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ÄrzteTag

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Jan 31, 2025 • 47min

Gesundheitspolitik wie die Bahn: Tolle Versprechen, aber ständig verspätet

2. Folge „Kindergarten Gesundheitspolitik“ Michael Hubmann, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzt:innen (BVKJ) in der 2. Folge unserer Podcast-Reihe „Kindergarten Gesundheitspolitik“. Aufgenommen haben wir das Gespräch in seiner Praxis in Zirndorf, die Hubmann mit einer Kollegin, einigen angestellten Kolleg:innen und einem großen Praxisteam betreibt. Besonderheit der Praxis: eine eigene „Infektfabrik“. Die Idee? Infektpatienten strikt von Vorsorge- und Routinefällen zu trennen. „In der Pandemie haben wir sehr früh begonnen, das Wartezimmer quasi zu schließen. Jetzt haben wir eine Lösung gefunden, die sich bewährt.“ Die Eltern nähmen es gut an. Doch trotz hoher Organisation stößt die Praxis, wie viele andere, an Grenzen – ob der Regelungen im Gesundheitswesen. Wie die Bedarfsplanung. „Ein gutes Beispiel dafür, wie irreal das System ist.“ Offiziell gibt es im Landkreis Fürth sieben Sitze für Kinderärzte. Aber der Landkreis reicht bis an die Stadtgrenze Nürnbergs und zieht sich fast bis nach Ansbach. In der Realität bedeutet das für viele Familien: lange Wege oder monatelange Wartezeiten. „Früher konnte ich einem Patienten eine Überweisung mitgeben – heute muss ich persönlich beim Kinderpsychiater anrufen und darum bitten, dass er den Patienten aufnimmt.“ Die Netzwerke, die sich Ärzte über Jahre aufgebaut haben, funktionieren nicht mehr wie früher. Digitalisierung: Noch lange nicht am Ziel Ein weiteres Thema: die elektronische Patientenakte (ePA). Sie wird als großer Fortschritt gepriesen, aber in der Praxis hapert es an der Umsetzung. „Wir warten noch auf ein Update“, so Hubmann trocken. Während der Gesundheitsminister Fortschritte verkünden, kämpft die Praxis mit technischen Hürden. „Wir haben schon seit 2002 eine digitale Patientenakte – aber das offizielle System ist noch nicht einsatzfähig.“ Franken ist bekanntlich eine der ePA-Testregionen. Und was ist mit der Nutzung der Daten? Der eigentliche Mehrwert der ePA soll in der strukturierten Datennutzung liegen – doch dafür fehlt die Standardisierung. „Wir wollen eine bessere Behandlung für Patienten. Aber wenn jeder Arzt andere Dokumentationsstandards hat, bringt uns das erstmal nicht viel.“ Gesellschaftspolitik: Warum fehlt die langfristige Perspektive? Unser Gespräch verlässt an diesem Punkt die reine Gesundheitspolitik – es geht um größere Zusammenhänge. Warum schafft es die Politik nicht, über die nächste Wahl hinaus zu denken? „Wenn man die Schuldenbremse diskutiert, gibt es zwei Perspektiven“, sagt Hubmann. Die eine: Wer heute Schulden macht, hinterlässt sie der nächsten Generation. Die andere: Wer heute nichts investiert, hinterlässt eine marode Infrastruktur. Ein Beispiel? Geschlossene Schwimmbäder. „Das erleben wir überall. Die Kommunen haben kein Geld. Da müssen wir uns doch fragen: Wollen wir, dass es in 20 Jahren immer noch so ist?“ Hubmann verweist auf das Münchener Olympiastadion, gebaut in den 1970ern. „Das war eine langfristige Investition, ein Denkmal für Generationen. Heute fehlen solche Großprojekte – weil jeder nur auf die eigene Legislaturperiode schaut.“ Entbudgetierung: Ein erster Schritt – aber nicht für alle Konkret für die ärztliche Versorgung ist die Entbudgetierung der Hausärzte das große Thema der Woche. Während diese künftig von Vergütungsbegrenzungen befreit werden, bleibt das Problem für Fachärzte bestehen. „Budgets gehören abgeschafft, weil sie leistungsfeindlich sind und die Ärzte demotivieren“, stellt Hubmann klar. „Man arbeitet, aber weiß am Ende nicht, ob man das Geld dafür bekommt – das ist doch absurd.“ Die Ärzte sind durch die steigende Nachfrage ohnehin schon überlastet. Gerade in der Pädiatrie werden immer mehr Kinder mit Entwicklungsverzögerungen oder psychischen Auffälligkeiten behandelt. Doch für diese komplexeren, zeitaufwändigen Fälle gibt es kaum angemessene Vergütung. Michael Hubmann macht deutlich: Die Probleme sind bekannt, aber sie werden nicht gelöst. Vieles dreht sich in endlosen Gremien und Diskussionen, während die Versorgung in den Praxen immer schwieriger wird. Sein Vorschlag? Mehr Einbindung der Kommunen, langfristige Investitionen und eine ehrliche Debatte darüber, wie das Gesundheitswesen künftig gesteuert werden soll. Einfach wird das nicht – aber „die Babyboomer werden bald mit den Füßen abstimmen“, prophezeit Hubmann. Viele niedergelassene Ärzte stehen kurz vor dem Ruhestand, Nachfolger sind schwer zu finden. „Und dann? Wer übernimmt dann die Versorgung?“
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Jan 30, 2025 • 43min

