über Gestalttherapie nachzureichen. Er beginnt mit einer Unterscheidung der beiden Kontaktfunktionen Deflektion und Egotismus, die in der letzten Folge nicht angemessen erklärt wurden. Obwohl diese in der Literatur manchmal als ähnlich oder sogar deckungsgleich geführt werden, besteht ein deutlicher Unterschied darin, dass Deflektion den Versuch darstellt, unangenehme Erfahrungen zu vermeiden oder abzulenken, während Egotismus eine selbstbezogene Haltung ist, die den Fokus auf die eigenen Bedürfnisse und Gefühle legt und die Interaktion mit anderen vernachlässigt. Um die zweite Korrektur verständlich zu machen, schiebt er eine sehr vereinfachte Einleitung in die Phänomenologie und die Neue Phänomenologie dazwischen. Husserls Phänomenologie ist eine transzendentale Phänomenologie, während Schmitz‘ Neue Phänomenologie eine leibphänomenologische Perspektive vertritt. Husserl konzentriert sich auf die Untersuchung der transzendentalen Strukturen des Bewusstseins und der Erfahrung, während Schmitz die Bedeutung des leiblichen Erlebens und der leiblichen Existenz betont.
Im Rahmen der Praxis sprechen wir auch über die primären und sekundären Emotionen in der emotionsfokussierten Psychotherapie (EFT), die von Leslie Greenberg entwickelt wurde und in der emotionale Erfahrungen und deren Verarbeitung in den Mittelpunkt der therapeutischen Arbeit stehen. Nicht selten lässt sich zeigen, dass Emotionen andere Emotionen überdecken. Dies ist in der Unterscheidung der primären und sekundären Emotionen festgehalten. Während primäre Emotionen grundlegende und unmittelbare emotionale Reaktionen auf bestimmte Situationen oder Ereignisse sind, sind sekundäre Emotionen eine Reaktionen auf primäre Emotionen und deshalb weniger direkt mit den tatsächlichen Bedürfnissen einer Person verbunden. Sekundäre Emotionen sind oft komplexer und nicht selten sozial erwünschter.
Techniken in der Gestalttherapie
Gestalttherapie-Techniken — wie die dialogische Arbeit mit Stühlen — sind weithin bekannt. Gleichzeitig liest man immer wieder, dass in der Gestalttherapie der Fokus weniger auf spezifischen Techniken liegt. So sagte der Mitbegründer Fritz Perls:
„Ich akzeptiere niemanden als kompetenten Gestalttherapeuten, solange er noch ›Techniken‹ benützt. Wenn er seinen eigenen Stil nicht gefunden hat, wenn er sich selbst nicht ins Spiel bringen kann und den Modus (oder die Technik), die die Situation verlangt, nicht der Eingebung des Augenblicks folgend erfindet, ist er kein Gestalttherapeut.“
Dieses vermeintliche Paradox löst sich (fast) in Wohlgefallen auf, wenn wir zwischen die Techniken und die Theorie der Gestalttherapie mittelbare Ziele schieben. Es geht nicht um Techniken, sondern vielmehr umden Prozess der Selbsterforschung, Förderung von Gewahrsein und das unmittelbare Erleben der Klient:innen. Über einzelne Techniken wird in der Gestaltliteratur viel geschrieben. Manche meinen sogar, dass die Schematherapie die Stuhlarbeit der Gestalttherapie geklaut habe!
Diese Techniken sind jedoch immer nur Mittel zum oben formulierten Zweck und nie in einem vorgegebenen Ursache-Wirkungs-Zusammenhang. Auch variieren die Techniken je nach Therapeut:in und Situation. Andersherum ist die gleiche Anleitung nie die gleiche, wenn man Therapeut:innen vergleichen würde. In der Gestalttherapie steht immer die Förderung von Bewusstheit, Verantwortung und Selbstausdruck im Vordergrund. Wir reflektieren einige Techniken wie Verlangsamung (oder Beschleunigung), Intensivierung, Veränderung des Settings, Körperübungen und die Rolle der Emotionen am Beispiel der emotionsfokussierten Psychotherapie, die weiter oben erklärt wurde.
Angeleitete Atemübung
Die angeleitete Atemübung, die helfen kann sich bei einer beginnenden Panikattacke wieder mit dem Körper zu verbinden wurde von Flo freigegeben und wir haben sie hier online bereitgestellt.

