

F.A.Z. Bücher-Podcast
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Die F.A.Z.-Redakteure Maria Wiesner, Fridtjof Küchemann, Kai Spanke und Paul Ingendaay stellen im Bücher-Podcast der F.A.Z. ausgewählte Neuerscheinungen und Klassiker der Literatur vor. Sie sprechen mit Schriftstellern, Übersetzern und anderen Experten des Literaturbetriebs und beschäftigen sich mit den Eigenheiten des literarischen Lebens und Lesens.
Jeden Sonntag erscheint eine neue Episode. Einmal im Monat wird ein Literaturrätsel gestellt und unter den Einsendern der richtigen Lösung ein Buch verlost. Viel Spaß beim Mitmachen!
Die E-Mail-Adresse für Anmerkungen, Nachfragen, Lob und Kritik: buecher-podcast@faz.de. Der Bücher-Podcast auf Instagram: @fazbuecher.
Alle Folgen können jederzeit hier angehört werden: https://www.faz.net/podcasts/f-a-z-buecher-podcast
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Episodes
Mentioned books

Aug 20, 2023 • 35min
Es gibt eine Verschwörungsmentalität: Julia Ebner erklärt, warum sich so viele Menschen radikalisieren
Kai Spanke im Gespräch mit der Autorin
„Ich bin eine wissenschaftsbegeisterte, antirassistische Feministin. Aber für dieses Buch habe ich mich mit Antifeministen, Rassisten, Klimawandelleugnern und Verschwörungstheoretikern getroffen.“ Das schreibt Julia Ebner in ihrer Monographie „Massenradikalisierung“. Die Extremismusforscherin erörtert darin, warum Ideen, für die sich vor gar nicht langer Zeit nur gesellschaftliche Randgruppen interessiert haben, in der bürgerlichen Mitte inzwischen als salonfähig gelten.
2017 etwa hatte die auf Verschwörungstheorien spezialisierte Bewegung QAnon ein paar Tausend Anhänger, das Gros davon in den Vereinigten Staaten. Auch die identitäre Gruppe White Lives Matter und das antifeministische Netzwerk Mannosphäre waren noch weitgehend unbekannt. Heute nehmen sie Ebner zufolge „Einfluss auf die Politik, verändern die kulturellen Codes und drücken unserer Sprache ihren Stempel auf“.
Wer ist empfänglich für solche Gruppierungen? Was haben die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA, der Sturm aufs Kapitol und die Corona-Pandemie mit ihnen zu tun? Wie kommunizieren Frauenhasser in einem Online-Forum miteinander? Und wann ist der Punkt erreicht, an dem sich eine Forscherin, die auf all diese Fragen etwas zu sagen weiß, Bücher schreibt und Interviews gibt, Sorgen macht – um sich selbst und um die Gesellschaft? Julia Ebner gibt in dieser Folge des Bücher-Podcasts Auskunft.
Die Adresse für Anregungen, Lob und Kritik
„Wenn die Polizei um Hilfe ruft“: Kai Spankes Besprechung von Julia Ebners „Massenradikalisierung“

Aug 6, 2023 • 39min
Die guten Gründe, Gedichte zu lesen: Der Schriftsteller Lutz Seiler
Paul Ingendaay spricht mit Jan Wiele über den Georg-Büchner-Preisträger 2023
Es geschieht nicht oft, dass die Zuerkennung des Büchner-Preises, der höchsten literarischen Auszeichnung des Landes, so positiv aufgenommen wird wie im Falle des 1963 in Gera geborenen Lutz Seiler. „Für das, was ich schreibe, spielt wahrscheinlich meine Herkunftsgeschichte eine ziemlich große Rolle“, hat der Autor einmal gesagt, „also die Herkunft aus einer vom Uranbergbau verwüsteten thüringischen Landschaft.“ In den ersten Jahrzehnten seiner Karriere hat sich Seiler als Lyriker und Essayist einen Namen gemacht, dann kamen zwei umfangreiche Romane hinzu: „Kruso“ (2014, ausgezeichnet mit dem Deutschen Buchpreis) und „Stern 111“ (2020, Gewinner des Preises der Leipziger Buchmesse). Die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung ehrt mit der Zuerkennung des Büchner-Preises einen Autor, „der mit klangvollen Gedichtbänden begann, von dort zum Erzählen fand, stets aber ein so klarer wie rätselhafter, dunkel leuchtender Lyriker bleibt, zuletzt mit schrift für blinde riesen“. Die Stimme des Autors sei, ob in der Lyrik oder im Roman, unverwechselbar: „melancholisch, dringlich, aufrichtig, voll von wunderbaren Echos aus einer langen literarischen Tradition“.