Kommt die Ambulantisierung mit den Hybrid-DRG nun in Schwung, Dr. Weinhart?

Der SpiFa-Vize zieht Bilanz zum ersten Jahr mit Hybrid-DRG Geht es jetzt richtig los? Die Krankenhausreform hat die Ziele für die Ambulantisierung neu gesteckt, die Hybrid-DRG-Vereinbarung der Selbstverwaltung konkretisiert die nächsten Schritte, aber so richtig voran geht es bisher noch nicht. Statt zwölf Hybrid-DRG gibt es jetzt 22, über die 575 OPS-Kodes abgerechnet werden können. Ein „holpriger Start“, wie sich Orthopäde Dr. Helmut Weinhart im „ÄrzteTag“-Podcast äußert – jedenfalls im Vergleich zu den Möglichkeiten der Ambulantisierung, die es nach Einschätzung des Spitzenverbands Fachärzte Deutschlands (SpiFa) und anderer Berufsverbände der operierenden Fächer gibt. **Bilanz zum ersten Jahr mit Hybrid-DRG ** Weinhart, zweiter Vorstandsvorsitzender des SpiFa, zieht im Gespräch Bilanz zum ersten Jahr mit Hybrid-DRG, in dem sich erste Teams mit Anästhesisten, OP-Betreibern, teilweise auch Krankenhäusern und operierenden Ärzten zusammengefunden und ihre Erfahrungen gemacht haben. Zu Beginn sei es angesichts vieler Übergangsregeln mit der Abrechnung für die Teams ein ziemliches Glatteis gewesen. Bekanntlich darf nur einer aus einem Hybrid-DRG-Team abrechnen, das Geld wird dann unter den Akteuren aufgeteilt. Der Orthopäde Weinhart erklärt im Podcast, warum es nötig ist, dass alle Beteiligten, die in ein Hybrid-DRG-Team gehen, ihre Kosten genau im Kopf haben, wie das Honorar aufgeteilt werden sollte und welche Abrechnungswege sich inzwischen etabliert haben. **Zwei Millionen abgerechnete Hybrid-DRG im Jahr 2030? ** Und er erinnert an die neuen Mengenvorgaben, die mit der Krankenhausreform ins Spiel gebracht worden sind: zwei Millionen abgerechnete Hybrid-DRG im Jahr 2030. Das sei letztlich eine „Totgeburt“, so lange nur 1-Tages-DRG für Hybrid-DRG infrage kämen. Weinhart kritisiert, dass das Vergütungsniveau auf EBM-Level abgesenkt werden soll und er begrüßt, dass bei der Kalkulation der Hybrid-DRG nun auch das Institut des Bewertungsausschusses hinzugezogen werden soll. Nicht zuletzt spricht er das leidige Sachkostenthema an: Nach wie vor sind die Sachkosten bekanntlich in die Hybrid-DRG inkludiert, können also, anders als im EBM, nicht eigens abgerechnet werden. Fehlanreize seien die Folge, klagt der SpiFa-Vize, diese müssten endlich behoben werden, wenn es mit den Hybrid-DRG in allen intendierten Bereichen wirklich vorangehen solle.
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Jan 27, 2025 • 30min

Woran zeigt sich, dass die Digitalisierung in Kliniken vorankommt, Frau Thun und Herr Haring?