Jun 22, 2023 • 1h 2min
EGL028 Fermentieren
Fermantation ist kontrollierte und schmackhafte Verwesung
In dieser Episode geht um die Haltbarmachung von Lebensmitteln durch Gärung. Welche Methoden gibt es zur Konservierung von Lebensmitteln? Mit Blick auf die Rummelsburger Bucht sprechen Micz und Flo über Kimchi, sonnengetrocknete Tomaten, den Einsatz von Alkohol zur Konservierung von Lebensmitteln wie dem Rumtopf und vor allen Dingen dem Eisschrank, der in der Bucht mit der Gründung der Norddeutschen Eiswerke sein Futter fand. Der "Bimmel-Bolle" belieferte in den 1870ern Berliner Haushalte wie auch Kneipen und Brauereien mit dem begehrten Eis.
Über diesen geschichtlichen Ausflug geht es dann ins Eingemachte: der Fermentation von Lebensmitteln. Fermentieren ist ein Prozess bei dem bewusst ein sauerstoffarmes Milieu geschaffen wird, in dem sich Milchsäurebakterien vermehren und das Fermentat zu einem schmackhaften und gesundem Verwesungsprodukt umwandeln. Flo hat einen Volkshochschulkurs absolviert und erzählt Micz von seinen Erkenntnissen. Jeder kann fermentieren, die Mittel zur Produktion sind sehr einfach und alles ist fermentierbar. Es muss einem nur schmecken. Wir kommen auch auf die jüngste Bibel der Fermentation zu sprechen, dem Buch "The Noma Guide of Fermentation", das von den Machern des weltbesten Restaurants in Kopenhagen herausgebracht wurde.
Wir sprechen auch über die Magie des Lebendigen, welche diffizilen Verbindungen und Milieus an Mikrobenkulturen an verschiedenen Orten entstehen können und wie einzigartig diesezu sein scheinen.
Am Schluss überrascht Flo Micz mit selbstgebackenen Dinkel-Teigtaschen, gefüllt mit selbstgemachtem Sauerkraut, Creme Fraiche, getrockneten Steinpilzen und Tomaten. Wir enden schließlich mit einem Ausblick auf zukünftige Folgen unter einer neuen Kategorie des Podcast: "Kochen, Backen, Essen".
Shownotes
Laufroute
EGL028 | Wanderung | Komoot
Links zur Epsiode
Rummelsburger See – Wikipedia
Fermentation – Wikipedia
\r\n\tDie Berliner Volkshochschulen - Kurssuche
Gärung – Wikipedia
Kimchi – Wikipedia
Obst und Gemüse lagern, einkochen und haltbar machen | MDR.DE
Trocknen - Lexikon der Ernährung
Konservendose – Wikipedia
GAG126: Für immer im Eis – die Franklin Expedition - Geschichten aus der Geschichte
Eiswerk – Wikipedia
Eisfabrik (Berlin-Mitte) – Wikipedia
Carl Bolle (Unternehmer) – Wikipedia
Eisschrank – Wikipedia
https://de.wikipedia.org/wiki/Eisfischen
Geoportal – Daten und Dienste - Berlin.de
Luftbild+DOP
Luftbild Rummelsburger Bucht
Heizkraftwerk Klingenberg – Wikipedia
Meerrettich – Wikipedia
Old smokehouses served as meat smokers and as storage facilities
Lebensmittelkonservierung – Wikipedia
Maillard-Reaktion – Wikipedia
Milchsäurebakterien – Wikipedia
Acetobacteraceae – Wikipedia
Liste von Bakterien in der Lebensmittelherstellung – Wikipedia
Käseherstellung – Wikipedia
Käseersatz – Wikipedia
So funktioniert Fermentieren\n- Landesschau Rheinland-Pfalz - SWR Fernsehen
Sauerkraut selber machen: Rezept in wenigen Schritten - Utopia.de\t
GAG368: Wie das Jod ins Salz kam - Geschichten aus der Geschichte
Noma (Restaurant) – Wikipedia
René Redzepi, David Zilber: Foundations of Flavor: The Noma Guide to Fermentation (Buch) - bei Buchhandlung Moritzplatz GmbH