Lutz Seiler hat als Zimmermann und Maurer gearbeitet und begann mit dem Schreiben während seiner Armeezeit. 1990 ging er nach Berlin, und seit 1997 leitet er das literarische Programm im Peter-Huchel-Haus bei Potsdam. Etwa die Hälfte seiner Zeit verbringt er in Stockholm. Mit meinem Kollegen Jan Wiele spreche ich im Bücher-Podcast über Seilers literarisches Temperament, die Merkmale seiner Lyrik und seine besondere Form des Wenderomans, die in der Fiktion tatsächlich so etwas wie ostdeutsche Identität geschaffen hat: Sie erzählt von Menschen, die bleiben und nicht loslassen wollen. Auch ein anderer, wichtiger Zug von Seilers Schaffen tritt im Gespräch zutage: sein Engagement für die lyrische Tradition und das Nachleben der Dichter, die ihn selbst beeinflusst und geprägt haben.
Letzte Veröffentlichungen Lutz Seilers:
„Stern 111“. Roman (Suhrkamp Verlag).
„schrift für blinde riesen“. Gedichte (Suhrkamp Verlag).

Jul 30, 2023 • 42min
Keine Angst vor der Dunkelheit: Vier Kinder- und Jugendbücher für den Sommer
Tilman Spreckelsen und Fridtjof Küchemann empfehlen Britta Teckentrup, Martina Wildner, Neil Gaiman und David Long
„Ein Ort voller Leben, Geschichten und Träume“: Ein Bilderbuch von Britta Teckentrup folgt einer alten Schaukel am Meer durch die Jahreszeiten, durch die Jahre. – Nur ein abenteuerlicher Einsatz kann den Schulgarten jetzt noch retten: Ein Buch von Martina Wildner lässt Nachbarskinder über sich hinauswachsen. – „Aber wir wussten ja, eines Tages würdest du kommen und dann könnten wir eine richtige Familie sein“ – Neil Gaiman lässt ein junges Mädchen jenseits einer ungenutzten Tür im Haus die Bekanntschaft seiner „anderen Mutter“ machen. – Untergegangen, eingeklemmt, abgestürzt und in die Irre gegangen: David Long erzählt „wahre Geschichten vom Überleben“. – In dieser Episode des Bücher-Podcasts stellen wir wieder einmal vier Bücher für junge Leser vor.
„Die Schaukel“ von Britta Teckentrup auf der Website von Prestel Junior
„Mehr als nur ein Leben“: Lena Bopp über „Die Schaukel“ von Britta Teckentrup
„Moritz, King Kong und der Regentanz“ von Martina Wildner auf der Website des Hanser Verlags
„Die Masken der gruseligen Nachbarin“: Lena Bopp über „Moritz, King Kong und der Regentanz“ von Martina Wildner
„Coraline“ von Neil Gaiman auf der Website des Arena Verlags
„Gerettet – Wahre Geschichten vom Überleben“ von David Long auf der Website des Insel Verlags
Die Adresse für Anregungen, Lob, Kritik

Jul 23, 2023 • 51min
Eine grundlegend gewaltsame Zeit: Özge İnan über ihren Roman „Natürlich kann man hier nicht leben“
Maria Wiesner und Fridtjof Küchemann im Gespräch mit der Autorin – und ein neues Literaturrätsel
„Weißt du, was ich in deinem Alter auf gar keinen Fall werden wollte?“, fragt Zarife, Hebamme und Vertraute der Familie, die knapp 15 Jahre alte Hülya. „Wie meine Mutter. Oder meine Tanten. Und, das stellte sich aber erst später heraus, wie meine Schwestern. Ich dachte, es kann doch nicht sein, dass ihnen das hier reicht.“ Es ist das Jahr 1986, Hülya lebt mit ihrer Mutter und den Geschwistern in einem Dorf im Süden der Türkei. Hülya weiß noch nicht, was sie mit ihrem Leben anstellen will, aber sie weiß: Sie will nicht werden wie ihre Mutter.