Ein Gespräch über digitale Krankenhäuser Die Digitalisierung kommt langsam voran in den Kliniken, das haben die Ergebnisse der 2. Erhebung für den Digitalradar gezeigt: Um 9,1 Punkte auf 42,1 von 100 möglichen Punkten ist der Score der digitalen Reife laut Vollerhebung unter fast 1.600 Krankenhäusern binnen drei Jahren gestiegen. Überall spürbar ist das allerdings noch nicht – so warten niedergelassene Ärztinnen und Ärzte immer laut Praxisbarometer Digitalisierung der KBV noch sehnsüchtig darauf, dass die Krankenhäuser die Kommunikation auf digitale Entlassbriefe umstellen. Eine Einordnung der Ergebnisse vermitteln Professorin Sylvia Thun, Direktorin der Core-Unit E-Health und Interoperabilität (CEI) am Berliner Institut für Gesundheitsforschung (BIH) an der Charité, und Dr. Malte Haring, inav – privates Institut für angewandte Versorgungsforschung, vom Konsortium Digitalradar Krankenhaus im „ÄrzteTag“-Podcast. Im Gespräch erläutern beide die Methodik der Erhebung und wie die Selbstauskünfte der Krankenhäuser validiert und mit der tatsächlichen Lage in den Krankenhäusern abgeglichen werden. Die Auswertung der 2. Erhebung sei noch gar nicht abgeschlossen, berichtet Thun weiter. So werde der Zusammenhang zwischen dem wirtschaftlichen Erfolg einer Klinik und dem Grad der digitalen Reife noch untersucht, ebenso ein möglicher Zusammenhang zwischen der Qualität des Outcomes und dem Digitalisierungsgrad. Der Digitalradar sei gut geeignet für Kliniken, ein Benchmarking über die eigenen Fortschritte bei der Digitalisierung zu machen, erläutert Haring. Der Digitalradar, schlussfolgern Thun und Haring, zeige recht gut, dass Deutschland im internationalen Vergleich gar nicht so schlecht dastehe in der Digitalisierung des Gesundheitswesens – sie hoffen auf eine weitere Verbesserung, die eine 3. Erhebung in den kommenden Jahren zeigen könne. Denn noch seien die Projekte aus dem Krankenhauszukunftsfonds nicht alle umgesetzt. Nicht zuletzt sehen beide auch Möglichkeiten, nach einem Praxiszukunftsgesetz mit einer Förderung des niedergelassenen Bereichs einen Digitalradar für Praxen zu machen, um den Grad der Digitalisierung im ambulanten Sektor zu evaluieren. Nicht zuletzt der Digitalisierungsgrad der Krankenkassen könnte über ein solches Instrument einmal genauer überprüft werden. (Dauer: 29:48 Minuten)
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Jan 20, 2025 • 44min

Haben wir verlernt zu streiten, BVKJ-Präsident Michael Hubmann?