Fermenting at Noma: old techniques in modern cuisine... with David Zilber! - YouTube
Sauerteig – Wikipedia
Netflix - Abstract mit Olafur Eliasson
Whisky – Wikipedia
Hygiene – Wikipedia
Pirogge – Wikipedia
Umami – Wikipedia
Obstwein – Wikipedia
Rezept für Tofu und Spinat in einer schwarzen Limetten Soße — Yasmoya
Mitwirkende
Florian Clauß
(Erzähler)
Bluesky
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Micz Flor
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Verwandte Episoden
EGL056 Veganes Kochen mit Tipps und Tricks aus der täglichen Küche
Fermentation ist, isst, zischt
Laurie Mlodzik
Fermentation ist Verwandlung, ist Zeit, ist Luft, ist Aufmerksamkeit, ist Widerstand, ist wild. Fermentation isst und lässt uns essen. Fermentation lebt und lässt uns leben. Offiziell gesehen ist jede mikrobielle oder enzymatische Transformation organischer Stoffe eine Art Fermentation. Und wenn ich die lateinische Wurzel dieses Worts betrachte, fervere, verrät es uns einiges über den Prozess, nämlich kochen, sieden, aufwallen. Die Gärung ist seit Beginn in vielen Gesellschaften überall auf der Welt dokumentiert als ein Verfahren, Lebensmittel aufzubewahren, geschmacklich zu beeinflussen oder überhaupt genießbar zu machen, dokumentiert.
Und kein Wunder, denn eigentlich passiert es auch schon von allein. Trauben wachsen bedeckt mit deren eigenen Hefen an, das Wurzelgemüse ist in der Erde umgeben von den Mikroben, die es danach gären lassen, und wehender Weizen, ist auch schon von jenen Bakterien und Hefen umschwirrt, die das Brot aufgehen und das Bier sprudeln lassen. Fermentation und die Mikroben, die diese Arbeit betätigen sind dauerhaft um uns, auf uns und in uns, und ohne sie kämen wir nicht sehr weit. Sie kurbeln das Verwesen von biologischem Material an, sodass die nächste Generation von Pflanzen und Tieren davon Nahrung heranziehen können, sie helfen uns beim Verdauen und Aufnehmen von Nährstoffen in unserem Verdauungstrakt, und sie bringen auch manche Freude und wilde Zeiten in unser Leben in Form einer Vielfalt an Essen und vergorenen Getränken.
Bei jedem wilden Ferment, wild, weil die Gärung ohne Zusatz von spezifischen kommerziellen Hefen oder anderen Kulturen verläuft, ist ein komplexes Netzwerk von lebenden Mikroorganismen am Werk. Die Kunst des Vergärens besteht eben darin, die uns nützlichen Organismen gegen die schädlichen auszuspielen. Der Hauptunterschied zwischen Essen, welches einfach verrottet und dem, das für eine köstliche Fermentation verwendet wird, liegt hauptsächlich in der Aufmerksamkeit und Arbeit, die wir ihm schenken. Wir schaffen für die Mikroben, die wir unterstützen wollen, ein geeignetes Umfeld, sodass sie ihre Umgebung zu ihrem und unserem Vorteil nutzen und weiter verändern können. Sie wird saurer, alkoholisch, oder für andere Mikroorganismen giftig. Solange die Nützlinge genügend Nahrung haben, vor allem Stärke- oder Zuckermoleküle, arbeiten sie munter vor sich hin und blubbern Kohlendioxidbläschen. Zwar verbrauchen sie dabei einige Nährstoffe aus dem Ausgangsprodukt, hinterlassen uns aber im Gegenzug nicht nur andere Nährstoffe wie Vitamine und Mineralien, sondern auch neue Aromen, Texturen und Geschmacksnuancen.