Und damit ist sie nicht die einzige in Özge İnan Roman „Natürlich kann man hier nicht leben“. Gleich zu Beginn macht sich Nilay auf den Weg, allerdings im Jahr 2013 und von Berlin aus, denn sie hat gerade die Berichte über die Proteste am Gezi-Park im Fernsehen gesehen und kann nicht fassen, dass ihre Eltern sich von der Stimmung nicht mitreißen lassen, dass sie so völlig unpolitisch zusehen.
Wie politisch diese Eltern tatsächlich waren, das wird hier in Rückblicken erzählt, mit einem zeitlichen Sprung mitten hinein in die Achtzigerjahre und die politischen Spannungen der Türkei damals. Wir treffen Hülya und Selim, die Eltern von Nilay, bevor sie Eltern wurden, ja noch bevor sie überhaupt ein Paar wurden. Wir folgen ihnen nach Izmir, auf die Universität, lernen ihre Kommilitonen kennen, die politischen Studentenorganisationen und wie gefährlich es sein kann, in jener Zeit überhaupt politisch zu sein. Was das heißt und wodurch sich Einstellungen, von denen man als junger Mensch denkt, sie seien unveränderlich, dann doch ändern – darüber sprechen wir mit der Autorin Özge İnan.
Natürlich stellen wir ein neues Literaturrätsel, wir verraten die Lösung aus dem Juni und den Namen des Gewinners oder der Gewinnerin.
„Natürlich kann man hier nicht leben“ von Özge İnan auf der Website des Piper Verlags
„Eine Lastenträgerin der Lebenden“: Fridtjof Küchemann über Emine Sevgi Özdamars Roman „Ein von Schatten begrenzter Raum“
„Überall den Buckel mit hingetragen“: Karen Krüger über Dinçer Güçyeters Roman „Unser Deutschlandmärchen“
„Ihr rastlos wilder Eigensinn“: Julia Franck über die Wiederentdeckung der Schriftstellerin Klara Blum in der Anderen Bibliothek
faz.net/literaturraetsel: Die Seite für Ihre Teilnahme am Literaturrätsel
Die Adresse für Anregungen, Lob, Kritik

Jul 16, 2023 • 38min
Mit den Maschinen änderte sich alles: Ewald Frie über den Niedergang der bäuerlichen Landwirtschaft
Kai Spanke im Gespräch mit dem Autor
Während der Corona-Pandemie hat sich Ewald Frie auf eine Reise durch Deutschland begeben, um seine Geschwister zu besuchen. Im Rheinland, in Westfalen, an der Ostsee angekommen, interviewte er sie: über die Kindheit und Jugend auf dem Bauernhof in der Nähe von Münster, über die dort zu verrichtende Arbeit, über die Nachbarhöfe und das Dorf, über Werte und Regeln, über den Zerfall der traditionellen Landwirtschaft und dessen Konsequenzen. Aus den Gesprächen ist das Buch „Ein Hof und elf Geschwister“ entstanden.
Im Juni wurde es mit dem Deutschen Sachbuchpreis 2023 ausgezeichnet. Frie habe, so die Begründung der Jury, „ein tiefes und gleichzeitig zugängliches und unterhaltsames historisches Sachbuch verfasst“. Der Autor selbst bezeichnet seine Abhandlung als Grenzfall von „Wissenschaft wie von Familiensinn“. Er hoffe, dass es „Gutes aus beiden Welten zusammenbringt, um ein besonderes Licht auf die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zu werfen“.
Ewald Frie, an der Universität Tübingen Professor für Neuere Geschichte, erläutert im Podcast, wie die Idee zum Buch entstand, wie sich der Niedergang der bäuerlichen Landwirtschaft genau vollzog, warum der Katholizismus in seinem Leben so wichtig war – und welche historischen Erkenntnisse aus dieser persönlichen Geschichte abgeleitet werden können.