1. Folge „Kindergarten Gesundheitspolitik“ Michael Hubmann ist seit knapp 14 Monaten Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzt*innen (BVKJ). In unserer neuen Reihe „Kindergarten Gesundheitspolitik“ im „ÄrzteTag“-Podcast blicken wir mit ihm auf die großen und kleinen Themen in der kinderärztlichen Praxis und in der Gesundheitspolitik. Hubmanns großer Wunsch ist eine generationengerechte und „enkeltaugliche“ Gesundheitspolitik. „Wir müssen jetzt Verantwortung übernehmen und langfristig denken – für unsere Kinder und Enkelkinder,“ sagt er. Gerade trotz der Zeiten gesellschaftlicher Spaltung fordert er ein stärkeres Bewusstsein für Diversität und die Belange der jüngeren Generation. Im Gespräch kommen wir auf ein jüngstes Interview der ZEIT mit dem Dortmunder Soziologen Aladin El-Mafaalani. Der konstatiert, dass die politische Macht der älteren Generation zu Lasten der jüngeren gehe. „Wir brauchen eine enkeltaugliche Politik, die bereit ist, Einschränkungen für die Zukunft unserer Kinder zu akzeptieren“, fordert Hubmann. Die derzeitige politische Landschaft sei von kurzfristigem Denken und Polarisierung geprägt. Hubmann betont die Notwendigkeit einer strukturellen Reform in der Gesundheitsversorgung. „Es ist lächerlich, dass Leistungen, die auf Überweisung erbracht werden, weiterhin budgetiert sind,“ kritisiert er. Das Gespräch wurde vor dem dem Kompromiss aufgezeichnet, die Entbudgetierung für Hausärzte doch noch in dieser Legislaturperiode zu beschließen. Hubmann fordert ein Ende der „Misstrauenskultur“ gegenüber Ärzten und Patienten: „Die Vorstellung, dass Eltern Leistungen wie einen Rollstuhl für ihr Kind erschleichen, ist einfach unwürdig.“ Der Pädiater aus Zirndorf bei Nürnberg sieht in der aktuellen gesellschaftlichen Debatte eine Chance für mehr Dialog und gegenseitiges Verständnis. „Diversität im Kopf muss wieder gelernt werden.“ Er verweist darauf, dass Meinungsverschiedenheiten nicht bedeuten, dass andere Ansichten weniger wertvoll sind. Seine zentrale Botschaft: „Wir müssen bereit sein, Kompromisse einzugehen – für eine bessere Zukunft.“
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Jan 20, 2025 • 21min

Was halten Sie von einer Primärversorgung über den EBM, Dr. Beier?

Der Co-Bundesvorsitzende des HÄV über eine Petition zur Rettung der wohnortnahen hausärztlichen Versorgung Zeitweise sah es politisch blendend aus für die Hausärztinnen und Hausärzte. Doch mit dem Scheitern des Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetzes (GVSG) platzten die Träume einer stärkeren Förderung der HZV – und es schien auch, dass es mit der Entbudgetierung nichts wird. Nun hat der Hausärztinnen- und Hausärzteverband zusammen mit dem Verband der medizinischen Fachangestellten (vmf) vor der Bundestagswahl eine Petition zur Rettung der wohnortnahen hausärztlichen Versorgung in Gang gesetzt, mit der den Forderungen der Verbände mehr Nachdruck verliehen werden soll. Im „ÄrzteTag“-Podcast spricht der Co-Bundesvorsitzende des Verbands Dr. Markus Beier darüber, warum eine solche Petition jetzt dringend erforderlich ist und welche Ziele die Verbände damit verfolgen. **Doch noch eine Chance auf Entbudgetierung ** Die Hausärztinnen und Hausärzte, so Beier außerdem, gäben die Hoffnung noch immer nicht auf, dass es doch noch etwas werden könnte mit der Entbudgetierung. Dies sei um so wichtiger, als immer mehr KV-Regionen zurück in die Budgetierung rutschten, klagt Beier. Am schlimmsten sei es in Hamburg, wo zuletzt eine Auszahlungsquote von 68 Prozent für Hausärzte erreicht worden sei. Im Podcast spricht Beier über die Gründe für die immer dünner werdende Honorardecke - bei zuletzt deutlich gestiegenen Kosten, vor allem für das Personal. Und die Hausärztinnen und Hausärzte könnten Glück haben: Die Rest-Ampel aus SPD und Grünen hat sich mit der FDP-Fraktion darauf verständigt, die Entbudgetierung auf den letzten Metern der laufenden Legislaturperiode doch noch umzusetzen. Das wurde nach der Aufnahme des Podcast-Gesprächs mit Beier bekannt. **Abschreckendes Beispiel NäPA-Pauschale ** Beier spricht im Podcast auch über die vom Verband seit langem geforderte Teampauschale. Diese sei ein schönes Beispiel für die Möglichkeiten einer sinnvollen Förderung einer guten Hausarztmedizin. Die Lösung im EBM mit der NäPA-Pauschale und vielen Einschränkungen sei dagegen ein typisches Beispiel für die Bürokratisierung der Versorgung, die für Praxisteams nur schwer nachzuvollziehen sei. Im Podcast erläutert der Hausärzte-Co-Chef, wieso es durchaus eine „gesunde Reaktion des Gehirns ist, sich nicht dauerhaft mit dem Wahnsinn des EBM zu beschäftigen“. Beier richtet den Blick aber auch nach vorne, auf die Chancen, die sich dadurch ergeben, dass die primärärztliche Versorgung in mehrere Wahlprogramme der Parteien geschafft haben. Dies sei vor der laufenden Legislaturperiode noch ganz anders gewesen. Aber auch darüber, warum ein Primärarztsystem in der Regelversorgung weder für Patienten noch für Ärztinnen und Ärzte erstrebenswert wäre, spricht der Verbands-Co-Vorsitzende im Podcast.
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Jan 17, 2025 • 1h 6min

Was unterscheidet gute von schlechten Lobbyisten, Martin Degenhardt?