Es gibt eine noch teils unentdeckte Vielfalt an verschieden Mikroben, die in unterschiedlicher Umgebung am besten ihre Arbeit betätigen und uns auch ganz andere Resultate bieten. Eines dieser sehr gängigen Prozesse ist die Laktofermentation oder Milchsäuregärung. Durch die Erschaffung einer sauerstoffarmen und vor allem salzigen Umgebung, können wir das Wachstum des erwünschten Bakterienstamms, der Lactobacilli, die unter anderem für Sauerkraut zuständig sind, begünstigen. Die Salzmenge in dem Ferment kann erheblich schwanken. Je mehr Salz wir nehmen, desto langsamer läuft die Fermentation an und desto saurer wird das Endresultat. Bei einem Übermaß an Salz kann allerdings kein Mikroorganismus überleben, es kommt zu keiner Fermentation. Allerdings brauchen verschiedene Lebensmittel auch unterschiedliche Mengen, um deren Eigenschaften entgegenzukommen und den Lactobacilli eine möglichst hohe Überlebenschance zu geben. Bei festem und Wurzelgemüse wie Kohl, Rüben, Randen, Bohnen, Rettich, Blumenkohl, Kartoffeln etc. sind 2-3% Salz je Gewicht gängig. Aber bei weicherem oder wässrigem Gemüse und Obst, zum Beispiel Spargeln, Gurken, Paprika, Chilis, Tomaten werden 3-5% empfohlen. Und für einige Gemüse wie zum Beispiel Oliven, die meistens erst durch die Fermentation genießbar werden, ist sogar bis 10% Salz der Norm.
Es geht um gesammelte Erfahrungen, manche durch Jahrtausende und es geht um Aufmerksamkeit. Wir lernen diese Mikroben kennen, deren Eigenarten und Vorlieben, die unsere Vorfahren schon kannten und können so zusammen Neues erschaffen. Dafür braucht es eine Offenheit, mit den Sinnen zu erfahren; deine Haut und das Kohlblatt als lebendige Oberfläche zu sehen, die eigenen Geschmackspräferenzen mit Nase, Zunge und Zähnen zu erforschen, und das Achten auf ein Glas voll Leben. Dieses Glas wird duften und blubbern und zischen, manchmal mehr und manchmal weniger, in warmen und dunkleren Räumen vielleicht mal mehr, bei gewissen Zutaten vielleicht mal weniger, alles hat einen Einfluss, und die Offenheit, auch mit Unerwartetem umzugehen, Zu warten, und auch zu scheitern, wird belohnt. Schließlich arbeiten wir hier mit Lebewesen auf anderen Lebens- und Zeitskalen zusammen und so viel wie wir voneinander lernen und profitieren können, bleiben wir einander auch fremd. Umso magischer sind dann die Momente, wo wir es schaffen, zusammen zu kommen und etwas Neues, Lebendiges, Wildes, Fermentiertes zusammen zu erschaffen.
Text aus einem Reader. Dieser Reader wurde für den Workshop alles-ist-ver-gär-bar gedruckt, der am 6. Oktober 2022 in Brewsters Till Ten Bar im Kunstverein Freiburg stattfand. Geleitet von Laurie Mlodzik mit Unterstützung vom Kunstverein Freiburg, dessen Kunsterlischen Beirat und der Praktikantin Kathrin Mohn.
Sauerkraut
Zutaten:
1000 g Weißkohl oder Rotkohl
Salz (10-15g)
getrocknete Gewürze (Kümmel, Wacholder-/Lorbeeren oder andere Kräuter) – optional
Zusätzlich:
1 Schüssel
1 Einmachglas oder eine Kraut-(Tsukemono-) Presse
1 Mandoline / Küchenhobel oder Messer und Schneidebrett
Zubereitung:
Den Kohl gut waschen. Die äußeren Blätter beiseite legen und ganz lassen, sie werden später zum beschweren verwendet. Den restlichen Kohl fein hobeln und mit dem Salz mind. 5 Minuten lang gut und stark kneten. Man kann auch einen Holzstampfer verwenden. Es muss so viel Wasser austreten, dass man später das Kraut im Einmachglas damit bedecken kann. Das geknetete Kraut dann in ein großes, sehr gut gesäubertes Einmachglas geben. Dabei immer nach und nach eine Handvoll einfüllen und fest andrücken bzw. mit dem Holzstampfer hinein stampfen, so dass keine Luft zwischendrin bleibt. Am Ende das Ganze ausgetretene Wasser zugießen und mit den äußeren ganzen Kohlblättern bedecken.