Die Adresse für Anregungen, Lob und Kritik
„Tausche Vieh und Land gegen Bildung“: Ulla Fölsings Besprechung von Ewald Fries „Ein Hof und elf Geschwister“

Jul 2, 2023 • 41min
Helden, Bestien, Märtyrer: Der Bürgerkriegs-Klassiker Manuel Chaves Nogales
Ein Gespräch mit dem Übersetzer Frank Henseleit
Manuel Chaves Nogales, geboren 1897 in Sevilla, war Spaniens herausragender Journalist der Zwanziger- und Dreißigerjahre. In seinem Heimatland wurde er erst in den letzten Jahrzehnten wiederentdeckt und mit großer Verspätung aufs Klassikerpodest befördert. Als Mann der demokratischen Mitte in einem Bürgerkrieg, der kaum eine Mitte zuließ, musste Chaves Ende 1936 ins Exil gehen, erst nach Paris, später nach London, wo er 1944 mit kaum 47 Jahren starb. Sein umfangreiches Werk wird in Deutschland vom Kupido Literaturverlag herausgegeben, dessen Leiter, der Übersetzer Frank Henseleit, der heutige Gast im Bücher-Podcast ist.
Chaves Nogales war ein liberaler Demokrat und ein Mann zwischen den Stühlen. Der unermüdliche Reporter, phänomenale Erzähler und scharfsinnige Kommentator der politischen Zustände der Dreißigerjahre führt auch heutigen Lesern noch etwas Ungewöhnliches vor: die nie realisierte, nicht einmal möglich erscheinende Alternative im damaligen Spanien der gewalttätigen Extreme - und die grundsätzliche Skepsis gegenüber politischen Parolen. Für Chaves standen individuelle und demokratische Freiheiten über jeder Ideologie.
„Antifaschist und Antirevolutionär aus innerer Veranlagung, weigerte ich mich beharrlich, an das Heilsversprechen großer Umstürze zu glauben“, schreibt er im Prolog zu dem heute besprochenen Erzählband „Blut und Feuer! Helden, Bestien und Märtyrer im Spanischen Bürgerkrieg“. Und weiter: „Ich beschloss, schreibend auszuharren und mich den Gesetzen der Evolution und des Fortschritts anzuvertrauen.“
„Blut und Feuer! Helden, Bestien und Märtyrer im Spanischen Bürgerkrieg“ von Manuel Chaves Nogales, übersetzt von Frank Henseleit und mit einem Vorwort von María Isabel Cintas Guillén, ist im Kupido Literaturverlag erschienen, hat 255 Seiten mit zahlreichen Abbildungen und kostet 27,80 Euro.

Jun 25, 2023 • 55min
Du darfst dich nicht in mich verlieben: Sandra Hoffmann über ihren Roman „Jetzt bist du da“
Maria Wiesner und Fridtjof Küchemann im Gespräch mit der Autorin – und ein neues Literaturrätsel
Eine Frau kauert auf dem Fußboden und weiß nicht weiter. Draußen ist jemand, genau erkennen konnte sie ihn nicht, und trotzdem weiß sie ganz genau, wer es ist. Wer es sein muss. Und dass es vollkommen sinnlos wäre, sich im Haus zu verstecken. Wie sie es gerade macht.
In „Jetzt bist du da“, dem neuen Roman von Sandra Hoffmann, lebt Claire allein in einem Haus im Wald. Vor fünf Jahren, an ihrem ganz persönlichen Unabhängigkeitstag, ist sie hierhergezogen. Sie ist 42, sie kennt den Jäger, den Förster, Achim, ihren Kollegen bei den Wildnis-Camps, die sie für Schulklassen anbietet. Sie braucht niemanden.
Und dann kommt einer, einfach so. Beim Lesen fragt man sich eine ganze Zeitlang, welche Bedrohung von diesem Eindringling ausgeht, wovor Claire Angst hat. Nach und nach wird klar, wer wohl da draußen ist, wer sich auf den Weg gemacht hat zu ihr, sieben Wochen nach ihrer Begegnung, die auch für Claire einiges verändert hat.