Gespräch mit dem FALK-GF Martin Degenhardt ist Politikwissenschaftler. Er hat für Abgeordnete gearbeitet und den damaligen CSU-Chef Horst Seehofer. Seit vielen Jahren ist er Geschäftsführer der Freien Allianz der Länder-KVen (FALK). In Berlin vertritt er als Lobbyist die Interessen „seiner“ KVen und insbesondere die der niedergelassene Ärztinnen und Ärzte und Psychotherapeuten. „Ich bin stolzer Lobbyist“, sagt er. Warum? „Weil ich legitime Interessen vertrete.“ In der öffentlichen Wahrnehmung sei Lobbyismus oft mit Korruption und undurchsichtigen Machenschaften verbunden. Doch für Degenhardt ist Transparenz der Schlüssel: „Gesprächspartner müssen wissen, wer ich bin, von wem ich bezahlt werde und welche Interessen ich vertrete.“ Seine Arbeit betrachtet er als unverzichtbar für die Demokratie. „Ein Arzt in seiner Praxis hat weder die Zeit noch die Ressourcen, sich mit den Details gesetzlicher Regelungen auseinanderzusetzen. Dafür braucht es uns.“ Als wichtigen Erfolg seiner Arbeit nennt er die Rückverlagerung der Honorarverteilung auf die Landesebene. „Das war unser erster großer Erfolg. Entscheidungen vor Ort sind näher an den Bedürfnissen der Praxen und sorgen für mehr Gerechtigkeit.“ Doch Herausforderungen wie die starre Budgetierung und steigende Bürokratie lasteten weiterhin schwer auf den Praxen. „Wenn Prozesse nicht praktikabel sind, steigen die Kosten für die Praxen. Das können wir uns nicht leisten.“ Schlechter Lobbyismus und politische Abhängigkeit Degenhardt kritisiert, was er „schlechten Lobbyismus“ nennt: Agenturen, die Termine mit politisch irrelevanten Akteuren arrangieren oder bewusst falsche Zahlen verbreiten. „Das ist hochgradig unseriös und beschädigt den gesamten Berufsstand.“ Er warnt aber auch vor einer immer stärkeren Aufblähung der Ministerien bei gleichzeitiger Unterausstattung des Parlaments. „Die Augenhöhe zwischen Exekutive und Legislative hat abgenommen. Das Parlament muss personell besser ausgestattet werden, um seiner Kontrollfunktion gerecht zu werden.“ Zur Erinnerung: Mit dem neuen Wahlrecht wird der Deutsche Bundestag nach der Wahl am 23. Februar rund 100 Abgeordnete weniger haben. Unterm Strich müssen die dann weniger Abgeordneten sich mit mehr Themen beschäftigen, wodurch die Tiefe beim Sachverstand leiden wird. Das wiederum könnte Abgeordnete für Lobby-Einflüsterungen empfänglicher machen. Demokratie heißt Kompromiss Angesprochen auf die Forderung nach einer Entbudgetierung ärztlicher Leistungen bleibt Degenhardt realistisch: „Eine Umsetzung bis Januar 2026 ist möglich, aber nur, wenn wir die Kassenlage berücksichtigen.“ Ein blindes „Mehr, mehr, mehr“ sei nicht zielführend: „Wir müssen priorisieren und uns auf die Punkte konzentrieren, die den Praxen am meisten helfen.“ Trotz aller Herausforderungen sieht Degenhardt die Demokratie als unverzichtbar, gerade in ihrer mühsamen Komplexität. „Kompromissfähigkeit ist essenziell. Wer das nicht akzeptiert, will Absolutismus – und das ist nicht unser Weg.“ Der Streit innerhalb der Ärzteschaft, etwa über eine neue Gebührenordnung GOÄ, zeigt für ihn, wie schwer es sein kann, unterschiedliche Interessen unter einen Hut zu bringen. „Es wird Verlierer geben. Aber ohne Kompromisse kann eine Demokratie nicht funktionieren.“ Degenhardt fordert, dass die neue Bundesregierung schnell ein Entlastungsgesetz auf den Weg bringt. „Die Entbudgetierung muss kommen, und zwar gleich zu Beginn der nächsten Legislaturperiode.“ Für ihn ist klar: „Ohne politische Unterstützung wird die Schere zwischen steigenden Kosten und sinkenden Einnahmen in den Praxen weiter auseinandergehen – und das System an seine Grenzen bringen.“ (Länge: 1:05:34 Stunden)
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Jan 16, 2025 • 27min