Dann mit einer Konstruktion so beschweren, dass der Kohl von seinem eigenen Saft bedeckt wird. Falls es nicht ausreichen sollte, ein klein wenig Salzlake (2%-ig) nachgießen. Das Gefäß mit einem Handtuch abdecken. Hat man eine Tsukemono Presse oder ein Einmachglas-System mit durchlässigem Gummideckel, braucht man nichts weiter abdecken.Den Kohl nun so bei Raumtemperatur +/- 1 Woche stehen lassen. Luftbläschen und ein säuerlicher Geruch sind ein Indikator für die Fermentation. Ich teste meinen Sauerkraut ab ca. 5 Tagen täglich. Wenn das Kraut (je nach Geschmack) einen angenehmen und noch nicht zu intensiven Säuregrad erreicht hat, in Gläser füllen, bzw. den Gummideckel mit dem Lagerdeckel austauschne und im Kühlschrank lagern oder im kalten Keller. Dort ist es bis zu einem Jahr haltbar und verändert sich weiter durch den Reifungsprozess.
Dinkeltaschen gefüllt mit Sauerkraut, Creme Fraiche, getrocktene Tomaten und Pilzen
Zutaten:
6 Dinkelblätterteig Quadrate
1 Creme Fraiche
4-5 in Öl eingelegte getrocknete Tomaten
7 getrocknete Steinpilze
selbstgemachtes Sauerkraut
Zubereitung:
Pilze in gekochtem Wasser 10min einweichen, kleinschneiden. Tomaten kleinschneiden und alles zusammen mit Sauerkraut und Creme Fraiche vermischen. Blätterteig-Quadrate auf Backbleich auslegen, Mischung verteilen und zu Taschen falten. Ränder mit Daumen zusammendrücken ggf. befeuchten. Dreiecke mit etwas Öl und/oder Pflanzenmilch bestreichen, bei 200° Ober / Unterhitze backen, nach 12min wenden, nochmals bestreichen und weiter backen, bis der gewünschte Bräunungsgrad erreicht ist.

Jun 8, 2023 • 1h 21min
EGL027 Was ist eigentlich Gestalttherapie?
»Anarchie gibt´s nicht auf Krankenschein«
Wir sind am Hauptbahnhof verabredet, um über Gestalttherapie zu sprechen.
Denn inzwischen ist Gestalttherapie relativ bekannt -- da hat sich in den letzten zehn oder zwanzig Jahren was getan.
Wer hätte das gedacht, feierte sie doch vielleicht Ihre größten Erfolge in Amerika der 1960er oder 70er Jahre?
Als eine der wichtigsten humanistischen Therapien, die sich nicht primär mit der Beseitigung von Störung, sondern auch mit Wachstum, Identität und Ressourcen beschäftigte, passte sie in die Zeit der Individualisten und utopischen Gedanken zu Gesellschaft, Kapitalismus und Zusammenleben.
Über diese Zeit sprechen wir gar nicht in diesem Podcast, aber Flo fordert zum Schluss: vielleicht sollte es noch einen zweiten Teil geben.
Shownotes
Laufroute
EGL027 | Wanderung | Komoot
Links zur Episode
Malteserkreuz / Malteserkreuzgetriebe
Tonillusionen bei Super Mario World
Was ist Gestalttherapie? Auf der Seite der deutschen Vereinigung für Gestalttherapie
Vorder- und Hintergrund
Figur-Hintergrund-Bildung
Topdog versus Underdog
Die Gegenwart, das Hier und Jetzt
Eine Erklärung des Begriffs 'Gestalt'
Katharina Stahlmann: Gestalttherapie und Anarchie
Gestalttherapie in Adam Curtis' "The Century of the Self"
Video: Demonstrating the Gestalt approach to anxiety, Dr. Frederick Perls works with a young woman who is self-conscious about her height and with a man troubled by memories of war
Buch auf Archive.org: Ego, hunger, and aggression; the beginning of gestalt therapy by Perls, Frederick S
Laura (bzw. Lore) Perls, geboren in Pforzheim
Fritz Perls
Paul Goodman
Ralph F. Hefferline: Der unbekannte Gestalttherapeut
The Paul Goodman Reader at the Internet Archive
Fritz Perls: Was ist Gestalttherapie? Ein fast vergessenes Interview
Christian von Ehrenfels – Wikipedia
Gestaltpsychologie - Lexikon der Psychologie
Kontaktstörungen (Lexikon der Gestalttherapie)
Art Critics Orchestra | 20th Anniversary
Cuckoocaster
Mitwirkende
Micz Flor
(Erzähler)
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Florian Clauß
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Die Gestalttherapie wurde im wesentlichen von Frederick S. Perls (später „Fritz“ genannt, Psychiater und Psychotherapeut), Laura Perls (geb. Posner, Gestaltpsychologin und Psychoanalytikerin) und Paul Goodman (Soziologe, Autor und Psychotherapeut) entwickelt und legt den Fokus auf das gegenwärtige Erleben und die persönliche Verantwortung des Individuums.