Janis ist sechzehn, er wirkt auf den ersten Blick mädchenhaft und auf den zweiten so gar nicht. Er war mit seiner Klasse im Camp, er ist Claire aufgefallen, hat ihr gefallen, mehr als ihr lieb war und als ihr lieb ist. Einmal hat er ihr über die Wange gestrichen. Und das war schon viel zu viel.
In „Jetzt bist du da“ geht es um Anziehung über 26 Jahre Altersunterschied hinweg. Um den Lebensweg und die Liebeswege einer erwachsenen Frau, die auf einmal von einem Jugendlichen an die Grenzen ihres Unabhängigkeitsbedürfnisses gebracht wird und an einige Grenzen mehr. Es geht um Natürlichkeit und Kontrolle, Vernunft und Verantwortung, um den Wald und das Wilde und unser Verhältnis dazu. Große Themen, über die wir mit Sandra Hoffmann sprechen.
Natürlich gibt es auch in unserer Juni-Folge ein neues Literaturrätsel, außerdem verraten wir die Lösung aus dem Mai und den Namen des Gewinners oder der Gewinnerin.
„Jetzt bist du da“ von Sandra Hoffmann auf der Website des Berlin Verlags
„Der Tod lässt sich nicht proben“: Sandra Kegel über Sandra Hoffmanns Roman „Was ihm fehlen wird, wenn er tot ist“
Zur ersten Folge von Sandra Hoffmanns Kolumne „Draußen“ im Literaturportal Bayern
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Jun 18, 2023 • 29min
Dann lieber Elektroschocks: Silke Ohlmeier über die politische Dimension von Langeweile
Kai Spanke im Gespräch mit der Autorin
Im Alter von neunzehn Jahren hat Silke Ohlmeier, Jahrgang 1986, eine Ausbildung zur Industriekauffrau bei einem Busunternehmen angefangen. Schon an Tag eins wurde deutlich, was sie im Betrieb erwartete: „das Hirn komplett vernebelnde Langeweile“. Die folgenden Wochen und Monate haben den Anfangsverdacht bestätigt. Dennoch hat Ohlmeier nach drei Jahren den Abschluss gemacht, trotz Unterforderung, trotz Antriebslosigkeit, trotz der täglichen „Dauerwarteschleife auf den Feierabend“.
Das blieb nicht ohne Folgen. Silke Ohlmeier studierte Soziologie und befasst sich in ihrer Dissertation mit der Langeweile. Zusätzlich hat sie gerade ein Buch mit dem Titel „Langeweile ist politisch“ vorgelegt. Darin vertritt sie die These, Langeweile sei „eine Folge universeller gesellschaftlicher Strukturen“. Es geht ihr mithin nicht um jene Form der Unlust, die die Zeit dehnt und die man immer wieder einmal verspürt. Es geht ihr um eine sich verfestigende Langeweile, die vor allem marginalisierte Menschen trifft. Über die Reichweite des Problems spricht Ohlmeier in dieser Folge des Bücher-Podcasts.
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Jun 11, 2023 • 1h 22min
Unbedingte Gedanken- und Essfreiheit: Ein Abend zu Ludwig Tieck
Eine Sonderfolge mit Heiko Raulin und Tilman Spreckelsen aus dem Freien Deutschen Hochstift
Sieben junge Dichter, dazu eine Gattin, Schwiegermutter, Schwester und Schwägerin, treffen sich auf dem Lande. Man ist sich einig, dass am Tisch „unbedingt Gedanken- und Essfreiheit“ herrschen müsse, die Dichter lesen einander aus ihren Jugendarbeiten vor, man erzählt, redet sich die Köpfe heiß, man trinkt auf Goethe und Schiller, Fritz Jacobi, Jean Paul, die Brüder Schlegel und Shakespeare. Als sie das Glas schließlich auf den verstorbenen Novalis heben, haben alle Tränen in den Augen.
So geht es in Ludwig Tiecks Meisterwerk, dem Riesenromanfragment „Phantasus“. Der Clou: Tieck hat mit diesem faszinierenden Experiment seine eigenen früheren Arbeiten auf sieben Charaktere verteilt. Er spaltet die eigene Dichterpersönlichkeit nachträglich in sieben Teile auf, und der besserwisserische Ernst, einer von ihnen, sagt an einer Stelle, er hoffe, dass sich im Erzählen die Freundschaft aller festige.