Hurra, wir sind pleite! Und wie kommen wir aus der Geldnot des Gesundheitssystems heraus, Herr Hager?

Der BMC-Vorsitzende Lutz Hager im Gespräch Krankenhausreform, Medizinforschungsgesetz, Digitalisierung mit eAU, E-Rezept und ePA – war es das mit der Ampel-Koalition? In der Zeit zwischen zwei Legislaturperioden geschieht gestalterisch in der Politik in der Regel nicht mehr viel. Es ist die Zeit, in der Bilanz gezogen wird und in der dann Pläne für die Zukunft geschmiedet werden. Die Bilanz, die der Vorsitzende des Bundesverbands Managed Care (BMC), Professor Lutz Hager, im Vorfeld des BMC-Kongresses Ende Januar im „ÄrzteTag“-Podcast zieht, wirft kein gutes Licht auf die Gesundheitspolitik von Gesundheitsminister Professor Karl Lauterbach. Die Ampel habe mit dem Koalitionsvertrag gut begonnen, „aber von da an ging‘s bergab“. Nach den drei Jahren Ampel-Koalition sei das Gesundheitssystem an einem Endpunkt angekommen. „Wir haben es geschafft, alle Mittel zu verbrauchen, die die Gesellschaft für das Gesundheitswesen auszugeben bereit ist“, so Hager. Man könne am Ende der Ära Scholz nach den Beitragssatzerhöhungen Anfang des Jahres sarkastisch sagen, „Hurrah, wir sind pleite, wir sind am Ende des Geldes.“ Hager führt im Gespräch aus, wie das System aus dieser Misere der Geldknappheit herauskommen könnte. Er erläutert zudem die Vorschläge des BMC in dem Anfang des Jahres publizierten Impulspapier, etwa wie die Inanspruchnahme des Gesundheitswesens durch die Patientinnen und Patienten besser gesteuert werden könnte, welche Veränderung ein Primärarztsystem bringen könnte und wie das Thema Gesunderhaltung und Prävention statt Reparaturmedizin für Entlastung sorgen könnte. Patienten bei der Navigation durch das System an der Hand zu nehmen, „das ist unser Job, unser Thema“, sagt Hager. Er setzt dabei unter anderem auf digitale Lösungen, die helfen können, gleich die richtige Versorgungsebene anzusteuern. Und er hofft auf mehr Freiheiten für die Akteure vor Ort, die Gesundheitsversorung regional zu gestalten. Für die Weiterentwicklung des Systems könne man durchaus auf das Erarbeitete aus der ablaufenden Legislaturperiode zurückgreifen, etwa bei der Notfallreform. Nicht alles müsse in der nächsten Reformrunde der nächsten Koalition von Grund auf neu ausgearbeitet werden. (Länge: 27:21 Minuten)
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Jan 8, 2025 • 40min

E-Patientenakte gehackt – können Ärzte und Patienten der ePA noch vertrauen, Frau Kastl und Herr Tschirsich?