Der Begriff „Gestalt“ stammt aus der Gestaltpsychologie und bedeutet am ehesten „Form“ oder „Gefüge“ und wird jedoch oft als „Herstellen“ oder „Kreieren“ missverstanden. Die Gestaltpsychologie, die von Christian von Ehrenfels, Max Wertheimer, Wolfgang Köhler und Kurt Koffka entwickelt wurde, betonte die Bedeutung der Wahrnehmung von Ganzheiten oder „Gestalten“. Sie argumentierten, dass unser Geist nicht nur aus isolierten Elementen besteht, sondern dass wir die Welt um uns herum als organisierte und sinnvolle Einheiten wahrnehmen.
Bevor man sich für die Bezeichnung „Gestalttherapie“ entschied, waren auch „Existentialtherapie“ und „Konzentrationstherapie“ Kandidaten für die Benamsung des Verfahrens. Der Verweis auf den Existentialismus im ersten Fall bezieht sich auf die Rolle der Verantwortung und der Dialogphilosophie (vor allem des Philosophen Martin Buber) in den therapeutischen Prozessen. Konzentrationstherapie war der Versuch die Rolle des „Gewahrseins“ im Namen festzuhalten, das in der therapeutischen Arbeit eine wichtige Rolle spielt und ungefähr dem heutigen Verständnis der „Achtsamkeit“ entspricht.
Das erste Buch von F. Perls, dass die Gestalttherapie schon erkennen lässt ist „Das Ich, der Hunger und die Aggression“ von 1942. 1951 erscheint dann „Gestalt therapy: Excitement and growth in the human personality“ gemeinsam mit Paul Goodman und Ralph F. Hefferline. Die Gestalttherapie betrachtet den Menschen als ganzheitliches Wesen und betrachtet seine Erfahrungen, Gefühle, Gedanken und Verhaltensweisen als Teil eines größeren Ganzen. Ein zentraler Ansatzpunkt der Gestalttherapie ist das Hier und Jetzt. Der therapeutische Prozess hilft Klient:innen, sich mittels Gewahrsein bewusst zu werden und das gegenwärtige Erleben zu erforschen. Dabei werden vor allem Körperempfindungen, Gefühle und nonverbale Ausdrucksweisen berücksichtigt.
Die Gestalttherapie arbeitet auch mit verschiedenen Techniken und Methoden, um den Klienten zu unterstützen. Am bekanntesten ist sicherlich die Arbeit mit Stühlen, die in letzten Jahren durch die Schematherapie viel Aufmerksamkeit bekommen hat. Andere Methoden sind z.B. Rollenspiele, Traumarbeit, Imaginationsübungen und kreative Ausdrucksformen. Der Fokus liegt darauf, Klient:innen dabei zu unterstützen, ihre eigenen Ressourcen zu entdecken, Verantwortung für ihr eigenes Leben zu übernehmen und ihre Beziehungen zu verbessern.
In Deutschland wird die Gestalttherapie nicht von den Krankenkassen erstattet, die Kosten müssen also von den Klient:innen gezahlt werden. Die Gestalttherapie wird in verschiedenen Settings angewendet, wie Einzeltherapie, Gruppentherapie, Paartherapie oder Familientherapie. Sie kann bei einer Vielzahl von psychischen Problemen und persönlichen Entwicklungsthemen eingesetzt werden, wie z.B. Angststörungen, Depressionen, Beziehungsproblemen, Selbstwertproblemen und Identitätsfragen.