Doch neben die sieben Dichterpersönlichkeiten, die Tieck im Alter benennt, neben den Verfasser von Romanen, Novellen, Märchen und Theaterstücken muss man auch noch den Übersetzer Tieck stellen und den Bearbeiter mittelalterlicher und frühneuhochdeutscher Stoffe. 250 Jahre nach seiner Geburt zeichnete ein Abend im Freien Deutschen Hochstift in Frankfurt am Main am 3. Mai 2023 ein breit angelegtes Bild des Lebens und Werks Ludwig Tiecks. Heiko Raulin hat ausgewählte Texte des Autors gelesen, Tilman Spreckelsen sie eingeordnet.
Programmübersicht auf der Website des Freien Deutschen Hochstifts
Die Adresse für Anregungen, Lob und Kritik
„Leiser Spott für Schwärmerei“: Tilman Spreckelsen über **Ludwig Tiecks als „Wilde Geschichten“ gesammeltes Jugendwerk **
Hans-Joachim Simm in der Frankfurter Anthologie über ein Gedicht ohne Titel von Ludwig Tieck
„Der diese Leere füllt“: Tilman Spreckelsen über die Erstlektüre von Ludwig Tiecks „Phantasus“

Jun 4, 2023 • 45min
Wir kämpfen für ein gewöhnliches Leben: Kateryna Mishchenko über das Buch „Aus dem Nebel des Krieges“
Ein Gespräch mit Kateryna Mishchenko
Wo stehen wir sechzehn Monate nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine? Worüber müssen wir reflektieren, welche Begriffe neu durchdenken, wie ordnen die betroffenen Ukrainer den Schmerz, die Verluste, die Erinnerungen, ihr Leben selbst? Und wie lässt sich überhaupt von alldem erzählen, wenn die Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit nicht nur eine „Zeitenwende“ gebracht, sondern Zeit und Geschichte selbst auf den Kopf gestellt zu haben scheinen?
Der Band „Aus dem Nebel des Krieges“, herausgegeben von Kateryna Mishchenko und Katharina Raabe, vereint 18 Beiträge, 18 Annäherungen, 18 Versuche des Beharrens, Weiterdenkens, Nichtverstummens, oft aus der Mitte der Kriegserfahrung heraus geschrieben. „Menschen, die diese Erfahrung nicht gemacht haben", schreibt Volodymyr Rafeyenko in diesem Band, „kann man es nur schwer erklären, aber das Schlimmste im Leben eines zwangsweise Geflüchteten, der ich dank der großen russischen Kultur nun schon das neunte Jahr in Folge bin, ist die Entwurzelung – dass es für uns alle nirgendwo mehr ein Zuhause gibt. Ständig hämmert mir ein Gedanke im Kopf: »Ich will nach Hause.« Und im selben Moment wird mir bewusst, dass ich kein Zuhause habe und wohl auch nie wieder haben werde.“
„Wogegen genau wehren wir uns?“, schreibt der Autor Artem Chapeye. „Gegen die Einschränkung unserer Freiheit. Wofür kämpfen wir? Natürlich nicht für das absolute Gute. Wir sind keine »Krieger des Lichts«, sondern ganz gewöhnliche Menschen mit all ihren Unzulänglichkeiten. Wir kämpfen für ein gewöhnliches, unvollkommenes Leben, zu dem ich einfach nur zurückkehren möchte.“ Und weiter: „Es schien mir unmöglich und absurd, freiwillig an einem Krieg teilzunehmen. Ich hielt mich für einen Pazifisten.“
Was daraus und aus so vielen anderen Auffassungen, Annahmen und Glaubenssätzen geworden ist, zeigt dieses bemerkenswerte Buch: die erste groß angelegte literarische-essayistische Bestandsaufnahme seit Beginn des Krieges.
„Aus dem Nebel des Krieges: Die Gegenwart der Ukraine“, herausgegeben von Kateryna Mishchenko und Katharina Raabe. Suhrkamp Verlag, 283 Seiten, 20 Euro.