Die Hacker berichten, welche Sicherheitslücken die elektronische Patientenakte hat. „Konnte bisher noch nie gehackt werden: Die elektronische Patientenakte kommt – jetzt für alle!“ Es war der – erwartete – Paukenschlag in der Digitalisierungsszene für das Gesundheitswesen, als kurz vor Jahresschluss beim alljährlichen Kongress des Chaos Computer Clubs Martin Tschirsich und seine Hacker-Kollegin Bianca Kastl live und online verfolgbar Wege aufzeigten, wie Angreifer mit erstaunlich wenig Mühe an Daten in der elektronischen Patientenakte herankommen könnten. Im „ÄrzteTag“-Podcast beschreiben die beiden Gesundheits-IT-Spezialisten nochmals, wie sie vorgegangen sind, um auf die Akten zuzugreifen, welchen Aufwand sie dafür betreiben mussten – und welche Konsequenzen das haben sollte. Um drei Szenarien geht es: den Zugriff auf eine bestimmte Akte, den Zugriff auf Akten von Patienten, die in einer Arztpraxis behandelt werden, und den Zugriff auf potenziell alle ePA. „Wir sind in der glücklichen Situation, dass die ePA für alle noch nicht live ist“, betonte Martin Tschirsich. Man könne also durchaus noch reagieren, um das Sicherheitskonzept noch zu verbessern. Seit August seien die Hacker mit der gematik und den Sicherheitsbehörden im Kontakt. So arbeite die gematik daran, einen massenhaften Datenabfluss, der im dritten Szenario möglich wäre, zu verhindern. Wären PIN-Nummern als Zugriffsschutz besser gewesen? Kastl und Tschirsich stellen im Podcast infrage, ob die Entscheidung zugunsten einer einfacheren Handhabbarkeit ganz auf PIN-Nummern für den Zugriffsschutz zu verzichten, klug gewesen sei. Sie legen nochmals den Finger in die Wunde, dass das Sicherheitsbewusstsein in den Organisationen, zum Beispiel in den Krankenkassen, bei der Ausgabe von elektronischen Gesundheitskarten, noch zu gering ausgeprägt sei. Und es sei nach wie vor zu leicht, an ausrangierte Hardware zu kommen, die es ermögliche, in die Telematikinfrastruktur einzudringen. Nicht zuletzt teilen die beiden IT-Spezialisten ihre Gedanken dazu, wie vertrauenswürdig die ePA für alle angesichts der bisher noch offensichtlichen Sicherheitslücken ist und wie sie selbst zur Entscheidung über einen individuellen Opt-out aus der ePA stehen. BÄK-Präsident Klaus Reinhardt hatte sich zuletzt dazu skeptisch geäußert und formuliert, er würde aktuell Patienten nicht empfehlen, die ePA zu nutzen.
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Jan 6, 2025 • 26min

Wie vermeiden Sie Regresse in der Wundversorgung, Herr Sommerbrodt?

Der Wiesbadener Hausarzt gibt Tipps, worauf Ärztinnen und Ärzte achten sollten. Die Versorgung von Patientinnen und Patienten, die chronische Wunden haben, kann eine teure Angelegenheit sein, wenn Produkte der modernen Wundversorgung zum Einsatz kommen. Seit den ersten Dezember-Tagen 2024 laufen verordnende Ärztinnen und Ärzte Gefahr, dass ihnen diese Kosten im Nachgang in Rechnung gestellt werden – in Form von Regressen. Der Grund: Die Erstattungsfähigkeit für Wundprodukte der Klasse III, die mit pharmakologischen Wirkstoffen im Wundprodukt in der Wunde arbeiten, ist Anfang Dezember vergangenen Jahres ausgelaufen, wenn noch kein Nutzennachweis für das Produkt über Studien erbracht worden ist. Hintergrund ist, dass der Gesetzgeber es nicht mehr vor dem Bruch der Ampel-Koalition geschafft hat, die Verlängerung der Erstattungsfähigkeit dieser „sonstigen Produkte der Wundbehandlung“ umzusetzen. Dies war eigentlich geplant gewesen. Einstufung nicht immer ganz eindeutig Wie Ärztinnen und Ärzte mit dieser Regelungslücke aktuell umgehen können, erläutert Hausarzt Christian Sommerbrodt aus Wiesbaden im „ÄrzteTag“-Podcast. Ein Problem dabei sei, dass Preise und Einstufung in die Produktgruppe der Wundversorgung über die Praxisverwaltungssysteme (PVS) nicht geleistet werden, berichtet der Mediziner, der Mitglied des Bundesvorstands des Hausärztinnen- und Hausärzteverbands ist und auch Landesvorsitzender des Verbands in Hessen. Da aber die Einstufung eines Wundprodukts in Klasse II (zum Beispiel Alginate oder Hydrokolloide und Schaumstoffe) oder in Klasse III nicht immer ganz eindeutig sei, müssten Hausärztinnen und Hausärzte eigentlich in den Produktbeschreibungen nachschauen, um dies abzuklären. „Das ist in der Sprechstunde bei hohem Patientenandrang aber nicht leistbar“, betont Sommerbrodt. Im Podcast beschreibt er mögliche Lösungsstrategien für Praxen, aber auch Hilfen, die beispielsweise die KV Hessen für ihre Mitglieder bereitstelle. Auch die AOK Niedersachsen habe – mit Einschränkungen – einen guten Überblick über die Produkte der Wundversorgung erarbeitet. Neue Möglichkeiten der Abrechnung Thema im Gespräch sind auch die neuen Gebührenordnungspositionen zur Versorgung von Long-COVID-Patienten im neuen EBM-Unterkapitel 37.8. Sommerbrodt beschreibt die Relevanz dieses Krankheitsbildes im Versorgungsgeschehen einer Hausarztpraxis, das Vorgehen im Zusammenwirken mit den Fachkolleginnen und -kollegen. Und er beschreibt die neuen Möglichkeiten der Abrechnung. Diese könnten durchaus dazu beitragen, die Versorgung dieser Patientengruppe zu verbessern, glaubt der Hausarzt aus Wiesbaden.
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Jan 3, 2025 • 35min