Als zentrales Merkmal der Gestalttherapie in Abgrenzung zu anderen Verfahren verstehe ich das prozesshafte Arbeiten. Es bezieht sich auf die Betonung des gegenwärtigen Erlebens und der Aufmerksamkeit auf den laufenden Prozess im Therapieraum. Statt sich nur auf vergangene Ereignisse oder auf Ziele zu konzentrieren, richtet die Gestalttherapie den Fokus auf das Hier und Jetzt und auf das, was im Moment geschieht. Der Therapeut unterstützt den Klienten dabei, sich bewusst zu werden, wie er sich fühlt, welche Gedanken und Impulse auftauchen und wie er sich körperlich ausdrückt. Durch die Aufmerksamkeit auf den aktuellen Prozess können verborgene Muster, unvollendete Erfahrungen und unbewusste Dynamiken ans Licht kommen.
Damit eng verbunden ist die „Kontaktkurve“, das den Verlauf des Kontakts und der Interaktion eines Individuums mit seiner Umwelt, anderen Menschen oder auch inneren körperlichen Prozessen beschreibt. Sie umfasst verschiedene Phasen und Dynamiken, die sich im therapeutischen Prozess entfalten können. Die dazugehörigen Kontaktfunktionen (oder -störungen) wie Konfluenz, Introjekte, Projektion und Retroflektion besprechen wir auch in dieser Episode. Die Gestalttherapie nutzt die Kenntnis der Kontaktkurve, um den Klienten dabei zu unterstützen, bewusster und authentischer in Beziehung zu treten. Der Therapeut hilft dabei, die verschiedenen Dynamiken zu erkennen, Verantwortung zu übernehmen und neue Möglichkeiten für einen gesunden Kontakt und eine reichhaltige Interaktion mit der Umwelt zu entwickeln.
Da jeder Kontaktkurve eine neue folgt, wir immer im Feld in Kontakt sind und die Prozesse nicht aufhören zu fließen, gilt natürlich: auch wenn die Episode geschlossen ist, bleiben hoffentlich viele Fragen offen.
In dieser Episode werden Evidenzstudien angesprochen. Dabei handelt es sich um diese:
Tschuschke, V., von Wyl, A., Koemeda-Lutz, M. et al. Bedeutung der psychotherapeutischen Schulen heute. Psychotherapeut 61, 54–65 (2016). https://doi.org/10.1007/s00278-015-0067-y
FAZIT: Psychotherapeuten unterschiedlicher konzeptueller Ansätze setzen weitgehend ähnliche Interventionstechniken ein, indem ein Großteil aller Interventionen allgemeiner, nichtspezifischer Natur ist, der eine optimierte menschliche Kommunikation darstellt. Therapeuten sollten gegenüber ihrem gelernten Therapieverfahren eine gelassene, flexible Haltung einnehmen. Rigide oder unflexible Umsetzungen von Techniken aus gelernten psychotherapeutischen Konzepten scheinen ungünstig zu sein. Die Sicherstellung eines tragfähigen, vertrauensvollen Arbeitsbündnisses muss Priorität haben, etwa indem konzeptkonforme Interventionen zugunsten allgemeiner, nichtspezifischer Techniken zurückgestellt werden, insbesondere zu Beginn der Behandlung und bei belasteten Arbeitsbündnissen, z. B. bedingt durch das Ausmaß der psychischen Belastung des Patienten. Professionelle Therapie scheint den Ergebnissen zufolge eine geglückte und stimmige Integration optimierter Kommunikations- und Beziehungstechniken mit zusätzlichen Techniken anderer Konzepte und den eigenen, gelernten darzustellen.
Tschuschke, V., Koemeda-Lutz, M., von Wyl, A. et al. The Impact of Clients’ and Therapists’ Characteristics on Therapeutic Alliance and Outcome. J Contemp Psychother 52, 145–154 (2022). https://doi.org/10.1007/s10879-021-09527-2
ABSTRACT: This article investigates distances between therapists and their clients in their experience of the therapeutic alliance across the duration of the psychotherapeutic treatments in a naturalistic study. We looked at the working alliances from different vantage points—rupture, repair of ruptures, distances in the alliance impressions of both clients and therapists—and their correlation with treatment outcome. The only predictive variable of alliance ruptures was the inability of therapists to bond sufficiently with their clients regarding a sustainable working atmosphere, which could be identified through a continuous distant alliance rating by the therapists. Alliance ruptures in turn significantly predicted premature termination of treatments, whereas alliance ruptures per se did not necessarily predict treatment outcome. The paper discusses the possible role of the quality of therapists’ attachment styles as a potentially crucial variable in an effective working alliance in psychotherapy.