25 Jahre ICD-10: Haben die Hausärzte ihren Frieden mit der Kodierung gemacht, Dr. Claus?

Wie es mit der Kodierung nach ICD-10 inzwischen im Praxisalltag läuft Lässt sich ein komplexes Krankheitsgeschehen einfach so auf einen fünfstelligen Schlüssel reduzieren? Und lässt sich so nachvollziehbar über alle Ärztinnen und Ärzte und über alle Patientinnen und Patienten hinweg das Krankheitsgeschehen der Bevölkerung transparent und vergleichbar machen? Vor diesen Fragen standen vor 25 Jahren die Hausärztinnen und Hausärzte, als die ICD-10, die Internationale Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme, für Vertragsärzte verpflichtend eingeführt wurde. Im „ÄrzteTag“-Podcast erinnert Dr. Christoph Claus, Hausarzt in Grebenstein in Nordhessen, an die Zeit, als die Kodierpflicht vor 25 Jahren ins SGB V aufgenommen wurde. Bis der Paragraph 295 in Form der ICD-10 über die „German Modification“ (GM) in der täglichen Dokumentationsarbeit wirksam wurde, vergingen damals nochmals einige Jahre, was auch einem gewissen Widerwillen auf Seiten der Ärztinnen und Ärzte geschuldet war, die gewohnt waren, die Krankheiten im Klartext zu dokumentieren. Claus beschreibt auch die Vorteile des einheitlichen Kodiersystems, zum Beispiel, dass zuweisende Ärzte und ihre Kolleginnen und Kollegen in der Klinik dieselbe „Sprache“ nutzten und die Diagnosenschlüssel aus den Arztbriefen in die eigene Kartei übernommen werden konnten. Im Gespräch lässt der Hausarzt nochmals die Zeit der Einführung der ICD-10 und des ersten Versuchs einer Einführung von Kodierrichtlinien Revue passieren, der damals am Widerstand vor allem der Hausärzte gescheitert war. Die Begründung schon damals: eine drohende zeitliche Überlastung der Praxen. Auch die Verknüpfung der Diagnosenverschlüsselung mit dem Arzthonorar und die Bedürfnisse der Krankenkassen, von einer guten Verschlüsselung über den morbiditätsbedingten Risikostrukturausgleich mehr Mittel zu mobilisieren, kommt zur Sprache. Claus erläutert aber auch, wofür die ICD-10-Schlüssel in guten Praxisverwaltungssystemen genutzt werden können, zum Beispiel für Suchläufe, um Regresse für Medikamentenverordnungen zu vermeiden. Nicht zuletzt erläutert Claus, warum bis heute in manchen Fällen ein Spickzettel mit den wichtigsten ICD-10-Schlüsseln schneller helfen kann als der beste Thesaurus in einem Praxisverwaltungssystem.

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